Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII:

Kladderadatsch (1848 - 1944)

3. Jahrgang 41 - 52 : 1888 - 1899


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII: Kladderadatsch (1848 - 1944)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- 3. Jahrgang 41 - 52 : 1888 - 1899. --  Fassung vom 2010-01-15. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen133.htm     

Erstmals publiziert: 2004-04-30

Überarbeitungen: 2010-01-14/15 Ergänzungen] ; 2009-12-21 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2009-12-11 bis 2009-12-21 [Ergänzungen]; 2008-08-18 bis 2008-09-06 [Ergänzungen]; 2008-01-10 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-31 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-21ff. [Ergänzungen]; 2007-11-22 [Ergänzungen]; 2005-02-06 [Ergänzungen]; 2004-12-24 [Ergänzungen]; 2004-11-20 [grundlegend erweitert und überarbeitet]; 2004-06-07 [Ergänzungen]; 2004-05-11 [Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelleiste von Nr 1, 1848

Kladderadatsch : humoristisch-satirisches. Wochenblatt. -- Berlin : Hofmann. -- 1848 - 1944

"Kladderadatsch, in Norddeutschland gebräuchlicher Ausruf, um einen mit klirrendem oder krachendem Zerbrechen verbundenen Fall zu bezeichnen; auch substantivisch gebraucht in der Berliner Redensart: »einen K. machen« (z. B. mit Fenster- und Laterneneinwerfen). Allgemeiner bekannt wurde das Wort als Titel des 1848 von David Kalisch (s. d.) gegründeten, in Berlin wöchentlich einmal im Verlage von A. Hofmann u. Komp. erscheinenden Witzblattes, das vorzugsweise die politische Satire kultiviert und besonders durch E. Dohm, R. Löwenstein und den Zeichner W. Scholz, dessen Karikaturen auf Napoleon III. und Bismarck große Popularität gewannen, zu literarischer und künstlerischer Bedeutung erhoben wurde. Auch die von den »Gelehrten« des K. erfundenen ständigen Figuren Müller und Schulze, Zwickauer, Karlchen Mießnik u. a. sind volkstümlich geworden. Gegenwärtig (1905) ist Joh. Trojan (s. d.) Redakteur des K. Die hervorragendsten künstlerischen Mitarbeiter sind G. Brandt und L. Stutz. Als Sonderausgaben erschienen unter anderm: »Bismarck- Album des K.« (300 Zeichnungen von W. Scholz, 1890; 27. Aufl. 1900), »Ein Kriegsgedenkbuch aus dem K. in Ernst und Humor aus den Jahren 1870 und 1871«, von J. Trojan und J. Lohmeyer (1891), »Die Kriegsnummern des K. 1870-1871« (1895), »Im tollen Jahr. 1. Jahrgang des K. 1848«, mit Anmerkungen und Erläuterungen (1898)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Alle Jahrgänge von 1848 - 1944 online: http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/kladderadatsch.html. -- Zugriff am 2007-12-21

Eine wichtige Quelle für 1870 bis 1910 ist auch der Sammelband:

Zentrums-Album des Kladderadatsch 1870 - 1910. -- Berlin: A. Hofmann, 1912. -- 286 S. : 300 Ill.

Audiatur et altera pars = es soll auch die Gegenseite gehört werden: Eine ausführliche Darstellung der Zentrumspolitik aus der Hand eines gemäßigt-katholischen - trotzdem furchterregenden - Mitspielers ist:

Bachem, Karl <1858 - 1945>: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei : Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung, sowie zur allgemeinen Geschichte des neueren und neuesten Deutschland 1815-1914. -- Köln : J. P. Bachem, 1927 - 1931. -- 9 Bände : 26 cm.


1888


In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 4. -- S. 15. -- 1888-01-22

Der Verbesserer Victor Scheffels1 hat sich, wie wir hören an ein Schiller'sches Gedicht2 gemacht, dessen erste Verse in seiner verbesserten Fassung lauten:

"Vier Hofprediger,
Innig gesellt.
Machen das Ganze,
Lenken die Welt."

In ultramontanen Kreisen soll darüber etwas Verstimmung herrschen, weil man dort der Ansicht ist, dass die Lenkung der Welt allein dem heiligen Vater zukommt.

Erläuterungen:

1 Joseph Victor von Scheffel, (1826 - 1886): im 19. Jahrhundert viel gelesener Schriftsteller und Dichter. Wer mit dem Verbesserer gemeint ist, kann ich nicht sicher eruieren (vielleicht Joseph Stöckle (1844 - 1893), der Gründer des Scheffelbundes?).

2 Parodie auf Schiller's Punschlied:

Vier Elemente,
Innig gesellt,
Bilden das Leben,
Bauen die Welt.


Die bösen Studenten <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 10. -- S. 38. -- 1888-02-26

"Alle vier Fakultäten arbeiten nicht genug, und die Juristen am wenigsten. Windthorst in der Sitzung vom 15. Februar.

...

Verhältnismäßig noch die besten
Sind jene, welche die Gebresten
Der Seele heilen sollen.
Doch auch die Theologen zollen
Dem sogenannten Jugendmut
Oft allzu reichlichen Tribut.
Oft klappt der künftge Pfarrer zu
Den Kirchenvater, und in Ruh
Liest er, aufs Sofa hingestreckt,
Was an Romanen ausgeheckt
Von Goethe ward und von noch Schlimmern,
Oft flieht man aus den engen Zimmern
Und spritzt vergnügt hinaus aufs Land,
Ein Bierdorf ist ja stets zur Hand.
Man pokuliert und singt wie toll,
Und kehrt man heim, ist alles voll --
Ganz anders bei der Heimkehr fand
Es Rückerts Schwalbe1, wie bekannt.
Wer da studiert Theologie,
Fehlt Samstags auf der Kneipe nie;
Der Fromme selbst bezecht sich gern.
Doch weh, es kommt am Tag des Herrn
Die Strafe: ach, das Orgelsummen
Verträgt kein Mensch beim Schädelbrummen.
Ein schwerer Kopf und Orgelspiel
Wär selbst für Heilge etwas viel.

Erläuterung:

1 Friedrich Rückert (1788 - 1866): Aus der Jugendzeit (1843):

Aus der Jugendzeit

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!

Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
Die den Herbst und Frühling bringt;
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang,
Das jetzt noch klingt?

"Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer."



Abb.: Aus Spree-Babel. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 10. -- S. 40. -- 1888-02-26

Selbst die sittliche Entrüstung so reiner Menschen, wie Windthorst1 und Puttkamer2, wird von Theaterschreibern und Direktoren für ihre unmoralischen Stücke als Reklame im Reichstage benutzt.

Erläuterungen:

1 Ludwig Windthorst (1812 bis 1891), katholischer Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker

2 Robert Viktor von Putkamer

Puttkamer, Robert Viktor von, preuß. Staatsmann, geb. 5. Mai 1828 in Frankfurt a. O., gest. 15. März 1900 auf seinem Gute Karzin in Pommern, studierte die Rechte, trat 1854 in den Staatsverwaltungsdienst, war 1860–66 Landrat in Demmin, 1867–71 vortragender Rat im Bundeskanzleramt, wurde 1871 Regierungspräsident in Gumbinnen und 1874 in Metz. 1873–91 wiederholt Reichstagsmitglied, schloss er sich den Deutschkonservativen an, wurde 1877 Oberpräsident von Schlesien und trat 14. Juli 1879 als Nachfolger Falks an die Spitze des Kultusministeriums, das er in konservativem Sinne verwaltete. Durch Erlass vom 21. Jan. 1880 führte er in den preußischen Schulen eine vereinfachte deutsche Rechtschreibung ein. Nachdem P. 18. Juni 1881 an Stelle des Unterrichtsministeriums das des Innern übernommen hatte, ward er 11. Okt. Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, unter Kaiser Friedrich III. aber 8. Juni 1888 entlassen. Domherr von Merseburg geworden, verwaltete P. 1891–99 das Oberpräsidium von Pommern."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Der bestrafte Sonntagsschänder. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 21. -- S. 82. -- 1888-05-08

Vernehmt, welch grause Freveltat
Zu Oldenburg geschehn.
Dort  sah man einen Schneider
Am Sonntagmorgen leider
Keck durch die Straßen gehn.

Er ging, indes die Orgel klang,
Ganz ohne Sorg und Harm;
Doch weh, der Ahnungslose
Trug eine neue Hose
Wohl in dem linken Arm.

Das Stücklein war für Oldenburg
Denn doch etwas zu stark;
Man straft das Hosentragen
An Sonn- und Feiertagen
Dort stets mit einer Mark.

So wird der Frevel heimgesucht
An dem frivolen Mann,
Und zahlt er nicht, setzt man ihn fest.
Berlin, du arges Sündennest,
Nimm dir ein Beispiel dran!


Päpstliche Ansprache. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 21. -- S. 83. -- 1888-05-08

Ihr Lämmlein mein auf Irlands Auen.
Seid doch hübsch artig, lasst das Hauen,
Das wütge Sichzusammenrotten,
Das Steinewerfen und Boycotten,
Das Stechen und die blutgen Hiebe!
Seid christlich. Übt hübsch Nächstenliebe,
Sonst werde ich im Handumdrehn
Noch ernstlich bös. Ihr sollt mal sehn!

Erläuterung: Bezieht sich auf die gewaltsame Unabhängigkeitsbewegung Irlands. Auf Welche Ansprache Leos XIII. sich das Gedicht bezieht, ist mir unbekannt.



Abb.: Ordenssegen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 24. -- S. 96. -- 1888-05-20

Der Papst: Ich freue mich, dass du wieder fromm genug bist, dieses Kreuz tragen zu können.



Abb.: Schnurriges. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 26. -- S. 104. -- 1888-06-03

Der Ire ist bekanntlich der beste Katholik von der Welt und tut doch nicht, was der heilige Vater von ihm verlangt; die "Times" aber, ein hochkirchliches Blatt, verlangt von den Iren, dass sie dem Papste gehorchen!


An den heiligen Vater. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 26. -- 1. Beiblatt. -- 1888-06-03

Du hast dich lobend ausgesprochen,
Als man die Ketten jüngst zerbrochen
Der Armen, die im Sklavenjoch
Geschmachtet in Brasilien noch.
O schöner Sieg der Menschlichkeit!
Nur immer weiter! Einst wird tagen
Die bessre, langersehnte Zeit,
Da auf der Erde weit und breit
Die armen Leiber sind befreit
Und nur die Geister Sklavenketten tragen.

Erläuterung: Bezieht sich auf die Enzyklika In Plurimis vom 1888-05-05 an die Bischöfe Brasiliens zur Abschaffung der Sklaverei.


Lebenslauf des ehrenwerten Leon Taxil1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 33. -- 1. Beiblatt. -- 1888-07-15

Nach der "Neuen Pr. Zeitung".

Einst schwärmt er für die Maurerei
War keck und frech in seinem Denken;
Verfallen ganz dem Gottseibei-
uns, saß er auf der Spötter Bänken.

Nur Lästerung war. was er sprach,
Stets schlimmer trieb es der Verruchte,
Bis er zuletzt, o Schande und Schmach!
Sich gar als Ponograph versuchte.

Doch als aufs Äußerste beschwert
Er lange so sein Schuldregister,
Da hat er endlich sich bekehrt,
Urplötzlich ward ein guter Christ er.

Noch zeitig hat als frommes Schaf
Den Weg zum Himmel er betreten,
Und besser denn als Pornograph
Steht er sich heute bei dem Beten.

Die Sünde, die ihn einst befleckt,
Vertilgen längst der Reue Flammen;
Nun schilt, zu hohem Dienst erweckt,
Er auf die Welt mit uns zusammen.

Er steht, wo unser Banner fliegt,
Und ungern würden wir ihn missen.
Wie sehr die Welt im Argen liegt,
Wer kann so gut wie er es wissen?!

Erläuterung:

1 Leo Taxil

"Taxil, Leo (eigentlich Gabriel Jogand), Schriftsteller, geb. 1854 in Marseille, gest. 30. März 1907 in Sceaux, war schon 1872 in radikalen Blättern in Paris als Journalist tätig und gründete zahlreiche Freidenkervereine (281 mit 17,000 Mitgliedern). Nach dem Erlass der Bulle des Papstes Leo XIII. gegen die Freimaurer vom 20. April 1884 erklärte er sich im »Univers« für einen reuigen Sünder und trat nun angeblich im Interesse der römischen Kirche gegen die Freidenker auf. Er schrieb: »Vollständige Enthüllungen über die Freimaurerei« (Par. 1885, 2 Bde.), »Drei Punkte-Brüder« (deutsch von Gruber) und andre Bücher, in denen er die Freimaurer des Teufelsdienstes und schändlicher Laster beschuldigte. Mit einem Dr. Bataille (Karl Hacks) gab er das Werk: »Der Teufel im 19. Jahrhundert« (1892–94, 2 Bde.) heraus, mit einem Italiener Margiotta »Adriano Tenani, Oberhaupt der Freimaurer«. Er erfand einen Teufel Bitru und als dessen jetzt bekehrte Dienerin eine amerikanische Miss Diana Vaughan, die in ihren Memoiren tolle Enthüllungen machte und dafür den päpstlichen Segen empfing. 1896 fand in Trient ein von 36 Bischöfen etc. besuchter Kongress statt, der Taxil wegen seiner Verdienste um die Kirche feierte. Taxil enthüllte aber 19. April 1897 in Paris selbst, dass er der römischen Geistlichkeit und Presse eine grobe Mystifikation gespielt habe. Vgl. Rieks, Leo XIII. und der Satanskult (Berl. 1897); Bräunlich, Der neueste Teufelsschwindel (Leipz. 1897)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

"Im Jahre 1885 „bekehrte" sich der in Frankreich sehr bekannte Schriftsteller und Freidenker LeoTaxil. Der päpstliche Nuntius in Paris nahm ihn sofort unter seine besondere Obhut und forderte ihn auf, mit seiner Feder hinfort für die Kirche Gottes zu kämpfen.

Das tat er auch und seiner emsigen Feder entströmten eine Reihe von Werken, die zwar an Wahnwitz und Teufelsspuk das Tollste enthielten, was die Phantasie aushecken konnte, nichts desto weniger oder vielleicht auch deshalb den Beifall der katholischen Presse, den der Geistlichkeit, ja sogar die Zustimmung des Papstes Leo XIII., der alle las, und enorme Verbreitung fanden. Doch das genügte dem Pfiffikus nicht, und so vereinigte er sich denn mit einem Dr. Karl Hacks, um durch etwas noch Großartigeres zu beweisen, was hundert Jahre nach Kant, im Zeitalter der Naturwissenschaften und der Technik gläubigen Gemütern alles aufgetischt werden konnte. Unter dem Namen Dr. Bataille schrieb dieser das Buch „Le Diable au 19. siècle", dessen erste Lieferung am 29. September 1892 erschien. Es ist ein in Romanform geschriebenes Reisewerk, worin Dr. Hacks die verschiedenen Länder, die er bereist hat, beschreibt unter dem Gesichtspunkt des Teufelskultus, der in ihnen getrieben wird.

So sieht der Verfasser z. B. beim Satanspapst Pike ein teuflisches Telephon, durch welches er den [S. 237] sieben großen Direktorien, Charleston, Rom, Berlin, Washington, Montevideo, Neapel und Kalkutta seine Weisungen übermittelt.

Mit Hilfe eines magischen Armbandes kann Pike den Luzifer jeden Augenblick herbeirufen. Eines Tages nahm Satan Pike sanft auf seine Arme und machte mit ihm eine Reise auf den Sirius (!). In wenigen Minuten waren über 50 Millionen Meilen zurückgelegt. Nach Besichtigung des Sternes langte Pike in den Armen Luzifers wohlbehalten wieder in seinem Arbeitszimmer in Washington an.

In London wird durch diabolische Künste ein Tisch zum Plafond gebracht und in ein Krokodil verwandelt, das sich ans Klavier setzt, fremdartige Melodien spielt und die Hausfrau durch ausdrucksvolle Blicke in Verlegenheit bringt! In diesem Stile geht es weiter.

Ein zweiter Mitarbeiter Taxils war der Italiener Margiotta, der im Jahre 1894 das Buch „Adriano Lemmi, chef supréme des Franc-Maçons" schrieb. Er verdiente damit in wenigen Monaten 50 000 Frs. und der ultramontane Verlag von Schöningh in Paderborn beeilte sich, mit diesem Erzeugnis die deutschen Katholiken zu beglücken. Er erzählt, dass der Teufelspapst Memmi im Palazzo Borghese zu Rom einen förmlichen Satansdienst eingerichtet habe. Er ließ ein Kruzifix mit nach unten hängendem Christuskopf unter dem Rufe „Ehre dem Satan" bespeien, durchbohrte bei jedem Briefe, den er an seinem Schreibtisch schrieb, Hostien, die aus katholischen Kirchen entwendet waren, mit einer Bohrfeder, ließ bei allen Banketten der Freimaurer Satanshymnen singen [S. 238] und besondere Räume für Mopsschwestern (Frauenloge, deren Ritual Taxil in seinen „Dreipunktbrüdern", Verlag der Bonifatius-Druckerei zu Paderborn, eingehend beschreibt) einrichten, mit denen die Brüder Orgien feierten. Dabei tritt Bataille die obszönsten Dinge mit Behagen breit, in dem er sich auf höhere Weisung beruft: „Wir gehorchen ohne Hintergedanken den Befehlen des Heiligen Vaters, der will, dass wir der Freimaurerei die Maske abreißen, mit der sie sich verhüllt, und sie so zeigen, wie sie ist."

Damit nicht genug, ließ Taxil mit Hacks vom Juli 1895 bis Juni 1897 in Paris das Lieferungswerk „Miss Diana Vaughan. Mémoires d'une Expalladiste. Publication mensuelle" erscheinen. Es waren die Memoiren eines früher dem Teufel verschriebenen, jetzt bekehrten jungen Mädchens mit ihren eigenen Worten geschildert und — wie die Dame selbst — natürlich von den beiden Witzbolden erfunden.

Wie nicht anders zu erwarten, fanden die Memoiren in der katholischen Welt reißenden Absatz und begeisterte Lobredner. Sie verdienten es aber auch. Miss Vaughan war nämlich am 29. Februar 1874 geboren als Frucht einer Verbindung ihrer Mutter mit dem Teufel Bitru, dem sie schon als kleines Kind geweiht wurde. Als sie mit 10 Jahren „Meister" der Palladistenschule zu Louisville in Amerika wurde, brachte der Oberteufel Asmodeus außer 14 Legionen Unterteufeln auch den Schwanz des Löwen des Evangelisten Markus mit, den er selbst ihm abgeschnitten hatte. Dieser Löwenschwanz legte sich Diana um den Hals und gab ihr einen Kuß! [S. 239] usf., folgt eine Geschichte immer haarsträubender als die andere. So von der Sophie Walder, die am 23. September 1863 als Tochter Bitrus geboren, von ihm gesäugt und dann verfuhrt wurde, so dass Bitru ihr gegenüber als Vater, Amme und Gatte sich vorstellt!

Noch im Dezember 1895 konnte die „Germania" in mehreren Sonntagsbeilagen diese erbaulichen Geschichten ihren Lesern als Wahrheit erzählen! Die Stimmen aus Maria Laach, die Historisch-Politischen Blätter und andere angesehene katholische Organe blieben dahinter nicht zurück. Die Spekulation des Kleeblattes auf die, welche nicht alle werden, hatte durchschlagenden Erfolg.

Auf einen Brief Taxils, den er als „Miss Vaughan", Tochter Bitrus, an den Kardinalvikar von Rom, den Kardinal Parochi schrieb, in dem er ihm seine „Eucharistische Novene" und 500 Francs übersandte, antwortete dieser:

Rom, den 16. Dezember 1895.

Mein Fräulein und liebe Tochter in unserm Herrn!

Mit lebhafter und süßer Rührung habe ich Ihr Schreiben vom 29. November zugleich mit dem Exemplar der „Eucharistischen Novene", erhalten. Zunächst bescheinige ich den Empfang der mir gesandten Summe von 500 Frs., von denen 250 nach Ihrer Bestimmung für das Organisationswerk des nächsten Antifreimaurerkongresses verwandt werden. Die andere Hälfte in die Hände Seiner Heiligkeit [S. 240] für den Peterspfennig zu legen, ist mir eine Freude gewesen. Sie (Seine Heiligkeit) hat mich beauftragt, Ihnen zu danken und Ihnen seinerseits einen ganz besonderen Segen zu schicken . . . Ihre Bekehrung ist einer der herrlichsten Triumphe der Gnade, die ich kenne. Ich lese in diesem Augenblick Ihre Memoiren, die von einem brennenden Interesse sind . . ."

Am 27. Mai 1896 schrieb der päpstliche Geheimsekretär Rod. Verzichi an die famose „Miss Vaughan" auf ausdrücklichen Befehl Seiner Heiligkeit, dass der Papst „mit großem Vergnügen" die Eucharistische Novene gelesen habe.

Vom 26. September bis 1. Oktober 1896 tagte der Antifreimaurerkongress in Trient, unterstützt durch 22 Kardinäle, 23 Erzbischöfe und 116 Bischöfe und durch einen besonderen Segen Leos XIII. gestärkt. Schon im August war Leo Taxil als einer der Vorstände des Zentralexekutivkomitees des Antifreimaurerbundes vom Papste in besonderer Audienz empfangen worden.

Am 29. September hielt im Angesicht des versammelten Kongresses der Abbé de Bessonies eine Rede, in der er mit Nachdruck aussprach, dass das antifreimaurerische Frankreich alles das für wahr halte und fest glaube, was er über die Echtheit der Vaughanenthüllungen vortrage. Leo Taxil ergriff selbst das Wort und wurde begeistert wegen seiner Verdienste um die Kirche gefeiert!

Am 19. April 1897 erklärte Taxil im Sitzungssaale der Gesellschaft für Erdkunde zu Paris sein ganzes bisheriges Tun und Treiben, seine Bücher und [S. 241] Schriften, sei ein einziger, großer, mit vollem Bewusstsein von ihm begonnener und fortgesetzter Schwindel! Er schloss seine Rede mit den an die zahlreich versammelten katholischen Geistlichen und Journalisten gerichteten Worten: „Meine hochwürdigen Väter, ich danke aufrichtig den Kollegen der katholischen Presse und unsem Herrn Bischöfen dafür, dass sie mir so trefflich geholfen haben, meine schönste und größte Mystifikation zu organisieren.""

 

[Quelle: Kemmerich, Max <1876-1932>: Kultur-Kuriosa. -- München : Langen. -- Bd. 1. -- 1910. -- S. 236 - 241. -- Online: http://www.archive.org/details/kulturkuriosa01kemmuoft. -- Zugriff am 2010-01-10]



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Der arme Gefangene in Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 34. -- S. 132. -- 1888-07-22

Nach der Darstellung der kleinen ultramontanen Blätter ist die Lage des Papstes im Vatikan eine verzweifelte. Kaum lässt man ihm den heiligen Stuhl zur freien Verfügung.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Auf der Kunstausstellung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 37. -- Beiblatt. -- 1888-08-12


Vom Freiburger Katholikentag. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 41. -- S. 157. -- 1888-09-09

In Freiburg kam zusammen von Schwarzen ein tüchtger Hauf,
Da loderten die Flammen der Scheiterhaufen auf.
Mit wirklichen Feuersgluten zwar kam es zum brennen nicht,
Doch hielten im Geist die Guten über die Ketzer ein scharf Gericht.

Windthorst1, der Vogelsteller, war auch natürlich dort,
Hei, wie er griff in heller Begeisterung zum Wort!
"Ich bin", so sprach er, "von Herzen und wahrhaft liberal."
Es schallte bei solchen Scherzen donnernder Beifall durch den Saal.

Drauf tadelten die "Halben" Herr Müller1a mit Recht und Fug,
Die gäb es allenthalben in Baden mehr als genug;
Die "Ganzen" wären ihm lieber, gestand er frank und frei.
Dem stimmte, erfreut darüber, Windthorst, der alte Zecher, bei.

Herr Mossler2 kam angefahren, der redete mit Glanz
Eindringlich von der wahren und richtigen Toleranz.
Dem liberalen Schwätzer, dem sei sie unbekannt;
Sie wohne da, wo der Ketzer und Jude liebreich wird verbrannt.

Racké3 und Haffner4 und Loë5, die stimmten überein,
Es könnt kein wen'ger frohe die Lage des Papstes sein.
Nicht länger im Kerker leben und leiden dürft er, darum
Müsst man ihm wiedergeben schleunigst sein Patrimonium6.

Und als der heilige Vater gelesen den Bericht,
Vergnüglich schmunzelnd tat er, und heiter ward sein Gesicht.
Er sprach zu den Jesuiten, die um ihn standen zur Zeit:
"Die Guten Deutschen bieten mir immer Stoff zur Fröhlichkeit.

Wie schön, das sie so denken von mir im deutschen Land
Und wieder mir wollen schenken, was Arglist mir entwandt,
aufs Neu zum Eigentume mir machen, wie sich#s gebührt,
Das land, das mit großem Ruhme die alten Päpste haben regiert!

Wenn aber Ernst sie machten und hätten dabei Glück
Und brächten aus heißen Schlachten den Kirchenstaat mir zurück
Und sprächen: "Nun sollst behalten du ihn in treuer Hut
Und drüber mit Weisheit walten -- -- bei allen Heil'gen, es wär nicht gut!"

Erläuterungen:

1 Ludwig Windthorst (1812 bis 1891), katholischer Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker

1a Müller 

2 Mossler

3 Racké

4 Paul Leopold Haffner (1829 - 1899): Bischof von Mainz ab 1886

5 Felix Freiherr von Loë (1825 - 1896): Zentrumspolitiker


Zum Fall Harnack1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 43. -- S. 167. -- 1888-09-23

Wie? Was? Nun wird er doch noch kommen?!
So wird der Kirchenrat verhöhnt?
In tiefer Trübsal stehn die Frommen,
Man unvorsicht'ger Fluch ertönt.
Man soll nicht auf den Himmel schelten,
Doch ist hier nur einTrost zu sehn:
Zu höhern Zwecken lässt nich selten
Das Allerärgste er geschehn.

Ereläuterung:

1 Adolf von Harnack (1851 - 1930): evangelischer Kirchengeschichtler, der gegen den Widerstand der protestantischen Konservativen an die Berliner Universität berufen worden war, wo er 1888 bis 1921 lehrte.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Partei Stöcker1.-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 47. -- S. 184. -- 1888-10-14

Durch den Zusammenbruch des Kartells in Berlin entsteht eine neue Partei, deren Führer es nur noch an dem nötigen Anhang fehlt.

Erläuterung:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909)


Abb.: Adolf Stöcker (1835 - 1909)
[Bildquelle: http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/pe033524/index.html. -- Zugriff am 2008-08-25]

"Stöcker, Adolf, Theolog und Sozialpolitiker, geb. 11. Dez. 1835 in Halberstadt, studierte in Halle und Berlin Theologie, wurde 1863 Pfarrer in Seggerde (Kreis Gardelegen), 1866 in Hamersleben, 1871 Divisionspfarrer in Metz und 1874 Hof- und Domprediger in Berlin. Seit 1877 trat er in öffentlichen Versammlungen gegen die Führer der Sozialdemokratie auf und suchte durch Gründung einer christlich- sozialen Partei (s. Christlich-soziale Reformbestrebungen) die Arbeiter für christliche und patriotische Anschauungen wiederzugewinnen, zugleich aber ihre Forderungen des Schutzes gegen die Ausbeutung des Kapitals und einer Verbesserung ihrer Lage zu unterstützen. Die neue Partei gewann aber nur an wenigen Orten zahlreichere Anhänger, da Stöcker durch seinen fanatischen Eifer gegen alles, was liberal hieß, besonders in kirchlicher Beziehung die Opposition der öffentlichen Meinung wach rief. Auch ging er in seinen Agitationen gegen das Judentum oft weiter, als es sich mit seiner Stellung vertrug. 1879 in das Abgeordnetenhaus, 1880 (bis 1893) und 1898 auch in den Reichstag gewählt, wo er sich der streng konservativen Partei anschloss, erhielt er 1890 seine Entlassung als Hofprediger; 1896 trat er aus der deutsch- konservativen Partei und dem Evangelisch-sozialen Kongress aus und gründete mit andern die Christlich- soziale Konferenz. Stöcker ist Vorsitzender der Berliner Stadtmission, Mitglied des Generalsynodalvorstandes und seit 1892 Herausgeber der »Deutschen evangelischen Kirchenzeitung«. Er veröffentlichte mehrere Jahrgänge »Volkspredigten« (gesammelt in 7 Bänden), »Das Leben Jesu in täglichen Andachten« (Berl. 1903, Volksausg. 1906), sowie zwei Sammlungen seiner Reden und Aufsätze: »Christlich-sozial« (das. 1885, 2. Aufl. 1895), »Wach' auf, evangelisches Volk« (das. 1893) und »Gesammelte Schriften« (das. 1896 f.). Vgl. seine Schrift »Dreizehn Jahre Hofprediger und Politiker« (Berl. 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Exzellenz Windthorst steht groß da. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 50. -- S. 196. -- 1888-11-04

Sollte die Kurie, die Herrn Windthorst jetzt so beweihräuchert, vielleicht in nächster Zeit seine Unterstützung im Parlament wünschen?


Ein Mangel der badischen Landschaft. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 52/53. -- S. 202. -- 1888-11-18

Nach Herrn Pfarrer Hansjacob1.

Von allen Ländern geb ich den Preis
Dem lieben badischen Lande.
Wie wandert es gut im Schwarzwald sich
Und an dem Neckarstrande!

Wie schön die Hügel, darauf so stolz
Die grünen Tannen stehen!
Wie bunt die Wiesen, wo so hell
Die rauschenden Bäche gehen!

Nur einen Mangel empfindest du bald
Bei näherer Bekanntschaft:
Die feinere Staffage fehlt
Der unvergleichlichen Landschaft.

Nur Bauern erblickst du weit und breit,
Ich lasse dabei noch gelten
Die Mädel, denn recht hübsche triffst
Darunter du gar nicht selten.

Ein hübsches Mädchen ist gar nett,
Wer möchte das wohl verneinen?
Doch netter muss dem Frommen noch
Ein feister Mönch erscheinen.

Wie machen die Kapuziner sich gut!
Wenn sie das Tal durchschreiten,
So weht erquickend ein Hauch uns an
Aus alten romantischen Zeiten.

Wie ist es so lieblich, wenn sie mild
Den Bauern den Segen spenden,
Wenn mit den geschnorrten Viktualien sie
Zum Kloster sich heimwärts wenden!

Die Kapuziner sind ein Schmuck
Der Landschaft ohne Gleichen!
Wer eine zarte Nase hat,
Kann ja zur Seite weichen.

Erläuterung:

1 Heinrich Hansjakob (1837 - 1916)

"Hansjakob, Heinrich, kath. Volksschriftsteller, geb. 19. Aug. 1837 in Haslach (Baden), studierte in Rastatt und Freiburg, wurde 1863 zum Priester geweiht und machte im selben Jahr das philologische Staatsexamen, war dann als Gymnasiallehrer in Donaueschingen, seit 1865 als Realschuldirektor in Waldshut tätig, wurde jedoch, wegen politischer Tätigkeit zweimal zu Festungsstrafe verurteilt (vgl. seine Schriften: »Auf der Festung«, 4. Aufl., Kassel 1902; »Im Gefängnisse«, Mainz 1874), 1868 entlassen und noch in demselben Jahr als Pfarrer in Hagnau am Bodensee angestellt. Seit 1884 ist er Stadtpfarrer in Freiburg i. Br."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Ernst Retemeyer: Eröffnung des deutschen Reichstags (1888-11-22).  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 52/53. -- 2. Beiblatt. -- 1888-11-18

 Wieder einmal zieht Windthorst auf dem alten Kulturkampfklepper in den Kampf für Rom. Der Heilige Vater und die ganze Jesuitenschaft folgen diesem Vorgang mit gespannter Aufmerksamkeit. -- In: Kladderadatsch. -- 1888



Abb.: Berechtigtes Misstrauen.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 54. -- S. 212. -- 1888-11-25

Russland will durchaus in bessere Beziehungen zum Vatikan treten. Der schlaue Papst hütet sich jedoch, seine Hände in die dargebotene Freundschaftsschlinge zu legen.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 41, Nr. 59/60. -- S. 233. -- 1888-12-30

Der neue Dr. theologiae Bismarck äußert sich bei seiner Promotionierung so tolerant, dass er sich dadurch das größte Misstrauen seines neuen Kollegen Stöcker zuzieht.


1889



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Neujahrswünsche.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 1. -- S. 4. -- 1889-01-06


Moderner Geisterspuk.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 4. -- S. 15. -- 1889-01-27

Es saust heran im Bogen
Und saust mir ins Gesicht,
Eine Kohlrübe kommt geflogen --
Das war doch früher nicht.

So wird man öfter geschmissen
Und weiß nicht, wer da schmeißt;
Nur Spiritisten wissen:
Dahinter steckt ein Geist.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Mission in Afrika. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 7/8. -- S. 29. -- 1889-02-17

v. Levetzow1 rät, die Neger im Einvernehmen mit der katholischen Kirche dem Christentum zu gewinnen. Ja, wenn der Konkurrenzneid nicht wäre!?

Erläuterung:

1 Albert Erdmann Carl Gerhard von Levetzow (1827 - 1903):  1877-84 und 1887-1903 konservatives Mitglied des Deutschen Reichstags, 1881-84 und 1888-1895 Reichstagspräsident.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Drahtseilbahn nach dem Hexentanzplatz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 7/8. -- S. 29. -- 1889-02-17

Wie großartig sich in Deutschland Eisenbahn- und Verkehrswesen entwickeln, beweist, dass selbst den Walpurgisnachtgästen ihre Tour in der Nacht zum ersten Mai durch eine Eisenbahn bequemer gemacht werden soll.


 
Abb.: Auch die Russen halten es für eine Ehrenpflicht, sich an der Zivilisierung Afrikas zu beteiligen. Wallfahrten religiösen Charakters nach dem Lande ihrer Glaubensgenossen sind bereits in vollem Gange. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 7/8. -- 2. Beiblatt. -- 1889-02-17



Abb.: Vom Zentrum. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 9. -- S. 36. -- 1889-02-24

Portier: Was wollt ihr denn schon wieder?
Zentrum: Wir möchten nur den Stuhl, der schon lange vor der Tür steht, wieder hinein bringen.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Circulus vitiosus. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 9. -- S. 36. -- 1889-02-24

Das Rad des Zentrums wird in jeder Session einmal herumgedreht.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Der Spuk à la Resau in Haus und Küche. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 14/15. -- S. 36. -- 1889-03-31

Erläuterung: 1888/89 ereigneten sich in Resau (bei Werder, Brandenburg) -- immer in Anwesenheit des 15jährigen Karl Wolter -- Spukphänomene, bei denen Kleidungsstücke und Esswaren durch die Wohnung flogen. Dabei gingen auch die Fenster eines Nachbarn durch Steine in Bruch. Der Nachbar erstattete Anzeige gegen Wolter. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Haftstrafe, obwohl ein Pastor Dr. Müller zu seinen Gunsten ausgesagt hatte.



Abb.: Römische Wetterwarte. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 17. -- S. 68. -- 1889-04-14

Im Vatikan beaobachtet man, dass die Zentral-Sonne nicht mehr so blendet wie früher, hofft aber bestimmt, dass das Zentrum seinen alten Glanz behalten wird.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Der Appetit kommt beim Essen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 18. -- S. 72. -- 1889-04-21

In Bayern ist den Geistlichen auch einmal eine bittere Pille in den Mund geworfen worden.


Der Kaltgestellte1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 19. -- S. 73. -- 1889-04-28

Iacta est alea!2 Der Tapfre, Kühne,
Der wie ein Turm im Schlachtgetümmel stand,
Missmutig, grollend, mit umwölkter Miene
Hängt er das Schwert, die Tartsche3 an die Wand.
Das Ungewitter kam ihm immer näher,
Und endlich schlug es krachend bei ihm ein:
Er darf fortan -- aufatmet, ihr Hebräer!4 --
Hofpredger nur, nicht Agitator sein.

Er fügt sich stumm .. das haben seine treuen,
Kampflustgen Knappen wahrlich nicht gedacht.
Sie sahn ihn schon als einen grimmen Leuen,
Der jeder Fessel ledig sich gemacht.
Wie stürzt er würgend sich in Judas4 Hürden -- --
Ach, anders kam's, die Krallen zieht er ein.
Er darf fortan nur simple Hochehrwürden,
Hofpredger nur, nicht Agitator sein.

Wohl  wird er oftmals noch der Zeit gedenken,
Als er das scharfe Schwert der Rede schwang,
Als durch den dicken Tabaksqualm der Schenken
Sein zornig Wort wie Donnerwetter klang.
Tempi passati!5 Ach, ein fauler Friede
Ist aufgezwungen ihm voll Gram und Pein.
Er darf fortan -- das ist das End vom Liede --
Hofpredger nur, nicht Agitator sein.

Gewaltig thront, der eben ihn bedrohte,
Hoch über ihm der Oberkirchenrat.
Stumm fügt er sich, nicht wagt er dem Gebote
Zu widersetzen sich durch kühne Tat.
Er wird nicht mehr auf arme Hirsche pirschen,
Die können nun sich ihres Lebens freun;
Er darf fortan, gehorcht er auch mit Knirschen,
Hofpredger nur, nicht Agitator sein.

Erläuterungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!

2 Alea iacta est: latein. "Der Würfel ist gefallen." Angeblich Ausruf Cäsars, als er, den Rubikon überschreitend, den Bürgerkrieg begann.

3 Tartsche: ein Schild

4 Stöcker war ein militanter Judenhasser.

5 Tempi passāti! italienisch "Vergangene Zeiten!"



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Illustrierte Redensart. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 19. -- S. 76. -- 1889-04-28

Bismarck, im Begriff Windthorst kalt zu stellen.



Abb.: Stöcker1 am Scheidewege. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 19. -- 2. Beiblatt. -- 1889-04-28

Herr Stöcker wird "vorläufig" vom politischen Parteikampfe zurücktreten und in den nächsten 10 Tagen fern von Berlin darüber nachdenken, wie lange er das aushalten kann.

Erläuterung:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!


Der Augustinus-Verein. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 20. -- 1. Beiblatt. -- 1889-05-05

Was ist's mit dem Augustinus-Verein?1
Das muss ja ein grausiges Wesen sein,
Eine Art von heimlichem Fehmgericht,
Das sorgsam meidet das Tageslicht,
Wo vermummt gerichtet wird und gekneipt,
Wo die Feder sich und das Haar sich sträubt.
Denk ich an den Augustinus-Verein,
So läuft ein Schauer mir übers Gebein.
Schorlemer2 und Huene3, nehmt euch in Acht,
Sonst sucht der Rächer euch in der Nacht.

Erläuterungen:

1 Augustinus-Verein

"Augustinusverein, eine zur Pflege der katholischen Presse 1878 gegründete Vereinigung mit dem Sitz in Düsseldorf, die ihr Ziel durch moralische Unterstützung neu zu gründen der und quellenmäßige Informierung der bestehenden Blätter, durch Heranbildung neuer und Unterstützung hilfsbedürftiger Journalisten und gemeinsame Behandlung der Tagesfragen etc. zu erreichen sucht."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Schorlemer

"Schorlemer-Alst, Burghard, Freiherr von, Politiker, geb. 20. Okt. 1825 im Haus Oberhagen bei Lippstadt, gest. 17. März 1895 auf Haus Alst, Ulanenoffizier, schied 1853 als Oberleutnant aus und bewirtschaftete sein Gut Alst bei Burgsteinfurt. Seit 1863 Mitglied des Landesökonomiekollegiums, gründete er den Westfälischen Bauernverein, ward 1885 Mitglied des Staatsrats, wirkte auch als ultramontaner Politiker und wurde Geheimer Kämmerer des Papstes. Seit 1870 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 1875 des Reichstags, gehörte er zu den schlagfertigsten und humoristischsten Rednern des Zentrums, schied aber, mit der oppositionellen Haltung des Zentrums vielfach unzufrieden, 1887 aus dem Reichstag und 1889 auch aus dem Abgeordnetenhaus. 1890 war S. nochmals kurze Zeit Mitglied des Reichstags. Seine Reden aus den Jahren 1872–79 erschienen Osnabrück 1880; 1902 ward ihm in Münster vor dem Ständehaus ein Denkmal errichtet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Huene

"Huene, Karl, Freiherr von Hoiningen, genannt von Huene, Politiker, geb. 24. Okt. 1837 in Köln, gest. 13. März 1900 in Gossensaß, trat 1859 ins Heer, ward 1860 Leutnant im Elisabeth-Regiment, in dem er am dänischen Kriege 1864 und am österreichischen 1866 teilnahm, kam 1869 zum Generalstab, in dem er den französischen Krieg 1870/71 mitmachte, und wurde 1871 Hauptmann im 82. Regiment. 1873 aus dem Militärdienst geschieden, bewirtschaftete Huene sein Gut Groß-Mahlendorf im Kreis Falkenberg in Oberschlesien, ward 1876 in das Abgeordnetenhaus gewählt, schloss sich der Zentrumsfraktion an und zeichnete sich durch Sachkenntnis, besonders in finanziellen und volkswirtschaftlichen Fragen, sowie durch Rednergabe und Mäßigung aus. Um die Verwaltung der Güter des Fürsten von Thurn und Taxis zu übernehmen, legte er 1882 sein Mandat nieder, wurde aber schon 1883 von dem inzwischen großjährig gewordenen Fürsten aus dieser Stellung entlassen und trat wieder in den Landtag und den Reichstag. In ersterm stellte er 1885 den zum Gesetz erhobenen Hueneschen Antrag (lex Huene, vgl. Verwendungsgesetz) über Verteilung des Mehrertrags der im Reich neu eingeführten Zölle für Preußen an die Kommunen, in letzterm wurde 1893 sein Vorschlag, der eine geringe Verminderung der Regierungsforderung hinsichtlich des Militäretats bedeutete, nach der Auflösung angenommen. Huene, selbst 1893 nicht wieder in den Reichstag gewählt, unterlag auch 1895 bei einer Nachwahl in Oberschlesien einem Polen und war zuletzt Präsident der Zentralgenossenschaftskasse in Berlin."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Einigkeit macht stark. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 21. -- S. 84. -- 1889-05-12

Überall finden jetzt Katholikentage statt. Der Erfolg kann nicht ausbleiben, denn sämtliche Teilnehmer blicken, dem Programm entsprechend, heiter und vertrauensvoll in die Zukunft und beten einmütig für die Wiederherstellung der päpstlichen Macht.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Hie Stöcker1, hie Woermann2! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 24. -- S. 96. -- 1889-05-26

Geistige Konkurrenz in Afrika.

Erläuterungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!

2 Adolf Woermann (1847 - 1911)

"Woermann, Adolf, Kaufmann und Politiker, Bruder des vorigen, geb. 10. Dez. 1847 in Hamburg, lernte den überseeischen Handel seit 1868 in Singapur kennen, ging 1869 nach Batavia und kehrte 1870 über Vorderindien, China, Japan und Nordamerika heim. Nachdem W. 1871–72 die Faktoreien seines Vaters in Liberia besucht hatte, wurde er 1874 Teilhaber, 1880 Mitinhaber der Firma Karl Woermann, half die Woermann-Linie (s. Textbeilage zum Artikel »Dampfschiffahrt«: Deutschland 7) gründen und erwarb 1884 mit der Firma Jantzen u. Thormählen Kamerun als Schutzgebiet für das Deutsche Reich. 1884–90 war Woermann nationalliberales Mitglied des Reichstags."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Kultur-Streik. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 25. -- S. 100. -- 1889-06-02

In Bayern sollte die Geistlichkeit durch einen Streik die Forderungen des bischöflichen Memorandums durchzusetzen suchen. In Preußen wäre es auch für die Schullehrer sehr ratsam, zu streiken, wenn sie eine Aufbesserung ihrer Lage erreichen wollen.

Vom Weltende. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 29/30. -- S. 113. -- 1889-06-30

Die Sonne brannte, als wollte sie
Die Erde setzen in Flammen,
Da trat die Pastoralkonferenz
Am Strande der Spree zusammen.

Mit ernsten Mienen tagten die Herrn,
Die hochgelehrten, frommen:
Sie prüften, ob das Ende der Welt
Allmählich nahe gekommen.

Wehmütig sprach ein würdiger Greis:
"Ich sehe trüb und trüber!
Noch hundert Jahre währt es, alsdann
Geht alles drunter und drüber."

Ein anderer meinte salbungsvoll:
"Auch länger noch dauern kann es.
Oft drückt sich leider recht unklar aus
Der werte Apostel Johannes.

Allzu begeistert hat er vielleicht
Die "Offenbarung" geschrieben:
Nicht ist zu leugnen, dass manches drin
Noch immer dunkel geblieben."

Da rief Herr Stöcker1: "Wir könnten wohl
Die Zeit hier besser verbringen,
Denn nichts Gewisses weiß man nicht
Von diesen verborgenen Dingen!"

Für dies erlösende Wort möcht ich
Ihm alle Sünden vergeben,
Bezwingen muss ich mich, dass ich nicht
Laut rufe: "Stöcker soll leben!"

Wer weiß, was an dem frommen Herrn
Wir noch erleben künftig!
Er wird -- auch heute gibts Wunder ja --
Vielleicht noch ganz vernünftig.

Ich stimme ihm zu: vorläufig bleibt
Hier unten alles beim Alten,
Die Mutter Erde wird immer noch
Ein Weilchen zusammenhalten.

Dass allerlei Torheit ferner auch
Auf ihr  gedeihe und wachse,
Dreh sie sich manch Jahrtausende noch
Vergnügt um ihre Achse!

Erläuterungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>.-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 29/30. -- S. 116. -- 1889-06-30

Mein Entscheid ist ein freier, es steht mir aber auch immer noch frei, meinen Entschluss zu ändern. Stöcker.

Erläuterungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>.-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 29/30. -- S. 116. -- 1889-06-30

Zwei Geistliche der Reichshauptstadt zeigen der sündigen Welt, wo man sich als Brüder nicht zu benehmen hat. Der deshalb kaltgestellte Herr Stöcker1 wird darüber so verschnupft. dass er schleunigst auf 10 Tage nach Italien reist, um sich wieder aufzuwärmen.

Erläuterungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909) (siehe oben!), der Gegner war Pastor Carl Witte (1864 - 1938).


Päpstliches Sommerlied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 31. -- S. 123. -- 1889-07-07

(Melodie: Fahret hin, fahret hin, Grillen etc.1)

Sommerzeit, stille Zeit,
Bringst mich in Vergessenheit,
Gar nicht dumm
Scheint's mir drum
Mach ich mal: Bum, bum!
Giordano Bruno2 lässt
Kein Ruh mir, darum fest
Schimpf ich los, riesengroß
Bäumt sich mein Protest.

Ketzer muss mit Genuss
Brennen man zu Rauch und Ruß,
Oder wie
Katzen hie
Stramm ersäufen sie.
Aber dass man ihnen jetzt
Hier zu Rom ein Denkmal setzt,
Schwerenot, Gift und Tod!
Hat mich sehr verletzt.

Drum versuch ich's, und klug
Schleudr' ich ein kräftgen Fluch --
Fortschritt ist
Höllenmist
Und des Satans List.
Wenn ich hart gefangner Mann
Auch das Ding nicht ändern kann,
Hab ich doch, fluch ich noch,
Mein Vergnügen dran.

Erläuterungen:

1

Fahret hin, fahret hin
Grillen geht mir aus dem Sinn!
Bruder mein, schenk uns ein
Laß uns fröhlich sein:
Drum, ihr Grillen weichet weit
Die ihr meine Ruh zerstreut!
Ich bin nicht so erpicht
Der auf Grillen dicht. 

Melodie: Alles neu macht der Mai.

KLicken, um Melodie zu hören

Quelle der mid.-Datei: http://ingeb.org/Lieder/AllesNeu.html. -- Zugriff am 2008-08-27. -- gemeinfrei für nichtkommerzielle Nutzung

2 Giordano Bruno (1548 - 1600), dem Italien am 1889-06-09 auf dem Campo de Fiori (wo er als Ketzer verbrannt wurde) in Rom ein Standbild weihte.


