Materialien zur Religionswissenschaft

Menora

Menora -- der siebenarmige Leuchter nach Sacharja 4,2

Judentum als Lebensform

15. Andere Feste und Fasttage


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- 15. Andere Feste und Fasttage. -- Fassung vom 26. Februar 1999. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/jud515.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 21. Februar 1998

Überarbeitungen: 26. 4. 1999 [Hinzufügung von Buchbestell-Links zu amazon.de]

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Übersicht



Zitate im Folgenden:


1. Kalender der Festtage und Fasttage


In diesem Kapitel werden Rosch Chodesch (Neumondstag) sowie die Festtage und Fasttage behandelt, die in folgendem Festkalender durch Fettschrift hervorgehoben sind:

Monat Tag Festtag Ursprung obligatorisch in
Israel / konservatives
Judentum
obligatorisch
in
Reformjudentum
Tischri
(September/Oktober)
1 Rosch Haschana = Neujahr Leviticus 23,23-25 ja ja
  2 Rosch Haschana = Neujahr   ja nein
  3 Gedalja-Fasten 2. Könige 25,22-25
Sacharja 7,5;8,19
ja nein
  10 Jom Kippur = Versöhnungstag Leviticus 23,26-32 ja ja
  15 Sukkot = Laubhüttenfest Leviticus 23,33-36
Deuteronomium 16,13-17
ja ja
  16 Sukkot = Laubhüttenfest   Halbfeiertag/ja Halbfeiertag
  17-21 Sukkot = Laubhüttenfest   ja ja
  22 Schemini Azeret   ja ja
  23 Simchat Thora = Freude der Lehre   nein/fakultativ nein
Marcheschwan
(Oktober/November)
         
Kislew
(November/Dezember)
25
bis 2. Tewet
Chanukka = Lichterfest 1. Makkabäer 4,36ff. ja ja
Tewet
(Dezember/Januar)
bis 2. Chanukka = Lichterfest      
  10 Assara Be-Tewet = Fasttag Sacharja 7,5;8,19 ja nein
Schewat
(Januar/Februar)
15 Tu Be-Schewat = Neujahr der Bäume Mischna Rosch Haschana 1,1 ja ja
Adar
(Februar/März)
13 Taanit Ester = Ester-Fasten Ester ja nein
  15 Purim Ester ja ja
Adar II
in Schaltjahren
         
Nissan
(März/April)
15 Pessach Exodus 12
Leviticus 23,4-8
Deuteronomium 16,1-8
ja ja
  16 Pessach   Halbfeiertag/ja Halbfeiertag
  17-20 Pessach   ja ja
  21 Pessach   ja ja
  22 Pessach   nein/ja nein
  27 Jom Hascho'a = Holocaustgedenktag modern ja ja
Ijar
(April/Mai)
5 Jom Ha'azma'ut = Israelischer Unabhängigkeitstag modern ja ja
  18 Lag Ba-Omer   ja ja
  27 Jom Jeruschalajim = Jerusalemtag modern ja ja
Siwan
(Mai/Juni)
6 Schawuot = Wochenfest Exodus 19-20 ja ja
  7 Schawuot = Wochenfest Leviticus 23,15-21
Deuteronomium 16,9-12
nein/fakultativ nein
Tammus
(Juni/Juli)
17 Schiwea-Assar Be-Tammus = Fasttag Sacharja 7,5;8,19 ja nein
Aw
(Juli/August)
9 Tischa Be-Aw = Fasttag Jeremia 52 ja ja
Elul
(August/September)
         

2. Rosch Chodesch -- Neumondstag (Monatsanfang)


"Der Beginn jeden Monats, sein 'Haupt': Rosch Chodesch, ist ein ausgezeichneter, ein Feiertag, der ursprünglich wohl wie der Schabbat begangen wurde. ... Als Ruhe- und Freudentag wird er in der alten Zeit erwähnt, an dem man entfernter wohnende Bekannte besuchte, und wir wissen auch, daß am Neumond die Sippen ihre Feste feierten, daß König Saul mit seinem Hofstaat ein Festmahl hielt, daß zu des Propheten Amos Zeiten am Neumond keine Geschäfte gemacht werden durften. Als dann der Kalender mit seinen festen Regeln aufkam, verlor der Neumond gegenüber dem Schabbat an feierlicher Strenge, behielt jedoch seinen festlichen Grundcharakter bis auf den heutigen Tag.

