Internationale Kommunikationskulturen

5. Kulturelle Faktoren: Soziale Beziehungen

2. Teil II: Bünde


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 5. Kulturelle Faktoren: Soziale Beziehungen. -- 2. Teil II: Bünde. -- Fassung vom 19. Dezember 2000. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur052.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 19.12.2000

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Bünde



Abb.: Mafiafamilienidylle: Charles Luciano, eigentlich Salvatore Lucania, amerikanischer Mafiaboss (1896 -1962), zuhause mit Gattin und Hund (© Bettmann/CORBIS)

"Ein dezentes Abzeichen am Revers, der richtige Partner am Golfplatz, die passende Studentenverbindung: Es gibt neben Wissen und Leistung viele Möglichkeiten, die eigene Karriere zu fördern. Schließlich hat das Du-Wort unter Clubmitgliedern und Logenbrüdern bei der Job-Suche noch nie gestört."
[Bettschart, Roland <1955 - > ; Kofler, Birgit <1965 - >: Nobelclubs in Österreich : wo Einfluss, Macht und Geld verkehren. -- Wien : Ueberreuter, ©1999. -- ISBN 3800037335. -- Umschlagtext -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]
"Diese Prediger sammelten bald eine Gemeinde um sich, bestehend aus hilfsbedürftigen dunklen Seelen, aus natürlich Kopfhängern, aus schwachen Hochmütigen, welche selbst ihrem geringen Orte einen Standpunkt suchten, von welch aus sie besser sein konnten als der Nachbar, aus guten Herzen, die ihre Liebe trieb, aus Unglücklichen, die einen Trost zu finden hofften, der ihnen anderwärts nirgends blühte. Einige von ihnen, wenn sie katholisch gewesen wären, hätten sich einfach in ein Kloster gemacht, andere, wenn es ihre Lebensverhältnisse mit sich gebracht hätten, wären Freimaurer geworden, wiederum andere, wenn sie bemittelt und gebildet gewesen wären, hätten sich irgendeinem gemeinnützigen oder wohltätigen Verein oder einer gelehrten oder einer musikalischen Gesellschaft angeschlossen, um sich aus dem Staube des gemeinen Lebens zu erheben. Alles dies ersetzte ihnen nun die stille gläubige Genossenschaft; da fanden sie nicht nur die Heiligkeit und das ewige Leben, sondern auch Kurzweil und Unterhaltung zur Genüge in fortwährendem Reden, Lehren, Disputieren, Beten und Singen."

[Keller, Gottfried <1819 - 1890>: Das verlorene Lachen. -- In:  Die Leute von Seldwyla. -- Bd. 2. -- Stuttgart: Göschen, 1874. -- S. 863. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 110502. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}] 

Definition:

"Bund heißt eine Gruppe von Einzelpersonen oder Kollektiven (Staatenbund, Gewerkschaftsbund), die sich in einer besonders förmlichen und verbindlichen Weise auf unbefristete Zeit hin zusammengeschlossen haben. Es kann sich um gesellschaftlich harmlose, offene Gruppen, wie einen Turnerbund, handeln, aber auch um Organisationen, die von Außenstehenden als Bedrohung angesehen werden, daher Geheimbund, Geheimbündelei. ... Die Form des emotional gefärbten, stark intentionalen Zusammenschlusses, den wir Bund nennen, trifft man zu allen Zeiten, auf sehr verschiedenen Kulturstufen an. Männerbünde spielten eine große Rolle bei den germanischen Stämmen und vielen heutigen 'Naturvölkern'. Mitgliedschaft im Bund kann schon durch Geburt, meist aber nur durch wirtschaftliche und/oder rituelle Leistungen erlangt werden."  

[Schoeck, Helmut <1922 - >: Soziologisches Wörterbuch. -- Freiburg [u.a.] : Herder, ©1969. -- Art. "Bund"]

Es ist unmöglich, eine auch nur annähernd umfassende Übersicht über die verschiedenen Arten von Bünden und ihr Beziehungsgeflecht zu geben. Darum wird diese Art sozialer Beziehungen anhand einiger -- sehr subjektiv ausgewählter -- Beispiele dargestellt. 


2. Zum Beispiel: Nobelclubs in Österreich



Abb.: Filz, das beste Symbol für die österreichische Gesellschaft (©Corbis)

"Wenige Tage, nachdem sie ihren neuen Job in einem Wiener Ministerium angetreten hatte, begriff eine junge Ministersekretärin die politische Welt nicht mehr. Jedes Mal, wenn sie sachliche Konflikte mit einem hochrangigen Beamten aus dem anderen politischen Lager hatte, gab es kurz darauf Interventionen mit warnendem Unterton von einem hochrangigen Repräsentanten ihrer Partei. Die gute, alte österreichische Parteilogik schien kopfzustehen. »Erst allmählich ging mir ein Licht auf«, erinnert sie sich heute, »die waren ganz sicher beide Mitglieder bei ... «

Welchen Club sie nannte, tut hier nichts zur Sache - es hätte sich ebenso gut um jeden anderen handeln können. Entscheidend für den inzwischen abgeschlossenen Erkenntnisprozess der jungen Juristin ist der Umstand, dass es in ganz Österreich eine Vielzahl von Clubs, Logen und Vereinen gibt, die die offiziellen Strukturen dieses Landes um zahllose weitere informelle Netzwerke ergänzen. Und oft für eine Karriere oder das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses mindestens so wichtig sind wie Parteizugehörigkeiten, Behördenhierarchien oder gemeinsame berufliche Interessen.

Geht es um informelle Netzwerke, ist Österreich eine Supermacht. Nicht nur, dass an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Society in diesem kleinen Land ohnehin jeder jeden kennt. Die Österreicher sind natürlich auch ausgesprochene Vereinsmeier. Je nach ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihren persönlichen Vorlieben sind sie Mitglieder in den exklusiven Clubs der Mächtigen, in einer Loge der Freimaurer, beim CV [Cartellverband] bei einem Club für Weingenießer oder im Fischereiverband. Und natürlich ist es dabei für die Absicherung des persönlichen Einflusses, für das Abschließen von Geschäften und für die Entwicklung der eigenen Karriere nicht ganz gleichgültig, wo man Mitglied ist.

So sitzen zum Beispiel Spitzenbanker dieses Landes -- prinzipiell natürlich Konkurrenten -- einträchtig im selben Rotary Club. Da lässt sich dann natürlich dieses und jenes ganz informell und in aller Ruhe besprechen -- nicht zwischen Mitbewerbern, sondern von Rotarier zu Rotarier. In den besseren Golf-, Yacht- oder Tennisclubs trifft man allerlei Menschen von Rang, mit denen einen häufig mehr verbindet als die gemeinsame Leidenschaft für eine dieser Sportarten. Auf der Jagd in einem noblen Revier ist die gemeinsame Pirsch oft genug nicht nur Vorspiel für einen Abschuss, sondern auch für einen geschäftlichen Abschluss. Und wer gemeinsam in der Schlaraffia Ulk betreibt, bei der Chaine des Rôtisseurs erlesenen Gaumenfreuden frönt oder bei mehrtägigen Überlandausflügen im Rahmen eines Ferrariclub-Events mit dabei ist, der verknüpft zumindest zwei Vorteile: Vergnügen und Verbindungen. Man lernt sich kennen, kommt sich näher, und vor allem: Man findet jederzeit und ohne große Hürden auch dann zueinander, wenn es einmal um mehr als das gemeinsame Hobby geht. Und wer gleich bei mehreren solcher Clubs Mitglied ist, verknüpft Seilschaften zu hocheffizienten Netzwerken mit beträchtlicher Spannweite.

Wobei die Netzwerke in Österreich immer noch besser halten, wenn man ein Mann ist. Immerhin hat der Männerbund eine jahrtausendealte Tradition und erwies sich dabei als tragfähige Säule so gut wie jeder Gesellschaft. Doch allmählich entstehen auch Clubs für Frauen, deren Mitglieder die Kunst des Networking für sich und ihre Interessen ausnützen wollen. Selbst in altehrwürdigen Vereinen wie zum Beispiel den Freimaurern, dem CV [Cartellverband] oder Rotary schlagen Frauen inzwischen erste Breschen in die traditionell dichten Männerreihen."