Abb.: Giordano-Bruno-Denkmal, Rom
[Bildquelle: Wikipedia, GNU-FDLicense]

"Bruno, Giordano (Jordanus Brunus), berühmter Philosoph, geb. 1548 zu Nola im Neapolitanischen (daher B. Nolanus), gest. 17. Febr. 1600 in Rom, verließ seiner freimütigen Ansichten wegen das Dominikanerkloster zu Neapel, dem er seit seinem 15. Jahr etwa angehört hatte, und floh 1576 nach kurzem Aufenthalt in Rom von da und gelangte auf mancherlei Umwegen nach Genf, von wo er wegen der Unduldsamkeit der dortigen Calvinisten weiter nach Lyon und Toulouse ging. Hier blieb er 21/2 Jahre und hielt über verschiedene Teile der Philosophie Vorlesungen. 1581 endlich begab er sich nach Paris, wo er über Philosophie mit Beifall vortrug, auch von dem König Heinrich III. Gunst erfuhr. Hier gab er seine an komischen, oft cynischen Zügen reiche Komödie »Candelajo« (»Der Lichtzieher«) heraus sowie einige philosophische Schriften. Bedrängt von den Aristotelikern, mit denen er in Streit geraten war, begab er sich 1583 nach London, wo er von dem französischen Gesandten Michel de Castelnau, Herrn de la Mauvisière, wohlwollend aufgenommen wurde, auch mit diesem öfter an den Hof der Königin Elisabeth kam. Dort schrieb er seinen »Spaccio della bestia trionfante« (Par. 1584), drei Gespräche, in denen die Tugenden durch die Laster, beide als himmlische Konstellationen dargestellt, vom Firmament verjagt werden, mit satirischen Anspielungen auf die Hierarchie; »La cena delle ceneri«, in der er als Verteidiger des kopernikanischen Weltsystems auftrat, und seine wichtigsten Werke: »Della causa, principio ed uno« (Vened. 1584; deutsch von Lasson, 3. Aufl., Leipz. 1902) und »Del infinito universo e mondi« (Vened. 1584). 1585 ging er wieder nach Paris, wo er »Gli eroici furori« veröffentlichte, dann 1586 nach Wittenberg, 1588 nach Prag, wo er »De specierum scrutinio et lauripode combinatoria Raym. Lulli« herausgab. Hierauf wandte er sich nach Helmstedt, wo er wichtige lateinische Lehrgedichte entwarf, weiter nach Frankfurt a. M. (1590), Padua (1591) und endlich nach Venedig, wo er 1592 von der Inquisition ergriffen und 1593 nach Rom ausgeliefert ward. Wegen Abfalls und hartnäckiger Ketzerei zum Tode verurteilt, ward er in Rom auf dem Campo dei Fiori lebendig verbrannt. Seinen Richtern rief er zu, sie fällten mit größerer Furcht das Urteil, als er es empfange. Das befreite Italien errichte le ihm als Märtyrer der freien Überzeugung eine Statue zu Neapel. Auch auf dem Campo dei Fiori wurde 9. Juni 1889 sein Standbild enthüllt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Der Kampf zwischen Aberglauben und Wissenschaft. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 31. -- 2. Beiblatt. -- 1889-07-07

wird immer heftiger. In Resau1 beabsichtigt man bereits eine "Konkurrenz-Urania" zu eröffnen, welche das Umsichgreifen der Volksaufklärung einschränken soll.

Erläuterungen:

1 Resau: 1888/89 ereigneten sich in Resau (bei Werder, Brandenburg) -- immer in Anwesenheit des 15jährigen Karl Wolter -- Spukphänomene, bei denen Kleidungsstücke und Esswaren durch die Wohnung flogen. Dabei gingen auch die Fenster eines Nachbarn durch Steine in Bruch. Der Nachbar erstattete Anzeige gegen Wolter. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Haftstrafe, obwohl ein Pastor Dr. Müller zu seinen Gunsten ausgesagt hatte.

2 Urania: 1888 in Berlin zur Volksaufklärung gegründetes wissenschaftliches Theater, öffentliche Sternwarte und physikalisches Kabinett (fand viele Nachahmungen)



Abb.: Ernst Retemeyer: Faust-Studien. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 36. -- Beiblatt. -- 1889-08-11



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Nette Zustände. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 37/38. -- S. 152. -- 1889-08-18

Ein makedonischer Priester am Sonntag und am Werktag.



Abb.: Zureden hilft!? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 41. -- S. 164. -- 1889-09-08

Gewisse Kreise des Vatikans hoffen immer noch, durch vereinte Bemühungen dem Papste die gewünschte Reiselust beizubringen.



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 44/45. -- S. 177. -- 1889-09-29

Dem armen Papst wird jetzt der Aufenthalt in Rom von Tag zu Tag mehr verleidet, so dass er nicht mehr zum Fenster hinausschauen kann, ohne zu fluchen.

Erläuterung: zum Giordano-Bruno-Denkmal in Rom siehe oben!


Die bayerischen Kulturkampfhähne. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 44/45. -- 1. Beiblatt. -- 1889-09-29

Es wollen in Bayern
Mit Lärmen und Leiern,
Mit Fluchen und Blaffen
Die Schwarzen, die Pfaffen,
Aufs Neue erwecken
Mit knotigen Stöcken
Den Hader und Urkampf,
Den muntern Kulturkampf.

Auf stand nun ein edler,
Bierredner, Herr Schädler.
Mit Zorn, den er hatte,
Schlug er auf die Platte
Des Tisches; auf spießt' er
Den saftigen Rettich
Und brüllt: "O hätt ich
Doch Kraft, zu beleben
Den Kampf, der soeben,
Uns Träge zu strafen,
Zum Scheine entschlafen.
Denn glaubt mir, er spasst nur,
drum tobt nur und rast nur,
Und macht ein Gekrache,
Auf dass er erwache!"

Laut donnernd aufschlug
Sein steinerner Krug.
Da hob sich ein Dröhnen,
Ein schauriges Tönen,
Sie brüllten und stampften,
Vor Eifer sie dampften,
Man schimpfte, man fluchte,
Und jeder versuchte
Mit Donnern und Poltern
Ins Leben zu foltern,
Mit Stampfen und Rasen
Lebendig zu blasen
Den früheren Hader
Durch sein Gesalbader.
Doch als nun verklungen
Der Lärm, als der Lungen
Begeistrung verraucht war,
Die Stimmkraft verbraucht war,
War, wie sie am Tage
Vorher war, die Lage.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Pädagogische Zwillinge. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 44/45. -- 2. Beiblatt. -- 1889-09-29

Hoffentlich halten die beiden Hälften so zusammen, dass es den Unfriedenstiftern nicht gelingt, sie auseinander zu reißen.

Erläuterungen:

"Im Jahre 1848 war der Allgemeine Deutsche Lehrerverein gegründet worden, der freilich in der Folgezeit in verschiedenen Staaten, darunter auch in Preußen, wieder verboten wurde. 1871 erfolgte eine Neugründung. Neben diesem Deutschen Lehrerverein bildeten sich bald konfessionelle Vereinigungen, die auf eine Spaltung der Lehrerschaft hinzielten. Links versucht Windthorst, den katholischen Lehrer auf seine Seite zu ziehen; rechts ist der Hofprediger Stoecker, ein bekannter orthodoxer Theologe, nicht weniger eifrig bei derselben Arbeit. Seit 1870 machte sich immer stärker die Forderung geltend, dass der Deutschunterricht und die vaterländische Geschichte mehr Raum in der Schule erhalten müssten. Bereits 1882 war eine Umgestaltung des Lehrplans erfolgt, die aber den Bestrebungen der Reformbewegung noch nicht genügte. Man wollte eine »deutschvaterländische« Schule, bei der die deutsche Geschichte und Literatur mehr Raum erhalten sollten auf Kosten der klassischen Philologie. Thomas Mann sprach später in seinen »Betrachtungen eines Unpolitischen« von der »Verpreußung und Enthumanisierung des neudeutschen Gymnasiums«."

[Quelle von Text  und Abb.: Facsimile Querschnitt durch den Kladderadatsch / Eingeleitet von Hans Rothfels. Hrsg. von Liesel Hartenstein. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1965. -- 207 S. : Ill. -- S. 27, 150]

"Lehrervereine und Lehrerversammlungen entstanden in Deutschland zuerst gegen Ende des 18. Jahrh., teils aus innerm Drange des Lehrerstandes, teils durch Einfluss wohlwollender Schulregierungen. Regelmäßig wiederkehrende Versammlungen von Lehrern finden gegenwärtig fast in allen deutschen Ländern und Provinzen sowie fast für alle verschiedenen Zweige des Schulwesens (Gymnasien, Realschulen, Seminare, höhere Mädchenschulen, Volksschulen, Kindergärten etc.) statt. Diese Versammlungen haben, wenngleich sie hier und da der Herrschaft einseitiger Richtungen sich nicht völlig erwehren mochten, im ganzen wesentlich zur wissenschaftlichen und sozialen Hebung des Lehrerstandes und mittelbar zur Verbesserung des Schulwesens beigetragen. Von Lübeck aus wurde 1834 der Verein norddeutscher Schulmänner gegründet. Bedeutenden Ruf und Einfluss gewannen die Jahresversammlungen des 1837 bei dem Jubiläum der Universität Göttingen gegründeten Vereins deutscher Philologen, Schulmänner und Orientalisten (s. Philologenversammlungen; die 48. in Hamburg 1905). Daneben bestehen zahlreiche Vereine und Versammlungen für einzelne Zweige des höhern Schulwesens (Verein deutscher Realschulmänner, Deutscher Gymnasialverein etc.) oder für einzelne Länder und Provinzen. Im J. 1904 hielt der 1903 auf der Philologenversammlung in Halle gegründete Verein deutscher Oberlehrer seine erste Versammlung in Darmstadt ab. - Im Sommer 1848 erging von Dresden aus die Aufforderung an alle deutschen Lehrer und Jugenderzieher zur Bildung eines Allgemeinen deutschen Lehrervereins. Der Verein kam im Herbst 1848 in Eisenach zustande und gewann durch seine Verbreitung und seine feste Gliederung in Landes- und Bezirks vereine anfangs großen Einfluss, beschränkte sich aber von vornherein fast ausschließlich auf die Kreise der Volksschule und verfiel, je mehr mit dem Umsichgreifen der Reaktion ihm die Ungunst der Regierungen entgegentrat. Doch sind die Versammlungen des Vereins, deren Besuchsziffer einigemal bis gegen 5000 stieg, ziemlich regelmäßig abgehalten worden; seit 1876 abwechselnd mit einem Delegiertentag des Deutschen und des Preußischen Landeslehrervereins, bis 1893 die Verschmelzung dieser Vereine zustande kam. 1904 tagte die 40. Lehrerversammlung zu Königsberg i. Pr. Der einflussreiche Verein zählte in 45 Zweigvereinen und rund 3000 Einzelverbänden 1904 gegen 105,000 Mitglieder. Sein Organ ist die »Allgemeine deutsche Lehrerzeitung« (Leipzig). Daneben hat sich inzwischen eine Anzahl ähnlicher Vereine von besonderer Richtung aufgetan, wie z. B. der Verband deutscher evangelischer Schul- und Lehrervereine mit 20 Zweigvereinen, der katholische Lehrerverband des Deutschen Reiches (1889 gegründet, s. unten, Literatur) mit 13 Zweigvereinen und etwa 9600 Mitgliedern (daneben 4800 Ehrenmitgliedern) u. a. - Der Allgemeine deutsche Lehrerinnenverein (Hauptversammlung Bremen 1905) zählte 1904 in 74 in- und ausländischen Zweigvereinen etwa 18,000, der Verein katholischer deutscher Lehrerinnen (1885 gegründet, Sitz in Boppard; Organ die in Paderborn erscheinende »Monatsschrift für katholische Lehrerinnen«, hrsg. von Waldeck) über 8000 Mitglieder. Der Deutsche Verein für das höhere Mädchenschulwesen (begründet 1872) hält alle zwei Jahre Hauptversammlungen (1905 in Erfurt), indem er die zwischenliegenden Jahre den Provinzialvereinen frei lässt. Ebenso fand seit dem Jahre 1873 eine Reihe deutscher Seminarlehrertage statt, an deren Stelle jetzt ein desto regeres Vereinsleben der Seminarlehrer in den einzelnen Ländern und Provinzen getreten ist. Zu den Lehrerversammlungen darf nach der Mehrzahl seiner Besucher auch der Verbandstag der Hilfsschulen Deutschlands gerechnet werden, der zur fünften Tagung 1905 in Bremen zusammentrat. Wesentlich deutschen Charakter tragen auch die europäischen Blindenlehrerkongresse, deren elfter 1904 in Halle a. S. stattfand. - In Österreich ist die Wiener pädagogische Gesellschaft zu nennen, die ein »Jahrbuch« herausgibt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Karolinen"]



Abb.: Ernst Retemeyer: Vom Münchener Oktoberfest: Der Kraftmesser. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 46. -- 1. Beiblatt. -- 1889-10-01

Erläuterung: Bezieht sich auf die Münchener Katholikenversammlung, eine der vielen Katholikenversammlungen, die in diesem Jahr stattfanden.


Kleiner Briefkasten >Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 51. -- S. 202. -- 1889-11-10

Deutsche Dichterin in S. Ihr "Trutzlied eines Mädchens" schließt mit der Strophe:

"Und wollt um mich werben
Der Papst, es ließe mich kalt.
Als Jungfrau will ich sterben,
Auch ist er doch reichlich alt."

Sie vergessen, dass Päpste noch weniger ans Heiraten denken als Sie selbst.


Aus der vierten Dimension1. Spiritistenlieder. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 52/53. -- S. 207. -- 1889-11-17

1. Kommt ein Teebrett geflogen

Kommt ein Teebrett geflogen,
Ritzt am Ohr mir 'nen Strich;
Es ist eben ein Teebrett
Hat nichts weiter auf sich.

Liebes Teebrett, flieg weiter,
Und erhör meine Bitt:
Kommst du nächstes Mal wieder,
Bring ein Fleischgericht mit!

Melodie: Kommt ein Vogerl geflogen.

KLicken, um Melodie zu hören

Quelle der mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/KommtEin.html. -- Zugriff am 2008-08-27. -- gemeinfrei für nichtkommerzielle Nutzung

2. In der Dämmerung.

Jüngst saß ich Abends still am Strom
(Er lockte nicht zum Bade),
Da zwickte mein verstorbner Ohm
Mich in die linke Wade.

Zum Freisinn schwur er unentwegt
Bei jeder Wahlbewegung;
Noch jetzo hatte sich nicht gelegt,
So schien es, die Erregung.

Ei lieber Onkel, sei gegrüßt
In meiner linken Wade,
Dass du so früh verschieden bist,
Das ist doch wirklich schade.

Da flüstert' es im Schilf so bang,
Es rauschte der Strom so traurig,
Und fernher aus der Luft erklang
Des Oheims Stimme schaurig:

"Das Wütten hat der Reaktion
Mir ganz das Herz zerspalten,
Nur in der vierten Dimension
Ist's jetzt noch auszuhalten."

3. Spiritistenliebe.

Holder Engel, süßes Scheusal, wolltest Du mein Flehn erhören,
In der angenehmsten Weise wollt' ich deine Ruhe stören.
Intressante Geister sollten dir auf Schritt und Tritt begegnen,
Unvermutet aus den Lüften ließ' ich Veilchensträuße regnen.
Abends sollten ein dich lullen, legtest du zum Schlaf dich nieder
Schöne vierdimensionale selbstgebackne Liebeslieder.
Hätte jemand im Theater deinen Blick auf sich gezogen,
Käme gleich ein Operngucker durch die Luft dahergeflogen.
Salz und Pfeffer, Zwirn und Nadeln, Öl und Essig, Schnur und Band,
Alles, wenn du es nur wünschtest, wäre sogleich dir zur Hand.
Schließlich trät in die Erscheinung selbst ich strahlenden Gesichts,
Aber ach, du bist kein Medium, und so hilft das alles nichts.

4. Die vergnügten Waschfässer.

Und wir Waschfässer sind lustig
Und wir Waschfässer sind froh,
Wir hüpfen, wir springen
Und tanzen nur so.

Mit dem Plättbrett im Keller
Spielen munter wir Zeck,
Wir sind eben spiritistisch,
Weiter hat's keinen Zweck.

5. Das unzuverlässige Medium.

Erhoben war das Eintrittsgeld,
Das Spuken sollte beginnen,
Hilf Gott, wo blieb das Medium denn?
Das Medium schwand von hinnen.

Im Keller suchte man schließlich nach
Und fand den Weinschrank offen,
Das Medium aber lag davor
Und war total be -- -- täubt.

6. Nächtlicher Spuk.

Ich kam in der Nacht wohl spät nach Haus, ich trank so manchen Ganzen,
Da fing mein neues Meublement vor Freude an zu tanzen.
Die Stühle drehten sich im Kreis und waren ganz entzückt,
Auch Sofa, Tisch und Spiegelspind erschienen mir verrückt.
Der Kleiderhaken an der Wand bewegte sich hin und wider,
Denn als ich meinen Paletot dran aufhing, fiel er nieder.
Die schwedsche Streichholzschachtel sprang herum auf allen Tischen,
Ich rannte keuchend hinterdrein und konnt sie nicht erwischen.
Besonders aber wollte mich der Stiefelknecht heut necken,
Er hielt sich unterm Bett versteckt, ich konnt ihn nicht entdecken.
dies hab ich -- auf mein Ehrenwort, erlebt heut Nacht um zwölfen --
Wer nun noch nicht ans Spuken glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen.

7. August mit der kalten Hand.

Um den Tisch unverrückt zur Gespensterstunde
Sitzen sie bleich, gespannt, harrend in der Runde.
Dumpf das Zimmer, schwer die Luft,
Leere Flaschen, Cognacduft!
Aus der vierten Dimension kam noch keine Kunde.

Plötzlich blitzt in Meiers Aug schauderndes Entzücken,
Und auf einmal fängt der Tisch merklich an zu rücken.
Neumann ruft "Was beißt mich da?"
Ist denn noch kein Jeist nich da,
Unser langes, heißes Mühn mit dem Kranz zu schmücken?

Ha, da spüren sie im Hirn geisterhaftes Tippen,
Mächtig pocht das Männerherz an die kurzen Rippen.
"Ha, was kreucht dort an der Wand?
August mit der kalten Hand!"
Bebts im Kreise ringsumher nun von allen Lippen.

August mit der kalten Hand zur Gespensterstunde
Macht im Spiritistenkreis schauerlich die Runde.
Diesen kneift er. jenen beißt,
Andre kitzelt gar der Geist,
Bringend aus dem Jenseits so schauerliche Kunde.

8. Ein Abtrünniger.

Seht ihr den Greis dort mit den welken Zügen
Und spiritistischer Vergangenheit?
Die Geister, scheint es, sagten ihm nur Lügen,
Sein Spiritismus ward ihm ziemlich leid.
Er kann sein Wesen zwar nicht ganz verleugnen,
Ob's auch von Zweifeln sehr durchfressen ist,
So ist er leider nur noch zu bezeichnen
Als ein denaturierter Spiritist.

Erläuterung:

1 vierte Dimension: der Astronom und Physiker Johann Karl Friedrich (1834 - 1882), ein Verfechter einer vierten Raumdimension, erklärte in einer Veröffentlichung die Taten des Mediums Henry Slade, mit dem er experimentierte, durch das Wirken von Geistern, die in der vierten Dimension agieren.


Spiritistenlieder der Kreuzzeitung1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 52/53. -- 1. Beiblatt. -- 1889-11-17

I.

Glaube treulich, du lieber Christ,
Wie du im Glauben erzogen bist,
Aber glaube daneben
Auch an Geister, das macht Pläsir,
Ist gar zu trocken die Lehre dir,
Welche die Bibel gegeben.

Geister wandeln wohl hier und dort,
Egbert Müller2 kennt sie sofort;
Sie besuchen ihn traulich.
Doch sie plagen die Bösen sehr,
Vom Kartell3 die Brüder noch mehr
Und erschrecken sie graulich.

Hallelujah! ein Schinkenbein
Scheint ein wohnlicher Platz zu sein,
Wer kann's Geistern verwehren?
Hallelujah! Die Pfanne dort
Ist wohl gleichfalls ein rechter Ort,
Vorzuziehen den Sphären.

Hallelujah! Welch lieblicher Ton!
In dem Tische der Redaktion
Hör ich klopfen die Geister:
Gerlach4 kommt und der selige Stahl5
Zu Besuch schon wieder einmal.
Seid willkommen ihr Meister!

II.

Ich denke was und weiß nicht was,
Vielleicht einen Leitartikel,
Und ehe ich's begreife dass,
Hat mich ein Geist beim Wickel.
Beglückt von diesem will ich dreist
Mich in dem Glauben stärken
Und schreibe inspiriert vom Geist,
Doch keiner darf es merken.

III.

So haben wir den Grund gefunden,
Der uns den Leserkreis erhält;
Mit Muckertum6 wird jetzt verbunden
Ein Spiritus, der euch gefällt.

Zu abgelebt ist ohne Zweifel
Der alte Ton des alten Blatts,
Drum gönnen gerne wir dem Teufel
In unsern Spalten einen Platz.

Und aus der Bibel wir beweisen,
Dass Geister weben nah und fern.
Dann werden uns die Leser preisen
Als gläubig und doch als modern.

Erläuterungen:

1 Kreuzzeitung

"Neue Preußische Zeitung (gewöhnlich nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), zweimal täglich in Berlin erscheinende politische Zeitung, das Organ der evangelischen Hochkonservativen. Sie wurde 1848 gegründet und bis 1853 von dem spätern Geheimen Oberregierungsrat Herm. Wagener redigiert, dem Beutner (bis 1872), Ph. v. Nathusius-Ludom (bis 1876), Oberregierungsrat v. Niebelschütz (bis 1881), Freiherr v. Hammerstein (s. d. 2), nach dessen Suspension im Juli 1895 Professor Kropatscheck (s. d.) und 1906 J. Hermes folgten. Seit 1899 gehört sie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer der Rittergutsbesitzer Otto v. Rohr in Dannenwalde ist."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Egbert Müller: Jurist, langjähriger Spiritist, Ehrenmitglied der Spiritistischen Loge »Psyche zur Wahrheit«, konvertierte 1897 zum Katholizismus und hielt dann den Spiritismus für das Spiel dämonischer Mächte.

3 Kartell: Bündnis, das die Deutschkonservativen, die Reichspartei und die Nationalliberalen nach der Auflösung des Reichstags wegen Ablehnung des Septennats (14. Jan. 1887) für die Neuwahlen schlossen.

4 Ernst Ludwig Gerlach (1795 - 1877)

"Gerlach, Ernst Ludwig (1795-1877), Bruder von Gerlach, Leopold von, hatte den Befreiungskrieg als Freiwilliger mit Auszeichnung und mehrmals verwundet mitgemacht und nach dem Studium der Rechte die juristische Beamtenlaufbahn eingeschlagen, die ihn bis zum Präsidenten des Oberlandesgerichts in Magdeburg führte. Geistig und religiös ist seine Entwicklung ähnlich wie die seines Bruders; doch ist er in der Begegnung mit der pietistischen Erweckung tiefer in die religiösen Fragestellungen eingedrungen, wobei der Einfluss seines Schwagers A. v. Thadden-Trieglaff nicht zu übersehen ist. Dennoch hat er sich im Laufe der Zeit einem streng hierarchischen, orthodoxen Kirchenbegriff zugewandt, ohne dabei an innerer, persönlicher Frömmigkeit zu verlieren. Dieser entsprach wiederum ein bestimmtes konservatives, antiliberales politisches Denken, dessen der organisch-ständischen Staatsphilosophie der Romantik entnommene Leitbilder mit den Weisungen der hl. Schrift übereinstimmen sollten. Mit Fr. J. Stahl vertrat E. L. Gerlach die Forderung eines christlichen Staats, der »Reich und Staat aus Gottes Schöpfung und Geboten« sein sollte. So gehörte auch er zur engsten Umgebung Friedrich Wilhelms IV. und 1848 zu den Revolutionsgegnern. Er war Mitbegründer der Konservativen Partei und der Kreuzzeitung, an der er bis 1866 ständig mitgearbeitet hat. Mit seinem Bruder L. hat er auf den König eingewirkt, die vom Frankfurter Parlament angebotene Kaiserkrone abzulehnen. Auf dem Wittenberger Kirchentag 1848 forderte er mit Hengstenberg einen Bußtag zur Sühne für das ungehorsame Volk und eine offizielle Erklärung gegen die Revolution. Sein ursprünglich enges Verhältnis zu Bismarck kühlte sich immer mehr ab. Dessen Annexionspolitik hielt er die 10 Gebote entgegen, wie er auch Friedrichs II. Eroberungen mit einer Persiflage des preußischen Wahlspruchs »Suum cuique rapere« verurteilt hat. Völlig zum Bruch mit Bismarck kam es im Kulturkampf. Gerlach mußte sein Amt aufgeben und trat als Hospitant zum Zentrum über. Er starb an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Die religiöse und politische Tragik des doktrinär-konservativen Denkens des Altpreußentums ist an seiner Person besonders sichtbar geworden."

[Quelle: Karl Kupisch <1903 - 1982>. -- In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG3). -- Bd. 2. -- 1958. -- Sp 1430 ff.]

5 Friedrich Julius Stahl (1802 - 1861)

"Stahl, Friedrich Julius, hervorragender Schriftsteller im Fache des Staatsrechts und Kammerredner, geb. 16. Jan. 1802 in München von jüdischen Eltern, gest. 10. Aug. 1861 in Brückenau, trat 1819 in Erlangen zur protestantischen Kirche über und habilitierte sich im Herbst 1827 als Jurist in München. In demselben Jahr erschien seine erste größere Schrift: »Über das ältere römische Klagenrecht« (Münch. 1827). Von Schelling angeregt, schrieb er: »Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht« (Heidelb. 1830–1837, 2 Bde. in 3 Abtlgn.; 5. Aufl. 1878), sein wissenschaftliches Hauptwerk, das trotz großer Mängel epochemachend für die Geschichte der Staatswissenschaft ist. S. trat darin der naturrechtlichen Lehre schroff entgegen und begründete seine Rechts- und Staatslehre »auf der Grundlage christlicher Weltanschauung«. 1832 ward S. zum außerordentlichen Professor in Erlangen, im November zum ordentlichen Professor für Rechtsphilosophie, Pandekten und bayrisches Landrecht in Würzburg ernannt. Später kehrte er nach Erlangen zurück und lehrte hier Kirchenrecht, Staatsrecht und Rechtsphilosophie. 1840 als Professor der Rechtsphilosophie, des Staatsrechts und Kirchenrechts nach Berlin berufen, 1849 von König Friedrich Wilhelm IV., der ihm seine Gunst zuwandte, zum lebenslänglichen Mitgliede der damaligen Ersten Kammer, des spätern Herrenhauses, ernannt, wurde S. hier und 1850 im Erfurter Parlament, dem er angehörte, der Hauptwortführer der Reaktion. Auch auf kirchlichem Gebiete benutzte er seine Stellung als Mitglied des evangelischen Oberkirchenrats (1852–58) zur Lockerung der Union, zur Stärkung des lutherischen Konfessionalismus und zur Erneuerung der Herrschaft der orthodoxen Geistlichkeit über die Laienwelt. Der politische Umschwung infolge der Erhebung des Prinz-Regenten und der Sturz des Ministeriums Manteuffel brachen auch Stahls Herrschaft im Oberkirchenrat und veranlassten 1858 seinen Austritt aus dieser Behörde. Von seinen Schriften sind noch hervorzuheben: »Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten« (Erlang. 1840, 2. Aufl. 1862); »Über Kirchenzucht« (Berl. 1845, 2. Aufl. 1858); »Das monarchische Prinzip« (Heidelb. 1845); »Der christliche Staat« (Berl. 1847, 2. Aufl. 1858); »Die Revolution und die konstitutionelle Monarchie« (das. 1848, 2. Aufl. 1849); »Was ist Revolution?« (1.–3. Aufl., das. 1852); »Der Protestantismus als politisches Prinzip« (das. 1853, 3. Aufl. 1854); »Die katholischen Widerlegungen« (Berl. 1854); »Wider Bunsen« (gegen dessen »Zeichen der Zeit«, 1.–3. Aufl., das. 1856); »Die lutherische Kirche und die Union« (das. 1859, 2. Aufl. 1860). Nach seinem Tod erschienen: »Siebenzehn parlamentarische Reden« (Berl. 1862) und »Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche« (2. Aufl., das. 1868). Vgl. die anonyme Schrift »Pernice, Savigny, S.« (Berl. 1862)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

6 Mucker: Frömmler, Sektierer, Scheinheiliger; Heimtücker. Im frühen 18. Jh. aufgekommen, anfangs als Spottwort auf die Pietisten.



Abb.: Franz Jüttner <1865 - 1926>: Katholik und Protestant. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 55. -- S. 220. -- 1889-12-01

Ein Berliner Kulturbild aus dem neunzehnten Jahrhundert.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Selbstessen macht fett.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 57. -- S. 228. -- 1889-12-15

Von den fetten Erträgen der italienischen frommen Stiftungen mästen sich die Pfaffen uns speisen die Armen und Kranken, denen dieselben eigentlich zukommen, mit kärglichen Brocken ab. Hoffentlich gelingt es Crispi1, die fetten Bissen in die rechten Kehlen zu bringen.

Erläuterung:

1 Crispi:

"Crispi, Francesco, ital. Staatsmann, geb. 4. Okt. 1819 in Ribera auf Sizilien, gest. 11. Aug. 1901 in Palermo, studierte die Rechte, ließ sich in Neapel als Advokat nieder, nahm im Januar 1848 an dem Aufstand in Palermo Anteil und war 1849 Deputierter und Abteilungschef im Kriegsministerium der revolutionären Regierung. Nach deren Niederlage flüchtete Crispi nach Piemont und, 1853 von dort ausgewiesen, nach England, wo er mit Mazzini in Verbindung trat. 1859 nach Italien zurückgekehrt, organisierte er mit Garibaldi die Expedition nach Sizilien, an der er teilnahm. 1861 ward er zum Mitgliede des italienischen Parlaments gewählt, in dem er Führer der monarchischen Linken wurde; als Organ dieser Partei diente die 1865 von Crispi begründete »Riforma«. Nach dem Sturz der Consorteria (18. März 1876) ward er zum Präsidenten der Kammer gewählt. Als Crispis Rival Nicotera, der durch sein Einschreiten in Sizilien die Süditaliener verletzt hatte, 16. Dez. 1877 gestürzt worden, ward Crispi zum Minister des Innern ernannt; jedoch seine Gegner denunzierten ihn im Februar 1878 wegen Bigamie, und wenn Crispi auch vor Gericht freigesprochen wurde, weil seine erste Ehe eines Formfehlers wegen ungültig war, so blieb doch sein moralisches Verschulden so unzweifelhaft, dass er im März 1878 seine Entlassung nehmen musste. Erst im April 1887 wurde Crispi, der nichtsdestoweniger großen Einfluss im Parlament behauptet hatte, wiederum als Minister des Innern in das Kabinett Depretis aufgenommen und nach Depretis' Tode 29. Juli zum Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen ernannt, in dem er daneben auch das Innere behielt. Er suchte nun das Bündnis Italiens mit Deutschland und Österreich noch enger zu knüpfen, indem er Bismarck wiederholt in Friedrichsruh besuchte und auch mit Kalnoky 1888 in Karlsbad eine Zusammenkunft hatte; 1889 begleitete er den König Humbert nach Berlin, wo er sehr gefeiert wurde. Dagegen brach er die Verhandlungen mit Frankreich über einen Handelsvertrag ab. Er wurde deswegen von seinen frühern Gesinnungsgenossen, den zu Frankreich neigenden Radikalen, und von der französischen Presse aufs heftigste angegriffen, und 13. Sept. 1889 ward in Neapel ein Attentat (Steinwurf) auf ihn verübt. Seine Politik wurde jedoch von der Mehrheit des Volkes gebilligt, zumal der Dreibund den Frieden sicherte und der mit König Menelik von Abessinien geschlossene Vertrag vom Mai 1889 auch die italienische Kolonialpolitik ihrer schwersten Sorgen enthob. So schien der Regierung Crispis eine lange Dauer gesichert, und die Neuwahlen vom Oktober 1890 verschafften ihm eine überwältigende Majorität in der Kammer. Als Crispi nun aber, um die Staatsfinanzen zu ordnen, Vereinfachungen in der Verwaltung und neue Abgaben vorschlug, vereinigte sich die Rechte mit einem großen Teil der Linken gegen ihn; Crispi blieb 31. Jan. 1891 in der Minderheit und gab seine Entlassung. Er nahm nun seine Advokatur in Rom wieder auf, behauptete aber seinen Einfluss in der Kammer, hatte schon im Mai 1892 an dem Sturz des Ministeriums Rudini Anteil und übernahm nach dem Rücktritt Giolittis im November 1893 wieder die Bildung eines Ministeriums. Als Minister des Innern schritt er gegen die anarchistischen Umtriebe ein und unternahm eine Reform der Finanzen, wurde aber durch die Niederlage der Italiener bei Adua in Abessinien (1. März 1896), infolge deren die von ihm begünstigte Eroberungspolitik scheiterte, zum Rücktritt genötigt. Bei den Neuwahlen im März 1897 wurde seine Partei geschlagen; Crispi selbst wurde angeklagt, dass er als Minister von dem Direktor der Filiale der neapolitischen Bank in Bologna, Favilla, geborgte Gelder in unrechtmäßiger Weise verwendet habe. Auf Antrag eines zur Untersuchung dieser Beschuldigung niedergesetzten Ausschusses beschloss die Kammer 24. März 1898 zwar von einem gerichtlichen Verfahren gegen Crispi abzusehen, aber einen politischen Tadel gegen seine Handlungsweise auszusprechen. Darauf legte Crispi sein Mandat als Deputierter nieder. wurde aber mit großer Majorität wieder gewählt; seine Popularität in Sizilien hatte auch durch diese Vorfälle nicht gelitten und trat bei der Feier seines 80. Geburtstages im Oktober 1899 aufs neue zutage. Eine Sammlung seiner »Scritti e discorsi politici« erschien 1890 in Rom (2. Aufl. 1903)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Die Duldsamen.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 42, Nr. 58. -- S. 231. -- 1889-12-22

Sprach im Reichstag Dr. Windthorst:
"Duldung und Gewissensfreiheit
Ist bei uns nur noch zu finden.
Möchte sich daran ein Beispiel
Nehmen doch Herr Stöcker auch!"
Und es sprach der edle Stöcker:
"Der verehrte Redner irrt sich.
Knechtet Rom nicht die Gewissen
Heut noch wie vor tausend Jahren?
Nennt es uns nicht stets noch Ketzer?
Frei und offen hier erklär ich:
Duldung und Gewissensfreiheit
Findet man nur noch bei uns!" --
Still in Andacht saß der Reichstag,
Lauschend, wie sich Topf und Kessel
Gegenseitig rußig schalten.


1890



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Wes Brot du issest, des Lied sollst du pfeifen.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 2. -- S. 8. -- 1890-01-12

Nach getaner Arbeit ist gut ruhen, dachten die französischen Geistlichen -- -- -- da kam der Minister Thévenet1 und entzog ihnen das Gehalt.

Erläuterung:

1 François Thévenet (1845 - d. 1910), Kultusminister 1890 - 1892



Abb.: Ernst Retemeyer: Feldzug wider das Kartell1.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 6. -- 1. Beiblatt. -- 1890-02-09

Erläuterung:

1 Kartell: Bündnis, das die Deutschkonservativen, die Reichspartei und die Nationalliberalen nach der Auflösung des Reichstags wegen Ablehnung des Septennats (14. Jan. 1887) für die Neuwahlen schlossen.



 Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Bakteriologie. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 6. -- S. 24. -- 1890-02-09Abb.: Bakteriologie.

Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung des Unterschieds zwischen Jesuiten und Redemptoristen1.

Erläuterung:

1 Redemptoristen

Redemptoristen (lat., Kongregation des allerheiligsten Erlösers, Congregatio Sanctissimi Redemptoris, abgekürzt C. SS. R.), von Alfons Maria von Liguori (s. d.; daher Liguorianer) 1732 zu Neapel gestiftete und 1749 von Benedikt XIV. bestätigte Kongregation, die sich die Belebung römischkatholischer Religiosität besonders in den ländlichen Volksschichten durch Missionen und geistliche Exerzitien zum Ziele steckte.

Ihre Ausbreitung nach Polen, Österreich und andern Ländern verdankten die Redemptoristen Klemens Maria Hoffbauer (s. d.). Aus Deutschland wurden sie 1873 als Affiliierte des Jesuitenordens ausgewiesen, 1894 aber wieder zugelassen. 1906 zählten die Redemptoristen in 17 Provinzen und 12 Vizeprovinzen 192 Niederlassungen mit 3580 Mitgliedern, darunter 1757 Priester;. Vgl. L. K. Goetz, Redemptoristen und Protestanten (Gießen 1899) und die bei Artikel »Liguori« angeführte Literatur."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Die Bekehrungskonzerte. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 6. -- S. 25. -- 1890-02-09

Melodie: "Was blasen die Trompeten."

Was hör ich betend plärren die Straßen entlang,
Dazu vom Tingeltangel ein höchst gemischter Klang?
Der Fransson und der Olsson die werden nicht matt,
Berlin zu bekehren, die sündige Stadt.
Un Juchheirassassah und die Heilsarmee1 ist da,
Mit schönen neuen Liedern, Hallelujah!

Dort  ist#s viel amüsanter als beim Geheimrathötee,
In fünf verschiednen Sprachen wird man bekehrt, juchhe!
Dort schaut man das Mysterium in überirdschem Glanz,
und in den Zwischenpausen da gibt's Musik und Tanz,
Un Juchheirassassah und die Heilsarmee ist da,
Entree beträgt zehn Pfennig, Hallelujah.

KLicken, um Melodie zu hören

Quelle der mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/WasBlase.html. -- Zugriff am 2008-08-28. -- gemeinfrei für nichtkommerzielle Nutzung.

Erläuterung:

1 Heilsarmee

"Heilsarmee (engl. Salvation Army), eine aus dem wesleyanischen Methodisten hervorgegangene Sekte in England, 1865 von William Booth (s. d. 2) gegründet und 1878 unter ihrem jetzigen Namen militärisch organisiert. Booth selbst ernannte sich zum General, unter ihm ein Generalstab und Offiziere männlichen und weiblichen Geschlechts (1903: 15,389), zu denen freiwillige Beamte (Lokaloffiziere, 1903: 60,000) hinzutraten. Das internationale Hauptquartier ist in London (101 Queen Victoria Street). Die Sekte zählt bei einem Jahreseinkommen von ca. 1 Mill. Pfd. Sterl., erworben durch Kollekten und industrielle Unternehmungen (Warenhäuser, Heilsarmeeseife u. a.), gegenwärtig über 2 Mill. Seelen in 4390 über 49 Länder verbreiteten Stationen. Sie bekämpft die bestehenden Kirchen als unfähig, das geistige und leibliche Wohl besonders der Armen zu fördern, und sucht ihre Ziele einerseits durch öffentliche gottesdienstliche Versammlungen (1903: 2½ Mill.) mit Gesang, Musikvorträgen (1903: 16,000 Musikanten) und Predigt, sowohl in Theatern und andern Lokalen, als auf der Straße, anderseits durch Gründung von Wohltätigkeitsanstalten, Arbeitsstätten, Rettungsheimen etc. (1903: 700) zu erreichen. Die Heilsarmee gibt 45 Zeitschriften heraus, von denen 1903 wöchentlich rund 1 Mill. Exemplare abgesetzt wurden; die bekannteste Zeitschrift ist der »War-cry« (in Deutschland »Kriegsruf«). Die Mitglieder verschmähen geistige Getränke, leben einfach, meiden weltliche Lektüre und Vergnügungen und widmen sich namentlich der Pflege der Armen und Verwahrlosten. Ihr öffentliches Auftreten ist herausfordernd, unter Benutzung aller denkbaren Reklame, und erregt dadurch nicht selten, namentlich auf dem Festland, Ärgernis, so dass hier und da, besonders in der Schweiz, auch die Behörden einschritten. In Deutschland hat die Heilsarmee seit 1886 namentlich in Berlin, Pommern, der Rheinprovinz und Württemberg Fuß gefasst. Das deutsche Hauptquartier ist in Berlin SW., Blücherplatz 1 (Kommandeur: W. Oliphant); Zahl der deutschen Korps 1903: 132 (davon 20 in Berlin) mit 350 Offizieren, 650 Lokaloffizieren, 11 Wohltätigkeitsanstalten. 1896 hat sich die Heilsarmee in Amerika, geleitet von Booths Sohn Ballington Booth, als »Volunteers of America« verselbständigt, die als »Freiwilligenmission« auch in Deutschland (z. B. Frankfurt a. M.) Propaganda zu treiben scheinen. Vgl. W. Booth, Doctrines and discipline of the Salvation Army (Lond., oft aufgelegt) und Orders and regulations of the Salvation Army (das.); Kolde, Die Heilsarmee nach eigner Anschauung und nach ihren Schriften (2. Aufl., Leipz. 1899)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Zulassung der Orden in Deutsch-Ostafrika. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 8. -- S. 32. -- 1890-02-23

Fort mit Schaden!

Erläuterung: Das Zentrum setzte bei der Etatsberatung über die Kolonien durch, dass in den deutschen Kolonien geistliche Orden und Kongregationen, die in Deutschland verboten waren, zugelassen werden.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Zierleiste. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 13. -- S. 50. -- 1890-03-23



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die neue Bavaria in München. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 13. -- S. 52. -- 1890-03-23



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Wird Abraham-Lutz1 nicht schließlich doch seinen Sohn Isaak opfern müssen? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 16. -- S. 64. -- 1890-04-06

Erläuterung: Anspielung auf Genesis 22 (Abrahams Opfer).

1 Johann Freiherr von Lutz (1826 - 1890): bayrischer Kultusminister 1867 - 1890

"Lutz, Johann, Freiherr von, bayr. Staatsminister, geb. 4. Dez. 1826 zu Münnerstadt in Unterfranken, gest. 3. Sept. 1890 in Pöcking am Starnberger See, Sohn eines Lehrers, studierte 1843–48 in Würzburg die Rechte, wurde 1852 Rechtskonzipient und 1854 Richter beim Kreis- und Stadtgericht in Nürnberg. 1857 war er Protokollführer der in Nürnberg tagenden Konferenz für Bearbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuchs, begleitete sie auch nach Hamburg zur Bearbeitung des Seerechts und gab 1861 die Konferenzprotokolle der Handels- und Seerechtskonferenz und einen Kommentar zu dem bayrischen Einführungsgesetz für das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch (Würzb. 1863–66) heraus. Nach seiner Rückkehr nach Bayern als Hilfsarbeiter in das Justizministerium berufen, ward er 1863 Sekretär im Privatkabinett des Königs Max und unter Ludwig II. im Dezember 1866 Chef des Kabinetts. Aber schon 1. Okt. 1867 übernahm L. das Portefeuille der Justiz im Ministerium Hohenlohe, führte unter großen Schwierigkeiten einen neuen Zivilprozeß in Bayern ein und übernahm 20. Dez. 1867 auch das Ministerium des Kultus. Hervorragend an den Verhandlungen über die Begründung des Deutschen Reichs, erst in München, dann in Versailles, beteiligt, verteidigte er den Vertrag vom 23. Nov. 1870 im Dezember 1870 und Januar 1871 vor den bayrischen Kammern. Bei der Neubildung des Ministeriums im August 1871 gab L. die Justiz ab, behielt aber im neuen Kabinett Hegnenberg-Dux das bei dem beginnenden kirchlichen Kampf besonders wichtige Ministerium des Kultus. Zur Abwehr der ultramontanen Herrschaftsgelüste veranlaßte er im November 1871 den Beschluß des sogen. ð Kanzelparagraphen (s. d.) durch Bundesrat u. Reichstag, der die politischen Ausschreitungen des Klerus im Zaume halten soll. Auch in Bayern selbst trat er der anmaßenden Forderung der Bischöfe, dass die Regierung den Altkatholizismus unterdrücken solle, entgegen, wenngleich die Altkatholiken selbst von seinem durch Rücksichten beschränkten Verhalten nicht zufriedengestellt wurden. Durch die Besetzung der erledigten Bistümer mit gemäßigten, friedliebenden Männern suchte L. den klerikalen Hetzereien ein Ende zu machen, zog sich aber dadurch den Haß der extremen Ultramontanen zu, die ihn im Landtag heftig angriffen und wiederholt vom König seine Entlassung forderten. Der König lehnte dies nicht nur ab, sondern ernannte ihn auch 1880 nach Pfretzschners Rücktritt zum Präsidenten des Ministeriums und versetzte ihn 1884 in den erblichen Freiherrenstand. Auch nach der Entsetzung Ludwigs II. unter dem Regenten Prinz Luitpold blieb L. im Amt und wurde 1886 Mitglied der Reichsratskammer. Erst 21. Mai 1890 nahm er wegen Kränklichkeit seine Entlassung und starb bald darauf."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Zum Katholikentag. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 22. -- S. 87. -- 1890-05-18

Zu wallen gedachten nach Bayern
Die Schwarzen im deutschen Land
Und frohe Tage  zu feiern
Am schönen Isarstrand.

Sie wollten große Taten
Vollbringen mit frischem Mut,
Im Hofbräu, Pschorr und Spaten
Da tagt es sich gar gut.

Da sprach ganz unumwunden
Der Prinz-Regent: "Ihr Herrn,
Ich wär euch sehr verbunden,
Bliebt meinem Sitz ihr fern."

O Prinz, ich muss doch sagen:
Das war nicht hübsch von dir!
Was hilft den Frommen das Tagen
Wohl ohne das gute Bier?


Sonntagsfeier in Berlin. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 23. -- 1. Beiblatt. -- 1890-05-25

Wenn nach dem Gotteshaus
Den Schritt der Gläubge lenkt,
So wird kein Tropfen Bier
Im Freien mehr geschenkt.

Zum Zechen würde leicht
Der Fromme auch verlockt,
Säh er, wie beim Getränk
Die Schar der Sünder hockt.

Es zeigt noch milde sich
Die hohe Polizei,
Denn drinnen im Lokal
Gibt sie das Trinken frei.

Erwäge das, o Mensch,
Im dankbaren Gemüt!
Trink drinnen treu und brav,
Auch wenn dich niemand sieht.


Die unheilige Galatee. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 23. -- S. 93. -- 1890-05-25

Die Eugensplatte1 bei Stuttgart verschönt
Ein Brunnen, der Monumental:
Die erzene Nymphe, die ihn krönt,
Bereitet den Frommen Qual.

Sie können sonst schon der Natur
Ins Angesicht nicht schaun,
Doch zeigt sie sich gar von hinten nur,
Erregt es züchtiges Graun.

Da seh ich neulich zwei Mucker2 stehn
Und  ihn betrachten mit Fleiß:
"Hast du ihn gesehn?" "Ich hab ihn gesehn!
Pfui Teufel, welch mächtiger -- Monumentalbrunnen!"

"Ha, schamlos glänzt er wahrlich hinaus
Und gibt den Augen sich preis,
Der Brunnen nämlich, es ist ein Graus,
Wie er kokettiert mit -- der Galatee!"

"Hilf Himmel, Ich nehm in die Hand einen Stein,
Den ganz entrüstet ich schmeiß."
"Halt, Bruder, steck ihn wieder ein!
Denn schade wär's doch um den -- Stein."

So strömen herbei in Scharen dicht
Die frommen muckernden Herrn,
Und der Nymphe ehernes Lächeln spricht:
"Ich zeig ihn euch willig und gern."

Erläuterungen:

1 Monumentalbrunnen mit Wasserstaffel mit dem Erzbild einer Galatea auf der Eugensplatte (Architekt: Otto Rieth) (1890)


Abb.: Galatea vom Galateabrunnen, Stuttgart
[Bildquelle: Wikipedia, public domain]

2 Mucker: Spottname für die Anhänger einer ungesunden und exklusiven Frömmigkeit.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Das Missionsgebiet Afrikas soll nach dem Antrage Stöckers1 unter die Katholiken und Protestanten verteilt werden. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 23. -- 2. Beiblatt. -- 1890-05-25

Erläuterung:

1 Stöcker

"STOECKER, Adolf, evangelischer Theologe und Sozialreformer, * 11.12. 1835 Halberstadt, + 7.2. 1909 Gries b. Bozen, Grab: Friedhof der Dreifaltigkeitskirche, Berlin.-

Der Sohn eines gelernten Schmiedes und Wachtmeisters bei den Halberstadter Kürassieren studierte seit 1853 zunächst in Halle, dann in Berlin Theologie. Noch vor seinem ersten theologischen Examen 1858 nahm St. eine Hauslehrerstelle in der Neumark an; nach dem zweiten Examen arbeitete er in gleicher Tätigkeit seit 1859 für drei Jahre nahe Riga bei dem Grafen Lambsdorff. Dem Oberlehrerexamen 1862 schloss sich eine dreivierteljährige Bildungsreise nach Süddeutschland, die Schweiz und Italien an. Seit 1863 Pfarrer im ländlichen Seggerde (Altmark) übernahm St. 1866 eine Pfarrstelle in der Industriegemeinde Hamersleben (Magdeburger Börde), die er nach heftigen Auseinandersetzungen (Mischehenstreit) 1871 verließ.

Der seit 1867 mit Anna Krüger, der Tochter eines Brandenburger Kommerzienrates verheiratete (die Ehe blieb kinderlos) St. wurde aufgrund patriotischer Artikel in der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung, für die er seit 1863 Beiträge lieferte, 1871 als Divisionspfarrer in das lothringische Metz berufen. Sein Engagement beim Aufbau der deutschen evangelischen Gemeinde trug nicht unmaßgeblich dazu bei, dass er 1874 die Stelle des vierten (1880: 3., 1883: 2.) Hof- und Dompredigers in Berlin erhielt.

Von Beginn an volksmissionarisch tätig, übernahm St. 1877 die Leitung der 1874 gegründeten Berliner Stadtmission und initiierte im selben Jahr zusammen mit dem Nationalökonomen Adolph Wagner und dem Pfarrer Rudolf Todt den programmatischen Central-Verein für Socialreform auf religiöser und konstitutionell-monarchischer Grundlage. Als politische Plattform seiner christlich-sozialreformerischen, anti-sozialdemokratischen Weltanschauung rief St. am 3.1. 1878 in der sogenannten Eiskeller-Versammlung zur Gründung einer Christlich-sozialen Arbeiterpartei (st. 1881 Christlich-soziale Partei) auf, die jedoch bei den Reichstagswahlen im Juli 1878 chancenlos blieb. Trotz der Gegnerschaft Bismarcks setzte St. seine politische Tätigkeit fort, wandte sich nun aber verstärkt einer konservativ-mittelständischen Politik und dem Kleinbürgertum zu »als der sozialen Basis für seinen Kampf gegen sozialrevolutionären Umsturz und dem Abfall vom christlichen Glauben« (K.E. Pollmann).

Seit 1879 ist St.s politisches Wirken von einer konsequenten antisemitischen Agitation durchdrungen, die ihren Ursprung in St.s Kampf gegen Liberalismus, Kapitalismus und Sozialismus hat. Obgleich er sich vom Rassenantisemitismus distanzierte, ist seine Agitationssprache nicht frei von rassistisch-antisemitischen Diffamierungen, und St. scheute auch nicht die Kontakte und politischen Bündnisse mit dem Parteiantisemitismus und der Antisemitenliga. Insbesondere trug St. maßgeblich zur Verbreitung des Antisemitismus im Protestantismus und der evangelischen Kirche bei.

