Internationale Kommunikationskulturen

12. Kulturelle Faktoren: Zeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit

2. Günstige und ungünstige Zeiten, Astrologie, Biorhythmik


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 12. Kulturelle Faktoren: Zeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit. -- 2. Günstige und ungünstige Zeiten, Astrologie, Biorhythmik. -- Fassung vom 2008-05-27 -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur122.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-06-26

Überarbeitungen: 2008-05-27

Anlass: Lehrveranstaltung, HdM Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Herausgeberin.

Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Einleitung



Abb.: Astronomisch-astrologische Kalenderuhr, vermutlich Kloster St. Peter, Schwarzwald, 1760/1770, Höhe 46 cm. (Deutsches Uhrenmuseum, Furtwangen [Webpräsenz: http://www.deutsches-uhrenmuseum.de/. -- Zugriff am 2001-06-07])
Die Uhr zeigt neben der Zeit Mondphasen, Mondalter und Planetenkonstellationen. 

Wenn der Kommunikationspartner an günstige und ungünstige Zeiten glaubt, kann dies unter Umständen verheerende Folgen haben. Besonders gefährlich sind aufgrund solchen Glaubens vorhandene, aber nicht offen geäußerte Erwartungen: sie können zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen führen: wenn ich z.B. aufgrund des Geburtsdatums meines Gegenübers erwarte, dass dieser ein unzuverlässiger liederlicher Mensch ist, werde ich zunächst vor allem all seine -- gewiss auch vorhandenen -- liederlichen Seiten wahrnehmen, werde alles möglichst als Ausdruck seiner Liederlichkeit interpretieren und mich entsprechend verhalten, und es wird unter Umständen schließlich dazu führen, dass mein Gegenüber selbst an seine "natürliche" Liederlichkeit glaubt und sich entsprechend verhält. Deshalb ist es wichtig, sensibel zu sein für etwaigen solchen Glauben bei Kommunikationspartnern. Aus diesem Grund gehe ich in diesem Skript so ausführlich auf angeblich günstige und ungünstige Zeiten sowie Astrologie und Biorhythmik ein. Um die Sicht der "Gläubigen" möglichst zu Wort kommen zu lassen, zitiere ich ausführlich aus Schriften von Anhängern solcher Ansichten. Aus Platzgründen ist diese Auswahl notgedrungen einseitig.


2. Astrologie



Abb.: Geburtshoroskop

[Quelle der Abb.: Die Geheimnisvolle Welt der Astrologie. -- Hamburg : Interpress, 1999. -- Bl. 10]

"Ich sage drittens: Da alles, was von den Vorbedeutungen der Kometen vorgegeben wird, auf die erdichteten Sätze der Astrologie hinausläuft, so kann es nicht anders als sehr lächerlich herauskommen. Denn nichts ist abgeschmackter, nichts ist einem Hirngespinst ähnlicher als die Sterndeuterkunst, nichts ist menschlicher Natur schimpflicher als dieselbe. Den Menschen zur Schande muss man es in alle Ewigkeit nachsagen, dass es solche Betrüger gegeben hat, die andere unter dem Vorwand, sie verstünden sich auf himmlische Sachen, schändlich hintergingen, und dass es allemal Narren gegeben hat, die auf jene ein so großes Vertrauen gesetzt, dass sie die Astrologie als eine Ehrenstelle zu vergeben angefangen haben und sich 
nicht getraut haben, ein neues Kleid anzulegen oder einen Baum zu pflanzen, wenn es der Herr Sterngucker nicht für gut befunden."

[Bayle, Pierre <1647 - 1706>: Verschiedene einem Doktor der Sorbonne mitgeteilte Gedanken über den Kometen, der im Monat Dezember 1680 erschienen ist. -- Hamburg : Faber, 1741. -- Originaltitel: Pensées diverses, écrites à un docteur de Sorbonne, à l'occasion de la comète qui parut au mois de décembre 1680 (1683). -- In: Philosophie von Platon bis Nietzsche. -- Berlin : Directmedia, 1998. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; Bd. 2). -- ISBN 3932544110. -- S. 19936. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]

Kalender und Zeiten sind oft eng mit Astrologie verknüpft. Deshalb einige Worte zu Astrologie.

Der Deutsche Astrologenverband e.V. definiert in einem 1983 erstmals erschienen Grundsatzpapier astrologischer Vereinigungen Astrologie bzw. Horoskop folgendermaßen:

"These 1: Astrologie ist die älteste Typologie der Menschheit und damit älteste Lehre von den Erscheinungsformen körperlicher, seelischer und geistiger Beschaffenheit des Menschen. Sie ist die Deutung räumlicher Verhältnisse und zeitlicher Abläufe in unserem Sonnensystem, d.h. sie ist das einzige Wissensgebiet, das sich der Bewegung der Planeten und Bezugspunkte unseres Sonnensystems bedient, um das Wesensgefüge eines Menschen zu erfassen. Ein für Astrologen bedeutsamer Zeitpunkt ist der Augenblick, in dem ein Prozess seinen Anfang nimmt; für das eigenständige menschliche Leben ist dies der Geburtsmoment. Die Struktur der kosmischen Situation dieses Moments spiegelt die Struktur des hier beginnenden Ablaufs als Ganzheit.


These 6: Das Horoskop, auch Kosmogramm oder Geburtsbild genannt, ist die graphische Darstellung der Konstellation der Gestirne unseres Sonnensystems für den Moment der Geburt eines Menschen. Es zeigt die Konstellation so, wie sie sich einem Beobachter vom Standpunkt des Geburtsortes aus darstellt. Aus diesem Grunde ist das Horoskop geozentrisch berechnet. Der Tierkreis ist für den Astrologen ein Meßkreis. ..."

