Materialien zur Religionswissenschaft

Menora

Menora -- der siebenarmige Leuchter nach Sacharja 4,2

Judentum als Lebensform

11. Die hohen Feiertage = die ehrfurchtbaren Tage


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- 11. Die hohen Feiertage : die ehrfurchtbaren Tage. -- Fassung vom 26. April 1999. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/jud511.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 21. Februar 1998

Letzte Überarbeitung: 26. 4. 1999 [Hinzufügung von Buchbestell-Links zu amazon.de]

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Übersicht



Zitate im Folgenden:


1. Die hohen Feiertage = die ehrfurchtbaren Tage


"Im Gegensatz zu den anderen wichtigen jüdischen Festen sind die 'Hohen Feiertage', 'Furchtbaren Tage', 'Gewaltigen Tage' oder 'Tage der Ehrfurcht' -- Rosch Ha-Schana (Neujahrsfest) und Jom Kippur (der Versöhnungstag) -- nicht mit historischen Ereignissen verknüpft. Auch sind es keine fröhlichen Feste. Die 'Furchtbaren Tage', wie sie genannt wurden, sind rein religiöse Feste, die Gottes Rolle als Richter des Universums feiern. Sie heben nachdrücklich die Begriffe der Moral, der Gewissenserforschung, des Spirituellen und der Heiligkeit in den Vordergrund.

In Wirklichkeit stellen die 'Furchtbaren Tage' mehr als nur die zehn Tage zwischen Neujahrsfest und Jom Kippur dar. Sie beginnen bereits einen ganzen Monat vor Neujahr mit dem Anfang des Monats Elul." [Kolatch, S. 257]


2. Der Monat Elul


Der Monat Elul ist der letzte Monat des jüdischen Jahres.

"In der Synagoge ist jeder Sabbat vor Neumond ein besonderer Sabbat. Doch der Sabbat vor dem Neumond von Elul ist etwas ganz Besonderes, weil von diesem Tag an jeden Morgen bei der Andacht in der Synagoge der Schofar geblasen wird, was die Juden daran erinnern soll, daß die gewaltigsten Tage im jüdischen Kalender näherrücken." [Kolatch, S. 257]


3. Schofar


Am dritten Tag, als es Morgen geworden, brachen Donner los und Blitze zuckten, Gewitterwolken hingen über dem Berg und überaus stark schmetternder Schofarschall war zu hören. Das ganze Volk im Lager bebte.

Exodus 19, 16

Der Schofar ist das ausgehöhlte Horn eines Widders oder einer Antilope, dessen Spitze zu einem einfachen Mundstück geformt ist. In biblischer Zeit wurde der Schofar als Signalinstrument im Krieg oder bei Gefahr sowie im Tempeldienst verwendet.

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Abb.: Demonstration des Schofar-Blasens [Vorlage der Abb.:  Schtetl Zürich : von orthodoxen jüdischen Nachbarn / Livio Piatti ; mit Texten von ... -- Zürich : Offizin, ©1997. -- ISBN 3-907495-78-0. -- S.  59. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]

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Abb.: Schofar

"Ursprünglich war das Blasen des Schofars ein Teil des Tempelritus und wurde später in den Synagogenritus übernommen. Der Brauch, im Monat Elul Schofar zu blasen, entwickelte sich im Mittelalter. Es gab eine Überlieferung, derzufolge Moses am ersten Tag des Elul, einen Monat vor Neujahr, auf den Gipfel des Berges Sinai stieg, um die Zehn Gebote zum zweitenmal in Empfang zu nehmen. Er blies das Schofar, um seine Glaubensgenossen daran zu erinnern, nicht zu sündigen und nicht wieder ein Goldenes Kalb zu errichten (wie sie es taten, als Moses die Zehn Gebote zum erstenmal auf dem Berggipfel erhielt). Seit jener Zeit hört man das Blasen des Schofars, das bis dahin nur am ersten Tag des Elul stattfand, an jedem Tag dieses Monats, damit alle Juden an die herannahenden 'Furchtbaren Tage' dachten, achtsam lebten und ihr Verhalten besserten." [Kolatch, S. 261]

Der Gaon Saadja ben Josef <882 - 942> nennt folgende Gründe für das Schofarblasen:

  1. "Am Rosch Ha-Schana wurde die Welt erschaffen: Die Schofartöne sollen jeden erinnern, daß an diesem Tage Gottes Herrschaft über die Welt begann und daß wir seitdem Gottes Knechte sind.
  2. Der Schofar soll uns 'aus dem Schlaf des Jahres wecken' und uns sagen: Ihr sündigen Menschen, die ihr so tief in  die Unlauterkeiten der Welt verstrickt seid, besinnt euch endlich! Im Himmel wird ja schon geprüft, was ihr dies Jahr hindurch getan habt, es ist Zeit zur Umkehr!
  3. Der Schofar soll uns die Thora, Gottes Lehre, wieder in den Sinn rufen. Als die Thora uns einst am Berg Sinai zuteil wurde, geschah es unter mächtigen Schofarstößen, und wie unsere Ahnen damals riefen: Wir tun's, wir hören's!, so sollen auch wir nun Thora hören und Thora tun.
  4. Der Schofar ertönte vor Zeiten als Warnruf im Kampf: so soll er uns auch in unseren Kämpfen die Warnrufe unserer Propheten wieder ins Ohr schreien, denn der Feind ist vor der Tür.
  5. Der Schofarschall soll uns das Trompetengeschmetter wieder ins Ohr rufen, mit dem einst Jerusalem erstürmt und unser Heiligtum vernichtet wurde; das Jahrtausendelend unseres Volkes steht in diesen Tönen wieder vor uns auf.
  6. An Stelle seines Einzigen, Isaaks, den zu opfern Abraham bereit war, sollte er einen Widder darbringen; das Horn eines Widders ist unser Schofar, und an Abrahams Bereitschaft, sein Liebstes Gott hinzugeben, soll er uns mahnen.
  7. Der Schreck vor Gott soll uns mit diesen Tönen in die Glieder fahren und das Herz zerfressen wie im Krieg der furchtbare Trompetenschrei der plötzlichen Attacke.
  8. Daß nun das Gericht anhebt über uns, soll der Schofar sagen, und daß wir des Messias gewärtig seien, zu dessen Kommen eines der Schofar, 'die große Posaune', ertönen wird.
  9. Früher wurde das Erlaßjahr mit Schofarklang begonnen; wenn einst auch wir 'ausgelöst' werden und 'eingesammelt' von allen Enden der Erde, wird wieder die große Posaune erklingen.
  10. Dann werden die Gräber sich auftun und die Toten auferstehen; an die Auferstehung der Toten mahnt uns der Schofar." [Hirsch, S. 150f.]

Man hat verschiedene Spielweisen (Signale) des Schofar festgelegt:

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Abb.: Schofarsignale

 


4. Rosch Ha-Schana -- Neujahr


Im siebenten Monat, am ersten Monatstag sei für euch ein besonders feierlicher Ruhetag, mahnendes Hörnerblasen und heilige Versammlung. Da dürft ihr keinerlei Sklavenarbeit tun und müßt dem Herrn ein Feueropfer darbringen.

Leviticus 23, 24 - 25

Rosch Ha-Schana ist der 1. Tischri, der erste Tag des jüdischen Jahres, der Tag der Weltschöpfung. Rosch Ha-Schana wird von orthodoxen und konservativen Juden überall -- auch in Israel -- zwei Tage lang gehalten; viele Reformjuden halten Rosch Ha-Schana nur einen Tag lang.

Rosch Ha-Schana wird in der Thora und im Gebetbuch "Tag des Gedenkens" (Jom ha-sikaron) und "Tag des Posaunenhalls" (Jom teruah) genannt. Mit diesem Tag beginnt die zehntägige Periode der Selbstbesinnung und Reue, die im Jom Kippur, dem Versöhnungstag, den Höhepunkt hat.

Abendgottesdienst und Abendessen

"Der Abendgottesdienst am Rosch Ha-Schana gleicht, bis auf die Schmone Esre [die Amida], fast dem festtäglichen. In das Hauptgebet aber sind einige besondere Stücke aufgenommen, in denen schon die erhabene Tendenz des Ganzen zum Ausdruck kommt." [Hirsch, S. 147]

Heilig, heilig, heilig ist der Schöpfer aller Kreatur.
Die ganze Welt ist mit Gottes Gegenwart erfüllt. (Jesaja 6, 3)

Und so laß nun, Ewiger, unser Gott, die Scheu vor dir über alle deine Werke kommen und ein ehrfürchtiges Bangen vor dir über alles, was du erschaffen hast, damit alle deine Geschöpfe dir Ehrfurcht erweisen und alle Menschen dich in Demut verehren. So werden sie alle eine Gemeinschaft bilden, die deinen Willen von ganzem Herzen erfüllt. Denn wir wissen ja, Ewiger, unser Gott, daß dir die Herrschaft gehört. Deine Hand hat Kraft und deine Rechte hat Macht. Alles, was du geschaffen hast, bezeugt deinen Namen, dem die Ehrfurcht gebührt.

Und so bringe nun dein Volk zu Ehren und alle, die dich fürchten, zu Ruhm. Gib allen, die dich suchen, Hoffnung, und allen, die auf dich hoffen, Freimut. Erfülle dein Land mit Freude und deine Stadt mit Jubel. Laß das Werk der Erlösung, das mit deinem Knecht David begann, neu erblühen. Laß das Licht der messianischen Zeit schon in unserer Zeit erstrahlen.

Und so mögen nun die Gerechten dies sehen und sich freuen. Die Aufrichtigen werden fröhlich sein, und die Glaubenden werden jubelnd singen. Dem Unrecht aber wird der Mund gestopft werden, und alles Böse wird wie Rauch vergehen, wenn du die Herrschaft der Bosheit von der Erde verschwinden läßt.