Als Mitglied des Preußischen Landtages (1879-1898) und der konservativen Fraktion des Reichstages (1881-1893, 1898-1908) verfocht St. eine sozialkonservative Reformpolitik mit den nicht erreichten Zielen der »politischen Rückgewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter für die Monarchie, die Evangelisierung des ganzen Volkes in allen Ständen und dem Aufbau der Kirche als sozialaktiver Volkskirche« (G. Brakelmann).

Nachdem St. 1890 unter widrigen, z.T. selbstverschuldeten Umständen sein Hofpredigeramt niedergelegt hatte, widmete er sich verstärkt seinem politischen Reichstagsmandat, zudem entwickelte er als Prediger und Volksmissionar eine enorme Wirkung.

Nach der 1890 zusammen mit A. v. Harnack, F. Naumann, E. Troeltsch, O. Baumgarten und M. Rade erfolgten Gründung des Evangelisch-sozialen Kongresses, aus dem er nach Auseinandersetzungen mit der liberalen Mehrheit 1896 austrat, schuf St. als konservatives Konkurrenzunternehmen 1897 die Freie Kirchlich-soziale Konferenz.

Obgleich sein Wirkungskreis seit 1896 zunehmende Einschränkungen erfahren hatte, trug St. trotz seines sozialpolitischen Wirkens aufgrund seiner antisemitischen und antimodernistischen Weltanschauung entscheidend zu der »verhängnisvollen Polarisierung der deutschen Gesellschaft vor und nach dem Ersten Weltkrieg« bei (G. Brakelmann)."

[Quelle: Uwe Puschner. -- http://www.bautz.de/bbkl/s/s4/stoecker_a.shtml. -- Zugriff am 2004-04-16]


Der Corpsbruder aus dem Geisterreich.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 24. -- S. 94. -- 1890-06-01

Nach Dr. Egbert Müller1.

In Berlin war still und unverdrossen
Lange tätig ein Kriminalist,
Dem die hohe Geisterwelt verschlossen
Noch geblieben bis zu dieser Frist.

Aber schändlich ward vor wengen Wochen
Er gestört in seiner stillen Ruh:
Es erschien ein Geist, mit lautem Pochen
Setzte scharf dem alten Herrn er zu.

Flott getrunken hatten und gesungen
Einstmals beide in demselben Corps;
Zu erneuern die Erinnerungen
Nahte jetzt der Geist sich mit Rumor

Er, der einstmals manchen guten Tropfen
Froh geschlürft am schönen Saalestrand,
Mahne nun den Freund durch trocknes Klopfen
An die Burschenzeit, die längst entschwand.

Um zu zeigen dann, dass er auch drüben
Immer noch der flotte Studio blieb,
Ließ die alten Fechterkünste üben
Eifrig er den Freund auf Stoß und Hieb.

Schmählich ward der alte Herr verhauen,
Wie das stets in solchem Fall geschieht,
Weil die Geister ihren Gegner schauen,
Während dieser nichts von ihnen sieht.

Nicht so rüstig ist mehr wie vor Zeiten
Der Jurist, beim Fechten ward ihm schwul:
Zur Erholung ließ der Geist drum reiten
Durch das Zimmer ihn auf einem Stuhl.

Schließlich ließ den Freund er in Höhe
Schweben an des Sitzungstisches Rand,
Klopfte deutlich dann: "Adieu! Ich gehe,
Doch ich komme wieder!" und entschwand.

Stöhnend sank ins Kanapee zurücke
Der Jurist. Jetzt schwebt in Angst und Pein
Immer er, ob nicht der Geist voll Tücke
Wieder zum Besuch sich ladet ein. --

Wünschen werden alle, die dies hören,
Dass das Corps, wenn es noch existiert,
Jenen Geist, der also wagt zu stören
Alte Herren, schleunigst dimittiert3.

Denn verlangen müssen alle Biedern,
Dass ein älterer Kriminalist
Heutgen Tags vor Verbindungsbrüdern
Dieser Sorte völlig sicher ist.

Erläuterungen:

1 Egbert Müller: Jurist, langjähriger Spiritist, Ehrenmitglied der Spiritistischen Loge »Psyche zur Wahrheit«, konvertierte 1897 zum Katholizismus und hielt dann den Spiritismus für das Spiel dämonischer Mächte.

2 Corps: schlagende Studentenverbindung.

3 dimittiert: entlässt



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Kultusminister und Hetzkaplan.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 26. -- S. 104. -- 1890-06-15

Wat den eenen sin Uhl, is den annnern sin Nachtigall.

Erläuterung: im Kulturkampf wurde am 22. April 1875 wurde das sogen. Brotkorbgesetz oder Sperrgesetz erlassen, das die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für Bistümer und Geistliche verfügte. Nach Beendigung des Kulturkampfes stellte sich die Frage der Verwendung dieser eingefrorenen Staatsmittel. Die Sperrgelvorlage wollte, dass die Gelder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt werden. Am 24. Juni 1891 kam das sogen. Sperrgelderverwendungsgesetz zustande, durch das die Rückbezahlung des infolge des Sperrgeldgesetzes angesammelten Betrags von 16,009,333 Mk. an die Geschädigten geregelt wird.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Der heilige Vater könnte sehr wohl auch vom Vatikan einen Ausflug machen, ohne italienisches Gebiet zu berühren.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 32. -- 2. Beiblatt. -- 1890-07-27


Morgenruf.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 36. -- S. 142. -- 1890-08-24

Der Hahn hat gekräht:
Wacht auf ihr Frommen,
Eh es zu spät,
Jesuiten kommen!

Was schlaft ihr so tief?
Bischof Aßmann1 berief
Nach Berlin Jesuiten,
Das lasst ihr euch bieten?'
Weiß die Regierung drum?
Trommelt Alarm: Bumm, bumm!

O schrecken und Graus!
Nach der innern Mission
Streckt Loyolas  Sohn
Die Hände schon aus.
Nach der innern Mission,
Wo in stiller, freudiger Hatz
Man der Juden verstockte Gemüter
Hintreibt zu dem tröstlichen Schatz
Unbegriffner Gnadengüter.
Ach wie entsetzlich, wenn Jesuiten
Jetzt den Juden das Manna bieten!
Wenn sie an die Börse schleichen.
Kinder Abrahams erweichen.
Und dann plötzlich -- wie diabolisch --
ist die ganze Börse katholisch!
Bumm, bumm, bumm!
Der Jesuit geht um.
Wacht auf ihr Frommen,
Die Väter Jesu kommen!

Also riskiert "das Volk" ein Tönchen
So ein kleines Demonstratiönchen,
Weil in den Garten des heiligen Stöcker2
Einbrach der Bock mit frechem Gemecker.
Und nach altem Spruch  nie tapferer ist
Der Hahn als auf dem eignen Mist.

Erläuterungen:

1 Johannes Baptist Aßmann: preußischer Militärbischof

"Johannes Baptist Maria Assmann (* 26. August 1833 in Branitz; † 27. Mai 1903 in Ahrweiler war ein katholischer Priester und Feldpropst (Militärbischof) des preußischen Heeres.

Leben

Assmann besuchte das Gymnasium Leobschütz und studierte zunächst Philosophie und ab 1855 Theologie in Breslau. Er empfing 1860 die Priesterweihe in Olmütz. Ab 1861 war an verschiedenen Garnisonsorten in Preußen Militärseelsorger und in den Kriegen 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich Feldgeistlicher.

1882 wurde er Propst an der Sankt-Hedwigs-Kathedrale, damit ranghöchster katholischer Geistlicher im damaligen Berlin.

Assmann bemühte sich mit Erfolg, die durch den Kulturkampf entstandenen Spannungen des preußischen Staates mit der katholischen Kirche zu verringern. Als die preußische Regierung das Amt des Feldpropstes (Militärbischofs) wieder einführte, wurde Assmann 1888 katholischer Feldpropst der preußischen Armee. Aus diesem Grunde wurde Assmann vorher zum Titularbischof von Philadelphia in Lydien ernannt und am 15. Oktober 1888 in Berlin zum Bischof geweiht.

Als Militärbischof war Assmann bis zu seinem Tode im Jahre 1903 für alle katholischen Soldaten nicht nur in Preußen, sondern auch in den deutschen Kleinstaaten und im Reichsland Elsaß-Lothringen zuständig.

Assmann wurde nach seinem Tod in seiner Heimatstadt Branitz bestattet.

Als Student in Breslau war Assmann Mitglied des Corps Lusatia Breslau. 1882 wurde er aktives Mitglied der Katholischen Studentenverbindung Burgundia (jetzt KStV Askania-Burgundia) im KV in Berlin."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Maria_Assmann. -- Zugriff am 2008-08-29]

2 Adolf Stöcker: siehe oben!


Der Verein für christliche Volksbildung.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 36. -- S. 143. -- 1890-08-24

Das war zu Mühlheim a. d. Ruhr,
Da traten sie zusammen,
Die gehn auf des wahren Heiles Spur
Und schüren der Liebe Flammen.

Und Rocholl1, Rebensburg2, Arndt3 und Hahn4,
Das sind der Hirten Namen,
Die mit Lange5 und Weber6 lobesam
Zum Reden zusammenkamen.

Sie klagten, dass der Glaube verfällt
In allen deutschen Gauen;
Drum wurde die These aufgestellt:
Es wird zu wenig gehauen.

Der Strafgefangne lebt zu gut;
Er darf in luftigen Räumen
Beim Erbsenschmause wohlgemut
Von goldner Freiheit träumen.

Doch man vergaß, wozu Natur
Erschuf das Gesäß der Leute;
Sie haben es nicht zum Sitzen nur,
Unnütz ist das nicht gebläute.

Es naht die Zeit, die man golden nenn,
Die in den Traktätchen beschrieben;
Und fleißig kopiert die der Delinquent,
Sonst wird er gebessert mit Hieben.

Hallelujah, dann nimmt der frohe Chor
Die Exegese der Psalmen
Unter geistlicher Leitung vor
Mit entblätterten Friedenspalmen.

Hallelujah! Wenn dem Redakteur,
Der den Zorn der Frommen gereizt hat,
Der Anstaltsgeistliche -- sacre coeur7 --
Mit Knüppeln das Bad geheizt hat.

So besprechen die Leute vom alten Schlag
Die berühmten 25,
Doch wenn das Christenliebe ist,
Erscheint sie etwas ranzig.

Ob Ochsenziemer8, ob Knutenhieb,
Das wollte man nicht entscheiden.
Sie waren zwar beide allen lieb,
Doch -- was zieht mehr von den beiden?

O heikle Frage! Auch könnte vielleicht
Mal einer daneben sausen,
Ein Gedanke, bei dem die Schar erbleicht;
Es schüttelt sie muckerndes9 Grausen.

Getrost! Ich hab's! Ein Königreich
Für die beste der Prügelmaschinen!
Ich stelle sie euch zur Verfügung gleich,
Ihr könnt sie selber bedienen.

Erläuterungen:

1 Rocholl

2 Rebensburg

3 Arndt

4 Hahn

5 Lange

6 Weber

7 sacre coeur: französ. Heiliges Herz Jesu.

8 Ochsenziemer: Schlagstock, aus der gereinigten, gedehnten und nach schraubenförmigem Verdrehen getrockneten Haut eines Bullenpenis hergestellt. Er hat eine fertige Länge von 80–100 cm, ist sehr elastisch und schwer.


Abb.: Ochsenziemer
[Bildquelle: Wikipedia. -- gemeinfrei]

9 Mucker: Frömmler, Sektierer, Scheinheiliger; Heimtücker. Im frühen 18. Jh. aufgekommen, anfangs als Spottwort auf die Pietisten.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Neu! Sensationell! Neu! Von den Herren Bischöfen approbiert.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 38. -- S. 152. -- 1890-09-07

Einzig allein die kleine Exzellenz1 besitzt das Geheimmittel gegen die Sozialdemokratie.

Erläuterung:

1 kleine Exzellenz: Ludwig Windthorst.


Geisterlehre des Geistersehers Dr. Egbert Müller1.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 38. -- S. 153. -- 1890-09-07

Die Geister, Kind, teilt allerorten
Man ein in drei verschiedne Sorten.
Die erste tät noch niemals schmecken,
Was heißt: in einem Körper stecken,
Die andern wissen, wie es tut,
Sie sind a. böse und b. gut.
Wenn so ein Geist nun randaliert,
Heißt das auf deutsch. er protestiert.
zum Beispiel, geht mit Krach und Stoß
Ein Spuken in den Schulen los,
Malt eine unsichtbare Hand
Dort Totenköpfe an die Wand,
So seid gewiss: ein Geist ist das,
Der gar zu lang in Quarta2 saß,
Der dort sich grässlich ennuyiert
Und jetzt energisch protestiert.
Er kritisiert nach seinem Tode
Den Unterricht, der heute Mode,
Und mahnt -- wer fände das abnorm? --
Laut spukend an die Schulreform.
Dies ist denn doch für einen jeden
Weit deutlicher als lange Reden,
Als Disputieren, Streiten, Schreiben,
Und wer's nicht glaubt, der lässt es bleiben.

Erläuterungen:

1 Egbert Müller: Jurist, langjähriger Spiritist, Ehrenmitglied der Spiritistischen Loge »Psyche zur Wahrheit«, konvertierte 1897 zum Katholizismus und hielt dann den Spiritismus für das Spiel dämonischer Mächte.

2 Quarta = vierte Klasse

3 ennuyieren: französ. langweilen


 
Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919).  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 38. -- 2. Beiblatt. -- 1890-09-07

"Neuerdings seht ihr ja so weiß aus?"

"Ja, seit der Südwind so schön wieder über die Berge weht, hat uns der bayrische Müller1 in Dienst genommen. Da gibt's halt viel zu tun."

Erläuterung:

1 Ludwig August von Müller, (1846 - 1895) bayerischer Kultusminister von 1890 bis1895.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Sommerausflug des spiritistischen Vereins "Psyche".  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 39. -- 1. Beiblatt. -- 1890-09-14



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die Sozialdemokraten planen einen Massenaustritt aus der Landeskirche.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 40. -- 1. Beiblatt. -- 1890-09-21


Die gute Wirkung.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 40. -- S. 157. -- 1890-09-21

Eine fromme Vision.

Der heilige Vater, aus schäumendem Krug
Vergnüglich tut er manch kräftigen Zug,
Er findet am Biere Gefallen.
Es wird ihm so wohlig ums Herz und so leicht,
Er fühlt sich so sehr zum Verzeihen geneigt
und möcht sich vertragen mit allen.

Da stürzt eine Schar Jesuiten herein,
"O heiliger Vater" -- so hört er sie schrein --
"Wir bringen dir traurige Kunde.
es tagen die Ketzer im heiligen Köln,
Die Altkatholiken, sie schnöden Geselln,
Mit den Mächten der Hölle im Bunde.

In Köln, wo die heilgen drei Könige1 ruhn,
da sind sie versammelt zu greulichem Tun,
Der Kirche ingrimmige Hasser.
Da feiern die Teufel ihr höllisches Fest --
O Schande, die nimmer sich lässt abwaschen
Mit sämtlichem Kölnischen Wasser.

Nun suche hervor deinen zackigsten Blitz
Und wirf ihn von deinem erhabenen Sitz,
Zerschmetternd das arge Gelichter,
Ja wirf ihn nach Köln, der einst heiligen Stadt,
Die bei sich geduldet das Schreckliche hat,
Und zeig dich als furchtbaren Richter."

Da geht es wie Sonnenschein übers Gesicht
Der heiligen Vaters, und lächelnd er spricht:
"Ich halte das nicht für empfehlbar.
Was kommt ihr so zornig und zetert und klagt!
Wir sind ja doch alle -- -- fast hätt ich gesgt:
Wir sind ja doch all nicht unfehlbar.

Was soll ich die Ärmsten zerschmettern sogleich,
Ich möchte doch lieber -- das rat ich auch euch --
Vorher es mit Güte versuchen.
Das Bier ist so gut, und sie Welt ist so schön,
Und es kommt ja so wenig, wir haben's gesehn,
heraus bei dem ewigen Fluchen."

Da sind sie erschrocken, es packt sie ein Graus,
Sie schleichen mit  Zittern und Zagen hinaus
Und Murren und Brummen im Stillen.
Der heilige Vater, mit kräftigem Zug
Vergnüglich leert er den mächtigen Krug
Uns lässt ihn aufs neue sich füllen.

Erläuterung: 1890 fand der "Erster Internationaler Alt-Katholiken-Kongress" (IAKK) in Köln statt

1 Dreikönigenschrein im Kölner Dom, in dem die Gebeine der Heiligen Drei Könige, die nie existiert haben (!), aufbewahrt sind und bis heute verehrt werden.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Aus dem Tessin1.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 40. -- S. 160. -- 1890-09-21

Umschütteln allein hilft nicht.

Erläuterung:

1 bezieht sich auf den Tessiner Aufstand der Radikalen gegen die Klerikalen:

"Die innere Geschichte des Kantons [Tessin]  blieb jedoch immer eine leidenschaftlich bewegte infolge des Gegensatzes zwischen den Klerikalen, die in den nördlich vom Monte Ceneri gelegenen Alpentälern (Sopraceneri), und den Liberalen, die im südlichen Landesteil (Sottoceneri) die Mehrheit besaßen. Am 6. Dez. 1839 stürzten die Liberalen eine sie mit Verfolgungen bedrohende ultramontane Regierung mit Gewalt, während ein ähnlicher Versuch der Ultramontanen 1841 mit der Hinrichtung ihres Führers Nessi endete. Nachdem die Liberalen ihr Übergewicht dazu benutzt hatten, die Klöster aufzuheben oder doch in der Novizenaufnahme zu beschränken, die Geistlichen von der Schule auszuschließen und den kirchlichen Verband mit den Bistümern Como und Mailand seitens des Staates zu lösen (1858), entbrannte 1870 über die Frage, ob Bellinzona oder Lugano alleinige Hauptstadt des Kantons sein sollte, aufs neue ein leidenschaftlicher Parteikampf zwischen den Sopra- und Sottocenerinern. Der Gegensatz verschärfte sich, als 1875 die Ultramontanen die Mehrheit im Großen Rat erhielten, so dass es 22. Okt. 1876 in Stabio zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen Klerikalen und Liberalen kam. Die nunmehr ausschließlich aus Klerikalen bestellte Regierung brachte durch den Versuch, den Prozess wegen der Vorgänge in Stabio zur Vernichtung des Obersten Mola, eines Führers der Liberalen, zu benutzen, die ganze Schweiz in Aufregung, bis die in ihrer Mehrheit klerikale Jury den Prozess durch eine allgemeine Freisprechung endigte (14. Mai 1880). 1883 wurde das Referendum eingeführt und 1886 das Kirchengesetz in ultramontanem Sinn umgeändert, wogegen der Papst durch Verträge mit der Eidgenossenschaft (1884 und 1888) in den formellen Anschluss des Tessin an das Bistum Basel willigte, unter der Bedingung, dass ein von der Kurie im Einverständnis mit dem Bischof aus der tessinischen Geistlichkeit zu ernennender apostolischer Administrator in Lugano die bischöfliche Gewalt im Kanton ausübe. Die rücksichtslose Parteiherrschaft der Ultramontanen bewirkte, dass bei den Neuwahlen zum Großen Rat im März 1889 nur durch militärisches Einschreiten der Bundesbehörden der Ausbruch des Bürgerkriegs verhindert werden konnte. Dank der künstlichen Wahlkreiseinteilung fielen den Ultramontanen 75 und den ungefähr gleichstarken Liberalen nur 37 Sitze zu. Ein von den Liberalen 1890 mit 10,000 Unterschriften gestelltes Begehren um Verfassungsrevision, das nach der Verfassung innerhalb Monatsfrist dem Volke zur Bejahung oder Verneinung hätte vorgelegt werden sollen, wurde von der Regierung absichtlich verschleppt, worauf die radikalen Elemente der Opposition zur Gewalt griffen. Am 11. Sept. wurde in Bellinzona Zeughaus und Regierungsgebäude überrumpelt, der Staatsrat Rossi erschossen und die übrigen Mitglieder der Regierung von den Aufständischen verhaftet. Eine Volksversammlung in Bellinzona proklamierte die Absetzung der bisherigen Behörden, und eine provisorische Regierung von Radikalen bemächtigte sich der Geschäfte. Auf die telegraphische Nachricht von dem Putsche sandte aber der Bundesrat einen eidgenössischen Kommissar mit Truppen nach Bellinzona, der die provisorische Regierung auflöste, die Gefangenen befreite und einstweilen die Leitung des Kantons übernahm. Nachdem 5. Okt. die Revisionsabstimmung vorgenommen worden war und das Tessiner Volk mit 11,899 gegen 11,810 Stimmen die Revision im Sinne der Liberalen beschlossen hatte, setzte der Bundesrat die legale Regierung wieder ein, veranlasste aber, um die Quelle der ewigen Unruhen zu verstopfen, den Rücktritt zweier klerikalen Mitglieder derselben und ihre Ersetzung durch Liberale. Dank diesem System der gemischten Regierung und dem durch ein Verfassungsgesetz vom 9. Febr. 1891 eingeführten Proportionalwahlverfahren kehrte allmählich die Ruhe in dem tief zerrütteten Kanton zurück, so dass der Bundesrat 13. April 1891 den eidgenössischen Kommissar abberufen konnte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Aus dem Erzbistum Posen1.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 41. -- S. 164. -- 1890-09-28

Haben sie denn keine andern Kandidaten? Die Inful2 will keinem recht passen; sie sind alle zu dickköpfig.

Erläuterungen: Das Domkapitel der Erzdiözese Posen hatte auf die Kandiatenliste für die Nachfolge des verstorbenen Erzbischofs Dinder nur Kandidaten polnischer Sprache gesetzt. Die Regierung sandte deshalb die Kandidatenliste als unannehmbar zurück. Darauf überließ das Domkapitel die Wahl des Erzbischofs dem Papst.

1 Posen:

"Die Provinz Posen mit der gleichnamigen Hauptstadt Posen war 1793-1920 eine Provinz des Staates Preußen, die jedoch nach dem Ersten Weltkrieg nur noch als kleiner Teil unter neuem Namen fortbestand. Sie entspricht ungefähr der historischen Region Großpolen, der Wiege der polnischen Nation und hatte eine mehrheitlich polnische Bevölkerung. Fast alle Polen in der Provinz Posen waren katholisch, 90 Prozent der Deutschen jedoch protestantisch. In den Städten lebte eine jüdische Minderheit, meist Handwerker, Geschäftsleute und Händler. Je kleiner eine Gemeinde war, um so eher war sie entweder rein polnisch oder rein deutsch besiedelt. Der Nordwesten der Provinz war eher deutsch geprägt, der Südosten eher polnisch. Im Laufe der Zeit wurde die Bevölkerung des Gebiets mehr und mehr germanisiert, etwa bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, als sich die Migration zur so genannten Ostflucht umkehrte, trotz der Bemühungen der Regierung in Berlin: Sie hatte eine Ansiedlungskommission ins Leben gerufen, die Land von Polen kaufte und nur Deutschen zum Kauf anbot."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Provinz_Posen. -- Zugriff am 2004-11-15]

2 Inful: Bischofshut (Mitra) mit hinten herabhängenden Bändern (Inful): Zeichen der Bischofswürde


Abb.: Peter Paul Rubens (1577 - 1640): Kopf eines Bischofs mit Mitra [und Infuln] im Profil. -- Um 1615-1620



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): "Die Missionen in Afrika machen erfreuliche Fortschritte in ungeahntem Maße." (Zeitungsnachricht).  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 41. -- S. 164. -- 1890-09-28

Erläuterung: dargestellt ist eine rationelle Form der Massentaufe.



Abb.: Der Kriegsruf : Organ der Heilsarmee.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 42. -- S. 166. -- 1890-10-05

 

Lieder.

I.

Melodie: zwischen Frankreich und dem Böhmerwald.

Zwischen Muckertum und Jesuitenwald
Da blühet unser Weizen;
Grüß mein Lieb im Wuppertal!
Grüß mein Stuttgart allzumal!
In Berlin ja, in Berlin ja
Will dem Teufel ich einheizen.

Ist ein Land, das heißt Anglia,
Heget Heilige aller Arten.
Singe, sprach zu mir der Lord,,
Und ich sang nach Deutschland fort:
In Berlin ja, in Berlin ja
Will dem Teufel ich aufwarten.

Als ich sah die lampen wieder glühn
Hell in der Friedrichsstraßen,
Grüß mir Booth1, du heller Schein!
Grüß die Heilsoldaten Mein!
In Berlin ja, in Berlin ja
Ist mit uns jetzt nicht zu spaßen.

Klicken, um Melodie zu hören

Quelle der mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/zwischen.html. -- Zugriff am 2008-08-29. -- gemeinfrei für nichtkommerzielle Nutzung.

II.

Melodie: An der Saale hellem Strande.

An der Panke2 dunklem Strande
Ziehn Kadetten stolz und kühn,
Ihr Gesicht ist eingefallen,
und man sieht die Scharen wallen
Durch das Reich von Mutter Grün.

Zwar die Bummler sind verschwunden,
Jäh erblichen ist ihr Glanz,
Doch dem Wandersmann erscheinen
Jetzt zum Trost Booth1 mit den Seinen
Statt Gestalten Bassermanns3.

Ha da winken holde Augen
Von Kadett und von Babett,
Booth befiehlt es der Kadettin:
Zu Attacke! Auf ihn! Rett ihn!
Und das Heil kommt schnell und nett.

Und der Wandrer zieht mit ihnen,
Keine Trennungsstunde ruft,
Und er singt Hallelujah,
Was dir Booth befiehlt, das tu ja!
Trommeln wirbeln durch die Luft.

 

Klicken, um Melodie zu hören

Quelle der mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/andersaa.html. -- Zugriff am 2008-08-29. -- gemeinfrei für nichtkommerzielle Nutzung.

Erläuterungen:

1 William Booth (1829 - 1912): Begründer der Heilsarmee

"Booth, William, Begründer der Heilsarmee, geb. 10. April 1829 in Nottingham, erzogen innerhalb der englischen Staatskirche, wendete sich schon 1844 den Methodisten zu und trat 1850 in den Dienst der Neuen Methodistenvereinigung in London. Bis 1861 wirkte er als methodistischer Pfarrer in London, Halifax und Gateshead in Derbyshire, legte aber dann sein Amt nieder, um als Evangelist für die Schichten der Bevölkerung tätig zu sein, die Gotteshäuser überhaupt nicht besuchten. So kam er 1865 auch nach London u. gründete hier im Osten der Stadt die »Christliche Mission«, aus der sich 1878 die »Heilsarmee« (s.d.) entwickelte. Booth wurde General der Armee, die sich über ganz England und Wales, die britischen Kolonien, das europäische und amerikanische Ausland verbreitete. Sein ältester Sohn, Bramwell Booth, wurde Chef des Generalstabes; auch seine übrigen Söhne und Töchter widmeten sich der Ausbreitung und Organisation der Armee. Seit 1890 wandte sich Booth noch mehr als früher der Lösung sozialer Probleme zu und machte in seinem Buche »In darkest England and the way out« Vorschläge zur Hebung der sozialen Übel unter den niedersten Volksklassen, die, obwohl nicht neu oder originell, doch Aufsehen erregten, und für deren Verwirklichung ihm große Geldsummen zur Verfügung gestellt wurden. In den nächsten Jahren unternahm B. große Agitationsreisen nach Südafrika, Australien, Indien und dem festländischen Europa. Seit 1855 war er verheiratet mit Catherine Mumford (gest. 1890), deren Leben E. Oliphant beschrieben hat (deutsch, Berl. 1903)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Panke: Nebenfluss der Spree

3 Ernst Bassermann (1854 - 1917)

"Bassermann, Ernst, deutscher Politiker, geb. 26. Juli 1854 zu Wolfach in Baden, studierte die Rechte, trat in den badischen, eine Zeitlang auch in den elsässischen Justizdienst, ließ sich in Mannheim als Rechtsanwalt nieder und wurde 1887 Stadtrat. 1893 zum Reichstagsabgeordneten gewählt, schloss er sich der nationalliberalen Fraktion an und beteiligt sich namentlich an wirtschaftlichen und sozialpolitischen Beratungen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die Mormonen planen die Aufhebung der Polygamie.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 42. -- S. 168. -- 1890-10-05

Ja, wenn nur nicht die Schwiegermütter wären.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : O Caprivi1, redde legiones Jesuitarum!2 (Kölnischer Notschrei).  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 43. -- 2. Beiblatt. -- 1890-10-12

Wenn der Fuchs den Hühnern predigt, ist die soziale frage erledigt.

Erläuterungen: In einer katholischen Volksversammlung in Köln sagte der Landtagsabgeordnete Fuchs unter stürmischem Beifall: "Wir lassen uns alle totschlagen für die Jesuiten."

1 Georg Leo, Graf von Caprivi, seit 1890 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident

2 O Caprivi, redde legiones Jesuitarum! (lateinisch): Caprivi, gib die Heerscharen der Jesuiten zurück!



Abb.:  Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Popen in Konstantinopel (Neue russische Schule).  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 45. -- S. 179. -- 1890-10-26


Egberts Abschied.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 45. -- S. 179. -- 1890-10-26

Dr. Egbert Müller1 ist aus dem Spiritistenverein "Psyche" ausgetreten.

Psyche:

Will sich Egbert ewig von mir wenden,
Wo Karl Wolter2 mit geschickten Händen
Unertappt die Schinkenknochen schwingt?
Wer wird künftig deine Kleinen lehren,
Mit den Geisterscharen zu verkehren,
Wenn dein Geist sich unserm Kreis entringt.

Egbert:

Psyche, halt! Gebiete deinen Tränen!
Fern nach Dalldorf3 ist mein feurig Sehnen;
Dorthin lockt ein überirdscher Ton.
Kämpfend für des Blödsinns heiter Götter
Zieh ich hin, die arge Zahl der Spötter
Folgt mir nicht in diese Dimension.

Psyche:

Nimmer lausch ich deiner Stimme Schalle,
Müßig liegt dein Blech nun in der Halle,
Nie ersetzt dich Meister Cyriax3.
Du wirst hingehn, wo die Gummizelle
Ist derzeit für jene, die zu helle,
Und das Ordenskleid des Zwangesfracks.

Egbert:

Alle Knochen will ich, alle Pfannen
In der Panke4 stillen Strom verbannen,
Aber meine Käfer nicht.
Horch! Der Doktor tobt schon vor den Türen,
Nach der Anstalt will er mich entführen;
Egberts Käfer stirbt in Dalldorf nicht.

Erläuterungen:

1 Egbert Müller: Jurist, langjähriger Spiritist, Ehrenmitglied der Spiritistischen Loge »Psyche zur Wahrheit«, konvertierte 1897 zum Katholizismus und hielt dann den Spiritismus für das Spiel dämonischer Mächte.

2 Karl Wolter

"Vor etwa 20 Jahren machte sich im Dorfe Resau bei Werder, Kreis Potsdam, ein siebzehnjähriger Bauernbursche den Scherz, in der Abenddämmerung mit Kartoffeln, Bratpfannen, Tellern, Gläsern usw. zu werfen. Da der junge Mann diesen Scherz allabendlich wiederholte und die Wurfgeschosse in einer Weise geflogen kamen, daß eine Erklärung der Ursache nicht zu erkennen war, bemächtigte sich der Dorfbewohner ein furchtbarer Schrecken. Es stand bei ihnen [199] fest, daß es Spukgeister waren, die allabendlich ihr Wesen trieben. Am dritten Abend wurde die allgemeine Angst so groß, daß man beschloß, den Herrn Pfarrer zu ersuchen, sich in das Spukhaus zu bemühen. Der Pfarrer erschien mit einem Gebetbuch. Der erwähnte Bauernbursche, Karl Wolter war sein Name, ließ sich aber durch die Anwesenheit des Pfarrers nicht beirren. Er gefiel sich anscheinend in der Rolle, die Dorfbewohner und noch mehr die Dorfbewohnerinnen durch seine Fertigkeit im Bratpfannen- und Kartoffelwerfen in Angst zu versetzen. Als der Pfarrer im Spukhause erschien, da schliefen anscheinend die Spukgeister noch. Sehr bald begannen sie aber zu arbeiten. Teller, Gläser, Kartoffeln kamen geflogen; es blieb rätselhaft, woher alle diese Gegenstände kamen. Da plötzlich sauste eine Bratpfanne durch die Lüfte und traf den Herrn Pfarrer in ziemlich heftiger Weise in den Rücken. Der Pfarrer wurde selbst ein wenig ängstlich: »Liebe Gemeinde, sagte der Geistliche, solchen Mächten gegenüber bleibt uns nichts weiter übrig als zu beten.«

Da der Pfarrer gegen den Spuk nichts auszurichten vermochte, so wandten sich die geängstigten Dorfbewohner an die Polizei, denn es hatte ganz den Anschein, als sei der Teufel in leibhaftiger Gestalt im Dorfe erschienen und treibe in den Abendstunden die schlimmsten Allotria. Da faßte die Gendarmerie im Spukhause Posto. Dieser realen Macht gelang es sehr bald, festzustellen, daß der fingerfertige Bauernjunge Karl Wolter die Wurfgeschosse entsende. Die Gendarmen nahmen den jungen Mann fest, und der Spuk hatte ein Ende. Karl Wolter hatte sich im Januar 1889 vor dem Schöffengericht in Werder wegen groben Unfugs zu verantworten. Er wurde von dem jetzigen Berliner Justizrat Dr. Bieber, der damals noch Referendar war, verteidigt und wegen groben Unfugs und vorsätzlicher Sachbeschädigung zu einigen Wochen Gefängnis verurteilt. Im März 1889 kam die Angelegenheit infolge eingelegter Berufung vor der Potsdamer Strafkammer zur nochmaligen Verhandlung. Als die Großmama des schalkhaften Bauernburschen, in deren Hause der Spuk vor sich gegangen war, [200] in Potsdam vor den Zeugentisch trat, begann eine auf diesem liegende Bratpfanne, jedenfalls infolge einer Rüttelung des Tisches, sich zu bewegen. »Et spoikt, et spoikt,« rief die alte Frau unter allgemeiner Heiterkeit im Gerichtssaal. Der Vorsitzende hatte alle Mühe, die alte Frau zu beruhigen. Die Strafkammer verwarf die Berufung und auch das Kammergericht die deshalb eingelegte Revision. Nach Beendigung dieser Prozedur wurde Karl Wolter von dem Kgl. Hofzauberkünstler Rösner engagiert. Rösner trat mit dem schalkhaften Bauernburschen im Berliner Wintergarten auf. Das Engagement Wolters bei Rösner war aber nur von kurzer Dauer. Wie man hörte, eignete sich Karl Wolter doch nicht zum Künstler."

[Quelle: Friedländer, Hugo: Interessante Kriminal-Prozesse : ein Pitaval des Kaiserreichs / Hugo Friedländer. -- Berlin : Directmedia Publ. , 2001. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 51). -- ISBN 3-89853-151-1. -- Original erschienen: Berlin : Verl. Berliner Buchversand, 1910 - 1913.

3 Dalldorf (heute: Berlin-Wittenau): Dorf mit Irren- und Idiotenanstalt der Stadt Berlin (heute: Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik)

4 Panke: Nebenfluss der Spree



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Sodoms Ende. Und Blumenthal1 sahe hinter sich und ward zur Salzsäule2.  -- In: Kladderadatsch. -- 1890

Der Dichter Sudermann3 wird nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sein neues Stück mit dem polizeilichen Sittenkodex im Widerspruch steht.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 46. -- 1. Beiblatt. -- 1890-11-02

Erläuterungen:

1 Oskar Blumenthal: Leiter des Lessingtheaters

"Blumenthal, Oskar, Schriftsteller, geb. 13. März 1852 in Berlin, studierte hier und in Leipzig Philologie, gründete 1888 in Berlin das Lessingtheater, das er bis zum Herbst 1897 leitete, und lebt seitdem als Privatmann daselbst. Er veröffentlichte: »Allerhand Ungezogenheiten« (Leipz. 1874, 5. Aufl. 1877); »Für alle Wagen- und Menschenklassen«, Plaudereien (das. 1875, 3 Bde.); »Gemischte Gesellschaft« (2. Aufl., das. 1877); das parodierende Lustspiel »Die Philosophie des Unbewußten« (Wien 1876); die Skizzen »Vom Hundertsten ins Tausendste« (Leipz. 1876); »Auf der Mensur. Federkrieg« (das. 1878); »Bummelbriefe« (Danz. 1880); »Zum Dessert« (2. Aufl., Leipz. 1882) und »Aus heiterm Himmel«, Epigramme (2. Aufl., Berl. 1882); »Von der Bank der Spötter« (das. 1884); »Theatralische Eindrücke« (Hamb. 1885); »Aufrichtigkeiten« (Berl. 1887); »Gesammelte Epigramme« (das. 1890). Blumenthals Lustspiele, die sich großer Beliebtheit erfreuen, zeichnen sich zumeist durch witzigen Dialog aus, auch bringen sie manche neue und glücklich gezeichnete Figur, doch fehlt es dem Ganzen oft an der künstlerischen Einheit, und sie vermeiden auch nicht die Trivialität. Am meisten gespielt wurden: »Der Probepfeil« (1882) »Die große Glocke«, »Ein Tropfen Gift«, »Der schwarze Schleier« (1887), »Der Zaungast« (1889), »Großstadtluft« (1891), »Im weißen Rößl« (mit Kadelburg, 1898), »Als ich wiederkam« (mit demselben, 1899) u. a. B. gab auch »Grabbes Werke und handschriftlichen Nachlaß« (Berl. 1874, 4 Bde.) heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Salzsäule: Anspielung auf Lots Frau bei der Vernichtung Sodoms und Gomorrhas: Genesis 19,24-26:  Da ließ der HERR Schwefel und Feuer regnen von Himmel herab auf Sodom und Gomorra und kehrte die Städte um und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war.
Und sein Weib sah hinter sich und ward zur Salzsäule."

3 Sudermann:

"Sudermann, Hermann, Schriftsteller, geb. 30. Sept. 1857 zu Matzicken (Kreis Heydekrug) in Ostpreußen, aus einer alten holländischen Mennonitenfamilie stammend, absolvierte das Gymnasium in Tilsit und studierte 1875-79 an den Universitäten Königsberg und Berlin Geschichte, Literatur und moderne Philologie. Er entschloß sich unter manchen innern und äußern Bedrängnissen, sich der Literatur zu widmen, war eine Zeitlang in der Redaktion eines kleinen Volksblattes beschäftigt, zu andrer Zeit Hauslehrer beim Dichter Hans Hopfen. In diesem ersten Jahrzehnt seiner literarischen Tätigkeit schrieb S. eine große Zahl von Novellen, die nicht beachtet, und Dramen, die nicht gespielt wurden. Erst mit dem außerordentlichen Erfolg seines bürgerlichen Schauspiels »Ehre« (1888), womit er sich der naturalistischen Richtung anschloß, ohne ihre äußersten Konsequenzen zu ziehen, änderte sich seine literarische Stellung so sehr zu seinem Vorteile, dass er nun in die erste Reihe der zeitgenössischen Dichter vorrückte. Zunächst förderte dieser Erfolg die Verbreitung seiner Erzählungen und Romane: »Frau Sorge« (Berl. 1888), »Der Katzensteg« (das. 1889), »Im Zwielicht«, zwanglose Geschichten (das. 1890), »Jolanthes Hochzeit«, Novelle (das. 1893), »Es war« (das. 1894), die bisher in vielen Auflagen erschienen sind. Trotz seiner großen Erfolge als Erzähler verlegte S. das Schwergewicht seiner dichterischen Arbeit in die dramatische Produktion, und er schrieb das Trauerspiel »Sodoms Ende« (1890), ferner die Schauspiele: »Heimat« (1893), »Die Schmetterlingsschlacht« (1894), »Das Glück im Winkel« (1895), die drei Einakter »Teja«, »Fritzchen« und »Das ewig Männliche« (vereint u. d. T.: »Morituri«, 1896), »Johannes« (1898), »Die drei Reiherfedern« (1899), »Johannisfeuer« (1900), »Es lebe das Leben« (1902), das Lustspiel »Sturmgeselle Sokrates« (1903), »Stein unter Steinen« (1905), »Das Blumenboot« (1905), die vier Einakter: »Rosen« (1907). Auch diese Werke haben hohe Auflagen erlebt und sind über die meisten deutschen, zum Teil auch über ausländische Bühnen gegangen; sie zeichnen sich durch sehr gewandte Technik aus, greifen auch interessante Probleme auf; aber S. weiß zu diesen nicht entschieden Stellung zu nehmen, er erzeugt nur Augenblickswirkungen, erschaut das Leben nicht in seiner Tiefe mit den Augen des echten Dichters und verletzt oft das feinere ästhetische Gefühl durch Darstellungen ungesunder Erotik"

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

"Im Jahre 1890 sollte im Lessingtheater in Berlin Sudermanns »Sodoms Ende« aufgeführt werden. Wiewohl nun Pressfreiheit auch in Preußen besteht und der Artikel 27 der preußischen Verfassung jedem Preußen das Recht der freien Meinungsäußerung verbürgt und ausdrücklich verfügt, dass eine Zensur nicht eingeführt werden dürfe, existiert sie doch. Und zwar nach einer Polizeiverordnung vom 10. Juli 1851 — also anderthalb Jahre nach der Verfassung erlassen — in der festgesetzt wird, dass die Erlaubnis zur Veranstaltung einer öffentlichen Theatervorstellung beim kgl. Polizeipräsidium schriftlich nachgesucht werden müsse.

Das hatte Oskar Blumenthal, der Direktor des Lessingtheaters, auch mit »Sodoms Ende« getan. Als kein Bescheid von der Polizei einlief, aber alles für die erste Aufführung, mit Kainz und in Gegenwart des Dichters, vorbereitet war, wurde Blumenthal stutzig. Drei Tage vor dem Aufführungstermin fuhr er nach dem Polizeipräsidium, wo ihm mitgeteilt wurde, dass [S. 147] der Theaterzensor die Erlaubnis bereits unbedenklich erteilt hatte, als der Präsident, Freiherr von Richthofen, sich das Werk hatte kommen lassen und die öffentliche Aufführung verbot. — Blumenthal ging darauf zum Polizeigewaltigen persönlich , um die Gründe für das Verbot zu erfahren. Es entwickelte sich folgendes Gespräch, das er selbst veröffentlicht:

»Ich höre soeben, Herr Präsident, dass mir drei Tage vor der ersten Aufführung Hermann Sudermanns Drama »Sodoms Ende« verboten werden soll?«
»Das stimmt!«
»Und dass Sie persönlich das Verbot verfügt haben?«
»Stimmt auch!«
»Ja, aber bedenken Sie die Situation eines Bühnenleiters, Herr Präsident! Vierzehn Tage angestrengter Bühnenproben . . . ein Gastspiel mit Joseph Kainz für diese Novität abgeschlossen . . , der ganze Spielplan der nächsten Wochen darauf aufgebaut . . . selbstverständlich kein Ersatzstück vorbereitet . . . die Erfolge des früheren Repertoires ausgeschöpft . . . das Haus für die ersten drei Vorstellungen schon vollständig ausverkauft . . . und nun diese Ratlosigkeit auf der Höhe der Saison, in der besten Zeit des Theaterjahres.«
»Alles sehr traurig, aber die Behörde kann auf Privatinteressen keine Rücksicht nehmen.«
»Aber warum das Verbot, warum?«
»Weil es uns so passt.«
»Ich verstehe vollkommen, Herr Präsident . . . Sie wollen mir durch diesen Lakonismus ins Gedächtnis rufen, dass nach der polizeilichen Verordnung [S. 148] vom 10. Juli 1851 die Behörde nicht verpflichtet ist, für das Verbot eines Stückes Gründe anzugeben . . .«
»Na, da wissen Sie ja also Bescheid!«
»Ich meine aber nur, Herr Präsident, dass doch immerhin die Möglichkeit vorliegt, durch behutsame Änderungen die Bedenken, die zu diesem Verbot geführt haben, aus der Welt zu schaffen. Vielleicht sind es nur einige gewagte Stellen, um die es sich handelt?«
»O nein!«
»Oder einzelne Szenen?«
»Auch nicht!«
»Ja, aber was sonst?«
»Die janze Richtung passt uns nicht.«

So geschehen in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts. Wie glücklich eine Kunst, die unter polizeilicher Obhut stehen darf!

Blumenthal war hierauf beim Minister des Innern, Herrfuth. Er las das Stück, veranlasste einige kleine Milderungen und riet Blumenthal, es wieder dem Polizeipräsidenten zu unterbreiten.

Die Antwort des Polizeipräsidenten vom 27. Oktober 1890 — die Unterredung hatte am 23. stattgefunden — lautete:

»Ew. Wohlgeboren!

erwidere ich auf das gefällige Schreiben vom 24. d. M. bei Rückgabe der Anlage desselben, ergebenst, dass ich auch nach nochmaliger Erwägung mich nicht veranlasst sehen kann, die Genehmigung zur Aufführung des Dramas ,,Sodoms Ende" zu erteilen, da dasselbe in seiner ganzen Anlage und Durchführung geeignet erscheint, das sittliche Gefühl zu verletzen, dieses [S. 149] sittenpolizeiliche Bedenken daher durch die von Ihnen angebotene Streichung einzelner besonders anstößiger Stellen nicht behoben werden kann.«

Am 31. Oktober hob der Minister des Innern diese Verfügung auf, nachdem eine Generalprobe nur in Gegenwart dreier Ministerialräte über die Existenzberechtigung der »neuen Richtung« entschieden hatte, ein Eingreifen, das nicht ohne Tadel von allerhöchster Stelle geblieben ist. »Sie hätten sich fragen sollen,« sagte der Kaiser dem Minister, »ob Sie auch in Begleitung Ihrer Tochter jede Szene anhören könnten.«"

[Quelle: Kemmerich, Max <1876-1932>: Kultur-Kuriosa. -- München : Langen. -- Bd. 2. -- 1923. -- S. 146 149. -- Online: http://www.archive.org/details/kulturkuriosa02kemmuoft. -- Zugriff am 2010-01-10]



Abb.: Ernst Retemeyer: Der Ansturm gegen das Jesuitengesetz.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 47. -- S. 188. -- 1890-11-09

Da machte das Volk ein Feldgeschrei und bliesen die Posaunen ... Und die Mauern fielen um, und das Volk erstieg die Stadt ... (Josua 6,20)1.

1 Josua 6,20: Fall der Mauern von Jericho: "DA machet das volck ein Feldgeschrey / vnd bliesen Posaunen / Denn als das volck den hal der Posaunen höret / macht es ein gros Feldgeschrey / Vnd die mauren fielen vmb / Vnd das volck ersteig die Stad / ein jglicher stracks fur sich. Also gewonnen sie die Stad / 21vnd verbanten alles was in der Stad war / mit der scherffe des schwerts / beide Man vnd Weib / jung vnd alt / ochsen / schafe vnd esel."



Abb. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 48. -- S. 192. -- 1890-11-16

Die Saat der Sozialreform beginnt aufzugehen. -- Hoffentlich entwickeln sich aber nicht bloß die kräftigsten Pflänzchen weiter.


Ich wollte, das ich ein Medium wär! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 48. -- S. 193. -- 1890-11-16

Von Hugo, dem Realistischen.

Ich wollte, dass ich ein Medium wär
Und rufen könnte die Geister,
Dann brauchte ich nicht zu dichten mehr,
ich lebte als Hexenmeister.

Ich machte die Geister dienstbar mir
Und ließ sie umgehn in Kellern
Und für mich zapfen vom besten Bier,
Vom dunkleren wie vom hellern.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 48. -- 2. Beiblatt. -- 1890-11-16

Erläuterung: bezieht sich auf die Entlassung Adolf Stöckers (1835 - 1909) aus dem Hofpredigeramt 1890.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Das gestörte Ständchen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 49. -- S. 196. -- 1890-11-23

Man hat es im Vatikan dem Kardinal Lavigerie1 verübelt, dass er in Algier von seiner Mönchskapelle hat die Marseillaise2 singen lassen, um den Offizieren der Französischen Republik eine Aufmerksamkeit zu erweisen.