Am Rosch Chodesch beginnt man gewissermaßen auch sein Leben wieder einmal von vorn. Am Schabbat davor wird der Neumond im Bethaus feierlich angekündigt ... Der Mond mit seinem Wachstum und Schwinden und in seiner stetigen Erneuerung ist wie ein Mahnmal am Himmel, uns selbst zu wandeln und zu erneuern. So fastet man in vielen Gemeinden am Tag vor Rosch Chodesch, in den anderen wenigstens einen halben Tag, den man Jom Kippur katan, den kleinen Versöhnungstag nennt ... Am Abend aber beginnt der Rosch Chodesch, es darf nicht mehr gefastet werden, in Freuden hebt ein neuer Mond an. ...

Den Mond selbst begrüßt man tunlichst am Schabbatausgang nach Rosch Chodesch mit dem Mondsegen, der Birkat halewana, wenn das erneute Gestirn wolkenlos sichtbar ist. Unter freiem Himmel versammelt sich die Gemeinde -- besonders bei den Chassidim wird auf die Gemeinschaft zur Birkat lewana hoher Wert gelegt --, man spricht das Gebet, das in den alten Gebetbüchern mit den allergrößten Lettern gedruckt ist, damit man sie auch im bleichen Nachtschein erkennen kann". [Hirsch, S. 109 - 111]


3. Tu Be-Schewat -- Neujahr der Bäume


" Der 15. Schewat, das Neujahrsfest der Bäume, wird Ende Januar oder Anfang Februar begangen. Dieser schöne Festtag zu Ehren der Bäume wird vor allem in Israel, aber auch in der Diaspora gefeiert.

Wie alle tief im Boden verwurzelten Völker des Altertums waren sich auch die Juden seit alters der großen Bedeutung der Bäume für das menschliche Leben bewußt. ...

Nach dem Talmud beginnt zu Tu Be-Schewat der Saft in den Bäumen aufzusteigen. Im heiligen Land kann man zu dieser Zeit die ersten Anzeichen des nahenden Frühlings beobachten. Dies Obstbäume beginnen Knospen zu treiben, und die Mandelbäume entfalten ihre zarten Blüten. Die Zeit für das Pflanzen junger Bäume ist gekommen. Sie dauert bis zum 15. Adar, auf den das Purimfest fällt.

Nach dem Volksglauben hält Gott zu Tu Be-Schewat Gericht über die Bäume. Er entscheidet, welchen von ihnen es beschieden sein wird, das ganze Jahr zu blühen und Früchte zu tragen, und welche vertrocknen werden. In vergangenen Zeiten war es Brauch, am Neujahrsfest der Bäume für jedes neugeborene Kind einen Baum zu pflanzen. Bei der Geburt eines Jungen wurden Zedern oder Zypressen gepflanzt, für Mädchen waren Pinien bestimmt. Wenn die Kinder dann erwachsen waren, verwendete man kräftige Äste 'ihrer' Bäume als Stangen zur Befestigung des Hochzeitsbaldachins, der Chuppa.

Diese Tradition ist auch später in der Diaspora nicht verschwunden. Da in den meisten europäischen Ländern zu Tu Be-Schewat noch kaltes Wetter herrscht und die jungen Bäumchen im Boden erfrieren würden, hat das Fest einen anderen Charakter angenommen. Man begann, Kindern und Erwachsenen bei der Heimkehr vom Gottesdienst Früchte aus dem Land ihrer Väter vorzusetzen, zum Beispiel Zitrusfrüchte, Datteln, Feigen, Rosinen und Mandeln.

Seit dem Bestehen des Staates Israel hat Tu Be-Schewat eine besondere Bedeutung erhalten. Es ist dort zur festen Gewohnheit geworden, möglichst viele Bäume zu pflanzen, die die Erosion des Bodens verhindern und seine Feuchtigkeit aufrechterhalten sollen und nicht zuletzt auch zur Verschönerung und Belebung der Landschaft beitragen. Im heutigen Israel ist das Pflanzen der Bäume mit einer Feier verbunden. Man tanzt und singt und veranstaltet Festessen, zu Hause und in der Öffentlichkeit. Im modernen Tel Aviv findet an diesem Tag alljährlich ein Fest statt, das in der ganzen jüdischen Welt bekannt ist. Vom frühen Morgen an ist überall Trompetengeschmetter zu hören. Das ist ein Zeichen für die Kinder, sich dort zu versammeln, wo die Bäume gepflanzt werden sollen. Der älteren Jugend fällt die Aufgabe zu, in festlichen Ansprachen die Bedeutung dieses Feiertages zu erklären. Die Redner sind in symbolische 'Priestergewänder' gekleidet. Dann folgt ein buntes Programm, es wird gesungen und rezitiert. Die Feier erreicht ihren Höhepunkt, wenn je drei oder vier Kinder aus jeder Gruppe ein Bäumchen zum Pflanzen erhalten. Die Pflanzlöcher werden an den dazu bestimmten Stellen ausgehoben, die Bäume werden gesetzt und sorgfältig begossen.

