Materialien zur Religionswissenschaft

Menora

Menora -- der siebenarmige Leuchter nach Sacharja 4,2

Judentum als Lebensform

14. Purim


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- 14. Purim. -- Fassung vom 26. April 1999. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/jud514.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 21. Februar 1998

Überarbeitungen: 26. 4. 1999 [Hinzufügung von Buchbestell-Links zu amazon.de]

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Übersicht



Zitate im Folgenden:


1. Anlaß und Zeitpunkt


Mordechai schrieb all diese Ereignisse auf und schickte Briefrollen an alle Juden in allen Provinzen des Königs Achaschwerosch [Xerxes I.], die in der Nähe und Ferne wohnten. Er wollte ihnen als Satzung auferlegen, den 14. des Monats Adar und den 15. desselben Monats alljährlich zu feiern. Das waren die Tage, an denen die Juden von ihren Feinden Ruhe bekamen; das war der Monat, in dem sich ihre Betrübnis zur Freude und die Trauer zu einem Festtag umgewandelt hatte. Sie sollten diese Tage als Zeit fröhlicher Gelage, gegenseitigen Beschenkens und der Gabenspenden für die Armen begehen. Die Juden aber führten, was man bereits zu feiern begonnen, und was Mordechai an sie geschrieben hatte, als Brauch ein. Denn der Agagiter Haman, der Sohn des Hammedata, der Feind aller Juden, hatte den Plan ausgedacht, die Juden zu verderben. Er ließ das Pur (Los) werfen, um sie zu vertilgen und zu vernichten. Da kam aber die Angelegenheit vor den König: dieser befahl durch den Erlaß, sein böswilliger Plan, den Haman gegen die Juden ausgeheckt hatte, solle auf dessen Haupt zurückfallen. Man hängte ihn und seine Söhne an den Holzpfahl. Darum bezeichnet man diese Tage als "Purim" nach dem Worte "Pur" gemäß dem genauen Wortlaut des Briefes und nach dem, was sie erlebt hatten und was ihnen begegnet war. Deshalb erklärten die Juden es zum feststehenden Brauch und nahmen es an für sich und ihre Nachkommenschaft und alle, die zu ihnen übertreten würden; es sollte nicht mehr in Wegfall kommen, daß man diese beiden Tage halte nach ihren Vorschriften und zu der von ihnen festgesetzten Zeit, Jahr um Jahr. ... Esters Entscheidung aber führte diese Purimtage als feststehendes Recht ein, und es wurde in eine Buchrolle niedergeschrieben.

Ester 9, 20 - 32

Purim wird am 14. Adar gefeiert (einen Monat vor Pessach), in Jerusalem wird es am 15. Adar gefeiert. Da Purim kein Gebot der Thora ist, gelten an Purim die üblichen Feiertagsverbote, wie z.B. das Arbeitsverbot, nicht. Purim erinnert an die Vorgänge im 5. Jahrhundert vor Christus, von denen das Buch Ester berichtet:

"Der Name Purim, so wird in der Esterrolle berichtet, leitet sich von dem Wort 'pur' (Plural Purim) ab, das 'Los' bedeutet (im Sinne von 'ein Los ziehen'), wegen der Lose die Haman, 'Ministerpräsident' des Königs Achaschwerosch [= Xerxes I, 486 - 465 v. Chr.] von Persien ziehen ließ, um den Tag zu bestimmen, an dem die Juden des Landes vernichtet werden sollten.

Hamans Vorhaben wurde von der schönen Königin Ester und ihrem Vetter Mordechai vereitelt. Unter Einsatz ihres eigenen Lebens setzte sich Ester beim König für ihr Volk ein, woraufhin Hamans Befehl scheiterte. So wurden die persischen Juden nicht ausgerottet, sondern Haman und seine Familie endeten am Galgen, den er selbst für Mordechai errichtet hatte. Da verwandelten sich 'ihre Schmerzen in Freude' und die Tage der Verzweiflung wurden zu Festtagen, an denen 'einer dem anderen Geschenke und den Armen Gaben schickte' (Ester 9, 22)" [Kolatch, S. 317]

"Purim nimmt eine besondere Stellung unter den jüdischen Festtagen ein. Nicht Gott hat den Juden befohlen, dieses Fest zu feiern. Alle mit ihm verbundenen Gewohnheiten und Bräuche hängen mit einer Geschichte zusammen, in der der Name des Herrn nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Nicht der Herr, sondern der Jude Mordechai hat allen Juden im persischen Reich aufgetragen, 'daß sie begingen den vierzehnten Tag des Monats Adar ...'" [Dolezalová, S. 128f.]


2. Gebote für Purim


Mordechai machte vier Vorschriften für Purim:


3. Vorlesung der Esterrolle (Megilla)


 

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Abb.: Esterrolle

Am Vorabend des Festes wird in allen Synagogen das Buch Ester verlesen, gewöhnlich Megilla (Schriftrolle) genannt. Die Megilla wird auch am folgenden Morgen verlesen. Sowohl Männer als auch Frauen sind verpflichtet, die Vorlesung der Megilla anzuhören. Auch Kinder sollen dazu angehalten werden, in der Synagoge dieser Pflicht nachzukommen.