Dann wirst du, Gott, allein über alle deine Werke regieren, über den Berg Zion, den Ort deiner Gegenwart und über Jerusalem, die Stadt deiner Heiligkeit, wie in deinen heiligen Worten geschrieben steht:

Gott herrscht allezeit, dein Gott, Zion, regiert bis in Ewigkeit. Halleluja! (Psalm 146, 10)

Heilig bist du; deinem Namen gebührt Ehrfurcht. Es gibt keinen Gott außer dir, wie geschrieben steht: Der Gott aller Geschöpfe ist erhaben im Gericht. Der Gott der Heiligkeit ist geheiligt durch Gerechtigkeit. (Jesaja 5, 16)

Gepriesen seist du, Ewiger. Du herrschst und du bist heilig.

Seder hat-tefillôt II, S. 225

"Hier und im Kiddusch wird das Fest als Jom hasikarom, als Tag des Gedenkens, geheiligt. Es ist das Gedenken im äußersten Sinn, die Besinnung auf Gott und uns selbst, die große Rechenschaft, die an diesem Abend beginnt. Rosch Ha-Schana heißt wörtlich: Haupt des Jahres; am Rosch Ha-Schana ist die Welt erschaffen worden,und jedes Jahr wird sie in den Menschen wiedererschaffen, indem ihre Seelen in Umkehr und Rechenschaft, in Gericht und Gnade sich erneuern.

Man trägt nichts Buntes an diesen Tagen, und im Gotteshaus herrscht die weiße Farbe vor. Der Vorhang der Lade ist weiß, meist mit goldenen Buchstaben bestickt, die Decken auf Pult und Kanzel sind weiß, und weiß ist der Kittel des Vorbeters, das Sterbekleid, das er schon am Rosch Ha-Schana trägt. In allen Dingen kommt die Macht und Größe dieser Tage zum Ausdruck. Während man sonst die Schmone Esre [Amida] kaum zu flüstern wagt, weil, wie es in der Kabbala heißt, sonst nur die gebetsempfangenden Engel sie hören dürfen, spricht man sie am Rosch Ha-Schana fast laut und dringlich, wie wenn nun nichts Fremdes sie hören und stören, jeder Laut und Gedanke sie und ihre Bitten nur mitbeten und verstärken könnte.

Am ersten Abend jedoch nach dem Kiddusch wünscht man einander": [Hirsch, S. 148]

Möge dir (euch) ein gutes Jahr eingeschrieben werden!

Ein guter Eintrag! [in das Buch des Lebens]

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"Denn die jüdische Vorstellung geht davon aus, daß an den 'erhabenen Tagen' vom 1. bis zum 10. Tischri das göttliche Gericht über uns tagt: Auf dem Richtertisch vor Gottes Thron wird das Buch des Lebens aufgeschlagen, worin das Schicksal jedes Menschen für das beginnende Jahr eingetragen wird. An den zehn Tagen des Gerichts 'zittern selbst die Fische im Wasser'. Am Versöhnungstag wird dann die Entscheidung getroffen, das Buch verschlossen und versiegelt.

Zu Haus nach dem Kiddusch nimmt der Hausherr einen süßen Apfel, macht die Beracha [Lobspruch] darüber, ißt und gibt auch den anderen davon. Darauf ißt man ein weiteres Stück Apfel, das zuvor in Honig getunkt ist, und bittet Gott, es möge ihm wohlgefallen, uns ein gutes und süßes Jahr zu bescheren. Und mit der Bedeutung, die man dem Wort Rosch Ha-Schana, Jahres-Haupt, beimißt, verbindet sich auch der Brauch, am ersten Abend vom Kopf eines Fisches oder Hammels zu essen; es möge Gott wohlgefallen, daß uns ein Anfang -- Rosch -- kein Ende sei. Am zweiten Abend ißt man von Früchten, die man in diesem Sommer noch nicht genossen hat, um die Beracha über alles Neue noch einmal sprechen zu können. Denn alles Neue ziemt uns mit dem neuen Jahr, das man auch im Kiddusch schon mit dem gleichen Segen geweiht hat." [Hirsch, S. 148f.]

Lobspruch über eine neue Frucht oder ein neues Kleidungsstück
Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott; du regierst die Welt. Du hast uns am Leben erhalten und bewahrt. Und nun hast du uns diese Zeit erreichen lassen.

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Als bei der festlichen Versammlung an Rosch Ha-Schana die Worte der Thora vorgelesen wurden, begannen die Israeliten zu weinen. Esra und Nehemia aber sprachen zu ihnen:

"Der heutige Tag ist dem Herrn, eurem Gott, heilig; trauert nicht und weinet nicht!" Das ganze Volk hatte nämlich zu weinen begonnen, als es die Gesetzesworte hörte. Weiterhin ordnete Statthalter [Nehemia] an: "Geht hin und eßt fette Speisen und trinkt süße Getränke und schickt denen Anteile, für die nichts zubereitet ist; denn dieser Tag ist unserem Herrn geweiht. Werdet darum nicht traurig; denn die Freude am Herrn ist euer Hort."

