Internationale Kommunikationskulturen

5. Kulturelle Faktoren: Soziale Beziehungen

3. Teil III: Machtverhältnisse


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 5. Kulturelle Faktoren: Soziale Beziehungen. -- 3. Teil III: Machtverhältnisse. -- Fassung vom 2011-02-02. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur053.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 19.12.2000

Überarbeitungen: 2011-02-02 [Aktualisierung]

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001, MBA der HdM Stuttgart und der Westsächsischen Hochschule Zwickau, 2011

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Obrigkeit und Untertan


Was ist der Unterschied  zwischen Italien, Frankreich, Deutschland und der Sowjetunion?
  • In Italien ist alles erlaubt, auch wenn es ausdrücklich verboten ist.
  • In Frankreich ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist.
  • In Deutschland ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist.
  • In der Sowjetunion ist alles verboten, auch wenn es ausdrücklich erlaubt ist.

Witz aus den 1960er-Jahren

Demonstration von Macht 


Abb.: Eine Klosterfrau küsst Hand von Jaime Lachica Kardinal Sin (1928 - 2005), Erzbischof von Manila, Philippinen, 1995 (!) (©Corbis)


Abb.: Tsai-feng, Prinz von Tschun, und der englische Gouverneur von Hongkong, Sir Blake, 25.7.1901 [Quelle: Leipziger Illustrirte [!] Zeitung. -- Nr. 3036 (5.9.1901). -- S. 1]


Abb.: Ashantiherrscher (©Corel)


Abb.: (©Corel)

Unter Obrigkeit sollen hier die politischen und bürokratischen Inhaber von Macht verstanden werden. Bürokratie und Korruption werden in einem gesonderten Kapitel (Kapitel 8) behandelt. Hier soll nur eines der wichtigsten Mittel zur Beeinflussung politischer und bürokratischer Entscheidungsträger behandelt werden, das Lobbying.


1.1. Lobbying



Abb.: Central Lobby des Westminsterpalastes, London, Eingangshalle sowohl für Unterhaus als auch Oberhaus -- Namenspatronin für Lobbying (Bildquelle: Pressedienst)

Der Begriff Lobbying entstand in Großbritannien, als verschiedene Interessengruppen die Meinung der Parlamentsabgeordneten in den Räumen vor den Sitzungssälen des Parlaments, der Lobby, zu beeinflussen versuchten. Lobbying ist also der gezielte Versuch einer Gruppierung, die Entscheidung von politischen Gremien oder der öffentlichen Verwaltung im Vorfeld zu beeinflussen.

Man muss unterscheiden:

Im Folgenden soll Lobbying am für uns besonders bedeutsamen Lobbying in der Europäischen Union dargestellt werden.


1.1.1. Zum Beispiel: Lobbying in der Europäischen Union (EU)



Abb.: Entwicklung der EU (animated gif) (Quelle: Pressedienst der EU)


Abb.: EU-Fahnen (Bildquelle: Pressedienst der EU)

"Auch hier gilt der Satz, dass persönliche Kontakte der erfolgreichste Weg sind.

Ein Punkt muss noch Erwähnung finden, nämlich die Zeitspanne, innerhalb derer Interventionen wirksam werden. Hier eine generelle Aussage zu treffen wäre verfehlt. Richtig ist aber, dass eine etwaige Einflussnahme - wenn möglich - von langer Hand geplant werden sollte. Das heißt, dass nicht erst dann interveniert werden sollte, wenn ein Problem akut ist, sondern durch ständigen Kontakt eine Basis hergestellt sein sollte, die es ermöglicht, bereits im Vorfeld anstehender Entscheidungen Einfluss geltend zu machen."

Klemens H. Fischer, a.u.a.O, S. 81

Dem Folgenden liegen, falls nichts anderes gesagt wird, folgende Quellen zugrunde:

Webpräsenz der EU zu Lobbying: The European Commission and special interest groups / Secretariat-General of the Commission. -- URL: http://europa.eu.int/comm/secretariat_general/sgc/lobbies/index_en.htm. -- Zugriff am 6.12.2000. Inzwischen: Europa-Transparency Homepage . -- URL: http://ec.europa.eu/transparency/index_en.htm . -- Zugriff am 2011-01-27

Fischer, Klemens H. <1964 - >: Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union. -- Berlin : Berlin Verlag, ©1997. -- 103 S. -- ISBN 3870616458. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- [Fischer ist Botschaftsrat an der ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäische Union in Brüssel]

Portal der  EU: http://europa.eu/. -- Zugriff am 2011-01-27. - -Webpräsenz der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu . -- Zugriff am 2011-01-27

Das Machtzentrum Europas


Abb.: Breydel Building -- Sitz der EU-Kommission in Brüssel (Bildquelle: Pressedienst der EU)


Abb.: EU-Kommissare 2000 (Bildquelle: Pressedienst der EU)

Die "starke Stellung der [EU-]Kommission macht sie zum klassischen Anlaufpunkt  für Lobbyisten. Wann immer die Kommission einen Vorschlag, sei es für eine Richtlinie oder eine Verordnung, erarbeitet, sind die betroffenen Lobbyisten nicht fern. Die Kommission kann aber durch Interventionen der Lobbyisten auch erst auf einen Handlungsbedarf aufmerksam gemacht werden.

Aufgabe der Lobbyisten ist es, dem betreffenden Deskofficer - also dem zuständigen Kommissionsbeamten -, seinem Abteilungsleiter, dessen Direktor oder aber dem Generaldirektor der zuständigen Generaldirektion, rechtzeitig und erfolgreich den Standpunkt zum Vorschlag näher zu bringen. Die Kommission sieht dies im Regelfall nicht als störend oder negativ an, denn die Ausführungen der Lobbyisten sind bei der Erarbeitung von Vorschlägen in mehrerlei Hinsicht von Interesse:

Im übrigen ist es nicht immer so, dass die Kommission abwartet bis Lobbyisten an sie herantreten. Im Gegenteil. In bestimmten Fällen tritt die Kommission selbst an Lobbyisten heran um sie zu bestimmten Themen zu befragen und ihre Meinung zu hören. Derartige Aktivitäten finden entweder in kleinem Rahmen oder aber in Form von Konferenzen statt, die die Kommission einberuft. ...

Die Kommission kann sich aber auch die Lobbyisten zunutze machen, indem sie Stimmung für ihre Vorschläge produziert. Sollte beispielsweise der Druck der Wirtschaft groß genug für einen Kommissionsvorschlag sein, so können dadurch politische Entscheidungen der Mitgliedstaaten zumindest -- mehr oder weniger leicht -- mit beeinflusst werden. Die Kehrseite der Medaille ist, dass Lobbyisten bei der Kommission aber auch Stimmung gegen mitgliedstaatliche Haltung zu schüren versuchen."

