Materialien zum Neobuddhismus

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Wilhelm II.: "Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter!"

3. Deutschland

1. Anfänge des Neobuddhismus: Schopenhauer


von Alois Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zum Neobuddhismus.  --   3. Deutschland. -- 1. Anfänge des Neobuddhismus: Schopenhauer. -- Fassung vom 2005-05-05. -- URL: http://www.payer.de/neobuddhismus/neobud0301.htm . -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 1996-04-09

Überarbeitungen: 2005-05-05 [überarbeitet]; 2005-04-25 [überarbeitet]; 2005-04-21 [überarbeitet]; 2003-05-05 [überarbeitet]

Anlass: Lehrveranstaltung Neobuddhismus, Univ. Tübingen, SS 1987, SS 2003, SS 2005

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0. Übersicht



1. Zeittafel: Wichtigste Politische Ereignisse 1815-1860



2. Schopenhauer


Abb.: Ludwig Sigismund Ruhl: Arthur Schopenhauer. -- Um 1918 Abb.: Arthur Schopenhauer, um 1859

Ich zitiere Schopenhauer nach:

Schopenhauer, Arthur: Sämtliche Werke. -- Textkritisch bearbeitet von hrsg. von Wolfgang Frh. von Löhneysen. -- 5 Bde. -- Frankfurt/M. : Suhrkamp, 1986. -- (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft ; 661-665)
[Text- und seitenidentisch mit der von der Arbeitsgemeinschaft Cotta-Insel 1960ff. herausgegebenen Ausgabe.]
Abkürzung: WW

"Schopenhauer, Artur, berühmter deutscher Philosoph, Sohn der vorigen, geb. 22. Febr. 1788 in Danzig, gest. 21. Sept. 1860 in Frankfurt a. M., bildete sich nach dem Willen des Vaters in Frankreich, England und Hamburg zunächst für den Kaufmannsstand aus, machte mit seinen Eltern längere Reisen, entschied sich aber nach dem Tode seines Vaters für die Gelehrtenlaufbahn, ließ sich in Göttingen, 21 Jahre al., als »Philosoph« immatrikulieren, studierte daselbst, in Berlin, wo Fichte ihn abstieß, und in Jena, ging nach Vollendung seines Hauptwerks: »Die Welt als Wille und Vorstellung« (Leipz. 1819), nach Italien, habilitierte sich dann an der Universität Berlin ohne Erfolg und zog sich, zum Teil wohl dadurch gegen die »Philosophieprofessoren« erbittert, seit 1831 nach Frankfurt a. M., das er für die gesündeste Stadt Deutschlands hielt, ins Privatleben zurück, wo er ausschließlich seiner philosophischen Schriftstellerei lebte. Hier wurde ihm 1895 ein Denkmal errichtet; sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Philosophen II«. Seine Hauptschriften sind außer dem obengenannten Hauptwerk, das in der 2. Auflage (1844; 3. Aufl. 1859, weitere Auflagen besorgt von Frauenstädt) um einen zweiten »unentbehrlichen« Band vermehrt erschien; seine Promotionsschrift »Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund« (Rudolst. 1813; 2. Aufl., Frankf. 1847; 5. Aufl. 1891), welche das Fundament seiner Logik, »Über den Willen in der Natur« (Frankf. 1836; 5. Aufl., Leipz. 1891), die seine Naturphilosophie enthält, und »Die beiden Grundprobleme der Ethik« (Frankf. 1841; 2. Aufl., Leipz. 1860; 4. Aufl. 1891), zwei Abhandlungen, deren eine über das Mitleid als Fundament der Ethik, die andre über seine der Kantschen sehr ähnliche Ansicht von der Willensfreiheit handelt; ferner »Über das Sehen und die Farben« (Frankf. 1816, 3. Aufl. 1870). Die größte Verbreitung haben seine u. d. T.: »Parerga und Paralipomena« (Berl. 1851; 7. Aufl. 1891, 2 Bde.) gesammelten kleinern geistreich-barocken Schriften gefunden, unter denen der Aufsatz gegen die »Philosophieprofessoren« durch seine maßlose Heftigkeit, der »Über das Geistersehen« durch die darin sich offenbarende Neigung zur Mystik und die populären »Aphorismen zur Lebensweisheit« berühmt geworden sind. Die »Sämtlichen Werke« des sich selbst mit Stolz so bezeichnenden »Oligographen« sind von Frauenstädt nach Schopenhauers Tod in 6 Bänden (Leipz. 1873-74, 2. Aufl. 1877 und 1801) herausgegeben worden, freilich wenig sorgfältig, dagegen sehr gewissenhaft und genau von Grisebach (in Reclams Universal-Bibliothek, 6 Bde.). Außerdem sind in den letzen Jahren die sämtlichen Werke noch öfter herausgegeben worden. Grisebach hat noch veröffentlicht: »Edita und Inedita Schopenhaueriana« (Leipz. 1888), »A. Schopenhauers handschriftlicher Nachlass« (in Reclams Universal-Bibliothek, 1891-93, 4 Bde.) und Schopenhauers »Gespräche und Selbstgespräche nach der Handschrift: eis eantoy« (Berl. 1897, 2. Aufl. 1901). Der »Briefwechsel zwischen Schopenhauer und Joh. Aug. Becker« erschien Leipzig 1883, ferner gab Ludw. Scheman heraus: »Schopenhauer-Briefe« (das. 1893) und aus dem Nachlass von Karl Bähr: »Gespräche und Briefwechsel mit A. Schopenhauer« (das. 1894), und Grisebach 1895 Schopenhauers Briefe an Becker, Frauenstädt, v. Doß, Lindner und Asher (in Reclams Universal-Bibliothek, 2. Aufl., das. 1904.)

Schopenhauers Philosophie knüpft an Kants (s. d.) Vernunftkritik an und zwar zunächst, wie die Fichtes (s. d.), an deren idealistisches Element. Schopenhauer erklärt nämlich, wie Kant, die in Raum und Zeit gegebenen Dinge für bloße Erscheinungen, den Raum und die Zeit, wie dieser, für subjektive, reine, apriorische Anschauungsformen, verwirft aber, wie Fichte, im Gegensatz zu Kant den realistischen Rückschluss von dem Vorhandensein der Erscheinung auf die Existenz eines hinter ihr vorhandenen und sie verursachenden, übrigens seiner Qualität nach unbekannt bleibenden Dinges an sich als Selbstwiderspruch, weil Kant den Schluss von der Wirkung auf die Ursache für eine dem urteilenden Subjekt als solchem anhaftende Urteilsform (ohne objektive Geltung) erklärt habe. Die vom vorstellenden Subjekt, dem Intellekt, auf Grund (subjektiver) räumlicher und zeitlicher Anschauungsform im Raum und in der Zeit angeschaute und auf Grund der (gleichfalls subjektiven) Kausalitätsform, die zu jeder Erscheinung eine (reale) Ursache hinzuzudenken nötigt, fälschlich als real vorgestellte Welt ist daher (wie bei Fichte) in Wahrheit bloße »Welt als Vorstellung«, Erscheinung ohne ein ihr zugrunde liegendes Ding an sich, Fiktion des Intellekts oder des (nach Schopenhauer) mit diesem identischen Gehirns, leeres »Hirngespinst«. Geht aber Schopenhauer (wie Fichte) in dieser idealistischen Richtung weit über Kant hinaus, so geht er doch anderseits in der realistischen Richtung weit hinter ihn zurück, indem er, allerdings auf anderm Weg als Kant, nicht nur, wie dieser, die Existenz eines »Dinges an sich«, eines Realen, ausdrücklich anerkennt, sondern, was Kant für unmöglich erklärte, dessen Qualität erkannt zu haben behauptet. Das Ding an sich wird, sowohl seiner Existenz als seiner Qualität nach, zwar nicht durch den Intellekt, aber doch und zwar »unmittelbar« als der durch innere Wahrnehmung in uns selbst deutlich erfasste und unser eignes Wesen ausmachende »Wille« erkannt und daher die reale »Welt als Wille« von der imaginären »Welt als Vorstellung« unterschieden, indem unter »Wille« nicht nur das bewusste Begehren, sondern auch der unbewusste Trieb und die in der unorganischen Welt wirkende Kraft verstanden wird. Während die »Welt als Vorstellung« als »Gehirnphänomen« im und für den Intellekt, also nur im »Bewusstsein« ist, existiert die »Welt als Wille«, das »Ding an sich«, ursprünglich ohne Intelligenz und ohne Bewusstsein, als zugleich »dummer« und »blinder« rastloser »Wille zu leben«. Dumm ist er, weil, wie Schopenhauer unabhängig von seinem philosophischen System aus der Erfahrung darzutun unternimmt, diese Welt, im Gegensatz zu Leibniz' »bester unter den möglichen«, die »schlechteste unter den möglichen Welten« ist; weil die Summe der durch das Leben aufgedrungenen Schmerzen weit beträchtlicher ist als die der Genüsse, die es darbieten kann. So stellt Schopenhauer, entsprechend seiner Gemütsanlage, dem Optimismus den entschiedensten Pessimismus gegenüber. Blind ist der Wille, weil das Licht der Intelligenz erst auf der höchsten und letzten Entwickelungsstufe des Willens im menschlichen Gehirn als Bewusstseinsträger entzündet wird. Mit dem Erwachen des Bewusstseins ist aber auch das Mittel gegeben, die »Dummheit« des Willens wieder gut zu machen. Indem der Intellekt zur Einsicht gelangt, dass der unerträgliche Zustand überwiegenden Leidens nur durch den unaufhörlichen Willen zu leben, durch das Begehren, welches Bedürfnis, also Mangel ist, hervorgebracht wird, gewahrt er zugleich, dass eine Heilung dieses Leidens (nach buddhistischem Vorbild) durch Lebensflucht, d. h. durch die Verneinung des Willens zu leben, erreicht werden kann. Die Durchführung der letztern, das »Quietiv des Willens«, das mit dem Übergang ins buddhistische Nirwâna, in die schmerzlose Stille des Nichtseins, verglichen werden kann, ist jedoch, wie Schopenhauer ausdrücklich betont, keineswegs mit dem Selbstmord gleichbedeutend. Zwischen dem Willen und dem Einzelding stehen nach Schopenhauer noch die Ideen, als die Stufen der Objektivation des Willens, unerreichte Stufenbilder für die Individuen, nicht räumlich und zeitlich, aber sich in zahllosen Einzeldingen abbildend. Zur Erkenntnis dieser Ideen können wir uns erheben, indem wir aufhören, die einzelnen Dinge im Raum und in der Zeit, im Kausalverhältnis zu betrachten, sie vielmehr als relations los anschauen, nicht durch Abstraktion, sondern durch Kontemplation. Tun wir das, so sind wir auch auf diese Momente von der Qual des Willens freie, schmerzlose und zeitlose Subjekte des Erkennens. Die Kunst hat es mit diesen Ideen, als dem Bleibenden in dem Wechsel der Erscheinungen zu tun.

Seinen (späten) Erfolg als Philosoph hat Schopenhauer weniger seinem widerspruchsvollen System als seiner mit glänzender Beredsamkeit durchgeführten Verteidigung einer pessimistischen Weltansicht, seinem zur Schau getragenen Hass gegen die »Schulphilosophie« und seiner, besonders in den kleinern Schriften, von philosophischer Kunstsprache freien, geistreich-populären Darstellungsgabe zu verdanken, wodurch er (wie die von ihm sehr hoch gestellten englischen und französischen Popularphilosophen) vorzugsweise der Philosoph für die »Weltleute« geworden ist. Als solcher hat Schopenhauer zwar viele dilettantische Anhänger, aber nur wenig systematische Fortbildner gefunden, also im wissenschaftlichen Sinne keine Schule gemacht, obgleich sein metaphysisches Prinzip des Willens viele Bekenner gefunden hat und in der neuern Philosophie eine Rolle spielt. Unter den Philosophen, die sich an ihn anlehnen, sind besonders E. v. Hartmann, Bahnsen, auch Nietzsche auf einer Stufe seiner Entwickelung zu nennen. Um die Verbreitung und Erläuterung seiner Werke hat sich vor allen ihr Herausgeber Jul. Frauenstädt (»Briefe über die Schopenhauersche Philosophie«, Leipz. 1854; »Neue Briefe«, das. 1876; »Schopenhauer-Lexikon«, das. 1871, 2 Bde.; »Memorabilien« [bei Lindner, s. unten]; »Aus Schopenhauers handschriftlichem Nachlass«, das. 1864, und »Lichtstrahlen aus Schopenhauers Werken«, 7. Aufl., das. 1891), um seine Biographie E. O. Lindner (»Schopenhauer. Von ihm. Über ihn, Memorabilien etc.«, Berl. 1863) und Gwinner (»Arthur Schopenhauer aus persönlichem Umgang dargestellt«, Leipz. 1862; 2. Aufl. als »Schopenhauers Leben«, 1878) verdient gemacht. In Frankreich ist Schopenhauer durch Foucher de Careil (»Hegel et Schopenhauer«, Par. 1862; deutsch, Wien 1888), Ribot (»La philosophie de Schopenhauer«, 1874; 9. Aufl. 1903), Bossert (»Schopenhauer, l'homme et le philosophe«, 1903, 2. Aufl. 1905; deutsch, Dresd. 1904) und durch die Übersetzungen seiner Hauptschriften von Kantakuzenos, Reinach, Burdeau u. a., in England durch Helene Zimmern (»A. Schopenhauer, his life and his philosophy«, Lond. 1877) und durch die Übersetzung seines Hauptwerkes von Haldane und Kemp (das. 1883-86, 3 Bde.) eingeführt worden."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


2.1. Warum Schopenhauer?


Schopenhauer nicht, weil er eine Buddhastatue als "Hausgott" daheim aufgestellt hatte:

Schopenhauer sagte einmal zu seinem jüngeren Freunde Beck [zitiert bei Leifer, W.: Indien und die Deutschen. -- Tübingen : Erdmann, 1969. -- S. 121.]:

"Sie werden keinen christlichen Heiligen, keine Kruzifixe bei mir finden, und doch habe ich auch meine Penaten [Hausgötter] . Ich habe mich lange bemüht, einen alten Buddha zu erhalten. Endlich hat der Geheime Rat Krüger einen solchen, aus Tibet stammend, für mich gefunden. Er war ursprünglich schwarz lackiert, ich habe ihn aber bei Junge vergolden lassen und demselben strenge befohlen, nur echtes Gold zu nehmen und nicht daran zu sparen."

Diese Buddhafigur besaß Schopenhauer seit 1856.

Schopenhauer in einem Brief an Frauenstädt vom 13. Mai 1856 [zit. bei Borch, Rudolf: Schopenhauer : sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten. -- Berlin, 1941. -- S. 347.]:

"Der Buddha ist von seinem schwarzen Überzuge befreit worden, ist von guter Bronze, glänzt wie Gold, steht auf einer schönen Konsole in der Ecke: so dass jeder beim Eintritt schon sieht, wer in diesen »heiligen Hallen« herrscht."

Schopenhauer auch nicht deshalb, weil er sich einen Buddhaisten [!] nannte, während er sich z.B. trotz seiner Hochschätzung für die Upanischaden nie einen Vedantin nannte.

Schopenhauer auch nicht deshalb, weil er sich selbst 1832 rückblickend mit Buddha verglich:

"In meinem 17ten Jahre, ohne alle gelehrte Schulbildung, wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte. Die Wahrheit, welche laut und deutlich aus der Welt sprach, überwand bald die auch mir eingeprägten jüdischen Dogmen, und mein Resultat war, dass diese Welt kein Werk eines allgütigen Wesens seyn könnte, wohl aber das eines Teufels, der Geschöpfe ins Daseyn gerufen, um am Anblick ihrer Qual sich zu weiden."

[Schopenhauer: Der handschriftliche Nachlass / hrsg. von A. Hübscher. -- Bd. IV,1, S. 96]

Sondern Schopenhauer wegen des großen Einflusses, den er auf westliche, insbesondere Deutsche Buddhisten hatte. Neben anderen wurden folgende Personen durch die Lektüre Schopenhauers zum Buddhismus gebracht oder sonstwie stark durch ihn beeinflusst (die meisten von ihnen werden uns im Lauf dieser Lehrveranstaltung begegnen):

Es gibt eine Menge von Literatur, ob Schopenhauer den Buddhismus richtig verstanden hat. Ich werde u. U. bei den betreffenden Leuten darauf eingehen.


2.2. Chronologie


Damit Sie das folgende chronologisch besser einordnen können, gebe ich Ihnen eine chronologische. Übersicht über Schopenhauers Werke und ihre Ausgaben:

Übersicht zu Schopenhauer (1788-1860)

1788

geboren in Danzig

1813

Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, 1.Aufl.

1819


Abb.: Titelblatt

Die Welt als Wille und Vorstellung, 1. Aufl.

"Schopenhauer, Arthur: DIE WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG

Philosophisches Hauptwerk von Arthur Schopenhauer, erschienen Ende 1818 mit Erscheinungsdatum 1819, die zweite 1844 veröffentlichte Auflage wurde um einen zweiten Band vermehrt. – Das in vier Bücher mit einem Anhang, »der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält«, unterteilte Werk stellt das Resultat einer Denkentwicklung dar, die sich deutlich in zwei Etappen gliedert: 1. In der ersten (ca. 1812–1814) tritt das Problem, um das es im Hauptwerk geht, in Gestalt der Frage nach dem »besseren Bewusstsein« auf: Wie kann der leidende und auf sein Leiden reflektierende Mensch zu einem Selbstverstehen gelangen, das von Angst, Schmerz und Tod nicht berührt wird? Schopenhauers Aufzeichnungen aus dieser Zeit umkreisen dieses Thema, ohne eine befriedigende Antwort zu finden. Ein wesentlicher Schritt in Richtung auf die Lösung des Problems erfolgt jedoch in der Dissertation von 1813 (Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde). Die Dissertation expliziert einerseits die Gebundenheit des menschlichen Selbst- und Weltverstehens an den Satz vom zureichenden Grund (als dem Prinzip der Endlichkeit und hiermit der Leidensexistenz), andererseits stößt sie, indem sie die Vereinigung von Erkennen und Wollen in einem Subjekt entdeckt, auf den Punkt, von dem aus die neue Metaphysik (von der in der Dissertation noch keine Rede ist) entworfen wird: Erkennen und Wollen, verbunden mit dem Satz vom Grund, machen die Elemente aus, vermittels deren die philosophierende Vernunft zur einzig angemessenen Antwort auf die Frage nach dem Leidensursprung und nach der Aufhebung des Leidens kommt. 2. Die zweite Etappe (1814 bis 1817/18) bringt die Lösung des Problems; in immer neuen Anläufen stellt sie den entscheidenden Lösungsgedanken heraus; an ihrem Ende steht die literarische Komposition des Systems: das Hauptwerk.

Der Lösungsgedanke heißt: das Wesen der Dinge ist Wille, nicht (wie die abendländische Tradition zumeist annahm) Geist, und die »Welt« (das Seiende im ganzen) ist der Prozess, in welchem der Wille (nicht der Geist) sich selbst erkennt. Schopenhauer hat seine gesamte Philosophie als die Entfaltung eines einzigen Gedankens bezeichnet: »Die Welt ist die Selbsterkenntnis des Willens.« Die Erkenntnis (»Vorstellung«) spielt in dem System, wie der Titel des Hauptwerks anzeigt, eine Hauptrolle, aber nur die zweite Hauptrolle. Das primäre Prinzip ist der Wille, den Schopenhauer im Anschluss an Kant das »Ding an sich« nennt. Die Vorstellung ist gegenüber dem Willen das sekundäre Prinzip, ist sie doch Erscheinung des Willens.

Diese Rangordnung zwischen Wille und Vorstellung bestimmt Schopenhauers gesamtes System, sie wird vor allem in der zweiten Auflage des Hauptwerks und in den es begleitend-ergänzenden weiteren Schriften akzentuiert, doch zeigt die Darstellungsweise des Hauptwerks an, dass die metaphysische Rangordnung der beiden Hauptprinzipien der Welt nicht die einzige Art ist, in welcher Wille und Vorstellung zueinander in ein Verhältnis gebracht werden können. Ein zweites Verhältnis zwischen Wille und Vorstellung ergibt sich aus Schopenhauers idealistisch-transzendentalphilosophischem Standpunkt, den er bewusst mit Kant teilt: Zwar bleibt dem Sein nach (»metaphysisch«) der Wille immer ursprünglicher als die Vorstellung, aber diese Ursprünglichkeit ist selbst durch die Vorstellung vermittelt. Dies ist der transzendentale Aspekt der Schopenhauerschen Philosophie. Er kommt darin zum Tragen, dass das faktisch erste, mit dem die Reflexion anhebt, nicht der Wille, sondern die Vorstellung ist. Anders als der Buchtitel erwarten lässt, beginnt das Werk mit der Betrachtung der »Welt als Vorstellung«. Dass nämlich die Welt Vorstellung ist, ist die erste evidente und überhaupt erste Antwort, die das philosophierende Subjekt erhält, wenn es, um zu einer Einsicht in Ursprung und Aufhebung des Leidens zu gelangen, die philosophische Zentralfrage stellt: Was ist die Welt?
Wenn Schopenhauer diese Frage im Ausgang von der evidenten Vorstellungshaftigkeit des Seienden angeht, wenn er zugleich aber (schon im § 1 der Welt als Wille und Vorstellung) zu verstehen gibt, dass die erste Antwort unzulänglich und zu ergänzen sei durch eine zweite (»die Welt ist Wille«), dann ist eine Gedankenfolge indiziert, die von der Aussage »Die Welt ist meine Vorstellung« prozessual zur Aussage »Die Welt ist Wille« führt. Das Hauptwerk beschäftigt sich in seinen beiden ersten Büchern – immer im Blick auf das Leidensproblem – mit der genannten prozessual konzipierten Gedankenfolge.
Mit seiner Auskunft, die Welt sei durch und durch Wille, gibt das zweite Buch die abschließende Auskunft über den Leidensursprung; gänzlich ungelöst hingegen bleibt mit dieser Auskunft die das Philosophieren überhaupt treibende praktische Frage nach der Möglichkeit der Aufhebung des Leidens. Von ihr handeln die beiden weiteren Bücher des Hauptwerks jeweils im Rückbezug auf die vorhergehenden.

1. Buch: Die Erkenntnis, dass die Welt Vorstellung ist, geht als die evidenteste aller Erkenntnisse innerhalb des Ganges der philosophischen Reflexion allen anderen Aussagen über die Welt voraus. Daher beginnt das erste Buch mit der Analyse des ersten evidenten Satzes. Sie zeigt, dass die Vorstellung zwei Elemente enthält – ein Vorstellendes (»Erkennendes«, »Subjekt« der Erkenntnis) und ein Vorgestelltes (»Erkanntes«, »Objekt« der Erkenntnis). Da das Erkenntnissubjekt die immer vorauszusetzende Bedingung jeglicher Erkenntnis ist, kann es selbst nie erkannt werden. Das Erkenntnisobjekt ist demgegenüber in der Mannigfaltigkeit seiner Bestimmungen präsent. Sie entstammen insgesamt (hinsichtlich ihrer formalen Seite) dem »Satz vom Grund«, der (gemäß den Darlegungen der Dissertation von 1813, deren Kenntnis Schopenhauer zum Verständnis des Hauptwerkes voraussetzt) in vier Gestaltungen auftritt: als Seinsgrund (Zeit und Raum), Werdegrund (Kausalität), Handlungsgrund (Motivation) und Erkenntnisgrund. Von diesen Gestaltungen sind Zeit, Raum und Kausalität (mit welcher die Materie identifiziert wird) für die Konstitution der Welt als Vorstellung primär. Durch diese Momente kommt die reale Welt, wie sie der Verstand erfasst, zustande; er erfasst sie in der Anschauung. Sie bildet die Basis für die Erkenntnis, die für den Menschen spezifisch ist und durch die sich das menschliche Erkennen vom tierischen (welches bloß verstandeshaft-anschaulich ist) unterscheidet: für die Erkenntnis der Vernunft.

