Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren I:

Honoré Daumier (1808 - 1879)


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren I: Honoré Daumier (1808 - 1879)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2005-02-14. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen1.htm  

Erstmals publiziert: 2004-04-19

Überarbeitungen: 2005-02-14 [Ergänzungen]; 2004-11-21 [Ergänzungen]; 2004-11-06 [Ergänzungen]; 2004-05-11 [Ergänzungen]; 2004-04-30 [erhebliche Erweiterungen]; 2004-04-27 [Ergänzungen]

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Abb.: Honoré Daumier. -- Karikatur von Étienne Carjat (1828-1906)

"Honoré Daumier: 1808 bis 1879

Honoré Daumier ist am 26. Februar 1808 [nach anderen Angaben im Jahr 1810] in Marseille zur Welt gekommen. Sein Vater Jean Baptiste Daumier war arm. Er arbeitete als Glaser, doch seine Lieblingsbeschäftigung war die Poesie. Da er vom Wert seines dichterischen Talents überzeugt war, beschloss er, mit seiner Familie nach Paris zu ziehen, wo er nur noch literarisch tätig sein wollte. Trotz aller Bemühungen, trotz einiger untertänigst an Herrscher wie König Ludwig XVIII. und Zar Alexander I. gerichteten Oden gelang es dem entwurzelten Handwerker nicht, irgendwelche Erfolge zu erringen. Ganz im Gegensatz zum ruhmlos gebliebenen Vater sollte der Sohn bald bekannt werden, und zwar keineswegs durch Loblieder auf regierende Herrscher, sondern durch deren Verspottung in zahlreichen Karikaturen.

Die Knabenjahre verbrachte Honoré Daumier damit, in Paris als Laufbursche seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als junger Mann war er dann Verkäufer in einer Buchhandlung. Endlich fand er seinen eigentlichen Weg. Mit den letzten Ersparnissen des Vaters nahm er Zeichenstunden. Viel Zeit verbrachte er auch im Louvre-Museum, wo er sich in der Abbildung antiker Skulpturen übte. Mit zwanzig begann er seine Versuche auf dem Gebiet der Lithographie. Seine unmittelbaren Vorbilder waren die sehr populären satirischen Zeichnungen, durch die der junge J. J. Grandville sich um 1830 einen Namen gemacht hatte. Nach der Veröffentlichung der Serie >Masken< [Zerrbilder regimetreuer Politiker], die in dem von Charles Philipon Ende 1830 gegründeten Pariser satirischen Wochenblatt >La Caricature< erschien, wurde Daumier noch im selben Jahr schlagartig stadtberühmt. Im Dezember 1831 veröffentlichte >La Caricature< dann jenes aufsehenerregende Blatt >Gargantua<, betitelt nach dem gleichnamigen deftigen gesellschaftskritischen Renaissance-Roman von Francois Rabelais [1534], Das Bild zeigt König Louis Philippe als den gefräßigen Riesen Gargantua, der die reichhaltigen Staatsbudgets nacheinander verschlingt und sich dazu noch mit Kronschenkungen vollstopft, die als Pasteten aufgetragen werden. Dabei lässt er sich von zwerghaften Gestalten bedienen, in denen man die Königlichen Minister erkennt. Die Folgen dieser tollkühnen Veröffentlichung ließen nicht lange auf sich warten: Daumier wurde wegen Majestätsbeleidigung angeklagt. Am 30. August 1832 erschien in >La Caricature< folgende Nachricht: »Während wir diese Zeilen schrieben, wurde, vor den Augen seiner Eltern, deren einzige Stütze er ist, Herr Daumier wegen der Gargantua-Karikatur zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.« Von September 1832 bis März 1833 hat Daumier diese Strafe in Sainte-Pélagie absitzen müssen. Er hat diese Monate der Haft nicht vergessen. Seine am 14. März 1834 im >Charivari< erschienene Zeichnung >Erinnerung an Sainte-Pélagie< bezeugt dies, ebenso wie seine Verhöhnung des Gerichtswesens in der umfangreichen Bildfolge >Die Leute von der Justiz< [1845 bis 1848].

Nach seiner Freilassung begannen für ihn drei Jahre angespannter künstlerischer Tätigkeit. Inzwischen hatte Philipon am 1. Dezember 1832 sein zweites satirisches Blatt gegründet: die Tageszeitung >Le Charivari< Hier und in >La Caricature< erschienen Daumiers Lithographien, auf denen Louis Philippe bald als merkwürdiger Heiliger, bald als Pfefferkuchengestalt, bald als Birne, bald als Papagei dargestellt wird. Nicht allein der dicke König, auch die ihn umgebende fette Bourgeoisie wurden von Daumier karikiert. Meist Minister, Staatsanwälte, Parlamentarier, oft auch Geschäftsleute, die mit vollgefressenen Bäuchen vorgeführt werden, denn hierdurch unterschieden sich die Würdenträger und Nutznießer der Juli-Monarchie von den jugendlichen Spöttern der satirischen Presse. Daumiers bis dahin populärste Lithographie stammt aus dieser Zeit. Es ist die als Einzelblatt in Philipons >Monatsverein< erschienene dramatische Darstellung der von Soldaten eines Linienregiments niedergemetzelten Männer, Frauen und Kinder eines Pariser Arbeiterviertels. Die >Rue Transnonain< nimmt in der europäischen Kunstgeschichte denselben Rang ein wie gewisse Szenen aus Jaques Callots >Elend des Krieges< [1633] und aus Francisco de Goyas »Unglück des Krieges« [1810 bis 1813]. Der Vergleich zwischen Daumier und Goya drängt sich geradezu auf, denn von beiden Künstlern geht politische Leidenschaft aus, beide besaßen die Gabe der graphischen Improvisation.

Nach der grandiosen Lithographie >Rue Transnonain< ist in Daumiers Schaffen ein Einschnitt zu verzeichnen. Das Attentat Fieschis auf den König [28. Juli 1835] hatte die berüchtigten Septembergesetze zur Folge, wodurch die Pressefreiheit bis zum Sturz der Juli-Monarchie aufgehoben wurde. An die Stelle der politischen trat nun die sozialkritische Karikatur. Es war die Zeit, in der Daumier die umfangreiche Serie >Robert Macaire< entwarf, in der die Bourgeoisie jener Zeit mindestens so scharf dargestellt wird wie in seinen Politiker-Porträts. Durch die >Robert-Macaire<-Serie hat er jene zweifelhafte und für die Epoche des beginnenden Hochkapitalismus charakteristische Gestalt des Betrügers im Kollektivbewusstsein verankert.