[Bettschart, Roland <1955 - > ; Kofler, Birgit <1965 - >: Nobelclubs in Österreich : wo Einfluss, Macht und Geld verkehren. -- Wien : Ueberreuter, ©1999. -- ISBN 3800037335. -- S. 7 -8. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

In ihrem Buch behandeln Bettschart und Kofler dann folgende Clubs:


2.1. Geheimnisvolle


2.1.1. Freimaurer


"Die Einzigen, die da wissen, was sie wollen, sind die Jesuiten und die Freimaurer. Jene verfolgen in ruhiger Konsequenz, unbekümmert um die jeweiligen Störungen ihres sichren Friedens, das Ziel, die Menschheit in den Fesseln kirchlicher Abhängigkeit zu erhalten. Diese, ihr schnurgerades Widerspiel, sind nicht ganz so friedfertig und still, wie sie sich das Ansehen geben. Wo sie nur können, suchen auch sie ihrem Ziele den Weg zu bahnen und dies Ziel wird wohl die Freiheit des Menschen von jeder positiven Bevormundung und die Ausbildung einer reinen Humanität sein. Ohne Zweifel ist diese letztere Aufgabe eine brave, aber viel zu allgemeine. Wenn man immer und immer von der Menschheit spricht, verliert man den Menschen selbst aus dem Auge, und wenn man sagt, die Besserung der Welt finge damit an, dass man sich selbst bessere, so artet eine solche Lehre notwendig in Trägheit, Sorglosigkeit, Genusssucht aus, die ja bekanntlich auch längst der zerstörende Schwamm an den unsichtbaren Bauten der Freimaurer ist."

[Gutzkow, Karl  <1811 - 1878>: Die Ritter vom Geiste : Roman. -- Leipzig : Brockhaus, 1850/51. --  S. 1880 - 1881. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 68406 - 68407. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}] 

 

Abb.: Aufstieg als Lehrling (1 Grad)  in die Geheimnisse der Freimaurerei Abb.: Aufstieg als Geselle (2. Grad) in die Geheimnisse der Freimaurerei
Quelle: J. Bowring: Arbeitstafel für den 1. und 2. Grad, 1819 [Vorlage der Abb.: Roob, Alexander <1956 - >: Alchemie & Mystik : das hermetische Museum. -- Köln [u.a.] : Taschen, ©1996. -- ISBN 3822888036. -- S. 293 - 294 (dort auch Erklärung der Darstellungen). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


2.1.2. Bilderberger



2.1.3. Schlaraffia



2.1.4. Opus Dei



Abb.: Josemaría Escrivá  (1902 - 1975, Gründer des Opus Dei) mit Anhängerinnen [Quelle der Abb.: http://www.opusdei.org/media/itm02209801.html. -- Zugriff am 29.11.2000]


2.2. Serviceclubs


2.2.1. Rotary Clubs



2.2.2. Lions Clubs



2.2.3. Kiwanis International



2.2.4. Round Table



2.2.5. B'nai B'rith



Abb.: Motto von B'nai B'rith


2.2.6. Bruderschaft St. Christoph



2.3. Damenzirkel


2.3.1. Soroptimist International



2.3.2. Gesellschaft berufstätiger Frauen (BPW - Business & Professional Women - Austria)



Abb.: BPW-Logo™


2.4. Studentische



Abb.: Das unveränderliche Ideal farbentragender Studenten und Altherren (Kommersbuchumschlag, 1929)
"Stilpe war, uneingedenk des Schwurs an der Mulde, einer Verbindung beigetreten, einer Verbindung schlechthin, die nicht Corps, nicht Burschenschaft, nicht Landsmannschaft war. ... 

Das Corps: Rückständige Institution aus unfreien Zeiten, daher Fuchsensklaverei, Burschentyrannis, starrer Formelnkram; die Burschenschaft: Entweder rückständige Romantik, Tugendbund und Keuschheit bis zum Ehebette oder Form ohne Inhalt; die Landsmannschaft: Traditionslose Neugründung, bemäntelt mit einem alten Namen, ohne Wurzeln im Alten, ohne Greifranken ins Neue: Zwitter. Die bloße Verbindung dagegen, nun ja: Das war eben eine Sache für sich, etwas mehr Improvisiertes, das daher auch nicht so umklammerte und absorbierte. Zweifellos bot sich hier auch die leichtere Möglichkeit, eine beeinflussende Stellung zu erhalten. Und das ist doch wohl das Wichtigste!

So verteidigte sich Stilpe vor sich selber. Erst hinterher kam ihm der Gedanke: Aber warum denn überhaupt eine farbige Mütze? Das war ja doch wohl eigentlich eine Kinderei, -- wie? Ein Atavismus [Rückfall]? Ein testimonium paupertatis animi [Zeichen geistiger Armut]? Hatte er nicht das Wort geschliffen: Ein freier Kopf braucht keine bunte Mütze?

Gewiss, gewiss! Aber: Si duo faciunt idem, non est idem [Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht das selbe]! (Seitdem er nicht mehr Latein treiben musste, zitierte er viel Lateinisches.) Für jene anderen ist die Mütze eine gewisse Notwendigkeit und ein Ziel; für ihn aber nichts als ein in souveräner Laune frei gewähltes Mittel.

Mittel, -- wozu?

Erstens zur Erzielung gewisser landsknechthafter Empfindungen! Denn es steckt Historie in dieser Institution des wehrhaften deutschen Rauf- und Sauf- Studenten und ein rechter Kerl zeigt seine Rasse; und zweitens zur Kenntnis eben dieses Milieus für seine zukünftige künstlerische Verwertung, denn: Wie sollte er einmal den deutschen Studenten darstellen, wenn er nicht auch diese Spezies studiert hatte?

So rechtfertigte er, der nicht gerne etwas bereute, aber noch weniger gerne etwas unterließ, was ihm lustig dünkte, vor sich selber den improvisierten Schritt, und er legte sich damit auch gleich die Sätze zurecht, mit denen er den Cénacliers [Mitglieder eines Dichter- und Künstlerkreises] entgegentreten wollte, wenn sie ihm mit den Einwendungen kommen würden, die ja eigentlich aus der Rüstkammer seines Intellekts stammten. Er hatte sogar vor, sie für seine Verbindung zu keilen."

[Bierbaum, Otto Julius <1865 - 1910>: Stilpe : ein Roman aus der Froschperspektive. -- Berlin : Schuster und Löffler,  1897. -- S. 179 - 181. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 11081 -- 11063. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]


2.4.1. Österreichischer Cartellverband (ÖCV)



2.4.2. Katholische Österreichische Landmannschaften (K.Ö.L.)



2.4.3. Burschenschaften



2.4.4. Sängerschaften



2.4.5. Corps



2.4.6. Bund Sozialistischer Akademiker/innen, Intellektuelle & Künstler/innen (BSA)



2.5. Absolventen


2.5.1. Austrian Bologna Chapter



2.5.2. Theresianisten



2.5.3. Alt-Schotten



2.5.4. Altkalksburger



2.5.5. Pauliner/Paulinerinnen



2.6. Ritter


"Die Templer wurden vernichtet. Die St.-Johannesritter setzten die Mission derselben fort. Leider fand man sie nur in der Eroberung des heiligen Grabes, in dem Kampfe mit den Türken. Dieser zuletzt unwahr gewordene Zweck bot kaum einen anständigen Deckmantel für den behaglichen Genuss der reichen Güter des Ordens. Wohlleben, Üppigkeit nahmen überhand. Nur die Malteser behielten ihren Beruf noch, als bewaffnete Missionare zu wirken. Der Gedanke, Mittler zu sein zwischen Kirche, Staat, Gemeinde kam zu keiner Ausbildung mehr. Nur die Feme [Kriminalgericht], die heilige, unterirdische, war die letzte Ergänzung des wilden, rechtlosen, verworrenen damaligen Lebens gewesen. Die Gerichte der roten Erde vertraten die Gerechtigkeit, die keinen weltlichen Hof mehr zu finden schien. Die geistlichen Ritterorden verfielen. Sie, die den Tempel von Jerusalem bewachen sollten, wussten nicht, dass man einen neuen Tempel im eigenen Herzen, einen Tempel der Menschheit gründen, den ausbauen, den bewachen musste. Sie, die auf Johannes den Täufer verpflichtet wurden, d.h. auf den Geist, nicht auf den Buchstaben des Christentums, sie schoben für den Prediger in der Wüste, der vor Christus schon christlich dachte und lehrte, Johannes den Jünger unter und kamen nun immer weiter von ihrem Ursprunge, ihrer ersten Bedeutung ab.

