Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXIV:

Christlicher (Aber)glaube

1. Bis 1848


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXIV: Christlicher (Aber)glaube  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- 1. Bis 1848. -- Fassung vom 2005-02-10. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen241.htm   

Erstmals publiziert: 2004-05-07

Überarbeitungen: 2007-08-26 [Entfernung einer Abbildung]; 2005-02-10 [Ergänzungen]; 2004-12-22 [Ergänzungen]; 2004-11-30 [Aufteilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2004-11-19 [Ergänzungen]; 2004-09-05 [Ergänzungen]; 2004-07-29 [Ergänzungen]; 2004-07-16 [Ergänzungen];  2004-07-08 [Ergänzungen]; 2004-06-25 [Ergänzungen]; 2004-06-17 [Ergänzungen]; 2004-06-11 [Ergänzungen]; 2004-05-28 [Ergänzungen]; 2004-05-22 [Ergänzungen]

©opyright: Abhängig vom Sterbedatum der Autoren

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Dieses Kapitel widme ich
meiner eigenen klerikalen Vergangenheit


Abb.: ich (Alois Payer) als katholischer Theologiestudent (1965)

Dies soll mich stets vor Selbstüberheblichkeit bewahren, da auch ich Aberglauben und Irrtum, Dunkelmännertum und Pfafferei verfallen war.


Abb.: "Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst" (Gustav Heinemann)


Klicken Sie hier, um "Fest soll ..." zu hören

Text: Friedrich Matthias Berghaus (/62 - 1814), 1810
Melodie: Gesangbuch von Chrysanth Bierbaum, 1826

Fest soll mein Taufbund immer stehn,
Ich will die Kirche hören!
Sie soll mich allzeit gläubig sehn
Und folgsam ihren Lehren!
Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad'
Zur wahren Kirch' berufen hat,
Nie will ich von ihr weichen!
  Dem bösen Feind und seiner Pracht
Gelob' ich zu entsagen;
Verachte seine ganze Macht,
Will lieber Leid ertragen.
Ich fliehe alle Werke sein,
Sie endigen mit Höllenpein,
Bereiten ew'ge Qualen.
Die rechten Wege wandle ich,
Solang ich leb' auf Erden.
Getreuer Gott, beschütze mich
Und lass mich selig werden!
O mach mich ähnlich Deinem Sohn,
Dass ich erhalte meinen Lohn
Im Himmel einst auf ewig!
[Quelle der midi-Datei: http://www.ingeb.org/spiritua/festsoll.html. -- Zugriff am 2005-01-20]


1593


Das wundertätige Mannsbild (1593). .. Aus: Des Knaben Wunderhorn, Bd. 3

Die Tochter bat die Mutter schön,
Sie möchte in die Kirche gehn,
Die Bilder anzubeten,
Denn sie jetzt große Heiligkeit
Inbrünstig hätt betreten.

O Tochter das war gar verrucht,
Die Schrift ein solches Thun verflucht,
Gottes Wort allein sollst hören;
Das kann dir geben Trost und Freud,
Die Bilder tun betören.

Das Bild o liebste Mutter mein,
Das mich zieht in die Kirch hinein,
Ist nicht von Holz formieret;
Es ist ein schöner stolzer Knab,
Sein Leib gar wohl gezieret.

Solch lebend Bild die Kraft jetzt han,
Ziehn in die Kirch manch Frau und Mann,
Wenn sich die Augen drehen,
Das man also verstehen kann,
Manch Wunder ist geschehen.


1649


Philipp von Zesen (1619-1689). -- 1649

Wie sparsam werden doch, wie witzig unsre Leute
Durch steten Krieg gemacht! Der Mangel stetig denkt
Auf lauter Sparsamkeit, dass sich der Priester kränkt
Und gar verarmen muss. Man geht nun auf die Freite1
So lange, bis zugleich in Wochen liegt die Braut,
Also, dass auf einmal der Priester tauft und traut.

Erläuterung: Freite = Freien, Ehewerbung


1654


Friedrich von Logau (1604 - 1655):  Religion. -- 1654

Dass man mag in Hass und Neid wider seinen Nächsten leben,
Soll uns die Religion einen schönen Mantel geben.
Ehr mir Gott Religion, die gleich rein und heilig gläubet,
Immer aber Hass und Neid wider ihren Nächsten treibet!


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Christen. -- 1654

Von Christus heißen Christen wir;
Die Tat ist weg, der Nam ist hier.
Was Christus heißt, was Christus lehrt,
Wird nicht getan, wird kaum gehört;
Nur da sind wir des Namens wert, Wann uns für Friede kümmt das Schwert.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Christentum. -- 1654

Christentum besteht im Tun; drum so bitt ich um Verlauben,
Dass beim Glauben, der nichts tut, ich nicht darf dem Sagen glauben.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Der Glaube. -- 1654

Mancher will in Glaubenssachen reiner sich als andre schließen;
Gut! ob's wahr, da lasse reden seinen Wandel und Gewissen.
Denn aus Wandel und Gewissen
Kann man erst den Glauben schließen.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Geistlicher und weltlicher Glaube. -- 1654

Man merkt, wie gegen Gott der Glaube sei bestellt
Aus dem, wie Glaub und Treu man seinem Nächsten hält.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Der Köhlerglaube. -- 1654

Was die Kirche Glauben heißt, soll man glauben ohne Wanken;
Also darf man weder Geist, weder Sinnen noch Gedanken.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Die sichtbare Kirche. -- 1654

Wo viel hoh Augen sind, wo viel von Pracht und Scheine,
Da ist ja, meint die Welt, die sichtbare Gemeine.


Friedrich von Logau (1604 - 1655):  Judaische Opfer. -- 1654

Sollten Christen Farren, Widder, Tauben opfern für die Sünden,
Wie bei Juden, würden Christen derer kaum genugsam finden.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Glauben und Werke. -- 1654

Hast du einen Engelsglauben, treibst du aber Teufelswerke,
Glaub ich gar nicht, dass dein Glauben, die du vorgibst, hat die Stärke.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Bekenntnis der Sünde. -- 1654

Dass mancher oft beicht, geschieht es Andachts wegen?
Zu geben Neuem Raum, ist Altes abzulegen.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Das fromme Alter. -- 1654

Wann die Wohllust uns verllässt, kümmt uns dann die Andacht an;
Himmel hat den Alten erst, Welt hat vor den jungen Mann.


1686


Abraham a Santa Clara (1644 - 1709): Des Antonius von Padua Fischpredigt. -- In: Judas, der Erzschelm, Bd. 1. -- 1686

Antonius zur Predig
Die Kirche findt ledig,
Er geht zu den Flüssen,
Und predigt den Fischen;
Sie schlagn mit den Schwänzen,
Im Sonnenschein glänzen.

Die Karpfen mit Rogen
Sind all hieher zogen,
Haben d' Mäuler aufrissen,
Sich Zuhörens beflissen:
Kein Predig niemalen
Den Karpfen so gfallen.

Spitzgoschete Hechte,
Die immerzu fechten,
Sind eilend herschwommen
Zu hören den Frommen:
Kein Predig niemalen
Den Hechten so gfallen.

Auch jene Phantasten
So immer beim Fasten,
Die Stockfisch ich meine
Zur Predig erscheinen.
Kein Predig niemalen
Den Stockfisch so gfallen.

Gut Aalen und Hausen
Die Vornehme schmausen,
Die selber sich bequemen,
Die Predig vernehmen:
Kein Predig niemalen
Den Aalen so gfallen.

Auch Krebsen, Schildkroten,
Sonst langsame Boten,
Steigen eilend vom Grund,
Zu hören diesen Mund:
Kein Predig niemalen
Den Krebsen so gfallen.

Fisch große, Fisch kleine,
Vornehm' und gemeine
Erheben die Köpfe
Wie verständge Geschöpfe:
Auf Gottes Begehren
Antonium anhören.

Die Predigt geendet,
Ein jedes sich wendet,
Die Hechte bleiben Diebe,
Die Aale viel lieben.
Die Predig hat gfallen,
Sie bleiben wie alle.

Die Krebs gehn zurücke,
Die Stockfisch bleiben dicke,
Die Karpfen viel fressen,
Die Predig vergessen.
Die Predig hat gfallen,
Sie bleiben wie alle.


1722


Voltaire (1694 - 1778): LE POUR ET LE CONTRE = Das Für und das Wider. -- 1722

Für Madame de Rupelmonde1

Tu veux donc, belle Uranie
Qu'érigé par ton ordre en Lucrèce nouveau,
Devant toi, d'une main hardie,
Aux superstitions j'arrache le bandeau
Que j'expose à tes yeux le dangereux tableau
Des mensonges sacrés dont la terre est remplie,
Et que ma philosophie
T'apprenne à mépriser les horreurs du tombeau
Et les terreurs de l'autre vie.
Ne crois point qu'enivré des erreurs de mes sens,
De ma religion blasphémateur profane,
Je veuille avec dépit dans mes égarements
Détruire en libertin la loi qui les condamne.
Viens, pénètre avec moi, d'un pas respectueux,
Les profondeurs du sanctuaire
Du Dieu qu'on nous annonce, et qu'on cache à nos yeux.
Je veux aimer ce Dieu, je cherche en lui mon père:
On me montre un tyran que nous devons haïr.
Il créa des humains à lui-même semblables,
Afin de les mieux avilir;
Il nous donna des coeurs coupables,
Pour avoir droit de nous punir;
Il nous fit aimer le plaisir,
Pour nous mieux tourmenter par des maux effroyables,
Qu'un miracle éternel empêche de finir.
Il venait de créer un homme à son image:
On l'en voit soudain repentir,
Comme si l'ouvrier n'avait pas dû sentir
Les défauts de son propre ouvrage.
Aveugle en ses bienfaits, aveugle en son courroux,
A peine il nous fit naître, il va nous perdre tous.
Il ordonne à la mer de submerger le monde,
Ce monde qu'en six jours il forma du néant.
Peut-être qu'on verra sa sagesse profonde
Faire un autre univers plus pur, plus innocent:
Non il tire de la poussière
Une race d'affreux brigands,
D'esclaves sans honneur, et de cruels tyrans,
Plus méchante que la première.
Que fera-t-il enfin, quels foudres dévorants
Vont sur ces malheureux lancer ses mains sévères?
Va-t-il dans le chaos plonger les éléments?
Écoutez; ô prodige! ô tendresse! ô mystères!
Il venait de noyer les pères,
Il va mourir pour les enfants.

Il est un peuple obscur, imbécile, volage,
Amateur insensé des superstitions,
Vaincu par ses voisins, rampant dans l'esclavage,
Et l'éternel mépris des autres nations:
Le fils de Dieu, Dieu même, oubliant sa puissance,
Se fait concitoyen de ce peuple odieux;
Dans les flancs d'une Juive il vient prendre naissance;
Il rampe sous sa mère, il souffre sous ses yeux
Les infirmités de l'enfance.
Longtemps, vil ouvrier, le rabot a la main,
Ses beaux jours sont perdus dans ce lâche exercice;
Il prêche enfin trois ans le peuple iduméen,
Et périt du dernier supplice.
Son sang du moins, le sang d'un Dieu mourant pour nous,
N'était-il pas d'un prix assez noble, assez rare,
Pour suffire à parer les coups
Que l'enfer jaloux nous prépare?
Quoi! Dieu voulut mourir pour le salut de tous,
Et son trépas est inutile!
Quoi! l'on me vantera sa clémence facile,
Quand remontant au ciel il reprend son courroux,
Quand sa main nous replonge aux éternels abîmes,
Et quand, par sa fureur effaçant ses bienfaits,
Ayant versé son sang pour expier nos crimes,
Il nous punit de ceux que nous n'avons point faits!
Ce Dieu poursuit encore, aveugle en sa colère,
Sur ses derniers enfants l'erreur d'un premier père;
Il en demande compte a cent peuples divers
Assis dans la nuit du mensonge;
Il punit au fond des enfers
L'ignorance invincible où lui-même il les plonge,
Lui qui veut éclairer et sauver l'univers!
Amérique, vastes contrées,
Peuples que Dieu fit naître aux portes du soleil,
Vous, nations hyperborées,
Que l'erreur entretient dans un si long sommeil,
Serez-vous pour jamais à sa fureur livrées
Pour n'avoir pas su qu'autrefois,
Dans un autre hémisphère, au fond de la Syrie,
Le fils d'un charpentier, enfanté par Marie, 
Renié par Céphas, expira sur la croix?
Je ne reconnais point a cette indigne image
Le Dieu que je dois adorer:
Je croirais le déshonorer
Par une telle insulte et par un tel hommage.

Entends, Dieu que j'implore, entends du haut des cieux
Une voix plaintive et sincère.
Mon incrédulité ne doit pas te déplaire;
Mon coeur est ouvert à tes yeux:
L'insensé te blasphème, et moi, je te révère;
Je ne suis pas chrétien mais c'est pour t'aimer mieux.

Cependant quel objet se présente a ma vue!
Le voila, c'est le Christ, puissant et glorieux.
Auprès de lui dans une nue
L'étendard de sa mort, la croix brille à mes yeux.
Sous ses pieds triomphants la mort est abattue;
Des portes de l'enfer il sort victorieux:
Son règne est annoncé par la voix des oracles;
Son trône est cimenté par le sang des martyrs;
Tous les pas de ses saints sont autant de miracles;
Tu leur promet des biens plus grands que leurs désirs;
Ses exemples sont saints, sa morale est divine;
Il console en secret les coeurs qu'il illumine;
Dans les plus grands malheurs il leur offre un appui;
Et si sur l'imposture il fonde sa doctrine,
C'est un bonheur encor d'être trompé par lui.

Entre ces deux portraits, incertaine Uranie,
C'est a toi de chercher l'obscure vérité,
A toi, que la nature honora d'un génie
Qui seul égale ta beauté.
Songe que du Très Haut la sagesse éternelle
A gravé de sa main dans le fond de ton coeur
La religion naturelle;
Crois que de ton esprit la naïve candeur
Ne sera point l'objet de sa haine immortelle;  

O schöne Uranie2, dein Wille
Gebietet mir, ein anderer Lukrez3 zu sein,
Der kühn zerreißt die Hülle
Um alten Aberglaubens trügerisches Sein.
Du lässt mich malen ein gefährlich Bild vom Schein
Ehrwürdiger Lügen, die seit je die Erde füllen,
Und meine Weisheit soll dich lehren,
Dass Grabesgreuel dir hinfort verächtlich seien,
Von Jenseitsängsten dich bekehren.
O glaube nicht, dass ich, von meinen Sinnen schon
Betört, gewillt sei, weil in sündig Tun verrannt,
Als ein ruchloser Lästerer meiner Religion
Frech aufzuheben das Gesetz, das es verdammt.
Komm und tritt ehrfürchtigen Schrittes ein mit mir,
Des Gottes Heiligtum erkenne.
Den man dir zwar verheißt und doch verbirgt vor dir.
Ich will ihn lieben, diesen Gott, und Vater nennen:
Einen Tyrannen zeigt man mir, der hassenswert.
Als seinesgleichen schuf die Menschen er, auf dass
Erniedrigung sie mehr versehrt;
Hat sündige Herzen uns beschert,
Damit gerecht der Strafe Maß;
Nachdem die Lust er uns gelehrt,
Quält er nur grausamer uns ohne Unterlass
Mit Leiden, das, o böses Wunder! ewig währt.
Kaum schuf er einen Menschen sich zum Bild auf Erden,
Gereut ihn dies mit einem Mal4,
Als ob die Mängel dessen, was er selbst befahl,
Ihm plötzlich unausstehlich wären.
In seinem Wohltun blind und blind in seinem Zorn,
Ließ er uns kaum entstehen, da sind wir schon verlorn.
Dem Meer gebietet er, mit einem zu verschlingen
Die Welt, aus Nichts geschaffen in sechs Tagen.
Ist's, um in seiner Weisheit neu hervorzubringen
Hin reiner Universum, nicht mit Schuld beladen?
O nein. Denn aus dem Staube zieht
Er eine Räuberbrut fürwahr;
Ehrloser Sklaven, grausamer Tyrannen Schar,
Weit schlimmer denn zuvor, erblüht.
Was wird er tun? wird er verzehrend Feuer senden
Auf jene Elenden aus seinen strengen Händen?
Wirft er ins Chaos alle Elemente gar?
Vernehmt, o Wunder! o Geheimnis! was geschieht:
Ertänkt' er auch die Väter eben,
Den Kindern opfert er sein Leben5.

Ein Volk ist, töricht, unbeständig, ohne Ruhm,
So manchem Aberglauben hold in seinem Wahn,
Besiegt von seinen Nachbarn und ihr Eigentum,
Von allen andern Völkern spottend abgetan:
Vergessend seiner Macht, wird Gottes eigner Sohn,
Gott selbst, Mitbürger dieses schlimmen Volkes werden,
Er kommt und wird ein Mensch in einer Jüdin Schoß,
Er krabbelt ihr zu Füßen, leidet die Beschwerden,
Die aller kleinen Kinder Los.
Niedrige Arbeit hat er jahrelang verricht',
So manchen schönen Tag als Zimmermann verloren;
Drei Jahre predigte sodann er Judas Ohren
Und starb zuletzt am Hochgericht.
Das Blut des Gottes, der sein Leben für uns gab,
War es denn nicht so kostbar, edel, ohnegleichen
Und wehrt das Übel von uns ab,
Und macht die neidische Hölle weichen?
Wie! Gott für unser aller Heil sein Leben gab,
Und nutzlos dennoch ist sein Sterben!
Wie! seine große Huld sei leicht mir zu erwerben,
Und er, zum Himmel fahrend, lässt vom Zorn nicht ab!
In ewigen Abgrund stürzt uns wieder seine Wut,
Sein Grimm löscht aus, was Gutes wir empfingen;
Unsre Vergehn zu sühnen, gab er hin sein Blut
Und straft uns nun für solche, die wir nicht begingen!
In blindem Zorn verfolgt die Enkel dieser Gott,
Weil einst ihr Ahn missachtet hatte sein Gebot.
Er rechnet hundert Völkern, die in Lügennacht
Seit eh ihr Dasein hingebracht,
Mit Höllenstrafen furchtbar an,
Dass sie so dumm sind, wie er selber sie gemacht,
Und strebt gleichwohl das Heil des Universums an!
Amerikas riesige Weiten,
Ihr Völker, welche Gott erschuf in Sonnenlanden,
Und ihr aus nördlicheren Breiten,
Die euch der Irrtum lange hält in Schlafes Banden,
Straft euch sein grimmiger Zorn in alle Ewigkeiten,
Weil ihr nicht kanntet jenen Ort,
Wo man ans Kreuz schlug, tief in Syrien, den gebar
Die reine Jungfrau und des Vater Zimmerer war
Und den zuletzt verleugnete des Kephas'6 Wort?
In diesem schnöden Bilde kann ich nicht erkennen
Gott, den ich soll anbetend preisen:
Ihm solche Ehre zu erweisen
Vermöchte ich nur Schimpf, nicht Huldigung zu nennen.

O Gott im Himmel, höre mein aufrichtiges Flehen,
Vernimm du meiner Stimme Klagen.
Mein Zweifelsinn soll dir nicht missbehagen,
Du kannst doch, was ich fühle, sehen:
Nur Torheit lästert, ich verehre, darf ich sagen;
Ich bin kein Christ, weil ich dich besser will verstehen.

Indessen, welch ein Anblick bietet sich mir dar!
Er ist es, Christus, ruhmvoll, mächtig. Ihm zur Seite
In einer Wolke ich gewahr
Das Banner seines Todes und sein Kreuz. Kr schreitet
Siegreich aus Höllenpforten, triumphiert fürwahr
Über den Tod: der liegt zu seinen Füßen schon.
Von seiner Herrschaft geben die Orakel Kunde,
Das Blut der Märtyrer befestigt seinen Thron,
Auf Schritt und Tritt vollbringen seine Heiligen Wunder,
Mehr, als sie wünschen noch, verheißt der Gottessohn.
Göttlicher Lehre gibt er heiliges Vorbild bei,
Er tröstet jeden noch, der ihn im Herzen trug,
Den Seinen hilft er, wie groß auch ihr Unglück sei.
Und sollte seine Lehre gründen auf Betrug:
Von ihm betrogen sein auch das ist Glücks genug.

In deinen Zweifeln, schöne Uranie. entdecke.
Was denn an Wahrheit in den Konterfeien stecke.
Du, die Natur mit Geist begabte, der allein
Der edlen Schönheit gleicht, die dein.
Bedenke wohl. des Höchsten ewige Weisheit prägte
In deines Herzens Grund dir einen Glauben ein.
Den es schon von Natur aus hegte:
Dein unbefangener Geist, der sich treuherzig regte,
Kann niemals seines ewigen Hasses Opfer sein.

Vor diesem Gott gilt überall und jederzeit
Eines Gerechten Herz als Kostbarkeit.
Bescheidener Bonze und barmherziger Derwisch ist
In Gnaden aufgenommen schon.
Doch wenig gilt vor seinem Thron
Prälat und mitleidloser Jansenist7.
Was liegt am Titel, wenn wir zu dem Höchsten flehen?
Empfängt er Ehre auch, sie kann ihn nicht erhöhen.
Ein Gott bedarf nicht unserer Beflissenheit.
Beleidigt wird er nur durch Ungerechtigkeit.
Nur unsere Tugenden bestehen.
Keins unserer Opfer ihn erfreut.

[Quelle der Übersetzung: Voltaire : ein Lesebuch für unsere Zeit / [hrsg. von Martin Fontius. Aus d. Franz. übers. von Christel Gersch ...]. -- Berlin ; Weimar : Aufbau-Verl., 1989.  -- LVI, 392 S. : Ill. ; 21 cm. -- (Lesebücher für unsere Zeit). -- ISBN 3-351-01429-5. -- S. 3 - 7.]

Erläuterungen:

1 Madame de Rupelmonde: mit ihr machte Voltaire 1722 eine Reise nach Holland

2 Uranie = Urania (griech., die »Himmlische«), Beiname der Aphrodite als Göttin der edlen Liebe.

3 Lukrez

" Lucretius Carus, Titus, röm. Dichter, geb. um 96 v. Chr., gest. 55 durch Selbstmord, behandelte Epikurs Ansichten von Entstehung und Erhaltung der Welt in einem unvollendeten Lehrgedicht: »De rerum natura«, das sechs Bücher umfaßt. Sein Zweck ist, die Menschen durch Betrachtung der Natur von Aberglauben und eingebildeter Furcht zu befreien, und so spröde und unpoetisch der Stoff an sich ist, hat ihn der Dichter doch mit großer Kunst zu behandeln verstanden. Die Sprache ist scharf und kühn, von eigentümlicher Herbigkeit und altertümlicher Färbung."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Gereut ihn dies mit einem Mal: Genesis 6,5-8: Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe."

5 Den Kindern opfert er sein Leben: Hinweis auf den Opfertod Christi

6 verleugnete des Kephas' Wort: Verleugnung Jesu durch Petrus (Simon Kephas) (Matthäusevangelium 26, 69 - 75)

7 Jansenist

"Jansenismus nennt man die theologische Denkweise, die in dem 1640 veröffentlichten Buche »Augustinus« von Cornelis Jansen (s. d.) vertreten und von dessen Anhängern, den Jansenisten. gegen die Angriffe der Jesuiten verteidigt worden ist. Auf Betrieb der letztern wurde jenes Buch 1642 vom Papst Urban VIII. durch die Bulle In eminenti verdammt, da es Glaubenssätze lehre, die schon zu den 1567 verurteilten Irrtümern des Bajus (s. d.) gehört hätten. Diese Bulle erfuhr aber von seiten der Bischöfe und Universitäten, namentlich der Universität Löwen, erheblichen Widerspruch. Noch anhaltender war der Widerstand in Frankreich; das Kloster Port-Royal-des-Champs unter der jansenistisch gesinnten Äbtissin Angelique Arnauld (geb. 1591, gest. 1661) ward der Hauptsitz des J., den nun berühmte Gelehrte wissenschaftlich ausbildeten. Zu diesen gehörte der Abt von St.-Cyran, Jean du Verger de Hauranne, der in Löwen während seiner Studienzeit in enger Verbindung mit Jansen gestanden hatte; seit 1635 Beichtvater in Port- Royal, wurde er 1638 von Richelieu eingesperrt und starb 1643 einige Monate nach seiner Freilassung. Sein Schüler war Antoine Arnauld (s. d. 2), dessen Buch »De la fréquente communion«, gegen die laxe Theorie der Jesuiten von der Buße gerichtet, Gegenstand neuer Händel wurde. Als Papst Innozenz X. fünf Sätze aus Jansens Buch im Mai 1653 als calvinistische Ketzerei verdammte, machte Arnauld geltend, dass diese Sätze in dem Sinn, in dem sie der Papst verdammt habe, vom Verfasser nicht geschrieben worden seien. Papst Alexander VII. aber erklärte 1656, dass jene Sätze allerdings in dem von Jansen beabsichtigten Sinne verdammt worden seien. Die Genossen von Port-Royal u. a. wendeten ein, dass dies eine reine historische Frage über eine Tatsache (question du fait) sei, worüber die Kirche nicht mit höherer Autorität entscheiden könne als die Wissenschaft; der Kirche stehe nur die Entscheidung der Rechtsfrage (question du droit) zu. Während so der Streit die Machtvollkommenheit des Papstes selbst berührte, kämpften die Schriftsteller von Port-Royal für die Augustinische Lehre mit gleichem Ernst wie zuvor und erhoben insbes. gegen die jesuitische Moral schwere Anklagen, allen voran Blaise Pascal (s. d.), dessen »Provinzialbriefe« (1656 und 1657) die laxe Moral und Kasuistik der Jesuiten mit ebensoviel Witz wie sittlichem Pathos geißelten. Im Interesse des Kirchenfriedens kam 1668 unter des Papstes Clemens IX. Mitwirkung ein Vergleich zustande, wonach der Streit über die question du droit auf sich beruhen solle. Auf Veranlassung Ludwigs XIV. erließ jedoch Clemens XI. die Bulle Vineam domini, die sich wieder ganz auf den Standpunkt Alexanders VII. stellte; da die Nonnen von Port-Royal dieser Bulle ihre Zustimmung versagten, wurde das Kloster auf päpstliche Verordnung hin 1709 aufgehoben und 1710 völlig zerstört. Als neues Streitobjekt kam das Neue Testament des Oratorianers Paschasius Quesnel (s. d.) hinzu, das, 1687 erschienen, mit moralischen Betrachtungen ausgestattet, den J. im Volk verbreiten sollte. Die Jesuiten setzten nicht allein das Verbot des Buches und die Ausstoßung Quesnels aus dem Oratorium durch, sondern erwirkten auch 1713 vom Papst Clemens XI. die Konstitution Unigenitus, worin 101 Sätze des Quesnelschen Neuen Testaments, darunter Aussprüche der Bibel und der Kirchenväter, weil sie jansenistisch gedeutet werden konnten, verdammt wurden. Ein ansehnlicher Teil des Klerus, an seiner Spitze der Erzbischof von Paris, Kardinal Noailles (s. d. 3), verweigerte die Annahme der Konstitution, bis der Papst die nötigen Erläuterungen gegeben haben würde. Der Appellation dieser Antikonstitutionisten an ein allgemeines Konzil (daher Appellanten) setzte der Papst 1718 im Breve Pastoralis officii die Exkommunikation aller derer entgegen, die sich der Bulle nicht unterwerfen würden. Das Parlament wies dieses Breve zunächst zurück; aber der Herzog von Orléans als Regent, von seinem nach dem Kardinalshut strebenden Minister Dubois bestimmt, befahl 1720 die Annahme der Bulle, und das Parlament fügte sich unter Vorbehalt der Rechte der Krone und der Freiheiten der gallikanischen Kirche. In derselben Weise unterzeichnete auch Noailles die Bulle. Die seinem Beispiel Folgenden nannte man Akzeptanten; die Nicht akzeptierenden traf harte Strafe. 1728 unterwarf sich auch Noailles, dem Befehle Benedikts XIII. folgend, bedingungslos, und die Bulle Unigenitus ward 1730 als Reichsgesetz registriert. Schon vor seiner nunmehr erfolgenden gänzlichen Unterdrückung war der J. vielfach in Mystizismus umgeschlagen (s. Konvulsionäre). In gesunder Gestalt dagegen hat er sich fortgepflanzt in den Niederlanden, wohin sich 1679 Arnauld und Nicole geflüchtet hatten, als sogen. Kirche von Utrecht (s. Utrechter Kirche)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


1744


Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803): Der Atheist. -- 1744

Allerliebster Gott der Liebe1,
Die dich lieben, liebst du wieder.
Ach! willst du mich denn nicht lieben?
Doris ist noch immer spröde.
Spanne doch den Bogen strenger,
Nimm den ärgsten deiner Pfeile,
Denn ihr Herz ist hart, wie Marmor.
Mit der Kunst bered'ter Lippen,
Mit der Macht vertrauter Schwüre,
Mit der Staatslist deiner Lehrer,
Mit der Wirkung meiner Waffen,
Werd' ich es nicht leicht erobern;
Denn sie ist zu stark bewaffnet.
Sie versteht die Kunst zu siegen,
Trotz dem besten deiner Krieger.
Wirst du sie denn überwinden?
Liebesgott! nur drei Minuten
Glaub' ich noch an deine Pfeile;
Hast du mir nach drei Minuten
Diese Spröde nicht gebändigt:
O! so will ich in der vierten
Dich und deine Mutter leugnen.

Erläuterung:

1richtet sich an den Liebesgott Amor, aber in der Wortwahl ("Gott der Liebe", "Dich und deine Mutter") auch auf den Gott der Christen beziehbar.

2d.h. Venus


1772


Leopold Friedrich Günther von Goeckingk (1748-1828): Reliquien. -- 1772


Abb.: : William Blake (1757  - 1827): Jakobs Himmelsleiter. -- 1799/80

Der Prior ließ von da uns weiter
Zu einem Schranke gehn,
Und zeigt' uns drin ein Stückchen von der Leiter,
Die Jacob einst im Traum' gesehn.

Erläuterung: bezieht sich auf Genesis 28,10-22

Jakob schaut die Himmelsleiter

10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran 11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. 12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. 13 Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. 15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.

16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! 17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. 18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf 19 und nannte die Stätte Bethel; vorher aber hieß die Stadt Lus.

20 Und Jakob tat ein Gelübde und sprach: Wird Gott mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen 21 und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein. 22 Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Steinmal, soll ein Gotteshaus werden; und von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.

[Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (1984); Bible. German. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (1984). (Gen 28,9-22). Deutsche Bibelgesellschaft.]

1773


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809):  Der Pavian und der Pudel. -- 1773

Ein großer, finstrer Pavian,
Der in ein Kloster sich entfernet,
Wo er dem Pater Guardian
Die Kasuistik abgelernet,
Kam mit dem Pudel Tamerlan
Vom Terminieren einst zurücke
Und traf auf einer großen Brücke
Ein Dutzend wilder Knaben an.
Sie stellten mit behendem Fuße
Sich frech auf das Geländer hin,
Und flugs lag einer in dem Flusse.
Er schreit, er winkt, umsonst, - sie fliehn.
Hier ist ein seltner Streit von Pflichten,
Sprach der gelehrte Pavian,
Wär ich beim Pater Guardian,
Ich wüsste gleich den Fall zu schlichten.
Soll ich des Knaben Retter sein?
Ja freilich, spricht die Menschenliebe ...
Doch wie, wenn ich im Wasser bliebe? ...
Nein, ruft die Selbsterhaltung, Nein!
O, wehe dem, versetzt der Pudel,
Der Schulwitz und Gewissensrat
Zu guten Taten nötig hat,
Und riss den Knaben aus dem Strudel.

Sei stolz, o Freund, auf dein empfindsam Herz;
Ist es gleich oft gefährlich für die Jugend,
So schmelzt es auch bei unsrer Brüder Schmerz;
Empfindsamkeit ist das Genie zur Tugend.