Erst die Revolution von 1848 gestattete es Daumier, wieder als Karikaturist des politischen Lebens aufzutreten. Doch er hatte andere Pläne. Den Auftrag zu einer Serie von Spottbildern über den geflohenen Louis Philippe lehnte er ab. Er wollte dem gestürzten König keinen Eselstritt versetzen. Er dachte jetzt daran, auf die Kunst der Lithographie zu verzichten und statt dessen Maler zu werden. Aber sehr bald erschienen im >Charivari< wieder seine Karikaturen. Die Opfer seines Spotts waren nun — serienweise — die emanzipierten Frauen, die Wortführer des utopischen Sozialismus und die jetzt endlich durch das allgemeine Wahlrecht bestimmten Parlamentarier, die allerdings ebenso komisch wirken wie ihre Vorgänger aus der Zeit des Honoratioren-Parlaments der Juli-Monarchie. Als Höhepunkt von Daumiers Schaffen unter der Zweiten Republik [1848 bis 1851] ist die historisch gewordene Gestalt des »Ratapoil< anzusehen, die er als Statuette [im Louvre] und auch mehrmals als Lithographie dargestellt hat. Es ist der hagere, mit Schlagstock versehene, unermüdliche, bald sich einschmeichelnde, bald aggressive Propagandist des kommenden Mannes: Louis Napoleon Bonaparte. Dieser sollte sich bald durch diktatorische Methoden vom Präsidentenstuhl auf den Kaiserthron bringen.

Nach der Errichtung des Zweiten Kaiserreichs lieferte Daumier dem >Charivari< mit einer dreijährigen Unterbrechung — von 1860 bis 1863 war sein Vertrag nicht erneuert worden — zahlreiche Zeichnungen zur Illustration von Napoleons III. Kriegszügen. Mit dem Krieg von 1864 rückte der Preußentyp immer mehr in den Mittelpunkt der französischen Karikatur. Daumier stellte ihn als prahlerischen, machtbewussten und blutdürstigen Militaristen mit Pickelhaube dar. Mit dem Deutsch-Französischen Krieg änderte sich das Bild. Zunächst konnte Daumier es sich noch erlauben, den geschlagenen und abgesetzten Napoleon III. zu verspotten. Doch die schwerwiegenden Ereignisse des Jahres 1870 brachten Tod und Zerstörung über Frankreich. Thematik und Stil wandelten sich. Witzeleien waren nicht mehr zeitgemäß. Tiefer Schmerz über das Unglück der Nation zeigt sich in den Lithographien des Winters 1870/71, die durch ihre Linienführung und die schwarze Flächenwirkung den Beschauer zutiefst ergreifen. Nach dem Friedensschluss setzte Daumier seine zeitgeschichtlichen Serien im >Charivari< fort. Der Kampf um die noch längst nicht gefestigte Republik und die Verhöhnung des siegestrunkenen Feindes waren die beiden Leitmotive seiner Spätkunst. Sein letzter Beitrag erschien am 18. Dezember 1875. Eine Augenkrankheit nahm Daumier den größten Teil seiner Sehkraft. Doch hatte er noch die Freude, im Jahr 1878 eine Ausstellung seiner Werke in Paris zu erleben, die zwar kein finanzieller, aber ein großer künstlerischer Erfolg wurde. Bald darauf, am 10. Februar 1879, starb er in Valmondois bei Paris. Daumiers Weltruhm wurde erst im zwanzigsten Jahrhundert begründet, besonders durch eine Ausstellung seines Gesamtwerks [Paris 190]]. Unter den zahlreichen hochbegabten französischen Graphikern seiner Zeit war er das überragende Genie."

[Quelle: Le Charivari : die Geschichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Republik (1832 - 1882) ; ein Dokument zum deutsch-französischen Verhältnis / von Ursula E. Koch ; Pierre-Paul Sagave. Mit e. Geleitw. d. Chefred. von "Le Monde" André Fontaine. -- Köln : Leske, 1984. - 426 S. : Ill. -- ("iLv leske republik". Satire und Macht) . -- ISBN 3-921490-29-4. -- S. 391 -394]

Ausgabe von ca. 1200  der ca. 4000 Lithographien Daumiers:

Daumier, Honoré <1808 - 1879>: Das lithographische Werk / hrsg. von Klaus Schrenk. Mit e. Essay von Charles Baudelaire. -- München : Rogner und Bernhard, 1977. -- 2 Bde. : 1297 S. -- ISBN 3-8077-0088-9 ; 3-8077-0089-7


1833



Abb.: Fantasiegebilde: Mutter Bridon kommt in die Hölle, Pater Boullard erteilt mir die Absolution .. ein schöner Leichenwagen ... weiße Engelchen ... Ich komme mit meinem armen Kätchen in den Himmel. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1833-02-03


1834



Abb.: Ne vous y frottez pas! — Hände weg! -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: L'Association mensuelle. -- 1834-03



Abb.: Ein mit Reliquien beladener Esel. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1834-05-09



Abb.: Dieu mène la France — Gott führt Frankreich. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1834-09-16



Abb.:  Chinesischer Dickbauch. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: La Caricature. -- 1834-08-28


1835



Abb.: Die Versuchung. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: La Caricature. -- 1835-01-01



Abb.: Im Alter wird der Teufel Eremit. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: La Caricature. -- 1835-03-26



Abb.: Vous avez la parole, expliquez-vous, vous êtes libre! — Sie haben das Wort, reden Sie, Sie sind frei! -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: La Caricature. -- 1835-05-14



Abb.. Das verirrte Schaf kehrt in den Schoß der Familie zurück. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: La Caricature. -- 1835-08-13


1836 - 1838



Abb.: Robert Macaire: Ausbeutung der Vaterrolle: "Wohlan, mein Sohn. Lasse er niemals die fromme Kindesliebe außer acht! Vergesse er nie, dass der Vater der Stellvertreter der Gottheit ist . . . Sag einmal, könntest Du mir nicht ein paar Sous geben? Ich sterbe vor Hunger und hab' keinen Tabak mehr." -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Caricaturiana. -- 1836 - 1838