Vernunfterkenntnis vollzieht sich durch abstrakte Vorstellungen – durch Begriffe; sie hängen von den intuitiven (anschaulichen) Vorstellungen inhaltlich ab, haben aber ihnen gegenüber den Vorzug der Allgemeinheit. Dank der Begriffe kann der Mensch sein Dasein überblicken, er lebt nicht bloß wie das Tier in der Gegenwart, sondern dehnt sein Erkennen auf Vergangenheit und Zukunft aus; er ist vermöge der Vernunft fähig, besonnen zu handeln, er verfügt über die Sprache und erweitert seine Erkenntnis methodisch-deduktiv in der Wissenschaft. Da es sich aber sowohl bei den Objekten des Verstandes als auch bei denen der Vernunft um Gegenstände handelt, deren Bestimmtheiten aus dem Satz vom Grund stammen, der Satz vom Grund wiederum bloße Relationen liefert (nämlich Gestaltungen des Grund-Folge-Verhältnisses), kann das »Was« der Welt primär nicht in der Vorstellung bestehen – löst sich deren »Was« doch im »Wie« ihrer Gegenstände auf.

2. Buch: Primär und im eigentlichen Sinne ist die Welt ihrem Wesen nach Wille. Diese Erkenntnis ergibt sich aus der Betrachtung des menschlichen Leibes: Seine Bewegungen werden als unmittelbar mit den Aktionen des Willens identisch erfahren. Wille und Leib sind essentiell dasselbe. Der Leib ist die Erscheinung des Willens, der Wille das Wesen des Leibes. Die unmittelbare Erfahrung dieser Identität geht der vollständigen Vorstellung voraus und erbringt ein Bewusstsein von der totalen Verschiedenheit des Vorstellungshaften und des Willenshaften. Dieses ist durch die Pole »Wohlbehagen« (»Wollust«) und »Schmerz« bestimmt und kann nicht reduziert werden auf irgendeines der Momente, die die Vorstellung konstituieren, das heißt auf Gestaltungen des Satzes vom Grund.

Vermittels einer Beurteilung »nach der Analogie« dehnt Schopenhauer das zwischen Leib und Wille bestehende Verhältnis auf die gesamte Natur aus: der Wille ist das Ding an sich; die Weltphänomene, angefangen vom anorganischen Objekt bis hin zur Vernunft, sind die Weisen, in denen der Wille sichtbar wird (»Objektivationen« des Willens). Die Selbstobjektivation des Willens vollzieht sich in festgelegten Stufen, und zwar in der Folge: Anorganisches, Pflanzen, Tiere und Mensch; jeder dieser Stufen entspricht eine bestimmte Art von Ursache-Wirkung-Verhältnis (bloße Kausalität, Reiz, Motiv). Wie jedes Naturphänomen ist auch das menschliche Handeln total (durch Motive, das sind die den Willen okkasionell zum Wirken bringenden erkannten Objekte) determiniert. Der Wille bleibt selbst an sich absolut frei, das von ihm Gewollte jedoch unterliegt der strengen Notwendigkeit. Mit ihr steuert der Wille auch das gesamte Erkennen. Verstand und Vernunft haben als Objektivationen des Willens keine andere Funktion als dem Willen zu Diensten zu sein. Freies Handeln gibt es so wenig wie glückliches Leben. Wille und Satz vom Grund determinieren das menschliche Dasein dergestalt, dass es zwischen Leiden und Langeweile ruhelos pendelt, ständig vor Augen den Tod hat und den drohenden Verfall. Weil die gesamte Welt in der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen die Sichtbarkeit (»Objektivität«) des Willens ist, dieser aber das Prinzip der absoluten Unerfülltheit, das ist des Leidens, darstellt, ist das Hauptmerkmal allen Daseins das Leiden, und insbesondere erweist sich die menschliche Existenz als eine zutiefst glücklose: Alles Leben ist Leiden. Der Schopenhauersche Pessimismus besteht in diesem aus der Betrachtung der Welt als Wille resultierenden Bewusstsein.

3. Buch: Der Pessimismus ist indes nicht Schopenhauers letztes Wort, ja er gilt nur für den Zustand, in welchem der Wille sich selbst bejaht und darin erscheinungshaft sich kundtut. Gelingt es, den Willen stillzustellen, so ist das Leiden aufgehoben, und das Bewusstsein erreicht den ihm angemessenen Zustand: die »Meeresstille des Gemüts«. Auf zwei Weisen kann der Wille zur Ruhe kommen: Die erste Weise der Stillstellung des Willens ist Thema des dritten Buchs: Sein Gegenstand ist die »ästhetische Kontemplation« und die durch sie ermöglichte Kunst. In der ästhetischen Kontemplation ereignet sich auf weiter nicht erklärbare Weise eine Loslösung des erkennenden Subjekts vom gewöhnlichen Erkennen, in welchem Erkennen und Wollen so verbunden sind, dass das je individuell-leibliche Wollen das Erkennen beherrscht. In der ästhetischen Betrachtung folgt das Erkennen nicht mehr dem Satz vom Grund und gehorcht nicht mehr dem Willen, es geht vielmehr, seine (das Wollen umschließende) Individualität vergessend, im erkannten Objekt auf und erfasst dessen Wesen – die Idee. Sie ist der Wille selbst, erkannt ohne die Formen des Satzes vom Grund und von ihm nur noch geschieden durch die Form des Erkanntseins.

Die in der ästhetischen Kontemplation geschehende Ideenerkenntnis liefert jedoch keine bleibende Leidensbefreiung, denn mit dem Vergessen der Individualität wird der Wille auch nur vergessen, nicht aufgehoben. Die Ideenerkenntnis gewährt bloß temporäre Erlösung, freilich in sehr unterschiedlichem Maße: Während die gewöhnlichen Individuen kaum oder nur kurzfristig der ästhetischen Kontemplation fähig sind, haben die genialen Menschen das Vermögen zu lang andauernder Ideenerkenntnis. Aus ihr entspringt die Kunst: Kunstwerke wiederholen in je bestimmtem Stoff die Ideen und bringen so auf indirekte Weise das Wesen der Welt zum Ausdruck. Eine Sonderstellung nimmt die Musik ein. Sie verleiht Wesenserkenntnis ohne Ideenvermittlung – die Welt als Wille bildet sich in der Musik adäquat ab.

4. Buch: Eine endgültige Aufhebung des Leidens kann es nur geben, wenn das Wollen, dessen Bejahung das Leben ist, völlig getilgt wird – das »velle« durch das »nolle« auf Dauer ersetzt wird. Die Realisierung des Wollens erfolgt beim Menschen vornehmlich im Handeln. Die menschliche Handlung ist das Produkt von Charakter (Wille) und Motiv (erkanntem Objekt, also Vorgestelltem). Solange der Wille sich bejaht, bringen die Motive verschiedenste Handlungen hervor – im Interesse des wollenden Individuums, das heißt in egoistischer Absicht. Der Egoismus als Verhalten des gänzlich vom Willen beherrschten Menschen stößt den Menschen ständig ins Leiden – je mehr gewollt wird, um so mehr steigt, illusionistisch hinter kurzfristiger Lust verborgen, der Schmerz. Befreiung vom Leiden bedeutet demnach Befreiung vom Egoismus. Staat und Recht richten sich zwar gegen den Egoismus, aber nur insofern als dieser den Interessen der Individuen schadet; wenn sie den Egoismus durch Strafandrohung einschränken, so tun sie es um des unaggressiv-reibungslosen Funktionierens der Ordnung willen. Staat und Recht schützen die Individuen voreinander, sie heben jedoch das egoistische Verhalten als solches nicht auf. Nicht-egoistisches Verhalten (das Thema der Moral im engeren Sinne) findet sich in verschiedenen Ausprägungen: als freiwillige (nicht wie in der Rechtsinstitution: als erzwungene) Gerechtigkeit, als Menschenliebe und auf der höchsten moralischen Stufe als Mitleid. Das Mitleid zeigt am deutlichsten, worin nicht-egoistisches und hiermit Leiden aufhebendes Handeln besteht – darin, dass der zwischen den Individuen durch Zeit und Raum (»principium individuationis«) im gewöhnlichen Erkennen gesetzte Unterschied als Täuschung (»Schleier der Maja«) erkannt wird.

Da im Mitleid immer noch das Leben bejaht wird, kann es selbst noch nicht zur endgültigen Erlösung führen. Diese wird dann erreicht, wenn kraft der totalen Durchschauung des Individuationsprinzips das Erkennen sich so ändert, dass es dem Willen keine Motive mehr liefert, durch die er zum Wirken kommt. Das Aufhören des Wollens wird im Leben des Asketen sichtbar. Bei gesundem Leibe verzichtet er freiwillig auf die Befriedigung seiner Triebe (voran des Geschlechtstriebs, welcher die höchste Bejahung des Willens ist). Mit dem Wollen verschwindet die erscheinende Welt; gemessen an ihr ist der Zustand, in den der Asket eintritt, »Nichts«, gemessen am Zustand des Asketen (der nicht der des »nihil negativum« ist) erweist sich die erscheinende Welt als bedeutungslos. Positiv angeben kann man den Vollendungszustand nicht, er ist nur unmittelbar erfahrbar und kann durch die Vernunft nur höchst indirekt aus dem erschlossen werden, was aus den Äußerungen (christlicher und indischer) Mystiker auf unangemessene Weise hervorgeht.

Anhang: Die für das Schopenhauersche Denken maßgeblich bestimmende Philosophie Kants wird in dem Anhang Kritik der Kantischen Philosophie eingehend behandelt. Hauptverdienste Kants sind die Zeit-Raum-Lehre und die Unterscheidung von »Ding an sich« und Erscheinung; unzulänglich ist die Kantische Philosophie nach Schopenhauer vor allem darin, dass sie den Unterschied zwischen der intuitiven und der abstrakten Erkenntnis nicht richtig fasst und die Unerkennbarkeit des Dings an sich lehrt.

Wider Schopenhauers Erwarten blieb die Reaktion auf das »neue System« weitgehend aus. Von wenigen Rezensionen abgesehen, unter denen sich eine kurze Notiz Jean Pauls und Besprechungen von F. Ast, E. Beneke und J. F. Herbart finden, nahmen die philosophierenden Zeitgenossen das Buch nicht zur Kenntnis (Goethe freilich lobte es in seinem Freundeskreis). Auch die nach 1819 in ergänzender Absicht von Schopenhauer verfassten Schriften (Über den Willen in der Natur und die beiden Preisschriften zur Ethik) und die zweite Auflage der Welt als Wille und Vorstellung (1844) erreichten das Publikum kaum. Erst die 1851 publizierten Parerga und Paralipomena machten Schopenhauer berühmt und lenkten den Blick auf das Hauptwerk, das dann in kurzer Zeit zu einem der philosophisch maßgeblichen Bücher der zweiten Hälfte des 19. Jh.s wurde, wie im Bereich der Philosophie an F. Nietzsche, E. v. Hartmann und der bis weit ins 20. Jh. hinein wirksamen Lebensphilosophie zu sehen ist; stärksten Einfluss gewann Schopenhauers Denken auf Künstler (u. a. auf R. Wagner, Th. Mann, W. Busch, H. Pfitzner, Th. Bernhard). Was Schopenhauers Philosophie am Ende des 20. Jh.s – nach einer stilleren Wirkungsepoche – wieder besondere Anziehungskraft verleiht, ist neben dem glänzenden Stil (der immer seine Bewunderer fand) die Nachvollziehbarkeit seiner (die Tiere einbeziehenden) Mitleidsethik und die Lebenssinngebungslehre, die antimaterialistisch und diesseitig zugleich ist und deren These lautet: Das schlechte Dasein wird innerhalb seiner selbst durch ein neues Verständnis des Todes (»Unzerstörbarkeit unseres wahren Wesens an sich«) ertragbar.

Prof. Dr. Rudolf Malter

AUSGABEN: Lpzg. 1819, Faks.-Nachdr. Ffm. 1987. – Lpzg. 21844, 2 Bde. [bearb. u. verm.]; 31859 [verb. u. verm.]; 101916. – Mchn. 1911 (in SW, Hg. P. Deussen, 16 Bde., 1911–1942, 1). – Wiesbaden 1949 (in SW, Hg. A. Hübscher, 7 Bde., 1946–1950, 2; histor.-krit.; 41988 durchges. Angelika Hübscher). – Stg. 1960 (in SW, Hg. W. v. Löhneysen, 5 Bde., 1960–1965, 1 u. 2, krit.; Nachdr. Ffm. 1986; st). – Stg. 1987, 2 Bde. (RUB). – Zürich 1988 (in Werke, Hg. L. Lütkehaus, 5 Bde., 1 u. 2; nach der AlH).

LITERATUR: R. Biscardo, Il pessimismo romantico del »Mondo« di S., Bozen 1955. – B. Negroni, Lo Überwille o le tre verità di A. S., Chieti 1980. – Materialien zu S.s »Die Welt als Wille u. Vorstellung«, Hg., Komm. u. Einl. V. Spierling, Ffm. 1984. – Y. Kamata, Der junge S. Genese des Grundgedankens der Welt als Wille u. Vorstellung, Freiburg i. B./Mchn. 1988. – R. Malter, A. S. Transzendentalphilosophie u. Metaphysik des Willens, Stg. 1991."

[Rudolf Malter. -- In: Kindlers neues Literaturlexikon © CD-ROM 1999 Systhema Verlag GmbH, Buchausgabe Kindler Verlag GmbH]

1824

In


Abb.: Titelblatt von Band 1

Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste : mit Kupfern und Charten / in alph. Folge von genannten Schriftstellern bearb. und hrsg. von J. S. Ersch und J. G. Gruber. -- Sect. 1: A - G. -- Theil 13: Briänsk - Bukuresd. -- Leipzig : Gleditsch, 1824. -- 421 S. ; 4º. -- S. 330 - 337

fasst  Johann Gottfried Gruber (1774-1851) das Wissen seiner Zeit über "Buddha, Buddhaismus" so zusammen:

"Buddha. Buddhaismus

Buddha1 wird allgemein als der Stifter der auf der Insel Ceylon, im Reiche der Burmanen, und in den Königreichen Siam und Kambodja herrschenden, auch nach China, Kochinchina, Tonkin und Japan verbreiteten, Religion genannt; auch erstreckt sich dieselbe bis in die Kalmükei und nach Sibirien; ja manche Forscher wollen Spuren derselben bis nach Ägypten, Griechenland, Skandinavien und Britannien hin entdeckt haben. Wie sehr er die Forscher beschäftigt haben müsse, kann man schon aus den vielerlei Vermutungen abnehmen, nach denen er mit Noah, Moses, Siphoa (ägypt. König), Sesak oder Sesostris, dem Jesus der Manichäer von der einen, und mit dem Fo oder Foe der Chinesen, dem Tot (Taauth) der Ägypter, Hermes der Griechen, Merkur der Römer, und mit Wodan und Odin der Skandinavier von der andern Seite, für einerlei erklärt wird. Leicht erkennt man aber auch hieraus, dass die Untersuchung über ihn zu den sehr verwickelten gehören müsse. Sonderbar genug wird sie noch verwickelter dadurch, dass man am Ende auf den Zweifel geriet, ob wohl überhaupt Buddha als eine wirkliche Person existiert habe. Bhooddha bedeutet nämlich Weisheit, Allwissenschaft und Heiligkeit, und wir finden einen Buddha in dem indisch-astronomischen System, welchem wenigstens jene ersten Prädikate zukommen, und der doch nie eine wirkliche Person war.

1  Bei den Ceylanern Bouddha, bei den Siamesen Potti, Poutti Sat, bei den Tibetanern Pout, Pott, Pot, Peti, bei den Kochinchinesen But, bei den Arabern Bod, bei Edrisi Bodda, bei Clemens Alex. Butta, bei Fra Paolino Budha, bei Chambers Boudhou, bei Gentil Baouth, bei Andern Budda.

Dieser Buddha wird nämlich für den Planeten angegeben, nach welchem der vierte Tag in der Woche (Mittwoche) in Indien Buddha-wara heißt. Da eben dieser Tag bei den Skandinaviern Wodanstag, und bei den Römern Merkurstag heißt; so wird die Identifikation mit Merkur und Wodan sich auf diesen Planeten beziehen, und der Zusammenhang mit dem ägyptischen Thot ergibt sich dadurch wieder von selbst, indem Thot von den Griechen für den Hermes erklärt wurde. Thot war aber der Genius der Weisheit und Wissenschaft. Diesem zufolge ließe sich nun allerdings die persönliche Existenz Buddha's bezweifeln. Ein Pandit belehrte jedoch den Verf. der >Lettere sull' Indie orientali<2, dass Buddha durchaus nicht mit jenem Buda verwechselt werden dürfe, welchen die Indier für den Gott oder Genius des Planeten Merkur halten; der Buda habe nicht das Mindeste mit dem Buddha gemein. »Er ist der Sohn des Mondgottes Ciandra und der Frau des Brahaspati oder Vrihaspati, namens Tara, welche sich Ciandra zueignete. Wenn man diesen Umstand nicht aus der Acht gelassen hätte, so würde man im Betreff des Buddha und des Merkur gewiss nicht so viel Lärms gemacht haben.«

2 Sprengel-Ehrmanns Bibl. d. Reisebeschr. Bd. 32. S. 155.

Angenommen, dass sich dies so verhalte, bleiben indes noch zwei Buddhas übrig, welche man als den älteren und jüngeren unterschieden hat.

Der ältere wird ein Eidam jenes Menu Satjavrata oder Waiwaswata, des Sohnes der Sonne, welcher bei einer großen Flut von Wischnu in einer Arche gerettet wurde, und der Stammvater des berühmten Geschlechts der Puru's genannt. Er gehört zu den alten Gesetzgebern, und es wird von ihm gesagt, dass er in der Sternkunde, der Sterndeutekunst, der Moral, den religiösen Gebräuchen, der Heilkunst, Rechtswissenschaft und Handelskunde unterrichtete.

Der jüngere oder zweite Buddha wird für die 9te Verkörperung (Avatara) Wischnu's ausgegeben, welche entweder mit der des Krischna zusammenhängt, oder auf sie folgt3, wonach die Zeit seines Erscheinens mystisch als das Ende des vorigen oder der Anfang des jetzigen und letzten Weltalters (Kali-Yug) bestimmt wird.

3 Polier Mythol. d. Ind. II. 166 fgg.

Auch bei diesen beiden kann es indes zweifelhaft gemacht werden, ob sie wirkliche Personen gewesen, denn Buddha ist nicht ein Eigenname, sondern ein Titel, der eine Würde bezeichnet, und zwar die des Höchsten unter den Heiligen. In diesem Sinne wird nun von gar vielen Buddhas gesprochen. Nach einigen sind zu verschiedenen Zeiten 22 Buddhas erschienen, um die Welt zu regieren; für die jetzige Periode werden 5 derselben gerechnet, von denen der 5te noch erst erscheinen soll. Der 4te derselben soll der erwähnte jüngere Buddha gewesen sein, der allerdings nicht Buddha hieß, aber ein Buddha war. Sein eigentlicher Name war Sakya (Sachya, Sakhya, Shakya), und dieser wird genannt der Sohn des Rajah von Kailas Sadudhana4 und der Mahamaya5. Als sein Geburtsort wird angegeben Gaja (Gaya) in der Provinz Kikata (Bahar). In seinem 16. Jahre verheiratete sich dieser Sakya mit Vasutara, der Tochter des Rajah Chuhidan, und erzeugte mit dieser einen Sohn, namens Raghu. Eine alte, in einer Höhle zu Islemabad aufgefundene, Inschrift6 besagt, dass er, nachdem ihm gewisse Geheimnisse offenbart worden, sein Reich verlassen habe, über den Ganges gegangen, die Welt in Gestalt eines Bettlers durchzogen, und ein so strenges Leben geführt habe, dass sogar Brahma, Indra, der Schlangenkönig Naga und die vier Schutzgeister der vier Weltregionen herbei eilten, und ihm alle Ehre erwiesen. Anderwärts wird berichtet, dass er nach seinem 31. J. sich in Einöden begeben habe, um die Eigenschaften eines Buddha zu erlangen. Dann wurde sein Beruf der Welt kund, und er wirkte nun 45 Jahre lang als Buddha, und starb an einem Donnerstage den 15. Mai, von welchem Tage an die Buddhisten ihre Zeitrechnung beginnen, welche in diesem Jahre aus 2366 Jahren besteht, und also 542 Jahre über die christliche hinausreicht.

4 Sudodhana, Sutah Dannall, Suta Danna.
5 Maja, Mahamah Devi, welche nicht verwechselt werden darf mit der Maia des Brahmanismus.
6 Asiat. Res. II. Eine andre zu Buddha-Gaya (in Bengalen) aufgefundene Inschrift s. das. Bd. 1.

Dieser Buddha, sagt man, ist derselbe, den man auf Ceylon Gautemeh (Godama) Buddha, und in Siam Sommonokodom nennt, und an dieser Identität ist wohl nicht zu zweifeln. Nach Mahony's Bericht wäre die richtige Schreibart Sommono Gautemeh, und Sommono bedeutet einen heiligen, so viel als Buddha (nach Buchanan einen, der als Priester eingekleidet ist, - einen Schamanen). Nach Joinville ist der gewöhnliche Name Saman Gauteme Boudhou Vahanse. Samono und Saman, sagt er, sind sich gleich; Kodom ist Gautemeh, nach Mahony, eine Benennung, womit man einen bezeichnet, der aus einer alten vornehmen Familie entsprossen ist; nach Fra Paolino (Mus. Borg. p. 8.) bedeutet es eigentlich eine Kuhherde, figürlich einen König, womit die mongolische Sage übereinstimmt, dass Schakya als Büßer den Namen Goodam, d. i. Hüter der Kühe, angenommen habe; nach Buchanan bedeutet es sehr klug, sehr weise. - Wie dem sei, Godama wird in den indischen Reichen jenseits des Ganges als Gott verehrt, und seine Religion besteht daselbst noch; die Priester derselben heißen Rahans, auch Talapoinen7; die Tempel Buddha's werden eigentlich Buddestaneh, Siddestaneh, auch Maligawa, für gewöhnlich aber nur Bihare oder Viharagi genannt, wie die Wohnungen der Priester heißen, welche gewöhnlich dicht neben den Tempeln stehen.

7 Nach Buchanan heißen die Priester Godama's in der Landessprache Rahans, in der Palisprache Thannka, bei den Mohammedanern Raulins, bei den Europäern Talapoinen, welcher Name von Talapat, Sonnenschirm, abgeleitet wird, den diese Priester gewöhnlich tragen. Als besonderen Titel gebe man ihnen auch den eines Somana oder Samana, welches von dem Sanskritischen Saman, Artigkeit, Höflichkeit, abstammen soll; hienach würde auch die ganze Sekte der Buddhisten von Einigen Samanen genannt. - Von der Lebensweise, den Pflichten und Obliegenheiten der Rahans gibt den deutlichsten Begriff das in der Palisprache geschriebene Buch Kananua, übers, von Buchanan As. Res. VI. und in der Bibl. d. Reis. 31, 172 fgg. Eine andere Schrift Padimot ist ähnlichen Inhalts. Man sehe außerdem in Louberes Beschr. von Siam die Maximen der Talapoinen.