1779


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809):  Der Küster und der Bauer. -- 1779

Ein Küster trug bei vollem Becher
Trotz einem Baccalaureus
Den Weltbau nach Copernicus
Im Krug den Bauern vor. Ein grauer Zecher
Schlug knirschend auf den Tisch: ei, Herr, was schwatzt er da?
Die Erde soll sich um die Sonne drehen?
Les er die Schrift: hieß nicht einst Josua
In ihrem Lauf die Sonne stille stehen?
Das ist's ja, was ich sagen will;
Seit jenem Tage steht sie still,
Versetzte Doktor Kunz; den Pfarrer möcht ich sehen,
Der aus der Bibel je bewies,
Dass er sie wieder laufen hieß.


1782


Joseph Franz Ratschky (1757-1810): Grabschrift eines Kleingläubigen. -- Nach dem Französischen des Chevalier Parny. -- Wien im April 1782.

Hier liegt ein Mann, der, als er lebte,
Stets zwischen Glaubenszweifeln schwebte.
Er ging, den Kopf von Skrupeln voll,
Aus dieser Welt, um von den Scharen
Im Reich der Toten zu erfahren,
Was man im Leben glauben soll.


Joseph Franz Ratschky (1757-1810): Recept wider die Heterodoxie. -- Wien im Heumond 1782

Ihr stolzen Mönchsverächter, bebt,
Und nehmt euch wohl in Acht!
Ich weiß ein heilsames Rezept,
Das Orthodoxen macht.

Ihr wisst, Nabuchodonosor
War auch den Mönchen gram:
Verriegelt waren Tür' und Thor,
Sobald ein Sammler kam.

Legenden schalt er ein Gedicht,
Trug nie ein Skapulier,
Und schätzte Lukaszettel nicht
Viel mehr, als Löschpapier.

Der Mönche hochgeweihte Schar,
Die leider! nun nicht mehr
Bey Hofe Hahn im Korbe war,
Verdross der Unfug sehr.

Was dermaleinst in jener Welt
Dem Frevler widerfährt,
Ward zwar oft ernstlich vorgestellt,
Doch lächelnd angehört.

Man rief umsonst, der Antichrist
Mit Sack und Pack sei da:
Er lachte nur, der Atheist!
Doch hört nun, was geschah.

Die Strafe kam in vollem Lauf:
Der Frevler ward ein Ochs,
Fraß Heu und Gras, und wurde drauf
Echtmönchisch orthodox.


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Die Exegeten. -- 1782

Auf einer britischen Fregatte,
Die Wanderer aus jedem Land
Auf ihrer Fahrt vom Indusstrand
Nach Canton eingenommen hatte,
Geriet ein Sohn des alten Theut
Mit einem Gallier in Streit
Des oft verwünschten Apfels wegen,
Der Pestilenz und teure Zeit,
Symbole, Galgen, Kronen, Degen
Und Schürzen in die Welt gebracht.
Der Deutsche sprach: »Auf unsern Höhen
Bei Borstorf ist sie noch zu sehen,
Die Frucht.« Der weise Franzmann lacht:
»Pardon, wir nennen sie Renette,
Und Frankreich ist ihr Vaterland.«
Die Streiter schrien um die Wette,
Bis man zuletzt für dienlich fand,
Dem Ausspruch zweier Jesuiten
Aus Porto sich zu unterziehn.
»Ei, Freunde!« rief der Loyoliten
Gelehrtes Paar, »wo denkt ihr hin?
Ihr irrt, es war die Apfelsine,
Das schwören wir beim Escobar.«
»Ihr Herrn«, sprach mit bescheidner Miene
Ein Proselyt aus Trankebar,
»Mich dünkt, ich habe wo gelesen,
Es sei die Kokosnuss gewesen.«
Hier biss der alte Schiffskaplan,
Vom Punsch erhitzt, mit wilden Blicken
Sein krummes Pfeifenrohr in Stücken
Und spie es in den Ozean.
»Nein, länger ist's nicht auszustehen,
Wer wird die Bibel so verdrehen?«
Rief er, »es ist ja sonnenklar,
God damn, dass es ein Pudding war.«

Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der Drache. -- 1782


Abb.: Es blieb nicht beim Drachen: die Hl. Dreifaltigkeit, chinesisches Bild

In China lag das Volk vor einem ehrnen Drachen.
Ein Weiser sahs. Vergib, sprach er, den Selbstbetrug,
O Gott! es ist für dich der Ehre schon genug,
Dass sie dich nicht zum Menschen machen.


Friedrich Schiller (1759-1805): Die Pest. -- 1782


Abb.: Gott schickt den Menschen die Pest in Form von Pfeilen. -- 15. Jhdt.

Eine Phantasie

Grässlich preisen Gottes Kraft
Pestilenzen, würgende Seuchen,
Die mit der grausen Brüderschaft
Durchs öde Tal der Grabnacht schleichen.

Bang ergreifts das klopfende Herz,
Gichtrisch zuckt die starre Sehne,
Grässlich lacht der Wahnsinn in das Angstgestöhne,
In heulende Triller ergeußt sich der Schmerz.

Raserei wälzt tobend sich im Bette -
Giftger Nebel wallt um ausgestorbne Städte,
Menschen - hager - hohl und bleich -
Wimmeln in das finstre Reich.

Brütend liegt der Tod auf dumpfen Lüften,
Häuft sich Schätze in gestopften Grüften -
Pestilenz sein Jubelfest.
Leichenschweigen - Kirchhofstille
Wechseln mit dem Lustgebrülle,
Schröcklich preiset Gott die Pest.


1785/1787


Friedrich Schiller: (1759 - 1805): Don Carlos, Infant von Spanien <Auszüge>. -- Teilabdrucke in: Rheinische Thalia (Mannheim), 1. Jg., 1785, und Thalia (Leipzig), 2./3. Jg., 1786/87 [Thalia-Fassung, in der endgültigen Fassung von Schiller gestrichen]

MARQUIS POSA:

Hier kenn' ich meinen Karl nicht mehr. Spricht so
der große Mensch — vielleicht der einz'ge, den
die Geistersuche seiner Zeit verschonte?
Der bei Europas allgemeinem Taumel
noch aufrecht stand — den gift'gen Schierlingstrank
des Pfaffentums, von welchem schon das zweite
Jahrtausend sich im Schwindel dreht, beherzt
vom Munde stieß — der gegen Priesterblitze
und eines Königs schlaue Heiligkeit
und eines Volks andächt'gen Rausch die Rechte
der unterdrückten Menschheit gelten machte,
der zu Madrid für Ketzer bat, am Turme
des Santa Casa für die Duldung stimmte? —
So fliehe dann aus dem Gebiet der Christen,
Gedankenfreiheit! Sünderin Vernunft,
bekehre dich zu frommer Tollheit wieder!
Zerbrich dein Wappen, ewige Natur!
Geh unter, freies Flandern! — Dein Erretter
verlor den Mut, den Wahnwitz zu bekriegen.


DOMINGO

... Das Laster
Erhält der Kirche Millionen. Er
Verachtet es und braucht sie nicht. — Er denkt —
Sein Kopf entbrennt von einer seltsamen
Chimäre — er verehrt den Menschen ... Herzog,
Ob er zu unserem König taugt?


1785


Johann Heinrich Voss (1751 - 1826): Die Bibel. -- 1785

Was ist die Bibel? Ein Buch, wo jeglicher, was ihn gelüstet,
Sucht, und jeglicher auch, was ihn gelüstet, entdeckt.


1786


Joseph Franz Ratschky (1757-1810): Parodie von Horazens neunzehnter Ode im zweiten Buch. -- Augsburg im Heumond 1786.

Ich sah (ihr Enkel, ohne Scherz!)
Heut nachts im Traum den Eifrer Merz
Den Predigtstuhl besteigen,
Sah Küchennymphen, halb zerdrückt
Von Handwerksjungen, unverrückt
Ihr Ohr zur Kanzel neigen.

Potz Blitz! wie weidlich klopfte nicht
Der wackre Kämpfer das Gezücht
Der Ketzer auf die Finger!
Mir gellen, traun! die Ohren noch:
»Ach, schone, rief ich, schone doch,
Du tapfrer Schnupftuchschwinger!

Ich will ja glauben, dass die Hand
Des Papstes zum gelobten Land,
Wo Milch und Honig fließen,
Den Schlüssel hat, um allen Herrn
Sektierern und Schismatikern
Das Pförtchen zu verschließen;

Will glauben, dass du bibelfest
Der Protestanten Drachennest
Schon halb, wie Spreu, zerstäubtest,
Und manchen armen Pastor schon
Durch deiner Stimme Donnerton
Auf immer übertäubtest.

Du bändigst, großer Thaumaturg!
Halb Augsburg, Ulm und Regensburg,
Ja fast das ganze Schwaben,
Und keiner von der Ketzerbrut
Vermag mit aller seiner Wut
Dir je was anzuhaben.

Du hautest Luthern, welcher sich
Den Vatikan so freventlich
Zu stürmen unterstanden,
Und seiner Jünger Riesenschwarm
Mit deinem orthodoxen Arm
Totaliter zu Schanden.

Zwar wähnt das böse Luthertum,
Es stünd' um unsrer Kirche Ruhm
Weit besser, wenn du schwiegest:
Allein wer kann in Deutschland nun
Den Ketzern allen Einhalt tun,
Wenn du sie nicht bekriegest?

Dich würde selbst, wenn du den Mund
Nur öffnetest, der Höllenhund
Nicht wagen anzublecken,
Und, wedelnd mit dem krausen Schwanz,
Die Zehn, o schrecklicher Popanz
Der Ketzer! sanft dir lecken.«


Joseph Franz Ratschky (1757-1810): An den Erzvater der alleinseligmachenden bayrischen Kirche Herrn Pater Frank. -- 1786

München im Heumond 1786.

Malheur à qui s' éclaire!
Voltaire.

O du, den zum Gewissensrat
Sich Theodor erkoren,
O lass, ehrwürdigster Prälat!
In deinen hohen Ohren,
Die zwar durchlauchtigen Vergehn
Sonst bloß allein zu Diensten stehn,
Nun auch gemeine Sünden
Ein Zufluchtsplätzchen finden!

Ich klag', o hochgeweihter Mann!
Vor deinem Richterstuhle
Mich als ein lockres Herrchen an,
Das, von der dreisten Schule
Der neuern Philosophenzunft
Verführt, der menschlichen Vernunft
Oft mehr, als manchem Haupte
Der Mutter Kirche, glaubte.

Ich wähnte, dass die Maurerei
Ein ehrenvoller Orden,
Und (Herr, verzeih mir's) besser sei,
Als alle trägen Horden
Der Derwische, die zum Ruin
Des Landvolks rings durch Bayern ziehn,
Um frommen Christenkindern
Die Häuser auszuplündern.

Ich opferte gewissenlos
Bey Baylen und Voltären
Manch Stündchen auf, und hielt Rousseau's
Verblendung hoch in Ehren.
Ich pflegte salva venia
Herrn Zabuesnigs Opera
Oft frevelhaft beim Schmauchen
Als Fidibus zu brauchen.

Ich glaubte, dass zur Professur
Des Kirchenrechts nur Laien,
Nicht Mönche, die dem Staat ein Schwur
Entwandte, tauglich seien,
Und dass bei einem solchen Amt
Den Kuttenträgern insgesamt
Nicht mehr zu trauen wäre,
Als Katzen bei dem Schmere.

Ich hätte gerne für ein Paar
Von Zaupsers lahmen Fingern
Die ganze wohlbeleibte Schar
Von Bayerns Ordensjüngern
Mit Haar und Bart und Kopf und Fuß
Ja (weil ich's doch gestehen muss)
O Frank, bei meinem Leben!
Dich selber hingegeben.

Ich sah (bis du des Bessern mich
Vom Predigtstuhl belehrtest,
Und, dass dir's Ernst war, feierlich
Am Maurervolk bewährtest)
Die Menschen stets für Brüder an,
Und wähnt', es wäre wohlgetan,
Wenn man die Menschenliebe
So weit, als möglich, triebe.

Ich weiß, dass dieser Sündenschwall
Mich nach dem Kirchenrechte
Der frommen Bayern Knall und Fall
Nun an den Bratspieß brächte:
Doch, Vater Frank, verzeih! ... Wo nicht,
So sei's denn, wenn ich armer Wicht
Nur keiner Pfaffenherde
Zum Opferbraten werde!

Ich will mich lieber schnurstracks hin
In Satans Küche trollen,
Um dort mich braten oder brühn
Zu lassen; denn es sollen
Die schwarzen Herrn der Unterwelt
Trotz dem, was Kochems Buch enthält,
Nicht halb so gräulich toben,
Als unsere hier oben.


Joseph Franz Ratschky (1757-1810): Der ketzerische Dorfjunge. -- Nach dem Französischen. -- Linz im Heumond 1786.

Der beleibte tonnenschwere
Dorfvikar Spiridion
Fragte bei der Christenlehre
Veiten einst, ob Gottes Sohn
Gleichfalls Gott sei, wie der Vater.
Nein, sprach Veit, der nicht, Herr Pater!
Wie? rief, vor Entsetzen bleich,
Der Vikar, ei! wer, zum Plunder!
Lehrte dich solch Zeug? Kein Wunder
Wär' es, Gott im Himmelreich
Lähmte spornstreichs dir die Zunge.
Sachte, sachte! sprach der Junge,
Macht nur kein so wild Gesicht!
Noch bis jetzt ist er es nicht:
Doch sollt' einst der Vater sterben,
Dann vermut' ich, Herr Kaplan,
Dass es ihm als nächstem Erben
Ganz gewiss nicht fehlen kann.


Joseph Franz Ratschky (1757-1810): Grabschrift des heil. Antons von Padua. -- Padua im Brachmond 1786.

Wen weder Frank, noch Merz, noch Fast bekehren kann,
Den schickt zu diesem Grab. Hier ruht ein Wundermann,
Der selbst ungläubigen Meeraalen und Makrelen
Zu predigen nicht unterließ,
Und viel verstockte Heringsseelen
Dem Teufel aus dem Rachen riss.


Gerhard Anton von Halem (1752 - 1819): Prädestination und freier Wille. -- 1786

Was streiten wir denn für und für?
Ihr Herren Streiter, möchten wir
Zur Einigung uns neigen!
Wohl dem, der sich's zu Herzen nimmt!
Wir sind zur Torheit vorbestimmt
Und frei, um sie zu zeigen.

Erläuterung:

"Prädestination - lateinisch: "Vorherbestimmung" bezeichnet die Auffassung, dass das Schicksal eines Menschen von Gott vorherbestimmt ist. Die Prädestination verneint nicht die Möglichkeit eines freien menschlichen Willens: in der Regel geht die Lehre von der Prädestination davon aus, dass zwar das endgültige Schicksal eines Individuums vorherbestimmt ist, nicht jedoch seine einzelnen Handlungen, die seinem freien Willen unterworfen sind."

[Quelle: http://www.heiligenlexikon.de/index.htm?Glossar/Praedestination.htm. -- Zugriff am 2004-09-28]


1787


Joseph Franz Ratschky (1757-1810): Fastenlied. -- Linz im März 1787.

Dorinde, sieh, die Zeit der Maskeraden
Ist nun entflohn,
Und Komus zieht, mit Geigen schwer beladen,
Betrübt davon.

Reumütig schleicht der frommen Magdalenen
Zerknirschte Schar,
Des Himmels Zorn durch Beten zu versöhnen,
Nun zum Altar.

Manch loses Kind, dem noch vom Wirbeltanze
Die Wangen glühn,
Wallt sittsam itzt mit seinem Rosenkranze
Zur Kirche hin.

Die Priesterzunft ergreift nun statt der Flasche
Den Weihbrunntopf:
Das Laienvolk trägt statt des Puders Asche
Auf seinem Kopf.

Der süße Herr, der stolz die Silberflocken
Des blanken Schnees
Durch sein Gesicht beschämet, hört erschrocken:
Tu pulvis es.

Die Kirch' ertönt von Psalmen, Litaneien
Und Bußgeschrei,
Und sieh! auch du, Dorinde, stimmst dem Schreien
Der Büßer bei.

Mir aber, Kind! mir predigst du vergebens
Von Busse vor:
Gern fleht' auch ich um Besserung des Lebens
Mit dir empor.

Gern wollt' ich mich, hätt' ich nur was zu büssen,
Mit dir kastein:
Doch, züchtige Vestalin! mein Gewissen
Ist leider! rein.

O möchtest du nur eine kleine Sünde
Mir zugestehn!
Dann solltest du mich willig, o Dorinde,
Als Büßer sehn.


1786


Friedrich Schiller (1759-1805): Buchhändler-Anzeige. -- In: Xenien. -- 1786

Nichts ist der Menschheit so wichtig, als ihre Bestimmung zu kennen;
Um zwölf Groschen Kurant wird sie bei mir jetzt verkauft.


1787


Carl Wilhelm Meyer (geb. 1759): Der Heterodox und Orthodox. -- 1787

Der Heterodox: Das glaub' ich nicht, weils der Vernunft zuwider ist.
Der Orthodox: Ei was, Vernunft! Die braucht kein Christ!


um 1788


Gottlieb Konrad Pfeffel <1736 - 1809>:

Am Grab der Gattin sprach zum trauernden Geleite
der Leichenredner viel von Wiedersehn;
beim Heimweg sprach der Mann zum Pastor: "Scherz beiseite,
wird meine Frau denn wirklich auferstehn?"


Gottlieb Konrad Pfeffel <1736 - 1809>: Der Exorcist. -- 1788

Ein Exorzist trieb Teufel aus,
Nicht einer durfte lang verweilen;
Mit Fluchen, Lachen oder Heulen
Verließ er stracks das fremde Haus.

Ein altes Weib wird vorgeführt,
Die sich mit allen Vieren bäumet;
Der Priester droht, die Vettel schäumet,
Und Satanas kapituliert:

Erlaube mir nach altem Brauch
In eine fette Sau zu fahren.
Er sprachs, und fuhr mit Haut und Haaren
Dem Exorzisten in den Bauch.


1790


Gottlieb Konrad Pfeffel <1736 - 1809>: Der freie Mann : ein Volkslied. -- 1790

Wer, wer ist ein freier Mann?
Der, dem nur eig'ner Wille
Und keines Zwingherrn Grille
Gesetze geben kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer, wer ist ein freier Mann?
Der das Gesetz verehret,
Nichts tut, was es verwehret,
Nichts will, als was er kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer ist ein freier Mann?
Wem seinen hellen Glauben
Kein frecher Spötter rauben,
Kein Priester meistern kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer ist ein freier Mann?
Wer auch in einem Heiden
Den Menschen unterscheiden,
Die Tugend schätzen kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer, wer ist ein freier Mann?
Dem nicht Geburt noch Titel,
Nicht Samtrock oder Kittel
Den Bruder bergen kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer ist ein freier Mann?
Wem kein gekrönter Würger
Mehr, als der Name Bürger,
Ihm wert ist, geben kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer, wer ist ein freier Mann?
Der, in sich selbst verschlossen,
Der feilen Gunst der Großen
Und Kleinen trotzen kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer, wer ist ein freier Mann?
Der fest auf seinem Stande,
Auch selbst vom Vaterlande
Den Undank dulden kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer, wer ist ein freier Mann?
Der, muss er Gut und Leben
Zum Raub Tyrannen geben,
Doch nichts verlieren kann;
Der ist ein freier Mann.

Wer, wer ist ein freier Mann?
Der bei des Todes Rufe
Keck auf des Grabes Stufe
Und rückwärts blicken kann;
Der ist ein freier Mann.


1793


Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer (1759 - 1840): Der Thaumaturg. -- 1793

Zu dem Gesandten Gottes kamen,
In frommer Zuversicht, die Blinden und die Lahmen.
Kleingläubiger! Vernimm, was auf sein Wort geschah:
Der Blinde ging, der Lahme sah.

Erläuterung: Thaumaturg = Wundertäter


1794


Johann Gottfried Seume (1763-1810): Gebet1. -- 1794

Gott, Gott, den Mönch und Bonze nennet,
Und weder Mönch noch Bonze kennet,
Den man von Nation zu Nation,
Durch schleichenden Betrug geblendet,
In frömmelnder Verehrung schändet,
Hier bet'' auch ich, des Staubes Sohn.

Des Weisen forschender Gedanke
Bebt ehrfurchtsvoll in seiner Schranke,
Und blickt mit Ahndung in dein Heiligtum,
Und stehet, wenn in ihren Kreisen
Dich Myriaden Welten preisen,
Anbetend still zu deinem Ruhm.

Du säest Welten aus wie Saaten,
Und das Geheimnis deiner Taten
Ist blendend Licht und Harmonie und Sturm;
Und in der Kette deiner Wunder
Ist eine Sonne nur ein Zunder,
Und eine Erde nur ein Wurm.

Und ich, was mag ich Pünktchen wollen?
Die Sphären deiner Ordnung rollen
Nach deinem Maß in ihren Kreisen hin;
Ob unter Jubel oder Wimmern,
Auf Rosenwegen oder Trümmern
Ich glücklich oder elend bin.

Du hast gerecht zu meinem Leben
Mein Teil mir von Vernunft gegeben;
Genug zum Segen und genug zum Fluch:
Ich bin, wenn ich, was ich verschulde,
Nicht ruhig ohne Murren dulde,
Mit dir und mir in Widerspruch.

Das Urverhängnis aller Dinge
Liegt weislich in dem großen Ringe
Durch lange Folgen an Notwendigkeit;
Und nichts wird, wenn auch schwache Seelen
Mit Gram sich bis zur Folter quälen,
Im Schicksal anders angereiht.

Wer kann, o Wesen aller Wesen
Des Schicksals große Rolle lesen,
Auf welche du der Himmel Ordnung schreibst?
Wer hat mit dir im Rath gesessen,
Das ewige Gesetz zu messen,
Nach welchem du die Sphären treibst?

Man legt dir, Weisester, wenn Thoren
Durch Unverstand ihr Glück verloren,
In lauten Klagen den Verlust zur Last;
Und niemand misst genug die Mittel,
Die du im Purpur und im Kittel
Den Sterblichen beschieden hast.

Nur wenn des Lebens Riesenplagen
Der Freude letzten Keim zernagen,
Erliegt dem heißen menschlichen Gefühl
Die schwankende Vernunft und fluchet,
Wenn sie umsonst nach Rettung suchet,
Frech sich und dir in dem Gewühl.

Wenn übertünchte Bösewichter
Das Recht durch den erkauften Richter
Der Unschuld rauben, und in hohem Spott
Das Mark der Wimmernden verschwenden,
Verzweifelt in des Henkers Händen
Die Tugend selbst an ihrem Gott.

Wenn heuchlerische schwarze Seelen
In ihrem Kleid ihr Gift verhehlen,
Und Völker an dem Gängelbande drehn,
Und desto blutiger zu zehren,
Mit Finsternis die Dummheit nähren,
Wagts der Gequälte dich zu schmähn.

Die Zwietracht schwingt mit Schlangenarmen
Die Todesfackel ohn' Erbarmen,
Und würgt mit Wut in einem Augenblick,
Der göttlichen Vernunft zur Schande,
Die ganze Hoffnung ganzer Lande
Und mancher Jahre schönes Glück.

Der Ocean durchbricht die Dämme
Und greift im Sturme ganze Stämme
Von Glücklichen mit ungeheurer Flut;
Die Erde wirft mit giftgem Hauche
Verderben aus dem Naphtabauche,
Und frisst Provinzen in der Glut.

Wenn rund, wohin das Auge fliehet,
Wo nur der Strahl der Sonne glühet,
Die Menschheit unter ihren Geißeln weint,
Wenn in unendlichen Gestalten
Harpyien ihre Mahlzeit halten,
So knirscht vor Grimm der Menschenfreund.

Wenn in dem stürmischen Gewühle
Sich qualvoll kreuzender Gefühle
Die schwache Lampe der Vernunft erlischt;
Wenn hinter ihm Verwüstung gähnet,
Und vor ihm, furchtbar ausgedehnet,
Sich Finsternis mit Schrecken mischt;

Wenn er umsonst nach Lichte spähet,
Und zweifelnd an dem Abgrund stehet,
Wagt er die große fromme Freveltat,
Voll hoher Glut in seinen Adern,
Mit dir, Gott, seinem Gott zu hadern,
Und lästert dich und deinen Rath.

Gott, in den Glanz des Lichts gehüllet,
Gott, dessen Hauch das Weltall füllet,
An dessen Kleid die Sonnen funkelnd stehn;
Auf dessen Wink die Welten fallen,
Und aus den Trümmern neue wallen,
Die jubelnd sich in Sphären drehn:

Gott, Vater, Schöpfer, Ordner, Walter,
Des Cherubs und des Wurms Erhalter,
Lass nichts mir, wenn die Bosheit teuflisch glotzt,
Lass nichts mir meinen Kinderglauben
An deine Vatergüte rauben,
Der aller Bosheit Giften trotzt.

Ich bin, kann ich in Hypothesen
Gleich nicht das große Rätsel lösen,
Ich bin ein Funke deiner Ewigkeit;
Und mein Gefühl mit Feuerschwingen
Kann auf zu deiner Größe dringen
In seines Wertes Trunkenheit.

Lass mich nicht, wenn mein Busen wütet,
Und Lästerung und Wahnsinn brütet,
Im hohen Wahnsinn deine Weisheit schmähn;
Ich stehe blind am großen Spiele,
Und kann hinab zum fernen Ziele
Nicht mit dem schwachen Auge sehn.

Lass mich nicht, wenn in ihren Rotten
Verführer frech der Unschuld spotten,
Und jeden Tag ein neues Opfer fällt,
Lass mich, wenn sie mit Molochsaugen
Aus ihren Tränen Nahrung saugen,
Nicht richten über deine Welt.

Lass mich nicht, wenn mit Hohngelächter
Des Rechtes rechtliche Verächter
Der Tugend kaum den Götterwert verzeihn,
Lass mich nicht, wenn des Elends Knaben
Umsonst nach Futter schrein, wie Raben,
Durch Lästerung die Zung' entweihn.

Lass mich nicht, wenn Hyänenhorden
Provinzen zur Verwüstung worden,
Und jubelnd über Menschentrümmern gehn,
Lass mich nicht unter Menschenteufeln
An deiner Vaterhuld verzweifeln,
Wenn Höllengeister mich umwehn.

Lass nie mich in der Angst es wagen,
Dich hochvermessen anzuklagen,
Da Dunkel noch das große Jenseits deckt,
Nicht fluchen, wenn das Laster sieget,
Und Tugend, die im Schlummer lieget,
Zu ihrem Untergange weckt.

Wenn jenseits noch zur Qual gerottet,
Der Tugend frech die Bosheit spottet,
Die hier das Blut der Unschuld gierig sog;
So ist es, Herr, dein Himmelsfunken,
Der, waren wir hier wonnetrunken,
Uns göttliche Verwandtschaft log.

Wenn du uns hier in unserm Staube,
Trotz der Verheißung, die ich glaube,
Zum toten Stoff der fremden Wesen legst,
So sinkt die Hälfte meiner Brüder
In namenloses Elend nieder,
Womit du zwecklos sie zerschlägst.

Wenn Angst und Zweifel in mir stürmet,
Und Nacht auf Nacht um mich türmet,
Und alle Sinne sich im Schwindel drehn,
So will ich meine Hände falten,
Und mich an dich im Sinken halten;
Und sinkend werd' ich nicht vergehn.

Ich will, wie an dem Helm im Schiffe,
Am alles tröstenden Begriffe
Von dir und deiner weisen Güte stehn,
Und wenn des Weltbaus Angel sinken,
Der Hoffnung vollen Becher trinken,
Und ruhig in die Trümmer sehn.

Es sollen mich nicht Widersprüche,
Nicht infulierter Männer Flüche,
Nicht Edda, Vedam, und nicht Alkoran,
Nicht Bibel und nicht irre Weisen
Von meiner Felsenwarte reißen,
Auf der ich sicher harren kann.

Aus deiner Hand gehn Orionen,
Du hauchst der Geister Millionen
Mit Götterkräften hin in ihre Bahn,
Und zündest, wenn die Geister zagen,
Aus Mitternacht zu Sonnentagen
Gewiss die Fackel wieder an.

Aus Tod und Grab bricht meinen Blicken
Dann unter himmlischem Entzücken
Gewiss der Ordnung Morgenlicht zuletzt:
Dann tauch' ich mich in jene Kreise
Der Welten, wenn zur Weltenreise
Aurore mir die Füße netzt.

Anmerkung des Verfassers:

"1 Dieses Gebet wurde geschrieben an dem Morgen, wo Suworow [Alexander Wassiljewitsch Suworow, 1729 -1800, russischer Generalissimus] die Prager Linien vor Warschau [bei der Niederschlagung des polnischen Aufstands von 1794]  nahm, und wo in einer Zeit von zwei Stunden fast achtzehn tausend Menschen im Sturm umkamen. Ich war damals in Warschau Gefangener als russischer Offizier, und fast alles geschah unter unsern Augen, da wir nur durch den Fluss getrennt waren. Die Katastrophe drohete uns und der Stadt den Untergang, und nur die Weichsel war unsre Rettung. Ismail und Praga sind des schrecklichen Suworow schrecklichste Tage; ich habe mich an einem andern Orte darüber erklärt. Der Gedanke, dass jetzt ein Reich in Trümmer fiel, war mir nicht sehr gegenwärtig in dem physischen und moralischen Sturme, der um mich und in mir war. Die nächste Veranlassung zu diesem Stücke war die entsetzliche Seelenstimmung eines verwundeten polnischen Offiziers, der auf seiner Flucht von Praga durch Warschau, Gott weiß wohin, uns noch besuchte. »Die Ihrigen haben wieder gesiegt, knirschte der unglückliche Mann mit den Zähnen und hob den zerschossenen Arm halb in die Höhe; wenn mir künftig noch jemand etwas von Gott und Tugend und Vorsehung sagt, will ich ihm die Antwort ins Gesicht speien.« So stürzte er aus dem Zimmer, und ich sahe ihn nicht wieder."


1795



Abb.: Amen. -- In: Heiligen-Almanach. -- Um 1795

[Quelle: Fuchs, Eduard <1870 - 1940>:  Die Karikatur der europäischen Völker. -- München : lange. -- Teil 1: Vom Altertum bis zum Jahre 1848. -- 4., vermehrte Aufl. -- 1921. -- 480 S. : Ill. -- S. 233]


Gottlieb Konrad Pfeffel <1736 - 1809>: Die Hölle. -- 1795

Glaubt Brüder, glaubt, gewiss man frieret in der Hölle
Weit ärger noch als hier. So rief der Mönch Lothar
An einem kalten Tag von der geweihten Stelle.
Ein Freund des Predigers, der in der Kirche war,
Sprach beim Beschluss zu ihm. Herr Pater, wollt ihr schwärmen?
Ist denn die Hölle kalt? - Ei! fiel der Mönch ihm ein,
Hätt' ich sie heiß gemalt, so wäre Groß und Klein
Davon gerannt, um sich darin zu wärmen.


1796


Friedrich Schiller (1759-1805): Der Strengling und der Frömmling. -- 1796

Jener fordert durchaus, dass dir das Gute missfalle,
Dieser will gar, dass du liebst, was dir von Herzen missfällt.
Muss ich wählen, so seis in Gottes Namen die Tugend,
Denn ich kann einmal nicht lieben, was abgeschmackt ist.


Friedrich Schiller (1759-1805): Theophagen. -- 1796


Abb.: Theophagie. -- 1929

Diesen ist alles Genuss. Sie essen Ideen und bringen
In das Himmelreich selbst Messer und Gabel hinauf.

Erläuterung: Theophagen = Gottesfresser. Das Abendmahl im katholischen, orthodoxen und lutherischen Verständnis ist eine Form von Theophagie.


Friedrich Schiller (1759-1805) oder: Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). -- Der Teleolog. -- In: Xenien. -- 1796

Welche Verehrung verdient der Weltenschöpfer, der gnädig,
Als er den Korkbaum schuf, gleich auch die Stöpsel erfand!


Friedrich Schiller (1759-1805) oder: Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). -- Der erhabene Stoff. -- In: Xenien. -- 1796

Deine Muse besingt, wie Gott sich der Menschen erbarmte,
Aber ist das Poesie, dass er erbärmlich sie fand?


Friedrich Schiller (1759-1805) oder: Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). -- Der Kunstgriff. -- In: Xenien. -- 1796

Wollt ihr zugleich den Kindern der Welt und den Frommen gefallen?
Malet die Wollust - nur malet den Teufel dazu.