Erläuterungen:

1 Charles Lavigerie (1825 - 1892): Erzbischof von Algier

"Lavigerie (spr. lawīsch'ri'), Charles Martial Allemand, franz. Kardinal, geb. 31. Okt. 1825 in Bayonne, gest. 26. Nov. 1892 in Algier, empfing seine Bildung in den Seminarien Saint-Nicolas und Saint-Sulpice, dann an der École des Carmes in Paris, wurde 1850 Doktor der Theologie und 1854 Professor der Kirchengeschichte an der Sorbonne. 1856 hielt er sich als Leiter des katholischen Schulwesens in Syrien auf. 1861 zurückgekehrt, wurde er zum Auditor an der Rota, 1863 zum Bischof von Nancy und 1867 zum Erzbischof von Algier ernannt, wo er großen Eifer für die Ausbreitung des Christentums unter den Eingebornen und für seine Organisation in der katholischen Kirche bewies. 1868 mit der apostolischen Präfektur der Sahara betraut, zog er die von ihm gegründete Société des missionnaires de Notre-Dame des missions d'Afrique d'Alger (sogen. Weiße Väter, s. d.) zur Mitarbeit bei der Mission heran. 1881 wurde er zum apostolischen Administrator für Tunis, 1882 zum Kardinal, 1884 zum Erzbischof von Karthago und Primas von Afrika ernannt. Die Organisation der Kirche in Tunis war sein Werk. Ein besonderes Verdienst aber erwarb er sich durch Bekämpfung der Sklaverei. Seit 1890 verfocht er die Aussöhnung der französischen Geistlichkeit mit der republikanischen Staatsform. Sein Verfahren wurde von der Kurie gebilligt, da diese gegen Italien in der französischen Regierung eine Stütze suchte. Von seinen Schriften sind zu erwähnen: »Exposé des erreurs doctrinales du jansénisme« (1858); »Histoire abrégée de l'Église« (6. Aufl. 1864); »Œuvres choisies«, eine Sammlung seiner auf die Mission etc. bezüglichen Aufsätze (1884, 2 Bde.), und »Documents sur la fondation de l'œuvre anti-esclavagiste« (1890). Vgl. Grussenmayer, Vingt-cinq années d'episcopaten France eten Afrique. Documents biographiques sur S. E. le cardinal L. (Algier 1888, 2 Bde.); Clarke, Cardinal L. and the African slave trade (Lond. 1890); Klein, Le cardinal L. et ses missions d'Afrique (Par. 1890); Blersch, Kardinal L. (Stuttg. 1893); Ricard, Le cardinal L. (Lille 1893); de Préville, Un grand français: Le cardinal L. (Par. 1894); Baunard, Le cardinal L. (das. 1896, 2 Bde.); Colleville, Le cardinal L. (das. 1905)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Marseillaise

Französischer Originaltext Deutsche Übersetzung
Allons enfants de la Patrie,
Le jour de gloire est arrivé!
Contre nous de la tyrannie,
L’étendard sanglant est levé.(2x)
Entendez-vous dans les campagnes
Mugir ces féroces soldats?
Ils viennent jusque dans vos bras
Egorger vos fils, vos compagnes.
Auf, Kinder des Vaterlands!
Der Tag des Ruhms ist da.
Gegen uns wurde der Tyrannei
Blutiges Banner erhoben. (2 x)
Hört Ihr auf den Feldern
die grausamen Krieger brüllen?
Sie kommen bis vor eure Arme,
Eure Söhne, Eure Ehefrauen zu köpfen!
Refrain:
Aux armes, citoyens,
Formez vos bataillons,
Marchons, marchons!
Qu’un sang impur
Abreuve nos sillons!
(bis)
Refrain:
Zu den Waffen, Bürger!
Formiert eure Bataillone,
Vorwärts, marschieren wir!
Damit unreines Blut
unserer Äcker Furchen tränke!
(wiederholen)
Que veut cette horde d’esclaves,
De traîtres, de rois conjurés?
Pour qui ces ignobles entraves,
Ces fers dès longtemps préparés? (bis)
Français, pour nous, ah! quel outrage
Quels transports il doit exciter!
C’est nous qu’on ose méditer
De rendre à l’antique esclavage!
Refrain
Was will diese Horde von Sklaven,
Von Verrätern, von verschwörerischen Königen?
Für wen diese gemeinen Fesseln,
Diese seit langem vorbereiteten Eisen? (2 x)
Franzosen, für uns, ach! welche Schmach,
Welchen Zorn muss dies hervorrufen!
Man wagt es, daran zu denken,
Uns in die alte Knechtschaft zu führen!
Refrain
Quoi! des cohortes étrangères
Feraient la loi dans nos foyers!
Quoi! ces phalanges mercenaires
Terrasseraient nos fiers guerriers. (bis)
Grand Dieu! par des mains enchaînées
Nos fronts sous le joug se ploieraient.
De vils despotes deviendraient
Les maîtres de nos destinées!
Refrain
Was! Ausländische Kohorten
Würden über unsere Heime gebieten!
Was! Diese Söldnerscharen würden
Unsere stolzen Krieger niedermachen! (2 x)
Großer Gott! Mit Ketten an den Händen
Würden sich unsere Häupter dem Joch beugen.
Niederträchtige Despoten würden
Über unser Schicksal bestimmen!
Refrain
Tremblez, tyrans, et vous perfides
L’opprobre de tous les partis,
Tremblez! vos projets parricides
Vont enfin recevoir leurs prix! (bis)
Tout est soldat pour vous combattre,
S’ils tombent, nos jeunes héros,
La terre en produit de nouveaux,
Contre vous tout prêts à se battre!
Refrain
Zittert, Tyrannen und Ihr Niederträchtigen
Schande aller Parteien,
Zittert! Eure verruchten Pläne
Werden Euch endlich heimgezahlt! (2 x)
Jeder ist Soldat, um Euch zu bekämpfen,
Wenn sie fallen, unsere jungen Helden,
Zeugt die Erde neue,
Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen
Refrain
Français, en guerriers magnanimes,
Portez ou retenez vos coups!
Epargnez ces tristes victimes,
A regret s’armant contre nous. (bis)
Mais ces despotes sanguinaires,
Mais ces complices de Bouillé
Tous ces tigres qui, sans pitié,
Déchirent le sein de leur mère!
Refrain
Franzosen, Ihr edlen Krieger,
Versetzt Eure Schläge oder haltet sie zurück!
Verschont diese traurigen Opfer,
Die sich widerwillig gegen uns bewaffnen. (2 x)
Aber diese blutrünstigen Despoten,
Aber diese Komplizen von Bouillé,
Alle diese Tiger, die erbarmungslos
Die Brust ihrer Mutter zerfleischen!
Refrain
Amour sacré de la Patrie,
Conduis, soutiens nos bras vengeurs.
Liberté, Liberté chérie,
Combats avec tes défenseurs! (bis)
Sous nos drapeaux que la victoire
Accoure à tes mâles accents,
Que tes ennemis expirants
Voient ton triomphe et notre gloire!
Refrain
Heilige Liebe zum Vaterland,
Führe, stütze unsere rächenden Arme.
Freiheit, geliebte Freiheit,
Kämpfe mit Deinen Verteidigern! (2 x)
Unter unseren Flaggen, damit der Sieg
Den Klängen der kräftigen Männer zu Hilfe eilt,
Damit Deine sterbenden Feinde
Deinen Sieg und unseren Ruhm sehen!
Refrain
Nous entrerons dans la carrière
Quand nos aînés n’y seront plus,
Nous y trouverons leur poussière
Et la trace de leurs vertus! (bis)
Bien moins jaloux de leur survivre
Que de partager leur cercueil,
Nous aurons le sublime orgueil
De les venger ou de les suivre.
Refrain
Wir werden des Lebens Weg weiter beschreiten,
Wenn die Älteren nicht mehr da sein werden,
Wir werden dort ihren Staub
Und ihrer Tugenden Spur finden. (2 x)
Eher ihren Sarg teilen
Als sie überleben wollend,
Werden wir mit erhabenem Stolz
Sie rächen oder ihnen folgen.
Refrain


Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die moderne Gesellschaft ist zu schwach, um die Sozialdemokraten ohne Jesuiten zu bekämpfen --  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 43, Nr. 52. -- S. 208. -- 1890-12-14

also frisch mit ihnen ins Vordertreffen!


1891



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Politischer Karneval. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 6. -- Beiblatt. -- 1891-02-08



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Epilog zum Sperrgelderfonds1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 24. -- 1. Beiblatt. -- 1891-06-14

Fis-kus fuhr hinaus auf das Wasser, das die Mühle des Kulturkampfs trieb, und ließ seine Kormorane nach Fischen tauchen. Und sie fingen sehr viele, konnten aber die Beute nicht verschlucken, da ihnen der Schlund mit einem Ringe zugesperrt war. Ei! da lachte Fis-kus.

Als aber Fis-kus wieder landete, siehe, da standen zwei Bonzen am Ufer und schlugen mit Bambusstöcken auf die Vögel ein, so dass sie die  Fische von sich gaben. Die guten Väter sammelten den ganzen Fang sorglich auf, denn, sagten sie, das Wässerlein, das wir nie getrübt haben, gehört uns, also auch die Fische. Da wurde Fis-kus traurig. Ei! wie lachten die Bonzen.

Erläuterung:

1 Sperrgelderfonds: im Kulturkampf wurde am 22. April 1875 wurde das sogen. Brotkorbgesetz oder Sperrgesetz erlassen, das die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für Bistümer und Geistliche verfügte. Nach Beendigung des Kulturkampfes stellte sich die Frage der Verwendung dieser eingefrorenen Staatsmittel. Die Sperrgelvorlage wollte, dass die Gelder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt werden. Am 24. Juni 1891 kam das sogen. Sperrgelderverwendungsgesetz zustande, durch das die Rückbezahlung des infolge des Sperrgeldgesetzes angesammelten Betrags von 16,009,333 Mk. an die Geschädigten geregelt wird.



Abb.:
Gustav Brandt (1861 - 1919). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 24. -- 2. Beiblatt. -- 1891-06-14

Der Papst (zum Kultusminister): Da lieber Zedlitz1, habt ihr eine hübsche schwarze Puppe für den kleinen Stuhl von Paderborn2, und nun wollen wir, um Euren Geschmack entgegenzukommen, auch für Posen3 dieselbe Sorte aussuchen.

Erläuterungen: bezieht sich auf die Bischofernennungen.

1 Robert Graf von Zedlitz und Trützschler (1837 - 1914):  preußischer Kultusminister 1891/92.

2 Hubert Theophil Simar (1835 - 1902): 1891 bis 1899 Bischof von Paderborn, 1899 bis 1902 Erzbischof von Köln.

3 Florian von Stablewski (1841 - 1906): ab 1891 Erzbischof von Posen-Gnesen (heute: Poznań-Gniezno)

"Stablewski, Florian von, Erzbischof von Posen-Gnesen, geb. 16. Okt. 1841 in Fraustadt, gest 24. Nov. 1906 in Posen, studierte in München katholische Theologie, erlangte die theologische Doktorwürde, wurde 1866 Religionslehrer und Lehrer der hebräischen Sprache am Gymnasium in Schrimm, aber 1873 abgesetzt, weil er sich weigerte, die Religion in deutscher Sprache zu lehren. Propst in Wreschen geworden und 1876 in das Abgeordnetenhaus gewählt, beteiligte er sich sehr lebhaft am Kulturkampf, trat unermüdlich für die Beschwerden der Polen über Beeinträchtigung ihrer nationalen Rechte ein, wurde 1891 Erzbischof von Posen-Gnesen und leistete als solcher der polnischen Propaganda in jeder Hinsicht Vorschub."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Der Gedanke, sich Geldmittel durch Lotterien zu beschaffen, findet geteilte Aufnahme. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 28. -- 1. Beiblatt. -- 1891-07-12



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926) / Gustav Brandt (1861 - 1919): Auf nach Trier1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 30. -- S. 120. -- 1891-07-26

Die Glocken sie locken
Zum heiligen Rock.
Es rasselt und prasselt
Im Opferstock.

Es kommen die Frommen
Mit brünstigem Flehn,
An Händen und Lenden
Die Wunder zu sehn.

Doch die Köpfe der Tröpfe
Voll ewiger Nacht,
die haben als Gaben
Sie vergebens gebracht.

Erläuterung:

1 1891 wurde in Trier unter Bischof Michael Felix Korum der Heilige Rock ausgestellt und Wallfahrten zu  ihm organisiert.


Abb.: Erinnerung an die Heilig-Rock-Wallfahrt 1891
[Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei]



Abb.: Ernst Retemeyer: Die Nonnen: Ein Spuk im Sonnenschein. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 30. -- Beiblatt. -- 1891-07-26



Abb. Franz A. Jüttner (1865 - 1926). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 31. -- S.123. -- 1891-08-02

In den geistlichen Kreisen Triers bereitet man sich mit Eifer und Andacht auf die kommenden schönen Tage vor. Besonders großen Anklang fand in einer der letzten Vesammlungen ein Toast "auf die Guten, welche nicht alle werden!"

Erläuterung: bezieht sich auf die Heilig-Rock-Wallfahrt (siehe oben!)



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Mortara1 redivivus. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 32. -- S.128. -- 1891-08-09

Der wahre Glaube macht erfreuliche Fortschritte. Die Heilsarmee hat ein jüdisches Mädchen namens Chawa Slavaticki aus Helsingfors nacj Stockholm entführt.

Erläuterung:

1 Mortara redivivus = der wiederbelebte Mortara

"Edgardo Mortara (August 27, 1851 – March 11, 1940) was a Jewish boy who became the center of an international controversy when he was seized from his Jewish parents by the Papal States authorities and taken to be raised as a Catholic. The seizure of the boy by authorities followed on his emergency baptism during a serious infantile illness at the hands of a family servant. Civil law in the Papal States did not permit baptized Christians to be raised by non-Christians. Pope Pius IX, who had emancipated the Jews living in the Papal States and was generally considered liberal-minded[citation needed], found himself in a quandary. The Mortara case was the catalyst for far-reaching political changes, and its repercussions are still being felt within the Catholic Church and in relations between the Church and some Jewish organizations. Mortara was raised as a Catholic and remained one for the remainder of his life.

The Mortara affair increased discontent with the temporal power of the papacy within Italy and produced calls for Mortara to be returned to his parents from around the world, including twenty editorials in The New York Times.[1] Pope John Paul II's beatification of Pope Pius IX—during the height of the Roman Catholic sex abuse cases—in part revived the controversy over the Mortara case, due to claims that Pius IX had allegedly "sexually abused" Mortara, based on accounts of Edgardo hiding under the cassock of Pius IX. The source for these allegations, Cornwell, fails to mention that Edgardo himself hid from his angry parents behind Pius IX's cassock. [2]

The Mortara case

Seizure

On the evening of 23 June 1858, in Bologna, then part of the Papal States, police arrived at the home of a Jewish couple, Salomone ("Momolo") and Marianna Padovani Mortara, to seize one of their eight children, six-year-old Edgardo, and transport him to Rome to be raised as a ward of the state.

The police had orders from Holy Office authorities in Rome, authorized by Pope Pius IX.[3] Church officials had been told that a 14-year-old[4] Catholic servant girl of the Mortaras, Anna Morisi, had baptized Edgardo while he was ill because she feared that he would otherwise die and go to Hell. Under the law of the Papal States, Edgardo's baptism, even if illegal under canon law, was valid and made him a Christian. Under the canon law, non-Christians could not raise a Christian child, even their own. In 1912, in his relation in favour of the beatification of Pope Pius IX, Edgardo himself noted that the laws of the Papal States did not allow Catholics to work in the homes of Jewish families.[5] That law was widely disregarded due to the ability of Catholic servants to work on the Jewish Shabbat[4].

Edgardo was taken to a house for Catholic converts (a "House of Catechumens"[4]) in Rome, maintained at state expense. His parents were not allowed to see him for several weeks, and then not alone. Pius IX took a personal interest in the case, and all appeals to the Church were rebuffed. Church authorities told the Mortaras that they could have Edgardo back if they abandoned their faith and converted to Catholicism, but they refused.

Reaction

The incident soon received extensive publicity both in Italy and internationally. In the Kingdom of Piedmont, the largest independent state in Italy and the centre of the liberal nationalist movement for Italian unification, both the government and the press used the case to reinforce their claims that the Papal States were ruled by medieval obscurantists and should be liberated from Papal rule.

Protests were lodged by both Jewish organizations and prominent political and intellectual figures in Britain, the United States, Germany, Austria, and France. Soon the governments of these countries added to calls for Edgardo to be returned to his parents. The French Emperor Napoleon III, whose troops garrisoned Rome to protect the Pope against the Italian anti-clerical unificationists, also protested.

When a delegation of prominent Jews saw the Pope in 1859, he told them, "I couldn't care less what the world thinks."[citation needed] At another meeting, he brought Edgardo with him to show that the boy was happy in his care. In 1865 he said: "I had the right and the duty to do what I did for this boy, and if I had to, I would do it again."[citation needed] In a speech in 1871 he called the Jews of Rome "dogs" and said: "of these dogs, there are too many of them at present in Rome, and we hear them howling in the streets, and they are disturbing us in all places." [6] [7]

The Mortara case served to harden the already prevalent opinion among liberals and nationalists in both Italy and abroad that the rule of the Pope over a large area of central Italy was an anachronism and an affront to human rights in an "enlightened" age of liberalism and rationalism. It helped persuade opinion in both Britain and France to allow Piedmont to go to war with the Papal States in 1859 and annex most of the Pope's territories, effectively leaving him with only the city of Rome in the end. When the French garrison was withdrawn in 1870, Rome too was annexed by the new, unified, liberal Kingdom of Italy.

Ordination and later life

In 1859, after Bologna had been annexed to Piedmont, the Mortara parents made another effort to recover their son, but he had been taken to Rome. In 1870, when Rome was captured from the Pope, they tried again, but Edgardo was then 19 and therefore legally an adult, and had declared his firm intention of remaining a Catholic. In that year, he moved his residence to France. The following year, his father died. In France, he entered the Augustinian order, being ordained a priest at the age of 23, and adopted the spiritual name Pius. He is also known as Pio Maria. Fr. Edgardo Mortara was sent as a missionary to cities such as Munich, Mainz and Breslau to preach to the Jews there. He became fluent in a variety of languages.

In 1912, in his written statement in favor of the beatification of Pius IX, Mortara recalled his own feelings about the abduction: "Eight days later, my parents presented themselves to the Institute of Neophytes to initiate the complex procedures to get me back in the family. As they had complete freedom to see me and talk with me, they remained in Rome for a month, coming every day to visit me. Needless to say, they tried every means to get me back — caresses, tears, pleas and promises. Despite all this, I never showed the slightest desire to return to my family, a fact which I do not understand myself, except by looking at the power of supernatural grace."[5]

During a public-speaking engagement in Italy he reestablished communications with his mother and siblings. In 1895, he attended his mother's funeral. His nieces and nephews, as adults, sadly recalled the frequent visits from the priest. It is not clear whether they knew him as a relative or "family friend."

In 1897, he preached in St. Patrick's Cathedral New York, but the Archbishop of New York told the Vatican that he opposed Mortara's efforts to evangelise the Jews on the grounds that such efforts embarrassed the Church in the view of the United States government. Mortara died in 1940 in Belgium, after spending some years in a monastery."

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Edgardo_Mortara. -- Zugriff am 2008-08-30]



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Der große Gimpelfang in Trier. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 33. -- Beiblatt. -- 1891-08-16

Erläuterung: bezieht sich auf die Heilig-Rock-Wallfahrt (siehe oben!)



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Aus Trier.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 34. -- S. 134. -- 1891-08-23

Erläuterung: bezieht sich auf die Heilig-Rock-Wallfahrt (siehe oben!)



Abb.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 35. -- S. 138. -- 1891-08-30

Die Pilgermassen, die in Trier zusammenströmen, sind so groß, dass die Veranstalter des Volksfestes kaum ihre Geschäfte bewältigen können. Daher leisten ihnen zahlreiche Freiwillige hilfreiche Hand.

Erläuterung: bezieht sich auf die Heilig-Rock-Wallfahrt (siehe oben!)


Lied der frumben Studenten.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 35. -- S. 139. -- 1891-08-30

O heilger Rock von Trier,
Gib uns ein gutes Bier!
Des Hopfens und der Gerste Kraft
Ein reines, frumbes Herze schafft.
O heilger Rock von Trier!

Von Trier du Röckelein,
Schaff uns ein guten Wein!
Ein guter Wein erkennen lehrt,
Wie man am besten dich verehrt,
Von Trier du Röckelein!

Von Trier du heilger Rock,
Gib ferner uns ein Schock1
Von Doppelkronen jedem Mann,
Dass wir dich würdig beten an,
Von Trier du heilger Rock!

Von Trier o Röcklein du,
Schaff endlich uns dazu
Ein guten, heilgen, deutschen Durst,
Dann blebt der Welten Tand uns Wurst,
Von Trier o Röcklein du!

Erläuterung:

1 1 Schock (Zählmaß) = 60 Stück



Abb.: Wer ist außerm Häuschen? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 43. -- Beiblatt. -- 1891-10-25

Erscheint Herr von Iswolski1 im Vatikan mit heiterm Angesicht, so setzt Baron Vlangali2 im Quirinal eine sorgenvolle Amtsmiene auf und vice versa. (Aus der "Kreuzzeitung").

Erläuterungen:

1 Alexander Petrowitsch Iswolski (Александр Петрович Извольский) (1856 - 1919)

"Iswolskij, Alexander Petrowitsch von, russ. Staatsmann, geb. 18. März 1856 in Moskau, wurde 1888 offiziöser Vertreter und 1894 nach Wiederherstellung der offiziellen Beziehungen Ministerresident am Vatikan, 1896 außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Belgrad, im Dezember 1897 in München und im August 1903 Gesandter in Kopenhagen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Vlangali: russischer Botschafter in Italien


Im neuen Kurs. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 46. -- S. 182. -- 1891-11-15

Ahi, das Blättlein wandt sich,
Hoch lebe der Papst auch in Danzig!
Frh. von Reiswitz

Wie anders sieht doch die Welt jetzt aus,
Verschwunden ist des Kulturkampfs Graus,
Der Staat schützt Frieden und Einigkeit
Und den heiligen Rock — keine Kleinigkeit.
Na wartet ein Weilchen!

Zu Danzig wurde, wie sich's gebührt,
Ins Amt ein katholischer Pfarrer geführt,
Und als Vertreter  des Staats war dabei —
Sogar der Direktor der Polizei.
Na wartet ein Weilchen!

Er war zwar ein evangelischer Christ,
Doch ein solcher doppelt berufen ist,
Zu preisen den Katholikentag,
Wie herrlich er sei und wieviel er vermag.
Na wartet ein Weilchen!

Es feiert die hohe Polizei,
Dass der Kulturkampf vorüber sei.
Noch vor einigen Jahren, wie wunderbar!
Die Polizei andrer Meinung war.
Na wartet ein Weilchen!

Vergessen ist aller Streit und Hass,
Und Hund und Katze erzählen sich was.
Wer denkt dran, wenn er wirklich liebt,
Wie das Schulgesetz aussieht, das man gibt?
Na wartet ein Weilchen!

O denke du nichts und stimme ihr bei!
"Hoch lebe er!" ruft die Polizei:
"Hoch lebe der papst!" Wir stimmen ihr zu
Reiß Witz, mein Sohn, wir lachen in Ruh
und warten ein Weilchen.

Erläuterung: Bezieht sich auf den deutschen Katholikentag in Danzig 30.8. - 3.9.1891



Abb.: Ernst Retemeyer: Eine schöne Bescherung für unsre Kleinen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 44, Nr. 52. -- S. 208. -- 1891-12-27



Abb.: Die bayerische Regierung wird den Bundesrat um Entscheidung zugunsten der Rückkehr der Redemptoristen1 angehen. Man bezweifelt nicht, dass der Bundesrat seine Einwilligung geben wird. In ultramontanen Kreisen hofft man schon auf weitere Erfolge, da die Redemptoristen den Jesuiten ungemein ähnlich sehen. Wie man hört, beabsichtigen die Redemptoristen, sobald ihnen die Grenze geöffnet wird, auf Velozipeden ihren Einzug ins Deutsche Reich zu halten. -- In: Kladderadatsch. -- 1891

Erläuterung:

1 Redemptoristen:

"Redemptoristen (lat., Kongregation des allerheiligsten Erlösers, Congregatio Sanctissimi Redemptoris, abgekürzt C. SS. R.), von Alfons Maria von Liguori (s. d.; daher Liguorianer) 1732 zu Neapel gestiftete und 1749 von Benedikt XIV. bestätigte Kongregation, die sich die Belebung römischkatholischer Religiosität besonders in den ländlichen Volksschichten durch Missionen und geistliche Exerzitien zum Ziele steckte.

Ihre Ausbreitung nach Polen, Österreich und andern Ländern verdankten die R. Klemens Maria Hoffbauer. Aus Deutschland wurden sie 1873 als Affiliierte des Jesuitenordens ausgewiesen, 1894 aber wieder zugelassen. 1906 zählten die Redemptoristen in 17 Provinzen und 12 Vizeprovinzen 192 Niederlassungen mit 3580 Mitgliedern, darunter 1757 Priester."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


1892



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Der bayerische Kulturetat sonst und jetzt. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 1. -- 2. Beiblatt. -- 1892-01-03

Die Zentrumspartei, welche vor zwei Jahren den ganzen Kultusetat zusammenstreichen wollte, bewilligt jetzt alles; es kommt eben bloß darauf an, von welcher Seite man das Ding ansieht.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): "Peter Arbues"1 (von W. v. Kaulbach) ins Russische übertragen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 2. -- Beiblatt. -- 1892-01-10

Erläuterung:

1 Peter de Arbues

"Arbuës, Peter de, span. Inquisitor, geb. mit 1411 zu Epila in Aragonien, Augustiner-Chorherr in Saragossa, warb 1484 zum ersten Inquisitor für Aragonien berufen und erwarb sich als solcher den Ruf eines unermüdlichen Verfolgers der Ketzer. Die Freunde und Verwandten seiner zahlreichen Opfer verschworen sich gegen ihn, und er starb 17. Sept. 1485 infolge eines Attentats, das in der Kirche vor dem Altar auf ihn gemacht worden war. Arbues wurde bald nach seinem Tod ein hochgefeierter Wundermann. Papst Alexander VII. sprach ihn 1661 selig, und Pius IX. nahm ihn 29. Juni 1867 in die Zahl der Heiligen auf. W. v. Kaulbach hat ihn auf seinem Bilde: Peter Arbues von Epila verurteilt eine Ketzerfamilie zum Tode, nach dem Typus von Schillers Großinquisitor dargestellt. Vgl. Zirngiebl, Peter A. (3 Aufl., Münch. 1872)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Abb.: Wilhelm von Kaulbach <1805 - 1874>: Peter Arbuez, 1869



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Das erste große Geschäft1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 5. -- S. 20. -- 1892-01-31

"Das ganze Bund Spargel kostet eine Mark, das halbe also fünfzig Pfennig." "Her mit der Hälfte!" -- "Hähähä! Nun nehmen die dummerhaftigen Kerls die olen gräunen Köpp. Hähähä!" (Frei nach "Dem drögen Hinrich sin Söhn" von H. Jürs2)

Erläuterungen:

1 Robert Graf von Zedlitz und Trützschler (1834 - 1914): preußischer Kultusminister 1891/92

"Zedlitz und Trützschler, Robert, Graf von, preuß. Staatsmann, geb. 8. Dez. 1837, schied 1862 aus dem aktiven Heeresdienst, bewirtschaftete sein Gut Nieder-Großenbohrau im Kreis Freistadt in Schlesien, kämpfte als Heeresfreiwilliger 1866 gegen Österreich und wurde Adjutant im Stab der Kavalleriedivision der zweiten Armee, 1870/71 Adjutant des Kommandos der immobilen Gardetruppen. Seit 1873 in vielen Ehrenämtern tätig, war er 1879 bis 1881 Vorsitzender des Provinzialausschusses von Schlesien, wurde 1881 Regierungspräsident von Oppeln, 1884 Mitglied des Staatsrats und 1886 Oberpräsident der Provinz Posen und Vorsitzender der Ansiedelungskommission für Westpreußen und Posen. Seit März 1891 Kultusminister, legte Z. das konservativ- ultramontan gefärbte Volksschulgesetz vor und nahm nach dessen Zurückziehung im März 1892 seine Entlassung. 1898 wurde er Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau, 1903 von Schlesien."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Heinrich Jürs (1844 - 1919): Zahnarzt und Verfasser plattdeutscher humoristischer Schriften.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Ein wahrer Staatsbau. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 5. -- Beiblatt. -- 1892-01-31

Weg mit eurer Bauerei, ich muss für Papa reinen Tisch machen!
So, Kinder, da habt ihr etwas, womit ihr spielen könnt.

Erläuterung: bezieht sich auf den Bau des neuen Berliner Doms

"Nach der Reichsgründung erneuerte sich der Ruf nach einem repräsentativen Gotteshaus, das sich mit den großen Kirchen der Welt messen konnte, immer lauter. 1885 legte der Architekt Julius Raschdorff, Professor an der Technischen Hochschule Charlottenburg, Pläne für einen Neubau vor. Aber erst Kaiser Wilhelm II. veranlasste den Abriss des Schinkel-Doms und den Bau eines neuen Doms nach Raschdorffs Plänen, die von einer eklektizistischen Anverwandlung von Bauformen der italienischen Hochrenaissance und des Barock geprägt waren.

Der Grundstein dieses Baus wurde am 17. Juni 1894 gelegt, die Fertigstellung wurde zunächst mit 1900 angegeben. Durch Bauverzögerungen wurde er jedoch erst am 27. Februar 1905 eingeweiht. Die Kosten in Höhe von 11,5 Mio. Mark bezahlte komplett der Staat.

Die Baupläne und spätere Bauausführung lagen in den Händen von Julius Raschdorff, seit 2. Juli 1892 Dombaumeister sowie seinem Sohn Otto, wobei sich der Kaiser während der gesamten Bauzeit einen Einfluss auf die Gestaltung des Domes vorberhielt. So ließ er besonders den Innenraum seinen Wünschen entsprechend anpassen (dabei setzte er unter anderem für die Ausmalung seinen persönlichen Hofmaler durch)."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Dom. -- Zugriff am 2008-09-01]



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 6. -- S. 23. -- 1892-02-07

Der sogenannte heilige Rock kann nicht zur Ruhe kommen, sondern geht immer noch um. Nachdem er in Berlin die Erfahrung gemacht hat, dass er dem frommen Kladderadatsch nichts anhaben kann, wirft er sich auf den ihm besonders unsympathischen Pfarrer Thümmel1 in Remscheid. Hoffentlich hat dieser ein Sprüchlein, welcher das unheimli9che Gespenst für immer dahin bannt, wohin es gehört.

Erläuterung:

1 Wilhelm Thümmel (1856 - 1928): großartiger protestantischer Katholikenhasser. Siehe ausführlich: http://www.bautz.de/bbkl/t/thuemmel_f_w.shtml. -- Zugriff am 2008-09-01.

"Thümmel, Wilhelm, prot. Theolog, geb. 6. Mai 1856 in Barmen, wurde 1881 Pfarrer in Geldern, 1884 in Remscheid, 1900 Privatdozent in Berlin, 1901 außerordentlicher Professor der praktischen Theologie in Jena und 1903 ordentlicher Professor daselbst. T. wurde wegen Verletzung des § 166 [Religionsbeschimpfung]: 23mal vor Gericht gefordert und zweimal verurteilt. Außer zahlreichen Abhandlungen und Vorträgen, die sich auf seine Prozesse und seine Auseinandersetzung mit dem Ultramontanismus beziehen (darunter »Rheinische Richter und römische Priester«, 2. Aufl., Barmen 1888), schrieb T. »Zur Beurteilung des Donatismus« (Halle 1893); »Die Versagung der kirchlichen Bestattungsfeier« (Leipz. 1902); »Der Religionsschutz durch das Strafrecht« (das. 1906)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Konfessionslos. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 6. -- S. 23. -- 1892-02-07

Singe, wem die reine Quelle
Quillt des Sanges in dem Busen:
Konfessionslos ist der Sänger,
Konfessionslos wie die Musen.

Liebe, wem ein Schatz beschieden,
Adelheiden, Karolinen:
Konfessionslos liebt das Fräulein,
Konfessionslos, die ihm dienen.

Zeche, wem die Kehle dürstet,
Superintendent und Pater:
Konfessionslos ist der Trinker,
Konfessionslos ist der Kater.

Gib, wenn Armut dir sich nahet,
Achte nicht der Konfessionen:
Konfessionslos ist der Geber.
Konfessionslos wird's Gott lohnen.

Wenn die Christen sollen Menschen
Sein und menschenwürdig handeln:
Konfessionslos durch das Leben
Konfessionslos lasst sie wandeln.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Eine himmlische Szene. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 6. -- Beiblatt. -- 1892-02-07

Erklärung: dargestellt ist der führende Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst (1812 - 1891) am Himmelstor.



Abb. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 7. -- S. 26. -- 1892-02-14

In konfessionell gesinnten Kreisen nimmt man mehr und mehr Anstoß an dem heidnischen Charakter, den das preußische Staatswappen durch die beiden wilden Männer erhält. Man verlangt eine Umgestaltung, die dem Geist unserer Zeit entspricht.


Abb.: Großes preußisches Staatswappen
[Bildquelle: Wikipedia. -- gemeinfrei]



An die Jesuiten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 7. -- S. 26. -- 1892-02-14

Wartet ein Weilchen, es weht jetzt ein Windchen,
Schwierig fürs schwankende Staatsschiff, mein Kindchen.
Wartet geduldig.

Winde und Wogen wehen und wallen,
Winde und Wogen weichen und fallen,
Wartet geduldig!

Will man euch diesseits der Berge verbieten,
Jenseits, ein Jährchen harret aus, Jesuiten!
Wartet geduldig!

Schiffe zu Schlachten verlangt man auch künftig,
Freut euch, sie fahren euch; wartet vernünftig,
Wartet geduldig!


In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 7. -- S. 27. -- 1892-02-14

Frage

Warum doch ähnelt, sage mir,
Der Papst dem Unteroffizier?

Antwort

Die Ähnlichkeit ist nicht weit zu suchen:
Sie können beide heillos fluchen.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 7. -- S. 28. -- 1892-02-14

"Der Unteroffizier ist für den Soldaten der Stellvertreter Gottes auf Erden." -- Daher führt er auch den Krummstab.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Zu unrechter Zeit. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 8. -- S. 32. -- 1892-02-21

Ballestrem1: Gnädiger Herr, einige Leute möchten ihnen eine loyole2 Aufwartung machen.
Caprivi3: Das fehlte mir noch! Der Kopf brummt mir schon genug: bin nicht zu sprechen für die Bagage.

Balestrem: Pst! Pst! Recht sachte die Treppe hinuntergehen!

Erläuterungen:

1 Franz Graf von Ballestrem (1834 - 1910)

"Ballestrem, Franz, Graf von, Reichstagsabgeordneter, geb. 5. Sept. 1834 zu Plawniowitz in Oberschlesien, wurde auf geistlichen Lehranstalten, zuletzt in Namur, gebildet, besuchte 1853–55 die Universität Lüttich und wurde 1855 Offizier. Nachdem er den Krieg von 1866 als Premierleutnant mitgemacht, wurde er 1867 Rittmeister und Eskadronschef und im Kriege gegen Frankreich 1870 erster Adjutant der 2. Kavalleriedivision (Graf Stolberg). Infolge eines Sturzes invalid geworden, ließ er sich 1872 in den Reichstag wählen und schloss sich der Zentrumspartei an. Er nahm an den Kulturkampfverhandlungen lebhaften Anteil und gehörte nach deren Beendigung zum konservativen Teil des Zentrums. 1890 wurde er zum ersten Vizepräsidenten des Reichstags und 1891 auch zum Mitgliede des preußischen Abgeordnetenhauses gewählt. Er ließ sich, weil er im Gegensatze zur Zentrumsmehrheit für die Militärvorlage gestimmt hatte, nach der Auflösung des Reichstags nicht wieder als Kandidat aufstellen, blieb aber Mitglied des Abgeordnetenhauses. 1898 wieder gewählt, ist er seit 7. Dez. d. I. Präsident des deutschen Reichstages. Schon seit 1873 päpstlicher Geheimer Kämmerer di spada e cappa, ward ihm 18. Juli 1900 wegen seiner Verdienste um das Zustandebringen der Flottenvorlage der Charakter als preußischer Wirklicher Geheimer Rat zu teil."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 loyole: Anspielung auf Ignatius von Loyola (1491 - 1556), den Gründer des Jesuitenordens.

3 Georg Leo von Caprivi de Caprera de Montecuccoli (seit 1891 Graf) (1831 - 1899 ): Reichskanzler von 1890 bis 1894.


Ein Nachspiel zur Trierer Rock-Ausstellung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 8. -- 1. Beiblatt. -- 1892-02-21

Von unserem Ultramontanen Mitarbeiter.

Von Trier kommen zwei Juden mit Vieh ..
Den heiligen Rock nicht verehrten sie!

Das ist der Aach und der Samuel --
Wie gut, dass wir nicht an ihrer Stell.

Entgegen kommt ihnen eine Schar,
Die eben in Trier gewesen war.

Mit Rosenkranz und Knotenstock
Wallen sie heim von dem heiligen Rock.

Die Juden an ihnen vorüberziehn,
Zu grüßen ihnen unnötig schien.

Da erfasst die Pilger wilde Wut,
"Hoho ihr Juden! Das kostet Blut!"

Mit Schirmen, Stöcken und lautem Schrein
Stürmten sie auf die Juden ein.

Mit Messern kitzelten die Juden sie --
Es rennt davon das entsetzte Vieh.

Und einer sogar -- ich verdenk's ihm nicht --
Nach Samuel mit der Fahne sticht.

Über das Blachfeld, arg verhaun,
Flüchten die Juden voll Angst und Graun.

Die Pilger aber wallen in Ruh
Betend und singend der Heimat zu.

In ihrem Kirchlein hängen sie drauf
Die Siegesfahne andächtig auf.

Dass gegen die Pilger jüngst das Gericht
Ist eingeschritten, begreif ich nicht.

Ein Glück ist's, dass von der ganzen Schar
Ein einzger nur zu ermitteln war.

Der Fahnenträger, der mit der Fahn
Nach Samuel stach wie ein Ulan.

Der kriegt einen Monat Kerker. Sprecht,
Ihr Richter, ist billig das und recht?

Die den heiligen Rock verspottet han,
Die hat in Berlin man laufen lan.

Und diesen frommen, der nichts verbrach,
Als dass er den Schmul mit der Fahne stach,

Den sperren sie in den Kerker ein.
Das scheint mir gar nicht gerecht zu sein.



Abb.: Ernst Retemeyer: Hie Christentum! Hie Atheismus! Eine Reichskanzler-Phantasie. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 9. -- Beiblatt. -- 1892-02-28


Der Traum. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 10. -- S. 37. -- 1892-03-08

Jüngst saß ich Nachmittags bei meiner Zeitung.
Nicht alles, was ich in den Spalten fand,
Gefiel mir, aus der Hand legt' ich das Blatt,
Lehnt' in das Sofa mich zurück und ließ
Mir durch den Sinn gehn, was die letzten Jahre
Erfreuliches und Trübes uns gebracht.
Dann fragt' ich mich: "Wie wird die Zukunft sich
Gestalten? Wird dem Land der Friede kommen,
Den wir ersehnen? Werden ärger noch
In Hass und Neid die Bürger sich entzweien?"
Da kein Prophet ich bin, so konnt' ich nicht
Die rechte Antwort finden, und im Sinnen
Und Grübeln nahte, wie nach Mittag das
Auch andern Sterblichen je wohl geschieht,
Als freundlicher Erlöser mir der Schlummer,
Und mit ihm kam ein wunderlicher Traum.
Mir träumte, dass das Volk gespalten war
In Streit und Zank, wie das in Wirklichkeit
Ja bei uns ist: der Armut wild Begehren
Rang mit der Reichen nimmer satten Habgier,
und in den Kampfruf der Parteien scholl
Die Mahnung frommer Eifrer: "Nur die Kirche
Vermag zu helfen. Wehe unserm Volk,
Wenn es zum Glauben nicht zurück sich wendet!"
Da trat der Herrscher vor sein treues Volk
Und sprach: "Wir alle wollen gute Menschen
Zu sein uns mühen, doch wir wollen nicht
Um Glaubenssätze streitend uns erzürnen.
Wer an geweihter Stätte näher sich
Dem Himmel fühlt, zur Kirche mag er gehn:
Wer als Vermittler nicht den Priester braucht,
Der bete still in seinem Kämmerlein:
Und wer zu sprechen nicht vermag: "Ich glaube",
Doch schlicht und selbstlos seine Pflicht erfüllt,
Er soll und als ein schlechtrer Mann nicht gelten.
So lasst im lande uns als Brüder wohnen
Verträglich, jeder helfe gern dem andern
Des Lebens Not und Leiden zu ertragen."
Als diese Botschaft durch das Volk erging,
Da fühlten tausend Herzen sich befreit
Von schwerem druck; die Gassen füllten sich
Mit froh bewegten Menschen, einer rief
Dem andern laut die gute Kunde zu.
Mich selber litt es nicht im engen Zimmer,
Ich fuhr empor -- da wich von meinen Lidern
Des Schlummers Bann: noch auf dem Sofa saß ich,
Vor mir noch lag die Zeitung auf dem Tisch.
Und klar ward mir, dass eben ich geträumt!



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Illustrierte Rückblicke vom 1. Januar bis 31. März: Hans im Glück oder ein Vierteljahr do-ut-dem-Politik1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 13. -- 1. Beiblatt. -- 1892-03-27

Hans begegnet mit seinem Goldklumpen dem Imponderabile der Bismarck'schen Machtmittel, einem Mann, der schon lange auf den Kornzöllen herumgeritten war, und tausch erfreut das Imponderabile gegen die Gunst der Freihändler ein. Mit der Zeit wird ihm die Freundschaft der Freihändler lästig, und er erwarb dafür die des guten Hirten Florian2, der auch einmal auf hohem Rosse sitzen wollte und vergnügt damit nach dem Erzbistum Posen abzog.
Da Hans mit der polnischen Freundschaft nicht weit kam, suchte er den Schatz der Zuneigung, den er sich erworben hatte, durch die Gewährung der Stolgebühren-Ablösung3 an die evangelische Kirche zu vergrößern. Noch eine Strecke weiter und er vermehrte seinen Schatz, indem er den Welfenfonds4 an den Herzog von Cumberland auslieferte und so die Machtmittel seiner Politik verstärkte.
Nun glaubte er gar nicht mehr zu wissen, wie er seinen Reichtum an Vertrauen, das in seine Politik gesetzt wurde, befestigen sollte und suchte vor allem das Zentrum durch den Volksschul-Gesetzentwurf zufrieden zu stellen. Bald darauf fiel Hansen jedoch der Schatz des allgemeinen Vertrauens unerwarteter Weise ins Wasser, und er konnte nun, unbehelligt durch irgendwelche Kompensationsobjekte, heim zu Muttern ziehen. -- Der Glückspilz. 

Erläuterungen: Parodie nach dem Grimmschen Märchen "Hans im Glück"

1 do ut dem: ich gebe, damit ich gebe; Abwandlung von do ut des: ich gebe dir, damit du mir gibst

2 Florian von Stablewski (1841 - 1906): ab 1891 Erzbischof von Posen-Gnesen (heute: Poznań-Gniezno) (siehe oben!)

3 Stolgebühren-Ablösung

"Stolgebühren (Jura stolae), die nach der ð Stola (s. d.) benannten Gebühren, welche die Geistlichen für kirchliche Handlungen, namentlich Taufen, Trauungen, Begräbnisse und Verrichtung der urkundlichen Funktionen innerhalb ihres Pfarrsprengels, beziehen. Schon zu Ende des 5. Jahrh. war eine Taxe für alle geistlichen Verrichtungen vorhanden; doch floß das von den Laien dafür in den Opferstock der Kirche gelegte Geld anfangs der Kirchenkasse zu, die davon den Pfarrern ihren Anteil gab. Erst später war jeder Parochus befugt, die S. für sich allein einzunehmen. Auch in die evangelische Kirche sind die S. (als zufällige Einnahmen hier auch Akzidenzien oder noch häufiger Kasualien genannt) übergegangen und haben hier sogar eine noch größere Bedeutung gewonnen. Die Bewegung, die sich in kirchlichen Kreisen namentlich gegen bestimmte Arten der S., wie das in der evangelischen Kirche weitverbreitete Beichtgeld, aber auch gegen die ganze Einrichtung, entwickelt hat, blieb zunächst bei der ungünstigen Vermögenslage der evangelischen Kirche erfolglos, hat aber in neuerer Zeit in vielen Landeskirchen dank dem Entgegenkommen des Staates ihr Ziel erreicht. So in Preußen, wo durch Kirchengesetz vom 28. Juli 1892, geändert durch Kirchengesetz vom 6. Juli 1898 und 1. Febr. 1904 sowie durch das korrespondierende Staatsgesetz vom 3. Sept. 1892, für die Landeskirche der ältern Provinzen die Aufhebung der S. angeordnet wurde und an ihre Stelle eine von den Kirchengemeinden unter gesetzlich garantierter Staatsbeihilfe zu leistende Entschädigung der geistlichen Stellen getreten ist. Ebenso wurden die S. aufgehoben in Schleswig- Holstein 1892, in der evang.-lutherischen Kirche Hannover 1892, in der evang.-reformierten Kirche dortselbst 1893, im Konsistorium Kassel 1893 und im Konsistorium Wiesbaden 1895. Vgl. Benario, Die S. nach bayrischem Staatskirchenrecht (Münch. 1894)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Welfenfonds

"Welfenfonds, das durch Vertrag vom 29. Sept. 1867 dem frühern König Georg V. (s. ð Georg 17) von Hannover zugewiesene, 2. März 1868 aber wieder sequestrierte Vermögen von 48 Mill. Mk., das durch eine besondere preußische Kommission in Hannover verwaltet, und dessen Zinsen zur Bekämpfung welfischer Umtriebe (vgl. Reptilienfonds) verwendet wurden. Seit 1879 erhielt die Witwe Georgs V., Königin Marie, nebst ihren Töchtern eine jährliche Rente von 240,000 Mk. aus dem W. Nachdem Georgs V. Sohn, der Herzog von Cumberland, 10. März 1892 in einem Brief an Kaiser Wilhelm II. jede Absicht feindseliger Unternehmungen von sich gewiesen hatte, wurde die Beschlagnahme des W. aufgehoben und das Kapital in seinem vollen Betrage von 60 Mill. Mk. dem Herzog ausgezahlt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Das Urteil Salomonis. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 14. -- 2. Beiblatt. -- 1892-04-03

So -- wem gehört der Hund? Jeder von euch erhebt Anspruch darauf. Das wollen wir schon rauskriegen; der wird seinem rechten Eigentümer schon zulaufen, wenn er losgelassen wird. Ich zähle bis drei, ihr pfeift, und das Weitere wird sich finden.

Eins -- zwei -- drei!
Wem gehört der Hund?

Erläuterung: dargestellt sind der katholische Politiker Franz Graf von Ballestrem (1834 - 1910) und der evangelische Politiker Adolf Stöcker (1835 - 1909), die beide die Oberhoheit über die Volksschule beanspruchen (zu beiden siehe oben!)



Abb.: Iwan als Rosstäuscher. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 17. -- S. 68. -- 1892-04-24

Herr von Kozlowski1 ist zum Erzbischof von Mohilew und damit zum katholischen Primas von Russland ernannt worden, darf aber auf Anordnung der Regierung weder die ihm unterstellten Bistümer visitieren noch Bischofskonferenzen einberufen.

Erläuterung:

1 Szymon Marcin Kozlowski (1819 - 1899): seit 1891 Erzbischof von Mahiljou (weißrussisch Магілёў; russisch Могилёв, polnisch Mohylew, ältere deutsche Transkription Mogilew), Weißrussland ( Беларусь).



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Die Wallfahrt nach Fulda: Großes Schauerstück, in Szene gesetzt vom Regisseur Grafen von Ballestrem1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 20. -- S. 80. -- 1892-05-15

Motto: "Der Papst ist ein Gefangener in seinem Palaste." Aus dem Aufruf "An die Katholiken Deutschlands".

Regisseur: Hurtig, Kinder, hurtig, damit wir mit der gelungenen Inszenierung dem Direktor Dreibund2 eine rechte Freude machen.

So ist's schön. Wenn ich bitten dürfte, lieber Leo3, noch ein bisschen trauriger, bitte, noch trauriger!

Erläuterungen:

1 Franz Graf von Ballestrem (1834 - 1910) (siehe oben!)

2 Dreibund: Bündnis zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien. Zwischen Deutschland und Österreich wurde er 7. Okt. 1879 geschlossen; Italien trat 1883 bei und erneuerte den Vertrag in bestimmterer Form 13. März 1887.

3 Papst Leo XIII.



Abb.: Die Wemdinger Teufelsbannung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 21. -- S. 82. -- 1892-05-22

Erläuterung: am 1891-07-13/14 nahmen Pater Remigius und Pater Aurelian aus dem Kapuziner Kloster Wemding (Bayern) mit Erlaubnis des Bischofs eine Teufelsaustreibung (Exorzismus) am 10jährigen Knaben Micheal Zilk aus Oberlotter-mühle [bei Feuchtwangen] vor.


Nachtwächterlied des Dr. Lieber1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 21. -- S. 83. -- 1892-05-22

Hört ihr Herrn, und lasst euch sagen,
Was die Glocke hat geschlagen.
Lasst die Jesuiten ins Land herein;
Dem Staate wird wohl, ihnen besser sein.
Lobt die Jesuiten!

Hört ihr Herrn, und denkt an Vota2,
Den Pater ohne den kein Jota
Der preußischen Königsherrlichkeit
Gekommen wär auf unsre Zeit.
Lobt die Jesuiten!

Hört, ihr Herrn, er  ging nach Polen,
Dem König die Anerkennung zu holen,
Und hat gepäppelt den Preußenaar,
Der vordem ein nacktes Spätzlein war.
Lobt die Jesuiten!

Hört, ihr Herrn, denkt an den Pater
Wolff3, gar gute Taten tat er.
Er fraß nicht etwa das preußische Lamm,
Sondern fängt's in majorem gloriam4.
Lobt die Jesuiten!

Hört, ihr Herrn, nur ihm alleine
Danken wir, dass in hellem Scheine
Die Preußenkrone scheint und schien,
Denn dafür wirkte er ja in Wien.
Lobt die Jesuiten!

Hört, ihr Herrn, und lasst das Schimpfen;
Wer sich will gegen Pocken impfen,
Der impft sich eben Pockenstoff ein,
Drum lasst die Jesuiten herein.
Lobt die Jesuiten!