Die geistlichen Ritterorden, die der Papst immer und immer wieder bis auf die neuesten Tage erwecken wollte, hatten sich überlebt. In einer neuen höheren Verklärung mussten sie neu geboren werden und dies geschah für die päpstlichen Interessen in der geistlichen Ritterschaft des Ignatius von Loyola. Die Jesuiten sind nicht weltlich, nicht geistlich allein, sie haben die Klöster verlassen und tummeln sich auf offnem Felde unter den Lebendigen. Es sind die neuen geistlichen Ritter der römischen Hierarchie. Sie haben Schild und Lanze mit dem letzten Ritter, dem Don Quixote von la Mancha, in die Raritätenkammer geworfen und kämpfen mit den Waffen des Geistes für die alte Welt im Gegensatz zur neuen."

Gutzkow, Karl  <1811 - 1878>: Die Ritter vom Geiste : Roman. -- Leipzig : Brockhaus, 1850/51. --  S. 2409 - 2410. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 68935 - 68936. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]

Webportal: Yahoo category: http://de.dir.yahoo.com/Gesellschaft_und_Soziales/Religion/Christentum/Organisationen/Ritterorden/. -- Zugriff am 30.11.2000


2.6.1. Militärischer und Hospitalischer Orden des Hl. Lazarus von Jerusalem (Lazarener)



2.6.2. Johanniter



2.6.3. Souveräner Malteser-Ritter-Orden (SMRO) (Malteser)



Abb.: Malteser-Ritter (©Corbis)


2.7. Europäer und Kaisertreue


2.7.1. Paneuropabewegung



2.7.2. Kaiser Karl Gebetsliga



Abb.: Karl bei der Krönung zum König von Ungarn,  Budapest, 1916


Abb.: Jährliche Wallfahrt der Gebetsliga


2.8. Britische


Nach britischem Vorbild organisierte Herrenclubs.


2.8.1. St. Johanns Club



2.8.2. Jockeyclub



2.8.3. Wiener Rennverein



2.9. Sportliche


"»Führungskräfte betreiben eindeutig mehr Sport als die Durchschnittsbevölkerung«, weiß der Wiener Sportwissenschaftler Roland Bässler. In seinem Buch »Karrierefaktor Fitness« hat der Forscher kürzlich die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen über das Freizeitverhalten der österreichischen Bosse zusammengefasst. Zentrales Ergebnis: Während 83 Prozent der Manager zumindest gelegentlich Sport betreiben, können sich nur 50 Prozent der Durchschnittsösterreicher zu körperlichem Training aufraffen. Zu den beliebtesten Sportarten zählen 

Damit liegen die österreichischen Chefs gut im internationalen Trend. Eine Untersuchung der deutschen »Wirtschaftswoche« unter mehr als 150 Top-Managern zeigte: Nur 7 Prozent unter ihnen sind sportliche Totalverweigerer. Der Besuch einer Sportanlage ist ein Engagement, das sich nicht nur für die Gesundheit und ein leistungsorientiertes Image lohnt. Zwar betont die Mehrheit der Befragten, das Training ganz ohne Hintergedanken zu absolvieren, doch immerhin 21 Prozent gaben zu, hier durchaus »das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden«.

Erfolgreiche Fitnessfans bestätigen, dass hinter den Anstrengungen oft wohlkalkulierte Absicht steht. Um berufliche oder politische Kontakte herzustellen oder zu pflegen, eignen sich Sportclubs hervorragend je exklusiver, umso besser. Denn wer in noblen Fitnessclubs wie dem Wiener Manhattan oder bei John Harris gemeinsam die Hanteln stemmt oder in der Sauna schwitzt, wer auf edlen Golfplätzen wie dem Golfclub Freudenau entspannt gemeinsam abschlägt oder sich in einem eleganten Tennisclub wie dem Parkclub im freundschaftlichen Turnier misst, tut sich einfach leichter, mit vertrauten Gleichgesinnten auch Geschäftliches zu besprechen. »Man kommt halt oft leichter an jemanden heran, mit dem man auch die Leidenschaft teilt«, weiß ein Architekt, der auf dem grünen Rasen schon manches attraktive Geschäft angebahnt hat.

Aber auch Passivmitgliedschaften in einem attraktiven Verein können dem Networking durchaus zuträglich sein. Wer es etwa in den Vorstand eines renommierten Fußballclubs schafft, befindet sich meist in illustrer Gesellschaft.

»Austrianer ist, wer es trotzdem bleibt«, meinte einmal der Schriftsteller und Kunstkritiker Friedrich Torberg [1908 - 1979]. Einige tun das gewiss auch wegen der guten Verbindungen. Immerhin tummeln sich dort unter Clubpräsident Rudolf Streicher Prominente aus allen Sparten wie »News«-Chefredakteur Peter Pelinka [Webpräsenz von News: http://www.news.at/. -- Zugriff am 5.12.2000], »Gewinn«-Herausgeber Georg Waldstein, Rechtsanwalt Georg Zanger oder Manfred Mautner Markhof von der Schöller Bank.

Wer wirklich dazugehört, kann sich allerdings häufig die Formalitäten eines Clubs sparen. Wer in Deutschlands Wirtschaft etwas zu sagen hat, trifft sich etwa in der völlig informellen Runde des sogenannten »Similaun-Kreises«, einer exklusiven Gruppe von Top-Entscheidern wie Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp oder BMW-Vorstand Wolfgang Reizle, die gemeinsam Alpengipfel erklimmt und gelegentlich auch den deutschen Bundeskanzler in der Seilschaft haben soll. Gut möglich, dass die hochkarätige Runde auch österreichische Politiker zum Gipfelsturm motiviert. Waren Altkanzler Franz Vranitzkys Touren auf den Großglockner oder Ankogel samt Ministern, Mitarbeitern und Freunden aus der Wirtschaft legendär, so lassen sich inzwischen immer mehr Amtsträger --  vom Kärntner Landespolitiker und Exgesundheitsminister Michael Ausserwinkler über Vizekanzler [jetzt Bundeskanzler] Wolfgang Schüssel bis zu ÖVP-Klubobmann Andreas Khol -- gerne beim Gipfelsturm ablichten."

[Bettschart, Roland <1955 - > ; Kofler, Birgit <1965 - >: Nobelclubs in Österreich : wo Einfluss, Macht und Geld verkehren. -- Wien : Ueberreuter, ©1999. -- ISBN 3800037335. -- S. 131 - 133.-- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


2.9.1. Fußballclubs


Es ist nie von Schaden, Präsident eines beliebten Fußballclubs zu sein: "Einfluss und Protektion in Politik, Gesellschaft und Presse sicherte" [Wolfgang Rieger, Chef der Riegerbank und berühmter österreichischer Wirtschaftskrimineller] "sich auch durch das Image als Präsident des traditionsreichen Linzer Fußballclubs LASK [Webpräsenz: http://www.lask.at/]." 

[Sika, Michael <1933 - >: Mein Protokoll : Innenansichten einer Republik. -- St. Pölten [u.a.] : NP Buchverlag, ©2000.  -- ISBN 3853261523. -- -- S. 281. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen. -- Michael Sika war von 1990 bis 1999 Generaldirektor für öffentliche Sicherheit im österreichischen Innenministerium]] .


2.9.2. Golfclubs



Abb.: Golfplatz Schloss Schönborn, Niederösterreich [Bildquelle: http://www.gcschoenborn.com/. -- Zugriff am 3.12.2000]

"Golfclubs sind nach wie vor ein geradezu idealer Rahmen, in dem sich gleich und gleich gern gesellt, um in aller Ruhe und auf angenehme Art und Weise Networking zu betreiben. Golfer gibt es heute in den unterschiedlichsten hierarchischen Ebenen von Unternehmen so gut wie aller Branchen. Die praktischen Folgen: Zwei Drittel aller Geschäfte in der EU ab einem Auftragswert von 100 Millionen Schilling sollen im ersten Halbjahr 1996 deswegen zustande gekommen sein, weil die Geschäftspartner zusammen Golf gespielt hatten. Das ergab damals eine Umfrage unter 540 europäischen Top-Managern. Und aus einer Studie des deutschen Magazins »Capital« ging hervor, dass 70 Prozent aller Führungspositionen ab einem Jahresgehalt von 1,3 Millionen Gehalt mit Managern besetzt sind, die in ihrer Freizeit golfen.

