Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXVIII:

Russland und Sowjetunion


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXVIII: Russland und Sowjetunion  /  kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2005-02-09. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen28.htm  

Erstmals publiziert: 2004-04-28

Überarbeitungen: 2005-02-09 [Ergänzungen]; 2004-12-16 [Ergänzungen]; 2004-10-26 [Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Russland predigt. -- Katholische Karikatur. -- Bayern.

[Bildquelle: Dr. Sigl, ein Leben für das Bayerische Vaterland / hrsg. von Rupert Sigl. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1977. -- 327 S. : Ill. ; 21 cm. -- (Rosenheimer Raritäten). --  ISBN 3-475-52201-2. -- S. 169]


Eduard Pelz:

Kennst du das Land, wo Knut und Kantschu blühn,
Den Steiß von Zarenliebe machend glühn?
Wo man das Zeitungsblatt schwarz überstreicht,
Dass preußisch Landtagsgift ins Volk nicht schleicht?
Kennst du es wohl? Dahin, dahin
Möcht ich mit dir, geliebter Zensor, ziehn!

Dort, wo den Stiefel der Leibeigne küsst,
Weil gleich dem Hund er krumm getreten ist,
Wo man den Popen durchhaut, weil er stahl,
Und dann die Hand ihm küsst mit einemmal,
Kennst du es wohl? Dahin, dahin
Möcht ich mit dir, geliebter Zensor, ziehn!

Wo Tausende um andern Glauben flehn,
Weil sie des Kaisers Wunsch voraus verstehn,
O freier Übertritt! Kein Mensch verletzt,
Spurlos verschwand nur, wer sich widersetzt.
Kennst du es wohl? Dahin, dahin
Möcht ich mit dir, geliebter Zensor, ziehn!

Wo Schachern auf sibirischem Gefild
Die freie Zobeljagd für Strafe gilt,
Wo man so ganz politisch aufgehellt,
Europas Reichen Mausefallen stellt
Kennst du das Land? Dahin, dahin
O lass uns gleich, geliebter Zensor, ziehn!

Erläuterung: Vorbild ist Goethes "Mignon":

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? Dahin!
Dahin möcht' ich mit dir,
O mein Geliebter, ziehn.

1 Kantschu (v. türk. Kamtschi): kurze, aus Lederriemen geflochtene Peitsche mit kurzem Stil, am Handgelenk hängend getragen
 

[Quelle: Grab, Walter (1919 - 2000) ; Friesel, Uwe (1939 - ): Noch ist Deutschland nicht verloren : eine histor.-polit. Analyse unterdrückter Lyrik von der Französischen Revolution bis zur Reichsgründung. -- Ungekürzte, überarb. Aufl. -- München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1973. -- 324 S. ; 18 cm. -- (dtv ; 875). -- Lizenz des Hanser-Verl, München. -- ISBN 3-446-10979-X. -- S. 157f.]


Secundus: Besuch bei Nikolaus

Nikolaus1 war unzufrieden!
Schien der Abend doch verloren,
Denn die Spiritisten hatten
Peters2 Geist ihm nicht beschworen,
Peters, seines großen Ahnen,
Der stets vor dem Frühstück pflegte
Ein paar Köpfe abzuhacken,
Weil das Appetit erregte.

Nikolaus war unzufrieden,
Und er schmähte, bis in Schlummer
Seine Augenlider sanken
Und er einschlief voller Kummer.
Aber die den Spiritisten
Heute nicht gefällig waren
Trotz der heftigsten Beschwörung,
Geister, kamen doch zum Zaren.

Karl der Erste3, weiland König
Über England, grüßte zierlich;
Unterm Arm, statt eines Hutes,
Trug den Kopf er sehr manierlich.
„Herr Kollege, Sie gestatten
Doch wohl, also Sie zu nennen?
Mich, so denk ich, werden sicher
Eure Majestät schon kennen.