Heute wird Tu Be-Schewat oft als 'Tag Israels' bezeichnet. In Gebieten, wo es die klimatischen Bedingungen gestatten, werden Bäume gepflanzt. Ist dies nicht möglich, werden Spiele und Feiern veranstaltet. Bei den häuslichen Feiern werden verschiedene Speisen gereicht, vor allem aber Zitrusfrüchte, Nüsse und auch Johannisbrot. Dieser bei den Kindern beliebte Leckerbissen schmeckt und riecht nach Honig und Datteln. Es sind die Früchte des Johannisbrotbaums (Ceratonia siliqua). Von diesem schon in biblischen Zeiten bekannten Baum wird erzählt, daß er viele Helden des jüdischen Altertums auf der Flucht vor ihren Verfolgern vor dem Hungertod gerettet hat." [Dolezalová, S.119 - 121]


4. Jom Hascho'a -- Holocaustgedenktag


27. Nissan. Man gedenkt aller jüdischen Opfer der Naziherrschaft. In Jad Wa-Schem, der Holocaustgedenkstätte in Jerusalem, werden Blumen und Kränze hingelegt. Alle jüdischen Vergnügungslokale in Israel haben geschlossen.

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Abb.: Jad Wa-Schem


5. Jom Ha'azma'ut -- Israelischer Unabhängigkeitstag


5. Ijar. Am 5. Ijar (= 14. Mai) 1948 erhielt Israel den Status eines selbständigen Staates. In Israel wird er als Staatsfeiertag mit allem Pomp gefeiert, auch in der Diaspora hat der Festtag einige Bedeutung: bedeutet es doch, daß alle Juden, wenn irgendwo wieder eine Verfolgung ausbrechen sollte, ein Recht auf Zuflucht in "ihrem" Staat haben. Diese Sicherheit kann nicht groß genug geschätzt werden angesichts der kleinlichen Asylpolitik der Staaten, besonders auch der USA, während der Judenverfolgung im Dritten Reich.

"Außer öffentlichen Feiern wird dieser Tag auch in den Synagogen durch besondere Lob- und Dankgebete an Gott begangen. Die volle religiöse Bedeutung und die religiösen Formen des Tages befinden sich noch im Entwicklungsprozeß." [Donin, S. 274]

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Abb.: Parade am israelischen Unabhängigkeitstag in New York


6. Lag Ba-Omer


18. Ijar.Lag Ba-Omer bezeichnet den Tag , an dem die Plage aufhörte, durch die Rabbi Akibas Schüler starben und die eine teilweise Trauerzeit ist:

In den ersten 33 Tagen des Omerzählens (Sefira) sollen im 2. Jahrhundert n. Chr. viele Tausend von Rabbi Akibas Schülern an einer Plage gestorben, deshalb werden diese 33 Tage als teilweise Trauer begangen:

Lag Ba-Omer wird festlich begangen, und es dürfen an ihm Hochzeiten stattfinden. Der Tag wird auch das Fest der Gelehrten genannt, da es mit Rabbi Akiba und seinen Schülern verbunden ist. Es gibt keine speziellen religiösen Vorschriften für diesen Tag.

"Nach Meinung der Kabbalisten starb am Tag von Lag Ba-Omer Rabbi Simeon Bar Jochai, der angeblich den Sohar, das grundlegende Buch der Kabbala geschrieben hat. Es heißt, an seinem Todestag habe er seinen Schülern viele Geheimnisse offenbart. ... Zu den Gedenkfeiern gehören auch die Freudenbezeugungen am Grab von Rabbi Simeon auf dem Meronberg." [Kolatch, S. 334]

"Es ist überliefert, Rabbi bar Jochai (2. Jahrhundert u. Z.) habe sich dreizehn Jahre vor den Römern in einer galiläischen Höhle verstecken müssen. Dort habe er mit seinem Sohn gelebt und ihre einzige Nahrungsquelle sei ein Karubenbaum gewesen.

