Materialien zur Religionswissenschaft

Menora

Menora -- der siebenarmige Leuchter nach Sacharja 4,2

Judentum als Lebensform

10. Schawuot -- Wochenfest


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- 10. Schawuot -- Wochenfest. -- Fassung vom 21. Februar 1998. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/jud510.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 21. Februar 1998

Letzte Überarbeitung: 21. Februar 1998

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Übersicht



Zitate im Folgenden:


1. Zeitpunkt und Dauer


Schawuot wird am 50. Tag nach Pessach gefeiert. Schawuot dauert in Israel einen Tag, in der Diaspora (Galut) zwei Tage. Der Grund für den Unterschied ist, daß man früher, als ein weltweit einheitlicher Kalender schwierig war, sicher gehen wollte, daß alle Juden zur gleichen und zur rechten Zeit Schawuot feiern. Da dieser Grund heute hinfällig ist, feiern Reformjuden und manche Konservative auch außerhalb Israels Schawuot nur einen Tag lang.

"Am sechsten und siebenten Siwan [zunehmender Halbmond Mai/Juni] feiert man das Schawuot-, das Wochenfest: als Vollendung der siebenwöchigen siebenmal siebentägigen Omerzeit, als Erntedankfest, da zu dieser Zeit in Palästina geerntet wird, als Erstlingsfest, da man an diesem Tage einst die Erstlinge der Ernte zu opfern pflegte, vor allem aber als das große Offenbarungsfest: An diesem Tage wurde uns am Berg Sinai das Zehngebot gegeben, Gott offenbarte sich in seiner Lehre." [Hirsch]

Schawuot gehört mit Pessach (dem Passahfest) und Sukkot (dem Laubhüttenfest) zu den Wallfahrtsfesten, den Festen, die zur Zeit der beiden Tempel mit einer Pilgerfahrt nach Jerusalem und Opfern im Tempel begangen wurden.

"Heute besteht Schawuot in Israel aus einer Reihe großartiger Erntefeste, deren bekanntestes in Haifa gefeiert wird. Scharen von weißgekleideten Kindern mit Kränzen und grünen Zweigen in den Händen ziehen durch die Stadt. Auf den Häusern wehen bunte Fahnen und farbige Bänder. Die Landwirte aus den Kibbuzim tragen in einem festlichen Umzug Körbe mit Bergen von Obst und Gemüse in einer Auswahl, die sich ihre biblischen Vorfahren nicht hätten träumen lassen." [Dolezalová]


2. Grundlage in der Thora


Sieben Wochen zähle dir, vom Ansetzen der Sichel an den Halm setze an, sieben Wochen zu zählen, dann mache das Fest der Wochen IHM deinem Gott mit der Pflichtwilligung deiner Hand, die du gibst, je nachdem ER dein Gott dich gesegnet hat, und freue dich vor SEINEM deines Gottes Antlitz, du, dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, der Lewit, der in deinen Toren ist, der Gastsasse, die Waise und die Witwe, die bei dir drinnen sind, an dem Ort, den ER dein Gott wählt, seinen Namen dort einwohnen zu lassen: gedenke, daß du Knecht warst in Ägypten, so wahre und tue diese Gesetze.

Deuteronomium 16,9-12

Leviticus 23, 16-21: das Erstlingsopfer

Exodus 19-20: Gott gibt dem Moses auf dem Berg Sinai die zehn Gebote.


3. Omerzählen


Siehe http://www.payer.de/judentum/jud509.htm#6.


4. Die (erste) Nacht von Schawuot


"Es ist das Fest der Offenbarung unserer Lehre, und ihr widmet man die erste Nacht. Man wacht im Bet- oder Lehrhaus, möglichst zu zehnt, und nimmt in dieser Nacht gemeinsam, mit wechselnden Vorlesern nach einem eigentümlichen System die ganze Lehre durch. Sie ist in dreizehn Abteilungen eingeteilt, von jedem Abschnitt des Lehrgebäudes [d.h. der biblischen Bücher und der Mischna] sind die ersten und letzten Sätze zusammengestellt, so daß im Extrakt die gesamte Heilige Schrift und Mischna erfaßt werden. Nach jeder der dreizehn Abteilungen wird Kaddisch gesagt, so daß die Gesamtzahl der Kaddischgebete (im Hebräischen, wo jeder Buchstabe auch einen Zahlwert darstellt) den Buchstabenwert von Echad (13) erreicht, und das Wort Echad heißt: Einzig -- und gilt für Gottes Einzigkeit." [Hirsch]