1798


Gottlieb Konrad Pfeffel <1736 - 1809>:  Die Kunst zu sterben. -- 1798
Lernt sterben, sprach im Hospital
Ein Mönch zu einem kranken Greise.
Was lernen? rief der graue Weise.
Man kann es gleich beim erstenmal.

1799


Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) :Epikurisch Glaubensbekenntnis Heinz Widerporstens. -- 1799

Kann es fürwahr nicht länger ertragen,
Muss wieder einmal um mich schlagen,
Wieder mich rühren mit allen Sinnen,
So mir dachten zu zerrinnen
Von den hohen überird'schen Lehren
Dazu sie mich wollten mit Gewalt bekehren,
Wieder werden wie unsereiner,
Der hat Mark, Blut, Fleisch und Gebeiner.
Weiß nicht, wie sie's können treiben,
Von Religion reden und schreiben;
Mag über solchem Zeug nicht brüten,
Will denn unter sie hineinwüten
Und mir nicht von den hohen Geistern
Lassen Verstand und Sinn verkleistern,
Sondern behaupte zu dieser Frist,
Dass nur das wirklich und wahrhaft ist,
Was man kann mit den Händen betasten,
Was zu begreifen nicht not tut fasten,
Noch sonst ander Kasteiung
Oder gewaltsame Leibesbefreiung.

Zwar, als sie sprachen davon so trutzig,
Wurd ich eine Weile stutzig,
Las, als ob ich was verstehen könnt,
Darum so Reden als Fragment.
Wollt mich wirklich drein ergeben,
Lassen von gottlos Werk und Leben,
Hoffte, dem Bösen gar zum Spotte,
Selber zu machen mich zum Gotte,
Und war schon über Kopf und Hals
Vertieft im Anschaun des Weltenalls,
Als mich tät der Witz gemahnen,
Dass ich wär auf der falschen Bahnen:
Sollte kehren ins alt Gleis
Und mir nichts machen lassen weis.
Welches zu tun ich war nicht faul:
War doch nicht gleich wieder der alte Saul,
Musste, um zu vertreiben die Grillen,
Darvon mir tät der Kopf noch trillen,
Den Leib auf alle Weis beraten,
Mir holen lassen so Wein als Braten.
Solches tät mir trefflich frommen:
War ganz in meine Natur gekommen,
Konnt wieder mit Frauen mich ergehn,
Aus beiden Augen helle sehn;
Darob ich mich, gar sehr ergötzt,
Alsbald zum Schreiben niedersetzt.
Sprach so in meinen innern Gedanken:
Tu nicht von deinem Glauben wanken,
Der dir geholfen durch die Welt
Und Leib und Seel zusammenhält;
Können dirs doch nicht demonstrieren
Und auf Begriffe reduzieren.
Wie sie sprechen vom innern Licht,
Reden viel und beweisen nicht,
Füllen mit großen Worten die Ohren,
Ist weder gesotten noch gegoren,
Sieht aus wie Phantasie und Dichtung,
Ist aller Poesie Vernichtung.
Könnens nicht anders von sich geben noch sagen,
Als wie sie's in sich fühlen und tragen.
Darum so will auch ich bekennen,
Wie ich in mir es fühle brennen,
Wie mir's in allen Adern schwillt,
Mein Wort so viel wie anderes gilt,
Der ich in bös und guten Stunden
Mich habe gar trefflich befunden,
Seit ich gekommen bin ins klare,
Die Materie sei das einzig Wahre,
Unser aller Schutz und Rater,
Aller Dinge rechter Vater,
Alles Denkens Element,
Alles Wissens Anfang und End.
Halte nichts vom Unsichtbaren,
Halt mich allein am Offenbaren,
Was ich kann riechen, schmecken und fühlen,
Mit allen Sinnen drinnen wühlen.
Mein einzig Religion ist die,
Dass ich liebe ein schönes Knie,
Volle Brust und schlanke Hüften,
Dazu Blumen mit süßen Düften,
Aller Lust volle Nährung,
Aller Liebe süße Gewährung.
Drum, sollts eine Religion noch geben
(Ob ich gleich kann ohne solche leben)
Könnte mir von den andern allen
Nur die katholische gefallen,
Wie sie war in den alten Zeiten,
Da es gab nicht Zanken noch Streiten,
Waren alle ein Mus und Kuchen,
Tätens nicht in der Ferne suchen,
Täten nicht nach dem Himmel gaffen,
Hatten von Gott 'n lebend'gen Affen,
Hielten die Erde fürs Zentrum der Welt,
Zum Zentrum der Erde Rom bestellt,
Darin der Statthalter residiert
Und der Weltteile Zepter führt,
Und lebten die Laien und die Pfaffen
Zusammen wie im Land der Schlaraffen.
Dazu sie im hohen Himmelshaus
Selber lebten in Saus und Braus,
War ein täglich Hochzeithalten
Zwischen der Jungfrau und dem Alten;
Dazu das Weib im Haus regiert
Und wie hier unten die Herrschaft führt.
Hätte über das alles gelacht,
Doch mir es wohl zunutz gemacht.
Allein, das Blatt hat sich gewandt;
Ist eine Schmach, ist eine Schand
Wie man jetzt und allerorten
Ist so gar vernünftig worden,
Muss mit Sittlichkeit stolzieren,
Schönen Sprüchen paradieren,
Dass allewege selbst die Jugend
Wird geschoren mit der Tugend,
Und auch ein christkathol'scher Christ
Ebenso wie ein andrer ist.
Drum hab' ich aller Religion entsagt,
Keine mir jetzt mehr behagt,
Geh weder zur Kirche noch Predigt,
Bin alles Glaubens rein erledigt,
Außer an die, die mich regiert,
Mich zu Sinn und Dichtung führt,
Das Herz mir täglich rührt
Mit ew'ger Handlung,
Beständ'ger Verwandlung,
Ohne Ruh noch Säumnis,
Ein offen Geheimnis,
Ein unsterblich Gedicht,
Das zu allen Sinnen spricht,
So dass ich kann nichts mehr glauben noch denken,
Was sie mir nicht in die Brust tut senken,
Noch als gewiss und recht bewahren,
Was sie mir nicht tut offenbaren,
In deren tief gegrabnen Zügen
Muss, was wahr ist, verborgen liegen;
Das Falsche nimmer in sie mag kommen,
Noch ist es auch von ihr genommen –
Durch Form und Bild sie zu uns spricht
Und verhehlet selbst das Innre nicht,
Dass wir aus den bleibenden Chiffern
Mögen auch das Geheime entziffern
Und hinwiederum nichts mögen begreifen,
Was sie uns nicht gibt mit Händen zu greifen.
Drum, ist eine Religion die rechte,
Müsst sie im Stein und Moosgeflechte,
In Blumen, Metallen und allen Dingen,
So zu Luft und Licht sich dringen,
In allen Höhen und Tiefen
Sich offenbaren in Hieroglyphen.
Wollte gern vor dem Kreuz mich neigen,
Wenn ihr mir einen Berg könnt zeigen,
Darin den Christen zum Exempel
Wär von Natur erbaut ein Tempel,
Dass oben hohe Türme prangten,
Große Glocken an Magneten hangten,
Und an Altären, in den Hallen,
Kruzifixe von schönen Kristallen,
In Messgewändern mit goldenen Fransen,
Silbernen Kelchen und Monstranzen,
Und was sonst ziert die Kirchendiener,
Stünden versteinerte Kapuziner.
Weilen aber bis zu dieser Frist
Ein solcher Berg nicht gewesen ist,
Will ich mich nicht lassen narren,
Sondern in Gottlosigkeit verharren,
Bis einer werd zu mir gesandt,
Geb mir den Glauben in die Hand,
Welches er wohl wird lassen bleiben.
Daher ich es will so forttreiben,
Wenn ich auch lebt bis an den Jüngsten Tag,
Den auch wohl keiner erleben mag.
Glaub, die Welt ist von jeher gewesen,
Wird auch immer in sich verwesen;
Möcht wissen, wenn sie sollt verbrennen
Mit allem Holz und Gesträuch darinnen,
Womit sie wollten die Hölle heizen,
Die Sünder zu kochen und zu beizen.
So bin ich aller Furcht entbunden,
Kann an Leib und Seel gesunden,
Statt mich zu gebärden und zu zieren,
Ins Universum zu verlieren,
In der Geliebten hellen Augen
In tiefes Blau mich untertauchen.

Wüsst auch nicht, wie mir vor der Welt sollt grausen,
Da ich sie kenne von innen und außen.
Ist gar ein träg und zahmes Tier,
Das weder dräuet dir noch mir,
Muss sich unter Gesetze schmiegen,
Ruhig zu meinen Füßen liegen.
Steckt zwar ein Riesengeist darinnen,
Ist aber versteinert mit allen Sinnen,
Kann nicht aus dem engen Panzer heraus
Noch sprengen das eisern Kerkerhaus,
Obgleich er oft die Flügel regt,
Sich gewaltig dehnt und bewegt,
In toten und lebend'gen Dingen
Tut nach Bewusstsein mächtig ringen;
Daher der Dinge Qualität,
Weil er drin quellen und treiben tät,
Die Kraft, wodurch Metalle sprossen,
Bäume im Frühling auf geschossen,
Sucht wohl an allen Ecken und Enden
Sich ans Licht herauszuwenden,
Lässt sich die Mühe nicht verdrießen,
Tut jetzt in die Höhe schießen,
Seine Glieder und Organ verlängern,
Jetzt wieder verkürzen und verengern
Und sucht durch Drehen und durch Winden
Die rechte Form und Gestalt zu finden.
Und kämpfend so mit Füß' und Händ'
Gegen widrig Element,
Lernt er im Kleinen Raum gewinnen,
Darin er zuerst kommt zum Besinnen;
In einen Zwergen eingeschlossen
Von schöner Gestalt und graden Sprossen,
Heißt in der Sprache Menschenkind,
Der Riesengeist sich selber findt.
Vom eisernen Schlaf, vom langen Traum
Erwacht, sich selber erkennet kaum
Über sich gar sehr verwundert ist,
Mit großen Augen sich grüßt und misst;
Möcht alsbald wieder mit allen Sinnen
In die große Natur zerrinnen,
Ist aber einmal losgerissen,
Kann nicht wieder zurückfließen
Und steht zeitlebens eng und klein
In der eignen großen Welt allein.
Fürchtet wohl in bangen Träumen,
Der Riese könnt sich ermannen und bäumen
Und wie der alte Gott Satorn
Seine Kinder verschlingen im Zorn.
Denkt nicht, dass er es selber ist,
Seiner Abkunft ganz vergisst,
Tut sich mit Gespenstern plagen,
Könnt also zu sich selber sagen:
Ich bin der Gott, der sie im Busen hegt,
Der Geist, der sich in allem bewegt.
Vom ersten Ringen dunkler Kräfte
Bis zum Erguss der ersten Lebenssäfte,
Wo Kraft in Kraft und Stoff in Stoff verquillt,
Die erste Blüt, die erste Knospe schwillt
Zum ersten Strahl von neu gebornem Licht,
Das durch die Nacht wie zweite Schöpfung bricht
Und aus den tausend Augen der Welt
Den Himmel so Tag wie Nacht erhellt,
Hinauf zu des Gedankens Jugendkraft,
Wodurch Natur verjüngt sich wieder schafft,
Ist eine Kraft, ein Pulsschlag nur, ein Leben,
Ein Wechselspiel von Hemmen und von Streben.
Deswegen mir nichts ist so sehr verhasst
Als so ein fremder fürnehmer Gast,
Der auf der Welt herumstolziert
Und schlechte Red im Munde führt
Von der Natur und ihrem Wesen,
Dünkt sich besonders auserlesen.
Ist eine eigne Menschenklasse,
Von eignem Sinn und geistlicher Rasse,
Halten all andre für verloren,
haben ewigen Hass geschworen
Der Materie und ihren Werken,
Tun sich dagegen mit Bildern stärken,
Reden von Religion als einer Frauen,
Die man nur dürft durch Schleier schauen,
Um nicht zu empfinden sinnlich Brunst,
Machen darum viel Wörterdunst,
Fühlen sich selbst hoch übermächtig
Glauben sich in allen Gliedern trächtig
Von dem neuen Messias, noch ungeborn,
In ihrem Ratschluss auserkorn,
Die armen Völker groß und klein
Zu führen in einen Schaf stall hinein,
Wo sie aufhören sich zu necken,
Hübsch christlich in eins zusammen blecken,
Und was sie sonst noch verkünden prophetisch.
Sind von Natur zwar unmagnetisch,
Doch wenn sie 'nen echten Geist berühren,
Von seiner Kraft was in sich spüren,
Glauben, sie sei'n es selber geworden,
Können von selber zeigen nach Norden.
Wissen sich doch nur schlecht zu raten,
Reden so mehr von andrer Taten,
Verstehen alles wohl zu rütteln,
Gedanken untereinanderzuschütteln,
Meinen, viel Geist daraus zu entwickeln,
Tut aber nur in der Nasen prickeln,
Polemisch affizieren den Magen
Und allen Appetit verschlagen.
Rat jedem, der es hat gelesen,
Von der Verderbnis zu genesen,
Auf'm Sofa mit einem schönen Kinde
Zu explizieren die Lucinde.

Jenen aber und ihresgleichen
Will ich kundtun und nicht verschweigen,
Dass ich ihre Fromm- und Heiligkeit,
Ihre Übersinn- und Überirdigkeit
Will ärgern mit tüchtig Werk und Leben,
Solange mir noch ist gegeben
Die Anbetung der Materie und des Lichts,
Dazu die Grundkraft deutschen Gedichts,
Solang ich an süßen Augen werd hangen,
Solang ich mich werd fühlen umfangen
Von der Einz'gen liebreichen Armen,
An ihren Lippen mich erwarmen,

Von ihrer Melodie durchklungen,
Von ihrem Leben so durchdrungen,
Dass ich nur nach dem Wahren kann trachten,
Allen Dunst und Schein verachten,

Dass mir nicht können die Gedanken
Wie Gespenster da- und dorthin schwanken,
Haben Nerven, Fleisch, Blut und Mark
Und werden geboren frei, frisch und stark.

Den andern aber entbiet ich Gruß
Und sage noch zum guten Schluss:
Hol der Teufel und Salitter
Alle Russen und Jesuiter.

Solches hab in der Frau Venus Horst
Geschrieben ich, Heinz Widerporst,
Der zweit genannt mit diesem Namen –
Gott geb noch vieln solchen Samen!

Erläuterung: Dieses Gedicht ist vor allem gerichtet gegen:

Anonym [d.i. Schleiermacher, Friedrich <1768-1834>]: Über die Religion. -- Berlin, 1799.

und:

Novalis [= Hardenberg, Georg Philipp Friedrich Freiherr von <1772 - 1801>]: Die Christenheit oder Europa. -- ein Aufsatz, den Novalis im November 1799 im Haus der Brüder Schlegel diesen mit deren Frauen Caroline und Dorothea, Schelling, Tieck und dessen Frau sowie Johann Wilhelm Ritter vorgetragen hat.


1804


Gottlieb Konrad Pfeffel <1736 - 1809>: Die Schöpfer. -- 1804

Nach seinem Bild schuf Gottes Kraft
Den Menschen. Jetzt vergilt
Der Mensch die Arbeit ihm; er schafft
Sich Gott nach seinem Bild.


Ludwig Uhland (1787-1862): Lied eines Armen. -- 1815 (ernst gemeint!)

Ich bin so gar ein armer Mann
Und gehe ganz allein.
Ich möchte wohl nur einmal noch
Recht frohen Mutes sein.

In meiner lieben Eltern Haus
War ich ein frohes Kind,
Der bittre Kummer ist mein Teil,
Seit sie begraben sind.

Der Reichen Gärten seh ich blühn,
Ich seh die goldne Saat:
Mein ist der unfruchtbare Weg,
Den Sorg und Mühe trat.

Doch weil' ich gern mit stillem Weh
In froher Menschen Schwarm
Und wünsche jedem guten Tag,
So herzlich und so warm.

O reicher Gott! du ließest doch
Nicht ganz mich freudenleer:
Ein süßer Trost für alle Welt
Ergießt sich himmelher.

Noch steigt in jedem Dörflein ja
Dein heilig Haus empor;
Die Orgel und der Chorgesang
Ertönet jedem Ohr.

Noch leuchtet Sonne, Mond und Stern
So liebevoll auch mir,
Und wann die Abendglocke hallt,
Da red ich, Herr, mit dir.

Einst öffnet jedem Guten sich
Dein hoher Freudensaal,
Dann komm auch ich im Feierkleid
Und setze mich ans Mahl.


1818


Achim von Arnim (1781 - 1831): Die heiligen Zeichen. -- 1818

Romanze

Wunder! schreit's durch alle Gassen,
Auch die Priester Wunder! schreien:
»Ihr sollt neuen Glauben fassen,
Euch durch diese Zeichen weihen.

Seht die Brust der kranken Nonne
Ist bezeichnet mit dem Kreuze,
Mit des Dornenkranzes Sonne
Glüht die Stirn vom Schmerzensreize.

Und die heilgen Nägelmale
Schimmern rot an Händ' und Füßen,
So will Gott im Erdentale
Lange Leiden ihr versüßen.

Wie der Herr des Walds erst stellet
Zeichen zu den schönsten Eichen,
Eh er sie zur Kirche fället
Die den Himmel soll erreichen;

So ist Gott der Sohn gekommen
Öffnet mit den heilgen Wunden
Kopf und Herz, die noch beklommen
Von den letzten Erdenstunden.

Seht sie sterben, seht sie scheiden
Sie ist unser, bleibt uns eigen,
Solcher Tod ist zu beneiden
Und sie wird einst für uns zeugen.

Auf dem Altar unsrer Kirche
Wird der Leichnam bald verehret,
Dass sie segnend Wunder wirke
In dem Glauben, den sie lehret.«

Tausend stehen an dem Bette,
Einer ruft: »was soll ich denken,
Gnädger Gott, die Heilge rette
Statt dies Zeichen ihr zu schenken.

Dass sie hier mit ihrer Lehre
Aus dem nahen selgen Anschaun
Unsern irdschen Wahn zerstöre
Und des Herzens Eis mag auftaun.

Dieses Wunder mich nicht wärmet,
Dieses Zeichen mir nicht strahlet,
Wo ein Volk im Glauben schwärmet
Ist ein Trugbild leicht gemalet.«

Zornig drohet ihm die Menge,
Doch die Nonne winket Frieden,
Wieder kniet nun das Gedränge,
Ruft nach Segen bei der Müden.

Und mit ihrem letzten Atem
Hebt die Fromme ihre Stimme:
»Segne Gott, der mich beraten,
Der mich führt, wohin ich klimme.

Achtet höher nicht die Zeichen
Als den Geist, der ist das Wesen,
Diese Zeichen müssen weichen
Dem Genesen, dem Verwesen.

In dem ausgezehrten Leibe
Wurden frei der Seele Flügel,
Und im heilgen Zeitvertreibe
Drückte sie mir auf das Siegel.

Wo ich innen Gott gefühlet,
Äußerlich das Kreuz geschlagen,
Wo die Hände mich gekühlet,
Wenn der Geist zu Gott getragen.

Wo die Händ' im Schlaf gefalten,
Und die Füße sich geschlossen,
Musste Krankheit mir gestalten,
Was mich innerlich durchflossen.

Kron und Kreuz auf Stirn und Herzen
Sind der Leiden blutge Kunde,
Linderten der Krankheit Schmerzen,
Floss das Blut aus jeder Wunde.

Wenn mein Herz zu Gott beweget
An dem Tag, wo er gelitten,
Floss das Blut, vom Geist erreget,
Wohlsein lohnte meine Bitten.

Fühlt den Schmerz, den ich gelitten,
Betet stets bei diesen Zeichen,
Und natürlich wird erstritten,
Was dem Wunder wohl mag gleichen.

Eine Wahrheit glaubt den Zeichen,
Dass ich nie vom Herrn gewichen,
Nur der Geist kann ihn erreichen
Nie hat er den Leib bestrichen.

Wenn die Zeichen hier erblassen
Ehret ihn in seinen Worten,
Die er sterbend uns gelassen,
Sie eröffnen Himmelspforten.

Betet nicht zu toten Leichen,
Lebend Wort ist Fleisch geworden,
Wohnet unter uns als Zeichen,
Weihte mich zum keuschen Orden.«

Bei dem Worte sinkt sie nieder,
Und der Eine, der gesprochen,
Ruft: »Ich seh dich Seele wieder,
Wenn die Augen mir gebrochen.

Fromme Lüge nahm mir Glauben
Trieb aus Kirchen mich ins Freie,
Wenn das Blatt fällt reifen Trauben,
Wahrheit führt zurück zum Glauben.

Wahrheit, die dem Volk gebeichtet
Ist der echte Glaubens Zunder,
Wahrheit wärmet und erleuchtet
Nie erlischt ihr ewges Wunder.«


1820


Ludwig Uhland (1787-1862): Bitte. -- 1820

Ich bitt euch, teure Sänger,
Die ihr so geistlich singt,
Führt diesen Ton nicht länger,
So fromm er euch gelingt!
Will einer merken lassen,
Dass er mit Gott es hält,
So muss er keck erfassen
Die arge, böse Welt.
 


1823


Franz Grillparzer (1791-1872): Über die Unterschrift an [Carl Maria von] Webers Porträt »Wie Gott will!«. -- 1823

»Wie Gott will!« so sprach ein Kutscher,
Hing die Zügel, fuhr vom Fleck;
Wie Gott will! Der Wagen taumelt,
Schlägt sich über, liegt im Dreck.

Und der Herr springt aus dem Wagen,
Schwingt sein Rohr und schlägt drauf zu:
»Wie Gott will, so fährt ein jeder,
Hans und Jörge, nicht bloß du;

Aber willst du Kutscher heißen,
Triff dein Ziel nach eigner Richt,
Wollt auch - Er verzeih die Sünde! -
Unser Herrgott selber nicht.«

Geschrieben nach der Uraufführung von C. M. von Webers Oper "Euryanthe" in Wien (25. Oktober 1823)


1826/1827


Heinrich Heine (1797 - 1856): Fragen. -- In: Die Nordsee. -- 1826/27

Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:

»O löst mir das Rätsel des Lebens,
Das qualvoll uralte Rätsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre
Arme, schwitzende Menschenhäupter -
Sagt mir, was bedeutet der Mensch?
Woher ist er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?«

Es murmeln die Wogen ihr ew'ges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.


1827


Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832). -- In: Zahme Xenien IV. -- 1827

Wie einer ist, so ist sein Gott,
Darum ward Gott so oft zu Spott.


Wilhelm Müller (1794 - 1827): Leichte Bekehrung. -- 1827

Der Jude meint, er sei ein Christ,
Wenn er nur Schweinebraten isst.
Er sieht von Christi Wunderlehr'
An vielen Christen auch nicht mehr.


1828


Franz Grillparzer (1791-1872): Regen und Unmut. -- 1828

Böses Wetter, böses Wetter!
Es entladen sich die Götter,
Reinigen ihr Wolkenhaus,
Und die Menschen baden's aus.


1829


Adelbert von Chamisso (1781-1838): Josua. -- 1829

Juchhei! das war ein Schlagen,
Ein Schlachten bei Gibeon;
Der Tag gebrach den Würgern,
Es neigte die Sonne sich schon.

Sprach Josua zur Sonne:
»Du, steh am Himmel fest!«
Sie stand, da gab er gemächlich
Den Überwundnen den Rest.

Das war ein Tag der Frommen,
Wie nie ein andrer getagt,
Wie nie ein andrer wird tagen,
Das wird ausdrücklich gesagt.

Das war ein feines Kunststück,
Wie mancher erachten mag,
Der wohl die Nacht uns wünschte
Zu jenem unendlichen Tag.

Sie beten und schimpfen und schöpfen
In Säcke das Sonnenlicht,
Es tief in das Meer zu versenken -
Den Tag verdunkeln sie nicht.

Lasst dieses nicht euch kümmern,
Die Welt ist kugelrund,
Und rollt von Westen gen Osten
Verständig zu aller Stund.

Und der das Lied euch gesungen,
Hat auch die Welt sich beschaut;
Er hat bei den Wilden gehauset,
Und sich mit ihnen erbaut.1

Erläuterung: bezieht sich auf Josua 10, 11 - 14: "Damals redete Josua mit dem HERRN an dem Tage, da der HERR die Amoriter vor den Israeliten dahingab, und er sprach in Gegenwart Israels: Sonne, steh still zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon! Da stand die Sonne still, und der Mond blieb stehen, bis sich das Volk an seinen Feinden gerächt hatte. Ist dies nicht geschrieben im Buch des Redlichen? So blieb die Sonne stehen mitten am Himmel und beeilte sich nicht unterzugehen fast einen ganzen Tag. Und es war kein Tag diesem gleich, weder vorher noch danach, daß der HERR so auf die Stimme eines Menschen hörte; denn der HERR stritt für Israel."

1 Chamisso hatte 1815 - 1818 nimmt er mit einem russischen Forschungsschiff einer Weltumsegelung teilgenommen.


1830/1850


Theophil Bittkow: An Johannes Ronge1. -- 1830/1850

Die alte Roma regt sich mächtig,
Lebendig wird's um Petri Stuhl;
Der Geist Gregors2 umschwebt ihn nächtig
Wie Irrlicht überm Unkenpfuhl.

Die Jünger von Loyolas Orden3
Durchziehen scharenweis die Welt,
Des Geistes Freiheit hinzumorden,
Hat Ignaz sich zum Ziel gestellt.

Wie gut den Vätern es gelungen,
Zu machen die Vernunft bankrott,
Das zeigen uns die Wanderungen
Nach Tri-er4, aller Welt zum Spott.

Wie sehr auch ganz Europa zischet,
Zu Tri-er prangt der heil'ge Rock;
Der alte Spuk wird aufgefrischet,
Ist auch der Röcke Zahl ein Schock5.

Und Tausende von blöden Scharen
Wallfahrten nach dem Heiligtum;
Und solch unchristliches Gebahren
Nennt Roma wahres Christentum?!

Und weil ein Mann, den Freimut zieret,
Dem Unmut Deutschlands Worte gab;
So ist er exkommunizieret,
Der Papst brach über ihn den Stab.

Jedoch der Bann ist zu ertragen,
Canossas Macht liegt in dem Staub;
Solang noch deutsche Herzen schlagen,
Wird Ronge nicht der Feinde Raub.

Drum mutig vorwärts, wack'rer Streiter,
Auf der betret'nen Bahn des Lichts!
Des Geistes Freiheit bahne weiter,
Zerschell der Feinde hohles Nichts!

Sei ein Johannes in der Wüste,
Wie auch die frommen Väter schmähn!
Und sollt auch später deine Büste
Zum Heldentempel ein nicht gehn.

Auf die Walhalla, Freund, verzichte,
Ein Luther durfte sie nicht sehn;
Doch in den Hallen der Geschichte
Bei Hus6 und Luther sollst du stehn!

Erläuterungen:

1 Johannes Ronge

"Ronge, Johannes, Urheber der deutsch-katholischen Bewegung (s. Deutschkatholiken), geb. 16. Okt. 1813 zu Bischofswalde in Schlesien, gest. 26. Okt. 1887 at Wien, wurde 1840 Kaplan in Grottkau. Wegen eines in den »Sächsischen Vaterlandsblättern« erschienenen Artikels (»Rom und das Breslauer Domkapitel«) im Januar 1843 suspendiert, übernahm er zu Laurahütte in Oberschlesien den Unterricht der Kinder dortiger Beamter. Die Ausstellung des heiligen Rockes zu Trier im Oktober 1844 veranlaßte ihn, einen vom 1. Okt. 1844 datierten »Offenen Brief« an den Bischof Arnoldi zu Trier in den »Sächsischen Vaterlandsblättern« (15. Okt.) zu veröffentlichen, der ungemeines Aufsehen machte. Hierauf wurde R. 4. Dez. förmlich degradiert und exkommuniziert. Seit 1845 Pfarrer der deutsch-katholischen Gemeinde in Breslau, wirkte er fortan in Schriften und auf Rundreisen für den Deutschkatholizismus, nahm an den politischen Kämpfen teil, war Mitglied des Vorparlaments, flüchtete aber, infolge eines offenen Briefes an Friedrich Wilhelm IV. steckbrieflich verfolgt, 1849 nach London. Nach der Amnestie kehrte er 1861 nach Breslau zurück, gründete im Oktober 1863 in Frankfurt a. M. den Religiösen Reformverein und lebte seit 1873 in Darmstadt, wo er die »Neue religiöse Reform« herausgab, später in Wien."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Geist Gregors: Papst Gregor VII., zu dem Kaiser Heinrich IV. im Jahr 1077 nach Canossa einen Bußgang machen musste.

3 Loyolas Orden = der von Ignatius von Loyola gegründete Jesuitenorden

4 Trier: In Trier wurde vom 17. August bis zum 6. Oktober 1844 der "Heilige Rock" ausgestellt. Über eine halbe Million Pilger kamen nach Trier, um ihn zu sehen.

5 Schock = 60 Stück

6 Hus: Johannes (Jan) Hus, böhmischer Reformator, Märtyrer (1372 - 1415), wurde beim Konzil von Konstanz als Ketzer verbrannt

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 10f.]


Johannes Ronge (1813 - 1887): Beichte.


Abb.: Johannes Ronge [Bildquelle: http://www.freireligioese-baden.de/wir_wurzeln.html. -- Zugriff am 2004-10-19]

An Rom
Schamlose Metze! worauf steht dein Hoffen?
Auf deine Buhlen? auf die Schätze, schändlich
Von dir gehäuft? ein Konstantin kommt ferner
Nicht mehr: der Fluch der Welt hat dich getroffen,
So sehr im argen lag die Christenheit wohl nimmer;
Die sie belehren sollten, die sind selber noch viel schlimmer.
Petrarca.

Auf lichten Bergen bin ich gangen,
Die Brust war froh und kühn bewegt;
Da haben sie mich eingefangen
Und mich in Romas Joch gelegt.

Ein schweres Kleid muss ich nun tragen,
Das hemmet mir den freien Schritt;
O Gott, wie bang mein Herz geschlagen,
Wie sehr, wie vieles ich schon litt.

Sie haben mich so sehr gekränket
Durch ihre Ränk und Heuchelei,
Und haben Groll ins Herz gesenket
Durch ihr scheinheiliges Geschrei.

Sie tragen Gott in ihrem Munde,
Doch mitleidlos ist ihre Hand,
Und ob sie geben heilge Kunde,
Ist sündlich doch ihr Herz entbrannt.

Sie haben keine Scham und Würde,
Geknechtet ist ihr feiles Blut;
Sie tragen blind die Sklavenbürde
Und fühlen keinen Gottesmut.

Mein Vaterland sollt ich nicht lieben,
Ich sollt ein blinder Römling sein;
Da wurde wild mein Herz getrieben,
Das kann ich nimmer, nein, o nein!

Und heiß hab ich mit mir gerungen,
Ob recht, was ich als Recht gefühlt;
Und ob zur Wahrheit ich gedrungen,
Ob wahr der Schmerz, der mich durchwühlt.

Doch endlich bin ich aufgesprungen,
Und nieder warf das Joch mein Geist;
Durch Liebe ist der Sieg gelungen,
Die Liebe mir die Wege weist.

Erläuterung: zu Johannes Ronge siehe oben!

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 218f.]


Johannes Ronge (1813 - 1887): Entschluss.

Ich soll wie Simson1 blind euch treiben
Das Mühlenrad der Tyrannei?
Den Aberglauben soll ich schreiben
Ins Menschenherz alltäglich neu?

Am Altar soll ich niederknieen,
Zu heilgen mit dem Bibelspruch
Des frechen Römers2 falsch Bemühen,
Zu beten seinen Sklavenfluch?

Für Rom soll ich mich schlachten lassen,
Für Rom, die Weltbetrügerin?
Mein Volk, das soll ich treten, hassen,
Vergiften seinen Freiheitssinn?

Der schönen Einfalt soll ich spotten,
Die Kindlein hintergehn mit Lug?
Mit Heuchlern mich zusammenrotten?
Apostel sein für Schand und Trug?