[Fischer, Klemens H. <1964 - >: Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union. -- Berlin : Berlin Verlag, ©1997. -- ISBN 3870616458. -- S. 49 - 51. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Das Folgende soll einen Eindruck geben von den über 3000 Lobbyisten bei der EU.

Verzeichnis der Lobbyisten bei der EU: 

Directory of special interest groups / Secretariat-general of the European Commission. -- URL: http://europa.eu.int/comm/secretariat_general/sgc/lobbies/en/tabledom.htm. -- Zugriff am 7.12.2000. Zur Zeit gibt es noch zwei Verzeichnisse, die zusammengeführt werden sollen: das Register der Europäischen Kommission und die Liste des Europäischen Parlaments. Sind zu finden unter: http://europa.eu/lobbyists/interest_representative_registers/index_de.html . - Zugriff am 2011-01-27. Seit 2008 ist man darum bemüht, dass Lobbyisten sich registrieren lassen und über sich informieren. (Am 25. Januar 2011 waren sich 3493 Interessenvertreter eingetragen.) Zurückhaltend mit der Meldung sind Anwaltskanzleien und Denkfabriken. Dazu: http://ac.europa.eu/transparency/docs/communication_2009_de.pdf . -- Zugriff am 2011-01-25.

"Entscheidend für den Erfolg in Brüssel ist aber nicht nur die theoretische Kenntnis, sondern vor allem der persönliche Kontakt. Jeder, der in und mit Brüssel arbeitet, verfügt über sein persönliches Who-is-Who, das über viele Monate hinweg aufgebaut werden muss. Natürlich erhält man Auskünfte auch per Fax, Telephon oder via Internet. Diese Informationen sind aber jene, die sozusagen für alle zugänglich sind. Das Geheimnis des Erfolges in Brüssel ist also in den persönlichen Kontakten zu suchen.

Nachdem die Entscheidung getroffen worden ist, welche Materie näherer Erläuterungen oder einer Intervention bedarf, müssen die zuständigen Stellen in Brüssel eruiert werden. Bei dieser Suche sind die Ständigen Vertretungen oder die Vertretung der Kommission im jeweiligen Mitgliedstaat die besten Anlaufstellen. Neben diesen sind natürlich auch die in Brüssel situierten Verbindungsbüros der -- deutschen und österreichischen -- Bundesländer und die Interessensvertretungen ausgezeichnete und profilierte Partner. Alle diese Einrichtungen verfügen über einen ausgezeichneten Überblick, wer in Brüssel wofür zuständig ist und sind auch bereit und in der Lage, den Kontakt herzustellen, wenn sie nicht selbst schon der Kontaktpunkt sind. Von Fahrten ins Blaue nach Brüssel ist tunlichst abzuraten, da Termine vor Ort zu vereinbaren ein zeitliches Vabanquespiel bedeuten kann.

[Webportal für EU-Informationsstellen: http://ec.europa.eu/index_de.htm  -- Zugriff am 2011-01-27]

Wie bereits ... dargestellt worden ist, kann die Sprachenproblematik zur entscheidenden Hürde werden. Die gängigen Verhandlungssprachen sind Französisch und Englisch, in einzelnen Bereichen auch Deutsch. Verhandlungs- und Präsentationsunterlagen sollten jedoch auf jeden Fall in einer der beiden erstgenannten Sprachen abgefasst sein und der jeweilige Verhandler müsste auch in der Lage sein, seine Gespräche in einer der beiden Sprachen zu führen. Es ist daher geboten, sich bei der Fixierung eines Gesprächstermins über die Frage der Verhandlungssprache zu informieren, um vor Überraschungen -- halbwegs -- sicher zu sein."

[Fischer, Klemens H.: Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union. -- Berlin : Berlin Verlag, ©1997. -- ISBN 3870616458. -- S. 80 -81. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


1.2. Intervention (Fürsprache)



Abb.: El Greco ( i.e. Dominikos Theotokopulos; 1541 -1614), Schutzmantelmadonna (1603/05) -- Die Schutzmantelmadonna ist das himmlische Vorbild für Intervention

"Österreich pflegt eine andere Tradition als Russland. Was dort die Korruption, ist bei uns die Intervention. Sie wird bei uns fast als Gesellschaftsspiel betrieben. Ich habe immer gesagt: Die Intervention ist die Schwiegermutter der Korruption. In den Auswirkungen bei weitem nicht so dramatisch, im Ansatz aber nicht minder gefährlich. Vor allem dann, wenn sie strategisch, als Einstieg benutzt wird. Was als kleine Intervention begann, hat schon oft böse geendet. Nämlich in Abhängigkeit und Erpressung."

[Sika, Michael <1933 - >: Mein Protokoll : Innenansichten einer Republik. -- St. Pölten [u.a.] : NP Buchverlag, ©2000.  -- ISBN 3853261523. -- -- S. 214. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen. -- Michael Sika war von 1990 bis 1999 Generaldirektor für öffentliche Sicherheit im österreichischen Innenministerium]] .

"Ich muss gestehen: Pleiten, Pech und Pannen überschatteten 1996 den Kriminalfall rund um Staatsanwalt Wolfgang Mekis, den Starjournalisten Peter Michael Lingens, den Autoverleiher Franz Kalal sowie die russische Geschäftsfrau Walentina Hummelbrunner. Der Medienwirbel war damals enorm und sicher nicht unbegründet. Gehören doch diese Personen einer Gesellschaftsschicht an, die man die „bessere" nennt. In der es schöne Regel ist, dass man sich Gefälligkeiten erweist, und in der man Interventionen auch versteht, wenn sie zwischen den Zeilen angedeutet werden. Man sitzt zum Reden in der „Eden" [Bar in Wien]  und manches läuft dann wie geschmiert."

[Sika, Michael <1933 - >: Mein Protokoll : Innenansichten einer Republik. -- St. Pölten [u.a.] : NP Buchverlag, ©2000.  -- ISBN 3853261523. -- -- S.197. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen. -- Michael Sika war von 1990 bis 1999 Generaldirektor für öffentliche Sicherheit im österreichischen Innenministerium]] 


1.3. Zum Beispiel: Vom Umgang mit der Obrigkeit in Japan



Abb.: Karte von Japan (©MS-Encarta)

Gothild und Kristina Thomas geben folgende Ratschläge zum Umgang mit japanischen Behörden:

"»Preußen des Ostens«, so werden die Japaner zuweilen scherzhaft genannt, eine Anspielung auf ihre Ordnungsliebe und Obrigkeitshörigkeit.

Mit Japans Obrigkeit ist in der Tat nicht zu spaßen. Erster und nachhaltigster Eindruck im Kontakt mit ihr ist, dass die Beamten sich ungeheuer wichtig nehmen. Dies heißt nicht unbedingt, sie fühlten sich überlegen oder träten überheblich auf. Vielmehr wollen sie, dass man ihren Dienst für den Bürger ernst nimmt. Sie verlangen Respekt.