Durch ein kleines Missverständnis
Kam ich einst in Schwulitäten,
Hab dabei den Kopf verloren,
Wie auch andere Majestäten.
Und das Missverständnis lachen
Muss darob ein Mensch von heute:
Dass allein ich herrschen wollte,
Das begriffen nicht die Leute!

Nikolaus, drum möcht ich raten:
Traue nicht auf ,Gottes Gnaden';
Wird der Kopf dir abgenommen,
Hast du ganz allein den Schaden!"
Karl der Erste schwenkte zierlich
Seinen Kopf gleich einem Hute,
Und er wünschte noch dem Zaren
Sanfte Nachtruh, süße, gute ...

Doch kaum war der Karl gegangen,
Kam nun Ludwig4, der Sechzehnte,
Stellte auf den Nachttisch seinen
Kopf, der etwas schläfrig gähnte
Und dann anhub: „Nikoläuschen,
Sie verzeihen, wenn ich störe;
Doch ich komme, weil ich drüben
Mancherlei von Ihnen höre.

Als erfahrener Kollege
Möchte ich Sie gern belehren,
Wie man seines Kopfs entledigt
Sich mit Anstand und mit Ehren.
Sehen Sie, man blickt zum Himmel
Hoheitsvoll empor, und schweigend
Lässt man sich den Rock ausziehen,
Sich nochmals zum Priester neigend.

Spricht noch ein'ge fromme Worte,
Während sie die Riemen schnallen,
Und erwartet dann geduldig
Des dreieckgen Beiles Fallen..
Drum: Wenn Sie den Kopf verlieren
Nie die Kontenance, Kollege!
So zu den Berufsgenossen
Immer ich zu sprechen pflege."

Ludwig nahm den Kopf vom Nachttisch
An den weißen Puderhaaren,
Nickte freundlich und verschwand dann
Aus dem Schlafgemach des Zaren.
Doch der schrie: „Ich will nicht sterben,
Will an meinen Tod nicht denken!
Aber heut von den Rebellen
Lasse ich ein Dutzend henken!"

Erläuterungen:

1 Nikolaus Pawlowitsch (russisch Николай I Павлович; 1796 - 1855) war als Nikolaus I. Zar von Russland.

2 Peter I. der Große, (russisch Пётр I bzw. Пётр Великий; 1672 - 1725), russischer Zar.

3 Karl I., engl. Charles I (1600 - 1649) war von 1625 bis 1649 König von Großbritannien und Irland. "Karl I. wurde von den Schotten gefangen genommen. Inzwischen hatte Cromwell die Macht im Parlament übernommen, nachdem er seine polititischen Gegner dort vertrieben hatte. Ein Gerichtshof wurde gebildet, in dessen Verlauf Karl vor Gericht gestellt und des Hochverrats schuldig gesprochen wurde. Am 30. Januar 1649 wurde Karl I. auf Schloss Whitehall enthauptet." [Quelle:  http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_I._(England). -- Zugriff am 2004-10-04]   

4 Ludwig XVI. (1754 - 1793); König von Frankreich von 1774 bis 1792. Er war der letzte französische Vertreter des Absolutismus und wurde schließlich ein Opfer der Französischen Revolution.

[Quelle: Des Morgens erste Röte : frühe sozialistische deutsche Literatur 1860 - 1918 / [hrsg. vom Zentralinst. für Literaturgeschichte d. Akad. d. Wiss. d. DDR. Auswahl: Norbert Rothe (Lyrik u. Prosa) u. Ursula Münchow (Dramatik). Nachw.: Ursula Münchow. Anm. zu d. Autoren: Hans Heinrich Klatt]. -- Leipzig : Reclam, 1982. -- 459 S. : 56 Ill. -- (Reclams Universal-Bibliothek ; Bd. 926 : Belletristik). -- S. 258ff.]