Zur Grundlage der buddhistischen Religionslehre werden wir hier am zweckmäßigsten die von Buchanan mitgeteilte, kurze Übersicht derselben machen, welche der Oberpriester Zaradobura dem katholischen Bischof zu Ava mittheilte.8

8 Von Buchanan aus Sangermano's Handschrift mitgeteilt, Bibl. d. Reis. 31, 146-160.

Es sind bis jetzt 4 Götter auf der Welt erschienen und zu Nieban gelangt. Der vierte war Godama, zwischen welchem und seinem Vorgänger noch 6 Männer auftraten, welche sich für Götter ausgaben und auch Anhänger erhielten. Godama aber ist der einzige wahre Gott, welcher die 5 Gebote gegeben und zu der Enthaltung von den 10 Sünden aufgefordert hat. Die 5 Gebote sind: 1) Vom kleinsten Insekt an bis zum Menschen herauf sollst du kein Tier töten, von welcher Art es sein möge; 2) du sollst nicht stehlen; 3) du sollst weder eines Andern Frau noch Beischläferin mit Gewalt nehmen; 4) du sollst keine Unwahrheit sagen; 5) du sollst weder Wein noch starke Getränke trinken, auch keinen Opium kauen, oder sonst etwas Berauschendes zu dir nehmen. - Die 10 Sünden sind in 3 Klassen eingeteilt: 1) Töten der Tiere, Diebstahl, Ehebruch; 2) Lügen, Unverträglichkeit, harte zornige Worte, unnützes und albernes Geschwätz; 3) Trachten nach des Nächsten Gut, Neid und Verlangen nach des Nächsten Tod oder Unglück; Glaube an die falschen Götter.9 Wer sich dieser Sünden enthält, von dem sagt man, er beobachte Sila. Außerdem kann man noch gute Werke ausüben; Dana, wenn man Almosen austeilt, besonders unter die Rahans, und Bavana, welches im tiefdurchdachten Aussprechen von 3 Worten besteht. Bei dem Wort Aneizza erinnere sich der Mensch, dass er abwechselnden Schicksalen, bei Dokcha, dass er dem Unglück unterworfen ist; bei Anatta, dass es nicht in seiner Macht steht zu verhindern, dass er nicht dem Zufall und dem Unglücke unterworfen sein müsse. Wer aus der Welt geht ohne Sila, Dana und Bavana befolgt zu haben, der kommt in eine der höllischen Wohnungen, und seine Seele wandert abwärts; wer sie befolgt, der wird endlich für würdig befunden werden, einen Gott zu schauen und wird Nieban erlangen.10

9 »Die Grundsätze, welche sich Buddha zu eigen gemacht hatte, waren Weisheit, Gerechtigkeit und Güte. Aus diesen Grundsätzen entstanden 10 Gebote, welche unter drei Klassen gebracht sind: Gedanken, Worte und Werke. Sie stehen in einem Gesetzbuche, welches in der Palisprache geschrieben und Diksangeeyeh betitelt ist.« Mahony.
10 Aus einer Handschrift des peguanischen Philosophen Dhermaragia Guru führt Fra Paolino S. 339 seiner Reise nach Ostindien folgende Stelle an: »Diejenigen, welche die Gottheit, ihr Gesetz und ihre Priester in Ehren halten, werden dereinst das Schicksal aller Guten haben. Denn es verhält sich sowohl mit den verdienstlichen als den unverdienstlichen Handlungen alles dessen was lebt, wie mit dem Schatten unsers Körpers, welcher sich nie von ihm trennt, sondern ihm überall nachfolgt. Unter allen belebten Geschöpfen gibt es sowohl gute, als böse. Aus dem Menschen wird entweder ein Nat (Dämon) oder ein Tier. Die Seele des Thiers fährt entweder in einen Menschen oder in einen Nat. Der Nat wird entweder Tier oder Mensch. Kurz, alle die, welche sich noch nicht das Verdienst erworben haben, dass sie in den Nieban aufgenommen werden können, steigen wechselsweise bald aufwärts, bald abwärts.« Nach Sangermano sind die Begriffe von der Seelenwanderung hier von den gewöhnlichen sehr abweichend. Man behaupte, dass beim Tode jedes lebenden Wesens Seele und Leib zugleich sterben, dass aber aus denselben Stoffen ein anders Wesen entstände, welches den guten oder schlechten Handlungen des vergangenen Lebens gemäß ein Tier, oder ein Mensch, oder ein Nat werde.

Diese Übersicht enthält nur das eigentliche Moralsystem, ohne sich mit dem Metaphysischen zu befassen; man sieht indes doch, dass zu dem ganzen System die Lehre von der Seelenwanderung und eine eigentümliche Kosmologie und Theologie gehören müsse. Das Merkwürdigste an dieser letzten soll sein, dass die Götter nur als Menschen dargestellt werden, die durch Tugend zur höchsten Seligkeit gelangten, und durch Weisheit das Recht erlangt haben, Gesetze vorzuschreiben. Daher schreibt noch vom J.. 1823 der Missionär Judson11: »Man kann die Buddhaisten gewissermaßen für Atheisten erklären. Sie glauben nämlich, dass alles Dasein in sich den Keim zum Elend und zur Zerstörung trage; dass also kein ewiger Gott sei. Das Weltall, sagen sie, ist nur Zerstörung und Wiedererzeugung. Also ist nur der ein Weiser, der sich über die daseienden Dinge zu dem Nighan, d. i. zu demjenigen Zustand erhebt, in welchem keine Existenz ist. Belohnungen und Bestrafungen folgen den tugendhaften und lasterhaften Handlungen, der natürlichen Ordnung der Dinge gemäß. Goudama machte sich durch seine Verdienste des Zustandes höchster Vollkommenheit würdig. Seine Anordnungen sind noch in Kraft, und werden es bis zur Erscheinung der nächsten Gottheit sein.« Diese Gottheit wird der 5te Buddha sein. Nach den Weissagungen des 4ten soll dessen Lehre sich 5000 Jahre lang in ursprünglicher Lauterkeit erhalten; lange darauf wird Maitri (Maidari) Buddha geboren werden, und unter diesem wird die jetzt bestehende Welt zu Grunde gehen, damit eine andere an deren Stelle treten könne. Dies führen die Buddhisten mit zum Beweis an, dass es kein höchstes Wesen gebe, welches das Weltall erschaffen habe, denn, sagen sie, gäbe es solch einen Schöpfer, so würde dieser die Welt nicht untergehen lassen, sondern für deren unvergängliche Dauer sorgen.

11 Knapp neuere Gesch. der Evang. Miss. Anst. in Ostindien St. 72. S. 1210.

Was die Vorstellung von dem Weltall betrifft, so findet man hierüber die ausführliche Nachricht in Sangermano's >Cosmographia Barmana<, welche Buchanan übersetzt hat.12

12 Man vergleiche damit das, was von Mahony und Joinvillc, und von dein anonymen italienischen Verfasser der Briefe über Ostindien im vierten Briefe berichtet wird.

Das Weltall führt den Namen Loga, d. i. Zerstörung und Wiederherstellung, denn man nimmt an, dass von Ewigkeit her eine Welt auf die andre gefolgt sei, und dass dies in Ewigkeit so fortdauern werde, nach einem Dammada, welches man für unabänderliches Naturgesetz erklärt. Diese sukzessiven Zerstörungen und Herstellungen gleichen einem Rade, in dem man weder Anfang noch Ende bestimmen kann. - Dieses Weltall enthält 3 Gattungen lebender Wesen: Chama, erzeugende, Rupa, materielle, aber nicht erzeugende, und Arupa, immaterielle Wesen oder Geister. Diese 3 Gattungen sind wieder in verschiedene Klassen eingeteilt, und jeder von diesen ist ein besonderer Aufenthaltsort (Bon) angewiesen und ein entweder glücklicher oder unglücklicher Zustand. Die erste Gattung hat 11 Klassen, von denen 7 in einem glücklichen, 4 in einem unglücklichen Zustande sich befinden; die zweite Gattung hat 16, die dritte 4 Bons. Aus der ersten Gattung sind die Menschen im Besitz des ersten glücklichen Bons, die übrigen 6 haben die Nat (Dämonen) inne, deren es 6 verschiedene Klassen gibt. Der Zustand der Unglückseligkeit wird Ape genannt, und in diesem befinden sich 1) alle Tiere, 2) die Preitta (alle die sich auf irgend eine Weise gegen die Rahans vergangen haben), 3) die Assurighe, die in Wäldern, am Seegestade, in Bergklüften und menschenleeren Gegenden hausen, und 4) die Bewohner des Niria oder der Hölle, 8 unterirdische Behausungen, die wieder in 40 000 kleinere abgeteilt sind. Die Dauer der Strafen daselbst richtet sich nach der Größe der Verbrechen; es wird aber genau angegeben, welche Strafen jedem Verbrechen folgen, und wie lange sie dauern werden. - Diese Kosmologie enthält ein System von Astronomie, Physik und Kosmographie, eng angeschlossen an die Dogmatik, welche mit der Lehre von der Weltzerstörung schließt. Zu einer solchen gibt es 3 Veranlassungen: Wollust, Zorn und Unwissenheit. Herrscht die Wollust vor, so geht die Welt durch Feuer, herrscht der Zorn vor, so geht sie durch Wasser, herrscht die Unwissenheit vor, so geht sie durch Wind unter, d. h. sie gelangt wieder in einen chaotischen Zustand, aber nur um sich von neuem zu gestalten.

In der aufgestellten Kosmographie werden 101 Nationen als Bewohner der Erde namhaft gemacht, unter denen aber von den jetzt die Erde wirklich bewohnenden Völkern nur die Chinesen, Siamer und die Einwohner von Tavay, Pegu, Laos, Cussay und Arakan vorkommen. Aus eben dieser Kosmographie hat aber Buchanan die Folgerung gezogen, dass Buddha und seine Lehre aus dem nördlichen Hindostan stammen. »Buddha's geographische Kenntnisse, sagt er, mussten sehr beschränkt sein. Sowie man sich aber mit ihnen der erwähnten Gegend nähert, nehmen sie eine mehr spezielle und vernünftige Form an. Aus den Nachrichten von den Bergen, dem Schnee, den Seen und Flüssen, die seine Schüler geben, kann man schließen, dass er nahe bei Tibet wohnte. Man kann annehmen, dass er die dortigen Schneegebirge sah, von den großen Flüssen hörte, die in das sibirische, chinesische und kaspische Meer von da fließen, und die Arme des südlichen Flusses darum spezieller angab, weil er an seinem Ufer wohnte. Wäre er aus Tibet gebürtig gewesen, so würde er nicht in den großen Irrtum verfallen sein, die Flüsse von Bengalen und Oude aus einer Quelle entspringen, und sie auf die angegebene Art durch die Semalik-Gebirge dringen zu lassen.« - Diese Bemerkung führt uns zurück zu der Untersuchung über den jüngeren Buddha selbst.

Nimmt man ihn als Sakya, der ein Buddha wurde, so besteht seine wirkliche Persönlichkeit. Dass dieser aber ursprünglich Hindostan angehörte, beweisen teils die übereinstimmenden Berichte der Hindostaner und Ceylaner über seine Abstammung und seinen Geburtsort, teils die mancherlei Denkmale, die man von seinem Kultus noch in Hindostan findet13, teils seine Lehre selbst, die ihren Brahmanischen Ursprung nicht verleugnen kann. Auch aus der Sage, die ihn zur 9. Verkörperung Wischnu's macht, geht es hervor: und wenn dies von Einigen beschränkt, von Andern geleugnet wird; so liegt der Grund am Tage, weil nämlich dieser Sakya mit dem herrschenden System eine, den Anhängern desselben missfällige, Reform vornahm. Man hat längst bemerkt, dass damit nichts Geringeres beabsichtigt wurde, als Vertilgung der Brahmanen-Theokratie, des Kasten-Unterschiedes, und des ganzen symbolischen Kultus, welcher jenen zur Stütze diente. Seine Anhänger erkennen weder Vedas noch Puranas für kanonisch.14 An die Stelle dessen, was sie enthalten, setzte er ein eignes System, dessen Grundlage Quietismus ist, und man hat ihn deshalb zum Haupte der Samanaer oder Schamanen gemacht, welche man als die Sanftmütigen erklärt. Aus der Vermutung, dass diese Buddhistischen Schamanen einerlei sind mit den Gymnosofisten, wie sie von griechischen Schriftstellern geschildert wurden, folgt, dass diese Sekte in Hindostan vor Alexanders Zeit müsse vorhanden gewesen sein, und es widerspricht diesemnach nichts der Angabe, welche Sakya's Todesjahr 542 Jahre vor Christus ansetzt. Diesemnach hätte sich die Sekte der Buddhisten über 6 Jahrhunderte in Hindostan behauptet, denn aus der Geschichte wissen wir, dass im 1. Jahrh. n. Chr. dieselbe von den Brahmanen mit Hilfe der Kriegerkaste vertrieben wurde, und nun erst außerhalb der vorderen Halbinsel sich verbreitete. Nur wenige Überreste davon blieben in Hindostan zurück; im J. 40 langten Buddhisten auf Ceylon an, und kamen von da nach Ava und Pegu; im J. 65 kamen sie nach China, im J. 66 nach Japan und Korea.15 Sie verbreiteten sich über Tibet unter Mongolen, Kalmücken bis nach Sibirien; wenigstens findet man auch hier die Schamanen.

14 »Das vornehmste und heiligste Gesetzb. der Ceylaner, welches man mit Recht ihre Bibel nennen könnte, mag wohl das Abidarmeh Pitekeh Sattappre Karranee sein, das in der Palisprache geschrieben und in der Hauptstadt von Kandia zu bekommen ist. - Die Vedas und Puranas kannten die Rahans nicht.« Mahony.
15 Stephens in der Übersetzung des Faria y Sousa Kap. 16. §. 12. Grosier's allg. Beschr. von China 2, 215. Kämpfer Amoen. exot. p. 608.

Hiebei wird nun freilich die Identität des chinesischen Fo oder Fo-e (nicht Fo-hi), des japanischen Amida oder 0-mi-to (nach Jones: unermesslich) u. a. mit Buddha vorausgesetzt, welche aber von Mehren bezweifelt oder geleugnet wird. Der Grund indes, dass der Name Buddha mit jenen andern Namen doch gar zu wenig Ähnlichkeit habe, dürfte schwerlich den Grund für diese Meinung überwiegen, dass dagegen mit dieses Buddha wahrem Namen Sakya der Chinesische Xekia, der Japanische Xaxa, der Tibetische Schaka, der Tunkinische Thika u. a., so wie die Hauptlehren von allen diesen desto mehr übereinstimmen. Jene Identität ist daher wohl nicht eine bloß grundlose Behauptung. Ist sie dies aber nicht, so erhält auch die Sage vom Fo, dass er beim Sterben seinen vertrautesten Schülern eröffnet habe, was er bisher gelehrt, sei nur unter Allegorie verhüllte Wahrheit gewesen, und seine wahre Meinung sei, Alles sei aus dem Nichts entstanden und kehre in das Nichts zurück, und die wahre Weisheit bestehe darin, sich selbst so viel als möglich zu vernichten, - diese Sage erhält Gewicht für unsere Untersuchung, da es gewöhnlich geworden ist, den, wie man sagt atheistischen, Buddhaismus als ein System des Nihilismus zu betrachten.

Auf jeden Fall wird man, um hier das Wahre herauszufinden, zwei Perioden bei dem Buddhaismus unterscheiden müssen. In der ersten werden wir das, was Sakya eigentümlich ist, in der zweiten die Abweichungen seiner Nachfolger finden, worauf in jener Sage das Geständnis des sterbenden Buddha-Fo hinzudeuten scheint.

Demzufolge, dass Sakya-Buddha ein Avatara Wischnu's16 genannt wird, könnte man ihn wohl für den Sprössling eines Wischnu-Institutes halten, und seine Geschichte widerstreitet wenigstens dem nicht, dass er in alle 4 Stände eines Brahmanen eingetreten sei. Er wurde wenigstens, nachdem er Hausvater gewesen und einen Sohn gezeugt, Einsiedler (Vanaprasta). Sind diese, wie Fra Paolino will, die Samanaer oder vielmehr Yamanaer; so fallt nun zwar die Meinung, dass er der eigentliche Stifter der Schamanen sei, allein hiemit nicht zugleich auch, dass diese durch seine Reform zu dem wurden, wofür man sie erklärt, zu Sanftmütigen, wie er selbst vorzugsweise der Schaman. Eine Reform bestand aber in nichts anderem als in der Wiederherstellung des eigentlichen Brahmaismus im Gegensatze des Brahmanismus (s. Bd 12. S. 408). Wer jenen nicht in der hohen Einfachheit der Buddhaistischen Moral selbst schon erkennen sollte, der erwäge, dass der hervorstechendste Punkt im Buddhaismus die Aufhebung der blutigen Opfer ist. Wegen dieser wurden die Vedas verworfen, und setzte sich der Buddhaismus dem Kampfe wohl hauptsächlich mit dem Shivaismus aus. Auf Buddha's Statuen findet man daher auch als charakteristisches Kennzeichen eine Blume in seiner Hand, die, nach Moore's Vermutung hindeutet auf jene unschuldigen Opfer aus einer Zeit, wo noch keine Vedas blutige geboten. Sollte nun aber jemand noch zweifeln, dass es hiemit auf Brahmaismus abgesehen gewesen, so muss es ihm der Zusammenhang verbürgen, in welchem Buddha überall mit Brahma gefunden wird. Nicht nur spielt in allen den Sagen, welche von der Geburt des Religionsstifters, nach orientalischer Weise, Wunderbares berichten, Brahma eine Hauptrolle, sondern die eine Sage erklärt auch Buddha geradezu für ein Avatara Brahmas. Mag dies aber, weil eine andere Sage Buddha zum Avatara Wischnu's macht, auch nicht gelten; Ein Beweis bleibt übrig, der nicht leicht zu entkräften sein dürfte. In dem System der Ceylaner ist, nach Mahony's Bericht, Sahampattu Maha Brachma (der große Brahma) ein Wesen von der bedeutendsten Wichtigkeit. Nach Buddha ist er von allen Göttern, die sich in den Himmeln und auf der Erde aufhalten, der nächste, ja er vertritt die Stelle des allerhöchsten Wesens, und ist es, der die Welt unter seine Aufsicht genommen hat, während Buddha im Genuss der höchsten Seligkeit sich befindet. Übrigens zeigt sich auch der Zustand des Einsiedlers hier wieder in der natürlichen Einfachheit, die er ursprünglich gewiss haben musste, und die Lehre von der Seelenwanderung ist in eben dem Grade einfacher, als die Moral von willkürlichen Satzungen freier ist. Von Quietismus kann hier nur in Beziehung auf die Ruhe des kontemplativen Lebens die Rede sein, und es ist durchaus kein Grund vorhanden, dieses kontemplative Leben etwa für einen fortdauernden Zustand der Beschaulichkeit zu halten, da alle Betrachtung sich lediglich auf das Praktische richtet.

16 Eine Hauptbeweisstelle führt Fra Paolino aus dem Mahabharada an. Reise nach Ostind. S. 338.

Allem diesem zufolge zeigt sich in der ersten Periode des Buddhaismus in der Tat nichts andres als eine Wiederherstellung des schon immer mehr verdrängten Brahmaismus in seiner einfachen Urgestalt. In dieser einfachen Gestalt erhielt er sich nun aber nicht, wie daraus mit Gewissheit erhellet, dass unter den Buddhisten 3 verschiedene Sekten entstanden, die der Jinas (Dschinas, Dschenas) oder Jainas, der Arhan's oder Mahiman's u. der Buddhaisten, über welche Sekten die Abhandlung Mackenzie's mit Colebroke's Zusätzen (Asiat. Research. Bd. 9.) das Beste enthält. In dem Brahmaismus liegt der Keim zum Materialismus, in dem Quietismus zum Nihilismus; diese beiden Keime aber entwickeln sich in der zweiten Periode. Wenn man nun aber sagt, das Buddhistische System sei atheistisch geworden, und lehre, dem Nichts, als dem Grundwesen, ähnlich zu werden, sei des Menschen höchstes Ziel; Tugend und Glückseligkeit beständen in gänzlicher Untätigkeit und Unempfindlichkeit, in Aufhebung alles Strebens und Denkens; so lässt sich dieses wenigstens aus dem Buddhaismus im Allgemeinen nicht erweisen. Dieser ist zwar kosmologisch, aber keineswegs psychologisch materialistisch; und wenn er gleich Gott nicht als Weltschöpfer annimmt, so nimmt er doch Götter17 eben sowohl als Geister an, ja einen Gott als moralischen Gesetzgeber und selbst positive Belohnungen und Strafen für gute und böse Handlungen unsterblicher Wesen. Der angeschuldigte quietistische Nihilismus scheint auf einem Missverstande dessen zu beruhen, was über den Zustand der Seligkeit gesagt wird. Joinville noch sagt: »die Buddhisten glauben, die Seele habe von jeher existiert, und müsse während eines unendlich langen Zeitraums, der nach Verhältnis ihrer guten oder schlechten Handlungen bestimmt werde, aus einem Körper in den anderen wandern, bis sie endlich ganz aufhöre zu sein. Das Ende der Seele heißt Nivani (im Sanskrit Nirgwani). Hierin besteht die passive Glückseligkeit, welche alle Buddhisten dereinst zu erlangen hoffen. Ein Verbrecher, der unlängst gehangen wurde, sagte noch kurz vor seinem Tode, er stehe nun im Begriffe Nivani zu werden. Dies zeigte jedoch den Mangel an Unterricht in den Grundsätzen seiner Religion; denn zufolge derselben konnte er nicht eher Nivani werden, bis er zuvorderst ein Buddha gewesen war.« Sollte es wohl möglich sein, dass man auch nur gedichtet hätte, die Seele, ein von Ewigkeit her existierendes Wesen, daure, bis sie den höchsten Grad der Vollkommenheit erlangt habe (denn dies heißt doch hier ein Buddha sein) um dann - vernichtet zu werden? Gewiss hat Joinville sich hier in Ansehung des Nieban getäuscht, über den sich der Oberpriester der Rahans selbst in einem ganz andern Sinn erklärt. »Wenn, sagt dieser, Jemand den Übeln der Schwere, des Alters, der Krankheit und des Todes nicht länger unterworfen ist, so sagt man, er habe Nieban erlangt. Kein Ding, kein Ort kann uns vom Nieban einen vollständigen Begriff geben; wir können weiter nichts davon sagen, als dass die Befreiung von jenen Übeln und die Erlangung der Seligkeit Nieban sei. Es ist gerade so, als wenn man von Jemandem, der nach dem Gebrauche der Arzneimittel, eine schwere Krankheit überstanden hat, sagt, er habe seine Gesundheit wieder erlangt: wenn aber jemand zu wissen begehrt, wie und auf welche Art das geschehen sei, so wissen wir weiter nichts zu antworten, als, wieder gesund werden sei weder mehr noch weniger als von einer Krankheit genesen. So und nicht anders sprechen wir von Nieban, und so hat es Godama gelehrt.« Ohne Zweifel ist Nirenpan der Siamesen nichts andres als dieses Nieban, welches Judson Nighan nennt, aber auch so falsch erklärt als Joinville.18 Es ist aber Unrecht, den Buddhaismus dessen zu beschuldigen, wessen nur einzelne Sekten oder Schwärmer schuldig sind. Durch diese ist allerdings, teils aus Faulheit, teils durch Einmischung des Mystizismus, teils durch schwärmerische Asketik, auch der Buddhaismus in einzelnen Zweigen entartet. So entstand in China die mystische Sekte der Leerheit und des Nichts bei den Hoschang oder Bonzen, während sich anderwärts Einsiedler zeigen, deren selbstquälerische Bußübungen denen der Sanyasis nicht nachstehen; und mit der Dämonologie, welche man sehr ausgebildet hatte, war zugleich der Grund zu allen, auf Geister und Zauberglauben gegründeten, Gaukeleien gelegt, in denen endlich, außer dem Namen des entwürdigten Schamanismus, kaum eine Spur des ursprünglichen Buddhaismus mehr übrig blieb. Der Grund hiezu ward wohl schon in Hindostan selbst gelegt, wo nach aller Wahrscheinlichkeit ein Wetteifer mit den Shivaiten die Veranlassung dazu gab. Die gegenseitige Eifersucht der Buddhaisten und Shivaiten ist unverkennbar, bis endlich jene diesen unterlagen. Nach einer von Wilford (As. Res. III.) mitgeteilten Sage war es der Shivaite Sankara Charya (od. Acharya), der für ein Avatara Shiva's selbst ausgegeben wird, welcher die ketzerische Sekte vertilgte, ihre Tempel zerstörte, die Vedas erklärte, die ketzerischen Bücher dagegen verbrannte, und die Ketzer selbst zu vertilgen suchte. So kamen die Buddhaisten bereits in Sekten getrennt in das Ausland, und wenn der Buddhaismus schon deshalb in verschiedenen Ländern sich nicht ganz gleich sehen konnte, so wurde er sich durch die Verschiedenheit der Völker selbst, zu denen er kam, noch unähnlicher, und die Sagen mussten sich mehren.19 Was nun aber doch verhindert, trotz aller Verschiedenheit, die Religion dieser Völker nicht für dieselbe zu halten, ist die völlige Übereinstimmung in dem Moralsystem und allen Hauptlehren; wozu noch kommt, dass die Statuen Buddha's, wenn sie gleich bei jedem jener Völker die National-Physiognomie erhalten haben, doch in dem wesentlichen Charakter, in der Stellung und im Kostüme sich gleichen, so dass jedes Volk seinen Gott in dem Gotte der andern erkennt und anerkennt.