"Die Figur des Robert Macaire, der in wechselnden Rollen, mal als Bankier, Aktienhändler, Spekulant oder Unternehmer, immer als Geschäftemacher den geschäftssüchtigen Bourgeois der Julimonarchie verkörpert, ist nicht die Erfindung von Daumier und Philipon [Charles Philipon (1800-1861), Herausgeber der Satirezeitschriften Caricature und Charivari]. Sie wurden inspiriert durch den berühmten Schauspieler Frederic Lemaître, der bereits 13 Jahre vor Erscheinen der Serie diese Figur in dem Theaterstück »L'Auberge des Adrets«  von Chevrillon [Benjamin Chevrillon, 1787 - 1870] , Lacoste und Chaponnier dargestellt hatte: Macaire als kleinen Dieb und Gauner. Nach dem Misserfolg des Stückes bei der Premiere am 2. Juli 1823 veränderte der Schauspieler während folgender Aufführungen einzelne Szenen und zielte mit pointierter Mimik und Gestik auf ein neues Verständnis des Stücks, was, wenn auch nicht zum großen Publikumserfolg, am 2. April 1824 zum Verbot durch die Zensur führte. Lemaître konnte das Stück erst kurze Zeit nach der Julirevolution von 1830 unter der liberaleren Regierung des Bürgerkönigs Louis-Philippe wieder aufgreifen. Diesmal veränderte der Schauspieler den Inhalt des Stückes entscheidend; aus dem kleinen Gauner Macaire wurde der für die Zeit typische, gerissene Geschäftsmann, der alles unternimmt, um an der damals viel diskutierten Herrschaft des Geldes teilzuhaben. Auf diese Figur griffen Philipon und Daumier zurück, in diesem Macaire konnten sie ihre Polemik gegen eine ausschließlich gewinnorientierte bürgerliche Gesellschaft personifizieren. Die »Caricaturana« wurde zu einem außergewöhnlich großen Publikumserfolg bei den Parisern und auch in der Provinz. Eine weitere Bildfolge erschien von Oktober 1840 bis September 1842 unter dem Titel »Robert Macaire«.

Lemaîtres Korrektur an der Figur Macaire wurde auch für Daumier und Philipon zum Programm: Aus dem verachteten voleur wurde der arrivierte faiseur. Die Herrschaft des Geldes und die neuen Möglichkeiten der Kapitalakkumulation durch das veränderte Wirtschaftssystem durchbrachen bis dahin gültige soziale und moralische Verhaltensnormen. Vor diesem Hintergrund lassen die Republikaner Daumier und Philipon Robert Macaire als Protagonist der neuen herrschenden Kräfte auftreten. Wohlgenährt, im Gehrock oder im Hausmantel, doch stets mit seinem altmodischen Foulard bekleidet, agiert Macaire. Er schlüpft in verschiedene Masken und bewegt sich mit seinem Schüler und Gehilfen Bertrand in allen Schichten der Gesellschaft. Seine äußere Erscheinung wird den jeweiligen Anlässen entsprechend akzentuiert, doch immer bleibt er durch seine selbstsichere Haltung, seine pathetische Gestik und den durchtrieben unschuldigen Gesichtsausdruck erkennbar.

Die »Caricaturana« lässt sich in verschiedene Themenbereiche untergliedern: Robert Macaire als Repräsentant der Finanzwelt, Macaire in unterschiedlichsten Berufen wie Apotheker, Buchhändler und als Propagandist neuer Reklametechniken, Macaire als Vertreter des Rechtswesens. Zwischenmenschliche Beziehungen absolviert der faiseur als Opportunist, der aus den Gefühlen anderer hemmungslos Kapital schlägt."

[Quelle: Daumier, Honoré <1808 - 1879>: Das lithographische Werk / hrsg. von Klaus Schrenk. Mit e. Essay von Charles Baudelaire. -- München : Rogner und Bernhard, 1977. -- 2 Bde. : 1297 S. -- ISBN 3-8077-0088-9 ; 3-8077-0089-7. -- S. 115f.]



Abb.: Robert Macaire, Sektengründer: "Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir, Bertrand, die Zeiten der Kommanditgesellschaft werden vergehn, aber die Maulaffen werden nicht ausgehen. Trachten wir nach dem, was ewig ist! Wie wär's, gründen wir eine Religion, he?" — "Teufel, Teufel! Eine Religion ist nicht leicht zu gründen" — "Du bist immer dumm, Bertrand! Man ernennt sich zum Papst, man mietet eine Bude, man leiht sich Stühle aus und man predigt: über den Tod Napoleons, die Entdeckung Amerikas, über Molière, über irgend etwas! Schon hat man eine neue Religion. Das ist alles nicht so schwer, als man glaubt!" -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Caricaturiana. -- 1836 - 1838



Abb.: Robert Macaire: Lasset die Kindlein zu mir kommen1: "Kapierst Du das Gleichnis, Bertrand?" —"Verstehe ich nicht." — "Dummkopf, wir gründen eine Rentenversicherung für Kinder auf Gegenseitigkeit. Wir nehmen jetzt fünf von Hundert ein und versprechen, 500 für 100 in der Zukunft auszuzahlen . . ." — "Und was machen wir dann in der Zukunft?" — "In der Zukunft, da machen wir uns aus dem Staub und stecken die Renten ein." -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Caricaturiana. -- 1836 - 1838



Abb.: Robert Macaire als Bibelverkäufer. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1838-09-13

Bertrand: — Die Subskribenten sagen, dass wir Schwätzer sind, dass wir uns über sie lustig machen und sie werfen uns zur Türe hinaus . ..
Robert Macaire: — Wie drücken Sie sich aus, Sie Wicht!... Etwas mehr Anstand oder ich schm . .. schmeiße Sie hinaus .. . Ihr weltliches Verhalten und Ihre Umgangssprache verschrecken die Subskribenten, kehren Sie um . .. Schmeißt man Sie hinaus, steigen Sie durchs Fenster wieder herein, schlägt man Sie auf eine Backe, halten Sie die andere hin . . . aber kommen Sie nicht ohne Abonnements zurück, Unglücklicher oder ich verfl...uche Sie!