Theodor Fontane (1819-1898): Die zehn Gebote aus dem russischen Katechismus

1

Bin der Herr, dein Gott und Vater,
Keine weiteren Berater
Sollst du haben neben mir;
Denn allmächt'ger und allweiser
Und allgüt'ger als der Kaiser
Zeigt sich keine Gottheit dir.

2

Ich erlaub' in meiner Milde,
Dass du huldigst meinem Bilde,
Solch ein Bilderdienst ist frei.
Was der alte Gott verpönet,
Jetzt mein Werk der Gnade krönet, -
Knie vor meinem Konterfei!

3

Ja, den Sabbat sollst du feiern;
Doch du brauchst nicht mitzuleiern
All die Kirchenmelodein;
Bete laut nur für den Kaiser,
Laut, bis dir die Kehle heiser,
Und das Himmelreich ist dein.

4

Vater, Mutter sollst du ehren;
Streng befolgen ihre Lehren
Heißt erfüllen seine Pflicht;
Folge stets der milden Führung
Deines Kaisers, der Regierung,
Kränke deinen Vater nicht!

5

Töten sollst du, - Feinde töten,
Wenn sich nicht die Klingen röten,
Röte Scham dein Angesicht;
Tod den Polen, den Tscherkessen,
Jedem Schufte, der vermessen,
Freiheitstoll die Kette bricht.

6

Meinetwegen ehebrechen,
Nie Gehorsam ehe brechen,
Als bis dir das Auge bricht;
Jenes kann ich selbst wohl leiden,
Dieses rat' ich dir zu meiden
Und ich rat' im Spaße nicht.

7

Knutenhiebe für die Diebe!
Doch aus Christengnad' und Liebe
Ändr' ich des Gesetzes Lauf,
Wenn ich selbst nicht Lust zum Kaufen;
Große Diebe lässt man laufen,
Nur die kleinen hängt man auf.

8

Stets die Wahrheit zu bezeugen,
Ihr wie mir sich freudig beugen,
Sei dir eine heil'ge Pflicht;
Doch in meinem Interesse, -
Selbst die heftigsten Exzesse
Gegen Wahrheit straf ich nicht.

9

Fremdes sollst du nicht begehren!
Nimmer in die Ferne kehren
Einen sehnsuchtsvollen Blick;
Müsstest geistig du verhungern,
Lass das Schielen, lass das Lungern,
Dummheit ist das höchste Glück.

io

Fremdes sollst du nicht begehren!
Keine Freiheit heiß verehren,
Sklave sein, statt freigesinnt;
Sonst spazierst du nach Siberien,
In die großen Winterferien,
Die zugleich Hundstage sind.



Abb.: Гришка Распутный ьди Игнъва народнаго жди!. -- Russische Karikatur auf Rasputin und die Zarin


Abb.: Rasputin

Grigori Jefimowitsch Rasputin (russisch Григорий Ефимович Распутин, wiss. Transliteration Grigorij Efimovič Rasputin; * um 1864/1865 [es wird auch 1871/72 angegeben] in Pokrowskoje, Landkreis Tjumen; † 30. Dezember 1916)