17 Man kann den Buddhaismus schwerlich als reinen Monotheismus betrachten. Die Ceylaner klassifizieren ihren Götterstaat so: 1) Buddha, 2) Maha Brahman, 3) Sakkereh (Gott des untersten Himmels und der Erde), 4) 32 Sakkerehs als Rathgeber, 5) die vier Schutzgötter der vier Weltgegenden, 6) die Untergötter in den untern Himmeln, 7) die Kombaendeyos (Engel), und 8) die Götter, welche sich auf der Erde aufhalten, und deren Diener. Vgl. Asiat. Res. VII. 57.
18 Buchanan tadelt es mit Recht, dass die Missionare Nieban durch Vernichtung übersetzen; es bezeichnet, sagt er, einen von allen den Unfällen, welchen die Menschheit unterworfen ist, freien Zustand, aber keineswegs Vernichtung. Dies ist aber nicht der einzige Irrtum, in den Joinville verfallen ist. Um nur eines einzigen, seiner Wichtigkeit wegen, zu gedenken, so zählt er uns bei den Buddhisten auch die indischen Kasten auf. Buchanan dagegen sagt ausdrücklich: »So weit ich Buddha's Anhänger im burmanischen Reiche und in Siam kenne, kann ich dem Leser versichern, dass ein so grausamer und abscheulicher Unterschied dort bloß durch Erzählungen und aus dem Beispiele der hier wohnenden Hindus bekant ist.« U. a. O. S. 125.
19 Diese Sagen betreffen 1) das freiwillige Herabsteigen Buddha's aus dem Sitze der Götter, 2) seine Empfängnis im Leibe einer Jungfrau, die nicht weniger wunderbar ist als 3) seine Geburt; 4) sein Leben und Wirken überhaupt, seine Wunder und seine Lehre. Klaproth hat in der >Asia Polyglotta< das Leben des Buddha nach Mongolischen Nachrichten zusammengestellt; es würde interessant sein, wenn Leben und Lehre desselben eben so nach den Nachrichten anderer Nationen, zu denen sich der Buddhaismus verbreitete, zusammengestellt würde.

Außer dieser Verbreitung des Buddhaismus nach Norden, Osten und Süden hat man nun aber auch noch die Spuren einer Verbreitung desselben nach Westen und Nordwesten verfolgt. Deutlich sind diese Spuren in Mittelasien. Klemens Alexandrinus (Strom. 1) kennt die Samanäer als Anhänger des Butta (von welchen Porphyrius fde abst. IV] bei den Indiern Kunde hat), so wie der Alexandrinische Bischof Cyrillus (T. II. p. 133.) in dem persisch-baktrischen Lande, und nach der Nachricht des Mesopotamischen Bischofs Archelaus (adv. Manich. in Zaccagni Collect. Mon. vett. eccl. gr. et lat.) gab sich des Maries, Stifters der Manichäischen Sekte, Lehrer, der eigentlich Terebinthus hieß, den Namen Budda, und erklärte, dass er von einer Jungfrau geboren, von einem Engel aber in den Gebirgen auferzogen sei. So wenig sich ein schon älterer Zusammenhang des Buddhaismus mit dem Parsismus verkennen läßt20, eben so wenig lässt sich eine Einwirkung beider auf den Christianismus bezweifeln, welche vielleicht künftig in unserer Dogmengeschichte mehr hervorgehoben wird. Von der anderen Seite dürfte aber auch die Rückwirkung des Christianismus auf den Buddhaismus genauer zu untersuchen sein.

20 Der Chormusda, welcher unter den Sakkerehs, und in vielen Buddhistischen Sagen vorkommt, deutet ohne Zweifel auf den Ormuzd hin.

Viel weiter haben andere Forscher die Spuren des Buddhaismus zu verfolgen sich bemüht, und keiner hat darin wohl größeren Eifer und Scharfsinn bewiesen als Ritter in seiner Vorhalle europäischer Völkergeschichten vor Herodot. Man sieht sogleich, wie weit er diese Spuren verfolgt an seiner Zusammen-

Stellung eines Koros-Buddha-Khoda-Odin-Wodan. Die Identität des Buddha mit Odin-Wodan ist indes auch lebhaft bestritten worden. Klaproth sagt darüber21: »Wenn man bedenkt, dass nach dem einstimmigen Zeugnisse der Hindu, Tibeter und Chinesen, die Lehre Budda's erst um das Jahr 60 unserer Zeitrechnung angefangen hat, sich nördlich von Indien, und später im innern Asien und in Tibet zu verbreiten, so stürzt die Odin-Buddha-Hypothese von selbst zusammen. Es findet ferner auch nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen dem Kultus des Buddha und dem des Odin Statt.« Dies Letzte ist der wichtige Punkt, auf den es ankommt. Den aus der Zeitrechnung hergenommenen Gegenbeweis hat man seit Jones durch die Annahme eines älteren Buddha zu entkräften gesucht. Der Annahme eines solchen bedarf es nun aber auch, wenn man Spuren des Buddha in Griechenland nachweisen will, denn diese gehen weit über die Zeit des Sakya hinaus. Diese Annahme ist nichts weniger als willkürlich. Um sie zu stützen, bedarf es nicht einmal, dass man sich auf die chronologischen Widersprüche einlasse, welche entstehen, wenn man alle Sagen auf den jüngeren Buddha beziehen will, sondern man braucht sich nur überhaupt zu erinnern, dass es der Buddhas Mehrere gab. Wenn nun aber der Kultus eines viel früheren Buddha sich westlich verbreitete, so wird sich fragen, ob dieser ältere Buddhaismus nicht auch ein ganz anderer gewesen sei, als der, von welchem bisher die Rede war. Dies ist allerdings die Meinung. Nach Ritter war der Kultus des alten Buddha ein Sonnenkultus, in welchem Koros der hieratische Sonnenname war. Er stellt einen Koros-Buddha und Buddha-Herakles auf, und zeigt die Spuren seiner Wanderung von Indien aus bis nach Griechenland und weiter nach Europa herein. Es ist hier der Ort nicht, weder dieses ausführlicher darzustellen, noch zu prüfen. Der Verfasser baut viel auf Namensähnlichkeit, jedoch nicht alles; er kombiniert zuweilen sehr kühn, doch immer scharfsinnig und oft sehr glücklich. Ganz frei von Verwechslung des alten Buddhaismus mit dem jüngeren ist er nicht geblieben. Bestimmter wird sich aber hierüber erst entscheiden lassen, wenn die indische und überhaupt ostasiatische Literatur u. Kunst uns noch bekannter sein wird.22 (Gruber)

21 Leben Budda's am Ende. - Vgl. A.W. Schlegels indische Bibl. Bd. 1. Hft. 2.S. 252 fgg.

22 Nachtrag: Zu spät, um sie bei der Ausarbeitung noch zu benutzen, erhielt der Vf. die so eben erschienenen Forschungen im Gebiete der älteren religiösen, politischen und literarischen Bildungsgeschichte der Völker Mittelasiens von Isaac Jacob Schmidt (St. Petersburg 1824). Da sie gerade für diesen Gegenstand sehr wichtig sind, so soll hier wenigstens das I Hauptsächlichste daraus angedeutet werden. S. 169. Wenn von Buddha die Rede ist, so versteht man gemeiniglich denjenigen, der unter dem Namen Schagkia-Muni oder Schagkia-Tubba von den Anhängern der von ihm verkündigten Lehre allgemeine göttliche Verehrung genießt, und nach ihren Begriffen der oberste Regierer der jetzigen Weltperiode ist. - Drei ähnliche erschienen vor ihm (s. das. die Antnerk.) S. 171 fgg. Tibetische Legende von ihm. S. 175 fgg. Angabe und Beurteilung der Quellen und der Chronologie S. 177. »Nach dem allgemeinen Zeugnisse aller mir zu Gebote stehenden Nachrichten hat Sch. keine geschriebene Zeile hinterlassen. Erst 10 Jahre nach seinem Tode wurde von einer Versammlung seiner Anhänger unter dem Vorsitze von dreien seiner Hauptschüler der 1. Teil der Lehren ihres vergötterten Meisters gesammelt. Die 2te Sammlung geschah 110 und die 3te sogar 300 Jahre nach Sch's Tode auf einem großen Konzilium in dem Klostertempel Dshalandari in Kaschemir, wo es sich schon darum handelte, den Ketzereien eines Geistlichen, den man für eine Emanation des Widersachers Mahadewa hielt, zu begegnen. Von da fällt die Geschichte des Buddhaismus in völlige Dunkelheit, aus welcher sie erst spät, aber nicht in Hindustan, sondern in anderen Ländern, vorzüglich in Tibet mit neuem Glänze hervortritt.« S. 180 fgg. System des Buddhaismus. »In Ansehung der furchtbaren Selbstpeinigungen, wozu Fanatiker in Indien sich verurteilen, findet man in den buddhaischen Büchern keine Spur von Anpreisung oder Billigung, obgleich mehrere dieser Schriften sich über das Nichts und die allmähliche Erkenntnis desselben weitläufig verbreiten. Zwar wird Selbstaufopferung empfohlen, und sollte sie auch mit den unerträglichen Qualen verbunden sein, es muss aber dabei ein nützlicher Zweck zum Grunde liegen.« S. 190. Sekte der Dschainas. »Das Wesentliche ihrer Dogmen kommt mit denen der Buddhaisten ziemlich überein, und weicht nur in Nebendingen ab. Gleich den Letztem verwerfen sie die Vedas und Puranas, aber die Kasteneinteilung haben sie beibehalten.« - »Buddha und Dschaina wollen sie nicht als Synonyme gelten lassen, sondern nachdem sie die Dschinas als höchste Gottheiten aufgeführt haben, lassen sie zunächst Indra, Brahma u.s.w., und dann erst die Buddhas folgen.« »Die Götzenbilder der Dschenas unterscheiden sich von denen der Buddhaisten vorzüglich dadurch, dass sie sämtlich unbekleidet dargestellt werden. So gestattet der zweite Grad der Heiligkeit ihrer Priester oder Einsiedler nur eine geringe Bedeckung, der dritte und letzte Grad erfordert völlige Nacktheit. Bei den Buddhisten sind Götzenbilder, Priester und heilige Personen anständig bekleidet.« S. 193 fgg. Geschichte der Einführung des Buddhaismus in Tibet. »Nach den tibetischen Chroniken, denen die mongolischen Schriftsteller gefolgt sind, erfolgte sie erst zu Anfang des 5. Jahrh., ungefähr um das Jahr 407; also weit später als in China, wo diese Religion schon im 1. Jahrhundert Eingang fand.« (Vgl. S. 215) S. 194-197. Auszug aus dem Werke >Nom Gharchoi Todorchoi Tolli<, welches viel Licht über die spätere Gestaltung des Buddhaismus in Tibet verbreitet. S. 217. »Die eigentliche Verbreitung des Buddhaismus über ganz Tibet und mehre angrenzende Länder erfolgte erst in der ersten Hälfte des 7. Jahrh. mit reißender Schnelligkeit.« S. 242. »Wir entdecken ein sehr altes Religionssystem, das, wie es jetzt beinahe den ganzen Osten der alten Welt beherrscht, in seinem intellektuellen Teile vorzeiten nicht minder auf einen großen Teil des Westens derselben eingewirkt hat. - Der Buddhaismus war es, welcher als erste Ursache, entweder rein oder mit Parsismus vermischt, in der Gestalt der Gnosis schon zu Anfang der christlichen Kirche, sich in dieselbe eindrängte.« S. 242. »dass die Gnosis von Syrien nach Indien gewandert und dort den Buddhaismus begründet habe, wird wohl Niemandem im Ernste einfallen, so wenig als mit P. Georgi die Einführung oder Gestaltung desselben in Tibet dem Manes zuzuschreiben; wohl aber mögen in späterer Zeit gnostizierende Juden oder Halbchristen, wie die Sabier waren, ihren Anteil dazu geliefert haben; oder vielmehr mag ihr System, insofern es mit den Regionen des Buddhaismus in Berührung kam, in demselben untergegangen und von ihm verschlungen sein.« So viel kann schon hinreichen, um auf die Wichtigkeit dieser Untersuchungen aufmerksam zu machen. Jeder, der die Untersuchung noch weiter führen will, wird zu beherzigen haben, was S. 139 gesagt ist. »Die Missionarien des Buddhaismus, obgleich in der Hauptsache konsequent geblieben, haben kein Bedenken getragen, bei den zu bekehrenden Völkern einheimische Ideen in ihr System aufzunehmen und damit zu verschmelzen, wodurch sie die Verbreitung ihrer Lehre sicherten. Sie ließen diesen Völkern ihren Himmel, ihre Geister u.s.w. - Sie hüteten sich wohl, dem Monarchen zu widersprechen, der sich für einen Sohn des Himmels und göttlichen Geschlechts hielt; mit vieler Gewandtheit wussten sie Chormusda, ohne ihm die Hauptrolle zu geben, in ihr System einzuflechten, und ihren Schülern vorzuspiegeln, dass in ihren Lehrbüchern der Weg vorgezeichnet sei, auf welchem man nicht nur zur Wiedergeburt in Chormtisda's Reich, sondern zu einer viel höheren Stufe der Seligkeit, zum gänzlichen Austritt aus dem Ortschilang oder Geburtswechsel (s. hierüber, als über einen wichtigen Punkt im Buddhistischen System S. 181 fg.) und zur Vereinigung mit Buddha gelangen könne.« (...)"

[Wieder abgedruckt in: Nirwana in Deutschland : von Leibniz bis Schopenhauer / hrsg. von Ludger Lütkehaus. -- München : Dt. Taschenbuch-Verl., 2004. -- 221 S. ; 20 cm. -- (dtv ; 34127). -- ISBN: 3-423-34127-0. -- S.  . -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen} ]

1836

Über den Willen in der Natur : eine Erörterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers seit ihrem Auftreten durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat, 1. Aufl.

1844

Die Welt als Wille und Vorstellung, 2., durchgängig verbesserte und sehr vermehrte Aufl., enthält neu den ganzen 2. Bd.

1847

Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, 2. Aufl.

1851

Parerga und Paralipomena, 1.Aufl.

1854

Über den Willen in der Natur, 2. Aufl.

1858

Die Welt als Wille und Vorstellung, 3., erweiterte Aufl.

1860

Tod

1862

Parerga und Paralipomena, 2., verb. u. beträchtlich verm. Aufl., aus dem hs. Nachlass, hrsg. von J. Frauenstädt

1877

Gesamtausgabe der Werke Schopenhauers durch (Christian Martin) Julius Frauenstädt


2.3. Schopenhauers Bewertung des Buddhismus


In seinem Exemplar der 2. Aufl. von Über den Willen in der Natur , 1854 machte Schopenhauer folgenden handschriftlichen Zusatz, offenkundig für eine spätere Auflage, zum Satz: "Diese Religion [nämlich. der Buddhaismus], welche sowohl wegen ihrer innern Vortrefflichkeit und Wahrheit als wegen der überwiegenden Anzahl ihrer Bekenner als die vornehmste auf Erden zu betrachten ist ...":

"Der Verfall des Christentums rückt sichtlich heran. Dereinst wird gewiss indische Weisheit sich über Europa verbreiten. Denn der in allem andern den übrigen weit vorangehende Teil der Menschheit [nämlich. der Westen] kann nicht in der Hauptsache [nämlich. Religion und Weltanschauung] große Kinder bleiben; angesehn, dass das metaphysische Bedürfnis unabweisbar, Philosophie aber immer nur für wenige ist. Jener Eintritt der Upanischaden-Lehre oder auch des Buddhaismus würde aber nicht wie einst der des Christentums in den unteren Schichten der Gesellschaft anfangen, sondern in den obern; wodurch jene Lehren sogleich in gereinigter Gestalt und möglichst frei von mythischen Zutaten auftreten werden."

[WW 3, S. 462.]

In der 2. (1844) bzw. 3. (1858) Aufl. von Die Welt als Wille und Vorstellung I [WW 1, S. 487] führt Schopenhauer seine Hochschätzung indischer Weisheit im allgemeinen (nicht nur des Buddhismus) weiter aus und gibt auch seiner Überzeugung über die Wirkung auf Europa Ausdruck (nachdem er Chandogya-Upanishad und die Buddhisten zitiert hat):

"Nie hat ein Mythos und nie wird einer sich der so wenigen zugänglichen philosophischen Wahrheit enger anschließen als diese uralte Lehre des edelsten und ältesten Volkes, bei welchem sie, so entartet es jetzt auch in vielen Stücken ist, doch noch als allgemeiner Volksglaube herrscht und auf das Leben entschiedenen Einfluss hat, heute so gut wie vor vier Jahrtausenden. Jenes non plus ultra mythischer Darstellung haben daher schon Pythagoras und Platon mit Bewunderung aufgefasst, von Indien oder Ägypten herübergekommen, verehrt, angewandt und, wir wissen nicht wie weit, selbst geglaubt. - Wir hingegen schicken nunmehr den Brahmanen englische clergymen und Herrnhuterische Leinweber, um sie aus Mitleid eines Besseren zu belehren und ihnen zu bedeuten, dass sie aus nichts gemacht sind und sich dankbarlich darüber freuen sollen. Aber uns widerfährt, was dem, der eine Kugel gegen einen Felsen abschießt. In Indien fassen unsere Religionen nie und nimmermehr Wurzel: die Urweisheit des Menschengeschlechts wird nicht von den Begebenheiten in Galiläa verdrängt werden. Hingegen strömt indische Weisheit nach Europa zurück und wird eine Grundveränderung in unserem Wissen und Denken hervorbringen."

[WW 1, S. 487.]

Schopenhauer: 2. Aufl. von 1844 von Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap 17:

"Fast scheint es, dass wie die ältesten Sprachen die vollkommensten sind, so auch die ältesten Religionen. Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Maßstabe der Wahrheit nehmen, so müsste ich dem Buddhaismus den Vorzug vor den anderen [Religionen] zugestehen. Jedenfalls muss es mich freuen, meine Lehre in so großer Übereinstimmung mit einer Religion zu sehen, welche die Majorität auf Erden für sich hat; da sie viel mehr Bekenner zählt als irgend eine andere. Diese Übereinstimmung muss mir aber umso erfreulicher sein, als ich bei meinem Philosophieren gewiss nicht unter ihrem Einfluss gestanden habe. Denn bis 1818, da mein Werk erschien, waren über den Buddhaismus nur sehr wenige höchst unvollkommene und dürftige Berichte in Europa zu finden, welche sich fast gänzlich auf einige Aufsätze in den Asiatic researches beschränkten und hauptsächlich den Buddhaismus der Birmanen betrafen."

[WW 2, S. 218]

Dann weist Schopenhauer auf die Fortschritte der Buddhologie durch Isaak Jacob Schmidt und Csoma de Körös hin (s. unten).

In beiden Zitaten kommt das Argument des Konsens der Majorität der Menschheit zum Ausdruck, besonders schön zeigt es sich an folgender Stelle aus der 2. Aufl. von Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap 58 (1844):

"Wer solche Schriften gelesen und ihren Geist mit dem der Askese und des Quietismus, wie er alle Werke des Brahmanismus und Buddhaismus durchwebt und aus jeder Seite spricht, verglichen hat, wird zugeben, dass jede Philosophie, welche konsequenterweise jene ganze Denkungsart verwerfen muss (was nur geschehen kann, indem sie die Repräsentanten derselben für Betrüger oder Verrückte erklärt), schon dieserhalb notwendig falsch sein muss. In diesem Falle nun aber befinden sich alle europäischen Systeme mit Ausnahme des meinigen. Wahrlich eine seltsame Verrücktheit müsste es sein, die sich unter den möglichst weit verschiedenen Umständen und Personen mit solcher Übereinstimmung ausspräche und dabei von den ältesten und zahlreichsten Völkern der Erde, nämlich von etwan dreiviertel [2. Auflage: zweidrittel] aller Bewohner Asiens zu einer Hauptlehre ihrer Religion erhoben wäre."

[WW 2, S. 788.]

In den Paralipomena (1. Aufl.: 1851, 2. Aufl.: postum 1862) spezifiziert Schopenhauer, was er an Buddha schätzt, um dann gegen die Einschätzung des Buddhismus durch einige jüdisch verseuchte Europäer zu polemisieren und zum Schluss der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass Europa die heiligen Religionen der Heimat wiedererhalten werde:

"Hingegen war die Absicht des Buddha Sakyamuni, den Kern aus der Schale abzulösen, die hohe Lehre selbst von allem Bilder- und Götterwesen zu befreien und ihren reinen Gehalt sogar dem Volke zugänglich und fasslich zu machen. Dies ist ihm wundervoll gelungen und daher ist seine Religion die vortrefflichste und durch die größte Anzahl von Gläubigen vertretene auf Erden. Er kann mit Sophokles sagen: [Es folgt Zitat in Griechisch]

[... mit den Göttern mag der Nichtige
Sogar den Sieg erlangen, ich getraue mir
An mich zu reißen solchen Ruhm auch ohne sie!] (Aiax 767-769)

Höchst drollig hingegen ist, nebenbei gesagt, die gelassen lächelnde Süffisance, mit welcher einige servile deutsche Philosophaster, wie auch manche Buchstaben-Orientalisten von der Höhe ihres rationalistischen Judentums auf Brahmanismus und Buddhismus herabsehn. Solchen Herrlein möchte ich wahrlich ein Engagement bei der Affenkomödie auf der Frankfurter Messe vorschlagen, wenn anders die Nachkommen des Hanuman sie unter sich dulden wollten.

Ich denke, dass wenn der Kaiser von China oder der König von Siam und andre asiatische Monarchen europäischen ächten die Erlaubnis, Missionare in ihre Länder zu senden, erteilen, sie ganz und gar befugt wären, es nur unter der Bedingung zu tun, dass sie ebenso viele buddhaistische Priester mit gleichen Rechten in das betreffende europäische Land schicken dürfen; wozu sie natürlich solche wählen würden, die in der jedesmaligen europäischen Sprache vorher wohlunterrichtet sind. Da würden wir einen interessanten Wettstreit vor Augen haben und sehn, wer am meisten ausrichtet.

Der christliche Fanatismus, welcher die ganze Welt zu seinem Glauben bekehren will, ist unverantwortlich. - Sir James Brooke (Rajah of Borneo), welcher einen Teil Borneos kolonisiert hat und instweilen beherrscht, hat im September 1858 zu Liverpool vor einer Versammlung des Vereins für die Verbreitung des Evangeliums, also des Zentrums der Missionen, eine Rede gehalten, darin er sagt:

"Bei den Mohammedanern habt ihr keine Fortschritte gemacht, bei den Hindu habt ihr ganz und gar keine Fortschritte gemacht, sondern seid gerade noch auf dem Punkt, wo ihr waret am ersten Tage, da ihr Indien betreten habt." (Time, 29. September 1858)

Hingegen haben die christlichen Glaubensboten sich in andrer Hinsicht sehr nützlich und preiswürdig erwiesen, indem einige von ihnen uns vortreffliche und gründliche Berichte über den Brahmanismus und Buddhaismus und treue, sorgfältige Übersetzungen heiliger Bücher geliefert haben, wie solche ohne das con amore nicht möglich gewesen wären. Diesen Edeln widme ich folgende Reime:

Als Lehrer geht ihr hin;
Als Schüler kommt ihr wieder.
Von dem umschlei'rten Sinn
Fiel dort die Decke nieder.

Wir dürfen daher hoffen, dass einst auch Europa von aller jüdischen Mythologie gereinigt sein wird. Das Jahrhundert ist vielleicht herangerückt, in welchem die aus Asien stammenden Völker japhetischen Sprachstammes auch die heiligen Religionen der Heimat wiedererhalten werde: denn sie sind nach langer Verirrung für dieselben wieder reif geworden."

[WW 5, S. 267-269]


2.4. Was konnte Schopenhauer vom Buddhismus wissen?


Das ist zugleich ein Rückblick auf die Anfänge der Buddhologie.

In der 2. Auflage der Schrift:

Schopenhauer, Arthur: Über den Willen in der Natur : eine Erörterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers seit ihrem Auftreten durch die empirischen Wissenschaften erfahren hat. -- 2. Aufl. -- Frankfurt/M., 1854.

gibt Schopenhauer im Kapitel Sinologie in einer Fußnote eine Literaturempfehlung zum Buddhaismus:

"Zugunsten derer, die sich eine nähere Kenntnis des Buddhaismus erwerben wollen, will ich hier aus der Literatur desselben in europäischen Sprachen die Schriften aufzählen, welche ich, da ich sie besitze und mit ihnen vertraut bin, wirklich empfehlen kann: ein paar andere, z.B. von Hodgson und Abel Rémusat, lasse ich mit Vorbedacht weg."