Erläuterungen:

1 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902)

"Lieber,  Ernst Maria, deutscher Politiker, geb. 16. Nov. 1838 zu Kamberg in Nassau, gest. 31. März 1902 ebenda, Sohn des durch seine publizistische Tätigkeit bekannten katholischen Politikers Moriz L. (geb. 1790, gest. 29. Dez. 1860), studierte 1858–61 in Würzburg, München, Bonn und Heidelberg Philosophie und Rechtswissenschaft, erwarb sich den juristischen Doktorgrad und lebte als Privatmann in Kamberg. Seit 1870 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 1871 des Reichstags, schloß er sich der Zentrumspartei an und gehörte zum demokratischen Flügel der Ultramontanen, an dessen Spitze er 1893 die gemäßigten Mitglieder aus Schlesien aus dem Zentrum verdrängte, übernahm nach Windthorsts Tode die Leitung der Zentrumspartei und verstand es, sie im Reiche zum ausschlaggebenden Faktor der Politik zu machen. Er hatte enge Verbindung mit den Regierungskreisen; 1901 wurde er zum päpstlichen Kämmerer di cappa e spada ernannt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Carlo Maurizio Vota SJ (1629 - 1715)

"VOTA, Karl Moritz, * 8. bzw. 16. Februar 1629 Turin, † 9. Dezember 1715 in Rom. Seit dem Jahre 1645 Mitglied des Jesuitenordens, machte V. die im Orden üblichen Studien sowie ein Zusatzstudium. Er lehrte dann in Venedig und Turin. Hier schrieb er gegen die einen gewissen Einfluß ausübenden Waldenser. Papst Innozenz XI. entsandte ihn zu Kaiser Leopold I. und König Jan [Johann] Sobieski von Polen; mit diesen Herrschern sollte er Verhandlungen über die Türkenliga führen. Von Polen aus ging V. nach Moskau, um dort eine Niederlassung der Jesuiten zu gründen. Nach Polen zurückgekehrt, wurde er der Beichtvater Sobieskis. Er war auch beteiligt an der Konversion - in Baden bei Wien - des sächsischen Kurfürsten August I. des Starken, der 1697 zum polnischen König (in Polen: August II.) gewählt wurde. August der Starke behielt V. als Beichtvater. Im Jahre 1708 wurden V. für fünf Jahre Titel und Vollmachten eines Apostolischen Präfekten für Sachsen, des ersten nach der Reformation, verliehen. Die kath. Seelsorge in Dresden, Leipzig sowie auf Schloß Hubertusburg oblag Jesuitenpatres, die als königliche Kapläne angestellt waren. V. hatte einen großen Einfluß auf die beiden genannten polnischen Könige, die er häufig begleitete. So lernte er auch das kurfürstliche Haus Brandenburg kennen. Er befürwortete die Krönung Friedrichs I. zum König und versuchte, dafür die Zustimmung des Papstes zu erlangen. Seine Schreiben verraten einen Verfasser, dem Selbstüberheblichkeit und Rechthaberei nicht fremd waren."

[Quelle: Johannes Madey. -- In: http://www.bautz.de/bbkl/v/vota_k_m.shtml. -- Zugriff am 2008-09-02]

3 Friedrich Wolff von Lüdinghausen (1643 - 1708)

4 in majorem gloriam: latein. zur größeren Ehre; Anspielung an den Wahlspruch der Jesuiten: Omna ad maiorem Dei gloriam = Alles zur größeren ehre Gottes.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 21. -- 1. Beiblatt. -- 1892-05-22

Die Heiligsprechung des Entdeckers von Amerika, Columbus, wegen seiner Verdienste um die Kultur soll eine beschlossene Sache sein. Nach der Rede des Frh. von Huene1 über die "sogenannte Kultur", die nur eine christliche sein kann, sollen Cortez, Pizarro und andere sich gleichfalls um die Heiligsprechung bewerben.

Erläuterung:

1 Karl, Freiherr von Hoiningen, genannt von Huene (1837 - 1900)

"Huene, Karl, Freiherr von Hoiningen, genannt von H., Politiker, geb. 24. Okt. 1837 in Köln, gest. 13. März 1900 in Gossensaß, trat 1859 ins Heer, ward 1860 Leutnant im Elisabeth-Regiment, in dem er am dänischen Kriege 1864 und am österreichischen 1866 teilnahm, kam 1869 zum Generalstab, in dem er den französischen Krieg 1870/71 mitmachte, und wurde 1871 Hauptmann im 82. Regiment. 1873 aus dem Militärdienst geschieden, bewirtschaftete H. sein Gut Groß-Mahlendorf im Kreis Falkenberg in Oberschlesien, ward 1876 in das Abgeordnetenhaus gewählt, schloß sich der Zentrumsfraktion an und zeichnete sich durch Sachkenntnis, besonders in finanziellen und volkswirtschaftlichen Fragen, sowie durch Rednergabe und Mäßigung aus. Um die Verwaltung der Güter des Fürsten von Thurn und Taxis zu übernehmen, legte er 1882 sein Mandat nieder, wurde aber schon 1883 von dem inzwischen großjährig gewordenen Fürsten aus dieser Stellung entlassen und trat wieder in den Landtag und den Reichstag. In ersterm stellte er 1885 den zum Gesetz erhobenen Hueneschen Antrag (lex Huene, vgl. Verwendungsgesetz) über Verteilung des Mehrertrags der im Reich neu eingeführten Zölle für Preußen an die Kommunen, in letzterm wurde 1893 sein Vorschlag, der eine geringe Verminderung der Regierungsforderung hinsichtlich des Militäretats bedeutete, nach der Auflösung angenommen. H., selbst 1893 nicht wieder in den Reichstag gewählt, unterlag auch 1895 bei einer Nachwahl in Oberschlesien einem Polen und war zuletzt Präsident der Zentralgenossenschaftskasse in Berlin."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Zur Mediumistik. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 22. -- S. 87. -- 1892-05-29

Wie sich Schultze ein Medium "in Trance" vorstellt.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Die territoriale Selbständigkeit des Papstes oder Missglückte Teufelsaustreibung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 22. -- S. 88. -- 1892-05-29

P. Aurelianus Lieber1, Exorcista: Obste hergehst!
Umberto2 Diabolus: I mag net!

Erläuterungen:

1 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902) (siehe oben!)

2 Umberto Diabolus = der Teufel Umberto: Umberto I. (1844 - 1900): König von Italien 1878 bis 1900



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Jesuitendenkmal. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 23. -- S. 90. -- 1892-06-05

Aufschrift: Der Zweck heiligt die Mittel.



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Zu den Vorgängen in Uganda. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 25. -- S. 99. -- 1892-06-19


Die französische Rechte und der Papst. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 25. -- 1. Beiblatt. -- 1892-06-19

In Glaubenssachen gilt ihr als Berater
Der Papst, doch glauben an die Republik? . . .
"Nen, nein," sagt sie, "du selber, heilger Vater,
Glaubst doch an sie allein . . . aus Politik!"



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 26. -- 1. Beiblatt. -- 1892-06-26

Ein gewisser alter Herr aus Rom beschließt seine Kopfbedeckung, um in Frankreich bequemer reisen zu können, zu modernisieren.

Erläuterung:


Abb.: Jakobinermütze
[Bildquelle: Wikipedia. -- gemeinfrei]



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Die Englische Mission in Ostafrika. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 28. -- S. 112. -- 1892-07-10

Selig sind sie Friedfertigen.1

Erläuterung:

1 Matthäusevangelium 5,9: "Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen."



Abb.: Ernst Retemeyer: Ultramoontane Mondscheinsonate aus der Germania1 Hausmusik. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 34. -- 1. Beiblatt. -- 1892-08-21

Erläuterung:

1 Germania

"Germanĭa, am 1. Jan. 1871 begründete, täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung, vertritt die Interessen der deutschen Zentrumspartei und des römischen Stuhles unter jesuitischem Einfluss. Eine hervorragende Rolle spielte sie während des Kulturkampfes unter der Leitung Paul Majunkes, der 1878 aus der Redaktion ausschied."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 36. -- S. 143. -- 1892-09-04

Die Auszahlung der Sperrgelder1 an die Sperrlinge ist, wie die Zeitungen berichten, in vollem Gange.

Erläuterung:

1 Sperrgelder: siehe oben!


Dr. Lieber an die katholische akademische Jugend. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 37. -- 1. Beiblatt. -- 1892-09-11

Auf der in Mainz abgehaltenen Generalversammlung des Volksvereins für das katholische Deutschland äußerte Dr. Lieber1 nach der "Kölnischen Volkszeitung":  "Ach, wenn ich noch einmal 30 Jahre jünger wäre, was würde ich dann für einen Skandal vollführen." Die "Köln. Volkszeitung" nennt das einen "feurigen Appell an die Studenten."

Ha, wär um sechzig Semester
ich jünger noch einmal,
Was wollt ich da vollführen
Für einen Hauptskandal!

Ich würfe mit rüstigen Freunden
In nächtlichem Verein
Jedwelchem liberalen
Professor die Fenster ein.

Ich brächte den Darwinisten
Von Rektor 'ne Katzenmusik.
Ich bräche der Büste Goethes
Und Schillers vergnügt das Genick.

Die Tür der Freimaurerloge
Beschmiert ich mit Teufelsdreck,
Und an der Synagoge
Verstopft ich das Schloss mit Speck.

Ha, wär um sechzig Semester
ich jünger noch einmal,
Was wollt ich da vollführen
Für einen Hauptskandal!

 Erläuterung:

1 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902), seit 1871 Reichstagsmitglied (Zentrumsfraktion) (siehe oben!)


Aufruf. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 42. -- S. 167. -- 1892-10-16

Bedroht ist das Apostolikum1!
Ihr Ritter, schließt euch eng herum,
Um vor der Heiden wilden Stürmen
Das alte Bekenntnis treu zu schirmen!
O dürften wir drein mit dem Schwerte schlagen,
Wie man es tat in alten Tagen,
Als noch im Kopfe der Verstand
Nicht saß, nein, in der starken Hand!
Doch leider zieht man nicht mehr vom Leder,
Heut wird gekämpft nur mit der Feder.
Weil jeder von euch nun schreiben kann,
So unterschreibt jetzt Mann für Mann
Gleich gegen Harnack2 den Protest
Und haltet am alten Bekenntnis fest!
So werden gerettet die Gewissen,
So wird der Hölle der Sieg entrissen.
Drum unterschreibt voll Mut und Kraft!

Die Deutsche Adels-Genossenschaft.

Erläuterungen:

1 Apostolikum = Apostolisches Glaubensbekenntnis

Credo in Deum Patrem omnipotentem,
creatorem caeli et terrae;

Et in Iesum Christum,
Filium eius unicum,
Dominum nostrum,
qui conceptus est de Spiritu Sancto,
natus ex Maria Virgine,
passus sub Pontio Pilato,
crucifixus, mortuus et sepultus,
descendit ad infernos,
tertia die resurrexit a mortuis,
ascendit ad caelos,
sedet ad dexteram Dei Patris omnipotentis,
inde venturus est iudicare vivos et mortuos;
 

Credo in Spiritum Sanctum,
sanctam Ecclesiam catholicam (christam),
Sanctorum communionem,
remissionem peccatorum,
carnis resurrectionem,
et vitam aeternam. Amen.

Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen
Schöpfer des Himmels und der Erde.

Ich glaube an Jesus Christus,
Gottes eingebornen Sohn, unsern Herrn,
der empfangen ist vom Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontio Pilato,
gekreuziget, gestorben und begraben,
niedergefahren zur Hölle,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren gen Himmel,
sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.
von dannen er kommen wird,
zu richten die Lebendigen und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,
eine heilige christliche Kirche,
die Gemeinde der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und ein ewiges Leben. Amen.

 

Bezieht sich auf den Apostolikumsstreit:

"Der Apostolikumsstreit war an der Schwelle des 20. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung in der evangelischen Kirche um die Bindung an die altkirchlichen Bekenntnisse.

1871 lösten Karl Leopold Adolf Sydow und Emil Gustav Lisco mit der Infragestellung der im Apostolischen Glaubensbekenntnis artikulierten Jungfrauengeburt und der Höllenfahrt Christi erbitterte Streitigkeiten aus. 1891 verweigerte der württembergische Pfarrer Christoph Schrempf die übliche Rezitation des Apostolikums während der Taufe, was zu seiner Entlassung führte.

Den Höhepunkt des Streites löste Adolf von Harnack aus, der zwar nicht die Abschaffung des altkirchlichen Symbols, aber die Schaffung eines gleichrangigen, unanstößigen Formulars anregte. Darauf erklärte die Evangelisch-Lutherische Konferenz die Jungfrauengeburt zum Fundament des Christentums.

Der Streit führte in der Folge zum kirchlichen Erlass eines "Irrlehregesetzes" (1910), das 1911 bei Carl Jatho zur Anwendung kam."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Apostolikumsstreit. -- Zugriff am 2008-09-03]

2 Adolf von Harnack (1851 - 1930): evangelischer Kirchenhistoriker. 1892 erschien:

Harnack, Adolf von <1851 - 1930>: Das Apostolische Glaubensbekenntnis : ein geschichtlicher Bericht. -- Berlin : Haack, 1892. -- 41 S.


Abb.: Franz A. Jüttner (1865 - 1926): Die neueste Schule. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 42. -- S. 168. -- 1892-10-16

Verwaltungsbeamte in den Provinzen haben den Befehl erhalten, nach Berlin zu reisen, um dort einen Kursus für innere Mission durchzumachen. (Offiziöse Meldung.)



Abb.: Etwas zur Wittenberg-Feier1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 43. -- S. 171. -- 1892-10-23

Der neue Luther verbrennt zwar keine päpstliche Bulle, dagegen übergibt er, da er Harnacks2 selber nicht habhaft werden kann, wenigstens dessen Schrift über das Apostolikum3 der Flamme.

Erläuterungen:

1 Am 31. Oktober (Reformationsfest) 1892 wird  der 375. Jahrestag des Thesenanschlags Luthers (1517) gefeiert. Am 10. Dezember 1520 hat Luther die päpstliche Bannbulle Exsurge Domine vor dem Wittenberger Elstertor verbrannt.

2 Adolf von Harnack (1851 - 1930): evangelischer Kirchenhistoriker. 1892 erschien:

Harnack, Adolf von <1851 - 1930>: Das Apostolische Glaubensbekenntnis : ein geschichtlicher Bericht. -- Berlin : Haack, 1892. -- 41 S.

3 Apostolikum = Apostolisches Glaubensbekenntnis (siehe oben!)



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die evangelische Orthodoxie im Kampf gegen Harnack. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 44. -- Beiblatt. -- 1892-10-30

Wie lacht in Rom der alte Drache!
Denn siegt der junge, siegt des Alten Sache.

Erläuterung: zum Apostolikumsstreit siehe oben!



Abb. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 45. -- S. 179. -- 1892-11-06

In der letzten Sitzung des Berliner Spiritistenvereins stand, wie die Zeitungen berichten, auf der Tagesordnung ein Tanzvergnügen, das von den Anhängern der vierten Dimension1 demnächst abgehalten werden soll.

An den Tanzgesellschaften der Spiritisten pflegen sich stets mehr oder weniger viele Geister oder Gespenster zu beteiligen. Uneingeweihten erscheint das graulich, für Mitglieder des Vereins aber beginnt damit erst die Gemütlichkeit.

Erläuterung:

1 vierte Dimension: der Astronom und Physiker Johann Karl Friedrich (1834 - 1882), ein Verfechter einer vierten Raumdimension, erklärte in einer Veröffentlichung die Taten des Mediums Henry Slade, mit dem er experimentierte, durch das Wirken von Geistern, die in der vierten Dimension agieren. 



Abb.: Das neue Orchestermitglied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 45. -- 1. Beiblatt. -- 1892-11-06


Der Lerchenhof in Mieders1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 46. -- S. 183. -- 1892-11-13

Im Stubaital ein Gasthof stand --
Gottlob, er ist jetzt abgebrannt! --
So mancher Jud, manch Protestant
Die "Münchner Neuesten"2 nahm zur Hand,
Die er dort auf dem Tische fand.

Nun weißt du wohl, mein lieber Christ,
Wie es mit solchen Blättern ist:
Wenn man darinnen täglich liest,
Man ganz sein Seelenheil vergisst,
und plötzlich uns der Teufel frisst.

Der Pfarrer von Mieders sah dies ein,
Und plötzlich hub er an zu schrein:
"Die heilge Schrift beweist haarklein,
Ein Unglück ist's für die Gemein,
Vernichtet muss dies Gasthaus sein!"

Und als der dritte Tag anbricht,
Da brannte es schon loh und licht.
Nenn Florian3 den Bösewicht!
Allein der gute Heilge spricht:
"Das Amtsgeheimnis brech ich nicht."

Erläuterungen:

1 Mieders: Dorf im tirolischen Stubaital

2 Münchner Neueste Nachrichten

"Münchner Neueste Nachrichten, zweimal täglich in München erscheinende politische Zeitung liberaler und deutschnationaler Richtung. Sie wurde 1848 von R. Schurich gegründet, von 1862–81 von Julius Knorr und A. Vecchioni herausgegeben. Bis 1892 war E. Francke Chefredakteur, und bis 1902 A. J. Mordtmann. Jetziger Chefredakteur ist F. Trefz. Verleger und Herausgeber: Knorr u. Hirt h. Auflage etwa 90,000."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Sankt Florian: christlicher Märtyrer unter Diokletian, besonders bei Feuersgefahr angerufen.



Abb.: Das Ärgernis. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 46. -- S. 183. -- 1892-11-13

Da wackere Zentrumsleute Ärgernis an der geplanten Aufstellung der Lutherbüste im neuen Reichstagsgebäude genommen haben, empfiehlt es sich vielleicht, um ihnen Entgegenkommen zu beweisen den Friderizianischen Adler entsprechend umzugestalten.

Erläuterung: Soli cedit: latein. "Er weicht der Sonne": Abwandlung des preußischen Wahlspruchs: Nec soli cedit = [Der Adler] weicht nicht einmal der Sonne. Inschrift unter dem preußischen Adler, den Friedrich der Große am Neuen Palais in Sanssouci anbringen hatte lassen.



Abb.: Aus "Orpheus in der Unterwelt". -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 45, Nr. 48. -- 1. Beiblatt. -- 1892-11-27

Dr. Hans Styx Sigl1:

Wenn ich erst Prinz wär von Arkadien,
zeigt ich dem Zentrum meine Macht:
in Kelheim ging ich jüngst zum Henker,
Wo man beinah mich durchgebracht.

Doch wäre dies leicht zu verschmerzen,
Wenn man mich in Kaufbeuren wählt.
Ich hätt' in allen Lebensstadien
Die Zentrumsleute gern gequält.

Wenn ich erst Prinz wär von Arkadien,
Wär ich erst Prinz mal von Arkadien
An irgend einem Ort gewählt,
Dann soll das Zentrum es ausbadien u.s.w.

Erläuterungen: Parodie auf das Couplet (Nr. 11) von Hans Styx in Jaques Offenbach (1819 - 1880): Orpheus in der Unterwelt (Orphée aux enfers) (1858), Libretto von Hector Crémieux: 


HANS STYX

Als ich einst Prinz war von Arkadien,
Lebt' ich in Reichtum, Glanz und Pracht.
Das Alles ging sogleich zum Henker,
Als mich der Tod hat umgebracht.

Doch wäre dies leicht zu verschmerzen;
Nur eines geht mir gar zu nah,
Dass ich in jenen Lebensstadien,
Dass ich dich, Holde, niemals sah,
Als ich noch Prinz war von Arkadien.

 Wär' ich der Prinz noch von Arkadien,
Du teiltest mit mir meine Macht;
Doch bin ich leider nur ein Schatten,
Dieweil der Tod mich umgebracht.

Ein armer Schatten kann nichts spenden,
Als was ihm selber übrig blieb;
Drum wolle du ihn hoch begnad'gen
Und nimm's gefüllt mit heißer Lieb' -
Das Herz des Prinzen von Arkadien.

1 Johann Baptist Sigl (1839-1902): bayerische Zentrumsabgeordnete und Herausgeber der Zeitung "Das bayerische Vaterland". Asführlich zu ihm: Paul Hoser: Das Bayerische Vaterland. -- In: Historisches Lexikon Bayerns. -- URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44688. -- Zugriff am 2008-09-04


1893



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Der Preußische Kultusminister und die Dissidentenkinder1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 2. -- S. 7. -- 1893-01-08

Um den Religionsunterricht in erfreuliche Bahnen zu lenken, umgürtet sich Herr Bosse2 in der Dissidenten-Frage mit der Autorität des Staates in Religionssachen.

Erläuterungen:

1 Dissidenten

"Dissidénten (lat., »Getrennte, Außerkirchliche«), diejenigen Personen, die nicht zu der Staatskirche oder doch nicht zu den in einem Staat als vollberechtigt anerkannten Kirchen gehören. Da in den einzelnen Staaten nicht dieselben Religionsgemeinschaften als vollberechtigt anerkannt sind, so können die Angehörigen einer Kirche oder religiösen Sekte in dem einen Staatsgebiet als D. betrachtet werden, während sie in einem andern der privilegierten Kirche angehören. In Deutschland nennt man diejenigen Religionsgesellschaften D., die sich von den drei christlichen Hauptkonfessionen, der katholischen, lutherischen und reformierten, losgesagt haben. Da durch die neuere Gesetzgebung das Prinzip der Toleranz mehr und mehr zur Geltung gelangt ist, so ist heutzutage den dissidentischen Religionsgemeinschaften regelmäßig das Recht der freien und öffentlichen Religionsübung zugestanden, wenn sie auch die Rechte einer Korporation oder juristischen Person nur durch besondere staatliche Verleihung erlangen können. Für das Deutsche Reich begründet in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung die Konfession keinen Unterschied der Behandlungsweise mehr."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Robert Bosse (1832 - 1901): preußischer Kultusminister 1892 bis 1899

"Bosse, Robert, deutscher Staatsmann, geb. 12. Juli 1832 in Quedlinburg, gest. 31. Juli 1901 in Berlin, studierte die Rechte, trat nach kurzer Tätigkeit im preußischen Justizdienst 1861 als Kammerdirektor in die Dienste des Grafen zu Stolberg-Roßla, wurde 1868 Amtshauptmann in Uchte, dann Konsistorialrat und 1872 Regierungs- und Oberpräsidialrat in Hannover, zugleich Justitiar des Provinzialschulkollegiums. 1876 als vortragender Rat ins Kultus-, bald nachher in das Staatsministerium berufen, ward er 1882 Direktor der Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten. Seit Oktober 1889 Unterstaatssekretär im Reichsamte des Innern bearbeitete er besonders die Arbeiterversicherungsgesetze. 1890 erhielt er auch das Amt eines Staatssekretärs des preußischen Staatsrats, wurde im Januar 1891 Staatssekretär des Reichsjustizamts und Vorsitzender der Kommission für das Bürgerliche Gesetzbuch. Im März 1892 übernahm er das preußische Kultusministerium und erhielt 4. Sept. 1899 die erbetene Entlassung. Für das seit 1879 erscheinende »Wirtschaftsbuch für deutsche Beamte« und das für deutsche Beamtenfrauen (Hannover) schrieb er die Einleitung und gab seit 1883 die »Monatsschrift für deutsche Beamte« (Berlin) und mit Woedtcke einen »Kommentar zum Invaliden- und Altersversicherungsgesetz von 1889« (3. Aufl., Leipz. 1891) heraus. Außerdem schrieb er: »Grundzüge konservativer Politik, in Briefen etc.« (Berl. 1868, anonym) und »Die Vorbildung zum höhern Verwaltungsdienst in den deutschen Staaten, Österreich und Frankreich« (in den »Schriften des Vereins für Sozialpolitik«, Bd. 34, Leipz. 1887) und war in den letzten Jahren Mitarbeiter der »Grenzboten«. Als Sonderdruck aus letztern erschien: »Eine Dienstreise nach dem Orient« (Leipz. 1900)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Der fehlende Dispens. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 6. -- S. 22. -- 1893-02-05

Es meldet sich ein frommer Mann
Loyal zum Kaiseressen an.

Er setzt an die Tafel sich wohlgemut,
Wie duftet das erste Gericht so gut!

Doch als er eben einhauen will,
da wird er betroffen, gedrückt und still.

Er hat nicht gedacht an die Fastenzeit;
Ihm fehlt der Dispens, und der Pfarrer ist weit.

Die andern tafeln froh, frei, frisch,
Er hält sich tapfer an den Fisch.

Die andern schmausen ein gutes Ragout,
er sieht in stiller Wehmut zu.

Wie mundet den andern Fasan und Reh!
Er zieht den Duft ein in bitterm Weh.

Und als die Feier endlich aus,
Geht er mit mächtigem Hunger nach Haus.

O Mensch, bei solcher Gelegenheit
Denk immer an die Fastenzeit!

In der Tasche hat der Weise, wenn's
Zur Tafel geht, längst den Dispens.



Abb.: Ernst Retemeyer: Im Volkston. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 6. -- 1. Beiblatt. -- 1893-02-05

Der General der Kavallerie, Freiherr von Loe1 wird als Spezialgesandter zum Jubiläum des Papstes nach Rom gehen. (Zeitungsnachricht).

Für Melodie "Kommt ein ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://www.musicanet.org/robokopp/Lieder/kommtein.html. -- Zugriff am 2004-10-13]

 

Kommt a Vogerl geflogen,
Setzt sich nieder auf mein Fuß,
Hat'n Brieferl im Goscherl,
Bringt vom Liebchen ein Gruß.

Erläuterung: Papst Leo XIII. wurde  3. März 1878  zum Papst gekrönt, feierte also sein 15-jähriges Papstjubiläum.

Der Liedtext ist eine Abwandlung des Lieds von Adolf Bäuerle (1786-1859):

Kommt a Vogerl geflogen,
setzt si nieder auf mein Fuß,
hat a Zetterl im Schnaberl
und vom Diarndl an Gruß.

1 Friedrich Frh. von Loe (1828 -1908)

"Loë, Friedrich Karl Walter Degenhard, Freiherr von, preuß. General, geb. 9. Sept. 1828 auf Schloss Allner an der Sieg, entstammt einer reichsfreiherrlichen katholischen Familie, besuchte die Ritterakademie in Bedburg, studierte in Bonn, diente als Einjährig-Freiwilliger im 5. Ulanenregiment und trat 1848 in die schleswig-holsteinische Armee ein. Als Leutnant im 2. Dragonerregiment machte er den Feldzug des Sommers 1848 mit, nahm nach dessen Beendigung seinen Abschied und kam im Januar 1849 als Leutnant zum 8. preußischen Husarenregiment, mit dem er den Feldzug in Baden mitmachte, wurde 1853 Adjutant bei der Militärreitschule, besuchte 1855–58 die Kriegsakademie und wurde, seit 1857 Oberleutnant, 1858 Adjutant des Militärgouvernements von Rheinland und Westfalen, bald darauf Rittmeister im 7. Husarenregiment und persönlicher Adjutant des Prinz-Regenten. 1861 Major und königlicher Flügeladjutant geworden, begleitete er den Prinzen Albrecht nach Russland und nahm 1862 am Krieg im Kaukasus teil, ward dann Militärattaché in Paris und war unter General v. Bose 1864 an dem Feldzug in Algerien beteiligt. 1866 war er als Oberstleutnant im Gefolge des Königs, 1870/71 befehligte er das 7. (Königs-) Husarenregiment. 1871 erhielt er das Kommando der 21. Kavalleriebrigade, wurde 1873 Generalmajor, 1879 Generaladjutant des Königs, Generalleutnant und Kommandeur der 5. Division in Frankfurt a. O., 1885 Kommandeur des 8. Armeekorps und erhielt 1893 den Charakter als Generaloberst, 1905 den als Generalfeldmarschall. 1895 wurde er Oberbefehlshaber in den Marken, erhielt 1897 den aus Gesundheitsrücksichten erbetenen Abschied und nahm seinen Wohnsitz in Bonn. »Erinnerungen aus meinem Berufsleben« von L. erschienen 1901–05 in der »Deutschen Revue«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


An die Rabbiner Deutschlands. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 8. -- 1. Beiblatt. -- 1893-02-19

Rabbiner haben und Pfaffen auch
Und auch Bonzen den schönen Brauch,
Zu predigen die beste Lehre.
O wie schön es hienieden wäre
Auf dem Lande und in den Städten,
Wenn sie und andere danach täten.


Gegen die Leichenverbrennung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 12. -- 2. Beiblatt. -- 1893-03-19

"Leute von christlicher Gesinnung fühlen sich von dem Verbrennen der Leichen unangenehm berührt, da sie an eine Auferstehung des Leibes glauben." Dr. Lingens1

Begrabt die Toten! Sie zu verbrennen
Ist grober Unfug nur zu nennen.
Bedenkt, wie schwer ein Aschenrest
Sich dauernd zusammenhalten lässt
Wie leicht fällt eine Urne um
Und bricht in Stücke! Dann fliegen herum
Die Aschenstäubchen in den Winden
Und können sich nicht zusammenfinden,
Wenn einst am jüngsten Tag die Toten
Zur Auferstehung werden entboten.
Wohl herrsch im Grab der Verwesung Graus --
Man denkt das besser gar nicht aus --
Doch bleibt dort mehr auf einem Flecke
Der Mensch, und dass dies sehr zum Zwecke
Des Auferstehns zu wünschen ist,
Erkennt wohl jeder gläubige Christ.
Drum die ihr verbrennen wollt die Leichen,
Ihr sollt nicht euer Ziel erreichen
Trotz eures eifrigen Strebens und Ringens.
Das lasst euch gesagt sein!

Dr. Lingens.

Erläuterung:

1 Peter Lingens (1818 - 1902)

"Lingens, Peter Joseph Hubert, deutscher Politiker, geb. 10. Aug. 1818 in Aachen, gest. daselbst 31. Okt. 1902, studierte die Rechte und wurde 1845 Rechtsanwalt in Aachen, 1855 auch Stadtverordneter daselbst. Als eifriger Katholik 1871 vom Papst Pius IX. zum Ehrenkämmerer und 1873 von der Universität Löwen zum Ehrendoktor der Rechte ernannt, seit 1852 der katholischen Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses angehörig, wurde er 1871 in den Reichstag gewählt, dem er als demokratisch gesinntes Zentrumsmitglied und zuletzt als Alterspräsident bis 19. Okt. 1901 angehörte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Ein Bedenken. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 15. -- S. 60. -- 1893-04-09

Österreich wird bei der silbernen Hochzeit des Königs Humbert1 mit Rücksicht auf den Vatikan nicht durch den Kaiser, sondern nur durch den Erzherzog Rainer2 vertreten sein. (Zeitungsnachricht)

Wären wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es fasst mich kalt beim Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe.
(Faust, I)

Erläuterungen:

1 Humbert: Umberto I. (1844 - 1900): König von Italien 1878 bis 1900

2 Erzherzog Rainer Ferdinand Maria Johann Evangelist Franz Ignaz von Österreich (1827 - 1913)



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Vaticana. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 18. -- S. 72. -- 1893-04-30

Dass Leo des Aares Blitze putzt,
Ist schön, nur fragt sich's, ob's was nutzt:
Denn das Glänzen macht es nicht allein.
Es müssen auch Treffer darunter sein.



Abb.: Ernst Retemeyer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 18. -- 2. Beiblatt. -- 1893-04-30

Großes Kirchturmrennen (steeple-chase) zwischen "Elektrischer Hochbahn" (v. Siemens a. d. Halske) und "Berliner Mucker" (v. Obskurantismus a. d. Kirchenvertretung).



Abb.: Ernst Retemeyer: Römische Kunstfreunde. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 19. -- S. 76. -- 1893-05-17

Leo XIII. soll sich in letzter Zeit gänzlich von der Politik ferngehalten und einem reinen Kunstgenuss hingegeben haben, der die Sorgen verscheucht, versöhnlich stimmt und die Seele mit edler Heiterkeit erfüllt.

Erläuterung: der Papst betrachtet ein Bild von "Canossa 24. Januar 1077", d.h. einen Tag bevor König Heinrich IV. vor der Burg Canossa im Büßerhemd vom 25.–28. Januar 1077 auf der Erde ausharrte, um Papst Gregor VII. zur Aufhebung des Kirchenbannes gegen ihn zu bewegen.



Abb.: Eine nützliche Verwendung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 23. -- 1. Beiblatt. -- 1893-06-04

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, dachte Iwan, da schenkte er dem Papst zwei Vasen.

Nur nicht ängstlich, lieber Ferdinand1, wegen der neuen Freundschaft, sagte der gute Onkel Türke, da schenkte er dem Papste einen netten Ableger von dem Baume, in dessen Schatten bekanntlich gut wohnen ist.

Erläuterung:

1 Ferdinand I. (1861 - 1948): Fürst und König (bulg. Zar) von Bulgarien

"Ferdinand I., Fürst von Bulgarien, geb. 26. Febr. 1861 in Wien als Prinz F. Maximilian Karl Leopold Maria zu Sachsen-Koburg, jüngster Sohn des Prinzen August (gest. 26. Juli 1881) von der katholischen, in Ungarn begüterten Linie Koburg-Koháry und der Prinzessin Klementine von Orléans, Tochter des Königs Ludwig Philipp, trat früh in ein österreichisches Husarenregiment ein und ging 1886 zur ungarischen Honvédarmee über. Am 7. Juli 1887 vom Sobranje zum Fürsten von Bulgarien gewählt, leistete er 14. Aug. in Trnowo den Eid auf die Verfassung und hielt 28. Aug. in Sofia seinen Einzug. Obwohl er infolge von Rußlands Einspruch von den Mächten anfangs nicht als Fürst anerkannt wurde, behauptete er sich doch in der Herrschaft und wurde als Fürst mit dem Prädikat Königliche Hoheit 2. März 1896 auch von der Pforte bestätigt. Am 20. April 1893 vermählte er sich mit der Prinzessin Marie Luise von Parma (gest 31. Jan. 1899), die ihm 30. Jan. 1894 einen Sohn Boris (14. Febr. 1896 griechisch-orthodox getauft) und 1895,1898 und 1899 drei weitere Kinder gebar."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Ernst Retemeyer: Der bayerische Bauer und das Zentrum. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 24. -- S. 96. -- 1893-06-11

"Ist Euch nicht", fragte Sepp, der jenen trug,
"Die Mess zu lesen unserm Dorf befohlen?" --
"Ich wollte bloß den Zehnten holen",
Sprach da der Dicke. "Ihr seid fromm genug".

Patsch! warf den braven Zentrumsmann
Sepp in den Fluss und höhnt' ihn: "Lass mir's sagen,
Kommt wegen Messelesens ihr heran;
Alsdann will ich euch weiter tragen."

Frei nach A. F. E. Langbein1.

Erläuterung:

1 August Friedrich Ernst Langbein (1757 - 1835): Der Gerichtsverwalter

Gerichtsverwalter Veit, das Schrecken armer Bauern,
Trug seinen dicken Bauch tief krächzend über Land,
Und rief, als er von Regenschauern
Ein Bächlein angeschwollen fand,
Dem nächsten Ackersmann : "Mein Lieber,
Kommt her, und tragt mich da hinüber!"
Der Bauer kam im schnellsten Lauf;
"Gestrenger Herr, gleich will ich Ihnen
Als Leibross untertänig dienen !"
Und lud den Aktenreiter auf.

Sie waren mitten in dem Bach,
Als dankbarlich der Ritter sprach:
"Ich will's vergelten, lieber Alter,
Denn bald werd' ich vielleicht auf's Neu' Gerichtsverwalter." —
Da stand sein Leibroß still, und fragte: ,"Was sagt Er?
Ist Er denn nicht Gerichtsverwalter mehr?" — „
Ach! wisst Ihr's nicht?" begann der Rundbauch jetzt  zu klagen;
"Ich ward entsetzt vor wenig Tagen." —
Patsch ! warf den alten , dummen Veit
Der Bauer in den Fluss, und höhnt' ihn : "Lasst mir's sagen,
Wenn ihr aufs Neu' Gerichtsverwalter seid:
Alsdann will ich euch weiter tragen!"



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Ein wahrer Gläubiger. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 24. -- 1. Beiblatt. -- 1893-06-11

In Chicago nimmt man an, dass die Ausstellung1 in ihrer Gesamtheit angesichts der geringen Einnahmen demnächst auch am Sonntag trotz des Widerstands der Frommen geöffnet werden wird.

Erläuterung:

1 Weltausstellung Chicago 1893 (World's Columbian Exposition 1893)


Des Fürstbischofs Kopp1 Rat an die Geistlichen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 32. -- S. 127. -- 1893-08-06

Mein Sohn, denkst du auch an dein End
Und an das ewge Leben?
Hast du auch schon dein Testament
Zu Protokoll gegeben?

Arm kamst du zu uns aus der Welt
Jetzt hast du Geld auf Zinsen,
Es wäre Sünde, ging' das Geld
Der Kirche in die Binsen.

Verwandte  #willst du damit, weil
Sie arm sind, unterstützen?!
Ich glaube, deinem Seelenheil
Kannst du weit besser nützen.

Und Freunde?! O, sei auf der Hut
Vor Leuten, die erbschleichen
Und jener ekelhaften Brut
Von Leichenräubern gleichen.

Nun geh, mein Sohn, zum Amtsgericht,
Sorg für das ewge Leben.
und dann noch eins: vergiss auch nicht,
Die Abschrift mir zu geben.

Erläuterung:

1 Georg Kopp (1837 - 1914): Fürstbischof von Breslau seit 1887

"Kopp, Georg, Kardinal und Fürstbischof von Breslau, geb. 27. Juli 1837 in Duderstadt als Sohn eines Webers, besuchte das Gymnasium in Hildesheim, war 1856–58 Telegraphist im hannoverschen Staatsdienst, studierte 1858–61 in Hildesheim Theologie und ward 1862 Priester. Nachdem er Schulvikar in Henneckenrode und Kaplan zu Detfurt gewesen, ward er 1865 Hilfsarbeiter am Generalvikariat in Hildesheim, 1872 Generalvikar und Domkapitular und 1881 Bischof von Fulda. Trotz der gehässigsten Anfeindungen seitens der ultramontanen Presse bemüht, ein friedliches Verhältnis der Kirche zur preußischen Regierung herzustellen, unterstützte er den Papst Leo XIII. bei den Verhandlungen über die Revision der Maigesetzgebung. Zum Mitgliede des Herrenhauses ernannt, nahm er 1886–87 an den Beratungen über die neuen Kirchengesetze vom 21. Mai 1886 und 30. April 1887 hervorragenden Anteil, gab auch im Namen des Papstes bindende Erklärungen ab. Der Papst ernannte ihn 1887 mit Zustimmung der preußischen Regierung zum Fürstbischof von Breslau, 1893 zum Kardinal."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Zum Würzburger Katholikentag. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 36. -- S. 144. -- 1893-09-03

Nachdem Leo XIII. den Ralliierten1 in Frankreich mit seinem Segen bei den Wahlen geholfen hat, sucht er auf dieselbe Weise die Sache der deutschen Zentrumsleute zu heben. Glück auf!

Erläuterung:

1 Ralliierte

"Ralliierte (Ralliés, »Wiedervereinigte«), in Frankreich in den 1880er Jahren aufgekommene Parteibezeichnung für die ehemaligen Monarchisten (Royalisten und Bonapartisten), die sich mit der Republik ausgesöhnt haben."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Aus den Würzburger1 Tagen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 37. -- S. 145. -- 1893-09-10

In weihevollen Tagen war's
Die weihevollste Stunde,
Als jedes Ohr mit Andacht hing
An des biedern Mortara2 Munde.

Er sagte: "Ich bin ein Kind und kann
Das Deutsche leider nicht sprechen,
Mit großer Mühe kann ich es nur
Ein wenig radebrechen.

So stamml' ich laut: "die Versammlung hier
Ist eine pyramidale!"
Nicht enden wollender Beifall scholl
Im dicht gefüllten Saale.

Er stammelte weiter: Nicht alles ist
Im deutschen Reich erfreulich:
Zu viele Protestanten sind
Darin, und die sind greulich.

Freimaurer sprechen der Kirche Hohn
Und freuen sich diabolisch --
Ex jure aber ist immer noch
Die deutsche Nation katholisch!"

Betäubender Beifallsjubel scholl,
Aufs neue stets dröhnt es wieder.
Freund Windthorst3 hört oben den Lärm
Und schaut zur Erde nieder.

Durch seine Brille -- er trägt sie noch stets --
Sah scharf er auf das Treiben:
"Wer kann, und wenn er ein Engel ist,
Dabei noch ruhig belieben!

Katholisch ist Deutschland ganz gewiss,
Wie stets ich behauptet habe,
Doch muss uns erst bezeugen das
Der frühere Judenknabe?

Wie kann man sich nur so ungeschickt
Benehmen! Immer bunter
Geht es in meinem Zentrum zu,
O dürft ich wieder hinunter!

Gemischt ist die Gesellschaft ja!
Ich hatte in langen Jahren
Viel Mühe, vor törichten Streichen sie
Fürsorglich zu bewahren.

Kaum hab ich den Rücken gekehrt, so geht
Schon alles drunter und drüber!"
Da meldete unten sich zu Wort
Der treffliche Dr. Lieber4.

Ergriffen fühlte vor Schauder sich
Freund Windthorst, ohne Säumen
Zog leise fluchend sich zurück
Nach den hinteren Himmelsräumen.

Erläuterungen:

1 Katholikentag 27. - 31. August 1893 in Würzburg

2 Edgardo Mortara (1851 – 1940): jüdischer Knabe, der im Kirchenstaat gekidnappt wurde und als Katholik aufgezogen wurde. (siehe oben!)

3 Ludwig Windthorst (1812 bis 1891): führender katholischer Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker (siehe oben!)

4 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902): Zentrumspolitiker (siehe oben!)


Leos Wahlsegen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 37. -- 1. Beiblatt. -- 1893-09-10

Es steht mit dem Segen des Papstes nicht gut,
Bei den Wahlen scheint nichts er zu nützen,
Eins konnt' er vorm Durchfall das adlige Blut
Der Monarchisten nicht schützen.

Jetzt traf sie der Segen zum zweiten Mal,
Und wiederum sind sie Blamierte,
Sie fielen wiederum durch bei der Wahl,
Zwar diesmal als "Ralliierte1."

Erläuterung:

1 Ralliierte

"Ralliierte (Ralliés, »Wiedervereinigte«), in Frankreich in den 1880er Jahren aufgekommene Parteibezeichnung für die ehemaligen Monarchisten (Royalisten und Bonapartisten), die sich mit der Republik ausgesöhnt haben."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Sonst und jetzt. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 41. -- S. 164. -- 1893-10-08

Der Vatikan hat eine Note an die Mächte gerichtet und gegen den Ankauf des Palastes Borghese1 durch die Freimaurerloge protestiert, da der Palast früher den Päpsten gehört habe.

Erläuterung:

1 1893 zog der Freimaurer-Dachverband Grande Oriente d’Italia (GOI) in den Palazzo Borghese um.


 Ostpreußische Kapuziner-Predigt. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 50. -- S. 198. -- 1893-12-10

(Gehalten von einem Königsberger Konsitorialrat.)

Heisa! jucheisa! Dudeldumdei!
Wer tanzt dort? Pastoren sind auch dabei?
Seid ihr die Lehrer von frommen Christen?
Seid ihr Gaukler? Seid ihr Equilibristen?
Statt ehrbar zu gehn in Talar und Bäffchen1,
Hopst ihr herum wie die Jahrmarkts-Äffchen!
Wo last ihr von Moses und den Propheten,
Dass sie sich nach Strauß und Millöcker drehten?
Zerschlug nicht Moses das Kalb von Golde2,
Dass keiner mehr den Walzer drum rum tanzen sollte?
Ihr aber folgt nicht den heiligen Schriften
Und lasst euch durch weltliche Lust vergiften.
Wo blieb eure Binde, der lange Rock?
Treibt euch der Teufel? Stößt euch der Bock?
Lackstiefel und Claque3 sind euer Geschmack,
Tragt lieber den Schniepel4 als die Bibel,
Drin tanzt ihr der geistlichen Würde beraubt,
Wie Herodias Kind um des Täufers Haupt5!
Mit Kartenspielen und Zechgelage
Macht den Tag ihr zur Nacht und die Nacht zum Tage,

Liebt mehr den Pokal als den Choral,
Seid mit den vier Königen im Whist6 bekannt
Mehr als mit den dreien vom Morgenland7 --
Und statt zu taufen und kopulieren8,
Wollt ihr nur saufen und pokulieren9,
Und statt an den Gräbern zu stehn im Ornat,
Da haltet ihr "Leichenreden"10 im Skat!
Die siebente Bitte11, die solltet ihr üben,
Doch ihr übt wohl lieber die Lustige Sieben12!
Rings ist die Angst vor dem Spielteufel groß,
Ein Strafgericht bricht in Hannover los.
Ihr aber spielt weiter und knobelt euch arm
Und tanzt noch dazu -- dass sich Gott erbarm!
Doch siehe, auch euch trifft das Strafgericht:
Ein Mene tekel upharaim
-- (Zu deutsch ein "Wart, ich komm ihm!") --:
Wer künftig noch Walzer und Hof-Quadrille
Mehr liebt als Psalter und Haus-Postille13,
Und, statt sich zu bilden an Knak14 und Stöckern15,
Nur schwärmt für Rämsche16 und Solos in Eckern,
Der hoffe nicht ferner auf fette Pfründen,
Der mag sich mit sechshundert Tälerchen schinden,
Der sitzt statt in Glücksburg und Freudenstadt,
In Neidenburg, Elend und Nimmersatt.
Dort mag er sehn, ob die Stolgebühren17
Die Butter aufs trocke Brot ihm schmieren!
Nie wird ihm in Stiftern und Dompropstein
Die Bürde des Amtes zum Schmerbauch gedeihn,
Er ernähre sich wie der verlorne Sohn18,
Von Träbern19, die sonst -- na, ihr wisst wohl schon! --
Kurz: Wer noch kennet die Farben der Karten,
Der lerne dazu noch das Darben und Warten!
Ingleichen, wer nicht von dem Tänzlein lässt,
Kriegt niemals ein Ränzlein -- probatum est20!

Erläuterungen:

1 Bäffchen

"Beffchen (Bäffchen), die beiden kleinen, viereckigen Läppchen, die die christlichen Geistlichen vorn am Hals über der Amtskleidung, an manchen Orten auch sonst als Standesauszeichnung tragen; sie sind bei den protestantischen Geistlichen in der Regel weiß, bei denen andrer Kirchen auch schwarz oder violett und häufig nur weiß eingefaßt. Ihre Stelle vertreten hier und da weiße, steif gefältelte Halskrausen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Goldenes Kalb: Exodus 32:

"1Da aber das Volk sah, dass Mose verzog, von dem Berge zu kommen, sammelte sich's wider Aaron und sprach zu ihm: Auf, mache uns Götter, die vor uns her gehen! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat. 2Aaron sprach zu ihnen: Reißt ab die goldenen Ohrenringe an den Ohren eurer Weiber, eurer Söhne und eurer Töchter und bringet sie zu mir. 3Da riss alles Volk seine goldenen Ohrenringe von ihren Ohren, und brachten sie zu Aaron. 4Und er nahm sie von ihren Händen und entwarf's mit einem Griffel und machte ein gegossenes Kalb. Und sie sprachen: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben! 5Da das Aaron sah, baute er einen Altar vor ihm und ließ ausrufen und sprach: Morgen ist des HERRN Fest. 6Und sie standen des Morgens früh auf und opferten Brandopfer und brachten dazu Dankopfer. Darnach setzte sich das Volk, zu essen und zu trinken, und standen auf zu spielen. 7Der HERR aber sprach zu Mose: Gehe, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat's verderbt. 8Sie sind schnell von dem Wege getreten, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. 9Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. 10Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie ergrimme und sie vertilge; so will ich dich zum großen Volk machen. 11Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn ergrimmen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand hast aus Ägyptenland geführt? 12Warum sollen die Ägypter sagen und sprechen: Er hat sie zu ihrem Unglück ausgeführt, dass er sie erwürgte im Gebirge und vertilgte vom Erdboden? Kehre dich von dem Grimm deines Zornes und lass dich gereuen des Übels über dein Volk. 13Gedenke an deine Diener Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will euren Samen mehren wie die Sterne am Himmel, und alles Land, das ich euch verheißen habe, will ich eurem Samen geben, und sie sollen's besitzen ewiglich. 14Also gereute den HERRN das Übel, das er drohte seinem Volk zu tun. 15Mose wandte sich und stieg vom Berge und hatte zwei Tafeln des Zeugnisses in seiner Hand, die waren beschrieben auf beiden Seiten. 16Und Gott hatte sie selbst gemacht und selber die Schrift eingegraben. 17Da nun Josua hörte des Volks Geschrei, dass sie jauchzten, sprach er zu Mose: Es ist ein Geschrei im Lager wie im Streit. 18Er antwortete: Es ist nicht ein Geschrei gegeneinander derer, die obliegen und unterliegen, sondern ich höre ein Geschrei eines Singetanzes. 19Als er aber nahe zum Lager kam und das Kalb und den Reigen sah, ergrimmte er mit Zorn und warf die Tafeln aus seiner Hand und zerbrach sie unten am Berge 20und nahm das Kalb, das sie gemacht hatten, und zerschmelzte es mit Feuer und zermalmte es zu Pulver und stäubte es aufs Wasser und gab's den Kindern Israel zu trinken."