"Die Aschkenasim beginnen die Verlesung der Tora mit dem liturgischen Gedicht Akdanot [Akdamut]. Jeder seiner 90 Verse endet mit der Silbe ta [ jud124.gif (1030 Byte)] [dem letzten und dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets]. Diese kompositorische Besonderheit ist jedoch nicht nur eine Spielerei mit Worten. Der letzte und der erste Buchstabe des hebräischen Alphabets symbolisieren das Ende und den Anfang der Tora. Es genügt nicht, die Tora einmal zu lesen. Sind wir beim letzten Buchstaben angelangt, müssen wir zum Anfang zurückkehren und sie von neuem lesen."  [Dolezalová]

Anfangsverse des Akdamut (aramäisch, 11. Jhdt.)
Bevor ich beginne, die Worte zu lesen
erbitte ich zwei, drei Zeilen,
die ich in Gottes Gegenwart zitternd spreche,
um den Auftrag und die Erlaubnis dazu

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"Am Schawuot ist an einem Tag die Jahrzeit, die Jährung vom Tod des Königs David, am andern vom Tod des Baal Schem. So lesen viele am ersten Tage Schawuot den ganzen Psalter. Einmütig aber liest man an diesem Fest das Buch Ruth, das niemals so aktuell sein kann wie zur Zeit der Ernte, denn es ist die menschenfreundlichste und lieblichste Ernte-Idylle der Welt." [Hirsch]

"An diesem Feste sind unser Haus und unser Bethaus mit Grün geschmückt und voller Duft und Blumen. Sonst aber gelten für die Feiertage keine besonderen Regeln. ... »An deinem Feste sollst du fröhlich sein«." [Hirsch]


5. Einschulung in den Cheder (jüdische Elementarschule)


"'Je mehr Tora, um so mehr Leben. Je mehr Lernen, um so mehr Weisheit', lautet ein Ausspruch der Weisen. Deshalb ist das Schawuotfest von jeher der religiösen Bildung geweiht. Die jüdischen Kinder erwartet eines der wichtigsten Ereignisse ihres Lebens -- der erste Weg zur Schule, dem Cheder. Damit sie eine 'süße Erinnerung' daran bewahren und damit beim Lesen der Toraverse 'Honig und Milch unter ihrer Zunge sei' (Hohelied 4, 11), bekommen sie bei dieser Gelegenheit besondere Honigkuchen, auf denen Toraverse stehen."  [Dolezalová]


6. Traditionelle Speisen an Schawuot


Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt

Exodus 3, 8

"Auch bei der Zubereitung der Speisen, die zu Schawuot aufgetragen werden, fließt Milch und Honig. Da gibt es Blinzes, Palatschinken, Kreplach, Strudel, Piroggen und vieles mehr. Milchspeisen sind ein Symbol des Geschehens am Berg Sinai. Der numerische Wert des Wortes Chalaw, Milch, ist 40, und Moses mußte 40 Tage am Berg Sinai warten, bevor er die Tora empfing."  [Dolezalová]

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Abb.: Kreplach [Vorlage der Abb.:  Dolezalová, S. 71]

"Von den Süßspeisen sind vor allem Kuchen in der Form der Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten beliebt. Andernorts gibt es kegelförmige Kuchen, die an den Berg Sinai erinnern sollen. Die sephardischen Juden sind stolz auf ihre 'sieben Himmel', große, runde Kuchen aus sieben Schichten, ein Symbol für die sieben Himmel, durch die der Herr zum Berg Sinai hinabstieg, und ebenso für die sieben Omerwochen. Auf der Festtafel darf auch Fleisch nicht fehlen. An beiden Tagen werden zwei Hauptmahlzeiten eingenommen, von denen die erste aus Milchgerichten und die zweite aus Fleischgerichten besteht. Schawuot ist eigentlich eine Verlängerung von Pessach, und die beiden Mahlzeiten sollen an die Hauptspeisen dieses Festes erinnern, das Pessachlamm und das Friedensopfer. Die Vorschriften der Kaschrut verbieten es, zu Milch- und Fleischspeisen Brot von demselben Laib zu essen. Die beiden Brotlaibe symbolisieren die beiden aus den Erstlingen der Weizenernte gebackenen Brote, die dem Herrn einst geopfert wurden."  [Dolezalová]


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