Insider glauben auch zu wissen, warum der grüne Sport das Tennis in Sachen Beziehungspflege und Geschäftsanbahnung inzwischen auf den zweiten Platz verwiesen hat: Das ruhige Miteinander beim Golfen biete nun einmal mehr Gesprächsmöglichkeiten und sei insgesamt sozial verträglicher als das gehetzte Gegeneinander beim Tennis. Klar, dass ein Club mit hochkarätigen Mitgliedern dabei mehr hermacht als einer mit golfenden Durchschnittsmenschen."

[Bettschart, Roland <1955 - > ; Kofler, Birgit <1965 - >: Nobelclubs in Österreich : wo Einfluss, Macht und Geld verkehren. -- Wien : Ueberreuter, ©1999. -- ISBN 3800037335. -- S. 134.-- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Nobelgolfclubs:


2.9.3. Tennisclubs


"»Ich spiele seit 40 Jahren Tennis«, gestand Nationalbank-Gouverneur Klaus Liebscher einem Wirtschaftsmagazin, »aber mehr mit Leidenschaft als mit Können.« Vielen Prominenten und Geschäftsleuten aller Branchen geht es ähnlich wie dem eleganten Banker, und sie mühen sich auf dem Tennisplatz eher schlecht als recht ab. Doch der »weiße Sport« zog bekannte und einflussreiche Menschen lange Zeit wie ein Magnet an, und zwar völlig unabhängig von ihren Tenniskünsten. »Alle, die etwas zu verkaufen haben«, zitiert das Wirtschaftsmagazin »trend« einen Pharmaverkaufsmanager, »setzen viel daran und würden jede Summe zahlen, um in einen Nobelclub mit einer hochrangigen Mitgliederliste zu kommen.«

Hat Tennis in den vergangenen Jahren auch etwas an Strahlkraft eingebüßt und Teile seiner Anhänger aus besseren Kreisen an das weniger schweißtreibende Golfen verloren, zahllose wohlhabende -- und zum Leidwesen mancher traditioneller Tennissnobs auch immer mehr durchschnittlich verdienende -- Tennisfans bevölkern nach wie vor die einschlägigen Clubs. Und wenn etwa die Creditanstalt zu ihrer CA-Trophy lädt, lockt das Turnier viele handverlesene Besucher mit Rang und Namen in die Zuschauertribüne.

Exklusive Tennisclubs gibt es -- weil »Breitensport« -- zwar in geringerer Zahl als früher, aber nach wie vor auf unverändert hohem gesellschaftlichen Niveau. Während immer mehr Tennisclubs, um ihre Fixkosten bezahlen zu können, ihre Pforten weit öffneten, hüten die letzten verbleibenden Nobelclubs selbst- und standesbewusst die Exklusivität ihrer Mitgliederliste."

[Bettschart, Roland <1955 - > ; Kofler, Birgit <1965 - >: Nobelclubs in Österreich : wo Einfluss, Macht und Geld verkehren. -- Wien : Ueberreuter, ©1999. -- ISBN 3800037335. -- S. 142 - 143.-- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Nobelclub:


2.9.4. Reit- und Poloclubs



Abb.: Polospieler vor Schloss Ebreichsdorf [Bildquelle: http://welcome.to/ebreichsdorf. -- Zugriff am 3.12.2000]

Nobelclub:


2.9.5. Jagdclubs


80% der österreichischen Jäger haben kleines oder mittleres Einkommen. Doch gehören zu den Jägern auch viele Einflussreiche und Prominente.


2.9.6. Yachtclubs


Obwohl sich der Segelsport demokratisiert hat, spielt bei vielen Segel- und Yachtclubs der gesellschaftliche Aspekt eine große Rolle und diese Clubs sind eine gute Gelegenheit, einflussreiche Leute zu treffen.

Beispiel:

2.9.7. Autoclubs



Abb.: Ferrari™ (©ArtToday)

"Sag mir, was du fährst, und ich sag dir, wer du bist"

Hary Raithofer, Ö3-Morgentalker

Nobelclubs:


2.10. Genießer


"Das lose Zusammenfinden in mehr -- oder auch weniger -- exquisiten Wein-Bruderschaften und Connaisseur-Runden liegt im Trend wie noch nie."

Robert Bettschart und Birgit Kofler (a.a.O., S. 175)


2.10.1. Weinclubs



Abb.: Weltkongress der Weinorden, Burgenland, 1999 [Bildquelle: http://www.wine.at/knighthood/welcome.html. -- Zugriff am 4.12.2000]

Beispiele: 


2.10.2. Union Européenne des Gourmets



2.10.3. Kochclubs



2.11. Tierfreunde


Wie jeder Hunde- oder Katzenbesitzer weiß: Tiere verbinden. Will man Verbindungen zur Schicki-Micki-Bussi-Gesellschaft, muss man allerdings entsprechend vornehme Viecher halten, die jeweils im Trend liegen.. Unten werden beispielhaft Clubs für solche Viecher (bzw. ihre Besitzer) genannt


2.11.1. Hundeclubs


Webportal: http://www.oekv.at/rassen.htm. -- Zugriff am 28.11.2000


Abb.: ohne Worte (©Art Today) 


2.11.2. Katzenclubs



2.12. Geniale: Mensa Österreich



2.13. Zum Gedenken: Club 45


1973 wurde der Club 45 als linker Herrenclub der SPÖ (Sozialistische Partei Österreichs) gegründet, um den bürgerlichen Herrenclubs (wie ÖCV usw.) etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Mitglied der Clubs wurde alles, was in der SPÖ und nahestehenden Kreisen Rang und Namen hatte. Der Club tagte in den Räumen der k.-k. Hofbäckerei Demel in Wien. Hausherr war Udo Proksch, der dann 1991 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde weil er 1977  den Frachter Lucona sprengen ließ, um für eine angeblich wertvolle Ladung über 31 Millionen Franken von einer Versicherung zu kassieren.  Bei dem Untergang der Lucona im Indischen Ozean waren sechs der zwölf Besatzungsmitglieder getötet worden.. Der Club 45 wurde bald zum "Synonym für undurchsichtige Geschäfte und einen Filz von Freundschaft, Wirtschaft, Politik und Halbseide" (Bettschart, Kofler, a.a.O., S. 203). Damit war er allerdings wohl nur symptomatisch für manche der genannten vornehmen Clubs. 1992 wurde der Club 45 endgültig aufgelöst.


2.14. Zusammenfassung



Abb.: Österreichische Blasmusikkapelle, ein wichtiger Bund (©Corbis)

Solche Clubs bilden zusammen mit 

im wahrsten Sinn einen für Außenseiter undurchsichtigen Filz von Beziehungen, der aber typisch ist für die österreichische (und nicht nur diese!) Kommunikationskultur. Das Spektrum ist breit: von gesellschaftlich wünschenswert bis gesellschaftsschädigend. Die Grenzen zur Korruption sind fließend (und der Unterschied zu den vielgeschmähten Bananenrepubliken höchstens graduell).


3. Zum Beispiel: Russische Mafia



Abb.: Karte von Russland (©MSEncarta)

In der ehemaligen Sowjetunion bezeichnet man inzwischen fast alles, worüber man sich ärgert, als "Mafia". Doch auch im engeren Sinn -- als bündisch organisierte kriminelle Vereinigungen -- muss man in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion überall mit Mafia rechnen.

Peter Schwegmann, von 1987 bis 1993 Leiter der Vertretung der Siemens AG in Moskau [Homepage: http://www.siemens.ru/e/index.html. -- Zugriff am 27.11.2000], schildert seine eigene Erfahrung mit russischer Mafia:


3.1. Erzwingen eines Marktmonopols


"Bei den Bossen dieser Mafia-Gruppierungen handelte es sich in vielen Fällen um hochintelligente Kriminelle mit jahrelangen Erfahrungen aus der sowjetischen Schattenwirtschaft und viel »Geld in der Kasse«. Wie die Mafia in Moskau arbeitete, zeigt folgendes Beispiel: Eine dem Organisierten Verbrechen angehörende Tätergruppe übernimmt mit ihrem illegal beschafften Kapital die „Generalvertretung« für -- sagen wir einmal -- gewerbliche Kaffeemaschinen einer bestimmten Marke. In der Folge wird ausgewählten Wirten der Erwerb einer solchen Maschine »vorgeschlagen«. Wird dieser »Vorschlag« nicht akzeptiert, ereignen sich in den betreffenden Gaststätten ungeklärte Brände, Explosionen und offensichtlich angezettelte Schlägereien, bei denen die Einrichtung zu Bruch geht. Nachdem sich dieses herumgesprochen hat, verfügt die »Kaffeemaschinen-Marke« sehr bald über ein regionales Monopol... Danach werden den Besitzern dieser Kaffeemaschinen teure »Wartungsverträge« angeboten sowie »Versicherungen« gegen mutwillige Zerstörung der Gaststätte. Es folgt der »Erwerb« einer Gaststättenbeteiligung, das Einschleusen von illegalen Arbeitskräften usw." [a.a.O., S. 165]


3.2. Schutzgelderpressung


"Auf dem Gelände eines Moskauer Krankenhauses in der Nähe des berühmten Danilow-Klosters hatte das Gesundheitsministerium der alten Sowjetunion unserem medizintechnischen Gemeinschafts-Unternehmen bereits im Jahre 1991 ein Grundstück zur Verfügung gestellt. Hierauf wurde ein dreistöckiges Bürohaus errichtet, das als Fertighaus komplett aus Deutschland importiert worden war und hier auf Fundamente gestellt wurde. ...