Ha, nein! In Trümmer Romas Mauern!
So ruf ich ohne Unterlass,
Und müsste ich auch einstens trauern,
Verfolgt von meiner Brüder Hass!

Erläuterungen:

1 Wie Simson blind: Simson, einer der Richter Israels, dem - nachdem ihm Delia die Locken, die Sitz seiner Kraft waren, abgeschnitten hatte - die Philister die Augen ausstachen (Richter 16, 21)

2 Römer: der Papst

Erläuterung: zu Johannes Ronge siehe oben!

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 218f.]


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): In Sachen des Teufels.

Ein Zweifler:

Melodie: Crambamboli, das ist der Titel

Für Melodie "Crambamboli ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/crambamb.html.. -- Zugriff am 2004-10-15]

Herr Pastor, könnt euch drauf verlassen
Mit eurem Teufel ists vorbei:
Es wirket auf die rohen Massen
Am besten noch die Polizei.

|:Was soll der Teufel, Gott erbarm!
Mehr wirkt ein einziger Gendarm
Als tausend Satanas und Beelzebubs.:|

Der Pastor:

Melodie: Lasst die Politiker nur sprechen, oder Im Kreise froher, kluger Zecher [= Aus Feuer ist der Geist geschaffen].

Für Melodie "Aus Feuer ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/ausfeuer.html. -- Zugriff am 2004-10-15]

Den Teufel können wir nicht missen,
Sonst geht es uns, bei Gott! nicht gut;
Damit erschreckt man die Gewissen
Der frechen, zügellosen Brut:
's gibt keine gute Polizei,
Wenn nicht der Teufel ist dabei.

Die Gemeinde:

Melodie: Ein freies Leben führen wir [= Gaudeamus igitur].

Für Melodie "Ein freies ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/einfreie.html.. -- Zugriff am 2004-10-15]

Herr Pastor, ja wir sehn es ein,
Das ist ein Trost uns Armen:
Und stirbt der letzte Polizist,
So haben wir zu jeder Frist
Noch himmlische Gendarmen.

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 117.]


Wilhelm Jordan (1819 - 1904): Der Schiffer und der Gott <Auszug>:

Vorbei ist die Zeit, in der es hieß:
"Er gibt es den Seinen im Schlafe."1
Wer den lieben Gott nur walten ließ2,
Er bliebe wohl ewig ein Sklave.

Sei Kompass dir selbst auf dem Lebenspfad,
Lass fahren das Himmelsvertrauen:
Auf deinen und nicht auf Gottes Rat
Musst du das Glück dir bauen.

Es braust um die Welt ein verjüngender Sturm,
Und vieles, was steht, wird fallen,
Und der Geist, noch ein getretener Wurm,
Mit siegendem Banner wallen.

O Vaterland, wie du ringst mit der Flut,
Bald verzweifelnd, bald hoffnungserhoben!
Du harrst, dass der Himmel Wunder tut,
Doch der Segen kommt nimmer von oben.

Wirf Götter und Götzen über Bord,
Dann frisch ans Steuer getreten;
Errungen nur wird der Freiheitsport,
Nicht erbetet und nicht erbeten.

1 Psalm 127,2: "Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.

2 "Wer nur den lieben Gott lässt walten" von Georg Neumark, 1641:


Abb.: Noten

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 127f.]


Heinrich Hutten: Fiasko

Was nützt es, dass ihr mit der Hölle
Uns droht, wir glauben nicht mehr dran.
Was nützts, dass ihr uns auf der Stelle
Verflucht, wer schert sich um den Bann.

Was nützt das Exkommunizieren,
Was Beicht und Buß in Kirch und Haus,
Das kann uns nicht mehr imponieren,
Darüber sind wir längst hinaus.


Das Amtsgesicht, das hehre: Christoph Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien [Bildquelle: http://stmartin.klosterneuburg.at/pfarrveranstaltungen/schoenborn.htm. -- Zugriff am 2004-10-18]

Was nützt das Amtsgesicht, das hehre,
Und all die Masken, schmal und breit,
Das alles passt samt eurer Lehre
Durchaus nicht mehr für unsre Zeit.

Die Welt schlägt jetzt in freiern Adern
Und ist nicht mehr vom Wahn behext;
Was soll uns alle das Salbadern,
Wir kennen schon einen bessern Text.

Der Geist, der macht uns wirklich freier,
Führt uns in lautere Wahrheit ein;
Bei euch ist noch der Himmel so teuer,
Ihr fälscht noch immer euren Wein.

Ihr habt noch immer euch verkrochen
Vor freier, frischer Gottesluft.
Geht! eure Macht, sie ist gebrochen
Und euer Pulver ist verpufft.

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 126.]


1830


Franz Grillparzer (1791-1872): Staatsrat Stifft. -- 1830

Du Geistesleugner, leugnest du die Pest?
Bleib nur dabei! lass dir den Wahn nicht rauben!
Wen erst der Glaube an den Gott verlässt,
Der darf fortan auch keinen Teufel glauben.

Erläuterung: Andreas Josef Freiherr von Stifft (1760-1836), der Leibarzt des Kaisers, bekämpfte die Lehre von der Ansteckbarkeit der Cholera.


Ludwig Feuerbach (1804 - 1872): Kraft des Glaubens. -- 1830

Berge versetzt der Glaube1. Jawohl! die schweren Probleme
Löset der Glaube nicht auf, sondern verschiebet sie nur.

Erläuterung:

1 Matthäusevangelium 17, 20: "Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein."


Ludwig Feuerbach (1804 - 1872): An die christlichen Heilslehrer. -- 1830

Eure Lehre bekommt in der Tat vortrefflich den Kranken.
Aber eben darum auch den Gesunden so schlecht.


Ludwig Feuerbach (1804 - 1872): Charakter des Glaubens. -- 1830


Abb.: Speichellecker des Herrn: Diakone bei der Priesterweihe

Abwärts Tyrann, nach oben ein Knecht; Verleumder des Menschen,
Speichellecker des Herrn — voilà des Glaubens Porträt.


1832


Nikolaus Lenau (1802-1850): Auf einen Professor Philosophiae. -- 1832

Seht ihr den Mann mit stäubender Perücke?
Wie sprudelt ihm die hochgelahrte Kehle!
Seht, an der morschen Syllogismenkrücke
Hinkt Gott in seine Welt; die Menschenseele
Ist ewig, denn sie ist aus einem Stücke!
Und dass der Argumente keines fehle,
Hat er ein weises ergo noch gesprochen:
Der Mensch ist frei, die Fesseln sind gebrochen.


Adolf Glaßbrenner (1810 - 1876): Ein Leib und eine Seele. -- 1832

K. Hör mal Stipper, wie ick höre: bist Du anjetzt verhei-rat't?
St. Ja, ick habe mir die Rike von de Bude in de Poststraße je-nommen.
K. Die? Herjee! Die is ooch nich mehr von jestern.
St. Ne, et is en altet Fell.
K. Hast se schonst gekeilt?
St. Eerscht zweemal.
K. Det jeht an — lebst De sonst jlücklich mit ihr?
St. Ja! Wir dhuen jejenseitig nischt, wat der Andere nich will. (Er trinkt aus der Schnapsflasche) Aberscht wat mir von unsern Predijer bei de Traue is ufjefallen — der meente: Mann un Frau sollte een Leib un eene Seele sind. — Nu bitt ick Dir!
K. Det jeht nich.
St. Ne, siehst De, des meen ich ooch! Wie kann denn det jehen? Wie kann der Mann mit de Frau een Leib un eene Seele sind? Seh'mal, wenn ick zum Exempel mit meine Frau een Leib un eene Seele wäre, so — Du verstehst mir doch?
K. Ja! man zu!
St. Na siehst De! Nu wollt ick Dir man sagen, wenn ick un meine Frau een Mann un . . . . ne; een Leib un eene Seele wäre, un ick nehme ne Prise — siehste Kittelbock, denn müsste sie doch niesen.
K. Ja! un wenn Du zu ville Kümmel drinkst, denn wird sie besoffen. ..
St. Ja! un wenn ick int Wasser falle, denn würde sie nass.
K. Ja! un — un — un wenn sie sich beit Kochen verbrennt, denn müsstet Dir ja weh dhun?
St. Ja! weh müsst et mir dhun. Ja, un wenn sie jestohlen hat, denn muss ick sitzen!
K. Ja! un sie muss aber ooch sitzen.
St. (verwundert). Sie ooch? Ne! Wie so muss sie denn ooch sitzen, wenn ick sitze?
K. Na, det's doch klar! — Sie hat jestohlen; sie muss also ooch sitzen!
St. Ne det hat senich nöthig!
K. Jajrade!
St. Du bist en Schaafskop! Se braucht nich, wenn se nich will!
K. Wat versteht denn so'n Dömel wie Du vont Sitzen! (mit Verachtung) Du hast vielleicht noch jar nich jesessen.
St. (achselzuckend). Nich jesessen? Na hör mal, so ofte wie Du ooch noch!


1835



Abb.: Die fünf Sinne / von Adolf von Menzel (1815-1905). -- 1835


Adelbert von Chamisso (1781-1838): Vom pythagoreischen Lehrsatz. -- 1835

Die Wahrheit, sie besteht in Ewigkeit,
Wenn erst die blöde Welt ihr Licht erkannt;
Der Lehrsatz nach Pythagoras benannt
Gilt heute, wie er galt zu seiner Zeit.

Ein Opferhat Pythagoras geweiht
Den Göttern, die den Lichtstrahl ihm gesandt;
Es taten kund, geschlachtet und verbrannt,
Einhundert Ochsen seine Dankbarkeit.

Die Ochsen seit dem Tage, wenn sie wittern,
Dass eine neue Wahrheit sich enthülle,
Erheben ein unmenschliches Gebrülle;

Pythagoras erfüllte sie mir Entsetzen;
Und machtlos sich dem Licht zu widersetzen
Verschließen sie die Augen und erzittern.


1836


Friedrich Hebbel (1813-1863): Bubensonntag. -- 1836

Wenn ich einst, ein kleiner Bube,
Sonntags früh' im Bette lag,
Und die helle Kirchenglocke
All das Schweigen unterbrach:

O, wie schlüpft' ich dann so hurtig
Aus dem Bett in's Kleid hinein,
Und wie gern ließ ich das Frühstück,
Um zuerst bei Gott zu sein!

Ein Gesangbuch unter'm Arme,
Eh' ich's Lesen noch verstand,
Ging ich fort, gebeugten Hauptes,
Fromm verschränkend Hand in Hand.

Kam mein Hündchen froh gesprungen,
Schalt ich: komm mir nicht zu nah'!
Kaum, dass ich, zur Seite schielend,
Nach der Vogelfalle sah.

Fiel die Kirchentür nun knarrend
Hinter meinem Rücken zu,
Sprach ich furchtsam-zuversichtlich:
Jetzt allein sind Gott und du!

Längst mit ganzem, vollem Herzen
Hing ich ja an meinem Gott,
Doch, dass Niemand ihn erblicke,
Hielt ich stets für eitel Spott.

Und so hofft' ich jeden Morgen,
Endlich einmal ihn zu seh'n;
War's denn Nichts in meinen Jahren,
Stets um Fünfe aufzusteh'n?

Auf dem hohen Turm die Glocke
War schon lange wieder stumm,
Der Altar warf düstre Schatten,
Gräber lagen rings herum.

Drang ein Schall zu mir herüber,
Dacht' ich: jetzt wirst du ihn schau'n!
Aber meine Augen schlossen
Sich zugleich vor Angst und Grau'n.

Und dies Zittern, dies Erbangen,
Und mein kalter Todesschweiß -
Dass der Herr vorbei gewandelt,
Galt mir Alles für Beweis.

Still und träumend dann zu Hause
Schlich ich mich in süßer Qual,
Und mein klopfend Herz gelobte
Sich mehr Mut für's nächste Mal.


1837


Eduard Mörike (1804-1875): Sarkasme  wider  den  Pietism. -- 1837

Wer wissen will, wie baigen, wie pikant
Der Christianism öfters Hand in Hand
Mit feinem Sünden-Reize webt,
Dem biet' ich folgendes Rezept:
(Mir wismet' es ein Pietist,
Der doch zugleich Lyäens1 nicht vergisst.)

Man nimmt ein altes Evangilen-Buch,
Um es in lauem Branntwein einzuweichnen,
Bringt's unter die Kompress', um es dann durch ein Tuch
Bis auf den letzten Tropfen auszulaichnen:
So hast du einen Extrait d'Evangile,
Der mit Bedacht goutiert sein will,
Du hast - ein Tröpfchen unter deinen Wein -
Ein wonne-schmerzlich Reu- und Buß-Tränklein!

Erläuterungen:

1 Lyaeus. (Lyaios), der Löser, Sorgenlöser, ein Beiname des Bacchus, des Gottes des Weins

2 Extrait d'Evangile (französisch): Evangelienextrakt


Eduard Mörike (1804-1875): Meine B Ansicht. -- 1837

Wer aus reinem Wahrheits-Eifer
Zweifel an der Bibel wagt,
Sie mit Spottes Gift und Geifer
Zu beschmitzen sich versagt:
Bleibt, wie Dr. Paulus1 lehrt,
Immerhin höchst achtungswert.
      
Strauß2 hab Ich noch nicht gelesen,
Weil der Preis zu diffizil;
Doch, er sei zu plumb gewesen,
Selbst in Hinsicht auf den Stil.
Steudel3, Bahn-4 und Eschenmaier5
Lieben keine Straußen-Eier.
      
Aber, schröcklich ists zu hören,
Strauß will durch sein Teufels-Werk
Die Unsterblichkeit zerstören,
Auch sogar in Württemberg! a
Dieses zeigt doch mehr und minder
Einen ganz versteckten Sünder!

Strauß und Osiander6
Müssen beide sterb',
Einer wie der ander,
Trotz der Christoterp'7!

Glaubt nur, dass die Hölle drüben
Euch mit gleichem Recht verschluckt,
Denn der eine hats geschrieben,
Und der andre hats gedruckt! 
 
a
Hier ist eine Variante bemerklich. Anfangs stand:
 
      Strauß will als ein Bandeist8
      Die Unsterblichkeit zerstören,
      Die uns doch so wichtig ist -

Allein ich zog jene Lesart vor, weil die Sache dadurch an Schröcklichkeit gewinnt.

Erläuterungen:

1 Dr. Paulus:

"Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob, Haupt des theologischen Rationalismus, geb. 1. Sept. 1761 in Leonberg, gest. 10. Aug. 1851 in Heidelberg, widmete sich auf einer wissenschaftlichen Reise durch Deutschland, Holland, England und Frankreich dem Studium der orientalischen Sprachen, ward 1789 Professor derselben in Jena und 1793 ordentlicher Professor der Theologie. 1803 ging er in gleicher Eigenschaft nach Würzburg. 1807 kam er als Schulrat nach Bamberg, 1808 nach Nürnberg, 1810 nach Ansbach und folgte 1811 einem Ruf als Professor nach Heidelberg, wo er 1844 in den Ruhestand trat. Seine theologische Richtung war eine ausgeprägt verstandesmäßige, seine ganze Art, die Dinge zu betrachten und zu beurteilen, mehr juristisch als religiös. Unter seinen zahlreichen Schriften sind heute noch bekannt: »Neues Repertorium für biblische und morgenländische Literatur« (Jena 1790-91, 3 Bde.); »Clavis über die Psalmen« (2. Aufl., Heidelb. 1815); »Philologisch-kritischer und historischer Kommentar über das Neue Testament« (2. Aufl., Leipz. 1804-08, 4 Tle.);. »Sophronizon, oder unparteiische, freimütige Beiträge zur neuern Geschichte, Gesetzgebung und Statistik der Staaten und Kirchen« (Heidelb. 1819-31, 13 Bde.); »Der Denkgläubige, theologische Jahresschrift« (das. 1825-29); »Das Leben Jesu« (das. 1828, 2 Bde.); »Exegetisches Handbuch über die drei ersten Evangelien« (das. 1830-33, 3 Tle.; neue Ausg. 1841-42); »Neuer Sophronizon« (Darmst. 1841-42, 3 Bde.); »Die endlich offenbar gewordene positive Philosophie der Offenbarung« (das. 1843)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Strauß: David Friedrich Strauß (1808 - 1874) (siehe unten!)

3 Steudel

"STEUDEL, Johann Christian Friedrich, evangelisch-lutherischer Theologe und supranaturalistischer Dogmatiker, * 25.10. 1779 in Esslingen, + 24.10. 1837 in Tübingen. - Steudel, Sohn des Oberverwaltungsrates Johann Samson Steudel und dessen Gattin Regine Katharine Burk sowie nachmaliger Onkel des David Friedrich Strauß (s.d.) - Weggefährten Christian Märklin (1807-1849), besuchte das Esslinger Pädagogium, bevor er auf das Stuttgarter Gymnasium überging. 1797 immatrikuliert sich Steudel für Evangelische Theologie in Tübingen und bezieht das Stift, obwohl er kein Württemberger ist. Nach Beendigung des Studiums und dem Vikariat in Oberesslingen (1803) wird Steudel 1805 Stiftsrepetent in Tübingen. Hieran schließt sich eine anderthalbjährige Europareise an, die Steudel nach Frankreich und in die Schweiz führt, und 1810 wird Steudel Diakon zunächst in Cannstatt, 1812 dann in Tübingen. Anfang 1815 erhielt Steudel eine nebenamtliche außerordentliche Professur für biblische Theologie und im Laufe des Jahres auch noch Sitz und Stimme in der Fakultät. 1816 rückte Steudel als Nachfolger Johann Friedrich von Gaabs (1761-1832) in dessen Ordinariat in der philosophischen Fakultät auf, hatte daneben aber noch bis 1818 Auxiliarvorlesungen im Stift zu halten. 1818 erhielt Steudel, bei der Berufung übergangen und stattdessen zum Archidiaconus avanciert, die Erlaubnis, alttestamentliche Einleitungswissenschaft und Exegese lesen zu dürfen. 1819 amtiert Steudel als Dekan, doch ist er erst mit seiner Entpflichtung vom Pfarrdienst 1822 Ordinarius und erhält nach dem Tode Ernst Gottlieb Bengels (1826; s.d.) Dogmatik und alttestamentliche Theologie als Disziplinen sowie die Stellen des Frühpredigers und des Stiftsattendenten zugewiesen, als der er sich mit einer Denkschrift (Die Bedeutsamkeit, s.u.) nachhaltig für die strukturelle und organisatorische Bewahrung des Stifts als unersetzlicher Ausbildungsstätte einsetzte. Steudel versucht bei der anstehenden Umorganisation der Fakultät gleichzeitig, wenngleich vergeblich, die Berufung Ferdinand Christian Baurs (s.d.) zu verhindern, da er August Neander (s.d.) favorisierte. - Steudel ist nach dem Tod Gottlob Christian Storrs (s.d.) Haupt der älteren Tübinger Schule (Bengel, [s.d.] Johann Friedrich Flatt, Karl Christian Flatt) und erster Gegner David Friedrich Strauß'. - Steudel versucht während des Rationalismusstreites im Anschluss an den sog. Hahnenschrei (benannt nach der Leipziger Promotionsarbeit von August Hahn [s.d.]) eine vermittelnde Position einzunehmen, indem er, zwei Formen des Rationalismus annehmend, zur Rettung des Offenbarungsbegriffs zwischen einem verständigen Supranaturalismus und reinem Rationalismus unterscheidend, Vernunft also einmal als von Gott gelenkt und mitgeteilt, ein anderes Mal völlig aus sich heraus zu verstehen sucht. Schon in seiner 1814 erschienen Schrift »Über die Haltbarkeit des Glaubens an geschichtliche höhere Offenbarungen« (s.u.) formuliert Steudel seinen antirationalistische Standpunkt vornehmlich in scharfer Abgrenzung von Daniel Friedrich Ernst Schleiermacher (s.d.). Gegen David Friedrich Strauß wandte Steudel ein, dass ohne die Annahme des historischen Jesus das Christentum seiner Grundlage beraubt würde, da unerklärlich bliebe, wie ein gekreuzigter Jude zum Stifter der Kirche hätte werden können (Vorläufig zu Beherzigendes, s.u.). Als Alttestamentler operiert Steudel mit einem mystisch-spekulativen Offenbarungsverständnis; Steudels Kanonbegriff ist variabel, die Apokryphen sind ihm wichtig zur Rekonstruktion religiöser Vorstellungen, ohne die eine systematisierende Theologie des Alten Testaments unvollständig bleibt - was sie ohnehin ist, da in ihm nicht alle Theologumena entfaltet seien: für Steudel ein deutliches Zeichen für die Mangelhaftigkeit alttestamentlicher Offenbarung. - Steudel, der als im Vortrag wenig anziehender Universitätslehrer geschildert wird, war neben Baur, Friedrich Heinrich Kern und Christian Friedrich Schmid (s.d.) Herausgeber der Tübinger Zeitschrift für Theologie. Zusammen mit August Hahn und Friedrich August Gottreu Tholuck (s.d.) begründete Steudel Ende 1829 den »Litterarischen Anzeiger für christliche Theologie und Wissenschaft überhaupt« (LACTW), der erstmals am 1.1. 1830 erschien. Den protestantischen Unionsbestrebungen wie auch den irenischen Annäherungen von Protestantismus und Katholizismus stand Steudel reserviert gegenüber. "

[Quelle: Klaus-Gunther Wesseling. -- http://www.bautz.de/bbkl/s/s4/steudel_j_c_f.shtml. -- Zugriff am 2004-11-06]

4 Bahnmeier: Jonathan Friedrich Bahnmeier 1774-1841

"BAHNMAIER, Jonathan Friedrich, Theologe, Kirchenliederdichter, * 12.7. 1774 als Pfarrerssohn in Oberstenfeld bei Marbach (Neckar), † 18.8. 1841 in Owen (Teck) während einer Kirchenvisitationsreise. - Bahnmeier besuchte die Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn und studierte in Tübingen. Er wurde 1798 Vikar seines Vaters, 1802 Repetent am Tübinger Stift und 1806 Diakonus in Marbach. Im Sommer 1810 kam Bahnmeier als Diakonus nach Ludwigsburg und wandte hier seine besondere Liebe der Kinderwelt und dem Erziehungsfach zu. Er hielt Lehrkurse für Schullehrer, leitete eine Lehranstalt für erwachsene Töchter gebildeter Stände und nahm wie schon in Marbach junge Leute in sein Haus auf, um sie für das Universitätsstudium vorzubereiten. Bahnmeier wurde 1815 Professor für Pädagogik und Homiletik in Tübingen und begründete das homiletische Seminar. Er setzte sich erfolgreich ein für die Errichtung eines Musiklehrstuhls und die Berufung des ihm befreundeten Friedrich Silcher zum Universitätsmusikdirektor. Durch seinen Rektoratsbericht nach der Mordtat des Karl Ludwig Sand an August von Kotzebue über die Stimmung unter den Studierenden erregte Bahnmeier den Unwillen König Wilhelms I., der ihn im Oktober 1819 als Dekan nach Kirchheim unter Teck versetzte. -  war ein beliebter Prediger. Das Werk der Mission und Bibelverbreitung lag ihm besonders am Herzen. Von seinen Liedern ist bekannt: "Walte, walte nah und fern, allgewaltig Wort des Herrn" (EKG, Ausgabe für die Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe, 433). Es erschien 1827 in Elberfeld in der "Zionsharfe", einer Liedersammlung von Friedrich Wilhelm Krummacher für Bibel-, Missions- und andere christliche Vereine."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/b/bahnmaier_j_f.shtml. -- Zugriff am 2004-11-06]

5 Eschenmeier

"ESCHENMAYER, Adolph (Adam) Karl August (von), * 4.7. 1768 in Neuenbürg (Württemberg), † 17.11. 1852 in Kirchheim/ Teck - Arzt, Philosoph, Okkultist. - Eschenmeier, der jüngste Sohn des Neuenbürger Oberamtspflegers Jakob Heinrich Eschenmeier, immatrikulierte sich im Jahre 1783 an der Universität Tübingen, um Philosophie zu studieren. Der Tod seines Vaters führte dazu, dass Eschenmeier, auf Betreiben von Verwandten aus Lyon, dazu bestimmt wurde, den Beruf des Kaufmanns zu ergreifen. Zu diesem Zweck besuchte er die Stuttgarter Karlsschule. Doch durch die Wirren der Französischen Revolution wurde die Verbindung nach Frankreich unterbrochen, und Eschenmeier konnte sich einem Fach widmen, für das er größeres Interesse aufbrachte: der Medizin. Deren Studium verfolgte er zunächst an der Karlsschule, später kehrte er nach Tübingen zurück. Dort promovierte er 1796 mit einer Arbeit, die seine Neigung für philosophische Fragestellungen deutlich erkennen ließ, und legte im selben Jahr das medizinische Staatsexamen ab. Nach einem kurzen Aufenthalt an der Göttinger Universität wurde er 1797 zunächst praktischer Arzt in Kirchheim, wenig später Stadtphysikus in Sulz. 1798 heiratete er die Kirchheimer Ratstochter Johanna Christiana Friderica Bilfinger und übernahm zwei Jahre danach das Amt des Stadtphysikus in Kirchheim. Nach der Veröffentlichung einiger Werke zu medizinischen, philosophischen und religiösen Themen wurde Eschenmeier im November 1811 als außerordentlicher Professor für Medizin und Philosophie an die Universität Tübingen berufen und 1818 zum ordentlichen Professor für praktische Philosophie ernannt. Charakteristisch für seine Lehrtätigkeit war die Verbindung von Medizin und Philosophie, dazu kam ein besonderes Interesse an psychologischen und psychiatrischen Fragestellungen. In Tübingen wirkte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1836 und setzte danach seine publizistische Tätigkeit in Kirchheim fort, wo er am 17. November 1852 verstarb. - Geistesgeschichtlich steht Eschenmeier der romantischen Naturphilosophie und den der `Erneuerungsbewegung' zuzurechnenden katholischen Ärzten nahe, wie sich bereits an der Bandbreite der Themen ablesen lässt, zu denen er Werke veröffentlicht hat. Eschenmeiers Naturphilosophie basiert auf Ansätzen, die durch seinen Tübinger Lehrer Carl Friedrich Kielmeyer und durch Kant vermittelt worden waren, vor allem aber auf dem Denken Schellings. Dies zeigt sich an der spezifischen Verbindung von Naturphilosophie und Medizin, die schon Eschenmeiers Dissertation und sein erstes Werk über Magnetismus auszeichnet. Schelling seinerseits nutzte Anregungen aus Eschenmeiers `Die Philosophie in ihrem Übergange zur Nichtphilosophie' und anderen Werken zur Weiterentwicklung seines eigenen philosophischen Systems. Strenger als Schelling verfocht Eschenmeier eine Trennung von Glauben und Philosophie, da Gott nicht mit Maßstäben der Logik zu erfassen sei. In diesem Sinne isoliert Eschenmeier den Glauben von der Erkenntnistheorie, und er spricht sich gegen jegliche Form wissenschaftlicher Kritik in Fragen der Religion aus. Doch gerade dadurch, dass dieser Gegensatz zwischen Philosophie und Nicht-Philosophie, d.h. dem Bereich der Religion, bewusst gemacht wird, besteht nach Eschenmeier die Möglichkeit zur Präsenz beider im Leben des Individuums. Demnach vertritt Eschenmeier keinen starren Agnostizismus, sondern postuliert, dass alle psychischen Vermögen des Menschen letztlich auf Gott ausgerichtet seien. In Fragen der Religion geriet Eschenmeier in Gegensatz zu Hegel und zu seinem eigenen Schüler David Friedrich Strauß. - Als Naturphilosoph geht Eschenmeier von einer Korrespondenz zwischen Geist und Natur aus. Die Gesetze der Natur gelten ihm als Spiegelungen geistiger Ordnungen. Dabei gliedert er Ideen und empirische Phänomene im Anschluss an die Terminologie Lorenz Okens nach den Prinzipien der Polarität und Triplizität. Nach dem Polaritätsgesetz lässt sich alles in einen `positiven' und in einen `negativen' Bereich untergliedern, dazwischen existiert eine indifferente Zone. Auch hier wird Gott von der Einordnung in das universale Schema ausdrücklich ausgenommen. Eine wesentliche Zielsetzung Eschenmeiers ist die apriorische Fundierung der einzelnen Naturwissenschaften durch die Entwicklung einer Naturmetaphysik. Die wichtigsten Schriften in diesem Kontext sind der `Versuch die Gesetze magnetischer Erscheinungen aus Säzen der Naturmetaphysik mithin a priori zu entwickeln', die `Deduction des lebenden Organismus' und `Spontaneität = Weltseele'. Auch Eschenmeiers Auffassung von Physiologie und Psychologie entspricht dem oben beschriebenen Schema, wobei letztere auf einer Kombination der Vermögenspsychologie, wie sie im achtzehnten Jahrhundert im Vordergrund stand, und der im deutschen Idealismus entstandenen spekulativen Entwicklungspsychologie beruht. - Als Arzt wie als Philosoph war Eschenmeier fasziniert vom animalischen Magnetismus, der in der romantischen Medizin eine zentrale Rolle spielte. Ab 1817 gab er zusammen mit Christian Friedrich Nasse und Dietrich Georg Kieser das neugegründete `Archiv für den tierischen Magnetismus' heraus. Eschenmeier differenzierte dabei zwischen der eigentlichen Heilung von Krankheiten mit Hilfe von Magneten und einer `magischen' Heilung durch den Glauben, wenn es beispielsweise um das Besessensein von Dämonen ging. In diesem Zusammenhang setzte sich Eschenmeier mit dem Wirken Johann Joseph Gassners, eines der bekanntesten `Wunderheiler' des achtzehnten Jahrhunderts, auseinander. Das gemeinsame Interesse an parapsychologischen Phänomenen führte zur freundschaftlichen Zusammenarbeit mit Justinus Kerner, die sich vor allem in der Faszination durch die Seherin von Prevorst manifestierte. Neben einem umfangreichen Briefwechsel kam es so zu einer gemeinschaftlichen Veröffentlichung von Aufsätzen über das Phänomen des Besessenseins. Eschenmeier galt seiner Zeit so sehr als prototypischer Vertreter der parapsychologischen Mode, dass er in diesem Sinne nicht nur als Figur in Wilhelmine Canz' 1854 anonym erschienenem Roman `Eritis sicut Deus' auftauchte, sondern auch von bekannteren Intellektuellen der Zeit, wie seinem theologischen Gegner David Friedrich Strauß, Karl Immermann und Wilhelm Hauff, karikiert wurde. "

[Quelle: Stefan Lindinger. -- http://www.bautz.de/bbkl/e/eschenmayer_a_a_k_a.shtml. -- Zugriff am 2004-11-06]

6 Osiander: Christian Friedrich Osiander (1789 - 1839) , der Tübinger Verleger von David Friedrich Strauß: Das Leben Jesu (1835/1836)

7 Christoterp'

"Christoterpe (griech., »Christenfreude«), Titel eines Jahrbuchs religiösen Charakters, das 1833-53, herausgegeben von A. Knapp, bei Winter in Heidelberg erschien und neben Gedichten auch gediegene Artikel sowohl aktuellen wie kirchengeschichtlichen Inhalts brachte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8 Bandeist = Pantheist

"Pantheismus (pan, theos) ist die Lehre, dass Gott (s. d.) und Welt nicht zwei wahrhaft voneinander geschiedene, außereinander bestehende Wesenheiten sind, sondern dass Gott selbst die Alleinheit, das All selbst Gott, alle Dinge Modi (s. d.), Participationen der Gottheit, diese den Dingen (als deren substantiale Wesenheit) immanent, einwohnend ist, so dass alles zwar nicht selbst Gott, aber doch (sub specie aeternitatis betrachtet) von göttlicher Natur ist. Der naturalistische Pantheismus nähert sich dem Atheismus, indem er Gott und Natur (s. d.) identifiziert, der idealistische (spekulative) Pantheismus bestimmt die Alleinheit als Identität (s. d.) von Geist und Natur oder als Geist (Vernunft, Wille). - »Pantheist« zuerst bei J. TOLAND (Pantheisticon 1705), »Pantheismus« bei dessen Gegner FAI (1709).

Betreffs der Geschichte des Pantheismus s. Gott."