[Quelle: http://www.dav-astrologie.de/dav/these.htm. -- Zugriff am 2001-05-24]

Astrologie ist weltweit sehr verbreitet:

z.B. im Familienleben: In vielen asiatischen Gesellschaften wird der Termin für die Hochzeit von Astrologen festgelegt - nachdem die Astrologen vorher überprüft haben, ob die Ehepartner zueinanderpassen. Daher findet die eigentliche Hochzeitszeremonie unter Umständen zu erstaunlichen Tageszeiten statt. Unter Umständen müssen die Brautleute sehr lange warten bis ein günstiger Termin gefunden wird. So musste der Kronprinz von Sikkim Thondup Namgyal auf Rat der Hofastrologen ein Jahr warten, bis er Hope Cook aus New York heiraten durfte.

z.B. in der Politik: 1988 wurde bekannt, dass Nancy, die Frau des amerikanischen Präsidenten Reagan (geb. 1911, Präsident von 1981 - 1989), den dienstlichen Terminkalender ihres Mannes aufgrund astrologischer Voraussagen ändern ließ. Frau Reagans Astrologin erstellte z.B. vor einem Gipfeltreffen mit Michail Gorbatschow ein Horoskop von diesem, wahrscheinlich zur besseren Vorbereitung des Gespräches mit den mächtigsten Führern der damaligen Welt. Leitartikelschreiber und viele bekannte Persönlichkeiten waren entrüstet oder verspotteten das Präsidentenehepaar. Allerdings fanden nicht alle Amerikaner das erstaunlich und um diese Anhänger der Astrologie nicht vor den Kopf zu stoßen - es sind schließlich Wähler - weigerte sich der Präsident sich öffentlich von dem Vorgehen seiner Frau zu distanzieren. Seine Ausrede war, dass er nicht genügend über das Thema wisse, um darüber urteilen zu können.

Eine Umfrage von 1998 ergab z.B. für Deutschland, dass etwa 35 % einen Einfluss der Sternzeichen zumindest für wahrscheinlich halten. Erstaunlich bei dieser Umfrage ist das Ergebnis, dass ehemals kommunistische Länder stärker an den Einfluss von Astrologie glauben als westlich ausgerichtete Länder.


Abb.: Hat das Sternzeichen Einfluss auf den Verlauf des Lebens?. -- Umfrageergebnisse zu dieser Frage, 1998

[Quelle der Abb.: Tügel, Hanne: Mythos und Macht der Sterne. -- In: Geo. -- ISSN 9342-8311. -- 5 (2001-05). -- S. 122]

Bei der Festlegung des Unabhängigkeitstages für Indien und Pakistan dachte der letzte Vizekönig von Indien, Mountbatten, nicht daran, die Astrologen zu befragen. Nachdem er den 15. August 1947 öffentlich verkündigt hatte, gab es von Sterndeutern in ganz Indien Protest, denn der 15. August wurde als besonders unheilvoll angesehen. Einer der Astrologen schrieb an den Vizekönig: "Geben Sie aus Liebe zu Gott Indien seine Unabhängigkeit nicht am 15. August. Wenn danach Überschwemmungen, Dürre, Hungersnot und Massaker folgen, dann deshalb, weil das freie Indien an einem Tag geboren wurde, der unter dem Fluch der Sterne stand." Und andere erklärten den Tag als so unheilsvoll, "daß Indien besser daran täte, die Briten noch einen weiteren Tag zu ertragen, als die ewige Verdammnis zu riskieren." [zitiert nach: Collins, Larry; Dominique Lapierre: Um Mitternacht die Freiheit : Indiens dramatischer Weg in die Unabhängigkeit. - Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1978. - 503 S. - Einheitssacht.: Cette nuit la liberté <dt.>. - ISBN 3-499-17179-1. - S. 184f.]

Da für den 14. August eine sehr viel günstigere Konstellation der Gestirne angesagt war, schlugen die indischen Politiker den 14. August vor. Man beschloss den Termin der Unabhängigkeit mit dem Schlagen der Mitternachtsstunde festzulegen. Diese Schläge um 12 Uhr nachts gelten noch als zum vorherigen Tag gehörig. [vgl. Collins. - S. 213]

Durch die Teilung des alten Indien in Indien und Pakistan kamen Hunderttausende von Menschen in schlimmen Massakern zu Tode. 

Eine große Rolle spielt noch heute die Astrologie in Thailand, wie man u.a. an der einschlägigen reichhaltigen Literatur sehen kann.


Abb.: Thai Wahrsagebuch, 625 S. stark

Selbst in der Weltstadt Bangkok lassen leitende Angestellte Astrologen befragen, bevor sie für ihre Firma eine wichtige Entscheidung treffen. Z.B. wurde für die Eröffnung der ersten Abfüllanlage von Coca-Cola der richtige Zeitpunkt, den die Sterne diktierten, abgewartet. Wenn der Rat der Astrologen nicht angenommen wird, weigern sich die buddhistischen Mönche, die traditionell zu Firmeneröffnungen eingeladen werden, den Segen zu sprechen. Das hat dann zur Folge, dass niemand die Produkte der Firma kaufen will.


Abb.: Niemand in Thailand wird diese Colas trinken, wenn die Firma nicht von Mönchen eingeweiht wurde. Kein Mönch wird einweihen, wenn das Horoskop nicht günstig ist (©Corbis)

"Im Abendland hatte die Aufklärung im 18. Jahrhundert zum Niedergang der Astrologie und zur Eindämmung des Glaubens an Zauberei, Hexerei und andere okkulte Praktiken geführt. Doch zum Kummer vieler Wissenschaftler und anderer Anhänger der reinen Vernunft erlebte die Astrologie im 20. Jahrhundert ein Comeback. 

Mehr als 10 000 Berufsastrologen üben ihre Kunst allein in den Vereinigten Staaten aus, und ihre Anhänger zählen etwa 50 Millionen mit zunehmender Tendenz: Einer Meinungsumfrage von 1987 zufolge glaubte mehr als die Hälfte der Amerikaner im Alter von 13 bis 18 Jahren an Astrologie. 92 Prozent der amerikanischen Tageszeitungen veröffentlichten 1988 Horoskope; neun Jahre zuvor waren es nur 78 Prozent gewesen. Die Horoskopspalten gehören zu den meistgelesenen Beiträgen der Zeitung, selbst wenn seriöse Astrologen sie als oberflächlich und wertlos abtun.

In der gesamten westlichen Welt kommt Schätzungen zufolge auf 10 000 Menschen einer, der ein astrologisches Studium betreibt oder Astrologie als Beruf ausübt -- der gleiche Prozentsatz, der an Psychologie Interesse hat. In den westlichen Sprachen gibt es etwa 1000 seriöse astrologische Werke -- ungefähr ebensoviel wie über Astronomie.