Da unsere Medizintechnik wegen der damals angespannten Wirtschaftslage in Russland nicht gerade boomte, bot dieses Bürogebäude nicht nur Platz für unsere Medizintechniker, sondern auch für andere Siemensbereiche, und selbst Fremdfirmen zogen zur Untermiete in den Neubau ein. Als alles fertig war, bot das Gelände einen recht erfreulichen Anblick: ... Oben am Gebäude leuchtete das Firmenschild »Siemens« -- alles, wie es sich für eine Weltfirma mit Qualitätsprodukten gehört.

Dieser Anblick war es aber wohl gerade, der unsere ungebetenen Besucher angelockt hatte, die -- im August 1993 ich war gerade außerhalb Russlands -- bei dem Generaldirektor unseres Gemeinschaftsunternehmen und damit dem Hausherrn unseres schönen Bürogebäudes auftauchten. Drei jüngere Russen, erzählte er mir später, in westlicher Kleidung und mit sicherem Auftreten, machten unserem Generaldirektor drastisch klar, in welcher gefährlichen Lage die Firma sich hier geradezu auf dem Präsentierteller darbiete. Man könne ja im Vorbeifahren von außen sehen, wie viele kostbare westliche Autos auf dem Parkplatz stehen, und die Büros seien sicherlich auch voll wertvoller Computer: »Wie leicht kann da etwas passieren!"

Es wurden dezente Hinweise auf Einbrüche und Feuersbrünste gegeben, ja sogar der scheinheilige Hinweis, wie leicht eine Handgranate aus einem vorüberfahrenden Auto auf den Parkplatz geworfen werden könne, fehlte nicht. Auch Andeutungen auf die exponierte Person eines Generaldirektors und seine Familie fielen. Kurzum, die »besorgten« Besucher boten die Hilfe und den Schutz ihrer Organisation an, die sie »21stes Jahrhundert« nannten. Wie ich später erfuhr, war das eine in einschlägigen Kreisen durchaus bekannte Gruppe. Der klassische Auftakt zu einer Schutzgelderpressung also.

Die Andeutungen der Russen waren durchaus ernst zu nehmen, zumal sich in den vorangegangenen drei Wochen einige sehr hässliche Fälle der Gewaltanwendung in Moskau ereignet hatten. In einem Fall war der russische Partner eines bekannten amerikanisch-russischen Restaurants auf unerklärbare Weise erschossen aufgefunden worden, wobei man vermutet, dass von ihm abgelehnte Schutzgeldforderungen im Spiel waren. Und einen Monat zuvor war gerade auf den ersten und einzigen deutschen Baumarkt in Moskau »Bauklotz« aus vermutlich den gleichen Gründen ein heimtückischer Brandanschlag ausgeübt worden -- und zwar um acht Uhr abends, als sich Teile der Belegschaft noch in den Räumen des Baumarktes aufhielten: Verletzte oder gar Tote hatte man bei diesem Anschlag also billigend in Kauf genommen.

Unser Generaldirektor war sicherlich in keiner angenehmen Lage, als er sich den Vorschlag seiner Besucher anhörte. Er bat um etwas Zeit und führte einige Telefongespräche aus dem Nachbarzimmer. Kurz nach diesen Telefonaten fuhr eine zweite Gruppe ähnlich gekleideter Russen an unserem Eingangstor vor. Diese wiederum gehörten zu einer Gruppierung, mit der er schon früher Kontakte geknüpft hatte, um auf solche Notfälle vorbereitet zu sein. Nach einem erregten Gespräch zwischen den beiden Gruppen zeigte sich wohl, dass seine Kontakte die besseren waren, denn kurz darauf verließen alle Beteiligten den Hof, und das Geste Jahrhundert tauchte nicht mehr auf -- wohl aber die Freunde, die er gerufen hatte. Er hatte anscheinend den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben. Und die nachfolgende Unterhaltung mit unseren Freunden nahm einen ähnlichen Verlauf wie oben geschildert.

Unser Generaldirektor informierte mich sogleich nach meinem Urlaub über das, was vorgefallen war, und die weiteren Ereignisse verliefen wie in einem erlebten Kriminalroman.

»Ich möchte gerne den Chef der Organisation unter vier Augen sprechen,« erklärte ich unserem Generaldirektor, der sichtlich froh war, die Verantwortung teilen und seine Verhandlungsführerschaft an mich abgeben zu können. Nach telefonischer Rücksprache über mehrere undurchschaubare Kanäle wurde schließlich ein Treffen vereinbart: Ich durfte den Ort bestimmen, die Organisation nannte den Zeitpunkt. ...

Kurz vor elf Uhr am nächsten Morgen lenke ich meinen Wagen langsam durch das Tor des Clubgeländes auf den Parkplatz neben dem Clubhaus. ... 

Inzwischen ist es Punkt elf Uhr geworden, der Regen wird stärker, so dass ich nicht mehr sehen kann, was draußen vor sich geht. Plötzlich öffnet sich meine Beifahrertür und ein Russe, mittelgroß, stämmig, mit ultrakurzem, blonden Haar, setzt sich in mein Auto: »Ich bin nicht der Boss; Sie sind Schwegmann?« worauf ich nur kurz nicke, denn auf diese Feststellung gibt es nicht viel zu entgegnen. Er schaut sich intensiv in meinem Wagen um, wohl um zu checken, ob ich versteckte Beifahrer, Waffen oder sonstiges unangenehmes Gerät im Auto habe: „Jetzt aussteigen!« gibt er als Anweisung.

Ich steige langsam aus dem Wagen aus und schaue auf. Das Bild, das sich mir bietet, überrascht mich gewaltig. Um mich herum stehen, wie aus dem Nichts gekommen, etwa acht Gestalten, regungslos, die Hände vor den schwarzen Lederjacken gekreuzt und schauen mich nichtssagend neutral an: Die Leibwache des Chefs hat Stellung bezogen.

»Hier kommt Boris, der Boss,« bemerkt das Blondschöpfchen, das inzwischen auch ausgestiegen ist, und wendet sich einem Mann zu, der gerade durch den Kreis der Leibwachen auf mich zu kommt.

»Sie wollten mich sprechen, gut, hier bin ich.« ...

Ich nehme meinen ganzen Mut und alle meine Russischkenntnisse, die ich mir mühsam in den fünf Jahren in Moskau angeeignet habe, zusammen und erkläre ihm unsere Lage.

»Ich weiß,« sage ich, »dass unser Büro und unsere Wohnungen für alle möglichen kriminellen Gruppen ein begehrenswertes Ziel sind, und uns liegt sehr viel an der Sicherheit unserer deutschen und unserer russischen Mitarbeiter.«

Ich erkläre ihm, dass wir es zu schätzen wissen, wie er unsere Leute gegen die Gruppe 21stes Jahrhundert erfolgreich in Schutz genommen hat. »Aber,« fahre ich fort, »wir haben Sie nicht um Hilfe gerufen, um uns nun von Ihnen erpressen zu lassen.«

Nebeneinander stapfen wir langsam über den matschigen Rasen, und Boris hört mich ohne Regung an. Der Regenvorhang wird dichter, und seine Leibwache hat sicherlich Mühe, uns nicht aus dem Auge zu verlieren.