1849



Abb.: "Montalembert marschiert im Sturm auf das Pantheon, um daraus Frankreichs große Männer zu vertreiben und dafür die Kapuziner einzusetzen.". -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879) auf die klerikale Reaktion´. -- um 1849

"Montalembert (spr. mongtalangbär), Charles Forbes de Tryon, Graf von, franz. Publizist und Staatsmann, Sohn des französischen Gesandten in Stockholm, Grafen Marc René Anne Marie von Montalembert, geb. 29. Mai 1810 in London, wo sein Vater im Exil lebte, gest. 13. März 1870 in Paris. Er war zuerst Mitarbeiter Lamennais' (s. d.), von dem er sich erst nach den »Worten eines Gläubigen« trennte. Seit 1831 Pair von Frankreich, gab er 1843 durch eine Broschüre über »Die Pflichten der Katholiken« das Signal zum Ausbruch des Kampfes um die Unterrichtsfreiheit, verteidigte 1845 den Jesuitenorden und gründete 1847 den »Ausschuss für Religionsfreiheit«. Auch für die Katholiken in Polen, Syrien, Griechenland und der Schweiz erhob sich seine beredte Stimme. Am 28. Febr. 1848 erklärte er sich für die Republik Frankreich, nahm in der Nationalversammlung auf der äußersten Rechten Platz und ward nach dem Staatsstreich auch in den Gesetzgebenden Körper gewählt. Seit 1852 Mitglied der Akademie, wurde Montalembert einer der Begründer derjenigen Partei, die gleichgültig gegen politische Prinzipien, mit den Mitteln der modernen Freiheit in Presse und Vereinsorganisation einzig und allein für die Rechte und die Macht der katholischen Kirche kämpft. Mit um so größerm Schmerz erfüllte es ihn, dass diese Partei, durch die von ihm verteidigten Jesuiten verleitet, sich selbst mit Proklamation der päpstlichen Unfehlbarkeit einen »tödlichen Schlag« versetzte. Vergeblich protestierte er gegen die Pläne der Jesuiten und das Dogma in einem Briefe vom 7. März 1870."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


1850



Abb.: Drei Heilige in einem Taufbecken. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1850-02-04



Abb.: Adolphe Thiers am Notenpult in seiner Pfarrkirche Notre Dame de Lorette. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1850-03-16

"Thiers (spr. tjär), Louis Adolphe, franz. Staatsmann und Geschichtschreiber, geb. 15. April 1797 in Marseille, gest. 3. Sept. 1877 in St.-Germain-en-Laye, ließ sich 1820 in Aix als Advokat nieder, begab sich aber schon im September 1821 mit seinem Freunde Mignet nach Paris, um dort als Journalist seine Talente geltend zu machen. Er veröffentlichte außer einer Schrift über Jean Law (»Histoire de Law«, 1826; neueste Ausg. 1878) 1823-27 seine »Histoire de la Révolution française« in 6 Bänden (15. Aufl. 1881, 10 Bde.; deutsch von Jordan, Leipz. 1854), die seinen Ruhm als Historiker begründete. Als Karl X. durch die Ernennung des Ministeriums Polignac der liberalen Partei den Krieg erklärte, gründete diese unter der Leitung von Thiers, Armand Carrel und Barrot im Januar 1830 den »National«, der durch die Kraft und Kühnheit seiner Polemik gegen die bestehende Dynastie bald großen Einfluss gewann. Besonders elektrisierte die Massen das von Thiers erfundene Schlagwort: »Le roi règne et ne gouverne pas.« Als 26. Juli 1830 die berüchtigten Ordonnanzen erschienen, versammelten sich die Redakteure aller liberalen Journale im Bureau des »National« und erließen unter Thiers' Leitung einen Protest gegen diese Regierungsmaßregel. Nach dem Siege der Revolution führte Thiers die Unterhandlungen mit dem Herzog von Orléans. Nach dessen Thronbesteigung wurde Thiers 11. Aug. zum Staatsrat und Generalsekretär, sodann Anfang November von Laffitte zum Unterstaatssekretär der Finanzen ernannt. Zu derselben Zeit von der Stadt Aix in die Deputiertenkammer gewählt, bildete er sich rasch zu einem Redner aus, dessen Präzision und Gewandtheit bald Anerkennung fanden. So ward er nach Périers Tode 11. Okt. 1832 Minister des Innern, 25. Dez. d. J. des Handels und der öffentlichen Arbeiten. Bei der Umgestaltung des Kabinetts 4. April 1834 übernahm er wieder das Departement des Innern, die »Politik des Widerstandes« gegen die Republikaner mit Erfolg verfechtend. Im Februar 1836 erhielt er den Vorsitz im neuen Kabinett zugleich mit dem Portefeuille des Auswärtigen, musste aber schon 26. Aug. 1836 zurücktreten, da der König dem schon beschlossenen Einschreiten in Spanien zugunsten des Liberalismus seine Zustimmung versagte, und stand nun zwei Jahre lang an der Spitze der dynastischen Opposition. Seit 13. Dez. 1834 war er auch Mitglied der Akademie. Am 1. März 1840 als Minister des Auswärtigen wieder an die Spitze des Kabinetts gestellt, bewirkte er die Zurückführung der Leiche Napoleons I. von St. Helena und die Befestigung von Paris. Sein Plan, der Quadrupelallianz vom 15. Juli entgegen den Vizekönig von Ägypten zu unterstützen und in dem allgemeinen Kriege die Rheingrenze wiederzugewinnen, scheiterte an der Weigerung des friedfertigen Königs. Thiers reichte daher 21. Okt. seine Entlassung ein und gesellte sich wieder zur Opposition. Nach der Februarrevolution von 1848 nahm er in der Nationalversammlung eine Mittelstellung ein. Den Plänen Napoleons wirkte er eifrig entgegen und ward daher beim Staatsstreich 2. Dez. 1851 verhaftet und dann in das Ausland entlassen. 1852 ward ihm die Rückkehr nach Frankreich gestattet, wo er sich elf Jahre lang ganz schriftstellerischer Tätigkeit widmete. Die Frucht davon war die »Histoire du Consulat et de l'Empire« (Par. 1845-62, 20 Bde.; Register 1869; deutsch von Bülau, Leipz. 1845-62, 20 Bde.; von Burckhardt und Steger, das. 1845-60, 4 Bde.). 1863 wurde Thiers in Paris in den Gesetzgebenden Körper gewählt und ward hier der Führer der kleinen, aber mächtigen Opposition. Er bekämpfte in glänzenden Reden (»Discours prononcés au Corps législatif«, Par. 1867) besonders den falschen Konstitutionalismus und die auswärtige Politik des Kaiserreichs, indem er zumal die Einigung Italiens und Deutschlands als schwere Gefahr für Frankreich bezeichnete. In derselben engherzigen Weise hielt er an hohen Schutzzöllen und dem alten Militärsystem fest. Mit größter Energie widersetzte er sich 15. Juli 1870 der übereilten Kriegserklärung. Nach dem Sturze des Kaiserreichs übernahm er im September eine Rundreise an die Höfe der Großmächte, um sie zu einer Intervention für Frankreich zu veranlassen, kehrte aber Ende Oktober unverrichteter Sache zurück. Bei den Wahlen für die Nationalversammlung ward er in 20 Departements zum Deputierten und, da alle Parteien ihr Vertrauen auf ihn setzten, schon 17. Febr. 1871 von der Versammlung zum Chef der Exekutivgewalt gewählt. Seine erste Aufgabe war, den Frieden mit Deutschland zustande zu bringen; er führte selbst die Verhandlungen mit Bismarck und rettete wenigstens Belfort. Am 1. März setzte er die Annahme des Friedens in der Nationalversammlung durch und bewog 10. März diese, ihren Sitz nach Versailles zu verlegen. Der Kommuneaufstand in Paris 18. März brachte Thiers in die höchste Bedrängnis; er fasste den richtigen Gedanken, den Aufstand nicht in den schwer zu behauptenden Straßen, sondern durch Angriff von außen zu unterdrücken. Gleichzeitig wurde 10. Mai der definitive Friede mit Deutschland abgeschlossen. Daran schlossen sich die erfolgreichen Maßregeln zur Beschaffung der nötigen Milliarden. Am 31. Aug. 1871 ward er auf drei Jahre zum Präsidenten der Republik ernannt. Die monarchistischen Parteien aber sahen sich in ihren Hoffnungen auf Thiers' energische Unterstützung getäuscht und rächten sich durch gehässige Angriffe und Ränke. Endlich, nachdem die Zahlung der Kriegsentschädigung an Deutschland und die Räumung des Gebietes durch den Vertrag vom 15. März 1873 gesichert waren, beschloss die klerikal-monarchistische Mehrheit, Thiers zu stürzen. Nach heftiger Debatte ward 23. Mai ein Tadelsvotum gegen das Ministerium mit 360 gegen 344 Stimmen angenommen, und als Thiers darauf seine Entlassung gab, diese mit 368 gegen 338 Stimmen genehmigt. Thiers zog sich darauf wieder vom öffentlichen Leben zurück und nahm nur an wichtigen Abstimmungen in der Deputiertenkammer teil. Nach dem Staatsstreich vom 16. März 1877 richteten sich die Hoffnungen aller Republikaner wieder auf Thiers als das Haupt einer gemäßigten Republik, aber er starb infolge eines Schlaganfalls und wurde 8. Sept. in Paris feierlich bestattet. 1879 wurde ihm ein Standbild in Nancy, 1880 ein solches in St.-Germain errichtet. Thiers, von kleiner Gestalt, aber scharf geschnittenen Zügen, war einer der bedeutendsten Staatsmänner Frankreichs im 19. Jahrh. und jedenfalls der populärste. Seine Doktrin war die des konstitutionellen Systems, in dem der aufgeklärte, wohlhabende Bürgerstand die beste Sicherung seiner geistigen und materiellen Güter erblickte; allen ökonomischen und sozialen Neuerungen war er durchaus abhold. Aber über allen Doktrinen stand bei Thiers seine Nation, Frankreich. Er besaß eine unermüdliche Arbeitskraft, seine, edle Bildung, Scharfblick, eine sanguinische Elastizität des Geistes und echten Patriotismus, dabei aber naive Selbstsucht und Eitelkeit. Als Geschichtschreiber verherrlichte er die Freiheitsideen der französischen Revolution und den Kriegsruhm Napoleons I. in schwungvoller Sprache und glänzender Darstellung, jedoch keineswegs stets wahrheitsgetreu und unparteiisch. So ward er der hauptsächlichste Förderer des Chauvinismus und besonders der Napoleonischen Legende. Er hinterließ Geldmittel zur Begründung eines Instituts zur Lehre der sozialen Wissenschaften und des Völkerrechts (1891 eröffnet)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Legende aus dem Jahr 1850: Nachdem er es aufgegeben hatte, die Pariser auf den Pfad der Tugend zurückzubringen, schwebte St. Montalembert wieder gen Himmel, begleitet von Serafinen, die ihm bei seinem heiligen Unternehmen beistehen wollten. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1850-05-08