Sie erleichtern sich den Umgang mit japanischen Beamten, wenn Sie sich kooperationsbereit zeigen und möglichst nicht widersprechen. Pochen auf Ihr -- tatsächliches oder vermeintliches -- Recht bringt Sie Ihrem Ziel keinen Schritt näher.
Haben Sie Ärger mit dem Amtschimmel, sei Ihnen dringend angeraten, sich nach einem japanischen Vermittler umzusehen. Mit Glück finden Sie womöglich gar einen ehemaligen Kommilitonen des bockbeinigen Beamten, der für Sie ein gutes Wort einzulegen bereit ist. Ein hochangesehener Bürger tut es jedoch auch.

Japanische Beamte sind oft sehr konservativ eingestellt. Viele Beamte begegnen Ausländern mit Unsicherheit oder Misstrauen. Es nützt wenig, sie überzeugen zu wollen, dass Sie weder ein gefährliches noch ein subversives Subjekt sind. Die Unsicherheit gegenüber allem Fremden sitzt sehr tief. Die Vermittlung eines angesehenen japanischen Bürgers kann helfen, dieses Misstrauen auszuräumen. Schließlich kann ein Fremder, für den ein Japaner Fürsprache einlegt, nicht sooo verdächtig sein ... Haben Sie einen willigen Vermittler aufgestöbert, führt dieser die Verhandlung mit der Bürokratie. Ihm gegenüber kann der Beamte sich nicht ohne triftige Begründung ablehnend verhalten. Daher mag geschehen, dass er aus schierer Bequemlichkeit zu Ihren Gunsten entscheidet. Sollte sich dann -- was wir nicht hoffen -- herausstellen, dass mit Ihrer Person oder Ihrem Anliegen tatsächlich etwas faul ist, so kann der Beamte Ihren japanischen Fürsprecher zur Rechenschaft ziehen. Dieser hat die Angelegenheit wieder ins rechte Gleis zu bringen und dafür zu sorgen, dass der ausländische Missetäter sich angepasst und »ordentlich« aufführt.

Auch Japaner bedienen sich in schwierigen Fällen eines Vermittlers. Bei Problemen mit dem Finanzamt oder einem Genehmigungsverfahren setzen Unternehmen eine diskrete Fahndung in Gang, die sich auf die gesamte Führungsschicht, aber auch befreundete Manager erstreckt. Gesucht wird jemand, der einen ehemaligen Kommilitonen oder Vorgesetzten des zuständigen Beamten kennt. Dieser Kommilitone oder Vorgesetzte wird dann um Vermittlung gebeten.

Gewöhnlich führt der Vermittler lediglich ein Gespräch mit der verantwortlichen Amtsperson. Allerdings verteilt sich das Gewicht der Verhandelnden etwas anders, als es zwischen einem Vertreter der betroffenen Firma und dem Beamten der Fall wäre. Einem Vorgesetzten gegenüber zeigt sich der Beamte eher kompromissbereit als gegenüber einem auf ihn angewiesenen und ihm daher untergeordneten Antragsteller. Der Vermittler ist von ihm »nur« insofern abhängig, als bürokratische Unnachgiebigkeit ihn Gesicht verlieren lassen würde. Auch der Beamte riskiert Gesichtsverlust, wenn er einen einmal erlassenen abschlägigen Bescheid kurzerhand rückgängig macht. Deshalb wird der mit dem Vermittler ausgehandelte Kompromiss stets von den Ausgangskonditionen abweichen.

Kommt ein Kompromiss zustande, hat die betroffene Privatperson oder Firma ihn unbedingt zu akzeptieren. Andernfalls verlöre ihr Vermittler Gesicht. Da sie weiß, dass sie »mit dem Kopf durch die Wand« nichts erreichen und ohne Vermittler auf jeden Fall schlechter abschneiden würde, wird sie selten gegen den Kompromiss opponieren.

Manchen von uns mag dieser diplomatische Umweg unsinnig erscheinen. Weshalb nicht selbst mit dem Behördenvertreter reden? Schließlich gibt es ein verbrieftes Recht, auf das man sich berufen kann. Beamte müssen sich an Gesetzesvorschriften halten. Tun sie's nicht, kann der Bürger gegen die Behörde klagen, gegebenenfalls bis zum höchsten Entscheid durch das Bundesverfassungsgericht.

In Japan sind Klagen gegen Behörden so gut wie unbekannt. Zunächst verfügen japanische Amtsvertreter in der Regel über einen höheren Ermessensspielraum. Setzt ein Finanzbeamter eine Steuerschuld fest, die der Steuerzahler als überhöht empfindet, mögen seine Vorgesetzten den Feststellungsbescheid womöglich anders beurteilen, ihm aber seine grundsätzliche Kompetenz - und damit Korrektheit - zugute halten. Ein Beamter, auch ein Vorgesetzter, wird die Autorität eines Kollegen nicht angreifen. Allenfalls kann geschehen, dass ein Vorgesetzter sich für einen offenkundigen Fehler eines Untergebenen bei den Betroffenen entschuldigt und die Schuld auf sich nimmt.

Tipps für den Umgang mit Behörden

[Thomas, Gothild ; Thomas, Kristina: Reisegast in Japan. -- 2. Aufl. -- Dormagen : Iwanowski, ©1999. -- ISBN 3923975821. -- S. 249 - 252. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


2. Vorgesetzte und Manager


Den Betriebskulturen und der Entscheidungsfindung ist ein eigenes Kapitel (Kapitel 7) gewidmet. Wegen der heute so weit verbreiteten Mythen über die hohen Qualitäten der Privatwirtschaft soll hier über Manager als Nieten in Nadelstreifen gesprochen werden. Nieten in Nadelstreifen sind ein wichtiger Faktor der Kommunikationskultur: die unten genannten Eigenschaften vieler Manager machen sinnvolle Kommunikation in Betrieben oft sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. 


2.1. Zum Beispiel: Nieten in Nadelstreifen als Manager in Deutschland


Obwohl das äußerst lesenswerte Buch von Günter Ogger

Ogger, Günter <1941 - >: Nieten in Nadelstreifen : Deutschlands Manager im Zwielicht. -- Mit einem aktuellen Nachwort versehene Taschenbuchausgabe. -- München : Knaur, 1995. -- 276 S. -- (Knaur Taschenbuch ; 77136). -- ISBN 3426771365. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

in der Originalausgabe schon 1992 erschienen ist, gelten seine Beobachtungen noch heute -- wie unter anderem das Debakel bei der Deutschen Bahn AG zeigt. Man muss sich vom falschen Stereotyp "des" Managers als Niete in Nadelstreifen hüten, ebenso aber muss man sich vom Stereotyp des Managers hüten, der alles viel besser macht als z.B. Beamte. Der zweite Stereotyp ist heute der viel gefährlichere, wo man meint, alles werde viel besser, wenn man nur privatisiert, outsourcet und jungen eingebildeten Schnöseln oder alten Versagern das Sagen überlässt.