Solche Zahlen belegen nur, dass die Astrologie seit einigen Jahren im Leben vieler Amerikaner und Europäer eine wichtige Rolle spielt und ihre Bedeutung weit über das Horoskop in der Zeitung hinausgeht, das in der Hoffnung auf günstige Aussichten im Privat- und Berufsleben gründlich studiert wird. 

Im Gegensatz zu östlichen Astrologen, die sich fast ausschließlich mit der Zukunftsvorhersage befassen, liegt der Schwerpunkt im Westen auf psychologischem Rat auf der Grundlage dessen, was die Sterne und Planeten über den Charakter und die Persönlichkeit eines Kunden aussagen. 

Doch das Schicksal wird nicht außer acht gelassen. jeder Leser von Illustrierten weiß, dass viele reiche Filmstars bei Geschäften oder in Liebesangelegenheiten ihre Astrologen befragen. Schon weniger wird über die hochkarätigen Finanzspekulanten berichtet, die ihren astrologischen Berater ebenso oft wie ihren Marktanalytiker anrufen. «Millionäre nehmen sich keinen Astrologen», soll der Industriemagnat J. P Morgan gesagt haben, «doch Milliardäre schon.» Aktienmarktvorhersagen von Finanzastrologen stoßen in der Wall Street auf Interesse und können ihren Urhebern ein sechsstelliges Jahreseinkommen einbringen.

Astrologische Berater sind auch auf einem so begrenzten Gebiet wie dem Häuser- und Grundstücksmarkt erfolgreich. «Wenn Sie verkaufen, wenn Merkur rückläufig ist, wird der Vertrag platzen oder sich verzögern», warnte ein Berater in Los Angeles seine Kundin zu Beginn des Jahres 1986. So wartete die Hausbesitzerin einen Monat, bis sich der Planet wieder vorwärts bewegte, bevor sie eines Morgens ihr Schild «Zu Verkaufen» aufstellte. Schon am selben Abend war das Haus verkauft - für 5000 Dollar mehr, als die ehemalige Besitzerin zu erzielen gehofft hatte.

Somit dient die Astrologie -- die man je nach Standpunkt als Kunst, Wissenschaft, Sprache, System, Philosophie und Betrug beschrieben hat -- als Instrument in Tätigkeitsbereichen, die erst in der modernen Zeit entstanden sind."

[Die Astrologie / von der Redaktion der Time-Life Bücher. -- Amsterdam : Time-Life, ©1989. -- (Geheimnisse des Unbekannten). -- ISBN 90-6182-999-2. -- S.6 - 7]

Während bei uns wohl die von den professionellen Astrologen so genannte "Vulgärastrologie" am beliebtesten ist, ist in Asien die professionelle Astrologie ein fester Bestandteil des Lebens: z.B. werden Stellenbewerber nach ihrem von Astrologen erstellten Horoskop ausgewählt, für wichtige geschäftliche Ereignisse wird der Zeitpunkt von Astrologen ausgesucht usw. Astrologische "Gutachten" beschränken sich dort leider nicht nur auf Banalitäten ("Sie werden jemand Unangenehmen begegnen"), sondern können ganze Lebensläufe ruinieren. Ich habe selbst in Thailand erlebt wie Astrologen Menschen zum psychischen Zusammenbruch bringen können. Demgegenüber ist unsere Vulgärastrologie eher harmlos:

"Der überwiegende Teil der Bevölkerung denkt dabei aber nur an die Horoskopspalten in der »Regenbogen-Presse«, eine Erscheinung, die Astrologen Vulgärastrologie nennen? Die Horoskopspalten gehören zu den meistgelesenen Rubriken vieler Zeitschriften, und wenn eine Redaktion versucht, diese Rubrik zu streichen, hagelt es Leserproteste. Diese Leser stören sich scheinbar nicht an der offensichtlich unsinnigen Vorstellung, an einem bestimmten Tag könnte für alle Angehörigen eines bestimmten »Sternzeichens«, also für ein Zwölftel aller Menschen (!), »ein Brief eine gute Nachricht« enthalten oder eine »Gefahr (bestehen), wenn eine Reise vor dem 20. April angetreten wird«."

[Niehenke, Peter <1949 - >: Astrologie : eine Einführung. -- Leipzig : Reclam, 2000 (©1994). -- (Reclam-Bibliothek ; 1705). -- ISBN 3379017051. -- S. 11. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]

Peter Niehenke unterscheidet folgende Auffassungen über die Natur astrologischer Aussagen:

"Die Auffassungen zur Frage der Natur der astrologischen Aussagen sollen in vier Gruppen zusammengefasst werden, die Stufen der »Rigidität« der Forderung nach Objektivierbarkeit des behaupteten Wissens repräsentieren:

  1. Esoterische Astrologie: Astrologisches Wissen ist Offenbarungswissen. »Die Esoteriker erblicken in der überlieferten astrologischen Lehre eine von göttlichen Wesen oder erhabenen Denkern, wie Hermes Trismegistos, geoffenbarte kosmische Philosophie, die nur von Eingeweihten subjektiv nacherlebt und verstanden werden kann.« (Knappich, 1967, S. 309.)
  2. Symbolische Astrologie: Die in dieser Arbeit dargestellte Astrologie gehört hierher. Es wird ein Deutungssystem vorausgesetzt, innerhalb dessen den verschiedenen astronomischen Gegebenheiten (den Planeten und deren Konstellationen, bestimmten Abschnitten des Raumes) eine symbolische Bedeutung zugeschrieben wird. Die Symbole repräsentieren grundlegende (prinzipielle, elementare) Strukturen, die Materielles, Seelisches und Geistiges gleichermaßen umfassen.
  3. »Astrologie als Erfahrungswissenschaft«: Astrologische Aussagen beruhen auf aus Beobachtungen abgeleiteten Regeln (etwa wie Regeln des richtigen Anbaus von Wein) über systematisch auftretende Koinzidenzen zwischen Himmelserscheinungen und Abläufen auf der Erde.` Diese Beobachtungen führten zur Aufstellung eines Systems, welches in Form von Metaphern und Allegorien tradiert wurde und wird.
  4. Astrologie als »Naturwissenschaft«: Bei den Regeln der Astrologie handelt es sich um die Beschreibung von Wirkungen der Planeten auf Organismen analog anderen bekannten energieschwachen physikalischen Wirkungen - so z. B. die sehr schwache und doch, aufgrund der »Sensibilität« des Radios, sehr effiziente Wirkung der Radiowellen, die ein Sender aussendet, auf das empfangende Radio. Die genaue Form dieser Wirkungen ist derzeit noch nicht bekannt und deshalb nur in Form von Metaphern formulierbar.