Nehemia 8, 9 - 10

"So setzt man sich auch heute freudig an den gedeckten Tisch in der Hoffnung auf ein gutes Jahr. Die Neujahrschalla ist rund, damit uns im neuen Jahr alles gelingen möge und es an nichts fehlt. Oft wird sie mit Leitern oder Vögelchen aus Teig verziert, weil unsere Gebete zum Herrn in den Himmel aufsteigen sollen.

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Abb.: Runde Challa

Auf dem Tisch darf auch ein Schüsselchen mit Honig nicht fehlen, denn an diesem Abend taucht man die Challa nicht in Salz wie sonst, sondern in Honig. Nach dem Genuß der Challa taucht man auch ein Stückchen süßen Apfel in den Honig und betet dabei um ein gutes und süßes Jahr. Die beliebteste Nachspeise sind am Neujahrsfest Honigkuchen [Lekach].

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Abb.: Lekach -- Honigkuchen [Vorlage der Abb.: Dolezalová, S. 81]

Oft wird auch eine süße Speise aus Möhren, Zimmes, gereicht, unter anderem auch deshalb weil Möhren auf jiddisch Meren heißen, was auch wachsen, zunehmen (mehren) bedeutet. So versinnbildlichen die Zimmes den Wunsch, unsere Vorzüge und Verdienste mögen im kommenden Jahr unsre Mängel überwiegen.

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Abb.: Möhrenzimmes [Quelle der Abb.: Dolezalová, S. 77]

Von Sünden hat man sich beharrlich fernzuhalten, deshalb ißt man zu Neujahr keine Nüsse. Das hebräische Wort für Nuß, Egos hat nämlich denselben numerischen Wert wie das Wort Chet, Sünde." [Dolezalová, S. 62]

"Weihe, Glück, Ehrfurcht, Furcht und Hingabe an das Überwältigende, dies alles enthält die Rosch Ha-Schana-Stimmung; wie 'um das Glück nicht zu verschlafen' und zugleich auch, um selbst im Traum keine Sünde zu begehen, bleiben viele Fromme die erste Nacht des neuen Jahres wach. Am Morgen aber beginnt ein Gottesdienst von solcher Wucht und Fülle der Gebete, von solcher Großartigkeit und Vielgestalt religiöser Vorstellungen, wie er nur den Tagen äußerster Not und Selbsteinsetzung vorbehalten sein kann, und den Höhepunkt bildet das Schofarblasen." [Hirsch, S. 149]

Morgengottesdienst an Rosch Ha-Schana

"Der Rosch Ha-Schana-Gottesdienst ist von ungewöhnlichem Umfang; während seiner durchschnittlich fünfstündigen Dauer werden alle Motive des Festes in grandioser Breite und mannigfachen Variationen ausgestaltet. Zu dem Motiv der göttlichen Gerichtsbarkeit, vor der das armselig Irdische keinen Bestand haben kann, weshalb wir nicht um unser Recht, nur um Gottes Erbarmen flehen, tritt in der Vertiefung im Sichhineinwühlen in die Teschuwa ein beinahe mystisches Element. Je tiefer die Seele sich in das Beten versenkt, je dringender die Gebete werden, desto lieber und stürmischer werden auch all die Kräfte aufgeboten, auf die man sonst im schlichten Dank- und Preisgebet wenig zu sprechen kommt. Die erhabenen Tage haben begonnen, und man dringt im Gebet mit dem tollen Mut der Not und Verzweiflung in die Nähe von Gottes Erhabenheit vor. Da ist dies unsäglich großartige himmlische Getümmel, die Engel, die Gottes Unsagbarkeit umtanzen, umwallen, umschweben, umtoben, die in Schauer und Schrecken ihm dienen und den Furchtbaren feiern: der Sturm der Seraphim, die ihm singen, die tosenden Tausende, die Himmelserhabenen, die aus Blitzen Geschaffenen, die jäh Hinjagenden, die den Thron Umbrausenden, die Schwingenschwebenden, die Flammenfunkelnden, die heiligen, diese unvorstellbaren Armeen aus Schnee und Feuer, gestaltlos, viergesichtig, nur Flamme, nur Blitz, nur Bewegung, zwischen ihnen allen, die alle Himmel überbranden mit ihrem Gottgejauchz, zwischen den unsagbaren Heerscharen hindurch drängt sich, von jener flammenden Gewalt und Fülle geblendet und dennoch flehend und um so heißer von der Angst gewürgt, die Menschenseele.

Nach der Schmone Esre folgt zum erstenmal an den zehn Tagen der Teschuwa die große Litanei Awinu Malkenu, die fortan außer am Schabbat bis zum Jom Kippur täglich zu Schacharit [Morgengebet] und Mincha [Nachmittagsgebet] gebetet wird. Zuerst nur ein knappes zweisätziges Gebet des Rabbi Akiba, gewann es im neunten Jahrhundert durch R. Amram Gaon seine allmählich erweiterte Grundgestalt und wurde im Mittelalter durch Hinweise auf die grauenvollen Judenverfolgungen erweitert. In seiner frühen Form hieß es:

Awinu Malkenu
Unser Vater, unser König, wir haben gesündigt vor dir.
Unser Vater, unser König, es gibt für uns keinen König außer dir.
Unser Vater, unser König, tue mit uns um deines Namens willen.
Unser Vater, unser König, mache nichtig über uns verhängte schwere Entscheide.
Unser Vater, unser König, mache nichtig die Gedanken unsrer Hasser.
Unser Vater, unser König, vereitle den Rat unsrer Feinde.
Unser Vater, unser König, sende Heilung den Kranken deines Volkes.
Unser Vater, unser König, halte zurück Plage von deinem Erbe.
Unser Vater, unser König, halte fern Pest und Schwert und den Verderber von den Söhnen deines Bundes.
Unser Vater, unser König, gedenke! Denn Staub sind wir.
Unser Vater, unser König, tue es um deinetwillen und nicht um unsertwillen.
Unser Vater, unser König, zerreiße unser Urteil.
Unser Vater, unser König, merze aus das Dokument unserer Verschuldungen.
Unser Vater, unser König, verzeih und vergib unsere Verfehlungen.
Unser Vater, unser König, wisch weg und beseitige unsere Verschuldungen von deinen Augen.
Unser Vater, unser König, bring uns zurück in völliger Buße vor dich.
Unser Vater, unser König, schreib uns ins Buch des Gedenkens.
Unser Vater, unser König, schreib uns ins Buch der Verdienste.
Unser Vater, unser König, schreib uns ins Buch der Ernährung und Versorgung.
Unser Vater, unser König, laß sprossen für uns Heil in Bälde.
Unser Vater, unser König, nimm an in Erbarmen unser Gebet
Unser Vater, unser König, tue es um deinetwillen und nicht um unsertwillen.
Unser Vater, unser König, tue es um deines großen Namens willen.
Unser Vater, unser König, tue es um deines großen Erbarmens willen und erbarme dich über uns.
Unser Vater, unser König, wir haben keinen König außer dir.
Unser Vater, unser König, um deinetwillen erbarme dich über uns.

Am Rosch Ha-Schana hat jedes, auch das alltägliche Gebet, auch die Thoravorlesung einen besonderen, dringenden, ernsten, flehenden Rhythmus und eigentümlichen Klang. Dazu kommen schon vor dem Mussafgebet [Gebet nach der Thoralesung] die Schofarrufe, die großartigen Gesänge des Vorbeters, die immer ernsteren Gebete der Gemeinde, der Wechsel der Melodien, aus der Mollstimmung zu Schacharit in den Durcharakter zu Mussaf, der Wechsel zwischen Gemeinde- und Chasangebet [Kantor-Gebet], die kunstreiche und mit der Monotonie der immer wieder wiederholten Refrains immer tiefer hinreißende Art der Buß- und Bittgesänge:

Der König ergreift die Enden der Erde,
schüttelt die Frevler ab von der Erde,
und laut ruft's im Himmel und auf der Erde:
wie herrlich dein Name auf der ganzen Erde!
Wenn ER herrscht auf der Erde,
aufschreien die Tiefen der Erde
jubelt der Himmel, jauchzet die Erde ...

Und in den Gesängen kehrt zum Schluß meist das eine Motiv wieder:

... bläst er dreimal die Posaune über der Erde, und es schauern zusammen die Bewohner der Erde.

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Abb.: Melodien aus dem Mussafgebet von Rosch Ha-Schana [Quelle der Abb.: Jüdisches Fest, jüdischer Brauch / hrsg. von Friedrich Thieberger ... Nachdruck der im Jahr 1937 von den deutschen Behörden beschlagnahmten und vernichteten Erstauflage. -- Frankfurt a. M. : Jüdischer Verlag, 1997. --ISBN 3-633-54003-2. -- S. 144. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]

Die Mussaf-Schmone Esre enthält drei große wichtige Einschaltungen, die

Jedes der Stücke umfaßt eine Einleitung, Bibelstellen und eine Schlußbitte. Am Beginn der Malchujot steht das Alenu, das man täglich betet ... Und bei den Worten 'Wir beugen uns und fallen nieder und beten an den König der Könige' geschieht das Ungewöhnliche: die Gemeinde und der Vorbeter knien nieder und werfen sich zur Erde und berühren mit der Stirn die Erde, sie beugen sich und fallen nieder und beten an." [Hirsch, S. 152 - 156]

"Vor dem Schofarblasen spricht man den 47. Psalm ... Und dann ruft der Rabbi die Blasweisen in den Raum, der Baal Tokea, der Bläser, setzt den Schofar an und bläst nach den wechselnden Rufen." [Hirsch, S. 159]

Tekia -- Schewarim-Trua -- Tekia
Tekia -- Schewarim -- Tekia
Tekia -- Trua -- Tekia
Tekia -- Schewarim-Trua - Tekia Gedola

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Erklärung der Termini [ausführlich s. oben]:

Taschlich-Machen -- Fortwerfen der Sünden

Barmherzigkeit übt er noch einmal, zertritt unsere Schuld, in die Tiefen des Meeres wirft er unsere Sünden all. Erweise Treue an Jakob und dem Abraham Huld, wie unsern Vätern du schwurst in den Tagen der Urzeit.