"1. Dsanglun oder der Weise und der Tor, tibetanisch und deutsch, von Isaak Jakob Schmidt, Petersburg 1843, 2 Bde 4°, enthält in der dem ersten, d.i. dem tibetanischen Bande vorgesetzten Vorrede von S. XXXI bis XXXVIII einen sehr kurzen, aber vortrefflichen Abriss der ganzen Lehre, sehr geeignet zur ersten Bekanntschaft mit ihr: auch ist das ganze Buch als Teil des Kandschur (kanonische Bücher) empfehlenswert."

[Schmidt, Isaak Jakob: Dsanglun oder Der Weise und der Tor. -- Tibetisch und deutsch. -- 2 Bde. -- St. Petersburg, 1843.]
Der Text der Schmidtschen Übersetzung wurde ohne seine Einleitung 1978 u.d. T. "Der Weise und der Tor" von Kiepenheuer in Leipzig und Hanau veröffentlicht.

"Benjamin Bergmann (1772-1856) translated several Kalmyk texts and noted his observations of Kalmyk customs. His "Nomadische Streifereien unter den Kalmüken in den Jahren 1802 und 1803", Riga 1804-5, is still an important source for the study of the Kalmyks and Lamaism in general. Bergmann realized that, in order to understand Lamaism, it would be necessary to study the Mongolian literary language and Tibetan. This program was executed by Isaak Jakob Schmidt (1779-1847) who lived among the Kalmyks during the years 1804-06. Schmidt became the founder of Mongolian and Tibetan studies in Russia." [cf. Franz Babinger: Isaak Jakob Schmidt, 1779-47. In: Festschrift Friedrich Hirt, Berlin, 1920, S 7-21] [ Jong, J. W. de: A brief history of Buddhist studies in Europe and America. -- 1976. -- S. 21.]

Die Kalmüken sind ein mongolisches Volk, das im 17. Jhdt. sich zwischen Wolga und Don niedergelassen hatte. Es ist das einzige Volk, das westlich des Urals buddhistisch ist. 1943 wurden die Kalmüken nach Osten deportiert, 1957 erhielten sie wieder ihre Autonomie und ihre alte Heimat.

"2. Von demselben vortrefflichen Verfasser sind mehrere in den Jahren 1829 bis 1832 und noch später in der Petersburger Akademie gehaltene deutsche Vorträge über den Buddhaismus in den betreffenden Bänden der Denkschriften der Akademie zu finden. Da sie für die Kenntnis dieser Religion überaus wertvoll sind, wäre es höchst wünschenswert, dass sie zusammengedruckt in Deutschland herausgegeben würden."

[Es handelt sich um folgende Schriften [Nach: Webb, Russel: Nietzsche and Buddhism. -- In: Pali Buddhist Review 6(1981), S. 41. Nach Nanajivako: Schopenhauer and Buddhism. -- Kandy, 1970. (The Wheel; 1444-146).]:
Schmidt, I. J.: Über einige Grundlehren des Buddhismus. In: Memoires de l'Académie Impériale des Sciences de St Petersbourg 1 (1832), 90-120, 222-262.
Schmidt, I. J.: Über die tausend Buddhas einer Welperiode der Einwohnung oder gleichmässigen Dauer. In: Memoires de l'Académie Impériale des Sciences de St Petersbourg 2 (1834), 41-86 <Übersetzung des Bhadrakalpikâsûtra>
Schmidt, I. J.: Über die sogenannte dritte Welt der Buddhaisten. -- 2 (1834), 1-39
Schmidt, I. J.: Über Lamaismus und die Bedeutungslosigkeit dieses Namens. -- In: Bulletin scientifique / publ. par l'Académie Impériale des Sciences de St. Petersbourg I (1837)
Schmidt, I. J.: Kritischer Versuch zur Feststellung der Aera und der ersten geschichtlichen Momente des Buddhismus. -- In: Bulletin scientifique / publ par l'Académie Impériale des Sciences de St. Petersbourg (1837)
Schmidt, I. J.: Über das Mahâjâna und Pradschnâ-pâramitâ der Bauddhen. -- In: Memoires de l'Académie Impériale des Sciences de St Petersbourg 4 (1837), 123-228 <Übersetzung des Vajracchedikâ Prajñâpâramitâsûtra>]

"3. Von demselben: Forschungen über die Tibeter und Mongolen, Petersburg, 1824."

[Schmidt, Isaac Jacob: Forschungen im Gebiete der älteren religiösen, politischen und literarischen Bildungsgeschichte der Völker Mittel-Asiens, vorzüglich der Mongolen und Tibeter. -- St. Petersburg, 1824. -- 285 S.]

"4. Von demselben [Schmidt, I. J.]: Über die Verwandtschaft der gnostisch-theosophischen Lehren mit [den Religionssystemen des Orients und] dem Buddhaismus, 1828."

"5. Von demselben [Schmidt, I. J.]: Geschichte der Ostmongolen, Petersburg 1829, 4°, [Handschriftlicher Zusatz im Handexemplar, erstmals 1877 in Frauenstädt's Gesamtausgabe gedruckt: ist sehr belehrend, zumal in den Erläuterungen und dem Anhang, welche lange Auszüge aus Religionsschriften liefern, in denen viele Stellen den tiefen Sinn des Buddhaismus deutlich darlegen und den echten Geist desselben atmen."]

"6. Zwei Aufsätze von Schiefner, [Franz Anton von] deutsch in den Mélanges Asiatiques tirés du Bulletin historico philologico de l'Académie de St. Pétersbourg, tom I, 1851."

"7. Samuel Turners Reise an den Hof des Teshoo Lama, aus dem Englischen 1801."

"8. Bochinger: La vie ascétique chez les Indous et les Bouddhistes, Strasbourg, 1831."

[Bochinger, Jean Jaques: La vie contemplative, ascétique et monastique chez les Indouus et les peuples Bouddhistes. -- 1831.]

"9. Im siebenten Bande des Journal Asiatique, 1825, eine überaus schöne Biographie Buddhas von Deshauterayes [, Michel-Ange André (1724-1795)]."

"10. Burnouf: Introduction à l'histoire du Buddhisme vol I, 1844, 4°. "

[Burnouf, Eugéne: Introduction a l'histoire du Buddhisme indien. -- tome I. -- Paris, 1844.]

[Von 1821-43 war Brian Houghton Hodgson (1800-1894) britischer Resident am Hofe in Nepal (Nepal war durch einen Freundschaftsvertrag an Großbritanien gebunden). Er sammelte zahlreiche buddhistische Sanskrithandschriften und brachte sie nach London, Paris, Calcutta. 1837 erhielt die Societé Asiatique in Paris von Hodgson 88 Ms buddhistischer Sanskrittexte. Burnouf begann sofort das Saddharmapundarîkasûtra zu übersetzen (Übers. war 1839 beendet, 1841 gedruckt, erschien aber erst 1852 nach Burnoufs Tod), Burnouf übersetzte viele weitere Texte, ein Teil erschien in der Indroduction, z.B. aus dem Divyâvadâna, Avadâna`sataka u.a. Burnouf betonte, dass der indische Buddhismus sowohl aufgrund der Sanskrit-Texte aus Nepal als auch der Pali-Texte aus Ceylon studiert werden müsse - er hatte 1826 zusammen mit Lassen die erste wissenschaftliche Darstellung des Pali gegeben. Dadurch, dass man das den Sanskrit- und Palitexten Gemeinsame untersucht, könne man die alten Elemente des Buddhismus finden.]

"11. Rgya Tcher Rola: [Histoire de Bouddha Chaky Mouni], traduit du Tibétain par Foucaux, 1848, 4°. Dies ist die Lalita vistara, d.h. Buddhas Leben, das Evangelium der Buddhaisten."

[Rgya Tch'er rol pa, ou développement des jeux / trd. du Tibétain par Philippe Edouard Foucaux . -- Paris, 1848. (Tibet Text: 1847)]

"12. Foe Koue Ki, relation des royaumes Bouddhiques, traduit du Chinois par Abel Rémusat, 1836, 4°."

[Abel-Rémusat, Jean Pierre (1788-1832): Foe Koue Ki ou Relation des royaumes bouddhiques de Fa hian. -- Paris, 1836. <Übersetzung von; Fa-hsien: Fo-kuo-chi>]

"13. Description du Tibet, traduit du Chinois en Russe par Bitchourin, et du Russe en Français par Klaproth, 1831."

"14. Klaproth: Fragments Bouddhiques, aus dem Nouveau Journal Asiatiques, Mars 1831, besonders abgedruckt."

"15. Spiegel: [Kammavakya, liber] De officiis sacerdotum Buddhicorum, palice et latine, [Bonn,] 1841."

"16. Derselbe, Anecdota palica, 1845."

[Spiegel, F.: Anecdota Palica. -- Leipzig, 1845 <= Uraga Sutta des Suttanipâta mit Auszügen aus dem Komm. und der Rasavâhinî>]

[Handschriftlicher Zusatz im Handexemplar, erstmals 1877 in Frauenstädt's Gesamtausgabe gedruckt: "17. Dhammapadam, palice edidit et latine vertit Fausböll, Havniae [Kopenhagen] 1855."

"18. Asiatic researches vol 6 (Buchanan: On the religion of the Burmas) und vol. 20, Calcutta 1839, part 2, enthält drei sehr wichtige Aufsätze von Csoma Körösi, welche Analysen der Bücher des Kandschur enthalten."

[Buchanan-Hamilton, Francis: On the religion and literature of the Burman. -- In: Asiatic Researches 6(1799), 163-308]

[Csoma de Körös, Alexander (1784-1842): [Analysis of the Kanjur and an abstract of the contents of the Tanjur] In: Asiatick researches 20 (1836-39), 41- 93, 393-552.]

[Alexander Csoma de Körös (1784-1842) ging auf die Suche nach der Urheimat der Ungarn, deshalb wanderte er u.a. in ein buddhist Kloster in Zanskar, wo er 16 Monate war. Er war ein Pionier tibet. Studien. 1933 wurde er in Japan zum Bodhisattva erklärt, der das Herz des Westens für die Lehren des Buddhismus geöffnet habe.]

"19. Sangermano: Description of the Burmese empire, Rome, 1833."

[Sangermano, Vicentius (1758-1819): A description of the Burmese empire, compiled chiefly from Burmese documents. -- trans. by William Tandy. -- Rome, 1833.]

"20. Turnour: The Mahavansa, Ceylon 1836 ."

[Turnour, George (1799-1843): The Mahâva.msa. -- Candy, 1837. <übers. der ersten 38 Kap.>]

"21. Upham: The Mahavansa, Rajaratnacari et Raja-vali, 3 vol., 1833."

[Upham, Edward (1776-1834): The Mahâvansi, the Râjâratnâcari, and the Râjâ-vali, forming the sacred and historical books of Ceylon; also, a collection of tracts illustrative of the doctrines and literature of Buddhism, trans. from the Sinhalese. -- 3 Bde. -- London, 1833]
Enthält in Bd 3 Antworten seinerzeit führender Mönche Ceylons auf Fragen über den Buddhismus, sowie Auszüge aus und Beschreibungen von singhales. Literaturwerken. Bechert III, 300.]

"22. Eiusdem: Doctrine of Buddhism, 1829, fol."

[Upham, Edward (1776-1834): The history and doctrine of Buddhism ... with notices of the Kapooism or demon worship and of the Bali or planetary incantations of Ceylon. -- London, 1829.
Einzige vor Mitte des 19. Jhdts erschienene eingehende darstellung der Rel. Ceylons unter Berücksichtigung der Volksreligion. Bechert III, 300.]

"23. Spence Hardy: Eastern monachism, 1850"

[Hardy, Robert Spence (1803-1868): Eastern monachism : an account of the origin, laws, discipline etc. of the order of mendicants founded by Gôtama Buddha. -- London, 1850.]

Robert Spence Hardy (1803-1868) war von 1825-30, 1835-47 und 1862-65 Wesleyan Missionar in Ceylon. Seine Bücher geben viele Übersetzungen singhalesischer Kommentare und damit einen relativ guten Überblick über den Theravadabuddhismus. Hardy war aber äußerst polemisch gegen den Buddhismus und kritisierte in The British government and the idolatry of Ceylon (1839) die zwischen der Kolonialregierung und buddhistischen Institutionen in Ceylon bestehenden Verbindungen.

"24. Eiusdem: Manual of Buddhism, 1853. - Diese zwei vortrefflichen, nach einem zwanzigjährigen Aufenthalt in Ceylon und mündlicher Belehrung der Priester daselbst verfassten Bücher haben mir in das Innerste des buddhaistischen Dogmas mehr Einsicht gegeben als irgend andere. [Vgl. Band 5, § 140]. Sie verdienen ins Deutsche übersetzt zu werden, aber unverkürzt, weil sonst leicht das Beste ausfallen könnte. "

[Hardy, Robert Spence (1803-1868): A manual of Buddhism in its modern development. -- London, 1853.
Beruht auf singhalesischen Texten; das Buch diente Edwin Arnold als Quelle für sein Light of Asia. Bechert III, 143.]

[Handschriftlicher Zusatz im Handexemplar, erstmals 1877 in Frauenstädt's Gesamtausgabe gedruckt: "25. Leben des Buddha, aus dem Chinesischen von Palladji, im Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland, hrsg. von Erman, Bd. 13, Heft 1, 1856."

[Handschriftlicher Zusatz im Handexemplar, erstmals 1877 in Frauenstädt's Gesamtausgabe gedruckt: "26. Carl Friedrich Köppen, Die Religion des Buddha, 1857, ein mit großer Belesenheit, ernstlichem Fleiß und auch mit Verstand und Einsicht aus allen hier genannten und manchen anderen Schriften ausgezogenes vollständiges Kompendium des Buddhaismus, welches alles Wesentliche desselben enthält."

[Koeppen, Carl Friedrich (1808-1863): Die Religion des Buddha und ihre Entstehung. -- Berlin, 1857. -- 614 S.
Als zweiter Band erschien 1859: Die Lamaistische Hierarchie und Kirche. -- 405 S. Schopenhauer verweist auch auf dieses Werk .]


Schopenhauers Literaturempfehlung für Buddhismus geben, chronologisch geordnet, einen guten Überblick über die Entwicklung der europäischen Buddhismusstudien:

1799

Buchanan-Hamilton, Francis (1762-1829): On the religion and literature of the Burmans. -- In: Asiatic Researches 6(1799), 163-308]

"Buchanan, Francis (1762-1829) British scientific explorer and surveyor who observed and recorded Bengal flora and fauna, ecology, society and economy. Born in Scotland Buchanan qualified as a medical doctor from Edinburgh, and first joined the merchant navy as a ship's surgeon. After several voyages to Asia and the West Indies, Francis Buchanan was posted in Bengal in 1793. He was attached as surgeon with Captain Michael Symes' Embassy to Ava, the capital of Burma. After this mission, he was stationed at Pattahaut near modem Chandpur. In 1798 the Company government appointed Buchanan to make a survey of Chittagong and its neighbouring areas in order to see whether some spices and crops could be cultivated there for export. Buchanan in his survey did more than that. From March 2 to May 21, 1798 he made a survey of the region and observed soil conditions, cropping patterns, botanical subjects, social institutions, livestock conditions and many other aspects concerning the society and economy of the region.

Buchanan was in charge of developing the Calcutta Botanical Garden. In 1800, he was sent to Mysore, Malabar and other newly conquered territories for collecting information on the society and economy and natural conditions. In 1802 and 1803, he was attached to the Knox Mission to Nepal where he made similar surveys. In 1803-1804, Buchanan was surgeon to the Governor General of India. While in Calcutta, he organised a zoo that subsequently became the Calcutta Alipore Zoo.

From 1807 Francis Buchanan began his most memorable venture by undertaking a study tour through Northern Bengal and Bihar. He spent seven years in surveying the region. His reports run into many volumes of statistical, geographical and ethnic descriptions in manuscripts, which are now preserved in the Oriental section of the British Library. Parts of his reports have been printed posthumously. In 1814, Buchanan was appointed Superintendent of the Calcutta Botanical Gardens. But ill health forced him to return to his homeland. In 1815, Buchanan dropped the surname from his name and added his maternal surname 'Hamilton'. Historians, social scientists and natural scientists draw heavily on the reports of Buchanan Hamilton for information on Bengal of his time. [Sirajul Islam]"

[Quelle: http://banglapedia.search.com.bd/HT/B_0636.htm. -- Zugriff am 2005-04-21]

1801


Abb.: Tittelblätter

Samuel Turners Reise an den Hof des Teshoo Lama, aus dem Englischen 1801.

"1784 wird Captain Samuel Turner (*1749,1802) im Auftrag der East India Company von Bengalen aus nach Shiggatzee in Südtibet geschickt, um der Reinkarnation des Teshoo Lamas, einem erst 18 Monate alten Jungen, seine Aufwartung zu machen und damit die "guten Beziehungen" zu Tibet etwas voranzubringen. Er wird begleitet vom Arzt Dr. Robert Saunders und Lieutenant Samuel Davis und kehrt wieder nach Indien zurück. "

[Quelle: http://www.das-klassische-china.de/Reisen/Unterhaltsame%20Uebersicht/. -- Zugriff am 2005-04-21] .

1824

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Forschungen im Gebiete der älteren religiösen, politischen und literarischen Bildungsgeschichte der Völker Mittel-Asiens, vorzüglich der Mongolen und Tibeter. -- St. Petersburg, 1824. -- 285 S.

"Schmidt, Isaak Jakob, namhafter Kenner der mongolischen und tibetischen Sprache und Literatur, geb. 1779 in Rostock, gest. 8. Sept. 1847 als russischer Staatsrat und Mitglied der Akademie in Petersburg. Unter seinen zahlreichen Schriften heben wir hervor: »Forschungen im Gebiet der ältesten religiösen, politischen und literarischen Bildungsgeschichte der Völker Mittelasiens, vorzüglich der Mongolen und Tibeter« (Petersb. 1824); Ausgabe und Übersetzung der 1662 mongolischabgefaßten »Geschichte der Ostmongolen und ihres Fürstenhauses« (das. 1829); »Grammatik der mongolischen Sprache« (das. 1831); »Mongolisch-deutsch-russisches Wörterbuch« (das. 1835); »Die Taten Bogda Gesser-Chans« (das. 1836, deutsch 1839); »Grammatik der tibetischen Sprache« (das. 1839), eine deutsche Version der »Grammar of the tibetan language« von Csoma de Körös (Kalkutta 1834); »Tibetisch-deutsches Wörterbuch« (Petersb. 1841); »Der Weise und der Tor«, tibetischer Text und Übersetzung (das. 1843, 2 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

1825

Journal Asiatique, 1825, eine überaus schöne Biographie Buddhas von Deshauterayes, Michel-Ange André (1724- 1795).

1828

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): über die Verwandtschaft der gnostisch-theosophischen Lehren mit den Religionssystemen des Orients und dem Buddhaismus, 1828.

1829

Upham, Edward (1776-1834): The history and doctrine of Buddhism ... with notices of the Kapooism or demon worship and of the Bali or planetary incantations of Ceylon. -- London, 1829.

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Geschichte der Ostmongolen. -- St. Petersburg, 1829

1831

Klaproth, Heinrich Julius (1783-1835): Fragments Bouddhiques, aus dem Nouveau Journal Asiatiques, Mars 1831, besonders abgedruckt.

"Klaproth, Heinrich Julius, berühmter Orientalist und Reisender, Sohn des vorigen, geb. 11. Okt. 1783 in Berlin, gest. 28. Aug. 1835 in Paris, widmete sich früh dem Studium der asiatischen Sprachen, besonders der chinesischen, ward 1804 von der Akademie in Petersburg als Adjunkt für orientalische Sprachen berufen, begleitete 1805 den Grafen Golowkin, der als Gesandter nach China gehen sollte, aber an der Grenze wieder umkehren mußte, und setzte dann im Auftrag der Petersburger Akademie seine Forschungen über die Stammvölker Asiens in den Kaukasusländern fort. Nachdem K. 1812 seinen Abschied genommen, den er aber erst 1817 in völliger Ungnade erhielt, ließ er sich 1815 in Paris nieder, wo er auch blieb, als er 1816 von Friedrich Wilhelm III. zum Professor der asiatischen Sprachen ernannt wurde. Von seinen zahlreichen, von großer Gelehrsamkeit zeugenden, aber in der Beurteilung der Leistungen andrer Forscher nicht unbefangenen Schriften erwähnen wir: »Asiatisches Magazin« (Weim. 1802-03, 2 Bde.); »Reise in den Kaukasus und Georgien in den Jahren 1807 und 1808« (Halle 1812-14, 2 Bde.; franz., mit vielen Zusätzen, Par. 1823); »Archiv für die asiatische Literatur, Geschichte und Sprachkunde« (Petersb. 1810, Bd. 1); »Geographisch-historische Beschreibung des östlichen Kaukasus« (Weim. 1814); »Beschreibung der russischen Provinzen zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer« (Berl. 1814); »Asia polyglotta« (Par. 1823, nebst Sprachatlas; 2. Aufl. 1831); »Tableaux historiques de l'Asie« (das. 1826, mit Atlas); »Mémoires relatifs à l'Asie« (das. 1824-28, 3 Bde.); »Tableau historique, géographique, ethnographique et politique de Caucase, etc.« (das. 1827); »Vocabulaire et grammaire de la langue géorgienne« (das. 1827, 2. Teil von Brosset 1837); »Chrestomathie Mandchou« (das. 1828); »Examen critique des travaux de M. Champollion jeune sur les hiéroglyphes« (das. 1832). Von 1825-27 gab er das »Magasin asiatique« heraus mit zahlreichen eignen Beiträgen. Auch veröffentlichte er viele Übersetzungen orientalischer, namentlich chinesischer Werke."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Bochinger, Jean Jaques: La vie contemplative, ascétique et monastique chez les Indouus et les peuples Bouddhistes. -- 1831.

Description du Tibet, traduit du Chinois en Russe par Bitchourin, et du Russe en Français par Klaproth (1783-1835), 1831.

1832

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Über einige Grundlehren des Buddhismus. In: Memoires de l'Académie Impériale des Sciences de St Petersbourg 1 (1832), 90-120, 222-262.

1833

Sangermano, Vicentius (1758-1819): A description of the Burmese empire, compiled chiefly from Burmese documents. -- trans. by William Tandy. -- Rome, 1833.

"Father Vincentius Sangermano, a Barnabite missionary, lived and worked in Burma from 1783 to 1808. As Symes recorded at the time: 'he seemed a very respectable and intelligent man and wrote the Birman language fluently, and was held in high estimation by the natives for his exemplary life and inoffensive manners'. His book is divided into sections on: Burmese Cosmography; Burmese History; Constitution of the Burmese Empire; Religion of the Burmese; Moral and Physical Constitution of the Burmese Empire; and Burmese Code. The last of these is significant for being the first translation of any of the numerous codes of law written on palm leaves. Sangermano was also one of the earliest Christian missionaries to study the languages, literatures and institutions of the people, and in this book, no matter how dry the subject matter, his empathy with the Burmese people is evident. In addition, because of his language skills, the high regard in which he was held, and his access to the king's officials and Pali scholars, Father Vincentius was able to tap original sources unavailable to others either at the time or since. No wonder his book has been treated as an authority by those writers who have followed him."

[Quelle: http://www.dcothai.com/product_info.php?&products_id=402. -- Zugriff am 2005-04-21]

 

Upham, Edward (1776-1834): The Mahâvansi, the Râjâratnâcari, and the Râjâ-vali, forming the sacred and historical books of Ceylon; also, a collection of tracts illustrative of the doctrines and literature of Buddhism, trans. from the Sinhalese. -- 3 Bde. -- London, 1833

1834

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Über die tausend Buddhas einer Welperiode der Einwohnung oder gleichmässigen Dauer. In: Memoires de l'Académie Impériale des Sciences de St Petersbourg 2 (1834), 41-86 <= Übers. des Bhadrakalpiâsûtra>

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Über die sogenannte dritte Welt der Buddhaisten. -- 2 (1834), 1-39
1836


Abb.: J. P. Abel-Rémusat

Abel-Rémusat, Jean Pierre (1788-1832): Foe Koue Ki ou Relation des royaumes bouddhiques de Fa hian. -- Paris, 1836. <übers. von Fa- hsien: Fo-kuo-chi>

"Jean-Pierre Abel-Rémusat (1788-1832) premier titulaire de la chaire de langue et de littérature chinoise au Collège de France

Jean Pierre Abel-Rémusat s’intéressa très jeune au monde chinois alors très mal connu. Il en apprit seul la langue, dans des conditions très difficiles, tout en poursuivant ses études à la Faculté de Médecine de Paris.