Die Symbolische Astrologie und die Auffassung von Astrologie als einer Erfahrungswissenschaft wird von Astrologen häufig nicht auseinander gehalten. Es ist aber notwendig, eine Trennung vorzunehmen: Die symbolische Astrologie lässt, streng genommen, nur »Erweiterungen« (oder »Umformulierungen«) der Bedeutung ihrer Elemente zu, keine völlige »Umdefinition«. Dies war auch die Haltung des großen Astrologen dieses Jahrhunderts im deutschen Sprachraum, Thomas Ring: »Eine neue Regel in der Astrologie wird zugelassen, wenn sie denknotwendig ist und sich in der Erfahrung bewährt hat.« Eine an »Sammlung von Beobachtungen« orientierte Astrologie ist dagegen jederzeit in der Lage, bei Vorliegen neuer Fakten die bisherigen Regeln (gegebenenfalls vollständig) zu ändern. Dies ist auch der Weg der sogenannten »Neo-Astrologie«.

Auch die Auffassungen von Astrologie als Erfahrungswissenschaft einerseits, Naturwissenschaft andererseits werden oft nicht auseinander gehalten. Die dritte Auffassung ist jedoch nicht festgelegt, was das zugrundeliegende »Weltbild« angeht; der Begriff der Erfahrung ist dort weiter auszulegen.

Schließlich gehen auch die Esoterische und die Symbolische Astrologie in der Argumentation von Astrologen häufig ineinander über. Die einzelnen Auffassungen müssen aber wegen der Konsequenzen für eine mögliche Prüfung - vor dem Hintergrund der Angemessenheit der Methode - unterschieden werden."

[Niehenke, Peter <1949 - >: Astrologie : eine Einführung. -- Leipzig : Reclam, 2000 (©1994). -- (Reclam-Bibliothek ; 1705). -- ISBN 3379017051. -- S. 226 - 228. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]


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2.1. Mundanastrologie



Abb.: Arnold, Karl: Gottvertrauen. -- In: Simplicissimus. -- 1919
"Halb sechs -- sie muss kommen, die Weltrevolution!"

"Ein Sorgenkind der modernen Astrologie ist die Mundanastrologie, die die generellen kosmisch-irdischen Beziehungen im Weltall (mundus) erfassen und deuten will. Was hierin in rein physikalischer Weise kausal-mechanisch erklärt werden kann, also etwaige kosmische Einflüsse auf Wetter, Klima, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Seuchen etc., gehört wohl mehr zur exakten Wissenschaft und soll aus der Mundanastrologie ausgeschieden werden. Es bleibt da nur die eigentliche politisch-wirtschaftliche Astrologie, bei der es sich vorwiegend um nicht kausale Korrelationen handelt. Obwohl diese politische Astrologie rund 1000 Jahre älter als die Geburtsastrologie ist, lässt sich hier kaum ein Fortschritt feststellen. Sie wird noch immer nach den von Ptolemaeus festgesetzten Grundsätzen und gemäß seiner astrologischen Geographie ausgeübt, die durch die Entdeckung neuer Erdteile und die politischen Umwälzungen der Neuzeit längst überholt ist.

In einer Studie «Die Organik des Völkerlebens im Blickpunkt der Astrologie» (Jahrbuch für K. F. Bd. 1) hat Thomas Ring versucht, die Mundanastrologie aus der «Starrheit ihrer Regeln» herauszuheben und neue Wege aufzuzeigen. Ring unterscheidet zwischen dem Lebensverband, der durch langwährende Zusammengehörigkeit die Seele eines Volkes formt und der Konsolidierung dieses Verbandes in äußeren Formen. Der erstere, also kurz der Nationalcharakter, soll aus den Typen des Tierkreises entnommen werden, da die Sonnenfunktionalität ihn im wesentlichen geschaffen hat. Für die äußere Form des Verbandes, also der Verfassung und Organisation, kommt das Staatshoroskop in Betracht. Im Einzelnen kommt aber Ring nicht viel weiter als Ptolemaeus und die englischen Astrologen, die auch heute noch England und Deutschland dem Widder, Frankreich dem Löwen und Spanien dem Schützen etc., wie Ptolemaeus, zuordnen.

Das Problem der Zuordnung der Staaten zu den Zeichen des Tierkreises oder sonstigen kosmischen Faktoren ist noch immer das schwierigste Problem der Mundanastrologie, schon deshalb, weil sich die politische Bedeutung und der Umfang der Länder unter dem Einflusse politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen ebenso ändern wie der Charakter einer Nation. Schon früher haben englische und byzantinische Astrologen versucht, den bewohnten Erdkreis in Dreistundenzonen astrologisch neu aufzuteilen.

Einen neuen, aber allzu einfachen Versuch der geographischen Zuordnung der Zeichen hat der englische Astrologe Sepharial [1864 - 1929]  in seiner Schrift «The theory of geodetic equivalents» 1920 gemacht. 

[Sepharial [= Old, Walter Gorn] <1864 - 1929>: The theory of geodetic equivalents in relation to mundane astrology. -- London : Foulsham, [1925]. -- 61 S.]

Ausgehend vom Meridian von Greenwich lässt er die 360 Längengrade der Erdkugel mit den 360 Graden der Ekliptik koinzidieren, so dass also zu einem Ort mit 10° östlicher Länge von Greenwich ein Meridian bzw. das MC eines zu berechnenden Ortshoroskops in 10° Widder anzusetzen wäre. Liegt der Ort etwa 35° westlich von Greenwich, so wäre sein«Meridiane» 360°-35° = 325° oder in 25° Wassermann.