3 Claque

"Claqueurs (franz., spr. klakör), die bezahlten »Klatscher« in den Theatern, deren Gesamtheit während einer Vorstellung oder überhaupt die Claque genannt wird. In Paris entstanden, hat sich die Claque auch auf die Hauptstädte andrer Länder, besonders England, Deutschland (Berlin), Österreich (Wien) und Amerika, verbreitet. Sie hat zunächst den Zweck, das Publikum zum Applaus zu reizen und dadurch einem Stück oder Darsteller Erfolg zu sichern. Schon 1820 errichtete in Paris ein gewisser Sauton eine Assurance de succès dramatiques, welche die C. in der nötigen Zahl stellte und ebenso einen Applaus besorgte, wie sie auch für eine bestimmte Summe einen Nebenbuhler auspfeifen ließ. Die C. werden in Paris gewöhnlich Chevaliers du lustre genannt, weil sie sich meist in die Mitte des Parterres unter den Kronleuchter setzen. Eingeteilt werden sie in Tapageurs, die häufig und stark applaudieren; Connaisseurs, die nur durch beifälliges Murmeln oder gelegentliche Bemerkungen ihrem Nachbar den Dichter oder Schauspieler zu empfehlen suchen; Rieurs, die so herzlich zu lachen wissen, daß auch ihre Nachbarn davon angesteckt werden; Pleureurs, die gleiches Geschick im Gerührtsein haben; Chatouilleurs, die vor Anfang des Stückes und in den Zwischenakten die Nachbarn freundlich stimmen; Chauffeurs, die bei Tage vor den ausgehängten Theaterzetteln stehen bleiben und die Schönheit des Stückes preisen, in Kaffeehäusern günstige Rezensionen vorlesen, ungünstige beiseite schaffen etc.; Bisseurs, Dakaporufer. So hat sich dieses Unwesen nach und nach zu einem System ausgebildet und ist zu einem ziemlich einträglichen Geschäft geworden. Das französische Publikum übt gegen die C. nicht selten strenge Justiz aus, wenn sie ihre Unverschämtheit übertreiben, während das deutsche Publikum sich bisher noch sehr nachsichtig gezeigt hat."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Schniepel  = Frack, Cut

5 Herodias Kind: Matthäusevangelium 14

"3Denn Herodes hatte Johannes gegriffen und in das Gefängnis gelegt wegen der Herodias, seines Bruders Philippus Weib. 4Denn Johannes hatte zu ihm gesagt: Es ist nicht recht, dass du sie habest. 5Und er hätte ihn gern getötet, fürchtete sich aber vor dem Volk; denn sie hielten ihn für einen Propheten. 6Da aber Herodes seinen Jahrestag beging, da tanzte die Tochter der Herodias vor ihnen. Das gefiel Herodes wohl. 7Darum verhieß er ihr mit einem Eide, er wollte ihr geben, was sie fordern würde. 8Und wie sie zuvor von ihrer Mutter angestiftet war, sprach sie: Gib mir her auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers! 9Und der König ward traurig; doch um des Eides willen und derer, die mit ihm zu Tische saßen, befahl er's ihr zu geben. 10Und schickte hin und enthauptete Johannes im Gefängnis. 11Und sein Haupt ward hergetragen in einer Schüssel und dem Mägdlein gegeben; und sie brachte es ihrer Mutter."

6 Whist: ein aus England stammendes Kartenspiel, das, wie der Name andeutet, große Aufmerksamkeit und deshalb »Stille« erfordert.

7 drei Könige aus dem Morgenland: Matthäusevangelium 2

"1Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen die Weisen vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen:2Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten."

8 kopulieren: die Ehe einsegnen

9 pokulieren = bechern

10 Leichenrede: Unterhaltung am Skattisch über das soeben beendete Spiel.

11 siebte Bitte des Vaterunser: "sondern erlöse uns von dem Bösen."

12 Lustige Sieben: Hasardspiel mit 2 Würfeln und einer Tafel

13 Hauspostille: Sammlung von Predigten Martin Luthers (1544)

14 Gustav Knak (1806-1878): bedeutsamer Erweckungsprediger, Förderer des Missionsgedankens und viel beachteter Kirchenlieddichter.

15 Adolf Stoecker (1835 - 1909): evangelischer Theologe, Politiker, Antisemit und Sozialreformer

16 Ramsch: Kartenspiel, bei dem der Verlierer die meisten Augen erhält.

17 Stolgebühren (Jura stolae): Gebühren, welche die Geistlichen für kirchliche Handlungen, namentlich Taufen, Trauungen, Begräbnisse und Verrichtung der urkundlichen Funktionen innerhalb ihres Pfarrsprengels, beziehen.

18 Gleichnis vom Verlorenen Sohn: Lukasevangelium 15

"11Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12Und der jüngste unter ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört. Und er teilte ihnen das Gut. 13Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn alles zusammen und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen.  14Da er nun all das Seine verzehrt hatte, ward eine große Teuerung durch dasselbe ganze Land, und er fing an zu darben. 15Und ging hin und hängte sich an einen Bürger des Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit Trebern, die die Säue aßen; und niemand gab sie ihm.  17Da schlug er in sich und sprach: Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger! 18Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir  19und bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner! 20Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals und küßte ihn. 21Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße. 22Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor und tut es ihm an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße, 23und bringet ein gemästet Kalb her und schlachtet's; lasset uns essen und fröhlich sein! 24denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein.  25Aber der älteste Sohn war auf dem Felde. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er das Gesänge und den Reigen; 26und er rief zu sich der Knechte einen und fragte, was das wäre. 27Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat ein gemästet Kalb geschlachtet, daß er ihn gesund wieder hat. 28Da ward er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.  29Er aber antwortete und sprach zum Vater: Siehe, so viel Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästet Kalb geschlachtet. 31Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. 32Du solltest aber fröhlich und gutes Muts sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden. "

19 Träber (Treber, Trester, Seih): die ausgezogenen Malzhülsen der Bierbrauereien und die ausgepreßten Weintrauben.

20 probatum est: latein. es ist bewährt, es hilft.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Stimmt der Bundesrat dem Jesuitenantrag zu? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 50. -- S. 200. -- 1893-12-10

Man ist gespannt, ob dies Mals der grimme Hagen die Probe auf das Gelingen jenes Unternehmen machen und den armen Pfaffen ins Wasser werfen wird.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Ein frommer Wunsch: Der Abgeordnete Sigl wünscht, dass das preußische Ministerium aus lauter Jesuiten bestände.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 46, Nr. 50. -- 3. Beiblatt. -- 1893-12-10

Erläuterung: In der Debatte im deutschen Reichstage vom 1893-12-01 über die Aufhebung des Jesuitengesetzes sagte der bayerische Zentrumsabgeordnete und Herausgeber der Zeitung "Das bayerische Vaterland" Johann Baptist Sigl (1839-1902) : "Ich wünschte, das ganze preußische Ministerium bestünde aus Jesuiten."


Abb.: Johann Baptist Sigl: Dr. Sigl heißt er, Jud und Preuß verspeist er. -- Das Bayerische Vaterland. -- 1901

[Bildquelle: Dr. Sigl, ein Leben für das Bayerische Vaterland / hrsg. von Rupert Sigl. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1977. -- 327 S. : Ill. ; 21 cm. -- (Rosenheimer Raritäten). -- ISBN 3-475-52201-2. -- Vor S. 17]


1894



Abb.: Der Neujahrs-Artikel der Kreuzzeitung1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 1. -- S. 3. -- 1894-01-07

Sie mahnt die Ihren, fromm mit Beten
Ins neue Jahr hineinzutreten,
Getreu der alten Tradition.
Doch was das heißt, das weiß man schon:
Man liegt vorm Heiligen im Staub
Und reitet dann vergnügt auf Raub.

Erläuterung:

1 Kreuzzeitung

"Neue Preußische Zeitung (gewöhnlich nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), zweimal täglich in Berlin erscheinende politische Zeitung, das Organ der evangelischen Hochkonservativen. Sie wurde 1848 gegründet und bis 1853 von dem spätern Geheimen Oberregierungsrat Herm. Wagener redigiert, dem Beutner (bis 1872), Ph. v. Nathusius-Ludom (bis 1876), Oberregierungsrat v. Niebelschütz (bis 1881), Freiherr v. Hammerstein (s. d. 2), nach dessen Suspension im Juli 1895 Professor Kropatscheck (s. d.) und 1906 J. Hermes folgten. Seit 1899 gehört sie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer der Rittergutsbesitzer Otto v. Rohr in Dannenwalde ist."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 13. -- 1. Beiblatt. -- 1894-04-01

Die Polen in Preußen, Russland und Österreich erfahren durch die letzte Enzyklika1, dass es ihnen im Grunde genommen ganz ausgezeichnet gehe. Schluss! Schluss! Schluss!

Erläuterung:

1 Enzyklika Caritatis vom 1894-03-19

"Caritatis ist eine Enzyklika von Papst Leo XIII., mit der er sich am 19. März 1894 an die polnischen Bischöfe wandte um „über die Kirche in Polen“ zu schreiben.

Die politischen, kulturellen und industriellen Umwälzungen veranlassten den Papst, über die Kirche in Polen zu schreiben. Er stellte in dieser Enzyklika den Nutzen der Religion in den Blickpunkt seiner Überlegungen.

Er fordert dazu auf, an der Religion festzuhalten und die Regeln und Gebote zu befolgen. Er erinnert daran, dass es die elterliche Pflicht sei, ihre Kinder im Glauben zu erziehen und ihnen eine christliche Ausbildung zukommen zu lassen. Es sei wichtig die Anforderungen an die Priesterseminare streng zu befolgen und der Studienlehrplan müsse nach bibeltreuen und disziplinierten Regeln erfolgen.

Alle diese Anforderungen müssten in Liebe und Respekt erfolgen und es sei wichtig, wie in der Enzyklika Rerum novarum beschrieben, dass der soziale Charakter im Vordergrund stehen müsse. Dem polnischen Volk rät er, trotz des Lebens unter fremder Herrschaften (vergleiche hierzu Hauptartikel Polen - „Unterdrückung und Kampf um die Unabhängigkeit“) , ihre Wurzeln nicht zu vergessen und schließlich sichert er dem Volk die päpstliche Unterstützung zu."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Caritatis. -- Zugriff am 2008-09-06]

Auszug aus dieser Enzyklika:

"Further Advice to the Polish People

9. In addition to the above remarks to all the Polish people, We desire to add certain things which We think will be useful to particular places in Poland. In this way We shall fix certain of the warnings We have already given more firmly in your minds. First to those great numbers of you who live under Russian rule: it is right that We praise you and strengthen you with an exhortation to retain and steadfastly nourish the spirit of constancy in professing the Catholic faith. In it you have the source and fountain, as We have said, of the greatest blessings. To value this above all other things is certainly necessary for a Christian. Commanded by divine law and illumined by the example of holy men, he never deserts this, no matter what the obstacles. He guards it with all his strength. Relying on its strength, he confidently and patiently expects consolation and aid from God, no matter what events the human condition may bring.

Past Papal Support for Poland

10. Your great confidence in Us, like that of sons, pleases Us very much. Therefore We call to your attention the deceitful trickery which has been evilly spread about concerning Our benevolence and solicitude for you. Be convinced of this: We have not done less than Our predecessors, not only for your compatriots but also for you. Indeed to support your confidence, We are prepared both to exert a tremendous effort in all things and to pursue them confidently. It is useful to recall that from the very beginning of Our pontificate, We, always thinking about the relief of the Catholic cause among your people, brought it to the attention of the Imperial Council so that We might fight for those things which the dignity of the Apostolic See and the defence of your interests seemed to require. As a result of these efforts, We obtained certain agreements in the year 1882. Among these is the freedom to govern seminaries according to the rules of canon law; another stipulates that the ecclesiastical academy of Petersburg, which is open to Polish students, be given over entirely to the jurisdiction of the Bishop of Mohilev and be expanded for the greater advantage of the clergy and the Catholic religion. We also received assurance that the laws which your clergy complained were too severe would either be repealed or softened as soon as possible. From that time on, We seized every opportunity to defend those agreements. In fact it pleased Us even to bring these demands to the attention of the emperor himself, who is friendly to Us and whose high regard for justice in your cause We can eagerly testify to. Nor shall We omit prayers for him for the king's heart is in the hand of the Lord.(6) Continue to safeguard with Us the dignity and the holy rights of the Catholic religion. For only when in possession of just security and liberty is it equipped with the appropriate aids for accomplishing its work as it should. Then it is able to stand firm according to its proper purpose and to produce the blessings which it ought. Since you yourselves perceive the kind of labour We have given to obtain and preserve the tranquillity of public order among nations, never cease to work so that the respect for higher authority and the obedience in public discipline of both the clergy and laity may remain firm. Then all causes of offense or criticism will be removed, every accusation will be changed into reverence, and the praise of the Catholic name will remain and increase. It is also your duty to see to it that nothing is lacking for the eternal salvation of the faithful, either in the administration of ecclesiastical law or in the preaching of the divine work or in nourishing the spirit of religion. Also see to it that children and adolescents are taught sacred catechism especially in the schools, and let that instruction be given, whenever possible, by priests. Further, let the beauty of sacred buildings and the respect for religious festivals be suitable to pious worship. From these things the faith draws a healthy increase. You will have done well indeed if you forestall danger should it appear to be imminent in these matters. For this reason do not hesitate to appeal to the agreements which were made with the Apostolic See. Certainly the absence of such difficulties and the presence of real concord should be desirable and pleasing not only to the Polish people, but to all who are guided by a sincere love of the state. For, as We said in the beginning, the Catholic Church is so constituted as never to bring forth anything at all harmful to peoples and to states, but only benefits, even in temporal matters.

11. Now for you who are subject to the house of Hapsburg. Diligently recall how much you owe to that august emperor for his great zeal for the Catholic religion. Therefore your trust in him and your grateful obedience should daily shine more brightly. A similar zeal should be manifest in your pursuit of all that pertains to the security and glory of the Catholic religion, whether already well-established or to be established as times and circumstances indicate. We very much desire that the University of Cracow, an old and noble seat of learning, retain its soundness and pre-eminence; We would even like it to rival the praises of such academies which the outstanding care of the episcopate and the generosity of private individuals have established with Our encouragement. In your academies, under the skilful direction of Our Cardinal and Bishop, serious studies should proceed in friendly agreement with faith, giving as much assistance for the defence of the faith as they borrow light and strength from it. Again it should be a great concern of yours, as it is of Ours, that religious orders flourish and enjoy a good reputation in the minds of all. They are commended by the perfection of virtue they eagerly pursue, by the diversity of their teaching, and by their fruitful labour in the care of souls. They are at hand to the Church as a ready militia, and the state has used them as good helpers for all kinds of worthy tasks. Looking back to Galicia in particular, We recall with great good will the ancient Order of St. Basil, the restoration of which has concerned Us. Its cheerful, religious obedience to Our expectations overjoyed Us. Now this order is well on its way to regaining its former glory for it is useful to the local Church in many ways. Under its guidance, the vigilance of the episcopate and the industry of the priests shine more brightly every day. Permit Us to repeat an exhortation about the Ruthenians. Though you differ from them in origin and rite, be joined to them more closely in will and loving association as becomes those who share the same region, the same state, but especially the same faith. For the Church considers them to be deserving of good will and loves them as her children to whom she, with wise discretion, permits legitimate customs and their own rites. So you too, with the clergy in the forefront, must cherish them as brothers whose hearts and souls are one, striving finally to the end that the glory of the one God and Lord increase and the fruit of justice be multiplied in "the beauty of peace."

12. With a loving mind We also turn Our prayer to you who inhabit the province of Gniezno and Poznan. Indeed, We are pleased to recall, among other things, that We have raised to the See of Adalbert, with the consent of all of you, one of your countrymen, a man of extraordinary piety, prudence and love. We are even more pleased to see with what obedience and love you strive to be subject to his gentle rule. For this reason We are able to hope that the Catholic religion will continue to grow among you. We urge you to trust the generous equity of the Emperor. We personally experienced, on more than one occasion, what a benevolent mind he has for you. He will certainly help you if you continue in respect for law and in the praise of things well done."

[Quelle: http://www.vatican.va/holy_father/leo_xiii/encyclicals/documents/hf_l-xiii_enc_19031894_caritatis_en.html. -- Zugriff am 2008-09-06]



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Trau, schau, wem? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 16. -- S. 64. -- 1894-04-22

Die Novelle zum Kirchenverfassungsgesetz wird vom Zentrum unterstützt. Die Fabel der Novelle wird als äußerst lehrreich angesehen.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Aus der Dunkelkammer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 16. -- 2. Beiblatt. -- 1894-04-22

Famose Aufnahme! Nachdem wir das Lichtbild so schön entwickelt haben, wollen wir es ...
Stimme von Außen: Fixieren? Da möchte ich auch dabei sein.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Der Jesuitenantrag vorm Bundesrat. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 17. -- S. 68. -- 1894-04-29

Gott, ja, was gibt es doch für Narren!
Ein Bauer schneidet sich 'n Knarren
Vom trocknen Brot und kaut und kaut.
Dabei hat er hinaufgeschaut
Nach einer Wurst, die still und heiter
Im Rauche schwebt, dicht bei der Leiter.
Er denkt mit heimlichem Vergnügen:
Wenn ich man wollt, ich könn die kriegen!
"Kritik des Herzens" von Wilh. Busch.


Orthodoxe1 und Ultramontane. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 17. -- 1. Beiblatt. -- 1894-04-29

Sie sind, wie Brüder müssen sein,
Sich gleich an Rücken und Tücken,
Die Freiheit will jeder für sich allein,
Um die andern zu unterdrücken.

Erläuterung:

1 Anhänger der protestantischen Orthodoxie (heute würde man sagen: protestantische Fundamentalisten)



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die neue Kirchenverfassung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 19. -- S. 76. -- 1894-05-13

Schön! Jetzt machen wir, was wir wollen. Die richtige gleichmäßige Couleur, die wir brauchen, kriegen wir auch schon noch heraus.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die Jungfrau von Orleans in Frankreich 1794 - 1894. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 20. -- 2. Beiblatt. -- 1894-05-20



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Weg mit Schaden! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 21. -- S. 84. -- 1894-05-27

Die Hilfsmittel der modernen Technik machen das siebente Schuljahr überflüssig. Zu viel Schulluft ist ungesund. Immer heran, meine Herrschaften!



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Der polnische Katholikentag oder Slavische Brautwerbung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 24. -- S. 96. -- 1894-06-17

Großes Ballet im Königlichen Opernhause.


Die neue Enzyklika1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 25. -- S. 97. -- 1894-06-24

Sang der sonderbare Greise
Auf den Märkten, Straßen, Gassen
Gellend, zürnend seine Weise:
"Bin, der in die Wüste schreit.
Langsam, langsam und gelassen!
Nichts unzeitig! nichts gewaltsam!
Unablässig, unaufhaltsam,
Allgewaltig naht die Zeit."

Adelbert von Chamisso2

"Wackrer Sohn, sei mir willkommen,
Deine Reu ist offenbar;
Längst schon hab ich wahrgenommen,
Was dir fehlt, mein lieber Zar.
Und ich seh des Irrtums Kreise
Neu im Glauben dich verlassen."
Sang der sonderbare Greise
Auf den Märkten, Straßen, Gassen.

"Sieh, ich hab ein Kalb geschlachtet,
Jedes Instrument gestimmt,
Und das Fest, wonach geschmachtet
Längst ich schon, den Anfang nimmt.
Wie? Verschmähst du meine Speise?" --
Das Orchester spielt -- o Leid --
Gellend, zürnend seine Weise:
"Bin, der in die Wüste schreit."

"Euch auch ruf ich, die Verirrten,
Die ihr folget Luthers Spur.
Lasst euch durch den rechten Hirten
Führen auf des Glaubens Flur.
Doch ihr sprecht, anstatt in Massen
Mir zu folgen unaufhaltsam:
"Langsam, langsam und gelassen!
Nichts unzeitig! nichts gewaltsam!
"

"Weh den Argen! die da spotten.
Wie ist die Verstocktheit groß!
Und die Hand der Sansculotten
Löst schon Pech und Schwefel los."
Lieber Leo, nichts gewaltsam,
's ist dein Pech, es tut uns leid:
Unablässig, unaufhaltsam,
Allgewaltig naht die Zeit.

Erläuterungen:

1 Enzyklika Caritatis vom 1894-03-19 (siehe oben!)

2 Adelbert von Chamisso (1781 - 1838): Der alte Sänger



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 26. -- 1. Beiblatt. -- 1894-07-01

Der Parteitag der Antisemiten in Pommern beschließt, für die Zulassung der Jesuiten einzutreten, um die Katholiken zu gewinnen. "Die Einigkeit erregte bei Guten selbst Verdacht." Z.B. bei der "Kölnischen Volkszeitung". Die badischen Ultramontanen stellen in der badischen Kammer mit Erfolg Ausgrabungen an.


Abb.: Das Papier ist geduldig. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 27. -- 2. Beiblatt. -- 1894-07-08

Die päpstliche Enzyklika soll in 24 Sprachen übersetzt werden. Sie ist überall der freudigsten Aufnahme gewiss.



Abb.: Gustav Brandt (1861 - 1919): Die Rückkehr des Redemptoristen1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 28. -- S. 112. -- 1894-07-15

Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus
Und herrlich in der Jugend Prangen.
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
Mit züchtigen, verschämten Wangen,
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
 -- -- -- -- --
O dass sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe.2

Erläuterungen:

1 Redemptoristen

"Redemptoristen (lat., Kongregation des allerheiligsten Erlösers, Congregatio Sanctissimi Redemptoris, abgekürzt C. SS. R.), von Alfons Maria von Liguori (s. d.; daher Liguorianer) 1732 zu Neapel gestiftete und 1749 von Benedikt XIV. bestätigte Kongregation, die sich die Belebung römischkatholischer Religiosität besonders in den ländlichen Volksschichten durch Missionen und geistliche Exerzitien zum Ziele steckte.

Ihre Ausbreitung nach Polen, Österreich und andern Ländern verdankten die R. Klemens Maria ð Hoffbauer (s. d.). Aus Deutschland wurden sie 1873 als Affiliierte des Jesuitenordens ausgewiesen, 1894 aber wieder zugelassen. 1906 zählten die R. in 17 Provinzen und 12 Vizeprovinzen 192 Niederlassungen mit 3580 Mitgliedern, darunter 1757 Priester."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Friedrich von Schiller (1759 - 1805): Das Lied von der Glocke (1799)


Pfarrers Stillleben. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 38. -- 1. Beiblatt. -- 1894-09-23

1. Aus Bayern.

Dem lustigen Pfarrer zu Egmating,
Dem dient als Magd ein schmuckes Ding;
Das ist die Resi, die dralle Maid,
Die weiß im Haus und Stalle Bescheid.

Kehrt abends heim der fromme Mann,
Dann zündet sie ihm die Pfeife an,
Und er lehret sie dann schöne Gebet'
Und was im Katechismus steht.

Als jüngst zu einem Kindstagsschmaus
Sich rüstete das hochwürdige Haus,
da fiel ihm ein so nebenbei,
Dass Konfirmandenstunde sei.

Da hat der Pfarrherr seine Magd
Gerufen und hat ihr gesagt;
"Eil in die Kirche, Resi, und
Gib für mich Konfirmandenstund!"

Und Resi folgte seinem Wort
Und eilt' ins Gotteshaus sofort
Und lehrte die Buben Spruch auf Spruch
Vom Diebstahl und vom Ehebruch

Als das die Bauern aber gehört,
Da haben beim Pfarrer sie sich beschwert:
"Verzeiht, Hochwürden; doch die Geschicht,
So will uns scheinen, passt sich nicht."

Da hauchte der Pfarrer sie grimmig an:
"Aus Liebe zu mir hat's die Resi getan!
Und was aus Liebe tut die Maid,
Das ist kein Fehler, ihr dummen Leut!"

So bracht er die Bauern auf den Trab.
Die zogen auch still und revoll ab.
Die Resi aber, das dralle Ding,
Dient weiter dem Pfarrer zu Egmating.

2. Aus Preußen.

Leben da zwei edle Polen
In Njestronno bei Mogilno,
Der Schulmeister Korasinski
Und der Probst, Herr Ludwiczack.

Beide sind sie wild begeistert
Für den Ruhm des Polenvolkes,
Beide haben starke Arme,
Beide sind sie heißen Bluts.

In des Lehrers Wohnung war es,
Da begannen sie zu hadern;
Wars um Polens große Zukunft,
War es um des Lehrers Weib.

Niemand weiß es. Doch der Nachbar
Sahs, wie sich die edlen Polen
Bei den dicken Köpfen nahmen
Und sie hieben, dass es schallt.

Dann ging ruhig seines Weges
Heim in seine stille Klause
Der Herr Probst, und seine Köchin
Kühlte ihm das heiße Haupt.

Ruhig setzte auch Korasinski
Sich in seines Sofas Ecke,
und ihn tröstet seine Gattin:
"Du bist doch der größre Held!"

Seitdem leben friedlich weiter
Die zwei Edlen in Njestronno,
Der Schulmeister Korasinski
Und der Probst, Herr Ludwiczack.



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 39. -- 1. Beiblatt. -- 1894-09-30

Ein Teil der Antisemiten setzt die Abschaffung des alten Testaments auf sein Programm und hofft im alten nordischen Götterglauben einen Ersatz für die jüdischen Erzväter zu haben.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Der heilige Florian von Posen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 40. -- S. 160. -- 1894-10-07

Horch! - plötzlich wie des Gerichts Trompete,
Erschallt es von oben: "Töte! Töte!"
Hui! - Knatteradoms! - Ein Donnerkeil -
Und der Koscielski1 hat sein Teil
Bruder Stablewski2 schaut sich um,
Er betet das Salve3 und Sub tuum praesidium4
Und sicht im stillen Gebete Stärke
Gegen weitere Oberfeuerwerke.

Frei nach Wilhelm Busch5.

1 Koscielski = Józev Kosciol v.Koscielski <1845-1911>

"Koscielski (spr. koschzjélski), Joseph Theodor Stanislaus v. Kosciol-K., Parlamentarier, geb. 9. Nov. 1845 auf Schloß Sluzewo in Polen, studierte 1867–70 die Rechte in Berlin und Heidelberg, unternahm 1871–72 größere Reisen in Asien und Afrika und beschäftigte sich mit Ägyptologie. Auf seinen Gütern Szarley und Karczyn im Kreis Inowrazlaw lebend, wurde K. 1881 auf Präsentation des alten befestigten Grundbesitzes im Netzedistrikt Mitglied des preußischen Herrenhauses und kam 1884 für Inowrazlaw in den Reichstag, in dem er sich der polnischen Fraktion anschloss. Als eifriger Anhänger der nationalen polnischen Sache, setzte er seine Hoffnungen auf den Gegensatz zwischen Deutschland und Russland, trat daher im Reichstag für die Mehrforderungen der Reichsregierung für Heer und Marine ein und bewog namentlich 1893 die polnische Fraktion, für die Militärvorlage zu stimmen. Im März 1894 legte K. sein Mandat nieder. Auch als Dichter und politischer Schriftsteller ist er hervorgetreten, so noch im Juli 1904 durch einen Aufsatz in der deutschfeindlichen »National Review«, der das Mißtrauen Russlands gegen die preußische Polenpolitik hervorzurufen bezweckte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Stablewski

"Florian Stablewski (pl. auch Florian Oksza Stablewski) (* 16. Oktober 1841 in Fraustadt; † 24. November 1906 in Posen) war katholischer Priester, führender polnischer Politiker in Preußen und schließlich Erzbischof von Posen und Gnesen.

Stablewski studierte Theologie in Posen und München. Im Jahr 1866 promovierte er zum Dr. theol. und wurde im selben Jahr zum Priester geweiht. Zwischen 1866 und 1873 war er Vikar und Lehrer am Gymnasium in Schrimm. Seit 1873 war er Propst in Wreschen und erhielt den Ehrentitel eines päpstlichen Geheimkämmerers.

Von Bedeutung war Stablewski als bedeutender Politiker der polnischen Bevölkerung in Preußen. Zwischen 1873 und 1892 war er führender Politiker der Polenpartei (Kola Polski). Für diese saß er auch von 1877 bis 1892 im preußischen Abgeordnetenhaus.

Die preußische Regierung unter Leo von Caprivi schlug dem Papst gegenüber Stablewski als Erzbischof von Posen und Gnesen vor. Das Ziel war die Entspannung nach der antipolnischen Politik der letzten Jahre unter Otto von Bismarck. Zwischen 1891 und 1906 übte Stablewski das Amt des Erzbischofs aus. In dieser Zeit bemühte er sich um einen Ausgleich in der Nationalitätenfrage. Er setzte nach langen Verhandlungen durch, dass in den Schulräumen die polnische Sprache wieder unterrichtet werden durfte."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Florian_Stablewski. -- Zugriff am 2009-12-11]

³ Salve = Salve Regina = eine marianische Antiphon

4 Sub tuum praesidium = unter deinen Schutz und Schirm = eine marianische Antiphon

5 Wilhelm Busch <1832 - 1908>: Der heilige Antonius von Padua (1870):

Huitt!! – Knatteradoms!! – ein Donnerkeil –
Und Alopecius hat sein Teil.
Bruder Antonio schaut sich nicht um,
Er betet das Salve und Sub tuum praesidium.


Konservativ-orthodoxe Glosse. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 47, Nr. 48. -- S. 189. -- 1894-12-02

Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält,
Wundervolle Märchenwelt,
Steig auf in der alten Pracht

Tieck1

Wie der Pest fatale Beulen
Hassen wir des Tags Gefunkel;
Wohler, wenn die Wölfe heulen,
Wird es uns im nächt'gen Dunkel -
Und das sagen auch die Eulen.
Frommen Fledermäusen macht
Pein die Sonne, wenn sie lacht.
Lieber mit dem milden Scheine
Ist auch uns, wie diesen, eine
Mondbeglänzte Zaubernacht.

Wissenschaft, die arg durchseuchte,
Deren Einfluss wir entrannen,
O dass doch sie gänzlich scheuchte
Unser frommes Wort von dannen
Und auslöschte ihre Leuchte!
Die auf unser Weizenfeld,
Das mit Eifer wir bestellt,
Aussät ihre Giftgewächse,
Auf den Holzstoß mit der Hexe,
Die den Sinn gefangen hält!

Diese Meinhold2, diese Grafe3 -
Ja wir sagen's unverholen -
Die Verführer unsrer Schafe
Mög' der Gottseibeiuns holen!
Nur gerecht ist dies Strafe.
Den Verdammten beigesellt,
Wo es ihnen nicht gefällt,
Werden schmerzlich sie entbehren
Unsres Glaubens, unsrer Lehren
Wundervolle Märchenwelt.

Schöne Zeit, da unsre Brüder
Noch die Umsturzgeister bannten
Und den Aufruhr hielten nieder,
Zeit der frommen Denunzianten,
Zeit der Einfalt, kehre wieder!
Da der Staat noch hielt die Wacht
Für des Glaubens heil'ge Macht
Als des frommen Sinns Erhalter,
Hengstenberg'sches4 Geistesalter,
Steig auf in der alten Pracht!

Kladderadatsch.

1 Ludwig Tieck (1773-1853): Wunder der Liebe (1804)

2 Meinhold: Johannes Meinhold (1861 - 1937), Alttestamentler, an Julius Wellhausen orientierter Bibelkritiker

3 Grafe: Eduard Grafe (1855 - 1922): Neutestamentler

4 Umsturzgeister: Anspielung auf die Umsturzvorlage:

"Umsturzvorlage, der am 17. Dez. 1894 dem deutschen Reichstag vorgelegte Gesetzentwurf, der gewisse auf den Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichtete Bestrebungen, gegen welche die bestehenden Gesetze nicht ausreichten, unter Strafe stellen sollte; der Entwurf, von der Regierung nicht geschickt verteidigt, im Ausschuss vom Zentrum und von den Konservativen mit Bestimmungen belastet, welche die geistige Freiheit bedrohten, wurde 11. Mai 1895 abgelehnt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Ernst Wilhelm Hengstenberg <1802 - 1868>

"Hengstenberg, Ernst Wilhelm, Theolog, geb. 20. Okt. 1802 zu Fröndenberg in der Grafschaft Mark, gest. 28. Mai 1868 in Berlin, der einflussreichste Vorkämpfer der neulutherischen Orthodoxie des 19. Jahrh., widmete sich in Bonn philosophischen und orientalischen Studien und veröffentlichte schon in seinem 22. Jahr eine Übersetzung der »Metaphysik« des Aristoteles (Bonn 1824, Bd. 1) und eine Bearbeitung der »Moallakah« des Amrilkaïs (das. 1823). Während seines akademischen Lebens beteiligte er sich lebhaft an den damaligen burschenschaftlichen Bestrebungen. In Basel, wo er 1823–24 als Hauslehrer lebte, vollzog sich in ihm eine religiöse Wandlung nach der Seite der strengen Orthodoxie. Sofort habilitierte er sich 1824 an der philosophischen und 1825 (jetzt schon als ausgesprochener Gegner des Rationalismus und Hegelianismus) an der theologischen Fakultät zu Berlin, wo er 1826 außerordentlicher, 1828 ordentlicher Professor der Theologie wurde. Unter seinen wissenschaftlichen Arbeiten, die indessen vollständig im Dienste der dogmatischen Tendenz stehen, nennen wir: »Christologie des Alten Testaments« (Berl. 1829–35, 3 Bde.; 2. Aufl. 1854–58); »Beiträge zur Einleitung ins Alte Testament« (das. 1831–39, 3 Bde.); »Kommentar über die Psalmen« (das. 1842–47, 4 Bde.; 2. Aufl. 1849–52); »Das Hohelied Salomonis« (das. 1853); »Das Evangelium Johannis« (das. 1861–64, 3 Bde.; 2. Aufl. 1869–71, 2 Bde.); »Die Offenbarung Johannis« (das. 1849–1851, 2 Bde.; 2. Aufl. 1862); »Die Weissagungen des Propheten Ezechiel« (das. 1867–68, 2 Bde.). Den weitgreifendsten Einfluss hat H. durch seine 1827 gegründete »Evangelische Kirchenzeitung« ausgeübt, ein Parteiorgan der rücksichtslosesten Unduldsamkeit."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


1895



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Zu Wekerles1 Abgang. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 1. -- S. 4. -- 1895-01-06

Das Kind entspringt der Welle,
Den Alten reißt sie fort.
Tells Tod von L. Uhland2

1 Alexander Wekerle (1841 - 1921):

"Wekerle, Alexander, ungar. Staatsmann, geb. 14. Nov. 1848 zu Moor im Stuhlweißenburger Komitat, studierte die Rechte, trat 1870 in das Finanzministerium und habilitierte sich an der Universität. 1881 wurde er Sektionsrat, 1884 Ministerialrat, 1886 Staatssekretär der Finanzen und Mitglied des Abgeordnetenhauses und 1889 im Kabinett Tisza Finanzminister. Ihm gelang die Regelung des ungarischen Staatshaushalts durch die Konversion der ungarischen Staatsanlehen; er legte (im Oktober 1890) dem Parlament das erste defizitfreie Budget vor. Besonders zu nennen sind noch die Reform der Spiritussteuer, die Ablösung der Schankgefälles, die bessere Verwaltung der Staatsmonopole und in Verbindung mit Österreich die Valutaregulierung. Nach dem Rücktritt Szapárys übernahm W. 14. Nov. 1892 das Ministerpräsidium und setzte die neuen kirchenpolitischen Gesetze und die Einführung der Zivilehe trotz des Widerstandes, den das Magnatenhaus leistete, durch. Da er jedoch das Vertrauen der Krone verloren hatte, demissionierte er 22. Dez. 1894 mit dem gesamten Kabinett (dem »großen Ministerium«). Unterm 1. Jan. 1897 zum Präsidenten des neuerrichteten Verwaltungsgerichtshofs in Budapest ernannt, hielt er sich von der Politik fern, selbst unter dem absolutistischen Regiment Fejérvárys. Deshalb bei der Aussöhnung der Krone mit der koalierten Opposition für die neue Ministerpräsidentschaft besonders geeignet, wurde er 8. April 1906 zum Kabinettschef ernannt und übernahm auch das Portefeuille der Finanzen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Ludwig Uhland (1787 - 1862): Tells Tod (1813)



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Achtung! Er kommt! Man soll den Teufel nicht an die Wand malen1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 5. -- 1. Beiblatt. -- 1895-02-03

1 An der Wand steht "Umsturz": Bezieht sich auf auf die Umsturzvorlage:

"Umsturzvorlage, der am 17. Dez. 1894 dem deutschen Reichstag vorgelegte Gesetzentwurf, der gewisse auf den Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichtete Bestrebungen, gegen welche die bestehenden Gesetze nicht ausreichten, unter Strafe stellen sollte; der Entwurf, von der Regierung nicht geschickt verteidigt, im Ausschuss vom Zentrum und von den Konservativen mit Bestimmungen belastet, welche die geistige Freiheit bedrohten, wurde 11. Mai 1895 abgelehnt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Für die Jesuiten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 6. -- S. 21. -- 1895-02-10

Sind die Jesuiten denn
So gar gefährlich?
Jeder muss leugnen das,
Der halbwegs ehrlich.
Jedenfalls gibt es nach
Der Ansicht vieler
Leute, die schlimmer als
Loyolas Schüler.
Nicht nur die Wälschen
Kennen das Fälschen,
Nein auch im Vaterland
Gedeiht es "hellschen".

Gibt es bei Hofe denn
Gar keine Heuchler?
Wie denn benennet man die
Aalglatten Schmeichler,
Die um des Fürsten Thron
Sich dürfen drängen,
obgleich es besser schon,
Wär', sie zu hängen --
Sie, denen recht ist
Alles, was schlecht ist
Und deren Vorbild der
Bezahlte Knecht ist?!

Nun unsre Presse, die
Sich rühmt am meisten,
Was an Jesuitenkunst
Kann sie doch leisten!
Seht nur die Kölnerin1,
Die jedem feile,
Bei der berechnet ist
Jedwede Zeile!
Die Offiziösen,
Die höhern Wesen --
Gibt es was Ärgeres
Bei den Chinesen?

Gibt es bei uns denn kein
Augenverdrehen,
Kein scheinbar frömmiges
Nach "oben" Sehen?
In diesen Künsten sind --
Klar bin ich darüber --
Unsre Rechtgläubigen
Den andern über.
Gegen die Mucker
Bei uns die Ducker,
Sind die Jesuiten doch
Nur arme Schlucker.

Überall heiligt doch
Trotz Kopfgeschüttel,
Ja in der Staatskunst gar
Der Zweck das Mittel.
Man möchte nie vom Pfad
Der Wahrheit weichen,
Allein es lässt sich so
Gar nichts erreichen.
Gold, Silber, Nickel
Sind Hauptartikel,
Wer das nicht glaubt, der frag'
Mal nach bei Miquel2.

Lasst sie nur kommen, die
Herren Jesuiten!
Vor ihrer Arglist wird
Man sich schon hüten.
Gar keine Sorg erwächst
Uns durch ihr Kommen;
Vielleicht dem Vaterland
Dient es zum Frommen.
Sicher sind's heute
Nette, gescheite,
Verhältnismäßig auch
Ehrliche Leute.

1 Kölnische Zeitung

"Kölnische Zeitung, dreimal täglich (Montags zwei-, Sonntags einmal) in Köln erscheinende politische Zeitung, die durch die Schnelligkeit ihrer Berichterstattung, die Reichhaltigkeit ihres Inhalts und ihre Beziehungen zu den maßgebenden politischen Faktoren in Berlin im In- und Auslande weite Verbreitung erreicht hat. Ihre politische Grundfarbe stimmt zumeist mit der Politik der nationalliberalen Partei überein; zugleich spiegelt sie aber die jeweiligen Anschauungen der politischen Zentralbehörden in Berlin wider."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Miquel

"Miquel (spr. mīkel), Johannes von, deutscher Staatsmann, Bruder des vorigen, geb. 19. Febr. 1828 in Neuenhaus, gest. 8. Sept. 1901 in Frankfurt a. M., studierte 1846 bis 1850 die Rechte in Heidelberg und Göttingen, ließ sich dann als Anwalt in Göttingen nieder und wurde Wortführer des dortigen Bürgerkollegiums. 1864 in die hannoversche Zweite Kammer gewählt, gewann er durch seine Sachkenntnis in Finanzangelegenheiten Einfluss und übte an der hannoverschen Verwaltung scharfe Kritik in seinen Schriften: »Das neue hannöversche Finanzgesetz vom 24. März 1857« (Leipz. 1861) und »Die Ausscheidung des hannöverschen Domanialguts und das Verfahren der Festsetzungskommission« (das. 1863). M. gehörte auch zu den Begründern des Deutschen Nationalvereins wie zu dem Sechsunddreißiger Ausschuß. 1865 ward er Bürgermeister von Osnabrück und als Landrat der städtischen Kurie Mitglied des Osnabrücker Provinziallandtags. Seit 1867 nationalliberales Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstags (bis 1876), errang er sich bald eine hervorragende Stellung. Besonders an der Beratung über die Reform der Verwaltung nahm er Anteil; er war Vorsitzender der großen Justizkommission, die das neue deutsche Prozessrecht beriet, und Referent derselben im Reichstag, der am 21. Dez. 1876 die Justizgesetze annahm. 1869 vom König bei dessen Anwesenheit in Osnabrück zum Oberbürgermeister ernannt, siedelte er 1870 nach Berlin über und trat als juristischer Beirat in die Direktion der Diskontogesellschaft, gab im November 1873 diese Stellung wieder auf und wurde im Herbst 1876 von neuem zum Oberbürgermeister von Osnabrück erwählt, im Dezember von der juristischen Fakultät der Universität Berlin zum Ehrendoktor ernannt und 1879 zum Oberbürgermeister von Frankfurt a. M. erwählt. 1887–90 abermals Mitglied des Reichstags, trat er nebst Bennigsen von neuem an die Spitze der nationalliberalen Partei und wurde 1888 zweiter Vizepräsident des Herrenhauses. Im Juni 1890 wurde er preußischer Finanzminister, führte als solcher die Reform der direkten Steuern in Preußen durch und übte wie auf alle Zweige der preußischen Staatsverwaltung so auch auf das Finanzwesen des Reiches einen entscheidenden Einfluss aus. Im Januar 1897 wurde M. geadelt und erhielt im Sommer darauf die Vizepräsidentschaft des preußischen Staatsministeriums. Nachdem er 5. Mai 1901 die erbetene Entlassung erhalten hatte, nahm er seinen Wohnsitz in Frankfurt. Aus seinem Nachlass erschienen 1904 in der »Deutschen Revue« Mitteilungen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Aus der Umsturzkommission: "Hurra! jetzt fahren wir!" sagt das Zentrum.1 -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 6. -- 1. Beiblatt. -- 1895-02-10

1 Bezieht sich auf auf die Umsturzvorlage:

"Umsturzvorlage, der am 17. Dez. 1894 dem deutschen Reichstag vorgelegte Gesetzentwurf, der gewisse auf den Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichtete Bestrebungen, gegen welche die bestehenden Gesetze nicht ausreichten, unter Strafe stellen sollte; der Entwurf, von der Regierung nicht geschickt verteidigt, im Ausschuss vom Zentrum und von den Konservativen mit Bestimmungen belastet, welche die geistige Freiheit bedrohten, wurde 11. Mai 1895 abgelehnt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Das Verbot des Kolportage-Buchhandels1: Die Knechte des Herodes beim bethlehemitischen Kindermord2 beschäftigt. (Zur Ausführung für das Buchhändlerhaus Leipzig bestimmt.) -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 14. -- 2. Beiblatt. -- 1895-04-07

1 Kolportage-Buchhandel

"Kolportage (franz., spr. -āsche, von col, Hals, Nacken, und porter, tragen), das Umhertragen und Feilhalten von Waren, insbes. das Hausieren mit Druckwerken (Kolportageschriften). Das früher allgemein herrschende Vorurteil gegen die K. hat gegenwärtig einer gerechtern Beurteilung Platz gemacht, wenn auch zugegeben werden muß, daß immer noch etwa 5 Proz. des Gesamtumsatzes der K. in Deutschland Schriften von sehr zweifelhaftem literarischen Wert umfassen (sogen. Hintertreppenliteratur, »Kolportageromane« etc.). Der Kolportagebuchhandel gehört zum Sortimentsbuchhandel im weitern Sinn, ist aber ein ganz besonderer Zweig desselben, indem er (eben durch Kolporteure, die auch Angestellte sein können) Käufer in den Kreisen aufsucht, die dem eigentlichen Sortimentsbuchhandel schwer zugänglich sind. Der Kolporteur, der ohne festen Wohnsitz von Ort zu Ort zieht und seine Waren gegen sofortige Barzahlung verkauft, bedarf eines Wandergewerbescheins und eines durch die Behörde zu genehmigenden Druckschriftenverzeichnisses (Gewerbeordnung, § 56). Dagegen bedarf nur einer Legitimationskarte der Kolporteur, der eine feste gewerbliche Niederlassung hat und lediglich Bestellungen auf Bücher sucht, um sie erst später selbst oder durch andre gegen Bezahlung abzuliefern (Reisebuchhandel, s. d.). Vom Kolportagebuchhandel sind nach der deutschen Gewerbeordnung ausgeschlossen Schriften und Bildwerke, insofern sie in sittlicher oder religiöser Beziehung Ärgernis zu geben geeignet sind, oder mittels Zusicherung von Prämien oder Gewinnen vertrieben werden, oder in Lieferungen erscheinen, wenn nicht der Gesamtpreis auf jeder einzelnen Lieferung augenfällig bestimmt verzeichnet ist. Für Elsaß-Lothringen gilt Landesrecht (polizeiliche Konzession). In Österreich ist das Hausieren mit Büchern und Bildern verboten; das Sammeln von Bestellungen setzt polizeiliche Erlaubnis voraus. Vgl. Baumbach, Der Kolportagebuchhandel und die Gewerbenovelle (Berl. 1883); Streißler, Einrichtung und Betrieb des Kolportage- und Reisebuchhandels (Leipz. 1899); Blumenthal, Der Kolportagebuchhandel und das buchhändlerische Reisegeschäft (Iglau 1896); v. Biedermann, Anweisung für den gesetzmäßigen Betrieb des Kolportagebuchhandels (3. Aufl., Leipz. 1898); Uhl, Der Kolportage- und Reisebuchhandel (Unterrichtsbriefe, das. 1902). Zeitschriften: »Anzeiger für den Kolportagebuchhandel«, »Fachzeitung für den Kolportagebuchhandel«, »Deutsche Kolportagezeitung« (sämtlich in Berlin erscheinend); Weiteres s. ð Reisebuchhandel. – Der Zentralverein deutscher Kolportagebuchhändler in Berlin mit etwa 25 über Deutschland verteilten Lokalvereinen zählt ca. 500 Mitglieder (während die Zahl der sich mit K. befassenden selbständigen Buchhändler [Sortimenter, Kolportagebuchhändler und Kolporteure] im Deutschen Reiche auf 5–6000 geschätzt wird)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Bethlehemitischen Kindermord: "Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig, und er ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte." Matthäusevangelium 2,16–18



Abb.: Katholisch ist Trumpf. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 15. -- 2. Beiblatt. -- 1895-04-14

Erläuterung: Erstmals wurde mit dem Badener Rudolf von Buol-Berenberg  (1842 - 1902) ein Zentrumsabgeordneter Reichtagspräsident (1895 - 1898)



Abb.: Konkurrenzentwürfe, die bei uns eingegangen sind: Graf Kanitz hatte in der Reichstagssitzung vom 24. Mai von der Regierung bloß ein Blatt Papier verlangt mit der Aufschrift "Entwurf eines Börsengesetzes", den Text dazu hätte dann der Reichstag schon selber hineingeschrieben. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 22. -- S. 90. -- 1895-06-02

Die Kirche hat einen guten Magen1. Ultramontaner Entwurf, der das Centrum befriedigt.

1 Goethe: Faust I:

Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.



Abb.: Aus Echternach1. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 24. -- S. 96. -- 1895-06-16

1 Anspielung auf die Springprozession zu Echternach, die am Pfingstdienstag zur Erinnerung an die Tanzkrankheit, die im Mittelalter jene Gegend heimsuchte, stattfindet. Die Pilger (bis zu 15,000) ziehen mit Geistlichen und Musikanten über die Sauerbrücke nach der Kirche und zum Kirchhof, indem sie immer drei Schritte vor- und zwei rückwärts springen.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Der Antrag Rintelen1.  --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 25. -- S. 102. -- 1895-06-23

Ein bisschen Kulturkampf gefällig?

1 Victor Rintelen (1826 - 1908): 1884 - 1906 Abgeordneter der Zentrumspartei für den Wahlkreis Trier


Theorie und Praxis: Vom deutschen Katholikentage1 in München. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 36. -- S. 145. -- 1895-09-08

In der Stadt der edlen Bräue,
Wo der Bierstrom ewig fließt
Und in feuchtverklärter Reihe
Schoppen sich an Schoppen schließt,

Tagten Deutschlands Katholiken,
Und sie tranken brav dabei,
Weil der Bierstoff zum Entzücken
Süffig war im Bürgerbräu.

Doch es ward nicht nur getrunken,
Prächtig, wenn auch wirr und kraus,
Sprühten oratorsche Funken
Weithin in das Land hinaus.

Reden wurden viel gehalten
Mit dem stereotypen Schluss,
Dass der Staat sich vor dem alten
Unfehlbaren2 beugen muss.

Doch am allerschönsten außer
Preysing3, Lieber4, Bachem5, Porsch6
Sprach von Augsburg Pfarrer Hauser7,
Markig, populär und forsch.

"Leer die Kirchen, voll die Schenken,
Mann und Weib beim Bier gesellt!
Seht, von geistigen Getränken
Kam das Unheil in die Welt!

Weine gibt's — wer zählt die Namen? —
Schnäpse jeder Art noch mehr;
Meine Zunge müsst erlahmen,
Zählt ich die Liköre her.

Alle locken zum Genusse,
Doch am stärksten ist der Zug
Nach dem Bier; im Überflusse
Trinkt der Mensch es, Krug auf Krug.

Was ihn freut und ihn verdrießet,
Glück und Ärger, Weh und Wohl,
Jegliches Gefühl begießet
Er mit diesem Alkohol."

So Herr Hauser. Unterdessen
Rollten Fässer ohne Zahl,
Dass des Trunkes nicht vergessen
Würde, in den hohen Saal.

Und es hob ein Pokulieren
Unter all den Frommen an.
Hauser, ohne sich zu zieren,
Trank als wie ein deutscher Mann.

Merkt es: Sitzt beim vollen Fass er,
Treibt's der Prediger wie wir.
Nur die Predigt schmeckt nach Wasser,
Doch ihm selber schmeckt das Bier!