Micha 7, 19 - 20

Nach dem Minchagebet (Nachmittagsgebet) des ersten Tages (nur wenn es ein Schabbat ist, am zweiten) geht man an ein fließendes Wasser zum 'Taschlich-Machen', der symbolischen Zeremonie des Fortwerfens der Sünden. "Die Sünden wirft man in fließendes Wasser, in dem Fische leben, denn wie ein Fisch im Netz sind wir im Netz von Gottes Gnade gefangen, und das Auge des Fisches ist stets offen, wie das wachsame Auge Gottes, das auch in die heimlichsten Winkel unserer Seele sieht. Nach dem Sprechen der einschlägigen Verse aus den Propheten und Psalmen schüttelt man dreimal alle Kleidertaschen ins Wasser aus. Diese Geste soll die Hoffnung versinnbildlichen, daß es uns gelingen wird, alle im Laufe des Jahres begangenen Sünden fortzuwerfen, so wie die Krümchen aus unseren Taschen."   [Dolezalová, S. 62]


5. Erew Jom Kippur -- Der Tag vor Jom Kippur


"Erew Jom Kippur, der Vortag des Versöhnungsfestes, ist beinahe selbst ein Fest. Man darf an diesem Tage nicht fasten, und selbst wer ein Gelübde getan hat, nicht einmal an einem Feiertag Fleisch zu essen, soll es am Erew Jom Kippur dennoch tun. Man spricht kein Tachanun [Bußgebet] am Morgen, man ißt kein Ei, man vermeidet jedes Zeichen von Trauer, man bereitet sich wie zu einer äußersten Entscheidung. Man bringt eine Art Sühnopfer (Kappara): Ein lebendiges Huhn, das man sich dreimal ums Haupt schwingt, soll gleichsam die menschliche Schuld übernehmen. Nach der Zeremonie wird das Tier geschlachtet. Dieser Brauch -- kein Gebot! -- wird in den Schriften des Geonim, nicht im Talmud erwähnt und nur von europäischen und amerikanischen, nicht aber von afrikanischen und asiatischen Juden geübt.

Wie vor dem Äußersten versucht man, an diesem Tag mit sich und mit der Welt ins reine zu kommen. Bevor wir erwarten können, daß Gott sich mit uns aussöhnt, müssen wir uns mit den Menschen versöhnt haben. Man ist bemüht, sich bewußt zu werden, wann und inwiefern man im vergangenen Jahr unrecht getan hat und versucht es wiedergutzumachen. Man bittet ab, wen man beleidigt haben könnte, man gibt zurück, was man zu Unrecht sich angeeignet, unbedacht behalten oder versehentlich bekommen hat, man tut das ohne falsche Scham, selbst wenn der andere, der Übervorteilte, nichts davon wußte. Und ist derjenige, den man gekränkt hat, gestorben, so geht man mit Zeugen an sein Grab und bekundet jedenfalls ausdrücklich, daß man sein Unrecht einsieht, bereut und zurücknimmt. Wem aber abgebeten wird, der soll den Abbittenden nicht seinerseits durch Unversöhnlichkeit demütigen, sondern ihm entgegenkommen und verzeihen oder 'er wäre ein harter Mensch und hätte kein jüdisches Herz im Leibe'.

Nach dem Morgengebet geht man auf den Friedhof und teilt Almosen aus. Nachmittags soll man in der Mikwa [Ritualbadeanstalt] ein Tauchbad nehmen, spricht jedoch keine Beracha [Lobspruch]. Nach Mincha [dem Nachmittagsgebet], noch am hellichten Tag, ißt man die letzte Mahlzeit, in der alle schweren Speisen und starken Würzen vermieden werden. Dann beginnt das Fasten von Abend zu Abend." [Hirsch, S. 160f.]


6. Jom Kippur -- Versöhnungstag


Der zehnte Tag desselben siebenten Monats ist jedoch der Versöhnungstag; da ist heilige Versammlung für euch; ihr sollt euch fastend kasteien und dem Herrn ein Feueropfer darbringen. An diesem Tag sollt ihr keinerlei Arbeit verrichten, denn der Versöhnungstag soll euch vor dem Herrn, eurem Gotte, Sühne schaffen. Wer immer an eben diesem Tage nicht fastet, soll aus seinem Volk ausgetilgt werden. Jeden, der an diesem Tage irgendeine Arbeit verrichtet, werde ich mitten aus seinem Volk hinwegraffen. Keine Arbeit dürft ihr verrichten! Das ist eine immerwährende Satzung für all eure Geschlechter in all euren Wohnstätten. Ein Sabbat, ein heiliger Ruhetag soll es für euch sein, ihr sollt euch fastend kasteien. Am neunten des Monats -- von diesem Abend bis zum folgenden -- sollt ihr euren Ruhetag beobachten.