Zu diesen Meridianen ist nun trigonometrisch oder auf Grund einer Häusertafel der seiner geographischen Breite entsprechende Aszendent herauszusuchen. Sepharial hat im 1. Buche bereits für eine große Anzahl von Städten die zugehörigen Eckpunkte MC und As berechnet, die den Rahmen für ein Städtehoroskop geben, mit dem man bedeutsame Konstellationen, Finsternisse etc. lokalisieren kann.

Staatshoroskope waren zwar schon den Arabern bekannt, wurden aber erst von englischen Astrologen zu politisch-prognostischen Zwecken benützt. Auch hier ist es ein Problem, den richtigen Zeitpunkt der Gründung (Erster Plan, Abstimmung in einem Senat, öffentliche Proklamation) zu erkennen. Im übrigen werden diese Staatshoroskope in voller Analogie zu den Geburtshoroskopen berechnet und gedeutet (so bedeutet das Haus II die Finanzpolitik, VII die auswärtige Politik etc.).

Daneben werden auch Quartalhoroskope (Eintritt der Sonne in ein Kardinalzeichen) und Lunationshoroskope aufgestellt, doch hat sich, wie H. Schwarz demonstriert hat, gezeigt, dass z. B. die Horoskope für London, Berlin, Paris, Rom und Wien so geringe Differenzen aufweisen, dass zumindest für die europäische Politik nichts Wesentliches ausgesagt werden kann.

Die Finsternisse können einigermaßen dadurch lokalisiert werden, dass man berechnet, wann die für den Meridian von Greenwich berechneten Phasen in einer bestimmten Stadt gerade kulminieren, auf- oder untergehen. Manche Leute meinen, dass im Zeitalter der Demokratie die Horoskope von Regenten nicht viel besagen werden, indessen haben die letzten 30 Jahre genugsam gezeigt, welch ungeheure Machtmittel oft in die Hände eines vom Massenwahn gehobenen Staatsführers gelegt wurden und wie sehr seine persönlichen Anlagen und seine bio-psychische Konstitution Wohl und Wehe eines Staates beeinflussen können.

Die von Ptolemaeus nicht behandelte Lehre von den großen Konjunktionen und vom Umlauf der Weltenjahre, die in der arabischen und mittelalterlichen Astrologie eine große Rolle spielte, wurde in neuerer Zeit (insbesonders durch eine Schrift von Hans Künkel [1896 - 1956]  «Das große Jahr») 1922 neu belebt. 

[Künkel, Hans <1896 - 1956>: Das große Jahr : der Mythos von den Weltzeitaltern. -- Neuausgabe. -- Waakirchen : Urania, 1980. -- 68 S. : Ill. -- (Urania blaue Reihe ; Bd. 6). -- ISBN 3-921960-06-1]

Künkel suchte nachzuweisen, dass neben dem Jahresrhythmus, der durch den Umlauf der Erde um die Sonne entsteht, noch ein größerer, ein Weltrhythmus wirksam ist, der rund 25 200 Jahre oder 12 Weltmonate zu je 2100 Jahre umfasst und auf der Wanderung des Frühlingspunktes auf der Ekliptik, bzw. auf der Präzession begründet ist. So spricht man von einem Stier-, Widder-, Fischezeitalter und hofft auf das kommende Wassermannzeitalter. Doch erheben sich gegen diese Geschichtskonstruktion, die Künkel selbst als «Dichtung» gewertet wissen will, einige Bedenken. Es werden hierbei fast immer Tierkreiszeichen und Sternbild miteinander verwechselt oder gar gleichgesetzt. Die Sternbilder, die der Frühlingspunkt durchwandert, sind von sehr ungleicher Größe und es lässt sich nicht exakt bestimmen, wo ein Sternbild anfängt oder aufhört. Auch ist die Annahme von einer Kulturperiode, die durch 2100 Jahre durch dasselbe Signum «Fische» oder «Wassermann» charakterisiert ist, eine historisch nicht vertretbare Ansicht. Moderne Astrologen haben sich daher auf kleinere Perioden und auf Planetenzyklen beschränkt, die durch die synodische Wiederkehr eines langsam laufenden Planeten zu einem noch langsamer laufenden Planeten gebildet werden. Eine Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn findet z. B. alle 20 Jahre statt, eine Konjunktion zwischen Saturn und Uranus alle 45 Jahre u.s.f. Aufgrund solcher Zyklen hat A. Barbault in seinem Werk «La crise mondiale» (1964-66) das weltpolitische Geschehen der letzten Jahrzehnte und der nächsten Zukunft zu deuten versucht. 

[Barbault, Andrè: 1964 et la crise mondiale de 1965 : prévisions astrologiques. -- [Paris] : Michel, [1963]. -- 223 S. : Ill.]

Ebenso haben andere Astrologen wie Lavagnini, Brunhübner u. a. versucht, durch Kombination von Staatshoroskopen, Horoskopen der führenden Politiker und der großen Konjunktionen mehr Sicherheit in den Prognosen zu erlangen.
Es ist klar, dass bei der Vielfalt und Uneinheitlichkeit der angewandten Methoden die Zahl der politischen Fehlprognosen sehr groß ist, so dass manche Astrologen wie Choisnard, Kloedtler und andere die Mundanastrologie ganz aus ihrem Forschungsbereich ausgeschlossen haben. Die Gefahren und der Missbrauch der politischen Astrologie soll noch im folgenden speziellen Teil aufgezeigt werden."

[Knappich, Wilhelm <1880 - 1970>: Geschichte der Astrologie. -- 3., unveränderte Aufl. -- Frankfurt a. M. : Klostermann, 1998 (©1967). -- [ISBN 3465029844]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]


3. Zum Beispiel: Traditionell günstige und ungünstige Zeiten in Deutschland


Abb.: Kalenderblatt Februar (Hornung) 1839 mit Erklärung von 1823: Lustiger Schweizer : Schreib-Kalender. -- Schaffhausen : Hurterische Buchdruckerei

Die roten und schwarzen Symbole sind Zeichen für:

  • Mondphasen
  • Witterung
  • Sternzeichen
  • Planeten
  • Aspekte
  • günstige Zeiten für
    • Aderlassen
    • mittelmäßig für Aderlassen
    • schröpfen, baden
    • pflanzen, säen
    • Arzneien allgemein
    • Haare schneiden
    • Nägel schneiden
    • Kinder entwöhnen
    • Augenarzneien
    • Purgieren (Darm reinigen)
    • ackern, misten
    • Holz fällen