Il n’avait que 23 ans quand il publia son premier Essai sur la langue et la littérature chinoise. En 1814 est créée pour lui la première chaire de chinois au Collège de France. Il devient ainsi le fondateur des études chinoises en Occident.  

Son enseignement attire à Paris des étudiants de toute l’Europe. En 1821, il publie la première grammaire (langue écrite et parlée) qui sera utilisée pendant tout le XIX° siècle. Conservateur des manuscrits et imprimés chinois à la Bibliothèque Royale, il traduit les premiers textes du Taoïsme, de Confucius, et le Foé Koué Ki, récit d'un moine chinois à la recherche des sources du bouddhisme en Inde. En relation avec savants et lettrés de toute l’Europe, il est ainsi un des principaux acteurs de la “Renaissance Orientale” qui va ouvrir au monde occidental les richesses des cultures asiatiques. La parution en 1826 d’un roman traduit du chinois, Les deux cousines, connaît un succès international : on en trouve l’écho chez Goethe, Edgar Poe, Stendhal ou Victor-Hugo!  

En 1830, il épouse Jenny, fille du général Lecamus, maire de St Fargeau, propriétaire du château de Moulignon. Mais il meurt prématurément deux ans plus tard, “laissant derrière lui des disciples et  une oeuvre  écrite (mais inachevée) qui mettait la France au premier rang de la sinologie dans le monde occidental”(Encycl.Unversalis). "

[Quelle: http://perso.wanadoo.fr/arhfilariane.org/communes/stf_pth/abel_remusat/remusat_intro.htm. -- Zugriff am 2005-04-21]

1837

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Über das Mahâjâna und Pradschnâ-pâramitâ der Bauddhen. -- In: Memoires de l'Académie Impériale des Sciences de St Petersbourg 4 (1837), 123-228 <übers. des Vajracchedikâ Prajñâpâramitâsûtra>]

Turnour, George (1799-1843): The Mahâva.msa. -- Candy, 1837. <übers. der ersten 38 Kap.>

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Kritischer Versuch zur Feststellung der Aera und der ersten geschichtlichen Momente des Buddhismus. -- In: Bulletin scientifique / publ par l'Académie Impériale des Sciences de St. Petersbourg (1837)

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Über Lamaismus und die Bedeutungslosigkeit dieses Namens. -- In: Bulletin scientifique / publ. par l'Académie Impériale des Sciences de St. Petersbourg I (1837)
1839

Csoma de Körös, Alexander (1784-1842): [Analysis of the Kanjur and an abstract of the contents of the Tanjur] In: Asiatick researches 20 (1836-39), 41- 93, 393-552.

"Csoma (spr. tscho-), Alexander, ungar. Reisender und berühmter Tibetist, geb. 1798 zu Körös (Siebenbürgen), gest. 11. April 1842, studierte in Göttingen und wurde durch eine Bemerkung Blumenbachs, die Magyaren seien wohl die Uiguren der chinesischen Annalen, bestimmt, die Ursitze seines Volkes in Asien aufzusuchen. Er brach 1821 mit einer Karawane, als Armenier verkleidet und der armenischen Sprache völlig mächtig, von Chorasan nach Bochara auf und gelangte über Balch und Lahor nach Leh, der Hauptstadt Ladaks. Mehrere Jahre lebte er als Schüler in einem buddhistischen Kloster am Satledsch und erlernte das Tibetische, erhielt auch vom Dalai Lama die Erlaubnis zur Reise nach Lhassa, starb aber plötzlich zu Dardschiling im Himalaja, wo ihm später ein Denkmal gesetzt wurde. Außer kleinern Schriften veröffentlichte er: »A grammar of the Tibetan language« (Kalkutta 1834); »Essay towards a dictionary Tibetan and English« (das. 1835); »Analysis of the Kandjur« (über die Grundlehren des Buddhismus, das. 1835). Vgl. Duka, Life and travels of Alex. C. de Koros (Lond. 1885)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

1841

Spiegel, Friedrich (1820-1905): [Kammavakya, liber] De officiis sacerdotum Buddhicorum, palice et latine, [Bonn,] 1841.

1843

Schmidt, Isaac Jacob (1779-1847): Dsanglun oder Der Weise und der Tor. -- Tibetisch und deutsch. -- 2 Bde. -- St. Petersburg, 1843.

1844


Abb.: E. Burnouf
[Bildquelle: http://www.aibl.fr/us/present/histoire.html. -- Zugriff am 2005-04-21]

Burnouf, Eugéne (1801-1852): Introduction a l'histoire du Buddhisme indien. -- Tome I. -- Paris, 1844.

"Burnouf (spr. bürnuf), Eugène, ausgezeichneter franz. Orientalist, Sohn des vorigen, geb. 12. Aug. 1801 in Paris, gest. daselbst 28. Mai 1852, studierte orientalische Sprachen, ward 1829 an der Normalschule angestellt und erhielt 1832 als Nachfolger Chézys die Professur des Sanskrit am Collège de France, die er bis an seinen Tod bekleidete. Seit 1832 war er Mitglied der Akademie der Inschriften. Im Verein mit Lassen in Bonn unterzog B. das Pâli, die heilige Sprache der südlichen Buddhisten, der ersten eingehenden Untersuchung in dem von beiden Gelehrten zusammen herausgegebenen »Essai sur le Pali« (Par. 1826), worauf B. allein noch weitere »Observations grammaticales« (1827) über das Pâli folgen ließ. 1845 veröffentlichte er sein ausgezeichnetes Werk »Introduction á l'histoire du Bouddhisme indien« (2. Aufl. 1876), dem später die Übersetzung des »Lotus de la bonne loi« aus dem Sanskrit nachfolgte (nach seinem Tode hrsg. von Mohl, Par. 1852). Epochemachend für das Studium des Zendavesta wirkten seine Ausgabe des »Vendidad Sadé« (1829-43) und sein »Commentaire sur le Yasna« (1833). Hieran schlossen sich noch »Etudes sur la langue et les textes zendes« (1840-50). Einen bedeutenden Fortschritt in der Entzifferung der altpersischen Keilinschriften machte B. in seinem »Mémoire sur deux inscriptions cunéiformes« (1836). Endlich hat B. auch Arbeiten aus dem Gebiete der brahmanistischen Sanskritliteratur veröffentlicht, namentlich eine Ausgabe und Übersetzung des »Bhâgavata Purâna« (1840-47, 3 Bde.; Bd. 4 von Hauvette-Besnault 1884). Vgl. Barthélemy Saint-Hilaire, Eugène B., ses travaux et sa correspondance (Par. 1892); Berger, Eugène B. (das. 1893)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

1845

Spiegel, Friedrich (1820-1905): Anecdota Palica. -- Leipzig, 1845 <= Uraga Sutta des Suttanipâta mit Auszügen aus dem Komm. und der Rasavâhinî>

1848

Rgya Tch'er rol pa, ou développement des jeux / trd. du Tibétain par Philippe Edouard Foucaux (1811-1894) . -- Paris, 1848. (Tibet Text: 1847) (= tibetischer Text des Lalitavistara + franz. Übersetzung)

" Foucaux (spr. fuko), Philippe Edouard, franz. Orientalist, geb. 11. Sept. 1811 in Angers, gest. 19. Mai 1894 in Paris, studierte dort unter Burnouf orientalische Sprachen, wurde 1842 Professor des Tibetischen an der Ecole des langues orientales vivantes und 1858 Professor des Sanskrits am Collège de France. Seine Hauptwerke beziehen sich auf die tibetische Sprache und Literatur, so »Rgya-tcher-rol-pa, ou Développement des jeux, contenant l'histoire du Bouddha Sakya-Muni« (Par. 1847-48, 2 Tle.; die tibetische Version der Buddhabiographie »Lalitavistara«); »Grammaire de la langue tibétaine« (1858). Später wandte er sich dem Studium der Sanskritliteratur, namentlich der indischen Dramen und Epen, zu und veröffentlichte Übersetzungen von Texten dieses Gebiets sowie des »Lalitavistara« (1884-92, 2 Bde., in den »Annales du Musée Guimet«) und kleinere Arbeiten in der »Revue de l'Histoire des Religions« und andern Zeitschriften. Seine Gattin, geborne Filon, machte sich unter dem Namen Mary Summer als Schriftstellerin bekannt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

1850


Abb.: Robert Spence Hardy
[Bildquelle: http://www.pitts.emory.edu/Archives/text/mss023.html. -- Zugriff am 2005-04-21]

Hardy, Robert Spence (1803-1868): Eastern monachism : an account of the origin, laws, discipline etc. of the order of mendicants founded by Gôtama Buddha. -- London, 1850.

1851


Abb.: Anton von Schiefner

Schiefner, Franz Anton von (1811-1879) in den Mélanges Asiatiques tirés du Bulletin historico philologico de l'Académie de St. Pétersbourg. -- Tom I, 1851.

"Schiefner, Franz Anton von, hervorragender Sprachforscher und Orientalist, geb. 18. (6.) Juli 1817 in Reval, gest. 16. Nov. 1879 in Petersburg, studierte zuerst 1836-40 in Petersburg Rechtswissenschaft, dann in Berlin und seit 1846 wieder in Petersburg Philologie, besonders orientalische Sprachen, wirkte längere Zeit als Professor der alten Sprachen an einem Gymnasium in Petersburg, wurde 1852 Mitglied, 1863 auch Bibliothekar der dortigen Akademie und 1866 Wirklicher Staatsrat. Seine erste Spezialität bildete die Erforschung der tibetischen Sprache, für deren wissenschaftliche Erkenntnis seine in den »Bulletins« der Petersburger Akademie (Bd. 8 etc.) veröffentlichten Abhandlungen bahnbrechend waren. Seine kritischen Ausgaben tibetischer Texte (so namentlich Târanâthas »Geschichte des Buddhismus in Indien«, Petersb. 1868; deutsch, das. 1869) und seine deutschen Übersetzungen solcher (Übersetzung einer tibetischen Biographie des Buddha, das. 1849) waren außer für das Studium der Sprache auch für deren Literatur und dadurch für die Geschichte des Buddhismus von großer und dauernder Bedeutung. Einen zweiten Mittelpunkt seiner Studien bildeten die uralaltaischen und sibirischen Sprachen, namentlich das Finnische. Er übersetzte das finnische Epos »Kalewala« (s. d.) und veröffentlichte eine rhythmische Bearbeitung der »Heldensagen der Minussinischen Tataren« (Petersb. 1859); namentlich aber gab er im Auftrag der Akademie aus dem Nachlass Castréns (s. d.) dessen »Nordische Reisen und Forschungen« (1853-62) heraus, für die er die von Castrén gesammelten sprachlichen Materialien selbst bearbeitete und mit wertvollen Zusätzen bereicherte. Ebenso wichtig sind seine Arbeiten auf einem dritten ganz isolierten Sprachgebiet, dem kaukasischen. Auch hier begnügte sich S. zumeist mit der Rolle eines Interpreten fremder Forschungen, indem er die von dem Generalmajor v. Uslar an Ort und Stelle gesammelten Materialien für die »Abhandlungen der Petersburger Akademie« verarbeitete. Über andre kaukasische Sprachen gab er ganz selbständige Arbeiten heraus, so über die Thuschsprache (Petersb. 1856), über das Awarische (1862, 1872 und 1873), über das Udische (1863); auch mit der zum indogermanischen Stamm gehörigen Sprache der Osseten beschäftigte er sich (»Ossetische Sprichwörter«, in den »Mélanges russes«, Petersb. 1862)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

1853

Hardy, Robert Spence (1803-1868): A manual of Buddhism in its modern development. -- London, 1853.

1855

Dhammapadam, palice edidit et latine vertit [Michael Viggo] Fausböll (1824-1908), Havniae [Kopenhagen] 1855.

1856

Leben des Buddha, aus dem Chinesischen von [O.] Palladji, im Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland, hrsg. von Erman, Bd. 13, Heft 1, 1856.

1857

Koeppen, Carl Friedrich (1808-1863): Die Religion des Buddha und ihre Entstehung. -- Berlin, 1857. -- 614 S.


2.5. Vorgehensweise im Folgenden


Es wäre vermessen, würde ich in der Kürze der Zeit, die uns zur Verfügung steht, versuchen wollen, das philosophische System Schopenhauers darzustellen und dieses dann auf seine Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung mit "dem" Buddhismus zu überprüfen. Statt dessen will ich anhand von Zitaten zeigen, was Schopenhauer am Buddhismus faszinierte, wie er ihn verstand und worin er die Übereinstimmung mit seinem System sah. Dabei will ich vor allem die Werke verwenden, die zu Lebzeiten oder kurz nach seinem Tod veröffentlicht wurden. (also nicht Briefe usw.)


2.6. Was gefiel Schopenhauer am Buddhismus?


In der 2. Aufl. von Über den Satz vom Grund (1847) nennt Schopenhauer, was ihn am Buddhismus am meisten gefällt:

"Sehn wir aber gar die Religion an, welche auf Erden die größte Anzahl von Bekennern, folglich die Majorität der Menschheit für sich hat und in dieser Beziehung die vornehmste heißen kann, also den Buddhaismus; so lässt es heutzutage sich nicht mehr verhehlen, dass dieser, so wie streng idealistisch und asketisch, auch entschieden und ausdrücklich atheistisch ist."

[WW 3, S. 151]

d.h. Schopenhauer faszinierte am Buddhismus:

Auch im Kapitel Sinologie von Über den Willen in der Natur (1. Aufl. 1836, 2. Aufl. 1854) nennt Schopenhauer als Spezifika des Buddhismus, die den Europäern im Verständnis besonders schwer fallen: Atheismus, Pessimismus, Idealismus (WW 3, 463ff.).

In den Paralipomena (1851) stellt Schopenhauer Judentum dem Brahmanismus und Buddhaismus gegenüber (WW 5,447).


2.6.1. Welt als Vorstellung: Idealismus


Schopenhauer bewundert am Buddhismus u.a., dass er (wie der Brahmanismus) den Idealismus sogar zur Volksreligion erhebt:

... "im Buddhaismus der Idealismus sogar Lehre der Volksreligion: bloß in Europa ist er infolge der wesentlich und unumgänglich realistische jüdischen Grundansicht paradox." [Über den Satz vom Grunde, 2. Aufl. (1847) WW 3, S. 46]

"Demgemäß legen auch die edleren, älteren und besseren Religionen, also Brahmanismus und Buddhaismus, ihren Lehren durchaus den Idealismus zum Grunde, dessen Anerkennung sie mithin sogar dem Volke zumuten. Das Judentum hingegen ist eine rechte Konzentration und Konsolidation des Realismus."

[Paralipomena (1851) WW 5, S. 48]

Im Kapitel Sinologie von Über den Willen in der Natur (1836, 2. Aufl.: 1854) spricht Schopenhauer über die Gründe für die Schwierigkeiten der Europäer die asiatischen Religionen zu verstehen: neben Atheismus und Pessimismus ist ein Grund der Idealismus:

... "sodann wegen des dem Buddhaismus wie dem Hinduismus wesentlichen entschiedenen Idealismus, einer Ansicht, die in Europa bloß als ein kaum ernstlich zu denkendes Paradoxon gewisser abnormer Philosophen gekannt, in Asien aber selbst dem Volksglauben einverleibt ist, da sie in Hindostan als Lehre von der Maja allgemein gilt und in Tibet, dem Hauptsitze der buddhaistischen Kirche, sogar äußerst populär vorgetragen wird, indem man bei einer großen Feierlichkeit auch eine religiöse Komödie aufführt, welche den Dalai-Lama in Kontrovers mit dem Oberteufel darstellt; jener verficht den Idealismus, dieser den Realismus, wobei er unter anderm sagt:

Was durch die fünf Quellen aller Erkenntnis (die Sinne) wahrgenommen wird, ist keine Täuschung, und was ihr lehrt, ist nicht wahr

Nach langer Disputation wird endlich die Sache durch Würfeln entschieden: der Realist, d.i. der Teufel, verliert und wird mit allgemeinem Hohn verjagt."

(Als Quelle gibt Schopenhauer unter anderen an: Description du Tibet, 1831 p. 65)

[WW 3, 464-465]


2.6.2. Atheismus


Besonders wichtig für Schopenhauer ist, dass der Buddhismus eine atheistische Religion ist. Dies belegt er mehrmals mit ausführlichen Zitaten.

Über den Willen in der Natur (1836, 2. Aufl.: 1854) WW 3, S. 465ff. Parerga I (1851) WW 4, S. 144; Über den Satz vom Grunde, 2. Aufl. (1847) WW 3, S. 151-154.

Am ausführlichsten in der 2. Aufl. von Über den Satz vom Grunde (1847) (WW 3,151-154). Dort gibt er auch den Grund an, warum er diesen Punkt so betont:

"Ich erwähne solche Tatsachen hauptsächlich darum, weil es wirklich skandalös ist, wie noch heutzutage in den Schriften deutscher gelehrter durchgängig Religion und Theismus ohne weiteres als identisch und synonym genommen werden; während Religion sich zum Theismus verhält wie das genus zu einer einzigen species und in der Tat bloß Judentum und Theismus identisch sind; daher eben auch alle Völker, die nicht Juden, Christen oder Mohammedaner sind, von uns durch den gemeinsamen Namen Heiden stigmatisiert werden. Sogar werfen Mohammedaner und Juden den Christen vor, dass sie nicht reine Theisten wären, wegen der Lehre von der Trinität. Denn das Christentum, was man auch sagen möge, hat indisches Blut im Leibe und daher einen beständigen Hang, vom Judentume loszukommen."

[WW 3, S. 154]

Ich möchte hier nur die amüsanteste Stelle zitieren, an der sich Schopenhauer über das Unverständnis "des schon in der Wiege judaisierten Gouverneurs" amüsiert: In der 2. Aufl. von Über den Satz vom Grunde (1847):

"Es ließen sich hunderte dergleichen Belege anführen. Nur auf einen will ich noch aufmerksam machen, weil er ganz populär und zudem offiziell ist. Nämlich der dritte Band des sehr belehrenden buddhaistischen Werkes 'Mahavansa', 'Raja-ratnacari' and 'Raja-vali' from the Singhalese, by Ernest Upaham, London 1833, enthält die aus den holländischen Protokollen übersetzten offiziellen Interrogatorien, welche um 1766 der holländische Gouverneur von Ceylon mit den Oberpriestern der fünf vornehmsten Pagoden einzeln und sukzessive abgehalten hat. Der Kontrast zwischen den Interlokutoren, welche sich nicht wohl verständigen können, ist höchst ergötzlich. Die Priester, den Lehren ihrer Religion gemäß von Liebe und Mitleid gegen alle lebenden Wesen, selbst wenn es holländische Gouverneure sein sollten, erfüllt, sind auf das bereitwilligste bemüht, allen seinen Fragen zu genügen. Aber der naive und arglose Atheismus dieser frommen und sogar enkratistischen Oberpriester gerät in Konflikt mit der innigsten Herzensüberzeugung des schon in der Wiege judaisierten Gouverneurs. Sein Glaube ist ihm zur zweiten Natur geworden, er kann sich gar nicht darin finden, dass diese Geistlichen keine Theisten sind, frägt daher immer von neuem nach dem höchsten wesen und wer denn die Welt geschaffen habe und dgl. mehr. - Jene meinen dann, es könne doch kein höheres Wesen geben als den Siegreich-Vollendeten, den Buddha Sakyamuni, der, ein geborener Königssohn, freiwillig als Bettler gelebt und bis ans Ende seine hohe Lehre gepredigt hat, zum Heil der Menschheit, um uns alle vom Elend der steten Wiedergeburt zu erlösen; die Welt nun aber sei von niemandem gemacht, sie sei selbst geschaffen (self-created), die Natur breite sie aus und ziehe sie wieder ein; allein sie sei das, was existierend nicht existiert; sie sei die notwendige Begleitung der Wiedergeburten, diese aber seinen die Folgen unsers sündlichen Wandels usw. So gehen denn diese Gespräche gegen hundert Seiten fort."

[WW 3, S. 153f.]


2.6.3. Moral: Askese, Wiedergeburt, Tiere


Askese

Die mit der pessimistischen Weltsicht verbundene Askese sieht Schopenhauer als eine Gemeinsamkeit seiner Lehre mit dem Buddhismus (s. oben). Dabei schätzt er am Buddhismus dessen mittleren Pfad: handschriftlicher Zusatz zur 3. Aufl. von Die Welt als Wille und Vorstellung II:

"Ebendeshalb ist der Buddhaismus frei von jener strengen und übertriebenen Askese, welche im Brahmanismus eine so große Rolle spielt, also von der absichtlichen Selbstpeinigung. Er lässt es bei dem Zölibat, der freiwilligen Armut, Demut und Gehorsam der Mönche und Enthaltung von tierischer Nahrung, wie auch von aller Weltlichkeit bewenden."

[WW 2, S, 777f.]

In der asketischen Grundeinstellung sieht Schopenhauer eine Gemeinsamkeit zwischen Christentum, Brahmanismus und Buddhismus: Die Welt als Wille und Vorstellung 3. Aufl. (1858) (WW 2,813):

... "sind Lebensregeln, deren Befolgung unfehlbar zur gänzlichen Armut führt und die demnach auf indirekte Weise eben das besagen, was Buddha den Seinigen geradezu vorschreibt und durch sein eigenes Beispiel bekräftigt hat: werfet alles weg und werdet Bikschu, d.h. Bettler. Noch entschiedener tritt dies hervor in der Stelle Matth. 10,9-15, wo den Aposteln jedes Eigentum, sogar Schuhe und Wanderstab, untersagt wird und sie auf das Betteln angewiesen werden. Diese Vorschriften sind nachmals die Grundlage der Bettelorden des Heiligen Franziskus geworden ... Darum also sage ich, dass der Geist der christlichen Moral mit dem des Brahmanismus und Buddhaismus identisch ist. - In Gemäßheit der ganzen hier dargelegten Ansicht sagt auch Meister Eckart ...: 'Das schnellste Tier, das euch trägt zur Vollkommenheit, das ist Leiden.'"

[WW 2, S. 813]


Moral

Paralipomena (1851) über Kardinallaster:

"Die Buddhaisten gehen infolge ihrer tieferen ethischen und metaphysischen Einsichten nicht von Kardinaltugenden, sondern von Kardinallastern aus, als deren Gegensätze oder Verneinungen allererst die Kardinaltugenden auftreten. Nach Isaak Jakob Schmidts 'Geschichte der Ostmongolen' (S. 7) sind die buddhistischen Kardinallaster: Wollust, Trägheit, Zorn und Geiz. Wahrscheinlich aber muss statt Trägheit Hochmut stehn; so nämlich werden sie angegeben in den 'Letters édifiantes et curieuses' (édition de 1819, vol. 6, p. 372), woselbst jedoch noch der Neid oder Hass als fünftes hinzukommt."

[WW 5, S. 240]


Wiedergeburt

In den Paralipomena (1851) schreibt Schopenhauer zur Frage der Einmaligkeit der menschlichen Existenz:

"Aber wahrlich, wenn mich ein Hochasiate früge, was Europa sei, so müsste ich ihm antworten: es ist der Weltteil, der gänzlich von dem unerhörten und unglaublichen Wahn besessen ist, dass die Geburt des Menschen sein absoluter Anfang und er aus dem Nichts hervorgegangen sei."

[WW 5, S. 435f.]

In Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844) bescheinigt Schopenhauer den Buddhisten und Hindus Konsequenz in ihrer Annahme früherer Existenzen:

"Denn die Unendlichkeit a parte post [nach dem Leben] ohne mich kann sowenig schrecklich sein als die Unendlichkeit a parte ante [vor dem Leben] ohne mich; indem beide durch nichts sich unterscheiden als durch die Dazwischenkunft eines ephemeren Lebenstraums. Auch lassen alle Beweise für die Fortdauer nach dem Tode sich ebensogut in partem ante wenden, wo sie dann das Dasein vor dem Leben demonstrieren, in dessen Annahme Hindu und Buddhaisten sich daher sehr konsequent beweisen."