Im Folgenden einige Exzerpte aus dem Buch von Ogger:

Das Heldenimage deutscher Manager

"Sie sind tüchtig, alle Welt weiß es. Sie kommandieren die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde und beherrschen die internationalen Märkte. Sie bescherten uns einen Wohlstand, wie wir ihn nie zuvor in unserer Geschichte kannten. Sie besiegten den Kommunismus und arbeiten im deutschen Osten hart am Wirtschaftswunder, zweiter Teil.

So sehen sie sich am liebsten, die deutschen Manager. Selbstzweifel sind in ihrer Ausbildung nicht vorgesehen, und öffentliche Kritik ist selten." (S. 9)

"Gefördert wird die »Betriebsblindheit« der Wirtschaftslenker durch ihre pflegliche Behandlung in den Medien und ihre eigene publizistische Macht. Sahen sich Deutschlands Ärzte einst als millionenschwere »Halbgötter in Weiß« diffamiert, standen die Beamten als »Schlafmützen der Nation« am Pranger der Medien und die Politiker als habgierige »Diätenschneider«, so blieb den Managern ein vergleichbarer Ehrentitel bis heute versagt.

Die heile Welt der Führungskräfte ruht auf festen publizistischen Fundamenten. Sämtliche »meinungsbildenden« Medien, von der Frankfurter Allgemeinen bis hin zum Spiegel, haben die »Leitenden« im Visier. Nur wer von der Wirtschaftselite gelesen, gehört und gesehen wird, bekommt die Werbemillionen zugeschoben, die die Medienbranche zum bestverdienenden Zweig unserer Volkswirtschaft machten.

Und so pflegen sie alle das »Heldenimage« der Manager. Sieben Wirtschaftsmagazine berichten monatlich, eines gar wöchentlich aus den Chefetagen der deutschen Wirtschaft. Kaum ein Rundfunk- und Fernsehsender, der sich nicht mit regelmäßigen Börsen-, Geld- und Firmennachrichten ins Blickfeld der kaufkräftigen »Entscheider« rückt. Da ist stets »objektive Information« gefragt und keine Kritik.

Natürlich muss es, wo Helden walten, auch Verlierer geben. Doch das »Negative« ist stets der Einzelfall, nie wird die Kompetenz der Gruppe in Frage gestellt.

Großunternehmen wie Daimler, Siemens oder VW beschäftigen im eigenen Haus mehr Journalisten als die meisten Redaktionen. Und selbst mittelständische Unternehmen leisten sich heutzutage eigene Presseabteilungen oder beauftragen aushäusige Public-Relations-Agenturen mit der Pflege ihres Images.

Pausenlos spuckt diese gut geölte Propagandamaschinerie positive Informationen über Personen und Produkte aus, die ihren Niederschlag in sämtlichen gedruckten und elektronischen Medien finden, und selbstverständlich profitieren die Manager dieser Unternehmen stets auch persönlich von den günstigen Firmennachrichten, als deren Urheber sie erscheinen." [...]  (S. 20 - 21)

"Die Macht der Manager

Als der amerikanische Nationalökonom John Kenneth Galbraith (geb. 1908) in seinem Buch über Moderne Industriegesellschaft schon zu Beginn der 60er Jahre vor der totalen Herrschaft der Manager warnte, nahm ihn niemand besonders ernst. 

[Galbraith, John Kenneth <1908 - 2006 >: Die moderne Industriegesellschaft. -- München ; Zürich : Droemer/Knaur, 1968. - 464 S.  -- Originaltitel: The new industrial state]

Inzwischen ist es soweit. Überall in den modernen Volkswirtschaften hat sich das Regime der Manager etabliert, und diese haben die übrigen Mitspieler an den Entscheidungsprozessen, nämlich die Eigentümer und die Belegschaften, ins Abseits manövriert. Natürlich ist es nicht so, dass die angestellten Manager eine mafiaähnlich organisierte Kaste bildeten, die von irgendeinem Paten ferngelenkt würde. Im Gegenteil: Das Management in den modernen Industriegesellschaften gleicht eher einer »gemischten Raubtiergruppe« -- so der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Wilfried Guth [geb. 1919].

Hier kämpft zwar jeder gegen jeden, und Futterneid ist die elementare Triebkraft in der Ellenbogengesellschaft der Leistungsträger, doch wenn es um die Gesamtinteressen ihrer Kaste geht, beweisen die Führungskräfte sehr wohl einen lebendigen Korpsgeist. Je komplexer sich die Arbeitsprozesse in den modernen Volkswirtschaften gestalteten, desto wichtiger wurde im Laufe der Jahre der Produktionsfaktor »Information«, während die Bedeutung der Faktoren »Kapital« und »Arbeit« stetig abnahm. Parallel dazu verlief der Siegeszug des Managements.

Manager verfügen über alle relevanten Informationen in einem Betrieb, sie haben die totale Dispositionsgewalt. Und wie sie mit den ihnen anvertrauten Ressourcen, nämlich dem Kapital der Eigentümer und der Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter, umgingen, das diente letztlich vor allem ihren eigenen Interessen. Über die deutsche Wirtschaft herrscht das Management mittlerweile so total wie einst der Adel über seine Untertanen. Manager steuern, als Vorstände oder Geschäftsführer, nahezu alle größeren Unternehmen der Republik. Eigentümerunternehmer sind in der Großindustrie, wie in der Welt der Banken und Versicherungen, seltener als ein falscher Fuffziger in der Geldzählmaschine der Deutschen Bank.

Nun muss man dem Ende der Eigentümerära nicht unbedingt nachtrauern -- viele der Altkapitalisten vom Schlage eines Flick, Quandt, Klöckner oder Stinnes waren alles andere als liebenswerte Zeitgenossen --, doch sie hatten einen unschätzbaren Vorteil: Sie mussten mit ihrem eigenen Vermögen dafür büßen, wenn sie eine Fehlentscheidung getroffen hatten. Diese Gefahr besteht für den Manager nicht.

Versager werden geschützt

Er verfügt zwar über ungeheure Summen und vermag weitreichende Entscheidungen zu treffen, aber er haftet für gar nichts. Häufig haftet er nicht mal mit seinem Job." (S. 22 -23)

Das Beziehungsnetz

"Dieser elitäre Zirkel, eine Gruppe von kaum mehr als 200 Personen, kontrolliert heute über ein kompliziertes Netzwerk den weitaus größten Teil der deutschen Industrie mitsamt der Finanzwirtschaft.