[Quelle der Abb.: Bilder aus Volkskalendern / Katharina Eder ... -- Rosenheim : Rosenheimer, ©1987. -- ISBN 3-475-52543-3. -- S. 50]

Zur Einstimmung und als Heilmittel gegen Hochmut wegen unserer angeblich so aufgeklärten Kultur und "Zivilisation" einige Kalenderregeln und Bauernregeln aus dem deutschsprachigen Raum:

[Quelle: Alte Bauernweisheit : von Wetterregeln u. Lostagen, Mondeinflüssen u. Pflanzzeiten, Heil- u. Gewürzkräutern, Sauerkraut u. Speck / Helene u. Otto Kostenzer. -- [Rosenheim : Rosenheimer Verlagshaus Förg, ©1975]. -- (Kleine Rosenheimer Raritäten). -- ISBN 3-475-52118-0. -- S. 13, 50f., 54]

Vom Mond und von den Himmelszeichen
"Die bäuerliche Zeitrechnung richtet sich noch immer in der alten Weise nach besonders hohen Festtagen, Lostagen und den Märkten der nächstliegenden Stadt. Nie aber wird der Bauer dem sogenannten Datum nach rechnen. Dies steht abermals im grellen Gegensatze zu dem heutigen Gebrauch der Städter, für welche der Kalender einzig und allein noch zum Nachschlagen des Monatsdatums benutzt wird, während gerade nach diesem Teil des Kalenders der Bauer niemals sieht.

Ebenso werden die Himmelszeichen und der Wechsel des Mondes noch genau beobachtet. So beginnt man im Vollmond alles lieber, er bringt Glück und Kraft. Das Unkraut, welches man vertilgen will, jätet man deshalb im abnehmenden Mond aus. Eier dagegen legt man den Hennen in solcher Berechnung im wachsenden Mond unter, dass sie auch in diesem und nicht im Neumond ausgebrütet werden. Der Neumond selbst wird der schwarze Mond genannt, was dem Kalender insofern entnommen ist, weil er im Gegensatz zum roten Vollmonde schwarz gedruckt wird. Das Obst, welches im zunehmenden Mond blüht, gedeiht sicher, denn da kann seine Blüte recht schöpfen. 

Von den Himmelszeichen scheiden sich welche in harte und weiche. Erstere, im allgemeinen nicht gut, sind der Widder, der Stier und der Steinbock. Im Mai ist der Stier rot, und während dieser Zeit ist das Zeichen gut, da beeilt sich alles, diesen Zeitraum wohl zu benützen. Weiche Zeichen sind der Fisch, der Wassermann und die Jungfrau. Erbsen und Linsen werden nur in diesen Zeichen, besonders im Fisch gelegt, sonst können sie nie weich gesotten werden. Der Zwilling wird für ein sehr gutes Zeichen gehalten, da gerät alles wohl; auch der Krebs, letzterer jedoch nur für Pflanzen, welche in den Boden hinein wachsen, wie weiße Rüben, Erddotschen [Kartoffeln], Rettich, Randen [rote Rüben]. Im Schütz dagegen darf man nichts versetzen, sonst verschießen alle Pflanzen, ebenso nichts im Steinbock, da wird alles starr. Letzteres ist überhaupt ein sehr schlechtes Zeichen. 


Abb.: Aderlassmann. -- In: Der hinkende Bote von Vivis : Kalender. -- Vevey, 1812

[Quelle der Abb.: Bilder aus Volkskalendern / Katharina Eder ... -- Rosenheim : Rosenheimer, ©1987. -- ISBN 3-475-52543-3. -- S. 48]

Damit in enger Verbindung stehen auch die Aderlasstage. Hierbei frägt man jedoch mehr nach dem Planeten, und gleich wie dieselben um die Sonne, so stehen auch die sieben vornehmsten Glieder um das Herz. Dasjenige Glied, welches Wehtage leidet, soll demnach denjenigen Tag der Woche zum Aderlass wählen, welcher den gemeinsamen Planeten hat. So steht das Gehirn im Planeten des Mondes; dessen Tag ist der Montag. Ganz im Zusammenhang mit den ältesten Ansichten, welche das Fest des Verstandes, welcher dem Mond entstammte, vor dem Eintritt der Hundstage feierten, glaubt man noch gegenwärtig, dass die Brettensteiger (Mondsüchtigen) während der Hundstage ihre Umgänge halten müssen. Deshalb soll man auch während der Hundstage weder baden noch aderlassen. Überhaupt wird jede Art von Irrsinn als mit dem Mond in Verbindung sich vorgestellt."

[Leoprechting, Karl von, 1855. -- Zitiert in: Wetterregeln, Bauernweisheiten und alte Bräuche / Diethard H. Klein. -- Augsburg : Weltbild, ©1998. -- ISBN 3-89604-619-5. -- S. 164 - 165] 


4. Zum Beispiel: Lostage und Schicksalstage


Lostage sind Tage, an denen zukünftiges Schicksal (Los) erkundet (gelost) wird, bzw. die selbst das Schicksal prophezeien. Zukünftiges Schicksal wird an solchen Tagen durch unvorhersagbare Ereignisse, besonders das Wetter dargestellt. Die folgenden Beispiele zu Lostagen im Monat Januar in deutschsprachigen Gegenden zeigen das Wesen von Lostagen:


4.1. Die zwölf Nächte


Bei den zwölf Nächten handelt es sich um die Nächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest. Noch in meiner Kindheit im Dorf (40er Jahre des letzten Jahrhunderts) haben die Mägde Wert darauf gelegt, dass in diesen Nächten keine Wäsche zum Trocknen aufgehängt wird, sonst sterbe jemand aus der Familie. Ein Grund wurde nicht angegeben.