»Wenn wir mit Ihnen zusammenarbeiten,« erkläre ich weiter, »dann auf der Basis von klaren Dienstleistungen. Unsere Sicherheit muss nachweislich gewährleistet sein. Und für solche Leistungen sind wir auch bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen.«

Ein leichtes Nicken von Boris zeigt mir, dass er die Geschäftssprache wenigstens versteht. Hierdurch ermutigt, fahre ich fort: »Und eines möchte ich gleich von Anfang an klarstellen: Die sonst übliche Forderung von zehn bis dreißig Prozent des Umsatzes unseres Gemeinschaftsunternehmens ist nicht angemessen, sondern viel zu hoch.«

»Darüber lässt sich reden,« fängt er seine Entgegnung an. Er erklärt mir ruhig und sachlich, dass er eine militärische Einheit anführe, für die es in der neuen russischen Armee keinen Platz mehr gebe.

»Aber wir müssen überleben,« fährt er fort, »und da wir nichts anderes als das Handwerk des Soldaten gelernt haben, werden wir von dem leben, was wir können. Wir arbeiten bereits als eine Art Sicherheitsdienst mit einer ganzen Reihe von Firmen, auch ausländischen, zusammen, bei denen seither nichts mehr vorgefallen ist.«

»Welche Garantien können Sie mir geben?« frage ich.

»Keine schriftlichen,« erwidert er, »aber die Moskauer Welt ist klein, und es spricht sich schnell herum, dass Ihr unter meinem Schutz steht, und dann wagt sich keiner mehr an Euch heran.«

Als ich an seine Schlägertruppe denke, die mittlerweile fast ganz im Regendunst verschwunden ist, glaube ich das unbesehen. Inzwischen leidlich durchnässt, machen wir kehrt und gehen wieder Richtung Parkplatz.

»Und wir haben unsere Kontakte bis in die höchsten Stellen, zivil und militärisch,« redet er weiter. »Wir werden in Kürze offiziell eine Firma gründen, die sich mit Sicherheit und Schutz befasst, eine Art Wach- und Schließgesellschaft, aber mit Beziehungen im gesamten Polizei- und Geheimdienstapparat.«

Dann seien sie auch in der Lage, einen ganz normalen Vertrag mit uns abzuschließen -- mit vereinbarten Leistungen und mit der von mir zitierten angemessenen Bezahlung. Er plane eine Art Rundumschutz, erläutert er, mit Personenschutz der hier lebenden Mitarbeiter, aber auf Anforderung auch für Besucher aus Deutschland. Ich habe den Eindruck, Boris weiß recht genau, was er sich vorstellt, und er legt das auch nicht jetzt zum ersten Mal einem »Kunden« dar.

Inzwischen sind wir zur sichtbaren Erleichterung der Leibwache unversehrt wieder am Parkplatz angelangt. Ich erkläre Boris, dass wir unsere Entscheidung in den nächsten Tagen treffen würden, und setze mich in mein Auto. Als ich durch den nun prasselnden Regen den Parkplatz verlasse, merke ich doch, dass mir meine erste (und hoffentlich einzige) direkte Begegnung mit der Mafia leicht weiche Knie verursacht hat.

Insgesamt jedoch war ich nach dieser Begegnung froh darüber, ein Stück größerer Sicherheit für meine Mitarbeiter und deren Familien geschaffen zu haben: Wir wurden danach nicht mehr belästigt, und es gab auch keine weiteren Drohungen oder hässliche Vorfälle.«" [a.a.O., S. 166 - 172]


3.3. Asset Stripping


"Im Jahre 1993 wurden unter dem damaligen Ministerpräsidenten [Wiktor Stepanowitsch] Tschernomyrdin [geb. 1938; Ministerpräsident der Russischen Föderation von 1992 bis 1998] die Privatisierungsgesetze erlassen, welche die gesamte russische Industrie mit Ausnahme der Rüstungsindustrie und einiger strategischer Werke aus dem Staatsbesitz in den Privatbesitz überführen sollten. Die Umsetzung des Privatisierungskonzeptes wurde vom staatlichen Vermögenskomitee durchgeführt, dessen Leitung damals [Anatolij] Tschubais [geb. 1955; von 1992 bis 1995 für Privatisierung verantwortlich] innehatte.

Die Privatisierung sollte in zwei Wellen ablaufen, wobei die erste Welle nach folgenden Regeln erfolgte: 

Jeder russische Bürger hatte damals bereits im Jahre 1992 einen Voucher, das heißt Bezugsschein, zu zehntausend Rubel erhalten und konnte diesen gegen Kapitalanteile von beliebigen russischen Firmen einlösen. Es liegt auf der Hand, dass wohl die Mehrzahl der einfachen Bürger Russlands nicht viel mit diesem Papier anfangen konnte und sich erst recht nicht vorstellen konnte, dass Anteile an einer Firma ein Vermögen bedeuten konnte. Das Wort Aktie war ja damals dem normalen Bürger völlig unbekannt ebenso der Mechanismus, wie Aktien erworben und wieder verkauft werden können -- eine Börse war noch weit von ihrer Gründung entfernt. So nimmt es nicht wunder, dass der einfache Voucherinhaber auf Angebote nur zu gerne  einging, ihm seine Voucher abzukaufen -- zumal der Erlös in Rubeln bestand, deren Wert unmittelbar auf der Hand lag.

Der Wunsch unter der russischen Bevölkerung war sehr stark, diese -- unheimlichen, weil unbekannten -- Voucher möglichst schnell zu -- bekanntem -- Geld zu machen. Es wurden deshalb regionale Spezialfonds gegründet, die den Bürgern die Voucher abkauften und sie nach Firmen geordnet versteigerten. Kurzum, das so theoretisch klare und gerecht gemeinte Privatisierungskonzept war in einen außerordentlich undurchsichtigen Prozess hinein gelaufen. Wer in Russland die dann folgende Entwicklung und die damit verbundenen Chancen frühzeitig durchschaut hatte, konnte sich mit einem relativ geringen Einsatz von Mitteln große Kapitalanteile an wertvollen russischen Firmen aneignen -- insbesondere in der Ölindustrie und bei Kommunikationsfirmen. Russlands Oligarchen, die den Reichtum ihres Landes unter sich aufteilten und binnen weniger Jahre Dollarmilliarden zusammenrafften, erlebten ihre Gründerzeit.

Die russische Mafia und mafiaähnliche Gruppen, denen man ja eine beträchtliche Kreativität in Sachen Finanzen sicher nicht abstreiten kann, hatten selbstverständlich die Chancen zum schnellen Geld sofort durchschaut: Die privatisierten Firmen besaßen ja Gebäude, Maschinen, Kräne, Schiffe und weitere Vermögenswerte, deren Wert den Kaufpreis der Vouchers weit überstieg. Man musste also nur soviel Kapitalanteile kaufen, um in der Firma bestimmen zu können, das heißt, die Mehrheit im Aufsichtsrat und in der Aktionärsversammlung zu haben. Dann konnte man in Ruhe und völlig legal daran gehen, die einzelnen Vermögenswerte planmäßig zu verscherbeln und viel Geld zu verdienen. In unserem modernen Wirtschaftsvokabular heißt dieser Prozess »asset stripping«, wenn ohne Rücksicht auf die Zukunft der Firma alles verkauft wird, was verkauft werden kann, bis nur noch eine leere Hülle übrig bleibt. Natürlich waren diese Manöver überhaupt nicht im Sinne des russischen Gesetzgebers und erst recht nicht im Interesse der russischen Wirtschaft, da hier ganze Fabriken mit ihren Werten systematisch vernichtet wurden -- aber wenn das schnelle Geld lockt, bleiben moralische Überlegungen auf der Strecke.

Solche mafiosen Absichten können sicherlich nicht allen Investoren in Russland unterstellt werden, aber die Reihe der russischen Holdings war enorm, die zu genau diesem Zweck hastig gegründet wurden. Das Konzept sah natürlich noch die Gründung von Handelsfirmen vor, welche die so preiswert erworbenen Werte dann teuer im Lande weiterverkauften oder exportierten. Weiterhin war ein System von Bankverbindungen notwendig, durch welche die Ergebnisse eines solchen erfolgreichen Tradings auf verschlungenen Pfaden verschiedenen verschwiegenen Konten auf entfernten Inseln zuführen sollte, etwa auf den British Virgin Islands, den Cayman Islands oder, näher, Guernsey oder Jersey -- eine Goldgrube, wenn man es richtig macht -- und wenn ihnen keiner in die Quere kommt.