"MONTALEMBERT, Charles Forbes René, * 15.5. 1810 in London als Sohn eines Emigranten, 1819 von seinem Vater nach Stuttgart geholt, wo dieser seit 1816 Gesandter, 1827 Studium am Collège Sainte Barbe, + 13.3. 1870 in Paris.

Felicité de Lamennais, ultramontan und liberal zugleich, hatte völlig neue Thesen aufgestellt. Die jetzigen Bischöfe Frankreichs, die sich nicht auf den Papst stützen, seien »Lakaien mit Tonsur«. Das Papsttum sei der Ausgangspunkt für die Erneuerung der Gesellschaft. Das Königtum, das die Kirche aus derselben Kasse wie das Theater bezahlt, mache sich die Kirche dienstbar, bedrücke aber ebenso das Volk. Lamennais sagt nicht mehr wie die Restauration, Papsttum und Königtum müsse kooperieren, sondern Papsttum und Volk.

Die Revolution von 1830 gab de Lamennais recht. Drei Monate nach der Julirevolution erschien die erste Nummer seiner Zeitschrift »Avenir«. Das war die Geburtsstunde des liberalen Katholizismus. Der junge Romantiker Graf Montalembert las auf einer Irlandreise die erste Nummer des »Avenir«. Sofort stellte er sich der Redaktion zur Verfügung und übernahm die außenpolitische Berichterstattung. Die jungen Redakteure verlangten die Freiheit in jeglicher Form: Religionsfreiheit durch Trennung von Staat und Kirche, Unterrichtsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinsfreiheit - auch für die Kongregationen -, Wahlfreiheit, Regionalfreiheit. In diesem katholischen Programm war der Punkt der Religionsfreiheit einfach umstürzlerisch. Lamennais wusste, dass die katholische Lehre nicht die Freiheit für das Böse zulassen konnte; aber wo die religiöse Einheit der Völker doch zerbrochen war und die Möglichkeit der Ideologisierung der Staatsführung offenstand, sah er die Freiheit für die beste Garantie der Unabhängigkeit der Kirche an. Im freien Kampf konnte man auf den Sieg der Wahrheit vertrauen. Manche Gegner hielten die Preisgabe eines staatlichen Kirchenbudgets für untragbar. Aber welches Opfer wiegt schwerer, das des Geldes oder das der Freiheit? - Das Sendungsbewusstsein der Redakteure des »Avenir« war so groß, dass sie nicht nur schrieben, sondern auch handelten. In der »Agence générale de la liberté religieuse« sammelten sie Freunde ihres Journals, um eine aktionsfähige Gruppe zu haben und Willkürakte vor den Gerichten zu verfolgen.