[Quelle: Eisler, Rudolf <1873-1926>: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. -- 2. völlig neu bearb. Aufl. -- Berlin :  Mittler, 1904. -- 2 Bde. -- Bd. 2. -- S. 70f.]

 


Ferdinand Freiligrath (1810-1876): Audubon. -- 1838

Mann der Wälder, der Savannen!
Neben roter Indier Speer,
An des Mississippi Tannen
Lehntest du dein Jagdgewehr;

Reichtest Indianergreisen
Deine Pfeife, deinen Krug;
Sahst der Wandertaube Reisen
Und des Adlers stillen Flug;

Lähmtest ihren schnellen Flügel
Mit der Kugel, mit dem Schrot;
Auf der großen Flüsse Spiegel,
Durch die Wildnis schwamm dein Boot.

Kühn durchflogst du der Savanna
Gräser, im gestreckten Trab;
Beer' und Wildbret war das Manna,
So dir Gott zur Speise gab.

In den Wäldern, in der Öde,
Die der Toren Ruhm: Kultur,
Noch nicht überzog mit Fehde,
Freutest du dich der Natur.

Du noch konntest es! - die Stunde
Kommt - nicht fern mehr ist die Zeit! -
Wo das Land von Baffins Sunde
Bis Kap Horn ein ander Kleid

Tragen wird! - Steh da: du reiche,
Waldige Kolumbia,
Liegst du nicht gleich einer Eiche
Auf dem Planiglobe da?

Aus des Südens kalten Meeren
Wächst der mächt'ge Stamm hervor:
Schlängelnd ziehn die Kordilleren -
Efeu! - sich an ihm empor.

Hoch im Norden in die Breite
Geht er, wenig mehr belaubt;
An den Pol rührt das beschneite,
Eisbehangne, starre Haupt.

Hirsche ruhn in seinem Schatten,
An Geflügel ist er reich,
Und der Indier Hängematten
Schweben nieder vom Gezweig.

Grün und üppig prangt der Starke;
Doch bald steht er ohne Zier;
Denn an seiner Blätter Marke
Zehrt der Wanderraupe Gier.

Nadowessier, Tschippawäer,
Heult den Kriegsruf, werft den Speer!
Schüttelt ab die - Europäer!
Schüttelt ab das Raupenheer!

Seit in eure Hirschfellhütten
Trat des Meeres kluger Sohn,
Ist die Reinheit eurer Sitten,
Ist das Glück von euch geflohn.

Weh, dass ihr ihn nicht verscheuchtet,
Da er Land von euch erfleht!
Weh, dass ihr ihm arglos reichtet
Das geschmückte Kalumet!

Nieder brennt er eure wilden
Wälder, nimmt von euch Tribut,
Spült von euren Lederschilden
Der erschlagnen Feinde Blut;

Saust einher auf Eisenbahnen,
Wo getobt der Roten Kampf;
Bunt von Wimpeln und von Fahnen,
Teilt sein Schiff den Strom durch Dampf.

Kahl und nüchtern jede Stätte!
Wo Manittos hehrer Hauch
Durch des Urwalds Dickicht wehte,
Zieht der Hammerwerke Rauch.

Euer Wild wird ausgerottet,
Siech gemacht wird euer Leib,
Euer großer Geist verspottet,
Und geschändet euer Weib.

Bietet Trotz, ihr Tätowierten,
Eurer Feindin, der Kultur!
Knüpft die Stirnhaut von skalpierten
Weißen an des Gürtels Schnur!

Zürnend ihren Missionären
Aus den Händen schlagt das Buch;
Denn sie wollen euch bekehren,
Zahm, gesittet machen, klug!

Weh, zu spät! Was hilft euch Säbel,
Tomahawk und Lanzenschaft? -
Alles glatt und fashionable!
Doch wo - Tiefe, Frische, Kraft?


1839


Franz Grillparzer (1791-1872): Dass ihr an Gott nicht glaubt. -- 1839


Dass ihr an Gott nicht glaubt,
Sei euch etwa erlaubt,
Gott ist überall Er,
Stellt sich von selbst wieder her.

Dass euch die Sitten ein Spiel,
Kümmert mich wieder nicht viel;
Sitten sind eben Gebrauch,
Leichtere reichen wohl auch.

Aber was fehlt und was schlecht,
Ist das Gefühl für das Recht:
Dass euch der Nutzen, das Mein,
Gott und Götze allein,

Dass der Vertrag euch ein Spiel,
Nichts als ein Mittel zum Ziel,
Das, wenn den Zweck ihr erreicht,
Eben auch brecht wieder leicht,

Dass, wenn der Nachbar in Not,
Frech ihr das Unglück bedroht,
Was jeder mein oder glaub,
Jeder begierig zum Raub.

Und eurem Könige feind,
Wo er es ehrlich meint,
Schnell mit ihm ihr versöhnt,
Wenn er das Recht verhöhnt,

Und ob von rechts oder links,
Jeder begierig des Winks,
Andern zu schmieden die Last,
Die ihm zu Hause verhasst.

Andere Länder zwar auch
Hegen den nämlichen Brauch,
Doch nur, was heißt Kabinett,
Dort solche Wege geht.

Tuns den Erfindern wohl gleich,
Lerntens eben von euch,
Politik heißt der Pfiff,
Auch: fünf Finger, ein Griff.

Während, was Volk man nennt,
Mitleid und Anteil kennt,
Auch bei den andern ehrt,
Was seinem Herzen wert.


Franz Grillparzer (1791-1872): Hegel. -- 1839

Möglich, Dass du uns lehrst, prophetisch das göttliche Denken,
Aber das menschliche, Freund, richtest du wahrlich zu Grund.


Franz Grillparzer (1791-1872): Bekehrung. -- 1839


Mit Gott stand ich sonst nicht gar gut,
Nun mach ich mich intim,
Ist er gleich uns doch absolut
Und höchlich legitim.

Erklärung: Bezieht sich auf den Absolutismus und das Legitimitätsprinzip der österreichischen Reaktion (Metternich).


Franz Grillparzer (1791-1872): Defensor Fidei [Verteidiger des Glaubens]. -- 1839

Dem Hermes ist er spinnefeind,
Der vertrakte Jarke.
Hetzen wir ihn denn zum Spaß
Und lassen ihn dann im Quarke.

Erläuterungen:

"HERMES, Georg, kath. Philosoph und Theologe, * 22.4. 1775 als Sohn eines Bauern in Dreierwalde bei Rheine (Westfalen), † 26.5. 1831 in Bonn.

Von Ostern 1788 bis Herbst 1892 besuchte Hermes das von Franziskanern geleitete Gymnasium in Rheine, studierte dann an der Universität Münster Philosophie und Theologie und empfing Anfang 1799 die Priesterweihe. Seit Herbst 1798 war er Lehrer am Gymnasium Paulinum in Münster und unterrichtete in deutscher und lateinischer Sprache, empirischer Psychologie, Mathematik und Religion. Hermes wurde 1807 Professor für Dogmatik in Münster. Der 1. Teil seiner "Einleitung in die christkatholische Theologie" (Philosophische Einleitung) trug ihm 1819 den Dr. theol. der Universität Breslau und 1821 den Dr. phil. der Universität Bonn ein.

Durch seine rationell-philosophische Lehrmethode entfremdete er sich bald die führenden kirchlichen Kreise Münsters, besonders den Bistumsverweser Clemens August v. Droste-Vischering (s. d.). 1820 folgte Hermes dem Ruf nach Bonn. Seine Vorlesungen, deren Besuch den Theologiestudierenden aus den Diözesen Paderborn und Münster kirchlicherseits untersagt wurde, übten große Anziehungskraft aus. Der Kölner Erzbischof August Graf Spiegel ernannte ihn 1825 zum Mitglied des Kölner Domkapitels. Hermes gewann zahlreiche Schüler. Sein Lehrsystem fand an allen katholisch-theologischen Fakultäten und Hochschulen Preußens Verbreitung.

Hauptvertreter des "Hermesianismus" waren Johann Heinrich Achterfeld und Johann Wilhelm Joseph Braun.

Die theologischen Gegner des Hermesianismus erreichten durch das Breve Gregors XVI.  "Dum acerbissimas" vom 26.9. 1835 die Verurteilung der Lehre und Schriften von Hermes.

Hermes ist bekannt als Begründer einer philosophisch-dogmatischen Schule in der katholischen Kirche. In Auseinandersetzung mit dem Kritizismus des Immanuel Kant versuchte er eine neue rationale Begründung des kirchlichen Dogmas."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/h/hermes_ge.shtml. -- Zugriff am 2004-06-17] 

"JARCKE, Carl Ernst, Jurist und politischer Schriftsteller, Mitbegründer der "Historisch-Politischen Blätter", * 10.11. 1801 als Sohn eines Kaufmanns in Danzig, + 28.12. 1852 in Wien (bis 1825 evangelisch).

Jarcke verlebte seine Kindheit und Jugend in der geordneten, aber streng rationalen Welt des protestantischen Besitzbürgertums in Danzig. Da sein Vater den einzigen Sohn für den Kaufmannsberuf bestimmt hatte, trat er nach dem Besuch der Bürgerschule und der lateinischen Oberpfarrschule mit 14 Jahren eine Kaufmannslehre in einem Danziger Handelshaus an. Doch konnte die nüchterne Atmosphäre der Handelskomptoirs den Jüngling nicht befriedigen. Von 1817-19 besuchte Jarcke daher das akademische Gymnasium, das er mit gutem Erfolg abschloß, um den Gelehrtenberuf zu ergreifen. Zum Wintersemester 1819 immatrikulierte er sich an der Universität Bonn für das Studium der Rechte, hörte daneben aber auch geschichtliche und philosophische Vorlesungen. Im April 1821 wechselte er nach Göttingen, wo er durch seinen Lehrer Gustav Ritter von Hugo mit den Prinzipien der historischen Rechtsschule vertraut wurde. In dieser Tradition stand auch seine 1822 in Göttingen verfaßte Dissertation über das römische Strafrecht, mit der ihn die Bonner Universität habilitierte und wo Jarcke als Privatdozent für Strafrecht im Oktober 1822 seine Vorlesungen aufnahm. Zwei Jahre später ernannte man ihn zum außerordentlichen Professor für Strafrecht, doch war mit diesem Status kein regelmäßiges Gehalt verbunden, so daß Jarcke neben dem Lehrberuf als Strafrichter in Köln tätig werden mußte.

Die Jahre in Bonn und Köln legten aber nicht nur den Grundstein für Jarckes Karriere als Strafrechtler, sondern hatten ihn auch der katholischen Religion nahe gebracht. Insbesondere sein Kontakt zu dem katholischen Gelehrtenkreis um den Bonner Philosophen Karl J. Windischman, der den damals aufkommenden rationalistischen und modernistischen Tendenzen innerhalb der katholischen Kirche (besonders Hermes) vehement entgegentrat, und die Begegnung mit dem katholischen Köln hatten in Jarcke den Entschluß reifen lassen, sich dem Katholizismus anzuschließen; im Februar 1825 vollzog er dann in Köln die Konversion. In dieses Jahr noch fiel seine Berufung als Extraordinarius für Strafrecht an die Universität Berlin, wo er u. a. den Staatsrechtler Friedrich von Savigny und den Philosophen G. W. F. Hegel kennenlernte. 1826 beauftragte dann das preußische Innenministerium den mittlerweile zum führenden Spezialisten seines Faches aufgestiegenen Jarcke zur Mitarbeit in der Gesetzgebungskommission für die Revision des preußischen Landrechts, hierbei bearbeitete er die Artikel, die Kirche, Religion, Ehe und Sitte betrafen.

Daß Jarcke nun überhaupt die christlich-katholische Lehre als elementare Grundlage allen menschlichen Zusammenlebens begriff, machte er auch in seinem in Berlin verfaßten wissenschaftlichen Hauptwerk, dem »Handbuch des gemeinen deutschen Strafrechts« (1827-30, 3 Bde.) sehr deutlich. Er setzte hierin die »Verbrechen gegen Gott und die Religion« an die erste Stelle noch vor die »Verbrechen gegen den Regenten und seine Familie«, womit Jarcke jene Anschauung restaurierte, die von der Aufklärung aus den Staatswissenschaften verbannt worden war und welche besagte, daß alle weltliche Macht nur aus der göttlichen abgeleitet und nur durch sie allein legitimiert werden könne.

Den Ausbruch der Julirevolution in Frankreich 1830 erlebte Jarcke daher als persönliche Herausforderung und bewirkte, daß er sich nun der Politik zuwandte. In seiner 1831 anonym erschienenen Schrift »Die Französische Revolution von 1830«, die ihn mit einem Schlage als politischen Schriftsteller berühmt machte, charakterisierte er die Revolution als völlige Umkehrung der geschichtlich gewachsenen und göttlich legitimierten Ordnung und somit als eine Bedrohung für ganz Europa, die zu bekämpfen jetzt allerhöchstes Gebot sei. In der im gleichen Jahr publizierten Studie über den politischen Attentäter K. L. Sand verwob Jarcke seine juristischen Kenntnisse mit seiner schriftstellerischen Begabung, um ein vernichtendes Urteil über die nationale Bewegung zu fällen, da sie selbst vor Mord als Mittel zum Zweck nicht zurückschreckte und daher mit der Gefahr der Revolution gleichzusetzen sei. Mit der Sorge um Recht und Staat und die traditionelle Ordnung war Jarcke sofort auf das Interesse und Wohlwollen der altpreußischen Konservativen, die sich um die Gebrüder Gerlach versammelt hatten, gestoßen.

Unter dem Motto »Nous de voulons pas la contrerévolution, mais le contraire de la révolution«, einem Worte des Grafen de Maistre, gründete man gemeinsam das "Berliner Politische Wochenblatt", um, wie es Jarcke formuliert hatte, den Ideenkampf mit der revolutionären und nationalen Bewegung aufzunehmen. Am 8. Oktober 1831 erschien die erste Nummer, wobei Jarcke als 1. Redakteur fungierte. Unter ihm entwickelte sich die Zeitschrift schnell zum führenden Organ der Ultrakonservativen, das die Ideen des Retaurationstheoretikers Haller aufnahm und die Wiederherstellung eines christlichen Staates propagierte. Selbst Fürst Metternich zählte zu den Lesern des Blattes und als sein politischer Berater Friedrich Gentz im Juni 1832 plötzlich verstarb, bot Metternich dessen Platz sofort Jarcke an.

Im Oktober erhielt er die Ernennung zum k.k. Rat und Staatskanzleipublizist in der Wiener Staatskanzlei und siedelte im November 1832 nach Wien über. Der Weggang von Berlin war ihm umso leichter gefallen, da er erkannt hatte, daß er als Katholik im protestantischen Preußen keinerlei Aufstiegschancen mehr hatte und selbst seine zahlreichen Eingaben, ihn als ordentlichen Professor für Strafrecht mit einem regelmäßigen Gehalt einzustellen, immer wieder abgewiesen worden waren. In Wien schrieb Jarcke für die Metternich-Presse und arbeitete in der Zensurstelle, wo er vor allem gegen liberal-religiöse Schriften und die Verbreitung der Literatur des Jungen Deutschland vorging. Als sich die konfessionellen Gegensätze im Vorfeld und Verlauf des Kölner Mischehenstreites von 1837 verhärteten, kündigte Jarcke seine Mitarbeit beim "Berliner Politischen Wochenblatt" auf, da die mehrheitlich protestantische Redaktion sich auf die Seite des preußischen königs und somit gegen die katholische Seite gestellt hatte. Jarcke verfocht nunmehr die Ansicht, daß der wahre Konservatismus nur auf die katholische Dogmatik gegründet sein könne.

In diesem Geiste begründete er zusamemn mit Görres, dem wichtigsten Vertreter des politischen Katholizismus im Vormärz, 1838 in München die "Historisch-Politischen Blätter für das katholische Deutschland", jene Zeitschrift, die zum führenden Organ des Katholizismus im 19. Jahrhundert wurde. Neben seiner publizistischen Tätigkeit für Metternich und die "Historisch-Politischen Blätter" wirkte Jarcke in kirchlich-religiösen Zeitfragen auch als Diplomat. Einen Höhepunkt hierbei bildete seine Reise nach Rom 1840, wo er im Namen der Staatskanzlei in der Frage der ungarischen Mischehen verhandelte.

Die 40iger Jahre standen dann ganz im Zeichen des Kampfes für die Freiheit der katholischen Kirche, weshalb Jarcke immer wieder gegen die Fesseln des staatskirchlichen Systems in Österreich, dem Josephinismus, seine Stimme erhob und Metternich zu beeinflussen suchte.

In diese Linie fällt auch seine Altersfreundschaft mit dem romantischen Dichter Eichendorff, den Jarcke tatkräftig unterstützte und ihn zu einer aus katholischer Sicht geschriebenen Literaturgeschichte anregte, die Eichendorff dann 1847 auch herausgab. Obwohl Jarcke seine ganze Arbeit in den Dienst des Kampfes gegen die Revolution gestellt hatte, sollte gerade er ihr Opfer werden.

Als im Jahre 1848 auch in Wien die Revolution ausgebrochen war und Metternichs System stürzte, wurde Jarcke beurlaubt. Er zog sogleich nach München und kehrte, nachdem die Revolution niedergeschlagen war, 1850 nach Wien zurück, wo durch eine kaiserliche Verordnung vom 19. April gerade das staatliche Placet in Kirchenbelangen aufgehoben worden war, was sich Jarcke als einen Erfolg auch seiner langjährigen Bemühungen anrechnen konnte.

Jedoch erlebte er das Zustandekommen des von ihm oft herbeigesehnten Konkordats, das am 13. August 1855 zwischen Österreich und dem Vatikan abgeschlossen wurde, nicht mehr. Jarcke verstarb am 28. Dezember 1852 nach langer Krankheit in Wien. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof zu Maria Enzersdorf im Gebirge nahe Wien, wo auch die Gräber anderer bedeutender Gestalten des Katholizismus des 19. Jahrhunderts, von Adam Müller, Zacharias Werner und Clemens Hofbauer, zu finden sind."

Quelle: Rainer Witt. -- http://www.bautz.de/bbkl/j/Jarcke.shtml. -- Zugriff am 2004-06-17]


Karl (Ferdinand) Gutzkow (1811 - 1878): An David Friedrich Strauß. -- 1839

Als die Mutter Dir starb, da hat sie Dir sicher gelobet:
»Hast Du geirrt, mein Sohn, ruf ich's von drüben Dir zu;
Hab' ich den Heiland geseh'n und seine Male berühret,
Hat er ob dem, was Du schriebst, finster das Auge gerollt,
Komm' ich des Nachts Dir im Traum und warne Dich, weiter zu wandeln
Auf dem Wege, den Dir, David, Dein Genius wies!«
Siehe, Du träumst und träumst, und die Mutter kommt Dir im Traume;
Aber sie lächelt Dir nur, lächelt Dir seligen Mut.

Erläuterungen: bezieht sich auf David Friedrich Strauß (1808 - 1874) (siehe unten!)


1840


Franz Grillparzer (1791-1872): Die Deutschen. -- 1840

Mit Schillern macht ihrs stumpf und träg,
Wie längst mit Christus es geschehen,
Ihr billigt höchlich seinen Weg,
Doch keiner will ihn gehen.


Georg Herwegh (1817-1875): Schlechter Trost. -- 1840

Du wirst ein schöner Leben schauen,
Und ewig, ewig bleibt es dein;
Man wird dir goldne Schlösser bauen,
Nur musst du erst gestorben sein!

Du wirst bis zu den Sternen dringen
Und stellen dich in ihre Reihn,
Von Welten dich zu Welten schwingen,
Nur musst du erst gestorben sein.

Du wirst, ein freier Brutus, wallen
Mit Brutussen noch im Verein,
All deine Ketten werden fallen,
Nur musst du erst gestorben sein.

Wenn Sünder in der Hölle braten,
So gehest du zum Himmel ein;
Du wirst geküsst und nicht verraten,
Nur musst du erst gestorben sein.

Ob ihm der Ost die Segel blähe,
Was hilft's dem morschen, lecken Kahn
Was hilft dem Fink die Sonnennähe,
Den tot ein Adler trägt hinan?


Georg Herwegh (1817-1875). -- 1840

Ich zähle gerne mit bei guten Christen
Und streite ritterlich und ohne Wanken,
Wenn sie uns wollen das Gemüt abdanken,
Die unausstehlich pfiffigen Sophisten.

Doch hass' ich das Gemüt der Pietisten1,
Das, frech getreten aus des Anstands Schranken,
Uns möcht' die reinsten himmlischen Gedanken
Mit seinen Nebelworten überlisten.

Auch mir hat sich das Aug' schon oft genetzt,
Sah ich das Herz misshandelt und zerschlagen
Und von den Rüden des Verstands gehetzt.

Es darf das Herz wohl auch ein Wörtchen sagen;
Doch ward es weislich in die Brust gesetzt,
Dass man's so hoch nicht wie den Kopf soll tragen.

Erläuterungen:

1 Pietisten

"Der Pietismus ist eine Bibelbewegung, Laienbewegung und Heiligungsbewegung. Er betont die subjektive Seite des Glaubens, entwickelte aber auch einen starken missionarischen und sozialen Grundzug. In der pietistischen Praxis haben Hauskreise mit gemeinsamem Bibelstudium und Gebet oft größere Bedeutung als Gottesdienste.

Der Pietismus hat das Priestertum aller Gläubigen betont und deshalb neben Theologen auch Laien ohne akademische Bildung, vorrangig Männer, zum Predigtamt geführt: als Redner, "redende Brüder", in den Hauskreisen ("Stunden", das heißt Erbauungsstunden / Bibelbesprechstunden). "

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pietismus. -- Zugriff am 2004-09-15]


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Fromm. -- 1840

Der Ritter hieß vrum, wenn er mit dem Degen in der Faust das Recht vertheidigte, selbst aber niemand etwas zu Leide that; die Zeiten änderten sich; man wollte keine frommen Ritter mehr haben; was man dagegen recht vrum, brauchbar, fand, waren fromme Schafe.
Hofrath Benecke zum Wigalois Seite 581.

Wer an das Vaterland nur dachte,
Dem Vaterland sich dienstbar machte
Mit Rath und Tat, mit Hab' und Gut
Und, wo es galt, mit Leib und Blut,
Wer so das Himmelreich gewann,
Hieß weiland nur ein frommer Mann.

Was aber sind die frommen Leute
Für unser Vaterland doch heute?
Sie haben sich von uns gewandt,
Der Himmel ist ihr Vaterland,
Das Leben ihnen eine Last,
Der Tod nur lieb, die Welt verhasst.


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Kirchenhistorisches. -- 1840

Dank, Luther, Dank! du lehrtest jeden
Mit Gott in deutscher Sprache reden,
Hast uns zu Gottes Preis und Ruhm
Gebracht ein deutsches Christenthum.

Doch hat uns unter deinem Schilde
Gebracht die Philologengilde
Zu ihrem eignen Preis und Ruhm
Ein protestantisch Heidenthum.


Wilhelm Weitling (1808 - 1871): Loblied der Dummheit. -- Um 1840

Weil wir heut beim Glase Bier doch so manches singen,
Will ich, liebe Dummheit, dir auch ein Liedchen bringen.
In dem Dummen regen sich niemals bange Zweifel,
Er glaubt alles, fürchtet sich vor Gespenst und Teufel.

Einigkeit im Völkerbund kümmert ihn sehr wenig,
Volksherrschafl ist ihm zu rund; wo bleibt sonst sein König?
Wenn ein wütender Tyrann Stadt und Land verwüstet,
Spricht der Dumme: „Großer Mann, dich hat Gott gerüstet."

Wenn in Flitterstaat und Pracht sich die Großen blähen,
Spricht der Dumme: „Gut, das macht den Commerz doch gehen."
Muß der Herren gnäd'ger Huld halb umsonst er dienen,
Schiebet er die ganze Schuld nur auf die Maschinen.

Und wenn man zuweilen fragt, warum schlecht die Zeiten,
Gleich der nächste Dummkopf sagt: „'s Geld fehlt untern Leuten."
Drängt um schmale Kost und Lohn hungernd man zum Ziele,
Spricht der lieben Dummheit Sohn: „Unserer sind zu viele."

Wird er endlich matt und bleich, stirbt er froh im Glauben
An ein schönes Himmelreich voll gebratner Tauben.
Wohl dem, der für Dummheit glüht, dem der Kopf vernagelt,
Der den Himmel schief ansieht, wie die Gans, wenn's hagelt.

[Quelle: Morgenruf : Vormärzlyrik 1840 - 1850 / [hrsg. von Werner Feudel]. --  Leipzig : Reclam, 1974. -- 427 S. : 8 Ill.  -- Reclams Universal-Bibliothek ; Bd. 574 : Versdichtung : Lyrik). -- S. 65]


1841


Georg Herwegh (1817-1875): Ça ira! -- 1841

»E pur si muove«1 sei 's Panier,
Sie dreht sich eben doch herum!
Da hilft euch weder bayrisch Bier,
Noch preußisch Christentum.

Erläuterung:

1 »E pur si muove« = "und sie bewegt sich doch", Galileo Galilei in Bezug auf die Bewegung der Erde um die Sonne zugesprochene Äußerung, die er während seines Inquisitionsprozesses 1633 getan haben soll.


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Das neue Jerusalem. -- 1841

Welch ein kindlich frommes Streben!
Welch ein inniger Verein!
An dem Teetisch -
Welch ein heilig reines Leben!
Welch ein Gottversunkensein!
An dem Teetisch.

Wenn sie ein Traktätchen lesen,
Nimmt die Seele höhern Schwung,
An dem Teetisch -
Und es schwelgt ihr ganzes Wesen
In der Gottvereinigung
An dem Teetisch.

Ihres Glaubens süße Blüte
Duftet wie die Rosenflur
An dem Teetisch -
Lauter Milde, Lieb' und Güte
Träuft von ihren Lippen nur
An dem Teetisch.

Wie sie ihren Bräut'gam preisen,
O die Gottesbräutlein fein!
An dem Teetisch -
Ihn und sich mit Andacht speisen
Und mit heil'gen Melodei'n!
An dem Teetisch.

Alles was den Körper nähret
Und erquicket, wird verschmäht.
An dem Teetisch -
Ihre Augen sind verkläret,
Jeder Blick ist ein Gebet
An dem Teetisch.

Ach, kein Mund vermag zu sprechen
Was entzückt die Seele schaut
An dem Teetisch -
Und das Herzlein möchte brechen
Jeder frommen Gottesbraut
An dem Teetisch.

O dass meine Seele wüsste,
Wie sie würd' auch ihnen gleich
An dem Teetisch -
Aus dem Sodom ihrer Lüste
Käm' ins liebe Himmelreich
An dem Teetisch!

Erläuterung: bezieht sich auf pietistische und andere frömmlerische Konventikel. "Das neu Jerusalem" spielt bei den Herrnhutern eine wichtige Rolle.


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Wiegenlied. -- 1841

Vaterland, Fürsten, Verfassung u. dgl., scheinen nicht die Hebel zu sein, das deutsche Volk emporzubringen; es ist die Frage, was erfolgte, wenn die Religion berührt würde.
Hegel, Werke 17, 628.

Melodie Ringe recht, wenn Gottes Gnade / Dich nun ziehet und bekehrt.

Für Melodie "Ringe recht ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/spiritua/ringerec.mid. -- Zugriff am 2004-09-25]

Schlafe, schlafe, schlafe, schlafe!
Wozu willst du wach noch sein?
Denn die Welt ist voller Schafe,
Böcke, Schöps' und Lämmelein.

Schlafe, schlafe! bleib doch länger
Noch in deiner Ruh' und Rast!
Schafe sind die besten Sänger
In der Hütt' und im Palast.

Wenn die frommen Schafe singen
Ihre süßen Melodein,
O so hüpfen, tanzen, springen
Alle lieben Lämmelein.

Schlafe! denn du kannst nicht werden
So ein gutes frommes Vieh;
Schlafe! denn es gilt auf Erden
Nur die Lämmelpoesie.


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Fastenmärlein. -- 1841

Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
Evangelium Marci 2, 27

Ein Herr am grünen Donnerstag
Aß Fleisch, denn Fisch bekam ihm schlecht:
Das ist ein Essen, wie ich's mag!
Sprach er: nun iss auch du, mein guter Knecht!

Da sprach zum Herrn der gute Knecht:
O Herr, fürwahr, das tu' ich nicht!
O Herr, es ist fürwahr nicht recht,
Dass man die strenge Fasten also bricht.

Iss! sprach der Herr, tat's Christus nicht?
Und was er tat, das ist doch recht.
Ja, Herr, er tat's, doch wisst ihr nicht -
Es ging ihm auch des andern Tags recht schlecht.

Erläuterung: Auf den Gründonnerstag, dem Tag der Einsetzung des Abendmahls,  folgt der Karfreitag, der Tag der Kreuzigung Christi.


Robert Eduard Prutz (1816-1872): Sonntagsfeier. -- 1841

Was schwebt dort auf des Wohllauts Schwingen
Zu mir herüber durch die Luft?
Ich hör es rauschen, hör es klingen
In süßem morgendlichem Duft:
Das ist die Orgel, sind die Glocken
Und der Posaunen ernster Klang,
O horch, sie laden mich und locken
Zu einem längst entwöhnten Gang. -

Sieh, vor der Kirche, welch Gedränge!
Vom Staub des Werkeltages rein,
Drängt alt und jung, in bunter Menge
Sich in das Heiligtum hinein:
Und hier, im sonntäglichen Kleide,
Den Kranz im glattgestrichnen Haar,
Gesenkten Augs, doch Augenweide,
Der Jungfraun wunderholde Schar.

Sie gehen all mit leisen Schritten,
Erwägend ihres Herzens Not,
Sie wollen beten, wollen bitten
Um Haus und Hof und täglich Brot:
Dass sich die Krankheit endlich wende,
Dass auf dem Feld die Frucht gedeih
Und dass die Arbeit ihrer Hände
Mit gutem Zins gesegnet sei.

O Wahn des Glaubens, süße Stille,
In der das Herz sich selbst verlor,
Du meiner Kinderwelt Idylle,
Was steigst du heute mir empor?
Und würde mir die Welt zu eigen
Und neigten alle Sterne sich:
Ich könnte doch mein Knie nicht neigen,
Nicht deine Psalmen rühren mich! -

Denn andre Glocken hör ich tönen,
Ein andres Lied steigt himmelwärts,
Und anders strömt mit mächt'gem Dröhnen
Drommetenklang mir in das Herz!
Wir stehen auch gedrängt in Scharen,
Wir Männer, die der Tag erweckt;
Doch keinen Kranz in unsern Haaren,
Mit Myrten nur das Schwert bedeckt!

Wir glauben auch an einen Morgen,
An einen Sonntag hell und licht,
Der, blöden Augen noch verborgen,
Die Wolken endlich doch durchbricht!
Wir beten auch - unausgesprochen,
Ein Hauch, der unsre Brust durchweht,
Ein stummer Schwur, ein Herzenspochen,
Und eine Tat - das ist Gebet!

Drum sollt ihr uns nicht gottlos schmähen,
Nennt uns nicht Ketzer, treibt nicht Spott:
Auch hier, wo unsre Fahnen wehen,
Der freie Geist ist auch ein Gott!
Von allem Finstern, allem Bösen,
Von Sklavenketten groß und klein,
Er wird noch einmal uns erlösen,
Noch einmal unser Heiland sein.

Lasst denn geduldig, ohne Grollen,
Uns wandeln auf verschiednem Pfad:
Sei jeder nur getreu im Wollen,
Nur jeder männlich in der Tat!
Dann deinen Gläub'gen, deinen Frommen,
Mit Liederklang, mit Schwerterschlag,
Dann wirst auch du uns endlich kommen,
Du, unser Sonntag, Freiheitstag!

Erläuterung:

"Anfang der 40er Jahre versuchten religiöse Kreise, in Preußen eine strengere Feier des Sonntags, etwa nach englischem Ritus, einzuführen. Im November 1841 wurde in Berlin von einigen Geistlichen, denen sich auch eine Reihe einflussreicher Staatsbeamter anschloss, ein "Verein zur Förderung einer christlichen Sonntagsfeier'' gegründet, um der Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung an religiösen Dingen entgegenzuwirken. Solche Bestrebungen wurden von der Regierung unter Friedrich Wilhelm IV., dem das Idealbild eines 'christlich-mittelalterlichen Staats' vorschwebte, mehr oder weniger offen unterstützt, fanden jedoch in der Öffentlichkeit mehr Spott als Anklang."