Die Herren begegnen sich häufig, mal in den Vorständen ihrer eigenen Unternehmen und deren Tochtergesellschaften, mal in den Aufsichtsräten befreundeter Banken, Versicherungen oder Industriekonglomerate. Jedes Mitglied dieses inneren Zirkels der deutschen Wirtschaft verfügt über krakenhaft lange Arme, die in die entferntesten Winkel ihrer Imperien reichen. Ihre Macht stützt sich auf ein enges Beziehungsgeflecht aus ranggleichen und rangniederen Kollegen.

Die Ranggleichen helfen bei der Bewilligung von Großkrediten, der Besetzung von einflussreichen Ratsposten, der Anhäufung weiterer Ämter und Machtpositionen. Die Rangniederen machen sich als Informanten und Exekutoren nützlich, in der Hoffnung, dereinst mal ebenfalls in den Olymp befördert zu werden.

Eine wichtige Rolle in diesem System spielen die Assistenten. Nach dem Beispiel des legendären Deutsch-Bankiers Hermann Josef Abs [1901 - 1994; seit 1938 Vorstandsmitglied, 1957þ67 Sprecher des Vorstands, 1967þ76 Aufsichtsratsvorsitzender, seit 1976 Ehrenvorsitzender der Deutschen Bank AG], der ständig zwei bis drei Assistenten beschäftigte, die er nach spätestens zwei Jahren in irgendeinen Winkel seines Wirkungsbereichs verpflanzte, haben sich viele Konzernmogule kopfstarke Mannschaften von »Ex-Assis« verpflichtet." (S. 24 - 25)

"Zur Teamarbeit unfähig

"Nach Untersuchungen von Unternehmensberatern wie Roland Berger [Webpräsenz: http://www.rolandberger.com/. -- Zugriff am 14.12.2000; 2011-01-30] und Boston Consulting Group [Webpräsenz: http://www.bcg.com/home.asp. -- Zugriff am 14.12.2000; 2011-01-30] verwenden die deutschen Führungskräfte einen großen Teil ihrer Energie und Arbeitszeit darauf, am Stuhl ihres Vorgesetzten zu sägen und den Aufstieg gleichrangiger Kollegen zu behindern.

In der bisher wohl solidesten Untersuchung der deutschen »Managermentalität« kamen die beiden Bremer Sozialwissenschaftler Wilhelm Eberwein und Jochen Tholen zu ganz ähnlichen Ergebnissen: 

[Eberwein, Wilhelm ; Tholen, Jochen: Managermentalität : industrielle Unternehmensleitung als Beruf und Politik. -- Frankfurt am Main : Frankfurter Allgemeine, 1990. -- 346 S. -- (Blick durch die Wirtschaft, Frankfurter Zeitung). -- ISBN 3-924875-56-1]

1989 interviewten sie insgesamt 111 Manager aus 35 Unternehmen jeweils bis zu vier Stunden lang, um sie über ihre Herkunft, Ausbildung, Karrierewege, betriebliche Tätigkeit und ihr Entscheidungsverhalten auszufragen.

Bei der Analyse der Kommunikationsprozesse in den Unternehmen stellten sie als wesentlichen Störfaktor fest: »Interne Konkurrenz, die zur Monopolisierung von Informationen und Wissen führt und beispielsweise Herrschaftswissen produziert.«
Typisch war die Antwort des Personalchefs eines Stahlerzeugers: »Als allergrößtes Hindernis sehe ich eigentlich dieses Einzelkämpfertum an, das manche aus Ehrgeiz entwickeln. Und die meinen, sie müssten mit dem Ellenbogen alle beiseite schieben. Die sind auch nicht zugänglich für vernünftige und auch notwendige Formen der Kooperation und Kommunikation.«
Ein anderer der befragten Manager gestand: »Die Teamarbeit nimmt mit zunehmender Hierarchie ab, auch wenn sie vom Topmanagement postuliert wird, ... die jungen Universitätsabsolventen haben gelernt, gemeinsam ein optimales Ziel zu erreichen, ... und sie praktizieren dies anfangs auch, ... zu einem späteren Zeitpunkt lernen sie, dass offene Kommunikation nicht das alleinige ist, was sie weiterbringt ... Sie lernen sich zu verhalten wie die Spinne im Netz, sie lernen, dass man unten die Teamarbeit postulieren muss, um die Leute in Bewegung zu halten ... aber selber gegenüber den eigenen Kollegen nutzt man offene Kommunikation nur in beschränktem Maß, nämlich nur da, wo es zur eigenen Zielerreichung weiterbringt.«

Nach oben buckeln, nach unten treten, dieses alte Radfahrerprinzip beherrscht nach wie vor das Denken der Karrieremacher in den Chefetagen. Gute Ideen von Untergebenen werden entweder als die eigenen ausgegeben oder schlicht abgewürgt. Kommt der Chef hingegen mit einem noch so blödsinnigen Vorschlag, so stimmt man dem begeistert zu, auch wenn man genau weiß, dass der sich als Flop herausstellen wird." [...]

"Wie sehr die deutschen Industriebürokraten auf ihr persönliches Prestige bedacht sind, zeigt sich an dem Stolz, mit dem sie ihre Statussymbole herzeigen. So wie beim Militär der Rang eines Offiziers sofort an seinen Kragenspiegeln und Schulterstücken abgelesen werden kann, lässt sich in vielen deutschen Großunternehmen die Position einer Führungskraft am Typ seines Firmenwagens, der Lage seines Firmenparkplatzes, der Größe und Ausstattung seines Büros ablesen. Nicht selten kreist das ganze Denken und Trachten eines Managers darum, das jeweils nächsthöhere Rangabzeichen zu ergattern, bis hin zum Schlüssel für die eigene Toilette. Der Gipfel ist freilich erst erreicht, wenn der Aufsteiger nicht mehr mit der Belegschaft in der Betriebskantine sitzen muss, sondern sich im Chefkasino vom Vorstandsbutler bedienen lassen darf. »Sonnenkönig« Dieter Spethmann zum Beispiel konnte im Düsseldorfer Thyssen-Hochhaus direkt vom Empfang per Nonstop-Lift in sein Büro gelangen." (S. 124 - 125)

Woher Manager ihre Kenntnisse und Fertigkeiten beziehen: "Das Seminarunwesen

Karrierekrüppel [...] geben sich mit Begeisterung dem derzeit beliebtesten Vergnügen deutscher Manager hin: Sie lassen sich auf Firmenkosten zu Fortbildungsseminaren schicken. Es ist schon erstaunlich, womit sich die hochbezahlten Macher der deutschen Wirtschaft die Zeit vertreiben: Scharenweise pilgern sie in Benimm- und Rhetorikkurse, lassen sich mal die linke, mal die rechte Gehirnhälfte trainieren, flüchten zur Meditation in Klöster, üben fernöstliche Kampftechniken und das nackte Überleben in der Lüneburger Heide, engagieren ihren persönlichen Coach und Trendberater, lassen sich von kosmischen Strahlen den Weg nach oben weisen und sich Horoskope stellen, üben das laterale Denken und den bilateralen Geschlechtsverkehr.