Jedes Jahr kamen seine Schüler zu Lag Ba-Omer, um ihn zu besuchen ...

In ganz Israel haben die Kinder [deshalb] zu Lag Ba-Omer schulfrei. Sie verbringen den Tag mit Ausflügen und Spielen im Freien. In vielen israelischen Dörfern werden Freudenfeuer angezündet, die Leute setzen sich um das Lagerfeuer, singen, rösten Kartoffeln und erzählen sich immer wieder aufs neue die Geschichte vom Anfang der römischen Besatzung Palästinas." [Kolatch, S. 334]


7. Jom Jeruschalajim -- Jerusalemtag


28. Ijar. Am 28. Ijar 1967, "nach dem israelischen Sieg über die arabischen Armeen im Sechstagekrieg, wurden die beiden getrennten Teile von Jerusalem wieder vereinigt. Zum erstenmal seit dem Jahr 70 u. Z. standen der Tempelberg und die Westmauer (die Klagemauer) wieder unter jüdischer Kontrolle, und seither wurde dieser Tag besonders in Jerusalem als Festtag begangen.

Der Jerusalemtag beginnt mit einer Danksagung an der Westmauer. Zum Andenken an die in dem Kampf um die Stadt gefallenen israelischen Soldaten werden Fackeln entzündet." [Kolatch, S. 333]


8. Tischa Be-Aw -- Fasttag am 9. Aw


9. Aw. Dies ist der traurigste und tragischste Tag des Jahres. Es ist ein Tag des Fastens und der Trauer wegen der Zerstörung des ersten Tempels in Jerusalem (586 v. Chr.) und des zweiten Tempels (70 v. Chr.). Am 9. Aw 1492 wurde das Dekret der Austreibung der Juden aus Spanien erlassen.

Tischa Be-Aw ist ein Tag völligen Fastens: Essen und Trinken sind vom Sonnenuntergang am 8. Aw bis zum Einbruch der Nacht am 9. Aw verboten.

Es müssen folgende Trauervorschriften beachtet werden:

Kranke sind vom Vollfasten dispensiert.

"Am 9. Aw findet man in den Bethäusern der ganzen Welt nur Trauernde, die auf niedrigen Sitzen hocken und die Klagelieder Jeremias in der althergebrachten, melancholischen Weise wiederholen. Viele gehen auf den Friedhof und klagen an den Gräbern ihrer Lieben ihr Leid, und wie erschütternd das große Klagen ... an der ... Klagemauer zu Jerusalem ist, das ist oft beschrieben worden.

Am Vorabend des 9. Aw schon sitzt man im wenig erleuchteten Betraum,und der Chasan, der Vorbeter, auf dessen Pult allein eine kleine, traurige Kerze angezündet ist, beginnt die Echa, die Jeremiaden: 'Wie lagert verlassen die volkreiche Stadt!', und ein eigentümlicher Zauber, die Melodie der Klage und des Aufschluchzens ist in diesen Singweisen." [Hirsch, S. 142f]

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Abb. Notenbeispiele zur Rezitation der Klagelieder [Quelle der Abb.: Jüdisches Fest, jüdischer Brauch / hrsg. von Friedrich Thieberger ... Nachdruck der im Jahr 1937 von den deutschen Behörden beschlagnahmten und vernichteten Erstauflage. -- Frankfurt a. M. : Jüdischer Verlag, 1997. --ISBN 3-633-54003-2. -- S. 417. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]

"Von den Klageliedern sind die wichtigsten außer den jeremianischen die später hinzugekommenen und neue Nöte beklagenden wie

Die drei Wochen vor Tischa Be-Aw vom 17. Tammus an sind Trauerzeit. Am 17. Tammus wurde die Stadtmauer Jerusalems von Angreifern durchbrochen. Während dieser drei Wochen dürfen keine Hochzeiten stattfinden, man feiert keine Feste und keine geselligen Zusammenkünfte, besonders mit Musik. Es ist üblich, sich während dieser Zeit nicht die Haare schneiden zu lassen und keine neuen Kleider zu tragen.


9. Kleinere Fasttage


Die kleineren öffentlichen Fasttage werden nur vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht gehalten. Für diese Tage sind die Gesetzesvorschriften bezüglich Menschen, denen das Fasten besonders schwer fällt, nachsichtig.

Kleinere Fasttage sind


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