[WW 2, S. 596]

An den Buddhisten gefällt Schopenhauer nun ganz besonders, dass der Buddhismus, wie er ihn besonders in Spence Hardy's Manual (1859) kennengelernt hat, keine Seelenwanderung (Metempsychose), sondern Wiedergeburt (Palingenesie) lehrt: handschriftlicher Zusatz zu Paralipomena, in Fauenstädts Ausgabe 1862 aufgenommen:

"Aus Spence Hardys »Manual of Buddhism« (p. 394-86, womit zu vergleichen p. 429, 440 und 445 desselben Buches), auch aus Sangermanos »Burmese empire« (p.6), sowie aus den »Asiatic researches« (vol. 6, p. 179 und vol. 9, p. 256) geht hervor, dass es im Buddhaismus in Hinsicht auf die Fortdauer nach dem Tode eine exoterische und eine esoterische Lehre gibt: erstere ist eben die Metempsychose wie im Brahmanismus, letztere aber eine viel schwerer fassliche Palingenesie , die in großer Übereinstimmung steht mit meiner Lehre vom metaphysischen Bestande des Willens bei der bloß physischen Beschaffenheit und dieser entsprechenden Vergänglichkeit des Intellekts."

[WW 5, S. 327]

Ähnlich äußert sich Schopenhauer in der 3. Auflage (1858) von Die Welt als Wille und Vorstellung [WW 2, S. 643].

Die mit der Wiedergeburtslehre verbundene Lehre vom Karma lobt Schopenhauer, obwohl sie das Problem der Ungleichheit nicht löst: Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844)

"... indem wir, über den Ursprung solcher Verschiedenheit nachsinnend, vergeblich brüten. Hindu und Buddhaisten lösen das Problem dadurch, dass sie sagen: »Es ist die Folge der Taten des vorhergegangenen Lebenslaufes.« Diese Lösung ist zwar die älteste, auch die fasslichste und von den Weisesten der Menschheit ausgegangen: sie schiebt jedoch nur die Frage weiter zurück. Eine befriedigendere wird dennoch schwerlich gefunden werden."

[WW 2, S. 677; vgl. WW 2, S. 624]

Die buddhistische Lehre, dass nicht nur "die subjektiven Bedingungen, mit welchen" jemand geboren wird, sondern auch "die objektiven, unter welchen jeder geboren wird, die moralische Folge eines früheren Daseins sind." hält Schopenhauer in einem handschriftlichen Zusatz zu den Paralipomena [in Frauenstädt's Gesamtausgabe 1862 aufgenommen] für notwendig, "wenn man nicht alle Gerechtigkeit eliminieren will" [WW 5, S. 278]

Auf die Vorstellung von pubbenivâsa weist Schopenhauer hin (in Die Welt als Wille und Vorstellung, 3. Aufl. 1858):

"... im Kreislauf der Geburten und kraft der Metempsychose oder Palingenesie werden die Personen, welche jetzt in naher Verbindung oder Berühren mit uns stehn, auch bei der nächsten Geburt zugleich mit uns geboren und haben dieselben oder doch analoge Verhältnisse und Gesinnungen zu uns wie jetzt, diese mögen nun freundlicher oder feindlicher Art sein (man sehe z.B. Spence Hardys »Manual of Buddhism« p. 162). Das Wiedererkennen beschränkt sich dabei freilich auf eine dunkle Ahndung, eine nicht zum deutlichen Bewusstsein zu bringende und auf eine unendliche Ferne hindeutende Erinnerung - mit Ausnahme jedoch des Buddha selbst, der das Vorrecht hat, seine und der andern frühere Geburten deutlich zu erkennen - wie dies in den Jatakas beschrieben ist."

[WW 2, S. 645]


Tiere: gleichartig wie Mensch:

Paralipomena (1851; 2. Aufl 1862)

"Ein anderer bei dieser Gelegenheit zu erwähnender, aber nicht wegzuerklärender und seine heillosen Folgen täglich manifestierender Grundfehler des Christentums ist, dass es widernatürlicherweise den Menschen losgerissen hat von der Tierwelt, welcher er doch wesentlich angehört, und ihn nun ganz allein gelten lassen will, die Tiere geradezu als Sachen betrachtend - während Brahmanismus und Buddhaismus der Wahrheit getreu die augenfällige Verwandtschaft des Menschen, wie im allgemeinen mit der ganzen Natur, so zunächst und zumeist mit der tierischen entschieden anerkennen und ihn stets durch Metempsychose und sonst in enger Verbindung mit der Tierwelt darstellen. Die bedeutende Rolle, welche im Brahmanismus und Buddhaismus die Tiere spielen, verglichen mit der totalen Nullität derselben im Juden-Christentum, bricht in Hinsicht auf Vollkommenheit diesem letzteren den Stab, sosehr man auch an solche Absurdität in Europa gewöhnt sein mag. ... Der besagte Grundfehler nun aber ist eine Folge der Schöpfung aus nichts, nach welcher der Schöpfer (Kap. 1 und 9 der Genesis) sämtliche Tiere ganz wie Sachen und ohne alle Empfehlung zu guter Behandlung, wie sie doch meistens ein Hundeverkäufer, wenn er sich von seinem Zöglinge trennt, hinzufügt, dem Menschen übergibt, damit er über sie herrsche, also mit ihnen tue, was ihm beliebt; worauf er ihn (im zweiten Kapitel) noch dazu zum ersten Professor der Zoologie bestellt durch den Auftrag, ihnen Namen zu geben, die sie fortan führen sollen, welches eben wieder nur ein Symbol ihrer gänzlichen Abhängigkeit von ihm, d.h. ihrer Rechtlosigkeit ist. - Heilige Ganga! Mutter unsers Geschlechts! Dergleichen Historien wirken auf mich wie Judenpech und »foetor Iudaicus« [Knoblauchgeruch]. An der Judenansicht liegt es, welche das Tier als ein Fabrikat zum Gebrauch des Menschen betrachtet. Aber leider machen die Folgen davon sich bis auf den heutigen Tag fühlbar; weil sie auf das Christentum übergegangen sind, welchem nachzurühmen, dass seine Moral die allervollkommenste sei, man eben deshalb einmal aufhören sollte. ... und ebenfalls, wann bei jedem persönlichen Glücksfall, jedem günstigen Ausgang der Brahmane oder Buddhaist nicht etwa ein »Te Deum« plärrt, sondern auf den Markt geht und Vögel kauft, um vor dem Stadttore ihre Käfige zu öffnen ... "

[WW 5, 437-439, kursiv = handschriftlicher Zusatz]

Vgl. Die beiden Grundprobleme der Ethik, 1841 [WW 3, S. 776]


2.6.4. Erlösung: Pessimismus, Nirvana


Pessimismus

Wir hörten schon oben, dass Schopenhauer den Pessimismus als Vorzug des Buddhismus anschaute. Ja Schopenhauer sieht in der Frage des Pessimismus das Grundunterscheidungsmerkmal aller Religionen. So schreibt er in Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844):

"Den Fundamentalunterschied aller Religionen kann ich nicht, wie durchgängig geschieht, darin setzen, ob sie monotheistisch, polytheistisch, pantheistisch oder atheistisch sind; sondern nur darin, ob sie optimistisch oder pessimistisch sind, d.h. ob sie das Dasein dieser Welt als durch sich selbst gerechtfertigt darstellen, mithin es loben und preisen oder aber es betrachten als etwas, das nur als Folge unserer Schuld begriffen werden kann und daher eigentlich nicht sein sollte, indem sie erkennen, dass Schmerz und Tod nicht liegen können in der ewigen, ursprünglichen, unabänderlichen Ordnung der Dinge, in dem, was in jedem Betracht sein sollte. Die Kraft, vermöge welcher das Christentum zunächst das Judentum und dann das griechische und römische Heidentum überwinden konnte, liegt ganz allein in seinem Pessimismus, in dem Eingeständnis, dass unser Zustand ein höchst elender und zugleich sündlicher ist, während Judentum und Heidentum optimistisch waren. Jene von jedem tief und schmerzlich gefühlte Wahrheit schlug durch und hatte das Bedürfnis der Erlösung in ihrem Gefüge."

[WW 2, S. 219 f.]

Nur der Pessimismus führt zur Verneinung des Willens zum Leben (Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844)

"während es viel richtiger ist, Arbeit, Entbehrung, Not und Leiden, gekrönt durch den Tod als Zweck unseres Lebens zu betrachten (wie dies Brahmanismus und Buddhaismus und auch das echte Christentum tun); weil diese es sind, die zur Verneinung des Willens zum Leben leiten."

[WW 2, 749]

Der Pessimismus der asiatischen Religionen machte es den Europäern schwer, sich in ihnen zurechtzufinden (Über den Willen in der Natur (1836) [WW 3,464])

Als Kompass zur Orientierung in diesem Leben empfiehlt Schopenhauer in einem handschriftlichen Zusatz zu Paralipomena (aufgenommen in 2. Aufl. 1862)

"Um allezeit einen sichern Kompass zur Orientierung im Leben bei der Hand zu haben und um dasselbe, ohne je irrezuwerden, stets im richtigen Lichte zu erblicken, ist nichts tauglicher, als dass man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort der Buße, also gleichsam als eine Strafanstalt, a penal colony - ein ERGASTERION [eine Arbeitsstätte], wie schon die ältesten Philosophen sie nannten (nach Clemens Alexandrinus, [Stromata 3, cap. 12, p. 399] und unter den christlichen Vätern Origenes es mit lobenswerter Kühnheit aussprach (darüber Augustinus De civitate Dei lib. 11, cap. 23) - welche Ansicht derselben auch ihre theoretische und objektive Rechtfertigung findet nicht bloß in meiner Philosophie, sondern in der Weisheit aller Zeiten, nämlich im Brahmanismus, im Buddhaismus {Fußnote: Zur Geduld im Leben und dem gelassenen Ertragen der Übel und der Menschen kann nichts tauglicher sein als eine buddhaistische Erinnerung dieser Art: »Dies ist Samsara, die Welt des Gelüstes und Verlangens und daher die Welt der Geburt, der Krankheit, des Alterns und Sterbens: es ist die Welt, welche nicht sein sollte. Und dies ist hier Bevölkerung der Samsara. Was also könnt ihr Besseres erwarten?« Ich möchte vorschreiben, dass jeder sich dies täglich viermal mit Bewusstsein der Sache wiederholte.}, beim Empedokles und Pythagoras ..."

[WW 5, 356, kursiv = Handschriftlicher Zusatz, in Frauenstädt's Ausgabe 1862 aufgenommen]


Nirvana

Eine viel diskutierte Frage ist, ob Schopenhauer die buddhistische Erlösung, das Nirvana, richtig verstanden hat. Wir wollen hier nicht diese Frage betrachten, sondern schauen wie er es verstanden hat.

Für Schopenhauer zeichnen sich die Buddhisten in der Bestimmung des Erlösungszustandes dadurch aus, dass sie diesem nicht mehr zuschreiben, als man kann, indem sie das Nirvana als "relatives Nichts" beschreiben: handschriftlicher Zusatz zur 3. Aufl. von Die Welt als Wille und Vorstellung II:

"Die Buddhaisten aber bezeichnen mit voller Redlichkeit die Sache bloß negativ durch Nirwana, welches die Negation dieser Welt oder des Samsara ist. Wenn Nirwana als das Nichts definiert wird; so will dies nur sagen, dass der Samsara kein einziges Element enthält, welches zur Definition oder Konstruktion des Nirwana dienen könnte. Eben dieserhalb nennen die Jainas, welche nur dem Namen nach von den Buddhaisten verschieden sind, die veda-gläubigen Brahmanen Sabdapramans, welcher Spottname bezeichnen soll, dass sie auf Hörensagen glauben, was sie nicht wissen noch beweisen lässt ('Asiatic researches' vol. 6, p. 474)...

Schon die Heiligkeit welche jeder rein moralischen Handlung anhängt, beruht darauf, dass eine solche im letzten Grunde aus der unmittelbaren Erkenntnis der numerischen Identität des innern Wesens alles Lebenden entspringt. Diese Identität ist aber eigentlich nur im Zustande der Verneinung des Willens (Nirwana) vorhanden, da seine Bejahung (Samsara) die Erscheinung desselben in der Vielheit zur Form hat."

[WW 2, S. 779]

Paralipomena 2. Aufl (handschriftlicher Zusatz; 1862):

"Offenbar geben diese Pantheisten dem Samsara den Namen Gott. Denselben Namen geben hingegen die Mystiker dem Nirwana . Von demselben erzählen sie jedoch mehr, als sie wissen können; welches die Buddhaisten nicht tun; daher ihr Nirwana eben ein relatives Nichts ist."

[WW 5, S. 122]

1819, als Schopenhauer noch eine geringe Kenntnis des Buddhismus hatte: Die Welt als Wille und Vorstellung I (1819)

"... oder wie die Buddhaisten, welche weder Veda noch Kasten gelten lassen es ausdrücken: »Du sollst Nirwana erlangen, d.i. einen Zustand in welchem es vier Dinge nicht gibt: Geburt Alter, Krankheit und Tod .[WW 1, S. 486f.]

" ... haben wir den finstern Eindruck jenes Nichts, das als letztes Ziel hinter aller Tugend und Heiligkeit schwebt und das wir wie die Kinder das Finstere fürchten, zu verscheuchen; statt selbst es zu umgehn wie die Inder durch Mythen und bedutungsleere Worte wie Resorption in das Brahm oder Nirwana der Buddhaisten. Wir bekennen es vielmehr frei: was nach gänzlicher Aufhebung des Willens übrigbleibt, ist für alle die, welche noch des Willens voll sind, allerdings nichts. Aber auch umgekehrt ist denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen - nichts. {Fußnote, handschriftlicher Zusatz zur 3. Auflage: Dieses ist eben auch das Pradschna-paramita der Buddhaisten, das 'Jenseits aller Erkenntnis', d.h. der Punkt, wo Subjekt und Objekt nicht mehr sind (sie Isaak Jakob Schmidt 'Über das Mahayana und Pradschna-paramita'.}

[WW 1, S. 558]

In Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844) geht Schopenhauer sogar auf die Etymologie des Wortes 'Nirvana' ein:

Fußnote zu: "Das Dasein, welches wir kennen, gibt er willig auf: was ihm statt dessen wird, ist in unsern Augen nichts; weil unser Dasein, auf jenes bezogen, nichts ist. Der buddhaistische Glaube nennt jenes Nirwana, d.h. erloschen.":

"Die Etymologie des Wortes Nirwana wird verschieden angegeben. Nach Colebrooke ('Transactions of the Asiatic London Society' vol. 1, p. 566) kommt es von Wa, wehen, wie der Wind, mit vorgesetzter Negation Nir, bedeutet also Windstille, aber als Adjektiv 'erloschen'. - {Auch Obry, 'Du Nirvana Indien', sagt p. 3: 'Nirvanam en sanscrit signifie à la lettre extinction, telle que celle d'un feu'. [Nirvanam bedeutet im Sanskrit wörtlich das Erlöschen, z.B. des Feuers].} - Nach dem 'Asiatic Journal', vol. 24, p. 733 heißt es eigentlich Nerawana, von nera, ohne, und wana, Leben, und die Bedeutung wäre 'annihilatio'. - {Im 'Eastern Monachism' von Spence Hardy wird S. 295 Nirwana abgeleitet von Wana, sündliche Wünsche, mit der Negation nir.} - Isaak Jakob Schmidt, in seiner Übersetzung der 'Geschichte der Ostmongolen' S. 307, sagt, das Sanskritwort Nirwana werde im Mongolischen übersetzt durch eine Phrase, welche bedeutet: 'vom Jammer abgeschieden' - 'dem Jammer entwichen'. Nach desselben Gelehrten Vorlesungen in der Petersburger Akademie ist Nirwana das Gegenteil von Samsara, welches die Welt der steten Wiedergeburten, des Gelüstes und Verlangens, der Sinnentäuschung und wandelbaren Formen, des Geborenwerdens, Alterns, Erkrankens und Sterbens ist. - In der burmesischen Sprache wird das Wort Nirwana nach Analogie der übrigen Sanskritworte umgestaltet in Nieban und wird übersetzt durch 'vollständige Verschwindung' (siehe Sangermanos 'Desription of the Burmese Empire', translated by Tandy, Rome 1833, S. 27). In der ersten Auflage von 1819 schrieb auch ich Nieban, weil wir damals den Buddhaismus nur aus dürftigen Nachrichten von den Birmanen kannten."

[WW 2, S. 650f.; {} = Zusatz in der 3. Auflage]

Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844):

"Wir können es nur bezeichnen als dasjenige, welches die Freiheit hat, Wille zum Leben zu sein oder nicht. Für den letztern Fall bezeichnet der Buddhaismus es mit dem Worte Nirwana, dessen Etymologie in der Anmerkung zum Schlusse des 41. Kapitels gegeben worden. - Es ist der Punkt, welcher aller menschlichen Erkenntnis, eben als solcher, auf immer unzugänglich bleibt."

[WW 2, S. 717]


2.6.5. Christentum und Buddhismus


Wir haben schon mehrfach gesehen, wie Schopenhauer das Verhältnis Christentum zum Buddhismus sieht. Da das Christentum mit seinem Pessimismus, seiner Askese und auch seiner Ethik dem atheistischen Buddhismus (und dem weltverneinenden Brahmanismus) viel näher steht als dem theistischen Judentum, muss man die Lehren des Christentums irgendwie aus jenen "Urreligionen" ableiten können, ja zum Verständnis des Christentums ist die Kenntnis des Buddhismus nötig. Schopenhauer macht auf Einflüsse Indiens auf das Christentum aufmerksam (später gibt es dann eine ganze Flut von Literatur zu diesem Thema)

Paralipomena (1851):

"Wie nun aber zur gründlichen Kenntnis einer Spezies die ihres Genus erfordert ist, dieses selbst jedoch wieder nur in seinen speciebus erkannt wird,; so ist zum gründlichen Verständnis des Christentums die Kenntnis der beiden andern weltverneinenden Religionen, also des Brahmanismus und Buddhaismus erforderlich, und zwar eine solide und möglichst genaue. Denn wie allererst das Sanskrit uns das recht gründliche Verständnis der griechischen und lateinischen Sprache eröffnet, so Brahmanismus und Buddhaismus das des Christentums.

Ich hege sogar die Hoffnung, dass einst mit den indischen Religionen vertraute Bibelforscher kommen werden, welche die Verwandtschaft derselben mit dem Christentum auch durch ganz spezielle Züge werden belegen können." [Schopenhauer verweist nun auf eine angebliche Entsprechung von Jacobus 3,6 zum buddhistischen 'Rad der Seelenwanderung']

[WW 5, S. 451f.]

Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844):

"In Wahrheit ist nicht das Judentum mit seinem PÁNTA KALÀ EÍAN [alles war sehr gut], sondern Brahmanismus und Buddhaismus sind dem Geiste und der ethischen Tendenz nach dem Christentum verwandt. Der Geist und die ethische Tendenz sind aber das Wesentliche einer Religion, nicht die Mythen, in welche sie solche kleidet. Ich gebe daher den Glauben nicht auf, dass die Lehren des Christentums irgendwie aus jenen Urreligionen abzuleiten sind."

[WW 2, S. 799f.]

Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844):

"da der wahre Geist und Kern des Christentums ebenso wie des Brahmanismus und Buddhaismus die Erkenntnis der Nichtigkeit des Erdenglücks, die völlige Verachtung desselben und Hinwendung zu einem ganz anderartigen, ja entgegengesetzten Dasein ist; dies, sage ich, ist der Geist und Zweck des Christentums, der wahre 'Humor der Sache'; nicht aber ist es, wie sie meinen, der Monotheismus; daher eben der atheistische Buddhaismus dem Christentum viel näher verwandt ist als das optimistische Judentum und seine Varietät, der Islam."

[WW 2, S. 569]

Die Welt als Wille und Vorstellung II (1844):

"Dies stimmt zu dem asketischen Geiste der Verleugnung des eigenen Selbst und der Überwindung der Welt, welcher eben wie die grenzenlose Liebe des Nächsten, selbst des Feindes der Grundzug ist, welchen das Christentum mit dem Brahmanismus und Buddhaismus gemein hat und der ihre Verwandtschaft beurkundet. Bei keiner Sache hat man so sehr den Kern von der Schale zu unterscheiden wie beim Christentum. Eben weil ich diesen Kern hochschätze, mache ich mit der Schale bisweilen wenig Umstände; sie ist jedoch dicker, als man meistens denkt."

[WW 2, S. 801]

Die beiden Grundprobleme der Ethik (1841):

"Dass die Moral des Christentums Tiere nicht berücksichtigt, ist ein Mangel derselben, den es besser ist einzugestehen als zu perpetuieren und über den man sich um so mehr wundern muss, als diese Moral im übrigen die größte Übereinstimmung zeigt mit der des Brahmanismus und Buddhaismus, bloß weniger ausgedrückt und nicht bis zu den Extremen durchgeführt ist; ... so dass das Christentum ein Abglanz indischen Urlichts von den Ruinen Ägyptens wäre, welcher aber leider auf jüdischen Boden fiel."

[WW 3, S. 776]

Ein wesentlicher Nachteil des Christentums gegenüber dem Buddhismus sei, dass das Christentum nicht wie die anderen Religionen eine Lehre ist, sondern eine Historie:

Paralipomena (handschriftlicher Zusatz, in Ausgabe 1862 gedruckt):

"Das Christentum hat den eigentümlichen Nachteil, dass es nicht wie die anderen Religionen eine reine Lehre ist; sondern es ist wesentlich und hauptsächlich eine Historie, eine Reihe von Begebenheiten, ein Komplex von Tatsachen, von Handlungen und Leiden individueller Wesen; und eben diese Historie macht das Dogma aus, der Glaube an welches selig macht. Andere Religionen, namentlich der Buddhaismus haben wohl eine historische Zugabe am Leben ihres Stifters; aber dieses ist nicht Teil des Dogmas selbst, sondern geht neben demselben her. Man kann z.B. die 'Lalita vistara' wohl insofern dem Evangelio vergleichen, als sie das Leben Sakyamunis , des Buddhas er gegenwärtigen Weltperiode, enthält; aber dieses bleibt eine vom Dogma, also vom Buddhaismus selbst völlig gesonderte und verschiedene Sache; schon deswegen, weil die Lebensläufe der früher gewesenen Buddhas auch ganz andere gewesen waren und die der künftigen ganz andere sein werden. Das Dogma ist hier keineswegs mit dem Lebenslauf des Stifters verwachsen und beruht nicht auf individuellen Personen und Tatsachen; sondern ist ein allgemeines, zu allen Zeiten gleichmäßig gültiges. Daher also ist die 'Lalita vistara' kein Evangelium im christlichen Sinne des Wortes, keine frohe Botschaft von einer erlösenden Tatsache, sondern der Lebenslauf dessen, welcher die Anweisung gegeben hat, wie jeder sich selbst erlösen könne. -- Von jener historischen Beschaffenheit des Christentums aber kommt es, dass die Chinesen die Missionare als Märchenerzähler verspotten."

[WW 5, S. 436f.]

Im Gegensatz zu Christentum, Judentum und Islam, die wegen ihres Theismus gewalttätig sind, hat sich der Buddhismus ohne Gewalttätigkeit ausgebreitet: Paralipomena (1851, 2. Aufl: 1862)

"Obwohl wir nämlich wissen, dass der Buddhaismus etwan im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus seiner ursprünglichen Heimat, der vordersten Halbinsel Indiens, von den Brahmanen vertrieben worden ist; so haben wir doch meines Wissens keine bestimmte Kunde von Gewalttätigkeiten, Kriegen und Grausamkeiten, durch die es geschehen wäre."

[WW 5, S. 423]

Es ist uns auch genügend begegnet, wie die Hochschätzung des Buddhismus verbunden ist mit einer stark antijüdischen Haltung.