Etwa 27 bis 30 Milliarden Mark geben die deutschen Firmen jährlich für die Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter aus, und über ein Fünftel davon lassen sie sich die Schulung ihrer Führungskräfte kosten. An diesem Geschäft partizipieren etwa 4000 selbständige Trainer und rund 350 Institute -- ein Riesengeschäft auch für Scharlatane und Betrüger. Zwischen 3000 und 5000 Mark am Tag kassieren die Seminarveranstalter, auch wenn sie nicht viel mehr zu bieten haben als die Weisheit der Binse." (S. 116)

Ogger nennt (1992)  dazu eine Reihe von Beispielen. Die meisten von Ogger genannten Seminarangebote für Manager gibt es 2011 noch , u.a.:

",der sich als »Weltbildkorrektor«, »Quantenforscher«, oder »Zukunftsberater« versteht. Mal predigt der rastlose Guru, der nach eigenen Angaben doppelt so schnell redet wie er denkt, den »Abschied vom Marketing«, ein andermal fordert er das »Management by love« oder er postuliert den »New Spirit«. Mindestens 5000 Mark pro Tag fordert der clevere Worthülsendreher von seinen biederen Kunden aus dem Management, die er erst mit einem Feuerwerk von Nonsenssprüchen blendet und sie dann meist ziemlich ratlos zurücklässt.

Zusammen mit der rhetorischen Vielzweckwaffe Gertrud Höhler, im Hauptberuf Literaturprofessorin in Paderborn, bildet Gerd Gerken ein karnevaleskes Zweiergespann, das die Jeckenstimmung im deutschen Management deutlicher reflektiert als alle tiefgründigen Analysen." (Ogger S. 119f.)

Wenn man sich für weitere Angebote interessiert, blicke man in das Weiterbildungsportal http://www.managerseminare.de/index.html . -- Zugriff am 2011-01-30.

Ogger folgert: "Das ganze Elend der aufstiegswütigen Betriebs- und Volkswirte wird sichtbar, wenn die weder zum Führen noch zum Geschäftemachen geborenen Angestellten treuherzig jeder noch so abstrusen Managementlehre nachlaufen, in der Hoffnung, dort endlich das Geheimnis des ewigen Erfolges zu entdecken. Keine Idee ist zu simpel, keine These zu aberwitzig, als dass sie nicht den deutschen Schmalspurkarrieristen in Massenauflage verkauft, werden könnte. Wenn sie nicht gerade »Managen wie die Wilden« -- so ein Bestseller des britischen Anthropologen Martin Page --, 

[Page, Martin: Managen wie die Wilden : Ein klug-vergnüglicher Vergleich zwischen den Stammesriten der Primitiven und dem Führungsstil unserer Wirtschaft.. -- Düsseldorf, Wien : Econ-Verlag; Wien, Hamburg : Zsolnay, 1972. -- Originaltitel.: The company savage. -- ISBN 3-430-17056-7]

dann laben sie sich an der Perfidie des »Management by Machiavelli«, 

[Jay, Antony: Management und Machiavelli : Von der Kunst, in unserer organisierten Welt oben zu bleiben. -- Düsseldorf ; Wien : Econ-Verl., 1968. -- 263 S.  -- Originaltitel: Management and Machiavelli]

verschlingen die »Spielregeln für Sieger« 

[Höhler, Gertrud: Spielregeln für Sieger. -- Düsseldorf ; Wien ; New York ; Moskau : ECON-Verl., 1991. -- 391 S. : Ill. -- ISBN 3-430-14719-0]

oder begeistern sich für die uralten Strategeme der chinesischen Heerführer. 

[Senger, Harro von <1944 - >: Strategeme : Lebens- u. Überlebenslisten d. Chinesen - die berühmten 36 Strategeme aus 3 Jahrtausenden. -- 1. Aufl.. -- Bern ; München ; Wien : Scherz, 1988. -- 445 S. -- ISBN 3-502-16673-0]

Keine Spielart der endlosen »Management by ...«-Welle ist vor ihrer unbeholfenen Adaption in deutsche Betriebe sicher, egal, ob es sich um erprobte Konzepte für Unternehmensführung handelt oder um geistlose Schlagworte aus der Mottenkiste der Bauernfänger.

Es hat schon fast etwas Rührendes, wie emsig die Deutschen jeden noch so abstrusen Gedanken aufgreifen, wenn er nur aus dem gelobten Land des Managements, den Vereinigten Staaten von Amerika, stammt. Obwohl die Amerikaner wie die sicheren Verlierer im weltweiten Wettbewerb der Industrienationen aussehen, finden ihre meist griffig formulierten, aber offensichtlich wenig wirksamen Managementrezepte noch immer Anklang bei den leitenden Angestellten in Old Germany." (S. 120f.)

[Weiterführende Ressourcen: 

Oggers Fazit:

"Doch ihre Taktik, eigene Machtinteressen hinter scheinbar objektiven Tatbeständen zu verstecken, wird immer öfter durchschaut. Schon vor Jahren entlarvte der amerikanische Organisationsexperte Henry Mintzberg die Mythen, die das Management errichtete, um sich ungehemmt an den Fleischtöpfen ihrer Unternehmen laben zu können. 

[Mintzberg, Henry: The nature of managerial work. -- Englewood Cliffs, N.J. : Prentice-Hall, ©1973. -- 217 S. : Ill. --  ISBN: 0060445564. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Entgegen diesen Mythen

Der Münchner Organisationspsychologe Lutz von Rosenstiel (geb. 1938) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn er feststellt: »Viel häufiger, als es den Topmanagern lieb ist, wird das Führungsverhalten des Chefs von seinen Mitarbeitern der zweiten und dritten Führungsebene diktiert.«

[Führungsnachwuchs im Unternehmen : Wertkonflikte zwischen Individuum und Organisation / von Lutz von Rosenstiel .... - München : Beck, 1989. - 165 S. : Ill. -- ISBN 3-406-33703-1]

Misst man die ihres Mythos entkleideten Chefs an ihren realen Arbeitsleistungen, schrumpfen sie schnell aufs bürgerliche Normalmaß zusammen. Denn vielen von ihnen geht es, meint zum Beispiel der Schweizer Psychoanalytiker Arno Gruen, gar nicht so sehr um den Erfolg ihres Unternehmens, sondern in erster Linie um die Ausübung von Macht. Gruen: »Ich habe viele dieser Menschen kennengelernt, die in einer fatalen Abhängigkeit leben: Sie wollen durch Macht und Besitz unverletzlich werden, weil sie den Schmerz und die Verzweiflung nicht ertragen können.«" (S. 217 f.)