"Die Tage am Schlusse des Jahres waren unseren Vorfahren Geistertage, und an ihnen fand das große Totenfest statt. Wir nennen diese Tage die Zeit der Zwölf Nächte. Diesen Ausdruck hat uns die Kirche aus Griechenland über Rom gebracht und bezeichnete damit die Zeit zwischen dem Jesusgeburts- und Erscheinungsfeste [24. Dezember bis 6. Januar]. Unser Volk nennt diese Tage im Vogtlande Unternächte, d. h. Zwischennächte, vom Erzgebirge bis in die Lausitz Lostage, das ist Schicksalstage. Diese Tage sind im Volksglauben die wichtigsten des ganzen Jahres. Und was das Volk an ihnen denkt und tut, hängt mehr oder weniger mit altem Seelenglauben zusammen. An ihnen braust der wilde Jäger mit seinem Gefolge vor allem durch die Lüfte, an ihnen erscheint Frau Holle den Kindern oder bestraft Frau Perchta die faulen Spinnerinnen, an ihnen werden drei Kreuze an Stall und Tor angebracht, damit die herumziehenden Hexen Menschen und Tier nicht schaden. In dieser Zeit lässt man vielenorts auch Speise auf dem Tisch während der Nacht stehen, damit die Abgeschiedenen davon genießen können. In der Annaberger Gegend reinigte man sogar die Tenne in der Scheune, damit die Geister in der Mitternacht des Christfestes dort tanzen oder ihre Mette abhalten könnten. Ihnen zu Ehren werden auch gewisse Speisen genossen, von denen sie natürlich ihren Anteil erhalten.

Ganz besonders sind aber die Zwölf Nächte die Tage der Weissagung und geben sich auch dadurch als echte Geistertage kund. Die Seelen der Abgeschiedenen sind es, die nach altgermanischem Glauben die Zukunft der Menschen vorauswissen und die sie diesen mitteilen können. Es ist daher vieler Menschen Streben, die Sprache der Geister zu verstehen. Das weibliche Geschlecht, alte Frauen wie junge Mädchen, strebt vor allem danach. Durch den Zauber vermögen sie die Geister zu locken und sie zu zwingen, ihnen Rede und Antwort zu stehen. Die Weissagungen wurden daher einest in erster Linie bei Todesfällen und in den Tagen der Geisterumzüge getrieben. Heute ist dieses alte Fragen nach dem Schicksal zum unschuldigen Zeitvertreib junger Mädchen und der Kinder geworden, das besonders am Andreas-, Christ- und Silvesterabend die Stunden kürzt. Bald wird aus einem Erbschlüssel Blei gegossen, bald werden Apfelschalen oder Kartoffeln geworfen, bald Tonkügelchen mit beschriebenen Zetteln ins Wasser geworfen, bald Nussschalen mit brennenden Lichtern auf das Wasser gesetzt und anderes mehr. Nicht wie einst will man heute bei solchen Versuchen die Summe der Ereignisse des künftigen Jahres erfahren, sondern es herrscht in diesen Schicksalsfragen eine gewisse Einseitigkeit: ob man sich im nächsten Jahre verheiraten werde und was der Geliebte seinem Berufe nach ist, das ist in der Regel der Angelpunkt dieser Schicksalsfragen. Zuweilen freilich sucht man auch zu erkunden, ob man das nächste Jahr am Leben bleiben, ob man den Aufenthaltsort ändern, ob man Glück oder Unglück haben werde. Die Orakelfragen der Männer schwinden jetzt mehr und mehr bei unserem Volk. Kaum dass man noch hier und da am Silvesterabend zwölf Näpfchen mit Salz auf den Tisch stellt, um zu erfahren, welches die feuchten und die trockenen Monate des neuen Jahres sein werden."

[Mogk, Eugen, um 1880. -- Zitiert in: Wetterregeln, Bauernweisheiten und alte Bräuche / Diethard H. Klein. -- Augsburg : Weltbild, ©1998. -- ISBN 3-89604-619-5. -- S. 299 - 302]


5. Biorhythmik


"Die Tatsache, dass Lebewesen auf diesem sich drehenden Planeten innere Uhren besitzen, ist leicht einzusehen. Gewiss liegt hier einer der Gründe dafür, dass die pseudowissenschaftliche Theorie der Biorhythmik so viel Anerkennung gefunden hat, auch unter gebildeten Menschen. Ihr liegt die Behauptung zugrunde, wir alle seien Zyklen unterworfen, die dem Menstruationszyklus vergleichbar sind, aber viel genauer ablaufen. 


Abb.: Biorhythmus für Alois Payer, geboren 1944-04-01 für den 2001-06-02 (ein absolutes Tief! Klar, wenn man sich mit Biorhythmus beschäftigen muss!)

http://www.facade.com/biorhythm/?991497668. -- Zugriff am 2001-06-02

Diese drei Periodenlängen sind für alle Menschen gleich, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Gesundheitszustand. Jede Periodenlänge besteht aus einer bestimmten Anzahl vollständiger Tage, so als ob ein innerer Mechanismus die Tag-Nacht-Zyklen mitzählte. Andernfalls müsste man diese Theorie schon a priori zurückweisen: Der empfindliche Zeitplan für zwei- und dreifache Koinzidenzen würde nämlich im Lauf eines langen Lebens drastisch untergraben, wenn die drei Periodenlängen durch Zahlen wie 28,02 ±0,04 Tage (abhängig vom Individuum, vom gesundheitlichen Auf und Ab, von Reisen und so weiter) definiert wären statt durch genau 28 volle »Klicks« der Erde-Sonne-Uhr. Jedenfalls beginnen diese vermuteten Zyklen mit dem Tag der Geburt, gleichgültig, ob diese durch den Kaiserschnitt des Chirurgen zustande kam oder auf die normale Weise durch Mutter und Kind -- und unabhängig davon, ob der Geburtsvorgang sich vielleicht über Mitternacht erstreckte. Man muss annehmen, dass der für die Zwecke der Biorhythmik gültige Tag der Geburt sich verschiebt, wenn man im Lauf seines Lebens mehrmals die Datumsgrenze passiert. Wahrscheinlich müssten Menschen, die viele Tage versäumten, weil sie Höhlen erforschten, oberhalb des Polarkreises lebten oder in Unterseebooten arbeiteten, ihr tatsächliches Geburtsdatum entsprechend korrigieren. Was zu tun ist, wenn jemand in eine wesentlich andere Zeitzone zieht, bleibt unklar.