Und genau das war bei mir offenbar der Fall -- ich war irgend jemandem in die Quere gekommen. Drei Tage vor dem Heiligabend des Jahres 1998 in Deutschland erhielt ich einen ominösen Anruf: »Wenn du dich in Sankt Petersburg sehen lässt, dann passiert etwas...!« Ohne weitere Worte hatte der anonyme Anrufer aufgelegt und ließ mich nun mit meinen Gedanken allein. In der Tat plante ich eine Reise nach Sankt Petersburg am nächsten Tag; etwas ungewöhnlich, zwei Tage vor Weihnachten, aber unsere russischen Geschäftsfreunde hatten es sehr dringend gemacht.

»Soll das eine Drohung sein,« entsetzte sich meine Familie, »oder was steckt dahinter?«

Und so erzählte ich, wie es zu dieser Situation gekommen war. Im Jahre 1995 hatte die Siemens AG einen Anteil von zehn Prozent an einer der großen Petersburger Fabriken, der »Leningrader Maschinenbau Betriebe«, erworben. Wir hofften damals wie viele andere europäische Hersteller, eine preisgünstige Fertigung einrichten zu können, um unsere Produkte wettbewerbsfähiger herzustellen. Eine solche russische Firma wird von einem Direktorenrat beherrscht, der über die Geschicke der Firma entscheiden kann und ganz besonders wichtig -- den Generaldirektor ernennt oder abberuft. Dieser Direktorenrat der Leningrader Maschinenbau Betriebe hatte sieben Mitglieder, die von den Anteilseignern bestimmt werden.

Als Vertreter unserer zehn Prozent wurde ich Mitglied dieses Aufsichtsrates. Drei Mitglieder bestanden aus einer Gruppe Petersburger Persönlichkeiten, unter ihnen der Generaldirektor der Leningrader Maschinenbau Betriebe. Drei weitere Mitglieder kamen von einer frisch in Moskau gegründeten Firma, einer Moskauer Maschinenbau Korporation, kurz MBK, die sich zum Ziel gesetzt hatte, sämtliche Firmen in Sankt Petersburg zu einem großen Verbund ähnlich der westeuropäischen Konzerne zusammenzuschmieden. Ein gutes Konzept, wie damals alle Kenner der Petersburger Maschinenbaulandschaft dachten; auch wir hatten gegen eine starke Stellung unserer Beteiligungsgesellschaft nichts einzuwenden - versprach sie uns doch in Zukunft eine angemessene Rendite unseres eingesetzten Kapitals. Zur Umsetzung dieses Planes setzte die Moskauer Gruppe einen neuen Generaldirektor ein, der ihre Interessen vertrat.

Unter seiner Führung traten jedoch sehr rasch einige Vorfälle auf, die recht merkwürdig anmuteten und so gar nichts mit den hehren Zielen zum Segen und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Petersburger Maschinenbaus zu tun hatten. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass die Moskauer Korporation hohe Zahlungen von Kunden, die für die Lieferungen der Werke bestimmt waren, für sich behielt (und unverzüglich ins Ausland transferierte, wie später bekannt wurde). Darüber hinaus wurden einige Mitarbeiter der MBK an der Grenze Russlands erwischt, als sie Maschinen der Petersburger Werke klammheimlich ins Ausland verschieben wollten. Kurzum, auch die alten Generaldirektoren der Petersburger Werke merkten schließlich, dass etwas faul war im Staate Russland. Sie formierten also eine Gegenkraft im Direktorenrat gegen die Machenschaften der MBK. Nun stand es in diesem Rat drei gegen drei -- und ich war nolens volens das Zünglein an der Waage. Ich hatte jedoch schon von Anfang an unsere Petersburger Partner darauf hingewiesen, dass hier mafiose Manöver darauf hinzielen, die Werke auszuhöhlen und als wertlose Hüllen zurückzulassen. Diese Mahnung war bereits mehrfach vom Siemens Vorstand seit längerem der russischen Regierung gegenüber unter Tschernomyrdin und danach unter Stepaschin ausgesprochen worden. Insofern war meine Stellung in dem Konflikt eindeutig auf der Seite der Petersburger Gruppe.

»Was könnte denn passieren, wenn du gegen die Moskauer und für die Petersburger Gruppe stimmst« fragte mein Sohn Patrick.» Nun, als erstes könnten wir den neuen Generaldirektor, der von den Moskauern inzwischen in eindeutiger Absicht eingesetzt wurde, absetzen und den alten Generaldirektor wieder einsetzen. Er genießt das Vertrauen der Belegschaft und hat auch unser Vertrauen. Das würde alle Manöver der sogenannten Restrukturierung stoppen, das heißt, der weitere Verkauf von Firmenvermögen würde verhindert.«

„Ich verstehe,« so Patrick, »damit wären alle Pläne, durch den schnellen Verkauf von Maschinen, Kränen und sonstigen Gütern zu viel Geld zu kommen, durchkreuzt.«

Das war natürlich auch unseren Gegenspielern sehr klar, und sie entschlossen sich zu einem geradezu abenteuerlichen Manöver. Als Gegenstück zu den Petersburger Metallwerken hatten sie kurzentschlossen eine Briefkastenfirma in Archangelsk im äußersten Norden Russlands gegründet. Danach forderten sie schriftlich jeden der siebentausend Beschäftigten auf, ihr Arbeitsverhältnis in Petersburg zu kündigen und -- pro forma -- zu der neuen Firma am Polarkreis zu wechseln. Wer dieser Aufforderung nicht nachkomme, hieß es, verliere seine Arbeit. Ein theoretisch brillanter Schachzug, denn ohne Beschäftigte wären die Leningrader Maschinenbau Betriebe handlungsunfähig und ihre Leitung entmachtet. Dieses Ansinnen stieß natürlich nicht nur bei der Belegschaft sondern auch bei den politischen Organen von Sankt Petersburg auf flammenden Protest; und brachte für die direkt Beteiligten das Fass zum Überlaufen.

Deshalb hatten unsere russischen Geschäftsfreunde mich sehr dringend gebeten, so bald wie möglich nach Petersburg zu reisen und mit ihnen über das weitere Vorgehen zu beraten. Auch wenn ich die Drohung am Telefon ernst nahm, entschloss ich mich natürlich, unsere Petersburger Freunde nicht im Stich zu lassen. ...

Und nun stand die kleine Petersburger Gruppe, die Hälfte des Direktorenrates der Leningrader Maschinenbau Betriebe, bestehend aus dem Chef der größten Petersburger Bank, dem Generaldirektor der Petersburger Elektrowerke und mir, jetzt in dem winterlich kalten Sankt Petersburg vor den Toren der Fabrik, aber die Tore waren zu! Geschlossen und verriegelt. Man muss bedenken, dass es immerhin das offizielle Aufsichtsorgan der Firma war, dem der Zutritt vom amtierenden Direktor verwehrt wurde, und wir waren uns der Gefährlichkeit dieser sich zuspitzenden Konfrontation wohl bewusst. Es hatte in der letzten Zeit in Russland mehrfach Fälle gegeben, in denen sich eine Partei mit Kettensägen Zugang zu den Büros ihrer Firma verschaffte, aber danach stand uns nicht der Sinn. Es gab auch andere Beispiele in dem Russland von 1999, in denen die zerstrittenen Parteien rabiat miteinander umgingen. In dem Falle eines Joint Ventures mit einem deutschen Baustoff-Hersteller hatte man den Schreibtisch des deutschen Direktors einfach vor das Tor gestellt und seine Akten hinterher geworfen. In einigen Fällen sind auch missliebige russische Direktoren einfach ermordet worden oder so unter Druck gesetzt, dass sie Selbstmord begangen.

In diesem Falle wurde die telefonische Drohung so weit ernst genommen, dass meine Firma mir Personenschutz organisierte. ... Ich fühlte mich also recht sicher an dem Abend, als wir vor den Fabriktoren standen, die unsere Gegner verschlossen hatten, um unser Treffen zu verhindern. Wir ließen durch die Miliz protokollieren, dass wir an der ordnungsgemäßen Veranstaltung unserer Direktorenratssitzung gehindert wurden und zogen uns in die Räume der Petersburger Bank zurück, um dort die Sitzung abzuhalten.