Erläuterungen:

1 25.-29.8. 1895 fand in München der 42. deutsche Katholikentag statt.  Im großen Saal des Bürgerbräus waren ca. 3000 Teilnehmer versammelt.

2 Papst

3 Johann Konrad, Graf von Preysing-Lichtenegg-Moos (1843 - 1903),  gründete die Genossenschaft katholischer Edelleute in Bayern, 1871 bis 1893 und 1900-03 Reichstagsmitglied (Zentrumsfraktion).

4 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902), seit 1871 Reichstagsmitglied (Zentrumsfraktion)

5 Karl Bachem (1858 - 1945), seit 1890  Reichstagsmitglied (Zentrumsfraktion), trat auf Katholikentagen oft als gewandter Redner auf

6 Felix Porsch (1853 - 1930), 1881 - 1893 Reichstagsmitglied (Zentrumsfraktion), 1884-1930 Mitglied des preußischen Landtags

7 Ein Pfarrer Hauser sprach gegen den Alkoholismus, trotzdem wurde fleißig Bier gesoffen



Abb.: Ernst Retemeyer: Vom Münchener Katholikentage1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 36. -- 2. Beiblatt. -- 1895-09-08

Oberlandesgerichtsrat Joseph Geiger: "Wenn  -- was Gott verhüten wolle -- noch einmal die Flammenschrift des Mene-tekel an den goldenen Wänden des modernen Heidentums erscheinen sollte ..."

1 25.-29.8. 1895 fand in München der 42. deutsche Katholikentag statt.  Im großen Saal des Bürgerbräus waren ca. 3000 Teilnehmer versammelt.

2 Mene tekel: מנא ,מנא, תקל, ופרסי : Im Buch Daniel 5, 25 (Das Gastmahl des Belšazar) erschein Belšazar  eine geisterhafte Schrift an der Wand seines Palastes erscheint. Belšazar lässt sofort seine Schriftgelehrten herbeirufen, die jedoch den Sinn der Worte nicht verstehen. Daraufhin wird der Prophet Daniel herbeigeholt: Er liest Mene mene tekel u-pharsin: Gott hat dein Königtum gezählt und beendet. Du wurdest auf einer Waage gewogen und für zu leicht befunden. Dein Reich wird geteilt und den Medern und Persern gegeben. Noch in derselben Nacht stirbt Belšazar.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Interkonfessionelle Ehrung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 37. -- S. 148. -- 1895-09-15

Der Hofprediger a. D. Stöcker1 ist wegen seines jüngst in allen Blättern abgedruckten Briefen an den Frhrn. v. Hammerstein2 zum Ehrenmitglied des Jesuiten-Ordens ernannt worden. In der - natürlich lateinisch abgefassten - Urkunde wird erklärt, dass ihm diese Ehre erwiesen werden "wegen der kaum glaublichen Geschicklichkeit, mit der er es verstanden habe, unter der täuschenden Maske eines Biedermannes und getreuen Seelsorgers in hohen und höchsten Kreisen die perfidesten Ränke auszuspinnen."

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!

2 Wilhelm Frh. von Hammerstein-Gesmold (1838 - 1904), Einer der Führer des antisemitisch-christlichen Flügels der Deutschkonservativen Partei. Siehe  unten!



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Illustrierte Rückblicke. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 39. -- 1. Beiblatt. -- 1895-09-29

Der Münchener Katholikentag protestiert in wirksamer Weise gegen die Besetzung Roms.


Der Kreuzzeitungspartei1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 40. -- S. 159. -- 1895-10-06

Gut ist es stets und einzig kann es frommen,
Mit bittrer Wahrheit rasch herauszukommen,
Eh' gar zu lang die Welt den Fall bespricht --
Ja, das ist gut, ihr aber wolltet's nicht.
Hinhalten und vertuschen schien euch besser,
Indessen schwoll allmählich das Gewässer
Des allgemeinen Unmuts ob des Falls
Und stieg am Ende euch bis an den Hals.
Erst als die Frage schon verzweifelt schien,
Habt ihr's gewagt und ließet fallen ihn,
Den Edeln1, der, durch Bitten und durch Gold
Kaum zu bewegen, endlich sich getrollt.

Ihn abzuschütteln fehlt' es euch an Mut,
Als es noch Zeit war, und das war nicht gut.
Als ihr entließet ihn, war es zu spät --
Nun mögt ihr ernten, was ihr euch gesät.

Der euch geführt und angeführt, er war
Ein Bösewicht, an dem kein gutes Haar,
Ein Meister im Belügen und Betrügen --
Ihr wusstet es und habt dazu geschwiegen.
Wie war er fromm, wenn man ihn hörte sprechen!
Wie pries er Gott und schritt dann zum Verbrechen!
Mit Zucht und Sittlichkeit, wie tat er groß,
Der zuchtlos war, schamlos und sittenlos!
Wie macht' er den Gesetzverächter schlecht,
Der selbst mit Füßen trat Gesetz und Recht!
Auf Andersgläubige wie hart erschalt,
Dem keine Bohne wert sein Glaube galt!
Genügsamkeit pries er dem Volk als Zier,
Der unersättlich war in seiner Gier.
Ihr wusstet es und ließet es geschehen:
Was ihr gehört von ihm, von ihm gesehen,
Hat keinen Schrei des Ingrimms euch entlockt --
Nun esset aus, was ihr euch eingebrockt.

Nicht alles ist heraus, was er getan,
Der rüstig fortschritt auf des Lasters Bahn,
Doch was heraus ist, ist fürwahr genug
An Niedertracht, Untreue und Betrug.
Was einem deutschen Manne lieb und wert,
Das ward von ihm geschändet und entehrt.
Feil war ihm Handschlag, Name, Schrift und Wort --
Ihr wusstet es und jagtet ihn nicht fort.
Ihr wusstet es und habt ihn noch verteidigt,
Da er so tat, als wär' er schwer beleidigt,
Und konntet ruhig ins Gesicht uns schaun --
Nun tretet hin und heischt vom Volk Vertraun!
Wer kann euch jemals wieder glauben, wer
Stellt euer Ansehn, das verlorne, her?
Wie ihr gehandelt habt, so ist es recht,
Wenn ihr vereint mit ihm zusammenbrecht.
Ihr habt's verdient, es hilft euch nun kein Gott,
Kein Teufel mehr: das Haus, es ist bankrott,
Erklärt ist der Konkurs, verkracht ist sie,
Die Firma Hammerstein und Compagnie.

1 Kreuzzeitungspartei = evangelische Hochkonservative (Deutschkonservative)

"Neue Preußische (†) Zeitung (gewöhnlich nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), zweimal täglich in Berlin erscheinende politische Zeitung, das Organ der evangelischen Hochkonservativen. Sie wurde 1848 gegründet und bis 1853 von dem spätern Geheimen Oberregierungsrat Herm. Wagener redigiert, dem Beutner (bis 1872), Ph. v. Nathusius-Ludom (bis 1876), Oberregierungsrat v. Niebelschütz (bis 1881), Freiherr v. ð Hammerstein (s. d. 2), nach dessen Suspension im Juli 1895 Professor  Kropatscheck (s. d.) und 1906 J. Hermes folgten. Seit 1899 gehört sie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer der Rittergutsbesitzer Otto v. Rohr in Dannenwalde ist."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Wilhelm Frh. von Hammerstein-Gesmold (1838 - 1904)

"Hammerstein, Wilhelm, Freiherr von, deutscher Politiker, geb. 21. Febr. 1838 zu Ratzow in Mecklenburg-Schwerin, gest. 16. März 1904 in Charlottenburg, studierte Forstwissenschaft, stand 1860–63 als Forstmann in mecklenburgischem Dienste, bewirtschaftete dann die nach dem Tode seines Vaters ererbten Güter in Hinterpommern, kam 1876 in das preußische Abgeordnetenhaus, wo er sich den Altkonservativen anschloss, und 1881 in den Reichstag, wo er Führer der Deutschkonservativen wurde. Er vertrat das Zusammengehen dieser Partei mit dem Zentrum und stellte 1886 im Landtag den Antrag auf Befreiung der evangelischen Kirche von der staatlichen Vormundschaft, der aber auf Wunsch der Regierung nicht zur Verhandlung kam. Seit 1881 auch Chefredakteur der Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung, wurde er 4. Juli 1895 als solcher suspendiert und legte 11. Nov. sein Reichstagsmandat nieder, nachdem er, tief verschuldet und durch anrüchigen Verkehr kompromittiert, öffentlich des Betrugs und der Wechselfälschung beschuldigt worden war. Steckbrieflich verfolgt, flüchtete er ins Ausland, ward in Athen verhaftet und 22. April 1896 zu 7 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust verurteilt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Den Aufgeklärten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 41. -- S. 163. -- 1895-10-13

Was oft sich schon in Schlesien und in Posen
Begeben hat, begibt sich einmal wieder.
Ein Mädchen glaubt in Fieberphantasien
Leibhaftig zu erschaun die heil'ge Jungfrau.
Von Haus zu Haus verbreitet sich die Kunde,
Von Dorf zu Dorf; in Scharen strömt herbei
Das aufgeregte Volk, mit eignen Augen
Will es das Wunder sehn. Doch schließlich kommt
Der Landrat auch mit dem Kreisphysikus.
Der Arzt sieht sich da Mädchen an und schickt es,
Wie's seine Pflicht ist, zur Beobachtung
Ins nächste Irrenhaus. Nun ruft ihr Klugen
Entrüstet: "Sollte man's für möglich halten?
An solchen Schwindel glaubt das dumme Volk
In unsrer aufgeklärten Zeit? Man möchte
Verzweifeln an der Menschheit, wenn man sieht,
Wie tief sie noch im Aberglauben steckt!"

Beruhigt euch, ihr aufgeklärten Herren,
Das dumme Volk ist ganz in seinem Recht.
Die armen Leute haben doch als Kinder
Tagtäglich in der Schule schon gehört
Von Wundern und von Wundern hören sie
Noch jetzt an jedem Sonntag in der Kirche.
Unzähligen, so sagt man ihnen, ist
Die Mutter Gottes gnadenreich erschienen,
Wenn sie der Beters heißes Flehen rief.

Nicht ungesehen, wie die Gottheit tut,
Half sie den Gläubigen, nein, sichtbar stand
Vor seinen Augen sie, klar zu erkennen
In jedem Zug des hehren Angesichts.
Und wie die Jungfrau haben oftmals auch
Die Heiligen sich körperlich gezeigt
Dem Frommen, der sie rief in seiner Not.
Wenn so an Wunder glaubt das arme Volk
Und glauben muss, ist's da nicht ganz natürlich,
Dass es mit eignen Augen endlich eins
Zu sehn verlangt, dass es für wirklich hält,
Was Ausgeburt nur eines kranken Hirns?
Warum denn soll nicht auch in unsern Tagen
Geschehn, was früher sich so oft begeben?
Warum denn lässt schon seit geraumer Zeit
Kein Heiliger sich sehen mehr auf Erden,
Wo doch so schwer wie je von leid und Qual
Bedrückt die armen Menschenherzen sind?

Drum scheltet nicht das Volk, ihr klugen Herren!
Es ist ja dumm, das geb' ich im Vertraun
Euch gerne zu, doch wenn's von Zeit zu Zeit
Ein Wunders sehen will mit eignen Augen,
So ist es ganz und gar in seinem Recht,
Und wunderbar ist nichts dabei, als dass
In Schlesien und in Posen und am Rhein
Nicht öfter noch ein Wunder sich ereignet.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Professor Stöcker1 : ein Zukunftsbild. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 41. -- S. 164. -- 1895-10-13

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!


Einfall eines Weltkindes. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 41. -- S. 165. -- 1895-10-13

Seit Wochen seh' ich unsre Frommen
An hundert Orten zusammenkommen,
In Potsdam und Zwickau und hier und dort
Seh' ich sie tagen und fort und fort
Beraten, wie man dem Unglauben wehrt
Und die wahre Frömmigkeit stärkt und mehrt.
Wenn sie zur Sitzung zusammentreten,
Fangen sie an mit Singen und Beten,
Und haben beraten sie breit und lang,
So schließen sie mit Gebet und Gesang;
Dazwischen führt in jeder Sekunde
Ein Redner die Gottheit im Munde.

Nun denk' ich immer, es müsste einmal
Hier oder dort sich erheben im Saal
Ein Mann und sprechen: "Wir wollen schlicht
Und treu, wie's redlicher Männer Pflicht,
Allhier erledigen unsere Sachen,
Doch nicht dabei viel Worte machen.
Wir wollen beten im Kämmerlein1
Ein jeder, doch nicht hier im Verein.
Wer öffentlich betet zu jeder Stund',
Der betet bald nur noch mit dem Mund,
Sein Herz empfindet nichts mehr dabei,
Hört auf drum mit der Singerei!
Besinnt euch einmal recht gründlich und seht,
Dass ihr tut, wie da geschrieben steht:
"Unnütze Worte sollst du meiden
Und das Plappern überlassen den Heiden!"2

So, mein' ich, müsste hier oder dort
Ein schlichter Mann ergreifen das Wort,
Doch die Tage gehen in eiligem Lauf,
Und ich warte noch immer umsonst darauf,
Woraus ich mit Schmerzen denn erseh',
Dass ich Weltkind die Sache wohl nicht versteh'.

1 Matthäusevangelium 6,6: σὺ δὲ ὅταν προσεύχῃ, εἴσελθε εἰς τὸ ταμεῖόν σου καὶ κλείσας τὴν θύραν σου πρόσευξαι τῷ πατρί σου τῷ ἐν τῷ κρυπτῷ: καὶ πατήρ σου βλέπων ἐν τῷ κρυπτῷ ἀποδώσει σοι. = "Wenn aber du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten öffentlich."

2 Matthäusevangelium 6,7: Προσευχόμενοι δὲ μὴ βατταλογήσητε ὥσπερ οἱ ἐθνικοί, δοκοῦσιν γὰρ ὅτι ἐν τῇ πολυλογίᾳ αὐτῶν εἰσακουσθήσονται.  = "Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen."



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Das Ideal einer Camera obscura. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 48, Nr. 47. -- Zweites Beiblatt. -- 1895-11-24

Wie sich die Schwarzen in Baden die Einrichtung des von der Regierung in Vorschlag gebrachten Isolierraums für Urwähler und Wahlmänner denken.


1896



Abb.: Ernst Retemeyer: Zwei Kaiserkronen oder: Der deutsche Michel vor der rechten Schmiede. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 3. -- 1. Beiblatt. -- 1896-01-19



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Für Markensammler. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 7. -- 1. Beiblatt. -- 1896-02-16

Bulgarien veranstaltet zur Feier von Boris' Übertritt1 die Herausgabe einer besonderen Briefmarke.

1 Ferdinand I. (Фердинанд I) von Bulgarien (1861 - 1948) ließ, um Bulgarien mit Russland zu versöhnen, den katholisch getauften Thronfolger Boris (III.) (Борис III) (1864 - 1943)  orthodox umtaufen, wobei der russische Zar Nikolaus II. (Николай II; 1868 - 1918) die Taufpatenschaft übernahm.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Der Kreuzzug gegen den Kladderadatsch. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 8. -- 1. Beiblatt. -- 1896-02-23

Ungefähr 200 Pastoren haben sich der Erklärung des Professor D. v. Nathusius1 in Greifswald angeschlossen, wonach es keiner Klage zur Wiederherstellung von Stöckers2 Ehre bedarf und der Kladderadatsch aus allen Lokalen vertrieben werden muss. Zeitungsbericht.

Eine ebenso tüchtige wie schwarze Schar setzt sich unter Adolfs2 bewährter Führung in Bewegung, um der Wahrheit nachzujagen und den Erbfeind zu bekämpfen.

1 Martin Friedrich von Nathusius (1843 - 1906), seit 1888 Professor für praktische Theologie in Greifswald

2 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Der behinderte Naturforscher. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 11. -- S. 44. -- 1896-03-15

"Herr Stöcker1 und seine Freunde gebrauchen den Himmel immer noch in der alten Weise. Da ist eine grüne Wiese ... " Abg. Dr. Virchow2 in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. d. M.

Die Bemerkung des Abg. Dr. Virchow2, dass sich gewisse Leute den Himmel noch immer als eine Wiese vorstellen, rief eine allgemeine von Pfui-Rufen begleitete Aufregung hervor, und man konnte deutlich bemerken, wie sehr das Betreten ihrer eigensten Domäne durch einen Unberufenen die Hörer in ihren heiligsten Gefühlen verletzte. Vizepräsident Frh. von Heereman3 verfehlte denn auch nicht, den Gekränkten zu Hilfe zu kommen.

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!

2  Rudolf Virchow (1821 - 1902)

"Virchow, Rudolf, Mediziner und Anthropolog, geb. 13. Okt. 1821 zu Schivelbein in Pommern, gest. 5. Sept. 1902 in Berlin, studierte in Berlin, ward 1843 Unterarzt und 1846 Prosektor an der Charité und begründete 1847 mit Reinhardt das »Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin«, das er nach Reinhardts Tod (1852) allein fortführte. Aufsehen erregte seine Bekämpfung der pathologisch-anatomischen Arbeiten Rokitanskys und die Darlegung seiner eignen Ansichten über die Grundformen der Krankheiten. Er habilitierte sich 1847 an der Universität, beteiligte sich lebhaft an den politischen Bestrebungen der Zeit, ward deshalb 1849 von der Regierung seiner Stelle enthoben und nur auf Widerruf wieder angestellt. In seinen »Einheitsbestrebungen in der wissenschaftlichen Medizin« (Berl. 1849) legte er seine wissenschaftlichen Tendenzen dar, und als er 1849 einem Ruf als Professor der pathologischen Anatomie nach Würzburg folgte, zählte er bald zu den hervorragendsten Lehrern der sogen. Würzburger Schule. 1856 kehrte er als ordentlicher Professor an die Berliner Universität zurück und schuf in dem damals neu errichteten Pathologischen Institut einen Mittelpunkt für selbständige Forschungen. Er begründete die Zellularpathologie und förderte fast alle Teile der pathologischen Anatomie. Die Lehren von der Entzündung, von den Geschwülsten, von der Embolie und Metastase, von der Tuberkulose, der Pyämie, der Leukämie (Leukocythose), der fettigen und amyloiden Entartung, der Diphtheritis etc. sind von ihm neu begründet oder wesentlich gefördert worden. V. zählte zu den eifrigsten Mitgliedern des Nationalvereins und war, 1892 in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt, einer der Gründer und Führer der Fortschrittspartei. Aus einem von ihm verfaßten Wahlaufruf stammt der Ausdruck »Kulturkampf«. 1880–93 war er Mitglied des Reichstags. In den Kriegen von 1866 und 1870/71 war er Mitglied des Vorstandes des Berliner Hilfsvereins für die Armee, organisierte die ersten preußischen Sanitätszüge und erbaute das Barackenlazarett auf dem Tempelhofer Felde bei Bertin (vgl. »Über Lazarette und Baracken«, Berl. 1871; »Der erste Sanitätszug des Berliner Hilfsvereins«, das. 1870). Als Mitglied der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen im Kultusministerium und der Stadtverordnetenversammlung übte er großen Einfluß auf die Ausführung der Berliner Kanalisation (»Kanalisation oder Abfuhr?«, Berl. 1869; »Reinigung und Entwässerung Berlins«, das. 1870–79). 1859 studierte er den Aussatz an der Westküste Norwegens. Auf der Naturforscherversammlung in Innsbruck (1869) war er einer der Gründer der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft, deren Vorsitzender er 1870 wurde; seit 1869 leitete er außerdem die Berliner Anthropologische Gesellschaft, deren Verhandlungen er herausgab (enthalten in der »Zeitschrift für Ethnologie«). Er arbeitete über die Pfahlbauten Pommerns (Julin) und der Mark und über andre vorhistorische Ansiedelungen. Auch veranlaßte er eine in ganz Deutschland ausgeführte Untersuchung der Schulkinder zur Feststellung der Verbreitung der blonden und der brünetten Rasse, die so entscheidende Resultate ergab, daß fast in allen Nachbarländern ähnliche Erhebungen vorgenommen wurden. Er schrieb auch: »Über einige Merkmale niederer Menschenrassen am Schädel« (Berl. 1875); »Beiträge zur physischen Anthropologie der Deutschen, mit besonderer Berücksichtigung der Friesen« (das. 1876). 1879 beteiligte er sich an den Ausgrabungen Schliemanns in Hissarlyk (»Zur Landeskunde der Troas«, Berl. 1880; »Alttrojanische Gräber und Schädel«, das. 1882); 1881 besuchte er den Kaukasus und veranstaltete daselbst anthropologische Untersuchungen (»Das Gräberfeld von Koban im Lande der Osseten«, das. 1883). 1888 bereiste er mit Schliemann Ägypten und Nubien sowie den Peloponnes. Im Anschluß an seine anthropologischen Arbeiten betrieb er die Begründung eines »deutschen Museums der Trachten und des Hausgeräts« in Berlin. Er gehörte lange zu der Lehrerschaft des Berliner Handwerkervereins und gab seit 1866 mit v. Holtzendorff eine »Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge« heraus, für die er selbst über Pfahlbauten und Hünengräber, über Nahrungs- und Genußmittel, über Menschen- und Affenschädel etc. schrieb. "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Klemens Frh. von Heereman-Zuydwyk (1832 - 1903)

"Heereman-Zuydwyk (spr. seudwaik), Klemens, Freiherr von, Abgeordneter, geb. 26. Aug. 1832 in Surenburg bei Riesenbeck (Regbez. Münster), gest. 23. März 1903 in Berlin, studierte die Rechte, trat als Auskultator beim Kreisgericht zu Münster in den Staatsjustizdienst, ging dann zur Verwaltung über, war erst Regierungsassessor in Münster und wurde 1874 Regierungsrat in Merseburg. Seit 1870 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 1871 des Reichstags, schloß er sich der Zentrumspartei an, schied bei Beginn des Kulturkampfes aus dem Staatsdienst und bewirtschaftete sein Rittergut in Westfalen. H. war einer der fleißigsten Abgeordneten und ein wirksamer, wohlunterrichteter, gemäßigter Redner. Am 30. Okt. 1879 ward er zum zweiten, 1881 zum ersten Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt. H. war auch Mitglied des westfälischen Provinziallandtags und Präsident des westfälischen Kunstvereins."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Das neueste Wunder. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 12. -- 1. Beiblatt. -- 1896-03-22

Auf eine unerwartete Erscheinung stieß neulich der Haarkünstler, dem der Abg. Lingens1 sich anvertraute, nachdem er sich im Reichstage wieder einmal um die katholischen Marinepfarrer verdient gemacht hatte.

1 Peter Joseph Hubert Lingens (1818 - 1902)

"Lingens, Peter Joseph Hubert, deutscher Politiker, geb. 10. Aug. 1818 in Aachen, gest. daselbst 31. Okt. 1902, studierte die Rechte und wurde 1845 Rechtsanwalt in Aachen, 1855 auch Stadtverordneter daselbst. Als eifriger Katholik 1871 vom Papst Pius IX. zum Ehrenkämmerer und 1873 von der Universität Löwen zum Ehrendoktor der Rechte ernannt, seit 1852 der katholischen Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses angehörig, wurde er 1871 in den Reichstag gewählt, dem er als demokratisch gesinntes Zentrumsmitglied und zuletzt als Alterspräsident bis 19. Okt. 1901 angehörte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Zum Reichtagsessen am 21. März <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 12. -- 2. Beiblatt. -- 1896-03-22



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Illustrierte Rückblicke. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 13. -- 1. Beiblatt. -- 1896-03-29

"Pfäfflein Deutschlands, wahrt eure heiligsten Güter!"1 ruft Herr Engel2 vom "Reichsboten"³ und bereitet dadurch mit Hilfe von St. Nathusius4 von Gryps auf das Erfolgreichste weitere Kreise vor zum Abonnement auf den Kladderadatsch.

1 Anspielung auf das Bild von H. Knackfuß "Völker Europas, wahret Eure heiligsten Güter", nach einem Entwurfe von Kaiser Wilhelm II., Geschenk des deutschen Kaisers an den Zaren von Russland.


Abb.: H. Knackfuß "Völker Europas, wahret Eure heiligsten Güter"

² Heinrich Engel (1834 - 1911), seit 1873 Schriftleiter des Reichboten, was er 38 Jahre lang blieb

³ Der Reichsbote : deutsche Wochenzeitung für Christentum und Volkstum. -- Berlin : Der Reichsbote. -- 1.1873,1.Juli - 65.1936,31.Mai[?]

4 Martin Friedrich von Nathusius (1843 - 1906), seit 1888 Professor für praktische Theologie in Greifswald



Abb.: Ernst Retemeyer: Ein Bild nach dem Herzen des Zentrums: Graf Hompesch1 hat erklärt, dass die Frage der Aufhebung des Jesuitengesetzes die Stellungnahme des Zentrums zum Bürgerlichen Gesetzbuch2 in keiner Weise alteriere3. Wenn einer Partei so viele Wünsche erfüllt werden wie dem Zentrum in diesem Gesetzbuch, braucht sie sich auch nicht alterieren zu lassen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 25. -- 2. Beiblatt. -- 1896-06-21

Erläuterungen: Vorlage für die Karikatur ist Raffaels Sixtinische Madonna:


Abb.: Raffael (1483 - 1520): Sixtinische Madonna (Maria mit Christuskind, Hl. Papst Sixtus II. und Hl. Barbara). -- 1513-1514 -- Dresden, Gemäldegalerie

1  Alfred, Graf von Hompesch (1826 - ), seit 1874 Reichstagsmitglied (Zentrumsfraktion), seit 1893 Vorsitzender der Zentrumsfraktion

2 Bürgerliches Gesetzbuch

"Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich (Abkürzung: B. G. B.). Entstehungsgeschichte: Im J. 1867 beantragte im konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes bei Beratung des Verfassungsentwurfes der Abgeordnete Miquel, dem Bunde die Gesetzgebung über das bürgerliche Recht zuzuweisen. Der Antrag wurde abgelehnt, 1869 aber wieder eingebracht und damals mit großer Mehrheit angenommen. Gleiches geschah im deutschen Reichstag 1871/72 und 1873, und demgemäß erging 13. Dez. 1873 das Reichsgesetz, betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Art. 4 der Reichsverfassung. Auf Grund dessen konnte der Bundesrat 28. Febr. 1874 fünf angesehene Juristen (die sogen. Vorkommission, bestehend aus dem Rat beim Reichsoberhandelsgericht Goldschmidt, dem württembergischen Obertribunaldirektor v. Kübel, dem preußischen Appellationsgerichtspräsidenten v. Schelling, dem Präsidenten des bayrischen Oberappellationsgerichts v. Neumayr und dem Präsidenten des sächsischen Oberappellationsgerichts v. Weber) mit Vorschlägen über Plan und Methode der Ausarbeitung des Entwurfs eines B. G. B. betrauen. Dieselbe machte unterm 15. April d. I. in ihrem Gutachten dem Bundesrat Vorschläge über den Plan und die Methode bei Ausstellung des Entwurfes eines B. G. B., die im wesentlichen unterm 22. Juni 1874 vom Bundesrat angenommen wurden. Auf Vorschlag des Bundesratsausschusses für das Justizwesen ernannte sodann der Bundesrat 2. Juli 1874 eine Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines B. G. B. Diese Kommission bestand aus folgenden Juristen, bez. Praktikern: Pape, Präsident des Reichsoberhandelsgerichts; Derscheid, Appellationsgerichtsrat in Kolmar; Gebhard, badischer Ministerialrat; Johow, preußischer Obertribunalsrat; v. Kübel, württembergischer Obertribunalsdirektor; Kurlbaum II, vortragender Rat im preußischen Justizministerium; Planck, Appellationsgerichtsrat in Celle; v. Weber, Präsident des sächsischen Oberappellationsgerichts, und zwei Rechtslehrern: v. Roth in München und Windscheid in Heidelberg. Von diesen schieden Windscheid 1883 aus, v. Kübel starb 1884, v. Weber 1888, für die der Tübinger Rechtslehrer v. Mandry und der vortragende Rat im sächsischen Justizministerium Rüger in die Kommission berufen wurden. Die Kommission war also derart zusammengesetzt, dass in ihr einerseits Wissenschaft und Praxis, anderseits das gemeine, altpreußische, rheinische und königlich sächsische Recht Vertretung fand. Am 17. Sept. 1874 begann die Kommission in Berlin unter Papes Vorsitz ihre Sitzungen. Sie beschloss, weder eines der geltenden Gesetzbücher noch einen der vorliegenden Entwürfe oder Teilentwürfe (Deutscher Bund, Bayern, Hessen u. a.) ihren Beratungen zu Grunde zu legen, sondern beauftragte fünf ihrer Mitglieder, Teilentwürfe auszuarbeiten für 1) den allgemeinen Teil (Gebhard), 2) das Recht der Schuldverhältnisse (v. Kübel), 3) das Sachenrecht (Johow), 4) das Familienrecht (Planck), 5) das Erbrecht (v. Schmitt). Da zunächst das gesamte derzeit in Deutschland geltende bürgerliche Recht festzustellen und zu prüfen war, so gelangte die Kommission erst 4. Okt. 1881 zur Beratung der Teilentwürfe, von denen der zweite (wegen tödlicher Krankheit des »Redaktors«) sogar damals noch unvollendet war, so dass für den fehlenden Teil als Ersatz der sogen. Dresdener Entwurf, der im Anfang der 1860er Jahre von Bundes wegen festgestellt worden war, herangezogen werden musste.

Der Redaktionsausschuss, bestehend aus dem Vorsitzenden der Kommission, Pape, dem Kommissionsmitgliede v. Weber und den Redaktoren der einzelnen Entwürfe, begann seine Beratungen (»erste Lesung«) 4. Okt. 1881 und schloss dieselben gegen Ende des Jahres 1887. Am 27. Dez. 1887 überreichte hierauf der Vorsitzende dem Reichskanzler den Entwurf erster Lesung. Hierzu wurden von Hilfsarbeitern auf Grund der Motive zu den Teilentwürfen und der Beratungsprotokolle der Kommission in fünf Bänden Motive ausgearbeitet, die jedoch von der Kommission nicht geprüft wurden.

Der Entwurf des Einführungsgesetzes war in der Weise zustande gekommen, dass jeder Redaktor die auf seinen Teil bezüglichen Paragraphen des Einführungsgesetzes ausarbeitete, wobei für den erkrankten Redaktor des Obligationenrechts der Hilfsarbeiter Ege die Ausarbeitung der einschlägigen Paragraphen übernahm. Die Gesamtberatung wurde Anfang 1888 vorgenommen, der dann noch im gleichen Jahre die amtliche Veröffentlichung des Einführungsgesetzentwurfes nebst Motiven folgte. Entwurf und Motive des B. G. B. wurden durch Bundesratsbeschluss vom 31. Jan. 1888 veröffentlicht. Der dabei ausgesprochene Wunsch allseitiger Begutachtung wurde in reichem Maß erfüllt, umfasst doch die im Reichsjustizamt erfolgte »Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwurf eines B. G. B.« sechs Druckbände. Die Urteile gingen weit auseinander. Insonderheit wurde dem Entwurfe, der spöttisch auch als »kleiner Windscheid« bezeichnet wurde, der Vorwurf des Doktrinarismus, des einseitig romanistischen, antisozialen, unmodernen und vor allen mit der deutschen Volks- und Rechtsanschauung nicht übereinstimmenden Charakters gemacht; hierzu kam noch der schwerwiegende Vorwurf, dass die Sprache unschön und schwer verständlich, noch weniger aber gemeinverständlich sei, was doch ein unbedingtes Erfordernis eines Gesetzes der Neuzeit sein müsse. Infolge dieser schwerwiegenden Angriffe und schonungslosen Ausstellungen, die teilweise von unsern hervorragendsten Juristen ausgegangen waren, beschloss der Bundesrat 4. Dez. 1890, die unterm 31. Jan. 1888 vorbehaltene zweite Lesung eintreten zu lassen. Zu der neuen Kommission wurden 22 ständige, bez. nichtständige, d. h. nicht zu regelmäßiger Teilnahme verpflichtete Mitglieder bestellt, einige Mitglieder der ersten Kommission, andre Juristen verschiedenen Berufs, Landwirte, Kaufleute, Gewerbtreibende, Volkswirte. In dieser zweiten Kommission hatte Planck das Generalreferat, Gebhard das Referat über den allgemeinen Text, der neu in die Kommission berufene bayrische Ministerialrat Iacubezky das über das Recht der Schuldverhältnisse, der gleichfalls neu berufene vortragende Rat des preußischen Justizministeriums Küntzel hatte das Sachenrecht, v. Mandry das Familienrecht und Rügers das Erbrecht zu vertreten. Es stellte also Preußen den Generalreferenten, die größern Bundesstaaten, Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden, je einen Spezialreferenten. Diese zweite Kommission beriet vom Frühjahr 1891 bis Ende 1895, und zwar wurde der erste Entwurf paragraphenweise durchberaten, ohne dass dabei die großen und leitenden Gesichtspunkte des ganzen Werkes außer acht gelassen wurden. Der »Reichsanzeiger« berichtete allwöchentlich über die Beratungen. Auch wurde jeder Teilentwurf veröffentlicht, sobald er durch die Gesamtkommission vorläufig festgestellt und durch die Redaktionskommission gefasst war; die erste, zweite und dritte 1894, die vierte und fünfte 1895. Der gesamte Entwurf wurde nach endgültiger Fassung im Oktober 1895 dem Bundesrat vorgelegt. In den letzten Tagen des gleichen Jahres folgte danach die Feststellung und Vorlegung des Einführungsgesetzes an den Bundesrat.

Die Kritik hatte mittlerweile wiederum die ihr gebotene Möglichkeit in so erfreulichem Maße benutzt, dass allein die Titelaufzählung der wissenschaftlich gehaltenen einschlägigen Schriften hierüber 14 große Seiten einer Bibliographie füllen.

Der Bundesrat nahm den Entwurf der zweiten Kommission mit wenigen, wenn auch nicht unerheblichen Abänderungen 16. Jan. 1896 an, und 17. Jan. 1896 legte der Reichskanzler, Fürst Hohenlohe, den Entwurf eines B. G. B. nebst einer Denkschrift von 396 Seiten im Namen des Kaisers dem Reichstage zur verfassungsmäßigen Beschlussfassung vor, dem am 25. Jan. der Entwurf eines Einführungsgesetzes nebst Materialien zu seinem dritten Abschnitt folgte. Der Reichstag verwies den Entwurf nach der vom 3.-6. Febr. 1896 in vier Sitzungen erfolgten ersten Beratung an eine Kommission von 21 Mitgliedern, die in 53 Sitzungen zwei Lesungen hielt und bereits 12. Juni Bericht erstattete. Vom 19.-27. Juni fand in acht Sitzungen die zweite, 30. Juni und 1. Juli die dritte Lesung im Plenum des Reichstags statt. An letzterm Tag erfolgte hier auch die Annahme mit 222 gegen 48 Stimmen, wobei 18 Abgeordnete sich der Abstimmung enthielten und 94 fehlten. Der Bundesrat erteilte den in verschiedenen, wenn auch nicht gerade zahlreichen Punkten abgeänderten Entwürfen seine verfassungsmäßige Zustimmung 14. Juli, der Kaiser vollzog dieselben 18. Aug. durch seine Unterschrift, und so konnte das B. G. B. in der am 24. Aug. 1896 in Berlin ausgegebenen Nr. 21 des Reichsgesetzblattes (S. 195-650) veröffentlicht werden. Nachdem sodann auf den mit dem Inhalte des B. G. B. in Verbindung stehenden Rechtsgebieten, wie erforderlich, sieben andre Reichsgesetze nebst Einführungsgesetzen und Hunderte von Landesgesetzen teils ganz neu gegeben, teils abgeändert waren, konnte endlich, wie es Art. 1 des Einführungsgesetzes vorschreibt, mit dem 1. Jan. 1900 das B. G. B. in Kraft treten. Das B. G. B. besteht aus 2385 Paragraphen, das Einführungsgesetz aus 218 Artikeln. Bei seiner Schaffung wurde grundsätzlich an das bestehende Recht angeknüpft, soweit dasselbe den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechend anerkannt wurde. Während der allgemeine Teil und das Recht der Schuldverhältnisse im wesentlichen auf römischrechtlicher Grundlage beruhen, stehen das Sachenrecht, das Familien- und Erbrecht fast durchweg auf deutschrechtlichem Boden; von besonderm Einfluss auf die Gestaltung des Gesetzes war das preußische Allgemeine Landrecht. Den sozialen Forderungen der Gegenwart ist vielfach Rechnung getragen worden, Treu und Glauben sowie die Rücksicht auf die Verkehrssitte als maßgebend anerkannt; Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstoßen, sind für nichtig erklärt. Der gute Glaube wird, soweit tunlich, geschützt, der Immobiliarverkehr durch Durchführung des Grundbuchsystems gesichert. Als gesetzlicher Güterstand ist der der eheherrlichen Verwaltung und Nutznießung (Verwaltungsgemeinschaft) gewählt, doch ist anderweitige Regelung durch Ehevertrag zulässig. In persönlicher Beziehung ist die Frau als unbeschränkt geschäftsfähig erklärt; nach dem Tode des Ehemanns steht ihr regelmäßig die elterliche Gewalt über die minderjährigen ehelichen Kinder zu, auch ist die Fähigkeit der Frauen zur Übernahme von Vormundschaft anerkannt. Das uneheliche Kind gilt zwar nicht als mit seinem Erzeuger verwandt, hat aber gegen denselben, wenn die Vaterschaft feststeht, Anspruch auf Unterhalt bis zum zurückgelegten 16. Lebensjahr. Das Erbrecht beruht auf dem sogen. Parentelsystem, dem Ehegatten ist ein weitgehendes Erbrecht eingeräumt. Die Testamentsform ist gegenüber dem bisherigen Recht wesentlich erleichtert. Auf Genauigkeit und Klarheit des Ausdruckes ist die größte Sorgfalt verwendet worden; in Beziehung auf Leichtigkeit und Verständlichkeit der Sprache war man nach Tunlichkeit bestrebt, den Ausstellungen Rechnung zu tragen, die in dieser Beziehung gegen den ersten Entwurf erhoben waren. Das Gesetz in seiner Gesamtheit muss als eine der hervorragendsten gesetzgeberischen Leistungen der letzten Jahrhunderte bezeichnet werden und findet in seiner nunmehrigen Gestalt mehr und mehr freundliche Ausnahme.

Das öffentliche Recht berührt das B. G. B. nur in wenigen Punkten, ordnet aber das gesamte bürgerliche Recht, soweit dies nicht in andern Reichsgesetzen, insbes. z. B. im Handelsgesetzbuch, geschieht, oder soweit es nicht selbst oder in seinem Einführungsgesetz die Ordnung ausdrücklich den Landesgesetzen überlässt. Letzteres ist allerdings in großer Menge geschehen, so in den sämtlichen Art. 56-152 des Einführungsgesetzes (mit den bekannten Anfangsworten »Unberührt bleiben«). Einige dieser Vorschriften wollen freilich nur Ausführungen und Ergänzungen ermöglichen, die meisten aber wollen Gegenstände unberührt lassen, die wesentlich oder doch auch dem öffentlichen Recht unterliegen und daher durch besondere Gesetze in beiderlei Hinsicht geordnet zu sein pflegen, oder Gegenstände, die vermöge ihres engen Zusammenhanges mit besondern örtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in den verschiedenen Gegenden nur verschieden geordnet sein können. Daher sind noch Gegenstände der Landesgesetzgebung: die frühern Staatsverträge mit dem Ausland, Privatfürstenrecht (s.d.), Rentengüter, Erbpacht (s.d.), einschließlich Büdnerei und Häuslingswesen, Anerbenrecht (s.d.), Wasser- und Mühlenrecht, Deich- und Sielrecht, Bergrecht, Regalien, Realgewerbeberechtigungen, Zwangs- und Bannrechte (s.d.), Haftung des Staates und der andern öffentlichrechtlichen Verbände aus amtlichen Handlungen ihrer Beamten, Besoldungs- und Pfründenwesen, Waldgenossenschaften, Schutzpfändung, Pfandleihwesen, Leibgedinge (s.d.), Staatsschuldbücher (s.d.), öffentliche Sparkassen, Ersatz von Schäden durch Auflauf oder Aufruhr, Entschädigung für Enteignung u. dgl., sogen. Bahneinheit (s.d.), Verkoppelung, Gemeinheitsteilung, Ablösung von Dienstbarkeiten und Reallasten, gutsherrlich-bäuerliches Verhältnis, Kirchen- und Schulbaulast, Kirchenplätze und Begräbnisstätten, religiöse Erziehung der Kinder, Zwangserziehung, Erbfolge von Körperschaften oder Anstalten öffentlichen Rechtens. Es sind ferner wenigstens im wesentlichen noch Landessache das Gesindewesen, rechtsfähige Vereine mit dem Zweck wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes, Jagd und Fischerei, das Recht der Toten Hand (s.d.). Auch sind der Landesgesetzgebung erst nach 1896 entzogen: Flößerei, Versicherung und Verlagsvertrag. Begreiflicherweise übte die völlige Neugestaltung des bürgerlichen Rechts auf eine Reihe bereits bestehender Reichsgesetze einen erheblichen Einfluss aus. An diesen mussten deshalb Abänderungen vorgenommen und ihre Übereinstimmung mit dem B. G. B. herbeigeführt werden. Diese Abänderungsgesetze sowie drei völlig neue Reichsgesetze versteht man gewöhnlich unter der Bezeichnung Nebengesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Es sind dies: 1) Grundbuchordnung für das Deutsche Reich, vom 24. März 1897; 2) Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung nebst Einführungsgesetz, vom 24. März 1897; 3) Reichsgesetz Aber die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, vom 17. Mai 1898. Diese drei Reichsgesetze regeln Materien, die bisher Gegenstand der Landesgesetzgebung waren. Des fernern nennt man Nebengesetze zum B. G. B.: 4) Handelsgesetzbuch nebst Einführungsgesetz, vom 10. Mai 1897; 5) Reichsgesetz, betreffend die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung; 6) Reichsgesetz, betreffend die Änderung der Zivilprozessordnung nebst Einführungsgesetz; 7) Reichsgesetz, betreffend Änderung der Konkursordnung nebst Einführungsgesetz, die drei letzten vom 17. Mai 1898. Alle diese Gesetze traten gleichzeitig mit dem B. G. B., also 1. Jan. 1900, in Kraft."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 alterieren: verändern


Die unterbrochene Trauung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 26. -- S. 102. -- 1896-06-28

Wollte ich in meiner Gemeinde eine vom Standesamt kommende Braut mit "Frau" anreden, so würde sie mir die Augen auskratzen. Ich spreche aus Erfahrung. Abg. Schall1.

Der Pfarrer Schall1 steht vor dem Altar,
Und vor5 ihm steht ein junges Paar.

Der Standesbeamte tut's nicht allein,
Auch kirchlich wollen getraut sie sein.

Mit salbungsvollem Schall und Schwall
gibt sie zusammen der wackre Schall.

Doch ach - wer nimmt es stets so genau? -
Er nennt die Braut "die junge Frau".

In Scham erglüht die keusche Braut,
Die Tränen strömen, sie jammert laut.

Sie schreit: "Wie kommen Sie mir vor!
Ich bin noch Jungfrau, Herr Pastor!"

Sie springt an dem Pfarrer empor, o Graus,
Und kratzt ihm beide Augen aus!

Gleich führt - dass der Himmel sich erbarm -
Die Arme von dannen der Gendarm.

Vier Jahre mit ihrer Jungfrauschaft
Sitzt büßend sie in Kerkerhaft.

Der sinnliche junge Ehemann,
Der fängt ein wüstes Leben an.

Die Jahre wandern, die Zeit verrinnt,
Der arme Schall bleibt ewig blind.

Und all der Jammer und all das Weh
Kommt von der bürgerlichen Eh'!

1 Schall: kann ich nicht identifizieren



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Das letzte Stündlein.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 29. -- S. 116. -- 1896-07-19

In Belgien haben die Klerikalen mit Hilfe der Liberalen 111 Abgeordnetensitze erobert. Die Liberalen haben nur noch drei Vertreter in der Kammer.


Die neue Firma. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 29. -- S. 116. -- 1896-07-19

Nun rührt die Werbetrommel der teure Gottesmann:
"Die ihr mir treu geblieben, nun kommt! Heran, heran!
Verzage nicht, du Häuflein! Schon hab ich über Nacht
An dem Geschäftslokale die neue Firma angebracht.

Für "christlich" heißt's nun "kirchlich", das soll die Losung sein:
"Kirchlich-sozial!" So reich ich's beim Amtsgericht gleich ein.
Sonst bleibt beim alten alles, auch künftig -- ohne Spott
Sag ich's -- beteur' ich täglich: "Ich überlasse alles Gott!"

Wen mag es Wunder nehmen, dass nicht bescheiden schweigt
Der alte Lügner, dass er dem Volk sich kecklich zeigt?
Wie sollte anders handeln der Mann so sondrer Art,
Der mit der Schlange Klugheit die Zähigkeit der Katze paart!

Nach schlimmen Zeiten geht es ihm wieder leidlich gut,
Der einst'gen Freunde Feigheit, sie gibt ihm neuen Mut:
Man gab ihm keinen Zutritt, "mit Schmerzen" ließen ihn
Und "herzlichem Bedauern" Manteuffel2 und Genossen ziehn.

Nicht hieß es: "Marsch hinaus jetzt, weil du ein Phrasen-Christ,
Ein abgebrühter Lügner und rechter Schmutzfink bist,"
Nein, höflich klang's: "Wir können mit dir nicht weiter gehn,
Weil wir sozialpolitisch auf einem andern Standpunkt stehn."

Nicht darf umsonst erklingen der Werbetrommel Schall;
Maulchristen, glatte Schwätzer, nun rührt euch überall!
Und ihr auch, liebe Trottel, erhebt euch fern und nah,
Schon ist vom Ostseestrande der heilige Nathusius³ da.

Um eins nur möcht ich bitten. Es werden immer mehr
Der Häuflein, und zu trennen ist kaum noch Heer von Heer;
Hier "christlich" und dort "kirchlich", dort "evangelisch" -- bin
Ich schwach im Kopf geworden? Ich komme durch die Namen hin.

Nennt euch "Die Lügengarde!" Dann ist die Sache klar,
Dann kann euch keiner halten für eine andre Schar.
Irrtümer zu vermeiden, ruft hell im Kampfe ihr:
"Die um den frechen Lügner sich trefflich scharen, das sind wir!"

1 Bezieht sich auf die Gründung der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz durch Adolf Stöcker (1835 - 1909): siehe oben!

2 Otto Karl Gottlob, Freiherr von Manteuffel (1844 - 1913), Vorsitzender der Deutsch-konservativen Fraktion im Reichstag

³ Martin Friedrich von Nathusius (1843 - 1906), seit 1888 Professor für praktische Theologie in Greifswald


Aus Dortmund1 -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 35. -- S. 139. -- 1896-08-30

Melodie: Heil dir im Siegerkranz2

Schmachtend im Kellerloch
Flucht leise Leo³ noch
Seinem Geschick.
Haltet, o Mächte Rat,
Sühnt arge Freveltat,
Gebt ihm den Kirchenstaat4
Endlich zurück!

Immer noch im Exil
Duldet der leiden viel
Loyolas Schar5.
Dass doch kein schlechterer Christ
Als der Redemptorist6
Ein Jesuwiter ist.

Uns fehlt die Parität7
Immer noch früh und spät
Quält uns das sehr.
Werdet, ihr Ketzer weich!
Stehen wir euch erst gleich,
Schwärmen fürs teure Reich
Wir noch viel mehr!

Manche Resolution
Fassen seit Jahren schon
Einstimmig wir.
hilft es nicht, schadt's auch nicht!
Wie es gebeut die Pflicht,
Tagen wir fromm und Schlicht,
Dann geht's zum Bier!

1 Zur Eröffnung der 43. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands

² "Heil dir im Siegerkranz" von 1871 bis 1918 Repräsentationslied des Deutschen Kaiserreiches

Melodie von Heil dir im Siegerkranz

Abb.: Anklicken (midi-Datei)
[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/heildiri.html. -- Zugriff am 2009-12-17]

³ Leo XIII, Papst von 1878 - 1903

4 1870 marschierte italienisches Militär fast kampflos im Kirchenstaat ein, entmachtete den Papst politisch und proklamierte wenig später Rom zur Hauptstadt Italiens. Erst 1929 hat der Faschist Mussolini in den Lateranverträgen den Vatikanstaat geschaffen.

5 (Ignatius von) Loyalas Schar = Die Jesuiten

6 Redemptorist

"Redemptoristen (lat., Kongregation des allerheiligsten Erlösers, Congregatio Sanctissimi Redemptoris, abgekürzt C. SS. R.), von Alfons Maria von Liguori (s. d.; daher Liguorianer) 1732 zu Neapel gestiftete und 1749 von Benedikt XIV. bestätigte Kongregation, die sich die Belebung römischkatholischer Religiosität besonders in den ländlichen Volksschichten durch Missionen und geistliche Exerzitien zum Ziele steckte.