Tage, an denen zwei oder drei der genannten Rhythmen ihren Durchschnittswert kreuzen (aufwärts oder abwärts laufend), sollen besondere Vorsicht erfordern. Die Gefahr von Unfällen sei dann erhöht. Tage, an denen zwei Zyklen unter ihren Durchschnittswert gelangen oder einer seinen Gipfel erreicht und der andere seinen tiefsten Punkt, sind angeblich ebenfalls gefährlich. Der Zeitplan, nach dem solche Tage auftreten -- er richtet sich nach dem Tag der Geburt --, ist für alle Menschen völlig gleich. Der dominante körperlich-emotionale («männlich-weibliche») Teil wiederholt sich genau alle 644 Tage. Bezieht man den intellektuellen Zyklus mit ein, so wiederholt sich die ganze Folge kritischer Tage ab einer Art zweitem Geburtstag im Alter von 58,2 Jahren.

Für die Biorhythmik ist viel geworben worden, und sie wurde zu einem kommerziellen Erfolg, lange bevor jemand nachprüfte, ob ihre Aussagen überhaupt zutreffen. Die Vorstellungen, die hinter dieser «Wissenschaft» stehen, entstanden knapp vor der Jahrhundertwende. Ihr Urheber war Wilhelm Fliess, ein Berliner Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Autor einer Monographie mit dem etwas langen Titel 

Über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Nase und Sexualorgan, zugleich ein Beitrag zur Nervenphysiologie. 

[Richtig: Fliess, Wilhelm <1858-1928>. Die Beziehungen zwischen Nase und weiblichen Geschlechtsorganen, in ihrer biologischen Bedeutung dargestellt. -- Leipzig : Deuticke, 1897. -- 237 S.]

Das Thema wurde kurz darauf auch von Hermann Swoboda, einem Psychologen an der Universität Wien, aufgegriffen (was zu erbitterten Prioritätsstreitigkeiten führte). Fliess und Swoboda entwickelten die Zahlengrundlage für den 23tägigen «männlichen» Zyklus der körperlichen Fähigkeiten und den 28tägigen «weiblichen» Zyklus der Stimmungslagen (nicht identisch mit dem weniger exakten, dafür aber tatsächlich vorhandenen Menstruations-Zyklus). Den weniger wichtigen 33tägigen «intellektuellen» Zyklus erdachte in den zwanziger Jahren Alfred Teltscher, ein Ingenieur aus Innsbruck. In den dreißiger Jahren lebte das allgemeine Interesse in den Vereinigten Staaten wieder auf, ohne sich jedoch über den Zweiten Weltkrieg hinaus halten zu können. Wenige heute lebende Menschen haben die maßgebliche Quelle dieser Theorie gelesen, nämlich Teltschers 1906 veröffentlichtes Werk 

Die Rhythmen des Lebens: Grundlagen einer exakten Biologie. 

Martin Gardner ... besprach die Arbeiten von Fliess in der Rubrik «Mathematische Spiele» der Zeitschrift Scientific American vom Juli 1966 und wies sie als unhaltbaren Unsinn, als verstaubtes »Meisterstück deutscher Verdrehtheit«, zurück. 

George S. Thommen schlug einen konstruktiveren Weg ein, als er diese Lehre in den Vereinigten Staaten neu belebte. Seine Bücher 

Is This Your Day? (1964) 

[Thommen, George S. <1896 - >: Is this your day? How biorhythm helps you determine your life cycles. -- New York : Crown, [1964]. -- 139 S.

und 

Biorhythm: Is This Your Day? (1969) 

[Thommen, George S. <1896 - >: Biorhythms : is this your day? : how you can chart your ups and downs for weeks, months, and even years ahead. -- 1st rev. ed. -- New York : Crown, c1987. -- 136 S. -- ISBN 0517562448]

erfuhren zahlreiche Revisionen und Neuauflagen, und Thommen wurde Vorsitzender einer Firma, die tabellarische Hilfsmittel und Rechner an Leichtgläubige verkauft. Heutzutage hat jeder schon Anzeigen gesehen, die einen Computerservice für die Berechnung und Darstellung bio-rhythmischer Daten anbieten. Die Bio-rhythmus-Rechner der Firma Casio sind nicht selten in der Hand gutgekleideter Menschen in Flughäfen und Verwaltungsgebäuden zu sehen.


Abb.: Biorhythmus-Uhr von wellness.de [http://www.wellness.de/index.html. -- Zugriff am 2001-06-02]

Natürlich hat die Vorstellung ihren Reiz, und es gibt auch ernsthafte Befürworter. Doch leider halten die vorgebrachten Belege keiner genauen Prüfung stand; sie stützen sich überwiegend auf anekdotisches Material, ungenügend kontrollierte Statistiken und unveröffentlichte Quellen. Trotzdem könnte ein unvoreingenommener Mensch auch weiterhin fragen, ob die Theorie der Biorhythmik nicht doch zutrifft. Schließlich werden wichtige Entdeckungen manchmal intuitiv oder aufgrund vager Volksweisheiten gemacht, ehe sie formal bewiesen werden können. Fluggesellschaften, das Militär sowie Menschen, die für die Unfallverhütung in der Industrie verantwortlich sind, glaubten immerhin, dass eine genaue Nachforschung der Mühe wert sei. So wurden in den siebziger Jahren in einem Dutzend unabhängiger Studien annähernd 40000 sorgfältig dokumentierte Fälle von Selbstmord und von Unfällen verschiedener Art mit den vom Geburtsdatum abhängigen Voraussagen der Biorhythmik verglichen. Man fand keinerlei Korrelationen. Eine Gruppe von Untersuchern bemerkte abschließend, dass »Individuen sicher gute und schlechte Tage haben; das Auftreten dieser Tage lässt sich aber nicht mit der Theorie der Biorhythmik voraussagen«. An den vorhergesagten Tagen erleben und beschreiben Menschen nur dann mehr Unannehmlichkeiten, wenn sie durch die Prognose darauf eingestellt sind und sie erwarten."

[Winfree, Arthur T.: Biologische Uhren : Zeitstrukturen des Lebendigen. -- Heidelberg : Spektrum der Wissenschaft, ©1988. -- (Spektrum-Bibliothek ; Bd. 17). -- ISBN 3-922508-87-1. -- S. 18 - 20.. -- Originaltitel: The timing of biological clocks (1987)]

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