Um gegen das Erziehungsmonopol des Staates zu protestieren, eröffneten sie trotz bestehender Verbote im Mai 1831 in der Rue des Beaux-Arts eine Volksschule. Am Einweihungstage hielt Graf Montalembert vor 14 Kindern eine Grammatikstunde, Lacordaire gab Religionsunterricht. Am Nachmittag setzte der Polizeikommissar eine Anzeige auf, und am folgenden Tage wurde die Schule geschlossen. Der Prozess vor der Strafkammer gab Montalembert Gelegenheit zu einer großen Rede.

Erst nach Jahrzehnten merkte der französische Katholizismus, dass er in der Schulfrage einen entscheidenden Kampf zu bestehen hatte. Damals verbot der legitimistisch orientierte Episkopat die Zeitschrift. Seminaristen, die den »Avenir« lasen, wurden von der Priesterweihe ausgeschlossen. Im Herbst 1831 war die Redaktion am Ende ihrer Finanzkraft angelangt. Vor sich sah sie nur den Ausweg, an den Papst zu appellieren. Es gehörte die Unerfahrenheit der jungen Redakteure dazu, anzunehmen, der Heilige Stuhl werde sie gegen die geschlossene Front des französischen Episkopats stützen. Gregor XVI. war zu sehr der Restauration verhaftet, als dass er das Anliegen der Redakteure des »Avenir«, die ein Bündnis zwischen Kirche und Volk vorschlugen, hätte aufgreifen können.

Als nach der völligen Zerstörung des Mönchswesens durch die französische Revolution Prosper Guéranger im Juli 1833 in der seit 43 Jahren verödeten Benediktinerabtei Solesmes einen Neuanfang monastischen Lebens versuchte und damit einen ersten Anstoß zur liturgischen Erneuerung gab, nahm Montalembert daran innigen Anteil. Oft weilte er im Kloster. »Lassen Sie uns hier ein Mittelalter en miniature stiften«, schrieb der Romantiker Montalembert an Guéranger. Der Graf begleitete die neue monastische Entwicklung mit seinem monumentalen historischen Werk: Les moines d'Occident depuis Saint Benoit jusqu'à Saint Bernard (5 Bde Paris 1860-68, Bde 6 u. 7 posthum 1877). Das beherrschende Motiv drückte er so aus: »Schon behandelte man (die Mönchsorden) wie jene ausgestorbene Species, deren fossile Knochen zum Vorschein kommen. Haben wir nicht alle beim Absolvieren des Kollegiums genau gewusst, wieviel Liebschaften Jupiter gehabt, und wussten wir dabei auch nur die Namen der Gründer jener religiösen Orden anzugeben, denen Europa seine Bildung und die Kirche so viele Male ihre Rettung verdankt?«

Als der Jurist Ozanam 1833 seinen Studenten die Wegweisung gab: »La bénédiction des pauvres est celle de Dieu. Allons aux pauvres« und in den Elendsquartieren von Paris menschliche Kontakte stiftete, nahm Montalembert in seinem sozialen Engagement daran teil. Das entsprach seiner Liebe zu der sozialen Heiligen, der hl. Elisabeth von Ungarn, der er 1836 eine Monographie widmete.

Unter Verwendung der Bildentwürfe der Nazarener gab Montalembert 1840 einen Prachtband »Monumens de l'Histoire de sainte Elisabeth de Hongrie« mit Lithographien heraus, die die Heilige von der Hand Fra Angelicos und Boticellis im 15. Jh., von Lukas von Leyden und Hans Hemling, schließlich von Octave Hauser und Overbeck gemalt zeigen.

Mit dem Tod seines Vaters 1837 begann Montalemberts aktive Parlamentsarbeit als Mitglied der Pairskammer. Er gehörte zu denen, die am frühesten erkannten, dass die katholische Kirche als Partei präsent sein müsse. In Irland und in Belgien hatten sich die Katholiken mit Erfolg politisch organisiert. Während der Juli-Monarchie wirkte ihr Beispiel nach Frankreich hinein. Als einer der Gründer der Agence générale pour la liberté religieuse stellte Montalembert die Frage der politischen Organisation in seiner Broschüre: »Du devoir des catholiques dans la question de la liberté d'enseignement« (1843) neu. »Wir leisten keine systematische Opposition«, schrieb er, »aber wir können doch nicht die herabgewürdigte Position annehmen, die uns Cousins Philosophie zuweist: ein Klerus, auf den Rang der Sittenpolizei, eine Kirche, auf den Rang eines Beerdigungsinstituts erniedrigt. Lasst uns uns zusammenschließen nach dem Vorbild der belgischen und irischen Katholiken, lasst uns durch Petitionen, Presse und Wahlen tätig werden. Wenn wir auch nicht die Mehrheit erlangen werden, so werden wir doch wenigstens die Unterstützung mitbringen, die zu ihrer Bildung nötig ist.« Der Grundgedanke des »Avenir« wirkte hier weiter: nicht der König ist souverän, sondern die öffentliche Meinung. In ihr muss sich die Kirche ihren Platz schaffen. Dazu ist die Organisation einer katholischen Partei nötig. Die Bischöfe waren bisher gewohnt, die Sache der Kirche allein zu vertreten. Der Erzbischof von Rouen erklärte darum mit dem Blick auf Montalembert: »Die Laien haben nicht den Auftrag, sich um die Gesetze der Kirche zu kümmern.« Doch Mgr. Parisis setzte sich für die neuen Wege ein. (»Sur la part que doivent prendre aujourd'hui les laïcs dans les questions relatives aux libertés de l'église.«)

Montalembert gründete überall örtliche Filialen eines Verteidigungskomitees für die Religionsfreiheit. Zu schwach, selbst eigene Wahlkandidaten aufzustellen, traten diese katholischen Komitees an die bestehenden politischen Organisationen heran und versprachen die Heranführung katholischer Stimmen, wenn für ein bestimmtes katholisches Programm feste Verpflichtungen übernommen würden. Auf diese Weise wurden 1846 146 Kandidaten, die katholische Programmpunkte zu vertreten gelobt hatten, gewählt. Die Methode Montalemberts hatte sich als erfolgreich erwiesen. Sofort merkte man in der Kammer den Wandel der Atmosphäre. Anfang 1847 bestätigte Guizot in einer Rede, dass in Unterrichtsfragen das Recht der Familien und das Recht der Glaubensgemeinschaften dem Staatsrecht vorangehe.