León Poliakov schreibt m. E. zu Recht:

"Rein theoretisch könnte es ebenso irrig erscheinen, im Falle Schopenhauers von Rassismus zu sprechen, und doch hat kein anderer Autor so sehr zur Popularisierung des manichäischen Kontrastes zwischen »Ariern« und »Semiten« in Deutschland beigetragen. Natürlich verwendet der Zeitgenosse Hegels und Okens [Lorenz Oken, 1779 - 1851] noch nicht diese Ausdrücke und betont im wesentlichen den Gegensatz zwischen den beiden Arten des religiösen Denkens, so wie er es interpretiert. Ansonsten verlegt er den Ursprung der weißen Rasse nach Indien und erkennt nur den Indern Wissen und wahre Weisheit zu, womit er nichts anderes sagt als die romantischen Mythologen, die wir zitiert haben; allerdings trennt er auf andere, radikale Weise das Alte Testament vom Neuen, indem er diesem kurz entschlossen einen indischen Ursprung zuschreibt. Er verwendet die verlockendsten Bilder."

[Poliakov, Léon <1910 - >: Der arische Mythos : zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus. -- Hamburg : Junius, ©1993. -- 431 S.  -- ISBN 3-88506-220-8. -- S. 279. -- Originaltitel: Le mythe aryen (1971)]


3. Hinweis auf Wagner und die Wagnerianer



Abb.: Richard Wagner

Ich will hier nicht näher auf Schopenhauers buddhistischen Einfluss bei Richard Wagner (1813-1883) und den Wagnerianern eingehen.

Nur soviel:

1856 fasst Wagner den Plan, das Leben Buddhas in einer Oper Die Sieger zu vertonen.

Dem Entwurf der Handlung legt Wagner Das Shârdukakarnâvadâna aus dem Divyâvadâna zugrunde. Der Text war ihm aus der Übersetzung in

Burnouf, Eugène <1801-1852>: Introduction à l'histoire du buddhisme indien. -- t. 1. -- Paris : Imprimerie royale, 1844. -- [In Wagners Bayreuther Bibliothek vorhanden]

Der Entwurf in der Fassung vom 1856-05-16 lautet:

"Die Sieger.

Chakya-Muni,
Ananda,
Prakriti,
(deren Mutter),
Brahmanen,
Jünger,
Volk.

- Der Buddha auf seiner letzten Wanderung.

- Ananda am Brunnen von Prakriti, dem Tchandalamädchen, getränkt. Heftige Liebe dieser zu Ananda; dieser erschüttert.

- Prakriti, im heftigsten Liebesleiden: ihre Mutter lockt Ananda herbei: großer Liebeskampf: Ananda bis zu Tränen ergriffen und geängstigt, von Chakya befreit

- Prakriti tritt zu Buddha, am Stadttore unter dem Baume, um von ihm Vereinigung mit Ananda zu bitten. Dieser frägt sie, ob sie die Bedingungen dieser Vereinigung erfüllen wolle? Doppelsinniges Zwiegespräch, von Prakriti auf eine Vereinigung im Sinne ihrer Leidenschaft gedeutet; sie stürzt erschreckt und schluchzend zu Boden, als sie endlich hört, sie müsse auch Ananda's Gelübde der Keuschheit ertragen. Ananda von Brahmanen verfolgt. Vorwürfe wegen der Befassung Buddha's mit einem Tchandalamädchen. Buddha's Angriff des Kastengeistes. Er erzählt dann von Prakriti's Dasein in einer früheren Geburt; sie war damals die Tochter eines stolzen Brahmanen; der Tchandala-König, der sich eines ehemaligen Dasein's als Brahmane erinnert, begehrt für seinen Sohn des Brahmanen Tochter, zu welcher dieser heftige Liebe gefasst; aus Stolz und Hochmut versagte die Tochter Gegenliebe und höhnte den Unglücklichen. Dies hatte sie zu büßen, und ward nun als Tchandalamädchen wiedergeboren, um die Qualen hoffnungsloser Liebe zu empfinden; zugleich aber zu entsagen und der vollen Erlösung durch Aufnahme unter Buddha's Gemeinde zugeführt zu werden.

- Prakriti beantwortet nun Buddha's letzte Frage mit einem freudigen Ja. Ananda begrüßt sie als Schwester. Buddha's letzte Lehren. Alles bekennt sich zu ihm. Er zieht dem Orte seiner Erlösung zu.

Zürich, 16. Mai 1856."

[Quelle: Wagner, Richard <1813-1883>: Werke, Schriften und Briefe [Elektronische Ressource] / hrsg. von Sven Friedrich. -- Berlin : Directmedia Publ. -- 2004. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 107). -- ISBN: 3-89853-207-0. -- S. 5839f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM bei amazon.de bestellen} ]

1858-09-30 schreibt Wagner an Marie d'Agoult:


Abb.: Marie d'Agoult (= Marie Catherine Sophie de Flavigny) (1805 - 1876), Geliebte von Franz Liszt, Mutter von Cosima Wagner / von Henri Lehmann

"An Marie d'Agoult in Paris

Venedig, Donnerstag, 30. September 1858

Venedig. 30 Sept. 58.

Hochverehrte Frau!

Haben Sie Dank für Ihre ermutigenden schönen Versicherungen, die mich hier wahrhaft und bedeutungsvoll überraschten! In großer Spannung erhielt mich die Erwartung der angekündigten »kleinen Figur«. Ich war dumm genug, lange hin und her zu raten. Während dem las ich ein neues Buch über die Religion des Buddha von einem naseweisen deutschen Feuerbachianer. Worauf es mir hauptsächlich ankommen konnte, möglichst viel Züge der ächten Legende - wie sie Burnouf gibt - zu erhalten, darauf musste ich bald verzichten; dagegen viel Ausbreitung über Alles das, was uns alle Religionen eben so zuwidermacht, und zu was sie doch, wie Alles Edle und Erhabene, verdammt sind, um so mehr, je erhabener es ist, und je mehr Menschenmasse davon zu profitieren sucht. Also durch die Beschreibungen des widerlichen Pfuhles des breiten Aberglaubens, des Kultus, und zu was eben eine Religion Veranlassung gibt, musste ich mich durcharbeiten, den Reliquien- und Bilderdienst mir vorführen, und endlich so recht widerlich genau mir vorführen lassen, zu was der wundervoll herrliche, ganz unvergleichliche Çakjasohn entstellt worden war. Ziemlich verdrießlich legte ich das Buch fort, aus dem mich ein einziger Zug interessiert hatte, den Sie später nicht ohne Bedeutung erfahren sollen, - als die »kleine Figur« anklopfte, und der »Allerherrlichst Vollendete« in eigener Person aus der Türe zu mir trat. Das war doch ein wunderliches Zusammentreffen. Als ich mir den mongolisch-indisch- chinesischen Schönheitstypus näher betrachtete, konnte ich doch nicht anders als erschrecken; fast glaubte ich, Sie wollten sich über mich lustig machen! Doch aus Ihrem Briefe glaube ich zu ersehen, dass es Ihnen doch wohl ernst ist. Mein abendländisches Gemüt kämpft über Anerkennung oder Nicht-Anerkennung dieses tief-orientalischen Heiligtumes. Wie dem nun sei: - der Buddha umfasste Alles mit gleicher Liebe, d.h. Mit-Leiden, und dieser Chinese soll mich lehren, dass ich auch mit diesem Zuge der Menschheit, das Edelste in ihrer Weise sich darzustellen, - leiden kann. Also - willkommen!

Dies betrifft mich Alles sehr nah. Ich trage mich seit länger mit einem Stoffe aus einer buddhistischen Legende, darin Çakjamuni selbst auftreten würde. Wie gewagt dies ist, entgeht mir nicht, aber ich werde meines Gegenstandes immer sichrer, und muss mich sogar hüten, an ihm schon zu viel gestalten zu wollen, weil er mich dann leicht von meiner jetzigen Arbeit abziehen könnte. Den Dramatiker beschäftigte aber bereits die äußere Erscheinung des Buddha, und bereits war es mir sehr willkommen, dass oftmals in der Legende von seinem Haar die Rede ist; die spätere buddhistische Kopfnacktheit hätte mich denn doch empfindlich beunruhigt, wenn ich sie meinem Helden hätte auferlegen müssen. Aber ob ich ihn so glatt und wonnig darstellen lasse, wie unser chinesischer Tathâgata es ist, kann ich mir doch nicht vorstellen. Wir wollen das nächste Mal hierüber verkehren, wenn Sie die Sache gütigst mit mir beraten wollen.

Aber, dass Sie meiner gedachten, ist auch so schön! Sie lernten mich in einer grauenvollen Periode kennen; ich war fast nie einen Augenblick zugegen, wenn Sie mich sahen. Jetzt habe ich mich in die vollkommenste Isolierung gerettet, wie sie mir gerade Venedig so angenehm leicht macht.

Jedenfalls halte ich nun aus, bis der Tristan ganz vollendet ist; an weiter, und an die Zukunft überhaupt, denke ich nicht. Nächster Tage erwarte ich meinen Flügel, den schönen Erard; und dann hoffe ich für eine halbes Jahr gegen die Welt geborgen zu sein. Nun gebe der Buddha seinen Segen: er wollte nichts von der Kunst wissen. Wie recht hatte er damit! Man kann schon ganz Heiliger sein, so macht dieses unvertilgbare Kunstbewusstsein Einem auch diesen Zustand zum Objekt der Vorstellung; den muss und will man gestalten, darstellen, und darüber geht der ganze alte Tanz wieder los, so dass an Erlösung gar nicht zu denken. O, er hatte recht; das ist der übelste Versucher! Aber Niemand kann sich ändern: somit, ohne allen Versuch zur Affektation, verbleibe ich der phantastische Vers- und Tonreimer, dem Sie ein so entsündigendes freundliches Gehör schenkten. Haben Sie tausend Dank und seien Sie meiner verehrungsvollsten Ergebenheit versichert!

Ihr

Richard Wagner.

[Quelle: Wagner, Richard <1813-1883>: Werke,  Schriften und Briefe [Elektronische Ressource] / hrsg. von Sven Friedrich. -- Berlin : Directmedia Publ. -- 2004. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 107). -- ISBN: 3-89853-207-0. -- S. 13982ff. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM bei amazon.de bestellen}]

1858-10-05 schreibt Wagner an  Mathilde Wesendonck:

"5. Oktober.

Vor einiger Zeit kündigte mir die Gräfin A. eine »kleine Figur« an, die sich bald bei mir einfinden werde. Ich verstand's nicht, und las währenddem Köppen's Geschichte der Religion des Buddha zu Ende [Koeppen, Carl Friedrich (1808-1863): Die Religion des Buddha und ihre Entstehung. -- Berlin, 1857. -- 614 S.]. Ein unerquickliches Buch. Statt ächter Züge der ältesten Legende, die ich suchte, hauptsächlich nur die Darstellung der Entwicklung in die Breite, die natürlich immer widerlicher ausfällt, je reiner und erhabener der Kern ist. Nachdem ich so recht angeekelt war durch die detaillierte Beschreibung des endlich festgestellten Kultus, mit seinen Reliquien und abgeschmackten bildlichen Darstellungen des Buddha, kommt die »kleine Figur« an, und zeigt sich als chinesisches Exemplar solch eines heiligen Bildnisses. Mein Grauen war groß, und ich konnte es der Dame, die das Rechte getroffen zu haben glaubte, nicht verheimlichen.

Man hat viel Mühe, in dieser entstellungssüchtigen Welt sich gegen derartige Eindrücke zu behaupten, und sich das rein angeschaute Ideal unverkümmert zu erhalten. Alles sucht so gern das Edelste, sobald es nicht zu ihm hinan kann, sich verwandt, d.h. als Fratze darzustellen. Den Çakya-Sohn, den Buddha, mir rein zu erhalten, ist mir, trotz der chinesischen Karikatur, aber doch gelungen.

Einen einzigen mir neuen, oder früher unbeachteten Zug fand ich aber doch in jener Geschichte, der mir höchst willkommen war, und der wahrscheinlich zu einem bedeutenden Momente führen wird. Es ist dieser: - Çakyamuni war anfänglich durchaus gegen die Aufnahme der Frauen in die Gemeinde der Heiligen. Er spricht von ihnen wiederholt die Ansicht aus, die Frauen seien von der Natur viel zu sehr der Geschlechtsbestimmung, und somit der Laune, dem Eigensinn und dem Hange an der persönlichen Existenz unterworfen, als dass sie zu der Sammlung und weiten Beschaulichkeit gelangen könnten, durch die der Einzelne von der Naturtendenz sich lossage, um zur Erlösung zu gelangen. Sein Lieblingsschüler, Ananda, - derselbe, dem ich bereits in meinen »Siegern« seine Rolle zugeteilt habe -, war es nun, der endlich den Meister vermochte, von seiner Strenge abzugehen, und auch den Frauen die Aufnahme in die Gemeinde zu eröffnen. - Hiermit gewann ich etwas ungemein Wichtiges. Ohne allen Zwang erhält mein Plan eine große mächtige Erweiterung. Das Schwierige war hier, diesen vollkommen befreiten, aller Leidenschaft enthobenen Menschen, den Buddha selbst, für die dramatische und namentlich musikalische Darstellung geeignet zu machen. Es löst sich nun dadurch, dass er selbst noch eine letzte Entwickelungsstufe erreicht, durch Aufnahme einer neuen Erkenntnis, die ihm hier - wie alle Erkenntnis - eben nicht durch abstrakte Begriffsverbindungen, sondern durch anschauliche Gefühlserfahrung, somit auf dem Wege der Erschütterung und Bewegung des eigenen Inneren, zugeführt wird, und die ihn daher in einem letzten Fortschreiten zur höchsten Vollendung zeigt. Der dem Leben noch näher stehende, durch die heftige Liebe des jungen Tschandala-Mädchens unmittelbar berührte Ananda, wird zum Vermittler dieser letzten Vollendung. - Ananda, tief erschüttert und gerührt, kann diese Liebe nur in seinem, dem höchsten Sinne erwidern, als Verlangen, die Geliebte zu sich heran zu ziehen, auch ihr das letzte Heil teilhaft werden zu lassen. Hierin begegnet ihm, nicht schroff, sondern einen Irrtum, eine Unmöglichkeit beklagend, der Meister. Endlich aber, als Ananda schon in tiefster Trauer die Hoffnung aufgeben zu müssen glaubt, fühlt Çakya, durch sein Mitleiden, und wie durch ein letztes, neuestes Problem, dessen Lösung noch sein Verweilen im Dasein aufgehalten hat, angezogen, sich bestimmt, das Mädchen zu prüfen. Dieses kommt nun, in seinem tiefsten Jammer den Meister selbst anzurufen, sie dem Ananda zu vermählen. Nun legt er die Bedingungen vor, der Entsagung der Welt, der Ausscheidung aus allen Banden der Natur: bei dem Hauptgebote ist sie endlich aufrichtig genug, machtlos zusammen zu brechen; worauf sich denn (vielleicht entsinnst Du Dich?) die reiche Szene mit den Brahmanen entspinnt, die ihm den Verkehr mit solchem Mädchen, als Beweis für das Irrige seiner Lehre, vorwerfen. In der Zurückweisung jedes menschlichen Hochmutes gelangt endlich sein wachsender Anteil an dem Mädchen, deren frühere Existenzen er sich und den Gegnern enthüllt, zu solcher Stärke, dass, als sie - die nun den ganzen ungeheuren Zusammenhang des Welt-Leidens an ihrem eigenen Leiden erkannt hat - zu jedem Gelübde sich bereit erklärt, er, wie zu letzter eigener Verklärung, sie unter die Heiligen aufnimmt, und somit seinen erlösenden, allen Wesen zugewendeten Weltlauf als vollendet ansieht, da er auch dem Weibe - unmittelbar - die Erlösung zusprechen konnte. -

Glückliche Sawitri! Du darfst nun dem Geliebten überall hin folgen, stets um ihn, mit ihm sein. Glücklicher Ananda! sie ist Dir nun nah, gewonnen, um nie sie zu verlieren! - Mein Kind, wohl hatte der herrliche Buddha Recht, als er streng die Kunst ausschloss. Wer fühlt es deutlicher als ich, dass diese unselige Kunst es ist, die mich ewig der Qual des Lebens und allen Widersprüchen des Daseins zurückgibt? Wäre diese wunderbare Gabe, dieses so starke Vorherrschen der bildnerischen Phantasie nicht in mir, so könnte ich der hellen Erkenntnis nach, dem Drange des Herzens folgend - Heiliger werden; und als Heiliger dürfte ich Dir sagen: komm, verlass Alles, was Dich hält, zertrümmere die Banden der Natur: um diesen Preis zeige ich Dir den offenen Weg zum Heile! - Dann wären wir frei: Ananda und Sawitri! - Aber so ist's nicht. Denn sieh! auch dies, dieses Wissen, diese deutliche Einsicht -, sie macht mich nur immer wieder zum Dichter, zum Künstler. Sie steht, im Augenblicke da ich sie gewinne, als Bild vor mir, mit der lebhaftesten, seelenvollsten Anschaulichkeit, aber - als Bild, das mich entzückt. Ich muss es immer näher, immer inniger betrachten, um es immer bestimmter und tiefer zu sehen, es aufzeichnen, es ausführen, als eine eigene Schöpfung es beleben. Dazu brauche ich Stimmung, schwungvolle Laune, Muße, behagliches Überwundenwissen des gemeinen, ablenkenden Lebensbedürfnisses, und dieses Alles muss ich eben diesem störrigen, widerhakigen, überall feindseligen Leben abgewinnen, dem ich endlich nur in seiner, ihm einzig verständlichen Weise beikommen kann; so muss ich denn, mit Selbstvorwurf im Herzen, Missverständnis - das ich selbst nähre - Kummer, Ärger, Not unablässig zu besiegen trachten, - nur um zu sagen, was ich sehe, und nicht sein kann! Um nicht unterzugehen, blicke ich auf Dich; und je mehr ich: hilf mir! sei mir nahe! rufe, desto ferner entschwindest Du; und mir antwortet es: »in dieser Welt, wo Du diese Not Dir aufläd'st, um Deine Bilder zu verwirklichen, in dieser Welt - gehört sie Dir nicht! Sondern das, was dich verhöhnt, was dich peinigt, was dich ewig missversteht, das umschließt auch sie, dem gehört sie, und das hat ein Recht auf sie. Warum freut sie sich auch über Deine Kunst? Deine Kunst gehört der Welt, und sie - gehört ebenfalls der Welt.« -

O verstündet ihr albernen Gelehrten den großen, liebevollen Buddha, ihr würdet die Tiefe der Erkenntnis anstaunen, die ihm die Ausübung der Kunst als allerbestimmtesten Abweg vom Heil bezeichnete! Glaubet mir! Ich kann es euch sagen!

Glücklicher Ananda! Glückliche Sawitri! -

[Quelle: Wagner, Richard <1813-1883>: Werke,  Schriften und Briefe [Elektronische Ressource] / hrsg. von Sven Friedrich. -- Berlin : Directmedia Publ. -- 2004. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 107). -- ISBN: 3-89853-207-0. -- S. 18460ff. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM bei amazon.de bestellen}]

1859-02-22 bekennt Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonck, dass er sich instinktiv zu einem Buddhisten gewandelt habe und es unbewusst auch immer mit der buddhistischen Bettlermaxime gehalten habe. [Wesendonck Briefe 108, 109, 154]

"Venedig, 22. Februar 59.

Nach dem Gesetz des allerherrlichst-vollendeten Buddha beichtet der Belastete vor der Gemeinde laut seine Schuld, und damit allein ist er entlastet. Sie wissen, wie ich unwillkürlich zum Buddhisten geworden bin. Auch mit der Buddhistischen Bettler-Maxime habe ich's unbewusst immer gehalten. Und das ist eine sehr stolze Maxime. Der Religiöse kommt in die Städte und Strassen der Menschen, zeigt sich nackt und besitzlos, und gibt so durch sein Erscheinen den Gläubigen die kostbare Gelegenheit, durch Gaben und Spenden an ihn, das edelste, verdienstlichste Werk zu üben: somit ist seine Annahme die ersichtlichste Gnade, die er erweist, ja, in dieser Gnade liegt der Segen, die Erhebung, die er den Gebern spendet. Er bedurfte der Gaben nicht, denn freiwillig hatte er Alles von sich gegeben, eben um durch die Annahme von Almosen die Seelen erquicken zu können.

[...]

[Quelle: Wagner, Richard <1813-1883>: Werke,  Schriften und Briefe [Elektronische Ressource] / hrsg. von Sven Friedrich. -- Berlin : Directmedia Publ. -- 2004. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 107). -- ISBN: 3-89853-207-0. -- S. 18535f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM bei amazon.de bestellen}]

In "Mein Leben: Dritter Teil: 1850-1861" schreibt Wagner über "Die Sieger":

"Am schmerzlichsten empfand ich die dadurch so häufig herbeigeführten Unterbrechungen meiner Arbeit, da ich in den Tagen der Krankheit mich höchstens mit Lektüre beschäftigen konnte. Von dieser regte mich am bedeutendsten Burnouffs »Introduction a l'histoire du Bouddhisme« an; dieser entnahm ich sogar den Stoff zu einer dramatischen Dichtung, welcher seitdem, obwohl nur im ungefährsten Entwurfe, stets in mir fortgelebt hat und vielleicht noch einmal ausgeführt werden dürfte. Ich gab ihm den Titel »Die Sieger«; er gründete sich auf die einfache Legende von der Aufnahme eines Tschandala-Mädchens in den erhabenen Bettlerorden Cakyamounis, wozu sie durch die schmerzlichst gesteigerte und geläuterte Liebe zu Ananda, dem Hauptjünger des Buddha, sich würdig macht. Außer der tiefsinnigen Schönheit des einfachen Stoffes bestimmte mich zu seiner Wahl alsbald ein eigentümliches Verhältnis desselben zu dem in mir seitdem ausgebildeten musikalischen Verfahren. Vor dem Geiste des Buddha liegt nämlich das vergangene Leben in früheren Geburten jedes ihm begegnenden Wesens offen, wie die Gegenwart selbst, da. Die einfache Geschichte erhielt nun ihre Bedeutung dadurch, dass dieses vergangene Leben der leidenden Hauptfiguren als unmittelbare Gegenwart in die neue Lebensphase hineinspielte. Wie nur der stets gegenwärtig miterklingenden musikalischen Reminiszenz dieses Doppellebens vollkommen dem Gefühle vorzuführen möglich werden durfte, erkannte ich sogleich, und dies bestimmte mich, die Aufgabe der Ausführung dieser Dichtung mit besondrer Liebe mir vorzubehalten.

So hatte ich denn neben der immer noch in riesenhaften Dimensionen vor mir liegenden Arbeit der Nibelungen zwei neue Stoffe, den »Tristan« und diese »Sieger«, meiner Phantasie eingeprägt, welche von jetzt an neben jener Arbeit mich stets lebhaft beschäftigten."

[Quelle: Wagner, Richard <1813-1883>: Werke,  Schriften und Briefe [Elektronische Ressource] / hrsg. von Sven Friedrich. -- Berlin : Directmedia Publ. -- 2004. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 107). -- ISBN: 3-89853-207-0. -- S. 31981. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM bei amazon.de bestellen}]

1867-12-01 schreibt Friedrich Nietzsche in einem Brief an Gersdorff über die Schule R. Wagners:


Abb.: Hans von Bülow

"Dort [in Meiningen] war nämlich ein großes viertägiges Musikfest von den Zukünftlern veranstaltet, die hier ihre seltsamen musikalischen Orgien feierten. Abbate Liszt präsidierte. Diese Schule hat sich jetzt mit Leidenschaft auf Schopenhauer geworfen. Eine symphonische Dichtung von Hans von Bülow [1830-1894], Nirwana, [= op. 20] enthielt als Programm eine Zusammenstellung Schopenhauerscher Sätze; die Musik war aber fürchterlich. Dagegen hat Liszt selbst in einigen seiner Kirchenkompositionen den Charakter jenes indischen Nirwana vortrefflich gefunden, vor allem in seinen Seligkeiten, 'Beati sunt qui' etc.«

[Zitiert in: : Janz, Curt Paul: Friedrich Nietzsche : Biographie ; in drei Bänden. -- München : Hanser. -- Bd. 1., Kindheit, Jugend, die Basler Jahre. -- 2., rev. Aufl. --  1993. -- 848 S. -- ISBN 3-446-17577-6. --  S. 211]


Zu 3.2.: 2. Die Entwicklung in Deutschland 1860-1890