3. Dienstboten und Gesinde



Abb.: Auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft (©IMSI)

Abb.: Katholisches Dienstbotenideal "Bet' und arbeit! Fromm, fleißig und treu, freundlich und fröhlich dabei.": Titelvignette der Zeitschrift Nothburga : Zeitschrift für Dienstboten. -- Donauwörth : Auer, 1883 (die Zeitschrift erschien von 1877 bis 1938)

In Ländern mit wenig guten Arbeitsplätzen sind Ausländer, die berufsbedingt längere Zeit im Land wohnen, wichtige Arbeitgeber. Dienstbote, Chauffeur, Gärtner u.ä. sind begehrte und für viele Einheimische sehr wichtige Arbeitsplätze. Allerdings haben Ausländer, die den Umgang mit Dienstpersonal nicht gewöhnt sind, meistens große Schwierigkeiten bis sie ihre Rolle gegenüber den Dienstboten richtig "spielen". Man muss unbedingt beachten, dass das Verhalten von Dienstboten und gegenüber Dienstboten durch kulturell genau festgelegte Rollen definiert ist. Ändert eine Seite die Rolle, führt dies zu Missverständnissen auf der anderen Seite und zu Ärger und Enttäuschung auf Seiten dessen, der die Rolle nicht richtig darstellt. So wird z.B. Jovialität, Vertraulichkeit u.ä. von Dienstboten nicht als ein Entgegenkommen interpretiert, das man durch entsprechendes eigenes Entgegenkommen belohnen soll, sondern als Schwäche, Unzivilisiertheit u.ä., die man ausnützt, belacht und verachtet. So kommt es oft, dass Ausländer, die zunächst gegenüber ihrem Dienstpersonal als große "Sozialreformer" aufgetreten sind, nach einiger Zeit aus Enttäuschung ins andere Extrem umschlagen und ihre Dienstboten inhumaner behandeln als es landesüblich ist. Merke: man kann kulturell vorgegebene soziale Rollen nur  innerhalb einer bestimmten Bandbreite modifizieren, kann sie aber nicht radikal ändern.


3.1. Zum Beispiel: Umgang mit Hausangestellten in Indonesien



Abb.: Karte von Indonesien (©MS-Encarta)

Alica Aarau, Cathie Draine und Barbara Hall geben folgende Ratschläge zu den "Höhen und Tiefen eines Lebens mit Hausangestellten":

"Die Beschäftigung von Hausangestellten stellt viele »sozial gesinnte« westliche Ausländer vor ein schwerwiegendes Problem. Die Personalkosten sind gering, die Arbeitserleichterungen beachtlich - wäre da nur nicht die psychische Hemmschwelle, andere die »niedrigen« Arbeiten verrichten zu lassen. Denkwürdigerweise hält diese erste Phase des Dienstboten-Kulturschocks nie lange an. Die besorgte Frage: »Wie können diese Leute nur von dem wenigen leben, was wir ihnen bezahlen?« verwandelt sich bald in den (unter Ausländern verbreiteten) Argwohn: »Wird das Haushaltsgeld richtig abgerechnet? Warum um Himmels willen verbrauchen wir soviel Waschmittel?« o.ä.

Wertschätzung des »Dienens« in Indonesien

Sie werden insbesondere in Java auf eine soziale Dienstleistungskultur stoßen, bei der sich die komplementären Seiten Diener/Bediente sehr wohl miteinander eingerichtet zu haben scheinen. Wir wollen gar nicht so weit gehen, die »soziale Akzeptanz« des Dienens auf die überkommene »feudale« Struktur der indischen Königreiche zurückzuführen, wie dies manche Völkerkundler und Soziologen tun; es stellt gemeinhin eine Tatsache dar, dass sich in Zentral-Java ganze Dörfer als Hausangestellte verdingen. Die Familien der Hausangestellten waren traditionell über Generationen hinweg mit den Familien der jeweils »Bedienten« verbunden. Der sehr niedrige Lohn wurde so in gewisser Weise durch eine lebenslange Versorgungsgarantie verbessert.

Da der Ausländer meistens nur kürzere Zeit in Indonesien verweilt, ist er bereit, höhere Löhne zu zahlen und während der Beschäftigung zudem für Kost, Logis und medizinische Versorgung aufzukommen.

Auf anderen Inseln als Java und bei anderen Volksstämmen bildet der Dienstbotenkontrakt manchmal auch Teil der Familienstruktur: Reiche Verwandte beschäftigen ärmere und bieten als Entgelt Essen, Wohnung, Schulausbildung der Kinder und Gesundheitsfürsorge.

Einstellung von Dienstboten.

Obwohl Indonesien mitunter als industrielles Schwellenland bezeichnet wird, weist es doch noch wesentliche Merkmale eines sogenannten Entwicklungslandes auf, zum Beispiel Slum- und Squattergebiete und eine teilweise verelendete ländliche Bevölkerung. Daraus ergibt sich ein reichhaltiges Arbeitskräfteangebot für den einfachen Dienstleistungsbereich, zu dem auch Haushaltstätigkeiten zählen.

Sie werden sich, kaum in Indonesien eingetroffen, einer Warteschlange von Jobanwärtern gegenübersehen. Verlassen Sie sich bei Ihrer Entscheidung auch auf die Erfahrungen (und möglicherweise auch personellen Empfehlungen) anderer Ausländer.
Es haben sich informelle Gruppen von Hausangestellten zusammengefunden (vielleicht aus der gleichen Region), die sich wiederum bestimmten Gruppen von Ausländern »andienen« -- Angehörigen einer bestimmten Botschaft, eines Konzerns, Ölexperten usw.

Zu den Mindesterwartungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen für Hausangestellte zählen: 

Wenn Sie eine Haushaltskraft einstellen wollen, gilt üblicherweise der erste Monat als Probezeit. Sind nach Ablauf dieser Zeit beide Seiten miteinander zufrieden, wird der Lohn meistens etwas angehoben, eine ärztliche Untersuchung durchgeführt und der erste Satz Arbeitskleidung übergeben. Dies gilt als Besiegelung des Arbeitsverhältnisses.

Lohn

In der traditionellen indonesischen Gesellschaft bedeutete Arbeitslohn kein »Privat-Einkommen. Zwar besaß jeder Verdienende Anspruch auf Kostenersatz für Reis und Mahlzeiten und Verkehrsmittel, aber darüber hinaus galt sein Einkommen als Familieneigentum (gaji).