Leviticus 23, 27 - 32

"Ehe man zum Beten geht, zum Kol Nidre, dem längsten und bedeutendsten aller abendlichen Gottesdienste, wird wie Freitag abend Licht gebenscht [gebenedeit] ... Man segnet die Kinder, man geht ins Bethaus, man zieht die Sterbekleider an und den Tallit [Gebetsmantel] darüber; wenn es schon dunkel geworden ist, darf man über den Tallit keine Beracha mehr machen. Und dann ist alle Hast, aller Werktag, alles Irdische wie abgespült, das Bethaus ist voller strahlender Kerzen, voller aufs äußerste gefaßter und doch von heiligen, erhabenen Gefühlen bewegter Menschen in ihren Sterbekleidern ... und der Chasan [Kantor beginnt leise die ersten Takte des Kol Nidre." [Hirsch, S. 161]

Kol Nidre -- Abendgottesdienst an Jom Kippur

Der Abendgottesdienst an Jom Kippur wird als Kol Nidre bezeichnet nach dem berühmten Eingangslied dieses Gottesdienstes:

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Abb.: Notenbeispiel vom Beginn des Kol Nidre [Quelle der Abb.: Jüdisches Fest, jüdischer Brauch / hrsg. von Friedrich Thieberger ... Nachdruck der im Jahr 1937 von den deutschen Behörden beschlagnahmten und vernichteten Erstauflage. -- Frankfurt a. M. : Jüdischer Verlag, 1997. --ISBN 3-633-54003-2. -- S. 193. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]

"Die Kol-Nidre-Melodie ist berühmt als ein Glanzstück getragener, ernster, erhabener Musik. Man hat ihr die Ehre eines Vergleichs mit Chopins Trauermarsch erwiesen. Es gibt sogar einen bekannten Fall, wo sie an Stelle eines Trauermarsches verwendet wurde, es war die letzte Ehre, die Nikolaus Lenau (1802 - 1850) sich durch seinen letzten Wunsch erweisen ließ. Und er Generalfeldmarschall von Moltke ließ sich die Melodie mehrmals von Joseph Joachim (1831 - 1907) vorspielen. Kurzum, die Kol-Nidre-Musik hat die verschiedensten Liebhaber auch unter Nichtjuden gefunden. Man bekommt sie in Konzerten mit großem Orchester und von Violinvirtuosen zu hören. Sie findet sich selbst auf den Programmen der Kurkapellen von Weltbädern. Sie hat auf Schallplatten Rekordauflagen erreicht, die manchen Schlager beschämen könnten." [Hirsch, S. 162]

Kol Nidre
Wörtliche Übersetzung:

Alle Gelübde, Verzichtserklärungen, Bannsprüche, Entsagungen, Umschreibungen von Gelübden, Selbstbestrafungen und Schwüre, die wir von diesem Versöhnungstag an bis zum kommenden Versöhnungstag, der zu unserem Wohl kommen möge, geloben und schwören werden, die wir uns selbst auferlegen und an die wir uns binden werden, sie alle will ich bereuen. Sie alle seien aufgelöst, erlassen und aufgehoben, für ungültig und vernichtet erklärt, ohne Rechtskraft und Bestand. Unsere Gelübde seine keine Gelübde, unsere Verbote seinen keine Verbote, unsere Schwüre seinen keine Schwüre.

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Übersetzung des (heute) intendierten Sinnes:

Mögen wir von allen Gelübden und Verpflichtungen freigesprochen werden, die wir Gott gegenüber vergeblich machen werden von diesem Versöhnungstag an bis zum nächsten Versöhnungstag, der zu unserem Wohle kommen möge; von den Aufgaben und Versprechungen, die wir nicht erfüllen können, von der Einsatzbereitschaft, die wir besser nicht aufgebracht, und von den Unternehmungen, die wir besser nicht angefangen hätten.

Wir bitten darum, daß wir Vergebung erhalten und freigesprochen werden von unserem eigenen Versagen. Alle Versprechen, die wir unseren Mitmenschen gemacht haben, bleiben erhalten. Möge Gott uns aber von den leeren Versprechungen freisprechen, die wir in unserer Dummheit Gott gegenüber machen. Möge Gott uns vor ihren Konsequenzen bewahren.

Lege uns nicht auf solche Gelübde fest!
Lege uns nicht auf solche Verpflichtungen fest!
Lege uns nicht auf solche leeren Eide fest!

Seder hat-tefillôt, II, S. 289

Zum Verständnis des Kol Nidre ist zu sehen, daß sich dies nur auf Gelübde usw. gegenüber Gott bezieht, gemäß mJoma 8,9: "Der Versöhnungstag sühnt die Sünden zwischen einem Menschen und Gott. Die Sünden zwischen einem Menschen und seinem Mitmenschen sühnt der Versöhnungstag nicht." Kol Nidre darf also nicht -- wie in der Geschichte öfters von christlicher Seite geschehen -- als Beweis für die Bedenklichkeit des Eides von Juden herangezogen werden!