[Quelle: Prutz, Robert Eduard  <1816-1872>: Zwischen Vaterland und Freiheit : eine Werkauswahl / Hrsg. u. kommentiert von Hartmut Kircher. Mit e. Geleitw. von Gustav W. Heinemann. -- Köln : Informationspresse Leske, 1975. -- 439 S. : Ill. -- (Reihe iLv-Leske-Republik ; Bd. 4). -- ISBN 3-434-00263-4. -- S. 224]


Franz von Dingelstedt (1814-1881): Aus: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters. -- 1841

6.

Das ist der Dom mit seinen Mirakeln,
Mit Heiligen aus Stein und Holz,
Mit kostbaren Knochen in Tabernakeln,
Mit Kuppeln, Säulen und Türmen stolz.

Vom Hochaltar dringt ein schwacher Schimmer,
Ein Wehen bläst durch die Gänge hin,
In den Orgelpfeifen Kindergewimmer: -
Es graut mich! Was ich doch kindisch bin!

Seit zwanzig Jahren nicht dringewesen,
Zur Beichte nicht, nicht zum Sakrament, -
Daheim nicht in der Bibel gelesen, -
Ob mich der alte Herr-Gott noch kennt?

Ich will an die schallenden Pforten pochen.
Die sind verschlossen. Niemand zu Haus ...
Was ist das? Hat hier ein Mensch gesprochen?
Lacht mich die Hölle von drinnen aus?

Ich soll mit den Übrigen wiederkommen,
Reingewaschen, sonntagsfrüh,
Mit den abonnierten Wochen-Frommen,
So gleisnerisch und so bigott wie sie.

Nein, ich will mich nicht in die Hürde sperren,
Vom Hunde gejagt, mit der übrigen Herd',
Wenn du der Herr bist unter den Herren,
Suche mich, so ich dir etwas wert.

Geschrieben steht: Es ist größere Freude
Über ein einzig verirrtes Tier
Als über eine gesammelte Weide, -
Wohlan, mein Hirt, ich irre nach dir.

Ich stehe allein an deinen Pforten,
Sie tun sich nicht auf, dein Haus bleibt stumm,
Die Nacht ist schwarz und tonlos 'worden,
Der Mond hängt dräuende Schleier um.

Ein Strahl nur noch aus den finstern Gründen,
Er trifft das vergoldete Kreuz von Erz:
Kannst du, Beleuchter, das kalte entzünden,
Kannst du entzünden mein kälteres Herz?


1841/1849


Georg Herwegh (1817-1875). -- 1841/1849

Was geht euch doch der Himmel an,
Beschränkt euch auf die Erde,
Die Knecht und Herrn hinausgetan,
Dass sie zum Himmel werde!


Georg Herwegh (1817-1875). -- 1841/1849

Wie verhasst wird den Reichen das Christentum werden, wenn die Armen damit argumentieren. So wird es durch seine anscheinende Restitution fallen.


1842


Franz Grillparzer (1791-1872). -- 1842

Sie wollen Freiheit, nun wohlan!
Gebt ihnen eine Eisenbahn,
Da mögen sie denn frei verkehren,
Der Schacher wird sie dienen lehren.

Sie brauchen gläubig einen Gott,
Herr Hegel hat des nimmer Spott,
Verdaun sie erst ein Subjekt-Objekt,
Hat nie noch ein Glaube sich weiter erstreckt.

Und dürstet sie nach Poesie,
Die Prosa ist verlegen nie,
Novelle und Tendenzgedicht
Ist Poesie und ist's auch nicht.

Da mögen sie denn frei sich glauben,
Des Glaubens Freiheit selbst sich rauben;
Auch hat's Poesie aufs höchste gebracht,
Wenn jeder die seine sich selber macht.


Franz Grillparzer (1791-1872). -- 1842

Epithalamium

Das Härteste gar leicht verdaut der Strauß,
Ein bessrer Gatte kann sich dir nicht bieten,
Denn bringst du auch Historien ins Haus,
Dein Mann erklärt sie folgerecht als Mythen.

Erläuterung: Epithalamium = Hochzeitslied. Bezieht sich auf die Heirat der Schauspielerin Agnese Schebest (1813 - 1870)  mit David Friedrich Strauß (1808 - 1874) (s. unten).

"Schebest, Agnese

15.11.1813 Wien - 22.12.1870 Stuttgart 

Sängerin (dramatisches Fach), aufgewachsen in der Festung Theresienstadt, von Johannes Micksch in Dresden ausgebildet, Schülerin Wilhelmine Schröder-Devrients. Gastspiele in Pest, Straßburg, Warschau, Triest, Bologna, Paris. Verheiratet mit David Friedrich Strauß, Scheidung nach vier Jahren. "

[Quelle: http://www.schilke-archiv.de/lexikon/schebest.htm. -- Zugriff am 2004-06-17]

Strauß

Was machst du, Freund, so viel Spektakel,
Kehrst uns den Glauben um nach neuer Regel?
Ich mindstens glaube lieber zehn Mirakel,
Als einen Hegel.

Erläuterung:

"David Friedrich Strauß

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

David Friedrich Strauß (* 27. Januar 1808 in Ludwigsburg; † 8. Februar 1874 in Ludwigsburg) war ein berühmter Schriftsteller, Philosoph und Theologe.

David Friedrich Strauß wurde am 27. Januar 1808 zu Ludwigsburg in Württemberg geboren. Er studierte Theologie am Evangelischen Stift zu Tübingen. 1830 wurde er Vikar und 1831 Professoratsverweser am Seminar zu Maulbronn; er ging aber noch ein halbes Jahr nach Berlin, um Hegel und Schleiermacher zu hören. 1832 wurde er Repetent am Tübinger Stift und hielt zugleich philosophische Vorlesungen an der Universität.

Damals erregte er durch seine Schrift "Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet" (Tübingen. 1835, 2 Bde.; 4. Aufl. 1840) ein fast beispielloses Aufsehen. Strauß wandte in demselben das auf dem Gebiet der Altertumswissenschaften begründete und bereits zur Erklärung alttestamentlicher und einzelner neutestamentlicher Erzählungen benutzte Prinzip des Mythus auch auf den gesamten Inhalt der evangelischen Geschichte an, in welcher er ein Produkt des unbewusst nach Maßgabe des alttestamentlich jüdischen Messiasbildes dichtenden urchristlichen Gemeingeistes erkannte. Die Gegenschriften gegen dieses Werk bilden eine eigne Literatur, in der kaum ein theologischer und philosophischer Name von Bedeutung fehlt. Seine Antworten auf dieselben erschienen als "Streitschriften" (Tübingen. 1837). Für die persönlichen Verhältnisse des Verfassers hatte die Offenheit seines Auftretens die von ihm stets schmerzlich empfundene Folge, dass er noch 1835 von seiner Repetentenstelle entfernt und als Professoratsverweser nach Ludwigsburg versetzt wurde, welche Stelle von ihm jedoch schon im folgenden Jahr mit dem Privatstand vertauscht wurde.

Früchte dieser ersten (Stuttgarter) Muße waren die "Charakteristiken und Kritiken" (Leipzig. 1839, 2. Aufl. 184) und die Abhandlung "Über Vergängliches und Bleibendes im Christentum" (Altona 1839). Von einer versöhnlichen Stimmung sind auch die in der 3. Auflage des "Lebens Jesu" (1838) der positiven Theologie gemachten Zugeständnisse eingegeben, aber schon die 4. Auflage nahm sie sämtlich zurück. 1839 erhielt Strauß einen Ruf als Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte nach Zürich; doch erregte diese Berufung im Kanton so lebhaften Widerspruch, dass er noch vor Antritt seiner Stelle mit 1000 Franken Pension in den Ruhestand versetzt ward. 1841 verheiratete sich Strauß mit der Sängerin A. Schebest (s. d.), doch wurde die Ehe nach einigen Jahren getrennt. Sein zweites Hauptwerk ist: "Die christliche Glaubenslehre, in ihrer geschichtlichen Entwickelung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft dargestellt" (Tübingen. 1840 1841, 2 Bde.), worin eine scharfe Kritik der einzelnen Dogmen in Form einer geschichtlichen Erörterung des Entstehungs- und Auflösungsprozesses derselben gegeben wird. Auf einige kleine ästhetische und biographische Artikel in den "Jahrbüchern der Gegenwart" folgte das Schriftchen "Der Romantiker auf dem Thron der Cäsaren, oder Julian der Abtrünnige" (Mannheim. 1847), eine ironische Parallele zwischen der Restauration des Heidentums durch Julian und der Restauration der protestantischen Orthodoxie durch den König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

1848 von seiner Vaterstadt als Kandidat für das deutsche Parlament aufgestellt, unterlag Strauß dem Misstrauen, welches die pietistische Partei unter dem Landvolk des Bezirks gegen ihn wachrief. Die Reden, welche er teils bei dieser Gelegenheit, teils vorher in verschiedenen Wahlversammlungen gehalten hatte, erschienen unter dem Titel: "Sechs theologisch-politische Volksreden" (Stuttgart. 1848). Zum Abgeordneten der Stadt Ludwigsburg für den württembergischen Landtag gewählt, zeigte Strauß wider Erwarten eine konservative politische Haltung, die ihm von seinen Wählern sogar ein Misstrauensvotum zuzog, in dessen Folge er im Dezember 1848 sein Mandat niederlegte.

Seiner späteren, teils in Heidelberg, München und Darmstadt, teils in Heilbronn und Ludwigsburg verbrachten Muße entstammten die durch Gediegenheit der Forschung und schöne Darstellung ausgezeichneten biographischen Arbeiten: "Schubarts Leben in seinen Briefen" (Berlin. 1849, 2 Bde.); "Christian Märklin, ein Lebens- und Charakterbild aus der Gegenwart" (Mannheim. 1851); "Leben und Schriften des Nikodemus Frischlin" (Frankfurt. 1855); "Ulrich von Hutten (Leipzig. 1858; 4. Aufl., Bonn 1878), nebst der Übersetzung von dessen "Gesprächen" (Leipzig. 1860); "Herm. Samuel Reimarus" (das. 1862); "Voltaire, sechs Vorträge" (das. 1870; 4. Aufl., Bonn 1877); ferner "Kleine Schriften biographischen, litteratur- und kunstgeschichtlichen Inhalts" (Leipzig. 1862; neue Folge, Berlin. 1866), woraus "Klopstocks Jugendgeschichte etc." (Bonn 1878) und der Vortrag "Lessings Nathan der Weise" (3. Aufl., das. 1877) besonders erschienen. Eine neue, "für das Volk bearbeitete" Ausgabe seines "Lebens Jesu" (Leipzig. 1864; 5. Aufl., Bonn 1889) ward in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Einen Teil der hierauf gegen ihn erneuten Angriffe wies er in der gegen Schenkel und Hengstenberg gerichteten Schrift zurück: "Die Halben und die Ganzen" (Berl.1865), wozu noch gehört: "Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte, eine Kritik des Schleiermacherschen Lebens Jesu" (das. 1865).

Noch einmal, kurz vor seinem am 8. Februar 1874 zu Ludwigsburg erfolgten Tod, erregte Strauß allgemeines Aufsehen durch seine Schrift "Der alte und der neue Glaube, ein Bekenntnis" (Leipzig. 1872; 11.Aufl., Bonn 1881), in welcher er mit dem Christentum definitiv brach, alle gemachten Zugeständnisse zurücknahm und einen positiven Aufbau der Weltanschauung auf Grundlage der neuesten, materialistisch und monistisch gerichteten Naturforschung unternahm. Strauß' "Gesammelte Schriften" hat Zeller herausgegeben (Bonn 1876-78, 11 Bde.; dazu als Bd. 12: "Poetisches Gedenkbuch", Gedichte).

[Dieser Artikel basiert auf dem Artikel aus Meyers Konversationslexikon von 1888-90.] "

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/David_Friedrich_Strau%DF. -- Zugriff am 2003-04-16]


Franz Grillparzer (1791-1872). -- 1842

Und Schelling auch, ein neubekehrter Saulus,
Er fiel vom Pferd, verblüfft durch höhres Licht,
Ob er nun wieder aufstieg oder nicht,
Ob blind, ob sehend spricht er wie ein Paulus.

Erläuterung: Bezieht sich auf  den Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling  (1775 - 1854)


 1843


Hermann von Gilm (1812 - 1864): Aus: Zeitsonette aus dem Pustertal. -- 1843

Ihr sät umsonst; denn euren faulen Kernen
Fehlt jeder Lebenskeim, und eurer Schule
Fehlt der Begeistrung Wort, selbst eure Buhle
Die alte Nacht strahlt nun mit neuen Sternen.

Folgt meinem Rat, euch stille zu entfernen,
Das schnelle Schifflein in dem Weberstuhle
Macht schamrot euch . . . von jeder Baumwollspule
Könnt ihr der Zeiten ew'gen Fortschritt lernen.

Europa fährt mit glühend roten Achsen
An euch vorbei und euren alten Lehren
Und schaut euch an mit Sonnenmikroskopen.


Abb.: "Der Mönche Weisheit ist es längst entwachsen": Franziskaner saufen Franziskanerbier [Bildvorlage: http://www.franziskaner.de/body/_index.php?Farbe=ffe384&Teil=spaten. -- Zugriff am 2004-12-21]

Der Mönche Weisheit ist es längst entwachsen;
Drum geht, die blinden Heiden zu bekehren,
Wir zahlen euch den Dampfer nach den Tropen.


Hermann von Gilm (1812 - 1864): Aus: Zeitsonette aus dem Pustertal. -- 1843

Als deutsche Wissenschaft noch glich dem Bache,
Auf dem die Kinder nur aus Kurzweil schiffen,
Als kaum entknospet war noch unsre Sprache,
Voll jungfräulicher Armut an Begriffen,

Wahrlich, da war's, mit Jesuitenkniffen
Die Menschheit zu verblenden, leichte Sache,
Doch wer an ihr gesündigt, hat vergriffen
Sich an der Gottheit, ihr gebührt die Rache.

Jetzt lachen wir! Ihr könnt uns nimmer lenken
Auf euren alten angefaulten Bänken,
Die Fürstengunst zusammenhält!

Gedanken nur regieren jetzt die Welt!
Und euer Dogma — schaudert nur! — enthält
Das einzige Gebot: Du sollst nicht denken!


1844


Nikolaus Lenau (1802-1850): Veränderte Welt. -- 1844

 Die Menschheit ist dahinter kommen,
Trotz aller Gaukelei der Frommen,
Dass mit dem Leben vor dem Grabe
Man endlich Ernst zu machen habe.

Zerbrochen ist des Wahnes Kette,
Die Erde sei nur Übungsstätte,
Nur Voltigierbock1 sei das Leben,
Aufs Ross werd uns der Himmel heben.

Auf freiem grünem Erdengrunde
Wird jeder bald schon hier, zur Stunde,
Bevor das Grab ihn deckt mit Schollen,
Sein Rösslein weiden, tummeln wollen.

Erläuterung:

1 Voltigierbock = Grätschbock


Abb.: Am Grätschbock [Bildquelle: http://www.tsv-untergruppenbach.de/turnen/grundschul.html. -- Zugriff am 2004-09-22]


Adolf Glaßbrenner (1810 - 1876): Die jüngste Walpurgisnacht <Auszug>. -- 1844

Bleiche Gespenster (im Chor.)

Zur Erde den Blick, zur Erde den Blick
Den Himmel zum Vorwand, die Erde zurück.

Faust (zu Mephistopheles.):

Was tappen Die, als ob's zu helle war',
Mit halb verbundnen Augen hin und her?

Mephistopheles (hustend.):

Das sind die Herren Pi — pi — etisten1;
Sie spielen Blindekuh, die Christen.
Ein Jeder bindet sich die Augen zu,
Und wen er fasst, wird gleichfalls blinde Kuh.

Faust:

Lasst sie nur Feuer speien, die dumme Schwärmerzunft!
Es fließet klar und ruhig der Strom noch der Vernunft!
Er löscht die glühenden Kugeln des Eifers gegen sich.
Und machet die Zeloten2 am Ufer lächerlich!

Erläuterungen:

1 Pietisten: siehe oben

2 Zeloten = Eiferer


Rudolf Löwenstein (1819 - 1891): Freifrau von Droste-Vischering. -- 1844.

Freifrau von Droste-Vischering
Zum heil'gen Rock nach Trier ging;
Sie kroch auf allen Vieren,
Das tat sie sehr genieren,
Sie musst' auf zweien Krücken
Durch dieses Leben rücken.

Sie sprach, als sie zum Rocke kam:
"Ich bin auf allen Vieren lahm,
Du Rock bist ganz unnähtig,
Und ganz entsetzlich gnädig,
Zeig mir dein Gnadenlichte!
Ich bin des Bischofs Nichte."

Da gab der Rock in seinem Schrein
Auf einmal einen hellen Schein;
Das fuhr ihr durch die Glieder,
Sie kriegt das Laufen wieder,
Sie ließ die Krücken drinnen,
Und ging vergnügt von hinnen.

Freifrau von Droste-Vischering
Noch selb'gen Tag zum Tanze ging.
Dies Wunder, göttlich grausend,
Geschah im Jahre Tausend
Achthundert vierundvierzig,
Und wer's nicht glaubt, der irrt sich.

[Quelle: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten : Bd. 1 u. Bd. 2 reprinted u. zusammengebunden / Wolfgang Steinitz
Sonderausg. -- Frankfurt am Main : Zweitausendeins, 1979. --  XLIV, 630 S. : Noten ; 21 cm. --  Nebentitel: Der grosse Steinitz. -- ISBN: 3-88436-101-5. -- Bd. II, S. 146ff]


Anonym: Herr Bischof, die Binsgauer brauchen selber ihr Geld. -- 1844

1. |: Die Binsgauer wollten wallfahrten gehn, : |
|: Den heiligen Rock möchten's auch gern sehn. : |
Zschahi, zschaha, zschaho!
Die Binsgauer sind schon do!
Jetzt schau fein, dass a Jeder
Sein Ranzele ho!

2. Sie zogen weit in fremde, fremde Land,
Und wo sie hinkamen, war'n sie schon gut bekannt.
Zschahi...

3. Als sie nun sind gekommen nach Trier in die Stadt,
Da hör'n sie gleich des Rockes allerneuste Wundertat.
Zschahi...

4. Die Vischering, die kriecht noch morgens auf allen Vieren,
Und Abends geht sie schon ganz gesund spazieren.
Zschahi . . .

5. Nun freut euch, ihr Brüder: wer taub und wer stumm,
Allhier wird er kuriert, und grad gemacht was krumm.
Zschahi . . .

6. Die Binsgauer wollten zum Dom gleich hinein,
Sie konnten's nicht erlangen — am Tor ein Riegelein.
Zschahi ...

7. „O heiliger Rock, wir Binsgauer stehn davor!
Gar weit her sind wir kommen, verschlossen ist das Tor."
Zschahi . . .

8. Da trat der Bischof selber heraußer vor die Tür:
„Ihr Esel höret auf — Eintritt bezahlt man hier!"
Zschahi...

9. Die Binsgauer schier verwundert zum Bischof schaun,
Sie konnten den Esel nit allzuwohl verdaun.
Zschahi...

10. ..Herr Bischof, die Binsgauer brauchen selber schon ihr Geld,
Den Esel doch behaltet, ist besser zu euch gesellt!"
Zschahi...

11. Die Binsgauer schütteln den Staub von die Schuh;
Der Bischof kratzt hinter'n Ohren und macht die Türe zu.
Zschahi . . .

12. ..Bezahlen so viele, so viele kluge Leut,
Und diese dummen Esel, die sind allein gescheit!""
Zschahi. zschahe. zschaho!
Die Binsgauer sind schon do!
Jetzt schau fein, dass a Jeder
Sein Ranzele ho!

[Quelle: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten : Bd. 1 u. Bd. 2 reprinted u. zusammengebunden / Wolfgang Steinitz
Sonderausg. -- Frankfurt am Main : Zweitausendeins, 1979. --  XLIV, 630 S. : Noten ; 21 cm. --  Nebentitel: Der grosse Steinitz. -- ISBN: 3-88436-101-5. -- Bd. II, S. 151f]



Abb.: Der rechte Standpunkt. -- Um 1844

Erläuterung: "Der rechte Standpunkt" war die Zeitschrift der "Lichtfreunde".

"Freie Gemeinden, religiöse Gemeinschaften, die sich von den bestehenden protestantischen Landeskirchen losgesagt und selbständig konstituiert haben (s. Freikirchen). In Preußen rief seit Friedrich Wilhelms IV. Thronbesteigung die pietistisch-orthodoxe Partei durch ihren Anspruch auf Alleinberechtigung in der Kirche eine Reaktion hervor, deren erstes Stadium das Auftreten der Protestantischen Freunde oder, wie sie bald im Volke genannt wurden, der Lichtfreunde bezeichnet. Den Anstoß gab die Maßregelung des Predigers Sintenis in Magdeburg (1840), der gegen die Anbetung Christi gesprochen hatte, und eine daraufhin von dem Prediger Uhlich (s.d.) und 15 andern Geistlichen zu Gnadau abgehaltene Konferenz (1841). Dieser freie Verein, zunächst bestimmt, die Lehrfreiheit der Geistlichen gegen die Konsistorien zu schützen, wuchs sich unter Uhlichs geschickter Leitung zu einer allgemeinern Bewegung aus. Zu Köthen (1844) beantwortete vor etwa 3000 Gesinnungsgenossen der Prediger Wislicenus (s.d.) aus Halle die Frage, ob die Heilige Schrift noch die Norm unsers Glaubens sei, zugunsten des in der Menschheit, insbes. der christlichen, fort und fort lebendigen Geistes der Wahrheit und der Liebe, der auch die Heilige Schrift wesentlich hervorgebracht habe. Dagegen behandelte Guericke (s.d.), Professor in Halle, in der »Evangelischen Kirchenzeitung« die Lichtfreunde als vom Christentum gänzlich Abgefallene. Die Regierungen Preußens und Sachsens schritten gegen die Versammlungen ein. Eine Protestbewegung führte 22. Aug. 1845 zu einer Eingabe des Berliner Magistrats an den König, worin, als dem Charakter des Protestantismus entsprechend, vollkommene Freiheit der Forschung und der Mitteilung auf religiös-kirchlichem Gebiet beansprucht wurde. Der König wies die Einmischung zurück und rügte die damit verbundene Anklage gegen die Kirchenzeitung. Wislicenus wurde 1846 wegen öffentlich ausgesprochener »unchristlicher« Ansichten seines Amtes entsetzt. Inzwischen entstanden F. G. 1846 in Königsberg (Rupp), Halle (G. A. Wislicenus), 1847 in Marburg (Bayrhoffer), Nordhausen (Eduard Baltzer), Halberstadt (E. Wislicenus) u. in Magdeburg (Uhlich, s. diese Artikel). Diese Freien Gemeinden erlangten durch das königliche Patent vom 30. März 1847 in Preußen freie Religionsübung. 1848 spielten die Führer der Lichtfreunde politisch eine große Rolle; Baltzer, Uhlich, Wislicenus saßen im Frankfurter Parlament. Die Zahl der Gemeinden belief sich auf 40. Mit dem Eintreten der politischen Reaktion wurde die Bewegung noch lebhafter; die Demokratie schloss sich offen an das Frei-Gemeindetum an, die immer heftiger werdende Polemik begann sich gegen das Christentum selbst zu richten. 1850 kam es in Köthen zu einer Vereinigung mit den Deutsch-Katholiken (s.d.). Aber die aus dieser Vereinigung hervorgegangene »Religionsgesellschaft freier Gemeinden« fand wenig Anklang, weil man glaubte, dass sie weniger religiöse als politische Zwecke verfolge. Diese Befürchtung veranlasste auch die Regierungen der meisten deutschen Staaten, seit 1850 gegen die Freien Gemeinden einzuschreiten: in Bayern wurde die Gültigkeit ihrer Taufe nicht anerkannt, in Hessen untersagte man das Auftreten der Reiseprediger, in Sachsen wurden die Freien Gemeinden aufgelöst und verboten, in Preußen bekämpfte man sie mit allen gesetzlichen Mitteln. So wurden sie, auch infolge innerer Streitigkeiten, immer schwächer. 1859 schlossen sich 54 Gemeinden in Gotha zu einem Bund freireligiöser, seit 1862 freier religiöser Gemeinden zusammen, die als ihren ersten Grundsatz die freie Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten anerkannten. Ein die Gemeinschaft bindendes Bekenntnis wurde vermieden. Die Bundesversammlung in Braunschweig 1885 war von über 100 Gemeinden und Vereinen beschickt. 1891 betrug die Zahl der Gemeinden 55, zu denen noch 7 außerhalb des Bundes stehende kamen. 1899 wurde sie auf 48 mit rund 22,000 Mitgliedern, 1903 auf 38 mit rund 8800 selbständigen Mitgliedern und rund 22,500 Seelen angegeben. In nähern Beziehungen zum Bunde stehen weitere 11 Gemeinden mit 800, bez. 1500 Mitgliedern. Vorsitzender des Bundes ist Prediger Tschirn in Breslau. Als Zeitschriften freireligiöser Tendenz sind zu nennen: »Die Morgenröte des 20. Jahrhunderts« (Offenbach), »Ostdeutsche Reform« (Königsberg), »Sonntagsblatt für F. G. und deren Freunde« (Breslau), »Das freie Wort« (Frankfurt a. M.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Bildquelle: Wäscher, Hermann <1887–1967>: Das deutsche illustrierte Flugblatt. - Dresden : Verl. der Kunst VEB. -- Bd. 2., Von der Zeit der Restauration bis zur Gegenwart. -- 1956. -- 41 S. : Text mit Abb. u. 119 S. Abb.  -- Abb. 29]


1845


Abb.: Die katholische Kirche versucht das Licht der Wissenschaft auszublasen (Ausschnitt). -- Deutschland. -- Um 1845

[Quelle: Fuchs, Eduard <1870 - 1940>:  Die Karikatur der europäischen Völker. -- München : lange. -- Teil 1: Vom Altertum bis zum Jahre 1848. -- 4., vermehrte Aufl. -- 1921. -- 480 S. : Ill. -- Nach S. 392]


1845/1856


Heinrich Heine (1797-1856): [Zur Teleologie]. -- 1845/1856
Beine hat uns zwei gegeben
Gott der Herr, um fortzustreben,
Wollte nicht, dass an der Scholle
Unsre Menschheit kleben solle.
Um ein Stillstandsknecht zu sein,
Gnügte uns ein einzges Bein.

Augen gab uns Gott ein Paar,
Dass wir schauen rein und klar;
Um zu glauben was wir lesen,
Wär ein Auge gnug gewesen.
Gott gab uns die Augen beide,
Dass wir schauen und begaffen
Wie er hübsch die Welt erschaffen
Zu des Menschen Augenweide;
Doch beim Gaffen in den Gassen
Sollen wir die Augen brauchen
Und uns dort nicht treten lassen
Auf die armen Hühneraugen,
Die uns ganz besonders plagen,
Wenn wir enge Stiefel tragen.

Gott versah uns mit zwei Händen,
Dass wir doppelt Gutes spenden;
Nicht um doppelt zuzugreifen
Und die Beute aufzuhäufen
In den großen Eisentruhn,
Wie gewisse Leute tun -
(Ihren Namen auszusprechen
Dürfen wir uns nicht erfrechen -
Hängen würden wir sie gern.
Doch sie sind so große Herrn,
Philanthropen, Ehrenmänner,
Manche sind auch unsre Gönner,
Und man macht aus deutschen Eichen
Keine Galgen für die Reichen.)

Gott gab uns nur eine Nase,
Weil wir zwei in einem Glase
Nicht hineinzubringen wüssten,
Und den Wein verschlappern müssten.

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppeltmäulig wär,
Fräß und lög er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muss er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.

Mit zwei Ohren hat versehn
Uns der Herr. Vorzüglich schön
Ist dabei die Symmetrie.
Sind nicht ganz so lang wie die,
So er unsern grauen braven
Kameraden anerschaffen.
Ohren gab uns Gott die beiden,
Um von Mozart, Gluck und Hayden
Meisterstücke anzuhören -
Gäb es nur Tonkunst-Kolik
Und Hämorrhoidal-Musik
Von dem großen Meyerbeer,
Schon ein Ohr hinlänglich wär! -

Als zur blonden Teutolinde
Ich in solcher Weise sprach,
Seufzte sie und sagte: Ach!
Grübeln über Gottes Gründe,
Kritisieren unsern Schöpfer,
Ach! das ist, als ob der Topf
Klüger sein wollt als der Töpfer!
Doch der Mensch fragt stets: Warum?
Wenn er sieht, Dass etwas dumm.
Freund, ich hab dir zugehört,
Und du hast mir gut erklärt,
Wie zum weisesten Behuf
Gott den Menschen zwiefach schuf
Augen, Ohren, Arm' und Bein',
Wahrend er ihm gab nur ein
Exemplar von Nas und Mund -
 

Doch nun sage mir den Grund:
Gott, der Schöpfer der Natur,
Warum schuf er einfach nur
Das skabröse Requisit,
Das der Mann gebraucht, damit
Er fortpflanze seine Rasse
Und zugleich sein Wasser lasse?
Teurer Freund, ein Duplikat
Wäre wahrlich hier vonnöten,
Um Funktionen zu vertreten,
Die so wichtig für den Staat
Wie fürs Individuum,
Kurz fürs ganze Publikum.
Zwei Funktionen, die so greulich
Und so schimpflich und abscheulich
Miteinander kontrastieren
Und die Menschheit sehr blamieren.
Eine Jungfrau von Gemüt
Muss sich schämen, wenn sie sieht,
Wie ihr höchstes Ideal
Wird entweiht so trivial!
Wie der Hochaltar der Minne
Wird zur ganz gemeinen Rinne!
Psyche schaudert, denn der kleine
Gott Amor der Finsternis,
Er verwandelt sich beim Scheine
Ihrer Lamp - in Mankepiss.

Also Teutolinde sprach,
Und ich sagte ihr: Gemach!
Unklug wie die Weiber sind,
Du verstehst nicht, liebes Kind,
Gottes Nützlichkeitssystem,
Sein Ökonomie-Problem
Ist, Dass wechselnd die Maschinen
Jeglichem Bedürfnis dienen,
Den profanen wie den heilgen,
Den pikanten wie langweilgen, -
Alles wird simplifiziert;
Klug ist alles kombiniert:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er seinesgleichen
Auf demselben Dudelsack
Spielt dasselbe Lumpenpack.
Feine Pfote, derbe Patsche,
Fiddelt auf derselben Bratsche,
Durch dieselben Dämpfe, Räder
Springt und singt und gähnt ein jeder,
Und derselbe Omnibus
Fährt uns nach dem Tartarus.


1846


Franz Grillparzer (1791-1872): Christliche Liebe. -- 1846

Wenn Hilfe du in Not begehrst,
Hemmt niemand seinen Lauf,
Die Meinung, die du leicht entbehrst,
Dringt dir ein jeder auf.


August Wilhelm Schlegel (1767-1845): Der Prophet des jüngsten Tages. -- 1846

Sankt Obesus1 saß nach Tische,
Alle Westenknöpfe los,
In des Gartensaales Frische,
Auf des Sofas weichem Schoß.

Mit den runden Armen hielt er
Seinen Bauch gelind' umspannt,
Und mit Einem Daume spielt' er
Um den Daum der andern Hand.

Schlummernd fast, doch geistig wacht' er
In beschaulich sel'ger Ruh;
Seine Mahlzeit überdacht' er,
Manchen guten Trunk dazu.

»Schmackhaft sind die Gottesgaben,
Stärkend einem frommen Mann.
Dass sie nicht die Sünder laben,
Nehm' ich ein, soviel ich kann.«

Mühsam ist es, erst zu kauen,
Leicht ist auch das Schlürfen nicht;
Mühsam ist es, zu verdauen:
Doch ich halt' auf meine Pflicht.