"Rasputin, aus Sibirien gebürtiger Bauer, wurde von dem kaiserlichen Beichtvater 1910 der Aufmerksamkeit Nikolaus II. empfohlen und hatte das Glück, dem Zarewitsch, der ein »Bluter« war, auf nicht ganz geklärte Weise zur Gesundung zu verhelfen. Damit begann seine große Karriere, die ihn zum religiösen Wunderträger stempelte und zum allmächtigen Mann in Russland avancieren ließ. Das Gerücht über das Bestehen intimer Beziehungen zwischen Rasputin und der Zarin ist zweifellos unwahr, dagegen hat Rasputin in anderer Hinsicht seinem Namen (Rasputin heißt: Wüstling) alle Ehre gemacht. Seine an Satyriasis grenzende Veranlagung scheute vor keinem Exzess zurück, und die Unzuchtsorgien, denen er sich hingab, wirken um so peinlicher, als er sie mit dem trügenden Schleier mystischer Frömmigkeit zu bedecken wusste. Das gilt vor allem von den sogenannten Vigilien (Bdenje), die stets den Ausklang seiner religiösen Vorträge bildeten. Es waren das feierliche Waschungen, die ihn mit seinen schönen Verehrerinnen aufs intimste vereinigten und angeblich zu ihrer Seelenläuterung dienen sollten. Sämtliche Frauen am Hofe waren dem stark suggestiven Einfluss Rasputin hemmungslos verfallen und das Zarenpaar war ihm bis zur Hörigkeit ergeben. Am 17. Dezember 1916 wurde Rasputin von seinen politischen Gegnern ermordet."

[Quelle: Bilderlexikon der Erotik. -- Wien, 1928 - 1932.  -- Bd. 4, S. 626]



Abb.: Ernst Stern (1876 - 1954): Huldigung für den achtzigjährigen Tolstoi. -- 1908

Tolstoi: "Ich kann nicht schweigen!" — Bischof Johann von Kronstadt: "Bekommst du eins auf die Schnauze, damit du es lernst!"

Tolstoj, Graf Lew Nikolajewitsch, geb. 1828 in Jasnaja Poljana, gest. 1910, wurde 1901 wegen seines Romans "Auferstehung" von der Heilige Synod exkommuniziert.

[Bildquelle: Piltz, Georg: Geschichte der europäischen Karikatur. -- Berlin : Deutscher Verlag d. Wiss., 1976. -- 328 S. : 310 Ill. ; 28 cm. -- S. 223]



Abb.: Seht die Popengesellschaft. -- Sowjetplakat. -- 1909

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 143.]



Abb.: Der Pope als Spinne. -- [Bildquelle: http://www.1917.com/Atheist/D_B/Revolutionary_POSTER_AntiPOP-Spider.jpg. -- UdSSR. -- Zugriff am 2004-04-22]



Abb.. "Die Pyramide des kapitalistischen Systems". -- Sowjetisches Plakat. -- USA, 1911. -- [Bildquelle: http://www.1917.com/Atheist/D_B/Revolutionary_POSTER_AntiPOP-Pyramid.jpg. -- Zugriff am 2004-04-22] 



Abb.: Auch der Rabbiner betrügt seine Leute!. -- In: Der Atheist. -- Moskau, 1924 [Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 140.]



Abb.: Monarchie und Klerus auf dem Rücken des Volkes. -- In: Der Atheist. -- Moskau, 1924

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 146.]



Abb.: Vater unser, Kapital! -- In: Besboschnik (Der Gottlose). -- 1925

[Bildquelle: Chronik 1925 / [Autorin: Antonia Meiners ...]. -- Dortmund : Chronik Verl., 1989. -- 239 S. : zahlr. Ill. -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). --ISBN 3-611-00069-8. -- S. 43]



Abb.: Himmelsstürmer. -- In: Besboschnik (Der Gottlose). -- 1925

[Bildquelle: Chronik 1925 / [Autorin: Antonia Meiners ...]. -- Dortmund : Chronik Verl., 1989. -- 239 S. : zahlr. Ill. -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). --ISBN 3-611-00069-8. -- S. 43]



Abb.: A. Topikow: Ohne Atempause. -- 1929

"Was meinen Si, Vater Pawel, werden uns die Gottlosen stören?" — "Ich glaube nicht, Vater Diakon. Weihnachten ist vorüber — und bis Ostern ruhen sie sich aus."

[Bildquelle: Piltz, Georg: Geschichte der europäischen Karikatur. -- Berlin : Deutscher Verlag d. Wiss., 1976. -- 328 S. : 310 Ill. ; 28 cm. -- S. 252]


Zu Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXIX: Anderer (Aber)glaube