»Und was passierte in dieser Sitzung?«

»Das, was unsere Gegner befürchtet hatten. Wir wählten den amtierenden Direktor ab und setzten den ursprünglichen Direktor wieder ein, von dem wir wussten, dass auch die Belegschaft hinter ihm stand. Damit war den Möglichkeiten ein Ende gesetzt, das Firmensilber zu verscherbeln.«

Von dem Petersburger Schiedsgericht, das diesen Fall anschließend verhandelte, bekamen wir im Übrigen voll und ganz Recht". [a.a.O., S. 185 - 192]

[Schwegmann, Peter: Moskau, Macht und Mafia : Erlebnisse als Manager in Russland. -- Lindlar : Matrioschka, 1999. -- 195 S. -- ISBN 3000053476. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


3.4. Geldwäsche -- Geld hat kein Mascherl


"Seit Jahren kämpft die Polizei weltweit gegen die Geldwäsche. Illegale Einkünfte aus dem Drogenhandel, dem Glücksspiel, der Prostitution und allen anderen Sparten der Organisierten Kriminalität werden durch immer kompliziertere Transaktionen weißgewaschen und in die legale Wirtschaft investiert. Was letztlich zur Infiltration sauberer Wirtschaftsbereiche durch mafiose Gruppierungen führt und es den Ermittlern immer schwerer macht, Gut und Böse zu unterscheiden.

In den USA, die schon seit Jahrzehnten gegen das Organisierte Verbrechen ankämpfen, ist dieser Vermischungsprozess, der in Europa voll im Gange ist, schon abgeschlossen. Mit der Konsequenz, dass man in den Vereinigten Staaten Mafiosi, die zwar ein schmutziges Gewissen, aber einen weißen Kragen haben, kaum mehr aushebeln kann. ...

Zwei Dinge sind zur Geldwäsche noch zu sagen. Der Verdacht, einzelne Banken hätten suspekte Vorgänge nur gemeldet, sofern sie sich im Kassenraum abgespielt hatten, über das, was in den Vorstandsetagen ausgehandelt wurde, jedoch die Decke des Schweigens gebreitet, hat sich in Einzelfällen und bei kleinen Banken bestätigt. Gegen derartige Gesetzesverletzungen ist auch das beste System nicht gefeit.

Zum anderen hat sich der Vorgang der Geldwäsche unter dem Druck der staatlichen Maßnahmen in den letzten Jahren entscheidend verändert. Vorbei sind die Zeiten, in denen braun gebrannte Mafiosi mit Sonnenbrillen dem Kassier einen Koffer voll mit Geldbündeln auf das Pult knallten. Heute hat sich der Waschvorgang eher von den Banken entfernt und in den Wirtschaftsbereich verlagert.

Ich will ein anschauliches und leicht verständliches Beispiel aus der Praxis bringen:

Nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist" wird Geld über Chinarestaurants gewaschen. Es gibt allein in Wien hunderte davon und nicht alle werden von Kunden überlaufen. Bei manchen ist das so auffallend, dass man täglich die Schließung des Lokals erwartet. Tatsächlich halten diese Restaurants aber weiter offen. Und der Bürger schüttelt den Kopf. Das sollte er nicht tun. Das sind nämlich keine Restaurants, sondern simple Waschstationen.

Der Waschvorgang selbst ist sehr einfach. Der Lokalbesitzer deklariert dem Finanzamt einen weit überhöhten Umsatz, den dieses mit Freuden zur Kenntnis nimmt; bei hohen Veranlagungen ist die Finanz nie misstrauisch. Nach Steuern und Abzug der geringen Spesen bleibt der Rest gewaschen zurück. Bei einem Restaurant ohne Zweifel eine nicht allzu hohe Summe. Wenn man sie aber mit 300 oder 400 multipliziert -- so viele Waschstationen dürfte es in Wien geben --, ergibt das unter dem Strich dann doch einen beachtlichen Brocken.

Hier kann das Bankwesengesetz nicht greifen. Der chinesische Geschäftsmann, der jeden Monat einen ähnlich hohen Betrag auf seiner Bank einzahlt, wird niemals Verdacht erregen bzw. erregen können, solange sich die Geldsummen in einer nachvollziehbaren Höhe bewegen. Und das tun sie klarerweise.

Nachhaltigen Ermittlungen der Polizei steht in diesen Fällen das Steuergeheimnis entgegen. Die Kriminalisten, die ein Lokal über einen Zeitraum observieren, um die Kundenfrequenz festzustellen, und die den Verbrauch von Wasser, Strom und Gas gegenchecken, stehen bei der Finanz vor verschlossenen Türen, wenn sie wissen wollen, welche Umsätze der Lokalinhaber deklariert. Es bleibt somit nichts anderes übrig, als die Finanz vom Verdacht der Geldwäsche zu verständigen, ihr das Ermittlungsergebnis zu übergeben und - abzuwarten. In Einzelfällen gelingt es, nach enormem Aufwand derartige Restaurants zu schließen. Drei Wochen später öffnet das Lokal wieder - mit einem neuen chinesischen Pächter. Daher halten sich auch die Ambitionen der Polizei, bei verdächtigen Chinarestaurants Ermittlungen einzuleiten, sehr in Grenzen.

Übrigens, allen Freunden der Frühlingsrolle sei gesagt, dass nicht alle Chinarestaurants in Wien Waschsalons sind."

[Sika, Michael <1933 - >: Mein Protokoll : Innenansichten einer Republik. -- St. Pölten [u.a.] : NP Buchverlag, ©2000.  -- ISBN 3853261523. -- -- S. 294 - 296. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen. -- Michael Sika war von 1990 bis 1999 Generaldirektor für öffentliche Sicherheit im österreichischen Innenministerium]]


3.5. Scheinfirmen


"Bis heute sind übrigens keine schwer wiegenden Probleme in den Ost-West-Beziehungen auf dem Gebiet der Kriminalität aufgetreten. So werden nach wie vor Autos in den Osten verschoben, Suchtgift, Antiquitäten, Mädchen in den Westen geliefert. Es werden Firmen, Gesellschaften gegründet, ineinander verschachtelt, aufgelöst. Es werden große Geldsummen nach Westeuropa transferiert, geparkt, gewaschen, angelegt. An den Schalthebeln dieser Ost-West-Firmen sitzen in der Regel hochintelligente Ex-Angehörige des KGB oder anderer östlicher Geheimdienste, mit reicher Erfahrung und besten Beziehungen bis in die höchsten Kreise.

In der Blütezeit der Ausbreitung der östlichen Organisierten Kriminalität nach dem Westen wurden, in Österreich monatlich zwanzig und mehr Firmen bzw. Gesellschaften gegründet, die größtenteils suspekte Backgrounds hatten und zum Teil mit abenteuerlich hohem Grundkapital ausgestattet waren, ohne jemals eine nennenswerte Geschäftstätigkeit zu zeigen. Über diese Firmen wurden dubiose Personen aus den GUS-Ländern - natürlich aus „geschäftlichen Gründen" nach Österreich eingeladen. Das war ein Teil der Aufgaben dieser Firmen. So konnten nach und nach - zunächst in Österreich und später von der Alpenrepublik ausgehend - in ganz Westeuropa nach demselben Schema Strukturen aufgebaut werden, die in erster Linie dazu dienten, die enormen Geldmengen, die in den Westen flossen, zu parken, zu waschen und Gewinn bringend anzulegen.
Es war der Polizei praktisch unmöglich, den Überblick zu bewahren, zumal die Organisationen alles taten, um ihre Malversationen [schlechten Kontakte] zu verschleiern. Gesellschaften wurden auf das Abenteuerlichste verschachtelt, Gelder kreuz und quer transferiert. Selbst sehr professionelle Fahnder mussten bei dem Versuch, diese Aktivitäten nachzuvollziehen, früher oder später passen.

Dazu kam, dass zumeist nicht geklärt werden konnte, woher die Geldmittel stammten. Die Quellen waren vielfältig. KP-Gelder, KGB-Gelder, Gelder, die staatliche Funktionäre aus Industrie und Wirtschaft abgezweigt hatten, bevor sich zaghaft Demokratie und Privatisierung regten. Und natürlich Gelder aus kriminellen Machenschaften im engeren Sinn.."

[Sika, Michael <1933 - >: Mein Protokoll : Innenansichten einer Republik. -- St. Pölten [u.a.] : NP Buchverlag, ©2000.  -- ISBN 3853261523. -- -- S. 207. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen. -- Michael Sika war von 1990 bis 1999 Generaldirektor für öffentliche Sicherheit im österreichischen Innenministerium]]


3.6. Weiterführende Ressourcen



Zu Kapitel 5, Teil III: Machtverhältnisse