Siede den Kaffee nun, Grete!
Zwar des Mahomet Geschenk.
Lügenhaft war der Prophete,
Aber gut ist sein Getränk.

Ach! die Welt liegt ganz im Argen;
Seelentrost bedarf ich sehr.
Mahnen mich doch gar die Kargen,
Wollen mir nicht borgen mehr.

Wir, die Heil'gen sollten leben
Von der andern Schweiß und Gut.
Aber nichts umsonst will geben
Diese aufgeklärte Brut.

Waffne dich mit Ungewittern,
Herr, zu strengem Strafgericht!
Lass das freche Weltkind zittern,
Das von Schuld und Zahlung spricht!

Jeder Schuldschein ist zerrissen,
Wann der jüngste Tag erscheint;
Und er kommt, das sollt ihr wissen,
Böse Gläub'ger, eh' ihr's meint.

Innerlich erleuchtet, weiß ich,
Was in Zukunft wird geschehn.
Achtzehnhundert drei und dreißig
Wird die Welt in Brand vergehn.

Dann beginnt das Reich, das tausend
Jahr' in Freuden wird bestehn.
Mit den Auserwählten schmausend
Will ich dieses Fest begehn.

Erläuterung: obesus (lat.) = wohlgenährt, fett, feist


August Wilhelm Schlegel (1767-1845): Causa finalis. -- 1846

Die Schüler.

Bricht nun der jüngste Tag herein
In's Jammerthal auf Erden:
Was wird denn aus der Milchstraß' fein
Am Himmel droben werden?


Der Prophet.

Die Milchstraß' wird sich kirchlich schön
Zum Kreuze figurieren,
Das tausendjähr'ge Reich erhöh'n,
Und unsre Tafel zieren.

Erläuterung: causa finalis = Zweckursache


1847


Franz Grillparzer (1791-1872): Philosophenversammlung. -- 1847


Sie haben einen Gott dekretiert,
Von nun an fehlt ihm kein Jota,
Das Wort ward nicht Fleisch in Bethlehem,
Die Krippe datiert sich von Gotha.

Erläuterung: Bezieht sich auf die Erste Philosophenversammlung, die im September 1847 in Gotha stattfand. Sie nahm Stellungnahme zum gegen die Hegelianer gerichteten Vorwurf des Atheismus.


1848


Franz Grillparzer (1791-1872). -- 1848

Hör ich den Weltgeist euch zitieren,
So find ich das begreiflich meist,
Glück auf! leiht euch die Welt den ihren,
Denn ihr habt keinen eignen Geist.



Abb.: Der Brief der Gottesmutter hat bis 2004 noch nichts genützt: Die "Wallfahrt der Völker" zum Mitteleuropäischen Katholikentag nach Mariazell vom 21. bis 23. Mai 2004 führte 100.000 Pilger aus insgesamt acht Staaten zusammen

Vom Himmel gefallener Brief der Mariazeller1 Mutter Gottes an die Österreicher und besonders an die Wiener. -- 1848-04-13

Meine lieben Christen!

... Nachdem ich eben so wie Ihr von der Zensur stets verhindert war, offen mit Euch zu reden, so kann ich erst jetzt, mit Erlaubnis des lieben Kaisers Ferdinand2, Der auch bei mir im Himmel schon „Der Gütige" genannt wird, die Gelegenheit benützen und Euch dringend nachfolgende Worte ans Herz legen:

„Die Mehrzahl der zu mir Wallfahrenden hat eine bloße Landpartie im Sinne, und dazu könnten sie sich doch eine andere Gegend wählen, damit sie erstens nicht der Scheinheiligkeit beschuldigt, und zweitens von den schuftigen Wirten auf der Strasse zu mir, nicht so schändlich geprellt werden können. Die ledigen Wallfahrer benützen die ganze Zeit des Weges und der Nachtherberge zu unsittlichen Handlungen und Reden, was mit religiösen Absichten in größten Widerspruche steht. Nicht, dass ich die herzliche Annäherung liebender Jünglinge und Mädchen missbillige, im Gegenteile, es freut mich dieses schönste Gefühl des menschlichen Lebens, aber wozu muss man nach Mariazell, um sich zu lieben? Ihr bringt so viele Gelder zu mir, dass dafür Messen gelesen werden ... Ich sage Euch offen, dass nicht der zehnte Teil dieser bezahlten Messen gelesen wird, weil hiezu die Geistlichen von ganz Niederösterreich, und wenn sie für drei Zahlungen Eine Messe lesen, nicht hinreichen würden ... Habt Ihr wirklich so viel überflüssiges Geld, so bitte ich Euch, dieses jetzt, in so wichtigen Zeiten, auf den Altar des Vaterlandes nieder zu legen, denn damit ist auch mir zugleich gedient. Die Rettung des Vaterlandes sichert Euch freies Gebet zu Gott... Um Euch noch besser zu beweisen, dass mir mit meinen Worten Ernst ist, werde ich so bald als möglich alle meine in Zell aufgehäuften Schätze dem Kaiser Ferdinand dem Gütigen schicken, und ich bin gewiss, dass er sie zu guten Zwecken verwenden wird ..."

Wien, am 13. April

aufgefangen von Anton Janisch.

Erläuterungen:

1 Mariazell

"Die Bedeutung der Wallfahrtskirche Mariazell

Kaum eine andere Wallfahrtsstätte der Welt kann auf eine derart beeindruckende Vergangenheit zurückblicken.

Der Überlieferung nach wurde Mariazell am 21. Dezember 1157 gegründet. Eine Bauinschrift über dem Hauptportal mit der Jahreszahl 1200 lässt diese Zeit als Baubeginn der romanischen Kapelle annehmen. Die erste urkundliche Erwähnung von "Cell" finden wir 1243. Im Jahre 1330 ist die Kirche unserer Lieben Frau zu Zell in einer Ablassurkunde des Salzburger Erzbischofs Friedrich III. als viel besuchter Wallfahrtsort quellenmäßig belegt, bereits 1344 erhielt der Ort das Marktrecht. Von großer Bedeutung für Mariazell war die 1399 erfolgte Verleihung eines vollkommenen Ablasses durch Papst Bonifaz IX. Er wurde für die Woche nach der Oktav von Mariae Himmelfahrt gewährt und führte zur Ausbildung von Bußriten und Prozessionen, die auch nach der Aufhebung dieses Ablasses lebendig blieben und bis in die Barockzeit hinein nachweisbar sind. Der Pilgerstrom nahm ständig zu.

Um 1400 gab es bereits an die zwei Dutzend Verkaufsstände für Votivgaben, und etwa hundert Jahre später war Mariazell als Wallfahrtsort international bekannt. Pilger aus der Gegend des heutigen Bayern, Böhmen, Frankreich, Italien, Kroatien, Polen, Deutschland, Schweiz, vor allem aber aus Österreich und Ungarn suchten schon damals die Hilfe der Mariazeller Gnadenmutter.
Nach dem Ende der Gegenreformation erlebte Mariazell eine besondere Blütezeit als Nationalheiligtum des Hauses Habsburg, das nicht nur sein persönliches Schicksal, sondern das ganze Land und seine Bevölkerung dem Schutz Mariazells anvertraute. Die Vorbildwirkung der Herrscherfamilie bewog die Angehörigen des Adels und des Bürgertums und schließlich auch die bäuerliche Bevölkerung, nach Mariazell zu pilgern. Die gotische Kirche konnte die große Pilgerzahl nicht mehr beherbergen, daher entschloss sich Abt Benedikt Pierin von St. Lambrecht zur barocken Erweiterung, die der Kirche ihr charakteristisches Aussehen gab. Die Stadterhebung im Jahre 1948 ist nicht der Größe des Ortes zu verdanken, sondern der Bedeutung als kirchliches und kulturelles Zentrum weit über die Grenzen Österreichs hinaus.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges ist es auch Pilgern aus den östlichen und südlichen Nachbarstaaten Österreichs wieder ungehindert möglich, nach Mariazell zu kommen. Bei einer Einwohnerzahl von knapp 2000 rechnet man pro Jahr mit über einer Million Pilgern und Besuchern Mariazells.

Die Geschichte der Wallfahrtskirche Mariazell

Die Legende berichtet folgende Gründungsgeschichte: Abt Otker vom Benediktinerkloster St. Lambrecht sandte im Jahre 1157 einen Mönch namens Magnus in die Mariazeller Gegend, die zum Besitz des Klosters gehörte. Jener Mönch sollte die Seelsorge der dort lebenden Menschen übernehmen. Mit Erlaubnis des Abtes durfte er seine aus Lindenholz geschnitzte Marienstatue auf die weite Reise mitnehmen. Am Abend des 21. Dezember versperrte ihm nahe des Zieles ein Felsblock den Weg. Magnus wandte sich Hilfe suchend an die Muttergottes, worauf sich der Felsen spaltete und den Weg freigab. Am Ziel angekommen, stellte der Mönch die Statue auf einen Baumstrunk und begann eine "Zelle" zu bauen, die als Kapelle und gleichzeitig als Unterkunft für ihn selbst diente. Maria in der Zelle gab dem Ort seinen Namen. Die Marienstatue wurde zum berühmten Gnadenbild, das noch heute als Magna Mater Austriae, als große Mutter Österreichs, verehrt wird.

Die ersten prominenten Pilger waren Markgraf Heinrich von Mähren und seine Gattin, die sich auf eine Weisung des hl. Wenzel hin auf den Weg nach Mariazell machten und von einer schweren Gichterkrankung geheilt wurden. Als Dank für diese Heilung ließ der Markgraf im Jahre 1200 rund um die Zelle eine romanische Kapelle errichten.

Der Bau der gotischen Kirche steht in engem Zusammenhang mit König Ludwig I. von Ungarn. Er besiegte 1365 im Namen der Gottesmutter ein feindliches Reiterheer und stiftete das wertvolle Madonnenbild, welches noch heute am Altar der Schatzkammer vor allem von ungarischen Gläubigen verehrt wird. Vom gotischen Bau sind noch der Mittelturm und das barock umgestaltete Langhaus erhalten.

Der nach der Gegenreformation wieder erstarkte Katholizismus und die barocke Volksfrömmigkeit bewirkten im 17. Jahrhundert einen stärkeren Wallfahrerzustrom. Abt Benedikt Pierin von St. Lambrecht beauftragte daher mit Unterstützung Kaiser Ferdinands III. den Um- und Neubau der alten Kirche nach Plänen des St. Lambrechter Stiftsbaumeisters Domenico Sciassia.

Der barocke Erweiterungsbau entstand ab 1644 innerhalb von ca. 50 Jahren unter den Äbten Benedikt Pierin und Franz von Kaltenhausen. Die vier freien Pfeilerpaare der gotischen Hallenkirche mit ihren fünf Jochen wurden ummantelt und die Gewölbe mit Stuckaturen und Malereien geschmückt. An das ursprüngliche dreischiffige Langhaus wurden je fünf Seitenkapellen mit darüber liegenden Emporen zwischen den Strebepfeilern angefügt und die Wände durchbrochen,

Durch die großen Fenster auf den Emporen erzielte Sciassia den für die Wirkung des Innenraumes so entscheidenden Lichteinfall. Der gotische Chor im Osten musste 1654 vollständig abgebrochen werden, um Platz für die barocke Raumfolge zu schaffen. Das Langhaus wird durch eine Flachkuppel mit angrenzenden Nebenschiffen und Kapellen fortgesetzt. An die dynamische längsovale Kuppel fügen sich die beiden Sakristeien, Nebenräume und das Presbyteriurn in meisterhafter Weise an. Durch das Vortreten der Sakristeibauten erhält die Kirche einen kreuzförmigen Grundriss. Der Chor ist etwas schmäler als das Mittelschiff und rechteckig, wodurch der Bau einen flachen Abschluss erhält. Durch die Fortsetzung des Langhauses nach Osten erzielte Sciassia einen großzügigen Raum, der die Wallfahrergruppen aufnehmen konnte. Stuckaturen und Fresken verbinden alle Raumteile und verunklären die ursprüngliche Raumwirkung der gotischen Halle mit den birnstabprofilierten Rippen des Kreuzgewölbes. Die gotische Halle ist 42 m lang, 20 m breit und 19 m hoch. Die Gesamtlänge der Kirche beträgt 84 m, die Breite 30 m.

Domenico Sciassia starb 1679 in Mariazell, vier Jahre vor der Vollendung seines Werkes. Er wurde in der Gruft im südlichen Seitenschiff beigesetzt. Mit der Konsekration des Hochaltars durch Abt Franz von Kaltenhausen von St. Lambrecht erfolgte am 31. August 1704 der Abschluss der barocken Umgestaltung der Basilika.

Ein schwerer Schlag für Mariazell war die Aufhebung des Mutterklosters St. Lambrecht in den Jahren 1786 bis 1802. Mariazell blieb auch nicht von staatlich verordneten Silberablieferungen, wie zum Beispiel zur Finanzierung der Franzosenkriege um 1800, verschont. Zahlreiche Kunstschätze mussten eingeschmolzen werden. Im Ersten Weltkrieg war man sogar zur Ablieferung des Kupferdaches gezwungen.

Beim großen Brand von 1827 wurden Dach und Turmhelme völlig zerstört, auch die Glocken schmolzen. Das Innere der Kirche blieb jedoch größtenteils verschont. Zur Behebung der Schäden trug die ganze Monarchie bei. Im Jahr 1907 wurde die Kirche zur Basilika minor erhoben, die päpstliche Krönung der Gnadenstatue erfolgte 1908 durch den Nuntius. Die Wallfahrt nach Mariazell lebt ungebrochen weiter. Mariazell ist auch heute einer der größten Wallfahrtsorte Mitteleuropas. "

[Quelle: http://www.basilika-mariazell.at/. -- Zugriff am 2005-02-08]

2 Ferdinand der Gütige

"Ferdinand I. (als König von Böhmen und Ungarn Ferdinand V.) Karl Leopold Joseph Franz Marcellin, Kaiser von Österreich, ältester Sohn des Kaisers Franz I. und der Maria Theresia, Prinzessin beider Sizilien, wurde 19. April 1793 in Wien geboren, starb 29. Juni 1875 in Prag. Von früher Jugend an von sehr schwächlicher Konstitution, erhielt er eine seiner künftigen Bestimmung wenig entsprechende Erziehung, zeichnete sich aber durch Menschenfreundlichkeit und Herzensgüte aus. Seine Lieblingsstudien waren heraldische und technologische, außerdem zog ihn die Landwirtschaft an. Erst seit 1829 wohnte er den Sitzungen des Staatsrats bei und wurde vom Kaiser mit der Unterschrift und mit der Erledigung bestimmter Geschäfte beauftragt. Am 28. Sept. 1830 wurde er (als Ferdinand V.) zu Pressburg zum König von Ungarn gekrönt. Am 12. Febr. 1831 vermählte er sich mit Maria Anna Carolina Pia (geb. 19. Sept. 1803, gest. 4. Mai 1884), einer Tochter König Viktor Emanuels von Sardinien. Am 9. Aug. 1832 entging er glücklich einem Attentat durch den pensionierten Hauptmann Franz Reindl, verfiel aber in lange Krankheit. Am 2. März 1835 folgte er seinem Vater auf dem Kaiserthron. Die Leiter der Regierung (»Staatskonferenz«) waren sein Oheim Erzherzog Ludwig, sein Bruder Erzherzog Franz Karl, Fürst Metternich und Graf Kolowrat. Am 7. Sept. 1836 empfing er in Prag die Krone von Böhmen, und 6. Sept. 1838 wurde er zum König der Lombardei gekrönt. Bei dieser Gelegenheit erteilte er eine allgemeine Amnestie für alle bisher stattgehabten politischen Vergehen seiner Untertanen in den italienischen Provinzen. Bei Ausbruch der Unruhen im Frühjahr 1848 begab sich Ferdinand mit seinem Hof zuerst nach Innsbruck, kehrte Mitte August 1848 nach Wien zurück, um dann beim Ausbruch des Oktoberaufstandes nach Olmütz zu gehen, und hier legte er, da seine Ehe kinderlos war, 2. Dez. 1848 zugunsten seines Neffen Franz Joseph die Regierung nieder. Seitdem lebte er in völliger Zurückgezogenheit meist in Prag."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Quelle: 1848 : Protokolle einer Revolution / eine Dokumentation von Kurt Mellach, eingeleitet von Gerhard Fritsch. -- Wien ; München : Verl. für Jugend u. Volk, 1968. -- 189 S. : Ill. ; 4°. -- S. 46]


Nicht genau datiert (Todesdatum der Autoren bis 1848)


Die fromme Magd. --. Aus: Des Knaben Wunderhorn, Bd. 1

Eine fromme Magd von gutem Stand,
Geht ihrer Frauen fein zur Hand,
Hält Schüssel, Tisch und Teller weis,
Zu ihrem und der Frauen Preis.

Sie trägt und bringt kein neue Mähr,
Geht still in ihrer Arbeit her,
Ist treu und eines keuschen Muths,
Und tut den Kindern alles Guts.

Sie ist auch munter, hurtig, frisch,
Verbringet ihr Geschäfte risch,
Und hälts der Frauen wohl zu gut,
Wenn sie um Schaden reden tut.

Sie hat dazu ein fein Gebärd,
Hält alles sauber an dem Herd,
Verwahrt das Feuer und das Licht,
Und schlummert in der Kirche nicht.


Aufklärung. --. Aus: Des Knaben Wunderhorn, Bd. 3

Fliegendes Blatt in Preußen.

Was soll ich tun, was soll ich glauben?
Und was ist meine Zuversicht?
Will man mir meine Zuflucht rauben,
Die mir des Höchsten Wort verspricht?
So ist mein Leben Gram und Leid
In dieser aufgeklärten Zeit.

Ein jeder schnitzt sich nach Belieben
Jetzt selber die Religion;
Der Teufel, heißt es, ist vertrieben,
Und Christus ist nicht Gottessohn;
Und nichts gilt mehr Dreieinigkeit,
In dieser aufgeklärten Zeit.

Die Taufe, das Kommunizieren,
Ist für die aufgeklärte Welt
Nur Torheit wie das Kopulieren,
Und bringet nur den Priestern Geld,
Der Kluge nimmt ein Weib und freit
Nach Art der aufgeklärten Zeit.

Der Ehebruch ist keine Sünde,
Noch weniger die Hurerei;
Und obs gleich in der Bibel stünde,
Steht doch der Galgen nicht dabei.
Drum ist's galante Sittlichkeit
In dieser aufgeklärten Zeit.

Der Aufgeklärte folgt den Trieben,
Und diese sind ihm Glaubenslehr;
Was Gottes Wort ihm vorgeschrieben,
Das deucht ihm fabelhaft und schwer.
Dem Pöbel ist es nur geweiht
Und nicht der aufgeklärten Zeit.

Die Tugend sucht man zwar zu preisen,
Als die alleine selig macht;
Doch nur den Glauben zu verweisen,
Weil der uns unsre Laster sagt.
Und Laster suchet man nicht weit
In dieser aufgeklärten Zeit.

So liegt nun in dem Sündenschlafe
Das ganze aufgeklärte Land;
Weil auch die ewge Höllenstrafe
Ist glücklich aus der Welt verbannt.
Denn jeder hofft Barmherzigkeit
In dieser und in jener Zeit.

So schreiben alle Antichristen,
Weil es dem Leichtsinn wohlgefällt;
Denn diese sind als Kanzelisten
Vom Satan selber angestellt:
Durch sie gewinnt der Teufel mehr,
Als wenn er selbst zugegen wär.

O lasst mich doch bei meiner Bibel,
Lasst mich in meiner Dunkelheit:
Denn ohne Hoffnung wird mir übel,
Bei dieser aufgeklärten Zeit;
Und ohne Hoffnung bin ich hier
Ein elend aufgeklärtes Tier.

Drum Thoren sprecht, ich mag nichts hören,
Verschonet mich mit eurem Gift;
Gesetzt, wenn es auch Fabeln wären,
Das, was ich lese in der Schrift;
So macht mich doch dies Fabelbuch
Zum Leben und zum Sterben klug.

Es spricht: Erwach vom Sündenschlafe,
Du töricht aufgeklärtes Land;
Es naht die schwere Höllenstrafe,
Der böse Feind ist nicht verbannt;
Ich will euch lesen aus dem Buch
Im Unglück gibt's mir Ruh genug.


David und Salomo waren große Sünder,
sie hatten schöne Weiber lieb und zeugten viele Kinder;
da kamen sie ins Alter,
macht' der eine Sprüch und der andre Psalter


Johann Matthias Dreyer (1717 - 1769): Die Religion

Sie war zunächst natürlich, leicht und rein,
Drauf traf die Schrift und der Gewinn hinein,
Die gaben ihr Geheimnis und Gebräuche,
Dem Volke Furcht, den Priestern dicke Bäuche


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809): Der Mönch in Madras

Ein junger Mönch aus Portugal
Kam einst nach Madras1. Gut und bieder
War dieser. Alle seine Brüder
Sind heißt es, nicht in diesem Fall;
Vielleicht, ich lass es unentschieden,
Ein Ketzer kann nicht Richter sein.
Ein großer Gasthof bot dem Müden
Ein Obdach an; er trat hinein,
Ließ sich vom Wirt ein Stübchen weisen,
Und wünschte zu Mittag zu speisen.
Vergessend dass es Freitag2 war,
Stellt John ihm einen Schinken dar.
"Ich darf heut keinen Schinken essen,"
Rief unser junger Ordensmann
Und tat ihn heimlich in den Bann.
"Go damn! so mögt ihr Steine fressen!
Bin ich bezauberrt," fluchte John,
"Heut haben mich drei Fremde schon
Mit meinem Schinken abgewiesen."
"Dies sind gewiss drei Portugiesen,"
Denkt Sixtus, "Christen echten Schrots,
Und treue Täter des Gebots
Der heil'gen Kirche. — Eine Bitte,
Herr Wirt, sind diese Herrn noch da?" —
"Ja wohl; sie wohnen hier ganz nah
Bei Eurer Stube," sprach der Britte.
Sixt öffnet still die nächste Tür
Und fragt: "Wohn nicht ein Fremder hier,
Der einen Schinken abgeschlagen?"
"Ja,", sprach ein Rabbi3, "weil es mir
Mein Gott und Moses untersagen."
Sixt murrt und eilt zur zweiten Tür,
"Herr Nachbar," sprach er, "darf ich fragen —
Ich bin doch recht? — weswegen Ihr
Heut einen Schinken ausgeschlagen?"
"Ei!" rief ein Derwisch4, "weil es mir
Gott und der Koran untersagen." —
Bestürzt schlich Sixt zur dritten Tür
Und sprach zum silbergrauen Greise,
Den er erblickte: "Find' ich hier
Den Sohn der Kirche, der die Speise,
Die sie des Freitags uns verbeut5,
Zurückwies?" — "Bruder," sprach halbleise
Der Greis mit sanfter Freundlichkeit,
"Die Götter und der Vedam6 wehren
uns Brahmen7 heut und allezeit
Das Fleisch der Tiere zu verzehren:"
"Gut!" rief der Mönch, "nun bin ich klug.
Mein Tage will ich's nie vergessen:
Es sei zum Christen nicht genug,
Am Freitag keinen Schinken essen."

Erläuterungen:

1 Madras = heute Chennai in Südindien

2 Freitag: früher galt in der katholischen Kirche das Freitagsgebot: an Freitagen durfte man kein Fleisch essen, statt dessen aber Fisch und andere angebliche "Kaltblütler"

3 Rabbi = jüdischer Lehrer. Juden ist das Essen von Schweinefleisch verboten.

4 Derwisch = Angehöriger eines muslimischen Sufi-Ordens. Muslimen ist das Essen von Schweinefleisch verboten.

5 verbeut = verbietet

6 Vedam = Veda (heilige Schrift der Hindus)

7 Brahmen = Brahmanen (Angehörige des geistlichen Standes der Inder). Fromme Brahmanen leben vegetarisch.


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809): Der Schlüssel des Paradieses

Vor Zeiten, da der Teufel noch
Das Christenvolk vexierte,
Und bald in eine Kutte kroch,
Bald sich als Bock maskierte,
Verschied an einem Blasenstein
Der Domdechant zu Köln am Rhein,
Ein Greis von sechzig Jahren.

Er hatte still und froh gelebt,
Viel Schulwitz nie besessen,
Nach hohen Dingen nie gestrebt,
Oft sein Brevier vergessen.
Doch nie die Armen. Diesen war
Er Vater. Auch sang eine Schar
Von Waisen ihm zu Grabe.

Sein Geist war nach der Oberwelt
Allmählich aufgeflogen.
Schon wallt er durch das Sternenfeld
Auf weichen Ätherwogen;
Doch itzt erblickt ihn Satanas
Und fasst den Vorsatz, einen Spaß
Mit dem Kompan zu haben.

Er stellt sich schnell auf seine Bahn
Im Glanz verklärter Frommen
Und redet voller Huld ihn an
"Sei, Fremdling, mir willkommen;
Wer bist du? wie wirst du genannt?"
"Paul Thomas Peter, Domdechant
Des Hochstifts Köln am Rheine."

"So wär' ich ja dein Schutzpatron,"
Rief Satan frohen Mutes:
"Ich bin Sankt Thomas. Doch, mein Sohn,
Was schaffest du hier Gutes?
Wen suchst du?" — "Herr, den rechten Pfad
In's Paradies; dein guter Rat
Wird mich ihn finden lassen."

"Warst du," so sprach der arge Feind,
"Ein Blutzeug, ein Bekenner?
Das Paradies, mein guter Freund,
Ist nur für solche Männer.
Ein Weichling, der auf Daunen ruht,
Der wenig glaubt und gar nichts tut,
Ist nicht dazu erkoren."

"Wie, du verdammst mich?" sprach der Greis,
"Und rügest meinen Glauben?
Stand doch der deine, wie man weiß,
Auf ziemlich lockern Schrauben.
Oft fand ich dunkel, was ich las;
Doch deutsch gesagt, dein Credo saß
In deinen Fingerspitzen."

"Verwegner!" rief die Luftgestalt,
"Du darfst noch mit mir rechten?
Geh', suche selbst den Aufenthalt,
Der allen Mammonsknechten
Beschieden ist. Geh, schnöder Wurm!"
So sprach der Kobold, und ein Sturm
Riss brausend ihn von hinnen.

Der Pilger staunt. Er wusste kaum
Vor Unmut sich zu fassen,
Und schweifte taumeln, wie im Traum,
Durch die saphirnen Gassen
Des Weltsystems; als ihn ein Mann
Mit einem Schwert, dem Blut entrann,
Am Rock von hinten zupfte,

"He, Freund!" sprach der verkappte Schalk,
Halb spöttisch, halb mit Güte,
"Du schwärmst ja flinker als ein Falk
Durch's luftige Gebiete.
Wer bist du? wie wirst du genannt?"
"Paul Thomas Peter, Domdechant
Des Hochstifts Köln am Rheine."

"o Lass von Deinem Schutzpatron,"
Sprach Satan, "dich umfangen!
Ich bin Sankt Paulus. Doch mein Sohn,
Was ist hier dein Verlangen?
Wen suchst du?" — "Herr, den rechten Pfad
In's Paradies; dein guter Rat
Wird mich ihn finden lassen."

"Hier ist mein Rat: flieh', Gleisner, flieh',
Du wirst mich nie berücken;
Des Pharisäers Hand soll nie
Die Rosen Edens pflücken." —
"Selbst Pharisäer!" schluchzte Paul,
"Ich sehe wohl, du bist noch Saul,
Der schnaubende Verfolger."

"Ha, Frevler!" brüllt der Feind und hackt
Ihm knirschend nach dem Kopfe;
Doch flugs erscheint ein Greif und packt
Den Waller bei dem Schopfe,
Und führet ihn in einem Ruck,
Wie dort der Geist den Habakuk,
An's Tor des Paradieses.

Hier steht im purpurnen Gewand
Ein Mann. Drei Kronen drücken
Sein Haupt, indessen seine Hand
Zween goldne Schlüssel schmücken.
Der Greis erkennt ihn, fällt auf's Knie
Und lallt entzückt die Litanie
Des Fürsten der Apostel.


Abb.: St. Petrus im Festornat, Petersdom, Vatikan

"Wer ist, was will der graue Fant?"
Rief wie aus dumpfem Wetter
Der Fürst. — "Ich bin der Domdechant
Von Köln, dein Namensvetter.
Von Paul und Thomas ohne Schuld
Enttäuscht, hoff ich, deine Huld
Wird mir den Himmel öffnen."

"Warst du vielleicht ein Edelmann?" —
"Ja wohl, ein Knapp' aus Mähren." —
"Das dacht' ich, armer Freund! ich kann
Dein Flehn dir nicht gewähren:
Die neue Konstitution
Hat jedem stolzen Ritterssohn
Das Himmelreich verschlossen."

"Bin ich verrückt? wie, oder ist
Heut' Fastnacht hier zu Lande?
Du wärst ein Papst? der Antichrist
Bist du! — Zu Christi Schande
Trägst du der Schlüssel goldnes Paar
Und dein Geschäft ist, was es war,
Den Meister zu verleugnen."

Kaum sprach der alte Kavalier
Das Wort zum falschen Wächter,
So knarrt die goldne Himmelstür.
Mit wildem Hohngelächter
Verschwand der purpurne Prälat
Und Petrus echter Schatten trat
An des Betrügers Stelle.

Nicht blutrot, weiß war sein Talar,
Kein Kronenturm entweihte
Sein Haupt. Ein Kranz von Palmen war
Sein Zierrat, sein Geleite
Sankt Paul und Thomas, hehr und mild;
Sonst alle drei dem Nachgebild
Des Tausendkünstlers ähnlich.

Der Pilger fällt auf's Angesicht
Und bebt an allen Gliedern.
"Steh auf," sprach Peter, "zittre nicht,
Du bist bei deinen Brüdern.
Wer warst du?" — "Herr, der Kirche Knecht." —
"Wie lebtest du?" — "So schlecht und recht." —
"Wer erbte dich?" — "Die Armen."

"Komm, Sohn, wir alle kennen dich,"
Sprach Peter, "lass dich küssen.
Traun! du vermagst auch ohne mich
Den Himmel aufzuschließen.
Wer schlecht und recht gelebet hat
Und seinen Brüdern Gutes tat,
Hat selber einen Schlüssel."


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809): Der Schlächter und der Ochse

Ein Fleischerknecht in Heliopolis,
Der einen Stier im Schlachthaus töten sollte,
Schlug fehl, indem er ihm den Kopf zerschmettern wollte.
Der Ochse, der zugleich den Strick zerriss,
Der ihn gebunden hielt, entlief des Mörders Keule.
Im Fliehen bot sich ihm ein offner Tempel dar.
Gleich einem abgedrückten Pfeile
Schoss er hinein und sprang auf den Altar.
Der Knecht verfolgte ihn, erreicht des Tempels Pforte
Und sieht den Stier an dem geweihten Orte
Vor Angst versteinert stehn. Kaum wagt er's, sich zu nahn;
Er bebt an jedem Glied, wirft sich zur Erde nieder
Und betet ihn als Apis an.
Der Schlächter hat noch viele Brüder


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809): An einen Exegeten

Du legst die Bibel aus, Agap.
Ganz wohl. Nur lass dich nicht bewegen,
So meine Fabeln auszulegen,
Sonst schneid' ich dir die Ohren ab.


Johann Georg Jacobi (1740 - 1814): Das tausendjährige Reich.

Schon würde Christus wiederkehren;
Allein, um besser uns als vormals zu belehren,
Studiert er erst, mit vieler Müh,
Die kritische Philosophie.


Johann Gottfried Herder (1744-1803): Alte Fabeln mit neuer Anwendung

„Nun, wie befindt man sich?"
„Herr Dokter, wunderlich!
In den Gedärmen" - „Ei recht gut,
So muss es gehn, adieu, gesunden Mut." -
„Und heute, wie befindt man sich?"
„Herr Dokter, jämmerlich!
Kopfschmerzen, halbe Raserei" -
„Ich bleib dabei,
Recht gut!
Nur frischen Mut!" -
„Und heute?" - „Ach ich kann nicht mehr!
Hier, da!" - „Er zagt zu sehr,
Mein Freund! Das muss so sein!"
Sieh, da kam Todespein.
Das muss so sein!
Der Dokter wiegt ihn ein.
Ihr Philosophen, Dokters Panazee,
Wie heißt sie euch? Theodizee!