"Eine Sekunde ist es totenstill in dem hohen Haus mit den vielen Menschen, dann beginnt der Chasan [Kantor] von neuem und nun endlich mit voller Stimmstärke das Kol Nidre wie ein erhabenes Lied aus einer größeren Welt." [Hirsch, S. 165]

Vorschriften für Jom Kippur

"Am Jom Kippur, an dem einst der Sündenbock ausgesendet wurde und im Allerheiligsten der Hohepriester den großen Opferdienst verrichtete, am Jom Kippur, der im Talmud oft geradezu 'der Tag' genannt wird als der Gipfel und die Vollendung der Seelenerneuerung, als der Tag des Sündenbekenntnisses und der Läuterung als 'das Herz des Jahres' und als 'der Schabbat aller Schabbatot', an diesem Tage sind alle Schabbatvorschriften in Kraft und dazu noch ' von Abend zu Abend' die folgenden: Jeder Jude, Mann oder Frau, Knaben vom zwölften, Mädchen vom elften Jahre an, mit Ausnahme von Schwerkranken und Wöchnerinnen,

Tagesgottesdienst an Jom Kippur

"Am Jom Kippur dauert der Gottesdienst ohne Unterbrechung vom Anbruch des Tages bis zum Aufgang der Sterne. Fastend, unbeschuht, im Totenkleid betet man vom Morgen bis zum Abend, und manche zeigen ihre Bußfertigkeit noch besonders, indem sie den ganzen Tag über stehen." [Hirsch, S. 166]

"Ein Sündenbekenntnis folgt dem andern. Sie sind alphabetisch geordnet nach alter hebräischer Weise, sie stammen etwa aus dem fünften Jahrhundert. Auch sie werden nach bestimmten erschütternden Melodien vorgetragen:" [Hirsch, S. 168]

Aschamnu
Unser Gott und Gott unserer Vorfahren, laß unsere Gebete dich erreichen. Sei nicht taub für unsere Bitte um Erbarmen. Denn wir sind nicht so hochmütig und nicht so stur, daß wir in deiner Gegenwart, unser Gott und Gott unserer Vorfahren, behaupten würden, wir seinen gerecht und hätten nicht gesündigt. Vielmehr bekennen wir: Wir und unsere Vorfahren haben gesündigt.

Arrogant waren wir
Boshaft
Charakterlos
Diebstahl haben wir begangen
Eingeschmeichelt uns
Frevelhaft gehandelt haben wir
Getötet
Hartnäckig sind wir gewesen
Irregeführt haben wir andere
Jede Vorsicht im Reden über andere haben wir unterlassen
Kaltherzig waren wir
Lügen haben wir erdichtet
Macht mißbraucht
Not anderer übersehen
Obhut Gottes haben wir verachtet
Prestige-Gedanken haben uns geleitet
Qualen haben wird anderen zugefügt
Ratschläge haben wir erteilt, die schlecht waren
Schuldig machten wir uns
Treulos sind wir gewesen
Ungehorsam gegen Gott sind wir gewesen
Verfehlt haben wir uns
Weisungen Gottes beachteten wir nicht
X-beliebige Wünsche haben wir in sie hineingelesen
Zerstörerisch war unser Verhalten

Nachbildung in Anlehnung an Seder hat-tefillôt, II, S. 427

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Die Awoda bildet das Kernstück im Mussafgebet (Zusätzliches Gebet), die Darstellung des Hohepriesterdienstes in Gebetform:

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Abb.: Notenbeispiel vom Beginn der Awoda  [Quelle der Abb.: Jüdisches Fest, jüdischer Brauch / hrsg. von Friedrich Thieberger ... Nachdruck der im Jahr 1937 von den deutschen Behörden beschlagnahmten und vernichteten Erstauflage. -- Frankfurt a. M. : Jüdischer Verlag, 1997. --ISBN 3-633-54003-2. -- S. 193. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]

Der Tagesgottesdienst von Jom Kippur endet damit, daß die Heilige Lade geöffnet wird und man im Angesicht aller Thorarollen laut ruft:

Höre Israel, der Ewige ist Gott, der Ewige ist einzig.

Gepriesen sei Gottes ruhmreiche Herrschaft immer und ewig! (dreimal)

Der Ewige allein ist Gott! (siebenmal)

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Nun bläst der Schofarbläser einen einzigen langgezogenen Ton (Tekia Gedola).

"Der Jom Kippur ist zu Ende. Während an Stelle des Vorbeters meist ein Mann aus der Gemeinde ohne besondere Kunst das werktägliche Abendgebet intoniert und zu Ende bringt, legt man den Tallit [Gebetsmantel] zusammen und zieht die Totenkittel aus. Man begrüßt einander mit dem Wunsch: 'Gut Jahr' und: 'es möge sich jeder 'alles Gute ausgebeten' haben, wenn man eilig nach Hause geht, überwach, überhungert und doch von den letzten Wellen der Hohepriesterstimmung am Ausgang des großen Tages durchschauert und sich froh und leicht fühlend in der kühlen Abendluft ... Und dann 'beißt man an', beginnt man, etwas leichtes zuerst, zu essen. Und es gehört zu den Mizwot [Geboten], noch am Abend nach Jom Kippur die ersten Vorbereitungen zum Bau der Sukka, der Laubhütte, für das wenige Tage spätere Freudenfest Sukkot zu treffen." [Hirsch, S. 176]


Zum nächsten Abschnitt: 12. Sukkot und Simchat Thora