Heute hat sich diese Eigenart insofern geändert, als alle jungen Verdienenden ihr Geld bis zur Hochzeit der Familie zur Verfügung stellen, danach aber pro forma finanziell unabhängig sind -- mit der kleinen Einschränkung, dass sie von anderen Familienmitgliedern »angepumpt« werden, ohne ablehnen zu können. Die soziale familiäre Verteilung des persönlichen Einkommens dient wichtigen Aufgaben: Schulgebühren, Gesundheitskosten, Hochzeits- oder Bestattungsfeiern (und den sonstigen Festen und Feiern im Lebensablauf) und natürlich den Grundkosten für das Leben. Eine etwas ungewöhnliche Art, »Sonderfinanzierungsquellen« für die Familie anzuzapfen, ist das »Anpumpen« von Arbeitgebern. Es kann Ihnen widerfahren, dass eine Hausangestellte, kaum hat sie ihre Stelle angetreten, sich Geld leihen will. Geraten Sie nicht in Panik. Lernen Sie vielmehr aus der folgenden Anekdote: Eine Wäscherin erfuhr, dass ihr im Heimatdorf lebendes Kind erkrankt war. Sie bat um Urlaub und ein Darlehen in Höhe eines Monatslohns. Anstatt ärgerlich zu werden und ihr Geldverschwendung vorzuwerfen (beide Reaktionen wären für Indonesier im übrigen völlig unbegreiflich), erkundigte sich die nyonya, die Gebieterin des Hauses, teilnahmsvoll nach dem Zustand des kranken Kindes. War es schon beim Arzt gewesen? Welche Diagnose hatte man gestellt? Alsdann erklärte die nyonya ihre Bereitschaft, einen halben Monatslohn als Vorschuss, nicht aber als Darlehen zu zahlen. Ihre Hausangestellte erklärte, sie werde wohl auch für Medikamente sorgen müssen. Daraufhin meinte die nyonya, dass das Geld, das sie womöglich doch nicht für diesen Zweck verwenden müsste, ihre Familie im Dorf verleiten könnte, andere Ansprüche zu stellen, so dass sie schließlich ohne einen Pfennig in der Tasche zurückkäme. Die Haushaltshilfe war erleichtert. Nun konnte sie ihrer Familie ohne Bedenken mitteilen, dass ihre finanziellen Möglichkeiten begrenzt waren, und zwar nicht deshalb, weil sie nichts zu geben bereit war, sondern aufgrund der Entscheidung der nyonya (die zugleich ihr Entgegenkommen bewiesen hatte).

Selbstverständlich steht es jedem Arbeitgeber frei, finanzielle Ansinnen solcher Art abzulehnen. Aber dies würde als brüsk und wider den Geist der sozialen Oberflächen-Harmonie und der patriarchalischen Verantwortung gerichtet gelten. Schließen Sie einen Kompromiss. Im Westen läuft die »protestantische Ethik« (frei nach Max Weber) darauf hinaus, den einzelnen anzuleiten, sorgsam und sparsam mit Geld umzugehen und Schulden zu vermeiden. In diesem Sinne versuchen manche Ausländer, Sparkonten für ihre Hausangestellten einzurichten -- mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Setzen Sie auf jeden Fall die » Spielregeln« für Ihr hausinternes Bankgeschäft selbst fest. Führen Sie sorgfältig Buch, man wird es Ihnen nicht verargen. Darlehensrückzahlungen ziehen sich meist sehr lange hin, weil sie dem geringen Lohn angepasst sind. Bestimmen Sie eher den Zeitrahmen der Rückzahlung als die Höhe der Raten.

Das hausinterne »Betriebsklima«

Sie erwarten mit Fug und Recht, dass ein Gärtner Gras schneiden und eine Wäscherin waschen und bügeln kann. Wichtiger aber noch ist das »Betriebsklima«. Höchstes Ziel ist die Zufriedenheit aller (insbesondere Ihrer eigenen -- asal bapak senang).

Appellieren Sie an den Geist des cocok (des gemeinschaftlichen Lebens und Einfügens in die Gruppe), und wünschen Sie sich ein harmonisches Arbeitsteam (rukan), selbst wenn dies Ihrer individualistischen westlichen Vorstellung nicht entsprechen sollte. Bei Unzufriedenheit können Sie mit ein gewichtigen und sozial anerkannten Argument tidak cocok (»er/sie hat sich nicht in die Gemeinschaft eingefügt«) ein Arbeitsverhältnis lösen.

Von Ihnen als Arbeitgeber/in (tuan oder nyonya) erwarten die Hausangestellten eine »Richtlinienkompetenz«, eine kontrollierende Verantwortung, die sich allerdings nicht rücksichtslos autoritär äußern darf.

»Pflichtbewusstsein«

Unser zerteiltes soziales Sein (Arbeit hier, Privatleben dort) hat eine rigide Vorstellung von Arbeitseinsatz hervorgebracht. Vom Lohnabhängigen in einem freiwirtschaftlichen Betrieb wird während der Arbeitszeit erwartet, dass der Kopf raucht und der Körper dampft.

In Indonesien sind Hausangestellte im umfassenden Sinne engagiert: als materielle Hilfen und ideelle Gefährten in der Hausgemeinschaft. Dies erklärt vielleicht, weshalb sie sich nicht dem strengen Arbeitszeit = Arbeitsleistung(s)-Prinzip unterwerfen wollen.

Ihr Zornausbruch beim Anblick des Gärtners, der gerade seine zweite Morgenteepause einlegt oder nachmittags am Tor Karten spielt, wird auf Unverständnis und daher auch auf taube Ohren stoßen. Ebenso verhält es sich bei den Routinearbeiten. Sobald die alltäglichen Pflichten erledigt sind und Sie nicht ausdrücklich auf eine neue Aufgabe hinweisen, werden Ihre Haushaltshilfen die Arbeit als beendet ansehen. Der Nietzsche-Spruch »Wir sind nicht geboren, um glücklich zu sein, sondern um unsere (verdammte) Pflicht zu tun!« (freies Zitat) oder die philosophische Erkenntnis »Arbeit macht das Leben süß« oder die schwäbische Lebensweisheit »Schaffe, schaffe, Häusle baue, Hund verkaufe, selber belle!« sind glücklicherweise noch nicht bis Indonesien vorgedrungen.

Hinweise für die Beschäftigung von Hausangestellten

[Aarau, Alice ; Draine, Cathie ; Hall, Barbara: Reisegast in Indonesien. -- Dormagen : Iwanowski, ©1994. -- ISBN 3923975732. -- S. 190 - 195. -- [nicht nur für Ausländer, die längere Zeit in Indonesien leben wollen , eine Pflichtlektüre, die man im Gepäck haben sollte!] {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


Zu Kapitel 5, Teil IV: Lebensstile