Anonym: Die Gedanken sind frei. -- Zwischen 1780 und 1800

Für Melodie "Die Gedanken ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/diegedan.html.  -- Zugriff am 2004-12-01]

Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten,
Sie fliehen vorbei,
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger erschießen
Mit Pulver und Blei.
Die Gedanken sind frei!

Ich denke was ich will
Und was mich beglücket,
Doch alles in der Still',
Und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren
Kann niemand verwehren,
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!

Und sperrt man mich ein
In finsteren Kerker,
Ich spotte der Pein
Und menschlicher Werke.
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei,
Die Gedanken sind frei!

Drum will ich auf immer
Den Sorgen entsagen
Und will dich auch nimmer
Mit Willen verklagen.
Man kann ja im Herzen
Stets lachen und scherzen
Und denken dabei:
Die Gedanken sind frei!


Johann Heinrich Voß (1751-1826): Die Kirche

Du, Vater, sandtest deinen Sohn,
Mit deinem Geist gerüstet,
Zu bessern unter Schmerz und Hohn,
Was Priesterwahn verwüstet.
„Ich geb euch", sprach er, „ein Gebot:
Liebt, Kinder, liebt euch bis zum Tod!'

Die Jünger gingen aus voll Kraft
Und tauften, welche kamen,
Aus allem Volk, zur Brüderschaft
In ihres Meisters Namen.
Doch bald ersann man neue Lehr
Und teilte sich und zankte sehr.

Die neuen Lehrer hatten bald
Gebiet von Land und Leuten
Und machten Bündnis, durch Gewalt
Für Gottes Reich zu streiten.
Man stimmt' um Wahrheit, trat in Zunft
Und schied den Glauben von Vernunft.

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt!"
So sprach der große Meister.
Umsonst! Es zwang der Glaubensheld
Durch Fleischesmacht die Geister.
Den Forscher traf der Kirche Bann;
Nicht Träne nur, auch Blut schon rann.

Da rief, vom hehren Traum erwacht,
Ein Mann in seiner Zelle1:
„Ihr Völker, auf! aus träger Nacht!
Schon dämmert Morgenhelle!
Ja, blinzt und tobt, ihr Eulenzunft!
Das Wort soll leuchten und Vernunft!"

Nun stieg die Sonn und strahlte hell,
O Deutschland, deinem Volke
Mit warmem Licht; da hob sich schnell
Die düstre Nebelwolke.
Denn lange lag, von Dünsten schwer,
Die kalte Mitternacht umher.

Noch waltet, statt Religion,
Der alten Satzung Düster.
Noch trotzen dir, o Gottes Sohn,
Gebotnes Glaubens Priester.
Wann bricht aus Nebel Sonnenschein?
Dass wir des warmen Lichts uns freun!

Erläuterung:

1 Martin Luther (1483 - 1546)krächzt


Johann Heinrich Voß (1751-1826): Luthers Sinn

Sorglos gehn wir unsern Gang,
Wir, durch Luther frei und frank!
Lockt die Kirch, als böse Mutter,
Uns zur Knechtschaft: auf! mit Luther
Singt Gesang!

Sorglos gehn wir unsern Gang,
Frei von Wahn und Glaubenszwang!
Will mit straffen Lehrsymbolen
Uns zurück die Mutter holen;
Großen Dank!

Sorglos gehn wir unsern Gang,
Trotz der Arglist, trotz dem Drang!
Ob auch Fischerei der Päpste
Wo im Trüben fischt' und krebste;
Glück zum Fang!

Sorglos gehn wir unsern Gang!
Was nicht mitgehn konnte, sank!
Zwar manch Pfäfflein meint es übel;
Doch uns schafft Vernunft und Bibel
Siegsgesang!

Erläuterung: Gilt heute nicht mehr: 1997 haben die Lutheraner endgültig Luther verraten: entgegen dem Votum vieler evangelischer Theologieprofessoren unterschrieben Vertreter des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre", in der sie sich von den Katholiken voll über den Tisch ziehen ließen.


Johann Heinrich Voß (1751-1826): An einen Verirrenden, der geprüft zu haben vorgab

Das Licht der Überzeugung
Ist heitres Forschens Lohn.
Doch schwüle Herzensneigung
Heißt dir Religion.

Wann strebtest du zur Klarheit
Ätherischer Vernunft?
Du nahmst für Gottes Wahrheit
Gebot der Priesterzunft.

Wann schiedest du mit Strenge
Das Wesen von Gestalt?
Was weiland Pfaffenmenge
Durch Trotz entschied, das galt.

Das galt, was ward seit gestern:
Vernunft, das Heiligtum
Der Ewigkeit, zu lästern,
War dir Verdienst und Ruhm.

Du dunkeltest, du flochtest
Des blinden Glaubens Seil;
Du, Kind der Satzung, pochtest
Wie auf alleinig Heil.

Wer deine Himmelsleiter
Nicht stieg, dem fluchtest du,
Wo nicht der Husse1 Scheiter,
Doch Ketzernamen zu.

Der frei des Priesterfrones
Uns schuf und lehrte: Liebt!
Das Wort des Menschensohnes,
Wie hast du's ausgeübt?

Trat Zweifel dir entgegen;
Nie standst du ihm getrost,
Anringend nach Vermögen:
Du bebtest und entflohst.

Kehr um, du sinkst noch tiefer,
Kehr um, verlockter Freund,
Als Forscher und als Prüfer,
Zu dem, der um dich weint.

Erläuterung:

1 Johannes Hus, der beim Konzil von Konstanz wegen Ketzerei verbrannt wurde


Johann Heinrich Voß (1751-1826): Warnung

An Stolberg1

Freies Sinns Aufhellung gespäht und Wahrheit,
Sonder Scheu, ob Papst und Tyrann durch Machtspruch
Geistesflug einzwäng; und geübt mit reiner
Seele, was recht ist!

Das allein schafft heiteren Blick zur Gottheit;
Das allein Gleichmut, wenn im Strom des Lebens
Sanft der Kahn fortwallt, wenn gebäumt von Sturmwind
Toset die Brandung;

Das allein auch glättet am trüben Ausfluss
Durch den Meerschwall Bahn zu dem stillen Eiland,
Wo uns Freund', Urväter und Weis' aus allem
Volke begrüßen.

Keine Ruh, Einschläferung nur mit Angsttraum,
Schafft dir Mönchsablass um Verdienst des andern,
Augendrehn, Räuchwerk und Kastein und Bannspruch
Plärrendes Anflehns.

Du, zum Licht zwangloser Vernunft von Luther
Miterkämpft, du Forscher der Offenbarung,
Du im Anhauch griechischer Luft gehobner
Adler der Freiheit!

Du verkennst Erbtugend und Schwung zum Äther?
Und, o Schmach! demütigest dich in grauser
Hildebrand'2 unmenschlichen Fron, dich dumpfem
Glauben verpflichtend,

Pfaffenknecht? Abschwörest du Licht und Wahrheit?
Am Altarschmaus dann des gebacknen Gottes
Schnaubst du dem, was Menschen vom Tier erhebet,
Hass und Verfolgung?

Hör, o Stolberg! Worte von Gott verkünd ich,
Alter Freund. Misstraue der Priestersatzung,
Wenn den Abgott auch der Sirene4 Zauber-
Stimme beschönigt!

Schau, wie dort aufstarrender Pfaffen Chortanz
Um des Abgotts Opferaltar einherhinkt:
„Gott, allein uns, Gott! o gesegn allein uns,
Fluche den andern!

Unser Schrein, ach! unsre Gelübd erhör uns,
Unsres Leibs Blutströme! das Blut Verklärter,
Die für uns abbüßten!" Umsonst! denn ohrlos
Schläft er und herzlos!

Fleuch, o fleuch, Stolberg, wie des Turbanträgers
Und des knoblauchduftigen Rabbis Messer,
Fleuch gebetabkugelnder Glatzenpfäfflein
Tand und Betörung!

Erläuterungen:

1 Stolberg:

"Stolberg, Friedrich Leopold, Graf zu, Dichter und Schriftsteller, geb. 7. Nov. 1750 in dem holsteinischen Flecken Bramstedt, gest. 5. Dez. 1819 auf dem Gut Sondermühlen bei Osnabrück, wurde frühzeitig in Kopenhagen, wo sein Vater seit 1756 die Winter verbrachte, mit Klopstock bekannt, den er wie sein Bruder schwärmerisch verehrte, und gehörte in Göttingen, wo er von 1772 an studierte, gleichfalls zu dem erwähnten Dichterbund. Nach Beendigung der Universitätsstudien unternahmen die Brüder 1775 eine »Geniereise« durch Süddeutschland und die Schweiz und kamen in enge freundschaftliche Beziehungen zu Goethe und Lavater. Doch schlug Friedrich Leopold nach der Rückkehr 1776 eine Stelle am weimarischen Hof aus, weil ihn Klopstock gegen das dortige Treiben einzunehmen wusste. 1777 wurde er fürstbischöflich oldenburgisch-lübischer Oberschenk und Gesandter in Kopenhagen, seit 1781 lebte er als Oberschenk und Vizehofmarschall in Eutin. Durch die Vermählung mit Agnes von Witzleben (1782) fand er das reinste häusliche Glück, und im demselben Jahre wurde er mit seinem Göttinger Freunde Joh. Heinr. Voß wieder vereinigt, der als Rektor nach Eutin berufen wurde. Nach dem Tode seiner Gattin (1788) ging er 1789 als dänischer Gesandter nach Berlin und schritt hier 1790 zu einer zweiten Vermählung mit der Gräfin Sophie von Redern. Doch gab er 1791 seinen Gesandtschaftsposten auf und trat eine längere Reise nach Italien und Sizilien an. Durch die Eindrücke dieser Reise, vor allem durch Beziehungen, die er jetzt mit der Fürstin Golizyn (s. Golizyn 8) und mit verschiedenen Mitgliedern des ultramontanen westfälischen Adels anknüpfte, ferner durch die allgemeine Wendung der europäischen Ereignisse wurde er, der in den Jugendjahren ein leidenschaftlicher Freiheitsschwärmer und Tyrannenhasser gewesen war, mehr und mehr in die Bahnen der politischen und kirchlichen Reaktion hineingezogen. Nachdem er, von der Reise zurückgekehrt, 1793 das Amt eines Kammerpräsidenten in Eutin angetreten hatte, zeigte sich diese Wandlung immer deutlicher und führte zu einer Erkaltung der frühern freundschaftlichen Beziehungen zu Voß. Schließlich war es vor allem das Bedürfnis nach unbedingter Autorität, das ihn dazu brachte, in Münster mit Weib und Kindern (die älteste, später dem Grafen Ferdinand von Stolberg-Wernigerode vermählte Tochter ausgenommen) zur römisch-katholischen Kirche überzutreten. Dieser Schritt erregte ungeheures Aufsehen und wurde von vielen alten Freunden sehr verübelt, obwohl Stolberg selber darauf Wert legte, mit den protestantischen Bekannten in guten Beziehungen zu bleiben. Nach dem Übertritt gab er sein Amt auf und verbrachte den Rest seines Lebens unter seinen neuen Freunden in Westfalen. Die Werke aus dieser Zeit zeugen durchgehends von der geistigen Befangenheit ihres Urhebers, wodurch Voß veranlasst wurde, den alten Jugendfreund 1819 in dem Aufsatz »Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier« in sehr schroffer und herber Form anzugreifen. »Gedichte«, »Schauspiele mit Chören« und »Vaterländische Gedichte« gab Stolberg mit seinem Bruder gemeinsam heraus. Stolbergs Lyrik ist vielfach altertümelnd, in ihrer Freiheitsbegeisterung ganz vag und phrasenhaft, oft gesucht einfachen Gepräges; sie stand im allgemeinen noch unter den Einwirkungen Klopstocks. Als Prosaiker versuchte er sich auch in einem Roman: »Die Insel« (1788), und einer weitschweifigen »Reise durch Deutschland, die Schweiz, Italien und Sizilien« (1794; neu hrsg. von Janssen, Mainz 1877); als Übersetzer trat er mit der ersten Übertragung der Iliade (Flensb. u. Leipz. 1778), einer vorzüglichen Nachdichtung von vier Tragödien des Äschylos (verfasst 1783, gedruckt Hamb. 1802) und mehreren Schriften Platons hervor. Das bedeutendste Werk aus seiner letzten Periode ist die »Geschichte der Religion Jesu Christi« (Hamb. 1806-18, 15 Bde.), ferner sei erwähnt das »Leben Alfreds des Großen« (Münst. 1815) und »Ein Büchlein von der Liebe« (das. 1820, 5. Aufl. 1877; auch Freiburg 1890). Seine Schriften nehmen den größten Teil der »Werke der Brüder S.« (Hamb. 1820-25, 20 Bde.) ein."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Hildebrand, früherer Name des Papstes Gregor VII., der Heinrich IV. 1077 zum "Gang Nach Canossa" zwang

3 Fürstin Adelheid Amalia Gallitzin (1748 - 1806), die Stolberg zum Übertritt zum Katholizismus bewogen hatte.


Johann Heinrich Voß (1751-1826): Die Versuchung

Der Bekehrer
Ihr schwärmt zum Lichte wie toll hinaus!
Dort schnappt euch der leidige Satan!
Abtrünnige, kehrt in das Mutterhaus!
Wir warnen euch! Höret den Rat an!

Die Ketzer
Das war ein erstaunlicher Satan!

Der Bekehrer
Ein tausendkünstlicher Bösewicht
War stets ja der leidige Satan!
Nun lässt er das Dunkel und schleicht im Licht
Als gleißender Illuminat1 an!

Die Ketzer
Das war ein erstaunlicher Satan!

Der Bekehrer
Durch Blenderleuchtung der Scheinvernunft
Legt Urian2 höllische Tat an!
Er stiftete Luthers und Zwinglis3 Zunft,
Aufklärer wie Korah und Dathan4.

Die Ketzer
Das war ein erstaunlicher Satan!

Der Bekehrer
Mit Hochehrwürdigen trieb er Spott,
Durch Stauzius'5 Gegner und Nathan6!
Nun höhnt er den Adel und uns und Gott
Und spinnt Anarchie und Verrat an!

Die Ketzer
Das war ein erstaunlicher Satan!

Der Bekehrer
Erleuchtung lügt er mit Höllenglanz
Und schleicht in gefälschtem Ornat an!
Misskennt ihr den zottigen Huf und Schwanz,
Was wird euch aus Tempel und Staat dann?

Die Ketzer
Das war ein erstaunlicher Satan!

Der Bekehrer
Schon tollkühn stürmt auf Altar und Thron
Erzketzer und Erzdemokrat an!
Licht schnaubt er und blitzt aus den Augen schon,
Des höllischen Pfuhls Leviathan7!


Abb.: Gustave Doré (1832 - 1883): Der Herr schlägt Leviathan (Jesaia 27, 1-13). -- um 1866
 

Die Ketzer
Das war ein erstaunlicher Satan!

Der Bekehrer
Kehrt rasch zum traulichen Mutterschoß
Sonst, Kinderchen, klagt ihr zu spat dann!

Erläuterungen:

1 Illuminat

"Illuminaten (lat., »Erleuchtete«), Schwärmer, die sich einer höhern Erkenntnis Gottes und eines engen Verkehrs mit der Geisterwelt rühmten und vielfach Vereine bildeten. Dergleichen waren die Alombrados in Spanien, die Guérients in Frankreich, die 1623 auftauchten, aber schon 1635 wieder unterdrückt wurden, ferner ein Verein von Mystikern in Belgien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. Zu großer Bedeutung und belangreicher Ausbreitung, zunächst in Bayern, dann aber von Süddeutschland aus auch im mittlern und nördlichen Deutschland gelangte der am 1. Mai 1776 in Ingolstadt gegründete Illuminatenorden, dessen Mitglieder sich zunächst den Namen Perfektibilisten beilegten. Der Stifter dieses Ordens war Adam Weishaupt (1748 - 1830), Professor der Rechte in Ingolstadt, der einer freiern Geistesrichtung huldigte und ein heftiger Gegner der Jesuiten war. Der Orden sollte durch Beförderung religiöser Aufklärung der Vernunft zur Herrschaft verhelfen, der Propaganda weltbürgerlicher Gesinnung dienen und das monarchische Prinzip bekämpfen. Dabei nahm sich der ehemalige Jesuitenzögling die Verfassung und geschmeidige Glätte der Jesuiten zum Vorbild und machte den Mitgliedern der Gesellschaft unbedingten Gehorsam gegen die Obern, besonders den Ordensgeneral, eifriges Bemühen, einflussreiche Männer für den Orden zu gewinnen, regelmäßige Berichte über ihre Fortschritte und gegenseitige Überwachung zur Pflicht. Zur praktischen Anwendung scheinen im Orden nur die drei niedern Grade gelangt zu sein, während die höhern Stufen nur theoretisch ausgesonnen waren. Die Mitglieder führten fremde, mit Vorliebe klassische Namen. Der Orden war ein über das Freimaurertum hinausgehender Geheimbund; jeder Illuminat war Freimaurer, während die für höhere Erleuchtung nicht tauglich Befundenen im Freimaurerbunde zurückgehalten wurden. Eine Neubelebung und starke Ausbreitung in protestantischen Gegenden erfuhr der Orden durch die Tätigkeit des Freiherrn v. Knigge (s. d.). Als Mitglieder sind nachgewiesen Herzog Ernst II. von Gotha und sein Bruder August, Herzog Ferdinand von Braunschweig, Karl Theodor von Dalberg, Karl August von Hardenberg und der nachmalige bayrische Minister von Montgelas; nach Perthes (»Das deutsche Staatsleben vor der Revolution«, S. 262) sollen auch Goethe und Herder Mitglieder gewesen sein. Wie mit andern Ordensmitgliedern geriet Weishaupt auch mit Knigge in persönliche Differenzen, und letzterer schied wenige Tage, nachdem in Bayern eine kurfürstliche Verordnung alle geheimen Gesellschaften verboten hatte, durch Vertrag aus dem Orden aus. Kurfürst Karl Theodor ließ der Verordnung vom 22. Juni 1784 einen verschärften Erlass vom 2. März 1785 und andre mehr folgen. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen hat sich der Orden in der Neuzeit reorganisiert; sein Sitz ist in Dresden, er besitzt Rechtsfähigkeit und wird durch ein Kustosamt vertreten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Anspielung auf Matthias Claudius (1740 - 1815): Urians Nachricht von der neuen Aufklärung, oder Urian und die Dänen (1797)

3 Huldrych Zwingli (1484 - 1531): Schweizer Reformator

4 Korah und Dathan: Numeri 16, 1ff.: "Und Korah, der Sohn Jizhars, des Sohnes Kahaths, des Sohnes Levis, samt Dathan und Abiram, den Söhnen Eliabs, und On, dem Sohn Peleths, den Söhnen Rubens, die empörten sich wider Mose samt etlichen Männern unter den Kindern Israel, zweihundertundfünfzig, Vornehmste in der Gemeinde, Ratsherren und namhafte Leute. Und sie versammelten sich wider Mose und Aaron und sprachen zu ihnen: Ihr macht's zu viel. Denn die ganze Gemeinde ist überall heilig, und der HERR ist unter ihnen; warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des HERRN?"

5 Stauzius: Ketzerjäger im satirischen Roman: Friedrich Nicolai (1733-1811): Sebaldus Nothanker. -- Erstdruck: Berlin und Stettin : Nicolai, 1773-1776

6 Nathan der Weise (Lessing)

7 Leviathan

"Leviathan, im Buch Hiob (Kap. 40, 25-41, 26) erwähnter Tierkoloß, das Nil-Krokodil, dann auch (Ps. 104, 26) großes Wassertier überhaupt, und deshalb (Ps. 74, 14) das Bild gefährlicher Feinde. Im Buch Henoch  ist der Leviathan ein weibliches Ungeheuer, das mit dem Gericht der Sintflut in Verbindung gebracht wird, während nach der altjüdischen Sage er dazu bestimmt ist, dereinst bei dem großen Gastmahl im Paradies von den Gerechten verspeist zu werden. Der Talmud spinnt diese Sage noch weiter aus. - Leviathan ist auch Name eines Riesendampfschiffs, einer Wollwaschmaschine (s. Wolle) etc."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Johann Heinrich Voß (1751-1826): Die Brotverwandlung

Lächeln wog in der Hand ein römischer Pfaff die Oblaten;
"Welchen", sprach er, "von euch, Dingelchen, mach ich zum Gott?"


Johann Wolfgang Goethe (1749-1832): Auf Lavaters Lied eines Christen an Christus

Du bist! du bist! sagt Lavater. Du bist!!
Du bist!!! du bist!!!! du bist Herr Jesus Christ!!!!!
Er wiederholte nicht so heftig Wort und Lehre,
Wenn es ganz just in dieser Sache wäre.

Bezieht sich auf:  Johann Kaspar Lavater (1741-1800): Lied eines Christen an Christus. -- 1786


Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). -- In: Zahme Xenien 9

»Sag, was enthält die Kirchengeschichte?
Sie wird mir in Gedanken zunichte;
Es gibt unendlich viel zu lesen,
Was ist denn aber das alles gewesen?«

Zwei Gegner sind es, die sich boxen,
Die Arianer und Orthodoxen.
Durch viele Säkla dasselbe geschicht,
Es dauert bis an das Jüngste Gericht.

Der Vater ewig in Ruhe bleibt,
Er hat der Welt sich einverleibt.

Der Sohn hat Großes unternommen:
Die Welt zu erlösen, ist angekommen;
Hat gut gelehrt und viel ertragen,
Wie das [?] noch heut in unsern Tagen.

Nun aber kommt der Heilig Geist,
Er wirkt am Pfingsten allermeist.
Woher er kommt, wohin er weht,
Das hat noch niemand ausgespäht.
Sie geben ihm nur eine kurze Frist,
Da er doch Erst' und Letzter ist.

Deswegen wir treulich, unverstohlen
Das alte Credo wiederholen:
Anbetend sind wir all' bereit
Die ewige Dreifaltigkeit.

Mit Kirchengeschichte was hab ich zu schaffen?
Ich sehe weiter nichts als Pfaffen;
Wie's um die Christen steht, die Gemeinen,
Davon will mir gar nichts erscheinen.

Ich hätt auch können Gemeinde sagen,
Ebensowenig wäre zu erfragen.

Glaubt nicht, dass ich fasele, dass ich dichte;
Seht hin und findet mir andre Gestalt!
Es ist die ganze Kirchengeschichte
Mischmasch von Irrtum und von Gewalt.

Ihr Gläubigen! rühmt nur nicht euren Glauben
Als einzigen! Wir glauben auch wie ihr.
Der Forscher lässt sich keineswegs berauben
Des Erbteils, aller Welt gegönnt - und mir.

Ein Sadduzäer will ich bleiben! -
Das könnte mich zur Verzweiflung treiben,
Wenn von dem Volk, das hier mich bedrängt,
Auch würde die Ewigkeit eingeengt;
Das wäre doch nur der alte Platsch,
Droben gäb's nur verklärten Klatsch.
»Sei nicht so heftig, sei nicht so dumm!
Da drüben bildet sich alles um.«

Ich habe nichts gegen die Frömmigkeit,
Sie ist zugleich Bequemlichkeit;
Wer ohne Frömmigkeit will leben,
Muss großer Mühe sich ergeben:
Auf seine eigne Hand zu wandern,
Sich selbst genügen und den andern
Und freilich auch dabei vertraun,
Gott werde wohl auf ihn niederschaun.

Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.

Niemand soll ins Kloster gehn,
Als er sei denn wohl versehn
Mit gehörigem Sündenvorrat,
Damit es ihm so früh als spat
Nicht mög am Vergnügen fehlen,
Sich mit Reue durchzuquälen.

Lasst euch nur von Pfaffen sagen,
Was die Kreuzigung eingetragen!
Niemand kommt zum höchsten Flor
Von Kranz und Orden,
Wenn einer nicht zuvor
Derb gedroschen worden.

Den deutschen Mannen gereicht's zum Ruhm,
Dass sie gehasst das Christentum,
Bis Herrn Carolus' leidigem Degen
Die edlen Sachsen unterlegen.

Doch haben sie lange genug gerungen,
Bis endlich die Pfaffen sie bezwungen
Und sie sich unters Joch geduckt;
Doch haben sie immer einmal gemuckt.
Sie lagen nur im halben Schlaf,
Als Luther die Bibel verdeutscht so brav.
Sankt Paulus, wie ein Ritter derb,
Erschien den Rittern minder herb.
Freiheit erwacht in jeder Brust,
Wir protestieren all mit Lust.

»Ist Konkordat und Kirchenplan
Nicht glücklich durchgeführt?« -
Ja fangt einmal mit Rom nur an,
Da seid ihr angeführt.


Johann Wolfgang Goethe (1749-1832): Ich kann mich nicht bereden lassen

Ich kann mich nicht bereden lassen,
Macht mir den Teufel nur nicht klein:
Ein Kerl, den alle Menschen hassen,
Der muss was sein.


Friedrich Schiller (1759-1805): An die Frommen

Fort, fort mit eurer Torheit! Lasst mir lieber
Das, was ihr Weisheit nennt, mit fadem Spott!
Herzlos ist eure Andacht kaltes Fieber,
Kopflos ist nur ein Popanz euer Gott.


Karl Friedrich Benkowitz (1764—1807): Frömmigkeit.

Warum mag Lina doch so gern zur Kirche gehn?
Man sagt, es soll aus Eitelkeit geschehn,
'damit man dort an ihr was zu bewundern find«.
Doch unrecht tut man ihr, und es gebeut die Pflicht,
dass man der Läst'rung widerspricht.
Sie hat dazu ganz andere Gründe:
Sie will durch Frömmigkeit, in Worten und in Mienen,
vom Herrn sich einen Mann verdienen.,


Johann Gabriel Bernhard Büschel (1758 - 1813): Die Wunderwerke

Wer hat die Arschback ausgestopft,
Die sich so prall anfühlt und klopft?
Der große Sattler hat's getan,
Der Pferdelenden polstern kann.
Der hat die Arschback ausgestopft,
Die sich so prall anfühlt und klopft.

Wer hat den Arsch mit Pelz geziert
Und ihn mit Klunkern ausstaffiert?
Der große Kürschner hat's getan,
Der Hermeline schwärzen kann.
Der hat den Arsch mit Pelz geziert,
Und ihn mit Klunkern ausstaffiert.

Wer pflanzte mir zum Zeitvertreib
Den schönen Stengel vor den Leib?
Der große Gärtner hat's getan,
Der dicken Spargel treiben kann.
Der pflanzte mir zum Zeitvertreib,
Den schönen Stengel vor den Leib.

Wer ist es, der genähet hat,
Den Wunderbeutel ohne Naht?
Der große Beutler hat's getan,
Der solche Kunst allein nur kann.
Der ist es, der genähet hat,
Den Wunderbeutel ohne Naht.

Wer drechselte fürwahr nicht klein
Die Eier voller Dotter drein?
Der große Drechsler hat's getan,
Der Straußeneier drechseln kann.
Der drechselte fürwahr nicht klein,
Die Eier voller Dotter drein.

[Quelle: Hell und schnell : 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten / hrsg. von Robert Gernhardt und Klaus Cäsar Zehrer. --  Frankfurt am Main : S. Fischer, 2004. -- 621 S. -- ISBN 3-10-025505-4. -- S. 47f.]


Ludwig Robert (1779 - 1832): Der Glaube

Zu dem Adler sprach die Taube:
„Wo das Denken aufhört, da beginnt der Glaube."
„Recht," sprach jener, „mit dem Unterschied jedoch,
wo du glaubst, da denk' ich noch!"


Anonym: Wie ist der arme Mensch veracht. -- 19. Jhdt.

Wie ist der arme Mensch veracht
vom Reichen hier auf Erden.
Wie oft wird unser Stand verlacht
bei Kummer und Beschwerden.
Und wenn kein armer Mensch nicht wär,
wie müsste mancher reiche Herr
seine Arbeit selbst vollbringen.

Im Winter, wenn es schneit und weht,
da muss er sich noch plagen,
wenn er in Wald um ein Holz geht,
tut's z'haus auf'm Buckel tragen.
Er kann sich nicht recht heizen ein,
wie traurig tut's im Zimmer sein.
Er muss ja fast erfrieren.

Und trinken wir uns an recht voll,
wie tut man uns beneiden,
da heißt's: den Armen geht's recht wohl.
Wir müssen's eh' schon leiden.
Bis wir einsammeln diesen Most,
das ganze Jahr bei geringer Kost,
bei Hitz' und auch bei Kälten.

Ja, alles tritt und plagt mich hier,
so lange wir hier leben,
und dennoch sagt der Pfarrer mir:
Tu dich zufrieden geben.
Wer hier leid't und geduldig ist,
der lebt und stirbt als guter Christ
und kommt auch einst in'n Himmel.

Und weil's denn nicht kann anders sein
mit uns, ihr armen Brüder,
habt ihr kein Geld, so trinkt ein Wein
dann legt euch ruhig nieder.
Wenn ihr kein Kreuzer Geld nicht habt,
geht hin zum Brunnen, euch dort labt,
denkt: So geht's hier den Armen.

[Quelle: Deutsche Lieder : Texte u. Melodien / ausgew. u. eingel. von Ernst Klusen. -- Frankfurt am Main : Insel-Verlag, 1988. -- XL, 878 S. ; 18 cm. -- (Insel-Taschenbuch ; 1032). -- ISBN 3-458-32732-0. -- S. 477]


Der bayrische Himmel. -- Von der schwäbischen Alb

O ihr lieben Christen, spitzt eure Ohren, ja!
Sonst seid ihr auf Zeit und Ewigkeit verloren, ja.
Ich will euch singen, ja,
Von himmlischen Dingen, ja,
Die der zu schmecken einst kriegt
Der dem Adam die Hosen auszieht.

Und wenn ihr werdet die Augen einst zumachen, ja,
Dann könnt ihr erst anfangen zu lachen, ja,
Dann könnt ihr, statt in den Himmel laufen, fahren, ja,
Das Geld braucht ihr auch nicht zu sparen, ja,
Denn auf himmlische Kosten reist ihr
Auf der Eisenbahn in Peters Revier.

Und seid ihr vor dem Himmelstor angekommen, ja,
So dürft ihr nicht lange brummen, ja,
Da langt Petrus sogleich in die Tasche, ja,
Dreht den Schlüssel mit Kurasche, ja.
Sobald nun die Türe ist los,
So sitzt ihr in Abrahams Schoß.

Der Vater Abraham lässt es nirgends fehlen, ja,
Auf allen Flanken tut er befehlen, ja.
Sie sollen sich schicken, ja,
Die Tafel zu schmücken, ja,
Mit Dampfnudeln, Schnitz und Schokolad,
Mit Schweinefleisch, Kraut und Salat.

Da wird nun wacker eingehauen, ja,
In lauter gebratene Tauben und Sauen, ja,
Da verschwindet die eine nach der andern, ja,
In Mäuler tun sie einwandern, ja,
Aber nach dem Essen juchhe,
Da trinkt man ein Schälchen Kaffee.

Hat man nun seinen Magen recht voll getan mit Essen, ja,
Dann wird man aufs Trinken erst recht versessen, ja,
Da darf man nur schellen, ja,
Da kommen gleich 24 bis 30 Kellergesellen, ja,
"Wollt ihr ein'n Uhlbacher, wollt ihr ein'n Weißen von Schneid?"
Ich sag's euch, da ist's halt a Freud.

Drum liebe Christen strebet nach dem Himmel, ja,
Und pfeifet ins Weltgetümmel, ja.
Denn nach etlichen Jahren, ja,
Werdet ihr alle dahin abfahren, ja,
Wenn ihr anders nach Tugenden strebt
Und nicht wie die Säu' dahin lebt.

[Quelle: Schwäbische Volkslieder mit ausgewählten Melodien : aus mündlicher Überlieferung / gesammelt von Ernst Meier. -- Berlin : Reimer, 1855. -- XVI, 431 S. : Notenbeisp. ; 8º. -- S. 242f.]


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXV.2: Christlicher (Aber)glaube 1849 - 1899

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