 Neben den Grafen Montalembert hatte sich die Gestalt des Journalisten Louis Veuillot geschoben, des Herausgebers des »Univers«. Bei ihm fand der Klerus seine eigene Sprache. Schon ist eine unterschiedliche Meinung über die Methode der politischen Wirksamkeit aufgebrochen. Angesichts des Schulgesetzes von 1850, der Loi Falloux, einem Erfolg der katholischen Schulpolitik Montalemberts, brach der politische Katholizismus Frankreichs in eine rechte und eine linke Gruppe auseinander. Veuillots Einfluss schuf eine feindliche Einstellung der Mehrzahl der Bischöfe gegenüber dem Gesetz. Während Veuillot mit den intransigenten Katholiken die Autorität einsetzen wollte, um gegen das Jahrhundert zu kämpfen, verfocht Montalembert eine Freiheit als Recht für alle und eine Einfügung der Kirche in das verweltlichte Jahrhundert. Die Meinung der Intransigenten ironisierte Montalembert so: »Wenn ich der Schwächere bin, verlange ich die Freiheit, das ist euer Prinzip; aber wenn ich der Stärkere bin, nehme ich das Freiheitsprinzip weg; denn das ist mein Prinzip.« Montalemberts Buch »Intérêts catholiques au XIX siècle«, Paris 1852, deutsche Ausgabe Worms 1854 ist eine Hauptschrift des politischen Katholizismus. Wegen seiner Kritik an Napoleon III. brachte sie ihm Anklagen wegen Majestätsbeleidigung ein.

Wo der Katholizismus einzelner europäischer Länder unter Führung der liberalen Katholiken sich in den Strukturen politischer Parteien einrichtete, musste der Augenblick kommen, dass der Papst Prinzipien festlegte, die bei dem katholischen Handeln im politischen Felde beachtet werden sollten. Die 80 modernen Irrtümer, die die Enzyklika Quanta cura am 8. Dez. 1864, listenhaft im Syllabus aufgereiht, als Anhang veröffentlichte, visieren die liberalen Katholiken in Belgien, den Kreis um Lord Acton in England, den Grafen Montalembert in Frankreich und die Döllingersche Initiative in München an. Zuletzt bestimmten die Vorfälle auf dem ersten Katholikenkongress in Mecheln 1863 die päpstliche Entscheidung. Adolphe Dechamps hatte den als Gast erschienenen Grafen Montalembert so begrüßt: »Sie müssen sich dieser Zuhörerschaft zum Nutzen unserer gemeinsamen Sache bedienen. Es kommt aufs höchste darauf an, dass das Ergebnis liberal sei und dass das Programm, das hier hervorgehen wird, Ihr Programm sei: der Katholizismus und die Freiheit.« Montalembert hatte die 4000 Kongressteilnehmer ganz für seine Gedanken gewonnen. In der einen Hälfte Europas sei die Demokratie schon souverän, morgen werde sie es in der anderen Hälfte sein. Der bloße Anschein einer zu intimen Allianz zwischen Kirche und Thron genüge, um die Kirche zu kompromittieren. Die Kirche könne nichts anderes tun, als sich sofort auf den Boden allgemeinen Rechtes stellen, wo ihre Freiheit die allgemeine Freiheit der Bürger zur Garantie habe. Die bürgerliche Toleranz für den Irrtum sei den früheren Zuständen vorzuziehen. Italien, Spanien und Portugal, die Länder der Inquisition, zeigten die Unfähigkeit eines Unterdrückungssystems nach dem Muster des alten Bündnisses zwischen Altar und Thron für die Verteidigung des Katholizismus. Die Rede Montalemberts wurde unter dem provozierenden Titel »L'Eglise libre dans l'état libre« veröffentlicht. Die antiliberalen Gegner rührten sich bald. Ein belgischer Freund Veuillots, Graf Duval de Beaulieu, setzte dem Vortrag Montalemberts eine Broschüre entgegen: »L'erreur libre dans l'état libre«. Mgr. Pie, der eben in seiner Kritik an Renans »Vie de Jésus« die Tatsache, dass ein solches Buch verbreitet werden könne, ohne dass eine Autorität eingriffe, als Skandal gebrandmarkt hatte, regte den Papst zu einem offiziellen Schritt gegen Montalembert an. Pius IX. hatte die Mechelner Rede gar nicht gelesen. Aber er hielt ihre Tendenz für gefährlich. Zu einem Besucher sagte er: »Die Kirche wird es niemals als Prinzip zulassen, dass man den Irrtum und die Häresie katholischen Völkern predige. Der Papst wünscht wohl die Gewissensfreiheit in Schweden und in Russland; aber er wünscht sie nicht als Prinzip.« Während des ganzen Winters erinnerte Mgr. Dupanloup in Rom an die Verdienste Montalemberts, um einen päpstlichen Tadel von seinem Freunde fernzuhalten. Nach quälendem Schwanken wies Pius IX. Anfang März 1864 Kardinal Antonelli an, die päpstliche Missbilligung in Briefen an Montalembert und an den Mechelner Erzbischof auszudrücken."

[Quelle: Friedrich Heyer. -- http://www.bautz.de/bbkl/m/montalembert.shtml. -- Zugriff am 2004-04-29]



Abb.: Les nouveaux Icares — Die neuen Ikarusse. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1850-06-07

Erläuterung: Bezieht sich auf die Februarrevolution 1848, der Revolution, die am 24. Febr. 1848 in Paris ausbrach und zum Sturz der Julimonarchie und zur Errichtung der zweiten Republik führte.  Ikarus  näherte sich nach dem griechischen Mythos, als er mit seinem Vater Dädalus mittels wächserner Flügel von Kreta entfloh, so sehr der Sonne, dass das Wachs schmolz und er ins Meer fiel und ertrank. Der Kerzenlöscher rechts unten ist das Symbol der katholischen Reaktion.


1851



Abb.: Rückkehr der Kapuziner in ihre Heimatstadt Paris. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1851-03-12



Abb.: Allianz der Bonapartisten und Kapuziner. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1851-04-03



Abb.: Ein frisch Konvertierter. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1851-04-15



Abb.: Renouvelé du serment des Horaces — Erneuerung des Schwurs der Horatier. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1851-04-18

Erläuterung: Parodie auf das Bild "Der Schwur der Horatier" von Jacques-Louis David. Auf der Karikatur strecken der Graf Molé, der Advokat Berryer und der ultramontane Montalembert (mit Heiligenschein) (siehe oben!) die Hand nach den Schwertern aus, die ihnen der Zwerg Thiers (siehe oben!) bringt.