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Abb.: Megilla-Vorlesung in einer ungarischen Synagoge [Vorlage der Abb.: Féner, Tamás <1938 - > ; Scheiber, Sándor <1913 - >: Jüdisches Leben - jüdischer Brauch / Fotos von Tamás Féner, Text von Sándor Schreiber. -- Wiesbaden : Fourier, ©1984. -- Einheitssachtitel: és beszéld el fiadnak. -- ISBN 3-921695-89-9. -- S. 78.]

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Abb.: Notenbeispiel für die Megilla-Vorlesung [Quelle der Abb.: Jüdisches Fest, jüdischer Brauch / hrsg. von Friedrich Thieberger ... Nachdruck der im Jahr 1937 von den deutschen Behörden beschlagnahmten und vernichteten Erstauflage. -- Frankfurt a. M. : Jüdischer Verlag, 1997. --ISBN 3-633-54003-2. -- S. 369. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]

Jedesmal, wenn beim Vorlesen der Esterrolle der Name 'Haman' erwähnt wird, setzt man Lärminstrumente aller Art ein, mit deren Hilfe der Name Hamans symbolisch ausgelöscht werden soll: die Erwachsenen klopfen gewöhnlich mit den Füßen und schlagen aufs Pult, die Kinder nehmen alle Arten von Lärminstrumenten, insbesondere Rasseln und Schnarren.


4. Schlachmanot -- Geschenke (Schicken von Portionen)


"Ein Jude feiert oder trauert niemals allein, er teilt seine Freude oder sein Leid immer mit den anderen. So ist es an allen Festtagen und Purim ist keine Ausnahme.Und weil Purim das Fest 'des Mahls und der Freude', also des guten Essens und Trinkens ist, schicken die Juden ihren Mitmenschen etwas von den Leckerbissen, die sie für ihre eigene festliche Tafel vorbereitet haben. Die Geschenke, von denen Mordechai in seiner Botschaft spricht, bestehen mindestens aus zwei Portionen fertiger Speisen, einer Mehlspeise und einer aus rohem Obst. Daher kommt auch der hebräische Name für diesen Brauch: Schlachmanot. Das bedeutet 'Schicken von Portionen', vom hebräischen schalach (schicken) und manot (Portionen). Die Gerichte wurden einst in wahrhaft festlicher Aufmachung geschickt, in prächtigen Schüsseln und in bunte, reich gestickte Tücher gewickelt. Heute verpackt man sie etwas prosaischer in Pappschachteln, die eigens für diesen Zweck hergestellt werden. Man beschränkt sich natürlich nicht nur auf Mehlspeisen  und Obst. Jeder tut gern noch etwas von den typischen Purimsüßigkeiten hinzu, z.B. Haman-Figürchen aus Ingwerteig, ihr sephardisches Gegenstück, die Hamanohren, oder die beliebten aschkenasischen Hamantaschen, dreieckige Kuchen mit Mohnfülle, die an Hamans dreieckigen Hut oder seine mit Bestechungsgeldern gefüllten Taschen erinnern sollen." [Dolezalová, S. 129]

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Abb.: Hamantaschen [Vorlage der Abb.: Dolezalová, S. 142]

Im allgemeinen sind Kinder die Überbringer dieser Geschenke.

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Abb.: Kinder orthodoxer Juden in Zürich beim Überbringen der Geschenke [Vorlage der Abb.:  Schtetl Zürich : von orthodoxen jüdischen Nachbarn / Livio Piatti ; mit Texten von ... -- Zürich : Offizin, ©1997. -- ISBN 3-907495-78-0. -- S.  141. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]


5. Purim -- der jüdische Karneval


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Abb.: Purimumzug in Berlin, März 1994 [Quelle der Abb.: Serotta, Edward <1949 - >: Juden in Deutschland heute : eine photographische Reise. -- Berlin : Nicolai, ©1996. -- ISBN 3-87584-599-4. -- S. 105. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]

"Nur schwer läßt sich der unnachahmliche Zauber des Purimfestes beschreiben. Die Lustbarkeiten sind unbändig und ausgelassen. An diesem Tag ist fast alles erlaubt. In Maskenkostüme gekleidete Kinder und Erwachsene ziehen durch die Straßen und halten jeden zum besten, dem sie begegnen, sogar den Rabbiner. Es werden Szenen aus der biblischen Erzählung von der Königin Ester aufgeführt, manchmal kann man auch die ganze Geschichte sehen. Niemand darf nüchtern bleiben. Wein ist ein untrennbarer Bestandteil aller jüdischen Feste, denn er beglückt und erbaut die Seele. Außerdem hat er in entscheidender Weise zur Niederlage Hamans beigetragen. Seinetwegen verstieß der betrunkene Ahasveros die Königin Waschti und erhob Ester an ihre Stelle. Wein ließ Königin Ester beim denkwürdigen Festmahl reichen, bei dem Hamans Missetaten aufgedeckt wurden. Und er wird bis auf den heutigen Tag in vollen Zügen getrunken. Der Talmud sagt, daß man die richtige Purimlaune erst dann erreicht hat, wenn man so viel Wein getrunken hat, daß man nicht mehr zu unterscheiden weiß, wer Mordechai und wer Haman war. In Jerusalem wird alljährlich ein weithin bekannter Karneval gefeiert, der den Namen Ad lo jada erhalten hat. Das bedeutet 'bis er nicht mehr wußte'." [Dolezalová, S. 130]


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