Ihre Ausbreitung nach Polen, Österreich und andern Ländern verdankten die R. Klemens Maria ð Hoffbauer (s. d.). Aus Deutschland wurden sie 1873 als Affiliierte des Jesuitenordens ausgewiesen, 1894 aber wieder zugelassen. 1906 zählten die R. in 17 Provinzen und 12 Vizeprovinzen 192 Niederlassungen mit 3580 Mitgliedern, darunter 1757 Priester."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Parität

"Parität (lat.), Gleichheit, insbes. der Zustand der völlig gleichmäßigen Anerkennung und Behandlung mehrerer Kirchengesellschaften durch den Staat, demzufolge auch unter diesen zugleich jedes Abhängigkeitsverhältnis ausgeschlossen ist. Für Deutschland wurde durch den Westfälischen Frieden 1648 für die reichsunmittelbaren Gebiete die P. der katholischen, evangelischen und reformierten Konfession festgesetzt. – Paritätische Staaten, Staaten mit gemischter Bevölkerung. in denen sich die mehreren Kirchengesellschaften gleichen Rechtsschutzes erfreuen. Paritätische Universitäten, Hochschulen, die insbes., wie in Bonn, Breslau, Straßburg, Tübingen, Wien, Bern etc., eine protestantisch- und eine katholisch-theologische Fakultät haben; paritätische Kirchen (auch Simultankirchen), kirchliche Gebäude, in denen zwei verschiedene Religionsparteien, z. B. Lutheraner und Reformierte, Protestanten und Katholiken etc., ihren Gottesdienst entweder nacheinander in demselben Raum oder zu gleicher Zeit in verschiedenen Abteilungen der Kirche abhalten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Ein billiges Vergnügen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 36. -- S. 142. -- 1896-09-06

Noch immer jubeln der Schwarzen Blätter:
"Wie hat zum Ärger aller Spötter
Sich wieder bewährt zu dieser Zeit
Der Katholiken Einigkeit!
Wo sind im Zentrumsturm die Risse?
Einstimmig wurden alle Beschlüsse
Gefasst in Dortmund: Jedesmal
Wenn in dem vollgepfropften Saal
Ein Redner auftat seinen Mund,
Gab laut die Einigkeit sich kund.
Kein Wort des Widerspruchs ward laut
Die ganzen Tage hindurch. Nun schaut
Euch einmal um bei den anderen Partein.
Gibt's dort auch solche Eintracht? Nein!"
Du lieber Gott, wie ist so leicht
Dies herrliche Resultat erreicht!
Matrosen meutern ja dann und wann,
Es mag vor offener Front ein Mann
Sich weigern zu tun, was ihm geheißen,
Dressierte Löwen und Wölfe beißen
Gelegentlich nach ihrem Meister,
Wie aber sollen Fromme Geister
Sich solcher Freveltat erfrechen
Und ihren Dresseuren widersprechen?
Wer vom Kaplan ist gut dressiert,
Sein Leben lang nicht revoltiert.

Erläuterung: Auf dem 43. Katholikentag in Dortmund 1896 wurde die Einigkeit der Klerikalen laut gepriesen.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Bitru1 und kein Ende! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 40. -- 1. Beiblatt. -- 1896-10-04

Große Verwirrung richtet unter den Frommen die Entdeckung an, dass Künzles "Pelikan"² in der Tat vom Teufel geritten ist

1 Bitru

"Taxil, Leo (eigentlich Gabriel Jogand), Schriftsteller, geb. 1854 in Marseille, gest. 30. März 1907 in Sceaux, war schon 1872 in radikalen Blättern in Paris als Journalist tätig und gründete zahlreiche Freidenkervereine (281 mit 17,000 Mitgliedern). Nach dem Erlass der Bulle des Papstes Leo XIII. gegen die Freimaurer vom 20. April 1884 erklärte er sich im »Univers« für einen reuigen Sünder und trat nun angeblich im Interesse der römischen Kirche gegen die Freidenker auf. Er schrieb: »Vollständige Enthüllungen über die Freimaurerei« (Par. 1885, 2 Bde.), »Drei Punkte-Brüder« (deutsch von Gruber) und andre Bücher, in denen er die Freimaurer des Teufelsdienstes und schändlicher Laster beschuldigte. Mit einem Dr. Bataille (Karl Hacks) gab er das Werk: »Der Teufel im 19. Jahrhundert« (1892–94, 2 Bde.) heraus, mit einem Italiener Margiotta »Adriano Tenani, Oberhaupt der Freimaurer«. Er erfand einen Teufel Bitru und als dessen jetzt bekehrte Dienerin eine amerikanische Miss Diana Vaughan, die in ihren Memoiren tolle Enthüllungen machte und dafür den päpstlichen Segen empfing. 1896 fand in Trient ein von 36 Bischöfen etc. besuchter Kongress statt, der Taxil wegen seiner Verdienste um die Kirche feierte. Taxil enthüllte aber 19. April 1897 in Paris selbst, dass er der römischen Geistlichkeit und Presse eine grobe Mystifikation gespielt habe. Vgl. Rieks, Leo XIII. und der Satanskult (Berl. 1897); Bräunlich, Der neueste Teufelsschwindel (Leipz. 1897)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Bezieht sich wohl auf:  Michael Germanus (Hrsg.): Die Geheimnisse der Hölle oder: Miss Diana Vaughan, ihre Bekehrung und ihre Enthüllungen über die Freimaurerei, den Kultus und die Erscheinungen des Teufels in den palladistischen Triangeln. --  Feldkirch: Pelikan 1896. Der Pelikan-Verlag wurde von Kräuterpfarrer Johann Künzle (1857–1945) geführt



Abb.:
Josef Benedict Engl: Fata Morgana. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 43. -- 2. Beiblatt. -- 1896-10-25

Dr. Lieber1 sieht der Wiedereröffnung des Reichstags mit frohem Mute entgegen. "Katholisch" soll auch künftig Trumpf sein.

1 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902)

"Lieber,  Ernst Maria, deutscher Politiker, geb. 16. Nov. 1838 zu Kamberg in Nassau, gest. 31. März 1902 ebenda, Sohn des durch seine publizistische Tätigkeit bekannten katholischen Politikers Moriz L. (geb. 1790, gest. 29. Dez. 1860), studierte 1858–61 in Würzburg, München, Bonn und Heidelberg Philosophie und Rechtswissenschaft, erwarb sich den juristischen Doktorgrad und lebte als Privatmann in Kamberg. Seit 1870 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 1871 des Reichstags, schloß er sich der Zentrumspartei an und gehörte zum demokratischen Flügel der Ultramontanen, an dessen Spitze er 1893 die gemäßigten Mitglieder aus Schlesien aus dem Zentrum verdrängte, übernahm nach Windthorsts Tode die Leitung der Zentrumspartei und verstand es, sie im Reiche zum ausschlaggebenden Faktor der Politik zu machen. Er hatte enge Verbindung mit den Regierungskreisen; 1901 wurde er zum päpstlichen Kämmerer di cappa e spada ernannt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Aus Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 49, Nr. 46. -- S. 182. -- 1896-11-15


1897


Der Zukunfts-Sonntag. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 50, Nr. 3. -- S. 11. -- 1897-01-17

Gelinge wird der kühne Plan -- "So, so?"
Ich seh' ihn der Vollendung nah'n -- "So, so?"
Sonntags wird sein in kurzer zeit
Berlin ein Bild von Frömmigkeit. -- "I wo!"

Dann sitzt ein jeder still zu Haus -- "Ja, ja!"
Und schleicht zur Türe nur hinaus -- "Ja, ja!"
Wenn er des Morgens um halb zehn
Fromm singen will und beten gehn. -- "Na, Na!"

Die Pferdebahn ist nicht besetzt -- "Ach, ach!"
Kein Droschkengaul wird abgesetzt -- "Ach, ach!"
Ein jeder Omnibus ist leer,
Und Kremser1 sieht man gar nicht mehr. -- "Gemach!"

Nicht Brot zu kaufen gibts, nicht Wurst. -- "O weh!"
Und hat der Mensch den größten Durst -- "O weh!"
In keinem Polizeirevier
Schenkt man ihm auch nur Trippelbier². -- "Herrje!"

Kein Horn und keine Violin' -- "Au, au!"
Mehr nach der Hasenheide³ ziehn -- "Au, au!"
Kein Fritz dort mit Augusten walzt,
Kein Riekchen seinen Franz umhalst. -- "Wie mau!"

In Halen-, Wann- und Schlachtensee4 -- "Na nu?"
Stört keine Lust mehr Hirsch und Reh -- "Na nu?"!
Gleich wird nach Plötzensee4 geschleift
Wer dort die Holzauktion5 nur pfeift. -- "Hu, hu!"

Doch wenn der Sonntag ist vorbei, -- "Ha, ha!"
Dann atmet auf die Menschheit frei -- "Ha, ha!"
Dann machen künftig Mann und Frau
Und Dirn' und Bursch' den Montag blau -- "Hurra!"

1 Kremser = zwei- bis vierspänniger Pferdeomnibus

² Trippelbier = Bier für Trippelbrüder (Landstreicher)

³ Hasenheide = Park im Berliner Ortsteil Neukölln

4 Halensee, Wannsee, Schlachtensee, Plötzensee: Berliner Seen

5 Holzauktion = Lied von Otto Teich: Im Grunewald ist Holzauktion :

Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion,
Ist Holzauktion, ist Holzauktion,
Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion,
Ist Holzauktion.

|: Links um die Ecke rum,
   Rechts um die Ecke rum,
   Überall ist große Holzauktion. :|

Der ganze Klafter Süßholz kost'nen Taler,
'nen Taler, 'nen Taler.
Der ganze Klafter Süßholz kost 'nen Taler,
'nen Taler kost er nur.

Der Förster schießt dabei zwei große Böcke
Für'n Taler, für'n Taler,
Und sieht drauf in der linken rechten Ecke
Für'n Taler, Taler nur.

Der Forstgehilfe küßt des Försters Tochter
Für'n Taler, für'n Taler,
Der Förster auf den Forstgehilfen pocht er
Für'n Taler, Taler nur.

Beim Vollmond, da kamen alte Weiber
Für'n Taler, für'n Taler,
Die mausten Holz wie echte rechte Räuber
Für'n Taler, Taler nur.

Die Polizei kam leise wie auf Strümpfen
Für'n Taler, für'n Taler,
Und arretierte, ach, die alten Nymphen
Für'n Taler, Taler nur.

Melodie von Holzauktion

[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/imgrunew.html. -- Zugriff am 2009-12-20]


Schneefall am Sonntag. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 50, Nr. 5. -- 2. Beiblatt. -- 1897-01-31

Wenn just am Sonntag es niederschickt
Der weißen Flocken Gewimmel,
So ist das, offen räum' ich es ein,
Nicht rücksichtsvoll vom Himmel.

Die Straßenreinigung kann mit dem Schnee
Am Sonntag sich nicht befassen,
Sie muss, und liegt er ein Meter hoch,
Ihn ruhig liegen lassen.

Die heilige Sonntagsruhe darf
Man doch darum nicht stören;
Das würde die Frommen -- auch in Berlin
Gibt's solche -- mit Recht empören.

Wenn auf den Türmen die Glocken gehn
Und erst die Orgeln erdröhnen,
Darf da das Kratzen und Klirren wohl
Der Schaufeln und Schippen ertönen?

Es bringt der Schnee ja für den Verkehr
Viel Störungen und Beschwerden,
Besonders jämmerlich ergeht's
Den armen Droschkenpferden.

Doch soll man über die Quälerei
Der Pferde sich entrüsten?
Wie sagt man in Italien doch?
"Sie sind ja keine Christen!"

Wenn ihr voll gläubiger Inbrunst dort
Lasst eure Stimmen erschallen,
Wer weiß, ob nicht die Flocken dann
An Wochentagen nur fallen?

Es ist, ich räum' es selber ein,
Nicht rücksichtsvoll vom Himmel,
Wenn just am heiligen Sonntag er
Schickt nieder das weiße Gewimmel.



Abb.: Ernst Retemeyer: Die polnische Wirtschaft. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 50, Nr. 13. -- 2. Beiblatt. -- 1897-03-28

Bei Tage — bei Nacht: ein Beitrag zur Zentrumspolitik. -- In: Kladderadatsch. -- 1897

Erläuterung: Der polnische Klerus unterstützte die nationalistischen Bestrebungen der polnischsprachigen Bevölkerung des Deutschen Reiches. Die Zentrumspartei und ihre Presse standen auf Seiten der Polen. Der preußische Kladderadatsch dagegen sah die polnische Geistlichkeit als "Aufhetzer".



Abb.: Ernst Retemeyer: Zur Peterspfennigsteuer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 50, Nr. 17. -- 2. Beiblatt. -- 1897-04-25

Aus Rom wird darüber geklagt, dass die Einnahme aus dem Peterspfennig1 immer spärlicher fließt. Vielleicht empfiehlt es sich, das Publikum in etwas anderer Form zu dieser Steuer heranzuziehen.

1 Peterspfennig

"Peterspfennig (Peterpenny, lat. Denarius Petri), Abgabe, die von Ina, König von Wessex, 725 n. Chr. in der Absicht eingeführt worden sein soll, davon in Rom eine Herberge für die angelsächsischen Pilger einzurichten. Diese Schola Anglorum hat jedenfalls Äthelwolf 855 wiederhergestellt und bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich den Grund zu jener drückenden Abgabe gelegt, die anfangs einen Silberpfennig von jeder ansässigen Familie betrug. Der P. wurde auch in Dänemark und Polen seit dem 11. Jahrh., in Schweden, Norwegen, Island seit dem 12. Jahrh. gezahlt, in Preußen aber im 14. Jahrh. ebenso vergeblich wie in Frankreich im 11. Jahrh. eingefordert. Mit der Reformation erlosch der P. als Abgabe. Als Liebesgabe für den Papst ist der P. seit der Wegnahme des Kirchenstaates eine regelmäßig sowie bei besondern Anlässen statthabende, freiwillige Sammlung der Katholiken aller Länder für die Bedürfnisse des Päpstlichen Stuhls (s. d.), da der Papst den ihm vom italienischen Garantiegesetz bestimmten Gehalt nicht erhebt. Der P. betrug früher im Durchschnitt etwa 5 Mill. Lire, ist aber seit 1900-05 auf 21/2 Mill. zurückgegangen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Der abgesetzte Gemeindehirt und die Orthodoxochsen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 50, Nr. 44. -- S. 180. -- 1897-10-31

Die Kreissynode zu Sangerhausen1 nahm den Antrag an, dass künftig Geistlichen, die vom Kirchenamte suspendiert sind, das Wohnen in ihrem Wirkungskreise verboten werde. Zeitungsbericht.

Ist man denn nicht einmal in seinen vier Pfählen sicher vor euch!

1 Sangerhausen in Sachsen-Anhalt



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Eine Vision. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 50, Nr. 47. -- 1. Beiblatt. -- 1897-11-21

Die vatikanische "Voce della veritá" nennt die freundlichen, ja bewundernden Worten, die Bebel1 in Cottbus an den Papst und die katholische Kirche gerichtet habe, beachtenswert und bezeichnend. Zeitungsnachricht.

Nicht segnen! Um Himmelswillen nicht segnen! Das bekommte einem nicht gut.

1 August Bebel (1840 - 1913): Mitbegründer der sozialdemokratischen Arbeiterpartei


1898



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Wie es nach der lex Heinze1 auf dem Gebiet der Kunst aussehen müsste (Winke für Museumsdirektoren). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 4. -- 1. Beiblatt. -- 1898-01-23

1 lex Heinze

"Lex Heinze heißt die auf Anregung des Kaisers aus Anlass der Berliner Gerichtsverhandlung gegen den Zuhälter Heinze und dessen der Prostitution ergebenen Ehefrau entstandene Novelle vom 25. Juni 1900 zum deutschen Strafgesetzbuch, welche die Strafvorschriften über Sittlichkeitsverbrechen (s. d.), insbes. Kuppelei (s. d.) und Zuhältertum (s. d.), erweitert und ergänzt. Der erste Entwurf vom 29. Febr. 1892 kam im Reichstag nicht einmal zur ersten Lesung. Im Winter 1892/93 ging der Entwurf dem Reichstag in gleicher Gestalt wieder zu. Er wurde von einer Kommission eingehend beraten. Mit 15 gegen 6 Stimmen lehnte sie den Teil des Entwurfs ab, der die Prostitution kasernieren, also die Wiederzulassung öffentlicher Häuser ermöglichen sollte. Dagegen fügte sie außer andern Zusätzen und Verschärfungen den sogen. Arbeitgeberparagraphen ein, der die Arbeitgeber oder Dienstherren mit Strafe bedrohte, die unter Missbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses ihre Arbeiterinnen zur Duldung oder Verübung unsittlicher Handlungen bestimmen, ferner einen Paragraphen, der Ansteckung durch Geschlechtskrankheit mit Strafe bedroht. Indes kam der Entwurf über die Kommissionsberatung nicht hinaus. In den folgenden Sitzungsperioden brachte das Zentrum den Kommissionsentwurf als eignen Antrag ein. In der Session 1899/1900 kam auch die Regierung wieder mit einem neuen Entwurf vor den Reichstag. Eine Kommission verband ihn mit dem Zentrumsantrag. Über die auf Kuppelei und Zuhältertum bezüglichen Bestimmungen herrschte Einverständnis. Die Regierung erklärte aber den Arbeitgeberparagraphen für unannehmbar, da er zu unbegründeten Strafanträgen seitens eines eifer- und rachsüchtigen Personals führen könnte, ebenso für unannehmbar, dass die Altersgrenze für die strafbare Verführung eines unbescholtenen Mädchens von 16 auf 18 Jahre hinausgesetzt werde. Anderseits wurde der Antrag der Regierung abgelehnt, wonach die Vorschriften über Kuppelei und Zuhältertum keine Anwendung finden sollen auf die Vermietung von Wohnungen an Frauenspersonen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, sofern damit nicht eine Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes der Mieterin verbunden ist. Ende Februar 1900 erhob sich eine lebhafte öffentliche Bewegung gegen die sogen. Kunst- und den Theaterparagraphen, auf die sich Regierung und Reichstagskommission geeinigt hatten. Der eine Paragraph verbietet, Schriften und Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, zu geschäftlichen Zwecken in Ärgernis erregender Weise öffentlich (z. B. in Schaufenstern) auszustellen oder anzuschlagen. Der andre Paragraph wendet sich gegen öffentliche Aufführungen, die durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Die Agitation, an deren Spitze sich der Goethe- Bund (s. d.) stellte, hatte Erfolg. Die aus Zentrum und Konservativen gebildete Reichstagsmajorität verzichtete auf beide Paragraphen. Als Rest blieb nur eine Bestimmung, die unter Strafe verbietet, Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt zu überlassen oder anzubieten (Strafgesetzbuch, § 184 a). In einem neuen Paragraphen, dem sogen. Gerichtsberichtparagraphen (§ 184 b), wird bei Strafe verboten, aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, öffentliche Mitteilungen zu machen, die geeignet sind, Ärgernis zu erregen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Die keusche Kunst. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 4. -- 1. Beiblatt. -- 1898-01-23

"... die Kunst tritt vollständig zurück, es wird nur auf den Sinnenreiz spekuliert. Auch ist die Darstellung des Nackten allein niemals die Aufgabe der wahren Kunst gewesen. Die Kunst hat nur denn etwas Großes geleistet, wenn sie auf religiösem Boden steht." Abg. Spahn1 im Reichstag am 13. Januar.

Nur Afterkunst bedarf des Nackten
Und ködert uns durch Sinnenbrunst.
Im Religiösen, im Abstrakten
Erblüht allein die wahre Kunst.
Soll unserm Vaterland ein keusches,
Ein sittliches Geschlecht gedeihn,
Dann lasst vom Sündenkult des Fleisches:
Die wahre Kunst muss reizlos sein.

Lasst mir den alten Adam endlich,
Die alte Eva doch in Ruh!
Ihr Künstler seid mir unverständlich,
Und immer frag' ich mich: Wozu?
Die Schale gebt uns statt des Kernes!
Entzückt von schönheitstrunknen Blick
Nicht gradezu ein hochmodernes,
Korrektes, schneid'ges Kleidungsstück?

Doch ein Bedenken fasst mich wieder:
Wo ist das züchtige Objekt,
Das, sei es Röckchen oder Mieder,
Den keuschen Künstler nicht erschreckt?
Auch würde, ich gesteh' es ehrlich,
Vielleicht ein winzig kleiner Schuh
Schon meiner Phantasie gefährlich --
Man denkt sich dies und das hinzu.

Zwar über vieles lässt sich rechten,
Doch ist als Blüte des Geschmacks
Wohl kaum moralisch anzufechten
Die stattlich holde Form des Fracks.
Und wie der Schniepel und nicht minder
Die weiße Binde, scheint mir, sei
Der gottgefällige Zylinder
Ein Vorwurf für die Malerei.

Der Künstler schafft nicht männlich, weiblich,
Er schafft ätherisch, körperlos.
Die Kunst, beileibe nicht mehr leiblich,
Nun wird sie wahr, nun wird sie groß.
Drum, soll dem Vaterland ein keusches,
Ein sittliches Geschlecht gedeihn,
Lasst von dem Sündenfall des Fleisches:
Die echte Kunst muss reizlos sein.

1 Peter Spahn (1846 - 1925): 1884-1917 Zentrums-Abgeordneter im Deutschen Reichstag


Wie man zu taufen hat : für die schlesischen Geistlichen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 10. -- S. 39. -- 1898-03-06

Der Taufe Ritus arg verletzt,
Wer nur des Kindes Haupt benetzt
Mit nassen Fingern. Trocken bleibt
Der Kopf gar leicht, wenn so ihr's treibt;
Die ganze Müh ist dann vergebens:
Ein Heide bleibt das Kind zeitlebens,
Betrogen um der Taufe Segen
Geht es der Hölle stracks entgegen.
Wenn Heil dem Täufling soll ersprießen,
Müsst ihr den Kopf ihm gut begießen.
Die hohle Hand taucht dreimal ein
Und schüttet dann dem Kindelein
Aufs Haupt die segensreiche Flut.
Glaubt nur, das ist der Seele gut,
Ob auch in seinem Unverstand
Das Kindlein wohl mit Fuß und Hand
Zu strampeln anfängt und dabei
Erhebt ein jämmerlich Geschrei.
Begießt, denn so nur wird die Taufe
Zu einer echten Segenstraufe!
Ihr meint, es mag dann wohl nicht selten
Das arme Kind sich stark erkälten,
Es wird wohl gar bedenklich krank,
Es stirbt vielleicht! Nun, Gott sei Dank,
Dann geht es unschuldvoll und rein
Direkt gleich in den Himmel ein
Und braucht nicht erst in Not und Qual
Zu wandern hier durchs Jammertal.
Doch nichts zu meinen, nichts zu sagen
Habt ihr dabei. Was aufgetragen
Euch wird, das tut und tauft ganz still
So, wie's da Konsistorium will.
Ob's euch gefällt, ob's euch verdrießt:
Benetzt nicht, nein begießt, begießt!


Der gute Leo1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 16. -- S. 63. -- 1898-04-17

Wenn der uralte
Heilige Vater
Zwischen streitenden Mächten
Den Frieden zu wahren
Sich redlich müht,
Küss' ich zwar nicht ihm
Seinen Pantoffel,
Aber viel lieber
Seh' ich ihn so doch,
Als wenn er gräulich
Auf Andersgläubige
Zetert und flucht.

1 Papst  Leo XIII (1810 - 1903)



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Grenzen der Menschheit.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 19. -- 5. Beiblatt. -- 1898-05-08

Wenn der uralte
Heilige Vater1
Mit gelassener Hand
Den "Pelikan"² segnet,
Küss' ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.

1 Leo XIII. (1810 - 1903)

² Der Pelikan : Monatsschrift für das Volk zum Preise des allerheiligsten Altarsakramentes ; Organ der Erzbruderschaft der Ewigen Anbetung, der Ehrenwache des Heiligsten Herzens Jesu und anderer eucharistischer Vereine. - Feldkirch ; Lindau : Lutz   1.1893 - 6.1898

Im von Kräuterpfarrer Johann Künzle (1857–1945) geführten Pelikan-Verlag (Feldkirch, Vlbg) war der Betrug erschienen:  Michael Germanus (Hrsg.): Die Geheimnisse der Hölle oder: Miss Diana Vaughan, ihre Bekehrung und ihre Enthüllungen über die Freimaurerei, den Kultus und die Erscheinungen des Teufels in den palladistischen Triangeln. --  Feldkirch: Pelikan 1896.


An den Oberlehrer.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 23. -- 2. Beiblatt. -- 1898-06-05

Oberlehrer, hör' mein Wort:
Geh doch endlich in dich,
Sei nicht mehr frivol hinfort,
Sei nicht mehr so windig.
Denk' nicht mehr so weltlich flott,
Lass vom Hohne und vom Spott
Und werd' endlich "gläubig".

Trag den grauen Hut nicht mehr,
Nicht die hellen Hosen,
gib den weltlichen Verkehr,
Tanzen auf und Kosen.
Scherz' nicht mehr mit der Marie,
Schäkre nicht mit der Sophie,
Nein, werde endlich "gläubig".

Flieh des Schenken sündig Haus,
Folg' nicht seinen Winken.
Meid' des Kartenspieles Graus,
Meid' das wüste Trinken.
Glücklich macht nicht Wein, nicht Bier,
Aber Glaube; glaub' es mir,
Werde endlich "gläubig".

Denk', wenn deine Ferien nahn,
Nicht an Berg und Wälder.
Wandern ist nicht wohlgetan;
Spare deine Gelder.
Bleib zu Haus und schließ dich ein,
Lies Traktätchen fromm und rein,
Werde endlich "gläubig".

Der so weise zu dir spricht,
"Der Reichsbote"1 heißt er.
Zwar unfehlbar ist er nicht,
Wie in Rom sein Meister;
Doch in diesem Punkt hat Recht
Sicher er, du Sündenknecht;
Darum werde "gläubig".

Du schaust mich so schelmisch an?
Alter, sag', was denkst du?
Seiner predigt, böser Mann,
Keinen Glauben schenkst du?
Hab' es mir doch gleich gedacht,
Steckst zu tief im Sündenschacht:
Komm, die Schenkin wartet.

1 Der Reichsbote : deutsche Wochenzeitung für Christentum und Volkstum. -- Berlin : Der Reichsbote. -- 1.1873,1.Juli - 65.1936,31.Mai[?]


Das alte Lied.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 35. -- S. 141. -- 1898-08-28

In Krefeld waren versammelt jüngst1
Die Frommen in heißen Tagen;
Sie trugen wieder einmal dort vor,
Was oft sie schon vorgetragen.

Gesungen ward wieder das Klagelied,
das wir so oft vernommen,
Vom heiligen Vater, der lange nicht
Ins Freie ist mehr gekommen.²

Es schickte der Arzt ihn gern hinaus,
Denn gut bekäm' es dem Alten,
Doch wird von dem bösen Italien er
In Kerkerhaft gehalten.

Gesungen ward wieder auch das Lob
Der lieben guten Jesuiten³,
Der Männer im langen schwarzen Rock,
Mit langen schwarzen Hüten.

Ihr Orden möchte so gern bei uns
Zur Ehre des Himmels wirken,
Doch hält noch stets das verblendete Reich
Sie fern von seinen Bezirken.

Gerühmt ward wieder, wie Wissenschaft
Und Glaube sich gut verstehen,
Wie als Geschwister sie Hand in Hand
Verträglich zusammengehen.

Wer noch die Blätter vom vorigen Jahr4
Besitzt, der konnte lesen
Die ganzen Verhandlungen schon vorher,
's ist alles schon dagewesen.

Wohin auch immer im deutschen Land
Die Frommen mögen wandern,
Die Jahresversammlungen gleichen sich
Als wie ein Ei dem andern.

Dieselben Männer erscheinen stets,
Sie halten immer wieder
Dieselben Reden und stimmen an
Die alten Klagelieder.

Den einzigen Unterschied dabei
Macht immer nur das Eine:
Im frommen Bayern tagt man beim Bier,
Am frommen Rhein beim Weine.

1 45.  Deutscher Katholikentag in Krefeld, 21. - 25. August 1898

² 1870 wurde der Kirchenstaat von Italien annektiert. Der Papst galt für Katholiken nun als Gefangener des Vatikans. Papst Leo XIII. (1810 - 1903)

³ Durch das Reichsgesetz vom 4. Juli 1872, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu war der Jeuitenorden im Deutschen Reich verboten.. Das Gesetz wurde zum 8. März 1904 aufgehoben. Es hatte drei Paragraphen: § 1. Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen sind vom Gebiete des Deutschen Reiches ausgeschlossen. Die Errichtung von Niederlassungen derselben ist untersagt. Die zurzeit bestehenden Niederlassungen sind binnen einer vom Bundesrat zu bestimmenden Frist, die sechs Monate nicht übersteigen darf, aufzulösen. § 2. Die Angehörigen des Ordens der Gesellschaft Jesu oder der ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kongregationen können', wenn sie Ausländer sind, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden; wenn sie Inländer sind, kann ihnen der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden. § 3. Die zur Ausführung und Sicherstellung des Vollzuges dieses Gesetzes erforderlichen Anordnungen werden vom Bundesrat erlassen.

4 44. Deutscher Katholikentag in Landshut, Bayern, 29. August - 2. September 1897


Die passive Assistenz. Von einem jungen katholischen Ehemann. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 35. -- S. 143. -- 1898-08-28

Mit Nachdruck wurde jüngst in Wien,
Ein Pfarrer koramiert1,
Weil einem gemischten2 Eheschluss
Aktiv er assistiert.

Durch diesen Frevel hat er verletzt
Den heiligen Vater tief;
Er durfte assistieren wohl,
Doch durft' er's nur passiv.

Ich bin so glücklich, das schmuckste Weib
Ist seit drei Monden mein,
Nur stellt bei ihr mir all zu oft
Der Herr Kaplan sich ein.

Ich find' ihn, komm' ich nach Haus, bei ihr
Zu jeder Tageszeit;
Ich sehe, er will ihr gar zu gern
Verhelfen zur Seligkeit.

Oft denk ich, wenn der fromme Herr
So würdig mit ihr charmiert:
"Gib, gütiger Himmel, dass er mir
Nur passiv assistiert!"

1 koramieren: volkstümliche Redensart:  ihn zur Rede stellen, ausschelten.

2 d.h. konfessionell gemischt



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Ein Nachtrag zum Katholikentag in Krefeld: Die Sammlung des Peterspfennigs soll straffer organisiert werden. Eselein, streck dich!1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 36. -- S. 148. -- 1898-09-04

Erläuterung: Auf dem 45.  Deutschen Katholikentag in Krefeld wurde berichtet, der Papst habe sich außerordentlich bittend und flehend an den Erzbischof von Köln wegen Spenden zur Abhilfe von des Papstes Not gewendet.

1 Anspielung auf das Märchen "Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack!"



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Auf der Fahrt nach Palästina. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 41. -- 1. Beiblatt. -- 1898-10-09

Sehen Sie, meine Herrschaften, dort drüben liegt Kreta1, wo die Christen von den uns befreundeten Türken niedergemetzelt werden.

1 Kreta (Κρήτη, Girit)

"Trotzdem führten die unversöhnliche Feindschaft zwischen den Christen und den Mohammedanern auf Kreta (obwohl beide eines Stammes sind) und die Missgriffe der türkischen Verwaltung 1896 wiederum zu einem Aufstand der christlichen Bevölkerung. Die Nichterfüllung des Vertrags von Halepa durch die Pforte, die 1889 diesen sogar durch eine die Rechte der kretischen Nationalversammlung beschränkende Verfassung ersetzte, hatte die Unzufriedenheit der Christen vermehrt. Von Griechenland flossen den Aufständischen Geldmittel, Waffen und Munition zu; Freischärler verstärkten ihre Reihen. Schon im Februar kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen den Christen und den türkischen Truppen. Vergeblich versprach der Generalgouverneur Karatheodori 16. Juni Reformen und Zugeständnisse, forderte zur Beschickung der Nationalversammlung auf und sicherte Amnestie zu. Der Aufstand veranlasste bald die Mächte zum Einschreiten; vergeblich. Endlich erließ der Sultan 29. Aug. folgendes Irade: der Sultan ernennt mit Zustimmung der Mächte einen christlichen Generalgouverneur auf fünf Jahre, der ein Vetorecht gegen Beschlüsse des kretischen Landtags hat; die Offiziere sind zu 2/3 Christen, zu 1/3 Mohammedaner; der Landtag tritt mindestens alle zwei Jahre für 40–80 Tage zusammen; die Hälfte der Zolleinnahmen wird für die Insel verwendet; Justiz und Gendarmerie werden unter Mitwirkung europäischer Kommissare reorganisiert. Dies Irade wurde 3. Sept. von der Nationalversammlung akzeptiert. Doch seine Durchführung und die Herstellung des Besitzstandes quo ante bildeten bald die Quelle zu neuen Reibereien. Schon im Januar 1897 kam es wieder zu offenen Feindseligkeiten. Bald flammte der Aufstand auf der ganzen Insel von neuem auf, und nun wurden als Ziel offen die Vertreibung der Türken und die Vereinigung Kretas mit Griechenland verkündet. Am 15. Febr. landete der griechische Oberst Vassos mit 2000 Mann bei Platania im Nordwesten der Insel und erließ eine Proklamation, dass König Georgios von der Insel Besitz ergreife. Der Generalgouverneur, Georg Berowitsch Pascha, verließ K. (im Juli 1901 wurde ihm von der kretischen Kammer eine lebenslängliche Pension von 6000 Drachmen gewährt). Die Mächte protestierten gegen das völkerrechtswidrige Verfahren Griechenlands und beschlossen 21. März, über K. die Blockade zu verhängen, während der Sultan die Autonomie zu gewähren versprach. Infolge des ungünstigen Verlaufs seines Krieges gegen die Türkei zog Griechenland Mitte Mai seine Truppen aus K. zurück und stimmte der Autonomie der Insel bei. Doch die anarchischen Zustände auf der Insel dauerten fort.

Unter der Führung Russlands verlangten England, Frankreich und Italien 1898 von der Pforte die Ernennung des griechischen Prinzen Georg zum Generalgouverneur, während der Sultan seinen ehemaligen Großwesir Dschewad Pascha als Generalgouverneur in K. beließ. Als die Engländer im September die Erhebung des Zehnten ins Werk setzen wollten, kam es zum offenen Aufstand in Candia, was von den Mächten benutzt ward, um einen energischen Druck auf die Pforte auszuüben. Die Pforte gab nach; die Räumung Kretas war Anfang November beendet. Die vier Großmächte übertrugen darauf 14. Nov. dem Prinzen Georg von Griechenland als ihrem Kommissar (Harmostes) die Verwaltung der Insel unter ihrem militärischen Schutz. Der Prinz, der das Amt 21. Dez. 1898 übernahm, erhielt eine dreijährige (im November 1901 erneuerte) Vollmacht, die Befriedung der Insel durchzuführen und die autonome Verwaltung unter Anerkennung der Souveränitätsrechte des Sultans einzurichten; für die Kosten wurde ihm von jeder Macht 1 Million Frank vorgeschossen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Der gute Leo1.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 42. -- S. 170. -- 1898-10-16

Madame La France2, die in der letzten Zeit so unglaublich viel Verdruss gehabt hat, erlebt wieder einmal eine Freude, indem ein freilich schon alter Verehrer ihr eine kleine Aufmerksamkeit erweist.

1 Leo XIII. (1810 - 1903)

2 Leo XIII gab 1898 auf Anraten von Kardinal Rampolla die Idee auf, direkte diplomatische Beziehungen zum osmanischen Sultanat aufzunehmen. Die traditionelle Vertretung durch Frankreich als Schutzmacht ("traditionelles Protektorat") sollte erhalten bleiben, um Frankreich nicht zu verstimmen. Durch diesen Entscheid wurde aber Deutschland verstimmt.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Freundschaftliche Ergüsse.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 43. -- S. 176. -- 1898-10-23

"Solche Zufälligkeiten können unsere Zuneigung nicht abkühlen". -- "Gewiss nicht!"

Erläuterung: Leo XIII gab 1898 auf Anraten von Kardinal Rampolla die Idee auf, direkte diplomatische Beziehungen zum osmanischen Sultanat aufzunehmen. Die traditionelle Vertretung durch Frankreich als Schutzmacht ("traditionelles Protektorat") sollte erhalten bleiben, um Frankreich nicht zu verstimmen. Durch diesen Entscheid wurde aber Deutschland verstimmt. Preußen berief seinen Gesandten beim päpstlichen Stuhl, Otto von Bülow (1827 - 1901), ab.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Dormition1.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 48. -- S. 196. -- 1898-11-27

Wenn ich nicht aufpasse, heben sie mir auch noch das alte Haus aus Nazareth auf den leeren Bauplatz. Man ist ja nie vor Wundern sicher.

Erläuterung:

1 dormition = Ruhestätte = Dormitio Sanctae Virginis = »Die Ruhestätte der Heiligen Jungfrau« in Jerusalem

Mariano Kardinal Rampolla del Tindaro (1843 - 1913): Kardinalstaatssekretär seit 1887.

In der Kirche von Loreto (Italien) steht das heilige Haus (Santa Casa), das Maria zu Nazareth bewohnte, und das nach der Legende 1295 die Engel hierher trugen.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Sonntagsruhe in Braunschweig.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 51, Nr. 48. -- 2. Beiblatt. -- 1898-11-27

Wer zum Vergnügen Schlitten fährt und dabei läutet ... Wer zum Vergnügen Rad fährt und dabei nicht läutet ... wird bestraft.


1899



Abb.: Zum Jesuitenantrag.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 6. -- 1. Beiblatt. -- 1899-02-05

Dr. Lieber1: Ist denn kein Stuhl da für meine Hulda2

1 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902) (siehe oben!)

² Refrain eines Berliner Gassenhauers von 1899 (Couplet von W. Wolff):

Ist denn kein Stuhl da, Stuhl da ;
Für meine Hulda, Hulda? ,’-
Seht euch mal alle um,
Es wär doch gar zu dumm,
Wenn hier kein Stuhl da
Für meine Hulda.


Die lex Heinze1.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 6. -- 1. Beiblatt. -- 1899-02-05

Die lex ist wieder auf dem Platz,
Laut ruft sie: "Wehe, wehe!"
Nun geht der Preis des Feigenblatts
Bedenklich in die Höhe.
Die Götter suchen ein Versteck
In ihrem heil'gen Haine,
denn ihnen fuhr  ein pan'scher Schreck
In die meist nackten Beine.

Die Juno freilich lacht voll List,
sie ist ja nicht geschädigt.
Sie könnte gehen, wie sie ist,
Zu Stöcker² in die Predigt.
Doch Venus steht mit ihrem Tross
Vor Nieberding³ und Lieber4,
Weil sie zu sehr Καλλιπυγος5,
Zieht man ihr jetzt was über.

"Die Sitte kommt", so schrein entsetzt
Die Musen und die Nymphen,
Verzweifelt greifen sie zuletzt
Nach Handschuhn und nach Strümpfen.
Im Schweinestall versteckt sich just
Die schöne Zaubrin Circe;
Sie band sich vor die sündge Brust
Schnell eine Wirtschaftsschürze.

Doch Zeus ruft: "Fort aus meinem Reich,
Wer dient dem neuen Rechte!
Verdingt doch nach Ostelbien euch
Als Mägde und als Knechte.
Dort singt der Gutsherr den Choral
Mit euch, ein deutscher Barde.
Keusch diente er dem heilgen Gral
Als Leutnant bei der Garde!"

1

"Lex Heinze heißt die auf Anregung des Kaisers aus Anlass der Berliner Gerichtsverhandlung gegen den Zuhälter Heinze und dessen der Prostitution ergebenen Ehefrau entstandene Novelle vom 25. Juni 1900 zum deutschen Strafgesetzbuch, welche die Strafvorschriften über Sittlichkeitsverbrechen (s. d.), insbes. Kuppelei (s. d.) und Zuhältertum (s. d.), erweitert und ergänzt. Der erste Entwurf vom 29. Febr. 1892 kam im Reichstag nicht einmal zur ersten Lesung. Im Winter 1892/93 ging der Entwurf dem Reichstag in gleicher Gestalt wieder zu. Er wurde von einer Kommission eingehend beraten. Mit 15 gegen 6 Stimmen lehnte sie den Teil des Entwurfs ab, der die Prostitution kasernieren, also die Wiederzulassung öffentlicher Häuser ermöglichen sollte. Dagegen fügte sie außer andern Zusätzen und Verschärfungen den sogen. Arbeitgeberparagraphen ein, der die Arbeitgeber oder Dienstherren mit Strafe bedrohte, die unter Missbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses ihre Arbeiterinnen zur Duldung oder Verübung unsittlicher Handlungen bestimmen, ferner einen Paragraphen, der Ansteckung durch Geschlechtskrankheit mit Strafe bedroht. Indes kam der Entwurf über die Kommissionsberatung nicht hinaus. In den folgenden Sitzungsperioden brachte das Zentrum den Kommissionsentwurf als eignen Antrag ein. In der Session 1899/1900 kam auch die Regierung wieder mit einem neuen Entwurf vor den Reichstag. Eine Kommission verband ihn mit dem Zentrumsantrag. Über die auf Kuppelei und Zuhältertum bezüglichen Bestimmungen herrschte Einverständnis. Die Regierung erklärte aber den Arbeitgeberparagraphen für unannehmbar, da er zu unbegründeten Strafanträgen seitens eines eifer- und rachsüchtigen Personals führen könnte, ebenso für unannehmbar, dass die Altersgrenze für die strafbare Verführung eines unbescholtenen Mädchens von 16 auf 18 Jahre hinausgesetzt werde. Anderseits wurde der Antrag der Regierung abgelehnt, wonach die Vorschriften über Kuppelei und Zuhältertum keine Anwendung finden sollen auf die Vermietung von Wohnungen an Frauenspersonen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, sofern damit nicht eine Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes der Mieterin verbunden ist. Ende Februar 1900 erhob sich eine lebhafte öffentliche Bewegung gegen die sogen. Kunst- und den Theaterparagraphen, auf die sich Regierung und Reichstagskommission geeinigt hatten. Der eine Paragraph verbietet, Schriften und Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, zu geschäftlichen Zwecken in Ärgernis erregender Weise öffentlich (z. B. in Schaufenstern) auszustellen oder anzuschlagen. Der andre Paragraph wendet sich gegen öffentliche Aufführungen, die durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Die Agitation, an deren Spitze sich der Goethe- Bund (s. d.) stellte, hatte Erfolg. Die aus Zentrum und Konservativen gebildete Reichstagsmajorität verzichtete auf beide Paragraphen. Als Rest blieb nur eine Bestimmung, die unter Strafe verbietet, Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt zu überlassen oder anzubieten (Strafgesetzbuch, § 184 a). In einem neuen Paragraphen, dem sogen. Gerichtsberichtparagraphen (§ 184 b), wird bei Strafe verboten, aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, öffentliche Mitteilungen zu machen, die geeignet sind, Ärgernis zu erregen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

² Adolf Stöcker (1835 - 1909) (siehe oben!)

³ Rudolf Arnold Nieberding (1838 - 1912): Staatssekretär des Reichsjustizamtes

4 Ernst Maria Lieber (1838 - 1902) (siehe oben!)

5 Καλλιπυγος (kallipygos) = mit schönem Hintern


Abb.: Venus mit dem schönen Hintern (Diego Velázquez: Venus mit Spiegel, 1644/48)


Das Lämmchen.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 14. -- 5. Beiblatt. -- 1899-04-02

Geht ein Lämmlein auf der Flur,
Eine sanfte Kreatur,
Keinem tut es was zu Leid,
Groß ist seine Heiterkeit.
Ist es gleich ein bisschen dumm,
hüpft es doch fidel herum
Au der Wiese schön und grün,
Wo die Butterblumen blühn.

Immer ist es religiös,
Meistens gut und selten bös;
Streng monarchisch ist es auch,
Wenn's des Landes so der Brauch.
Kommt ein höhrer Hammel an,
Ganz ergebenst knixt es dann,
wagt vor dem bestersten Kragen
Nicht das kleinste Mäh zu sagen,
Grübelt still in sich versenkt,
Wie man höhern Ortes denkt.

Wird es noch so bös gezwackt,
Kahlgeschoren und geplackt,
Niemals muckt es oder spuckt es,
Nicht mal mit dem Schwänzchen zuckt es.
Doch dabei tut's nie vergessen,
Sich das Wänstlein vollzufressen.

Also vegetiert es heiter,
Frisch, fromm, fröhlich u. s. w. ,
Kriegt ein rotes Bändchen als
Anerkennung um den Hals.
Endet, war's besonders brav,
Als Geheimes Oberschaf.
Schwingt sich erster Klasse gleich
Mit Musik ins Himmelreich.

Leute, lasst das Nörgeln sein,
Werdet wie das Lämmelein!
Denn, ja dann könnt ihr auf Erden
Nahezu schon selig werden,
Dann, ja dann lässt auch hienieden
Euch der Staatsanwalt in Frieden.
Dann, ja dann, o Redakteur,
Gibt es niemals ein Malheur!


Los von Rom.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 16. -- S. 63. -- 1899-04-16

Dem heiligen Vater klingt etwas ins Ohr,
Das kommt ihm befremdend und unheimlich vor.

"Es schallt eine Geschrei bis zum Tiberstrom,
Und irr ich nicht, lautet es "Los von Rom!"1

Ach, dass man doch gar nicht zur Ruh kommen kann!
Jetzt fängt das Verfluchen von vorn wieder an."

1 Los von Rom!

"Los von Rom-Bewegung nennt man die in katholischen Ländern auftretende Erscheinung des Einzel- oder Massenübertritts aus der römischen Kirche zum Protestantismus oder Altkatholizismus. Das schon früher geprägte Schlagwort »Los von Rom« wurde auf dem großen deutschen Volkstag in Wien 11. Dez. 1897 von dem Studenten der Medizin, Rakus, mit zündender Wirkung in die Massen geworfen. In Österreich ist die L. hervorgerufen worden durch die Tatsache, daß in dem Kampf der Nationalitäten der römische Klerus stets mit den Feinden des Deutschtums sich verband und besonders in Böhmen, Mähren, Steiermark in rücksichtslosem Mißbrauch seiner amtlichen Stellung für die tschechischen Bestrebungen agitierte. Am 15. Jan. 1899 beschloß unter Leitung des Reichsratsabgeordneten Schönerer eine Versammlung in Wien den Massenaustritt aus der römischen Kirche, der erfolgen solle, sobald 10,000 Personen bei Schönerer sich hierzu angemeldet hätten. 800 Männer erklärten sich sofort bereit."

 [Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Los von Rom!1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 21. -- 3. Beiblatt. -- 1899-05-21

Geht mancher Mann auch über Bord,
Das Schifflein Petri segelt fort.
Freund Bitru² sitzt in guter Ruh
Und spielt ein schönes Lied dazu,
Denn wer nicht will zum Papste stehn,
Der wird gewiss zum Teufel gehn.

1 Los von Rom! siehe oben!

2 Bitru: siehe oben!



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 39. -- 1. Beiblatt. -- 1899-09-24

Der Bischof von Münster1 wendet sich gegen Zeitschriften, die, wie "Der heilige Antonius von Padua"² und "Der Pelikan"³, Gebetserhörungen veröffentlichen.

1 Hermann Jakob Dingelstad (1835 - 1911)

² Antonius von Padua : ill. Monatsschr. für d. Verehrer d. Heiligen Antonius ; zugl. Organ d. Dritten Ordens u. d. Ingolstädter Meßbundes. - Landshut : Hochneder   1.1894 - 54.1958

³ Der Pelikan : Monatsschrift für das Volk zum Preise des allerheiligsten Altarsakramentes ; Organ der Erzbruderschaft der Ewigen Anbetung, der Ehrenwache des Heiligsten Herzens Jesu und anderer eucharistischer Vereine. - Feldkirch ; Lindau : Lutz   1.1893 - 6.1898



Abb.: Zur Teufelskunde. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 48. -- S. 190. -- 1899-11-26



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Ausblicke ins XX. Jahrhundert <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 53. -- 1. Beiblatt. -- 1899-12-31

In den neunziger Jahren [des 20. Jahrhunderts] erfolgt die Neubesiedelung Deutschlands, und es gelingt, Nach dem Wunsch des Dr. Gröber1, alle Gläubigen und Ungläubigen unter einen Hut zu bringen.

Erläuterung: Wie wahr angesichts des ökumenischen Wischiwaschi am Ende des 20. Jahrhunderts, bei dem sich die Protestanten (besonders die Lutheraner) von den schamlosen Katholiken ohne Gegenleistung über den Tisch ziehen lassen.

1 Dr. Gröber

"Gröber, Adolf, Jurist, Politiker, geb. 11.2.1854 Riedlingen/Donau, gest. 19.11.1919 Berlin

Gröber studierte in Tübingen, Leipzig und Straßburg Rechtswissenschaften und trat 1878 in den württembergischen Justizdienst ein. 1887 Staatsanwalt in Ravensburg, wurde er im selben Jahr für das Zentrum in den Reichstag gewählt. Wegen seiner politischen Betätigung nach Heilbronn strafversetzt, wurde er 1895 Landgerichtsrat, 1912 Landgerichtsdirektor. Seit 1889 Mitglied des württembergischen Landtags, gründete er 1895 das württembergische Zentrum und wurde dessen Vorsitzender. Als Sozialpolitiker förderte Gröber die Entstehung der christlichen Gewerkschaften. Seine politische Grundüberzeugung war beim Engagement für die Abschaffung des Staatskirchentums in Württemberg wie auch für die Schaffung von mehr Wehrgerechtigkeit stets geprägt vom Gedanken des demokratischen Ausgleichs. Seit 1917 war er Vorsitzender der Zentrumsfraktion im Reichstag. 1918 nahm ihn Prinz Max von Baden als Staatssekretär ohne Ressort in sein Kabinett auf."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Ausblicke ins XX. Jahrhundert <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 53. -- 1. Beiblatt. -- 1899-12-31

Am Neujahrsmorgen des Jahres 2000 wird der nunmehr fast 190 Jahre alte heilige Vater1 Abonnent unseres Blattes und erteilt seinen Segen dem katholisch gewordenen Kladderadatsch.

1 Papst  Leo XIII (1810 - 1903)


In: Kladderadatsch. -- Jg. 52, Nr. 53. -- 1. Beiblatt. -- 1899-12-31

Die Lüge flieht ein guter Christ,
Dieweil sie gar so gräulich;
Die Wahrheit flieht ein guter Christ,
Weil meist sie unerfreulich.


Zu: Kladderadatsch 1900 - 1905

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