"Die drei Horatier, Drillingssöhne des Publius Horatius, die nach einer römischen Sage zur Zeit des Tullus Hostilius (672-640 v. Chr.), um den Krieg zwischen Rom und Albalonga zur Entscheidung zu bringen, mit den albanischen Curiatiern (Curiatii), ebenfalls Drillingsbrüdern, angesichts der beiden Heere kämpften; durch eine List gelang es nach dem Tode seiner zwei Brüder dem überlebenden Horatier, die Curiatier einzeln zu töten und so seinem Vaterlande den Sieg und die Oberherrschaft über Albalonga zu verschaffen. Die Gräber der beiden Horatier und der drei Curiatier sowie der sogen. Horazische Pfeiler, an dem die Spolien der Curiatier aufgehängt worden waren, waren noch zu des Livius Zeit vorhanden "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Abb.: Jacques-Louis David (1784 - 1825): Schwur der Horatier. -- 1784



Abb.: "Ein Autodafé im 19. Jahrhundert —ergreifende religiöse Zeremonie, organisiert von den hochwürdigen Patres Montalembert und Veuillot".  -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879) auf die mit Louis Napoleon verbündete klerikale Reaktion. -- In: Le Charivari. -- 1851-04-30



Abb.: "Sie würden, wenn sie könnten, sogar die Sonne auslöschen!". -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879) auf die klerikale Reaktion. -- In: Le Charivari. -- 1851-08-15



Abb.: Der Handel: Wie soll ich vorwärts kommen, wenn Sie mich immer festhalten?. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1851-11-25


1854



Abb.: Politisches und soziales Bild des russischen Reiches. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1854-07-31


1855



Abb.: Oh ... shocking! — Auf Französisch: Voilà, eine Dame aus Marmor, die sehr leicht und unpassend gekleidet ist. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1855


1867



Abb.: Der [Voltaire] soll auch keine Statue haben, wenn ich keine bekomme!. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1867-03-29


1869



Abb.: "Ich wollte ihn besudeln, habe mich aber selbst beschmutzt". -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1869-09-11



Abb.: Generalprobe für das Konzil. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1869-10-27


1870



Abb.: "Basile, mein Freund, mit deiner Parole ["Unfehlbarkeit"] liegst du schief". -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879) auf das Unfehlbarkeitsdogma. -- In: Le Charivari. -- 1870-01-20

"Der Name Basile als Schimpfwort für katholische Prietser geht zurück auf den verlogenen Pfaffentyp Basilio in Rossinis volkstümlicher Oper Der Barbier von Sevilla."

[Quelle: Le Charivari : die Geschichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Republik (1832 - 1882) ; ein Dokument zum deutsch-französischen Verhältnis / von Ursula E. Koch ; Pierre-Paul Sagave. Mit e. Geleitw. d. Chefred. von "Le Monde" André Fontaine. -- Köln : Leske, 1984. -- 426 S. : Ill. -- (iLv leske republik. Satire und Macht). -- ISBN 3-921490-29-4. -- S. 272]




Abb.: Für eine tote Sache [Lehrplan] eine tote Sprache [Latein]. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1870-02-02



Abb.: Hochwürden, bevor Sie die Unfehlbarkeit des Papstes verkünden, kaufen Sie eine eine Eintrittskarte für dieses Schauspiel ["Lucrezia Borgia]. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- In: Le Charivari. -- 1870-03-05

"Lucretia Borgia (* 1480 in Rom, † 1519) war eine italienische Fürstin.

Lucrezia wurde als Tochter von Rodrigo Borgia, dem späteren Papst Alexander VI., und Schwester von Cesare Borgia geboren. Dreimal wurde Lucrezia von ihrem Vater aus politischen Gründen vermählt: Zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren; ihr Vater erklärte die Ehe dann jedoch für ungültig. Ihr zweiter Ehemann war ein Neffe des Königs von Neapel, der allerdings im Jahr 1500 von seinem eigenen Leibwächter auf Befehl Cesares ermordet wurde. Im folgenden Jahr wurde Lucrezia die Gemahlin von Alfonso I., Herzog von Este, der 1505 das Herzogtum Ferrara erbte. Am Hof von Ferrara versammelte Lucrezia die berühmtesten Künstler, Schriftsteller und Gelehrten der Zeit um sich.

Lucrezia wird oft als femme fatale betrachtet. In dieser Rolle erscheint sie in verschiedenen künstlerischen Darstellungen, Büchern und Filmen. Über die historische Lucrezia ist nicht genug bekannt, um zu entscheiden ob sie wirklich das "grausame und betrügerische Monster" oder bloss ein Opfer ihres machthungrigen Vaters und Bruders war. "

[Quelle: http://www.net-lexikon.de/Lucretia-Borgia.html. -- Zugriff am 2004-04-29]



Abb.: Pius IX. wird sich bewusst, dass er statt des Fundaments ein Grab geschaufelt hat. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879) auf das Unfehlbarkeitsdogma. -- In: Le Charivari. -- 1870-09-30

"Als der Papst durch das vom Konzil definierte Unfehlbarkeitsdogma zu höchster geistlicher Macht gelangt, verliert er seine weltliche Macht. Rom war bei Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs von der französischen Schutzmacht geräumt worden. Am 20. September 1870 zogen die Italiener ein und machter Rom zu ihrer Hauptstadt."

[Quelle: Le Charivari : die Geschichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Republik (1832 - 1882) ; ein Dokument zum deutsch-französischen Verhältnis / von Ursula E. Koch ; Pierre-Paul Sagave. Mit e. Geleitw. d. Chefred. von "Le Monde" André Fontaine. -- Köln : Leske, 1984. -- 426 S. : Ill. -- (iLv leske republik. Satire und Macht). -- ISBN 3-921490-29-4. -- S. 272]



Abb.: "La nouvelle Assomption" (Die neue Himmelfahrt): katholische Prälaten versuchen, den Papst durch die Unfehlbarkeitserklärung in den Himmel hinaufzuziehen. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- 1870



Abb.: Der Syllabus wiegt schwerer als das Evangelium. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- 1870


1871



Abb.: "Eine Invasion löst die andere ab".  -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879). -- 1871


1872



Abb.: Anbetung der Hl. Unwissenheit. -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879) auf den Widerstand der katholischen Kirche gegen die Einführung  allgemeiner unentgeltlicher Schulen in Frankreich. --  1872


 


Abb.: Die streitbare Kirche, Lithographie.  -- Karikatur von Honoré Daumier (1808 - 1879) auf die Niederwerfung des spanischen Volksaufstandes unter Anleitung der Jesuiten. -- 1872



Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren II: Deutsche Satirische Zeitschriften

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