Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXIX:

Anderer (Aber)glaube


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXIX: Anderer (Aber)glaube / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2005-02-14. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen29.htm   

Erstmals publiziert: 2004-06-14

Überarbeitungen: 2005-02-14 [Ergänzungen]; 2005-01-09 [Ergänzungen]; 2004-12-20 [Ergänzungen]; 2004-10-27 [Ergänzungen]; 2004-07-29 [Ergänzungen]; 2004-07-23 [Ergänzungen]; 2004-07-08 [Ergänzungen]; 2004-07-02 [Ergänzungen];  2004-06-24 [Ergänzungen]; 2004-06-17 [Ergänzungen]

©opyright: Abhängig vom Todesdatum der Autoren

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


1778


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Die Bonzen. -- 1778
Zween Mönche von des Indusstrand
Durchstreiften einst nach alter Sitte,
Mit Stab und Bettelsack, das Land
Und sahn vor einer niedern Hütte
Ein Weiblein, das beschäftigt war
Ein großes fettes Entenpaar
Zu füttern. Mit entblößten Köpfen
Nahn sich die Pfaffen auf den Knien
Den beiden schnatternden Geschöpfen
Und stürzen auf das Antlitz hin.
Was solls mit diesen Komplimenten,
Ihr Herren? rief die Meyerin.
Ach, gutes Weib in diesen Enten
Wohn unsrer lieben Väter Geist.
Gott warum können wirs nicht wehren,
Dass bald ein Kannibal sie speist!
So heulten sie mit bittern Zähren.
Der Bäurin ward im Herzen warm:
Ich wollte sie euch gern verehren;
Doch, liebe Herren, ich bin arm,
Und muss aus Not in wenig Tagen
Sie nach der Stadt zu Markte tragen.
Nun ging das Jammern erst recht an:
O, weh! den armen guten Greisen,
Barbarin, ist dein Herz von Eisen!
Was haben sie dir Leids getan!
Die Witwe bebt. Mit leisem Stöhnen
Reicht sie die Väter ihren Söhnen,
Die trugen sie vergnügt nach Haus,
Und fraßen sie zum Abendschmaus.

1784


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der Derwisch. -- 1784
Ein Derwisch fand in einem Wald
Ein Kind von reizender Gestalt.
Er hob es auf. Ach Gott, ein Junge!
Rief er mit halberstarrter Zunge,
Doch wohl dir, wohl dir armes Kind!
Denn deine Rabeneltern sind
Vermutlich Heiden. Welch Vergnügen
Für mich, dass ich dich retten kann!
So sprach der fromme Muselmann,
Beschnitt das Kind und ließ es – liegen.

1790


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Das Götzenbild. -- 1790

In einem Tempel der Mogolen
Ward sonst mit großem Pomp ein Götzenbild verehrt;
Von Delhis prächtigen Idolen
Das prächtigste. Sein Schmuck war Millionen wert.
Er saß auf einem hohen Throne,
Von Perlen starrte sein Gewand;
Um seinen Scheitel schlang sich eine Demantkrone,
Ein Zepter wuchs aus seiner Hand
Und unter seinen Füßen stand
Als Schemel eine goldne Sphäre.
Einst fuhr der Geist der Reformation
(Ein seltnes Phänomen) in der Brahminen Chöre.
Sie glaubten, trotz der Protestation
Des warnenden Dekans, Dass es weit edler wäre,
Statt des geschmückten Gotts, ein nacktes Bild von Thon
Zum Dienst des Volkes anzusetzen
Und mit den unfruchtbaren Schätzen
Den ärmern Teil der Nation
Durch milde Gaben zu beglücken.
Der Pflastertreter Zunft und der Poeten Schwarm,
Zwo Kasten oft gleich faul und öfter noch gleich arm,
Beklatschten den Entschluss mit brausendem Entzücken.
Nun ward das goldne Bild mit seinem Schmuck zerlegt
Und zu Dukaten umgeprägt.
An seine Stelle kam auf einem niedern Herde
Von lockerm Tuff ein Gott von Pfeifenerde.
Vortreflich! rief der Philosophen Schar
Und ging mit steifem Knie vorüber,
Doch gar kein Bild wär uns noch lieber.
Bey Gott! die Herren reden wahr,
Rief hier ein Stutzer aus und dort ein Eselstreiber.
Indessen lockte noch der flache Rauchaltar
Die Pilger und die Bettelweiber,
Bis nichts mehr auszuspenden war.
Nun sah man schnell der Andacht Flamme schwinden.
Das Volk empfand der Einfalt Reiz nicht mehr;
Es freute sich sogar aus hundert schönen Gründen
Den Thongott lächerlich, den Tempel kahl zu finden,
Und nach drei Monden stand er leer.
Nun hielt man ein Konzil: der Nestor der Brahminen
Rief: Brüder! meine Furcht trifft ein;
Traun! um die Huldigung der Menge zu verdienen
Muss ein Idol geschmückt und hoch erhaben sein.

Gilt nicht der Satz, den der Dekan empfohlen,
Auch von politischen Idolen?


1801/1817



Abb.: Ihre ganze Wissenschaft beruht auf der Leichtgläubigkeit der Kundschaft. -- Paris. -- 1801/1817

[Bildquelle: Aus besten Kreisen : 110 satirische Bilder aus dem Empire ; nach den kolorierten Kupferstichen des "Bon genre" / mit einem Nachwort von Gretel Wagner. -- Dortmund : Harenberg, 1980. -- 110, XXI S. : 110 Ill. (farb.) ; 12 x 18 cm. -- (Die bibliophilen Taschenbücher ; 202. --
Originaltitel: Bon genre (1801 - 1817). -- ISBN 3-88379-202-0. -- Tafel 6.]


1807


Johann Christoph Friedrich Haug (1761 - 1829): Pilgers letzte Besorgnis. -- 1807

Des dummen Wanderns ist's auf Erden schon genung.
Bewahre mich, mein Gott, vor Seelenwanderung!


1827


Karl Immermann (1796-1840): Östliche Poeten. -- In: Xenien. -- 1827

Groß' merke ist es jetzo, nach Saadi's Art zu girren,
Doch mir scheint's egal gepudelt, ob wir östlich, westlich irren.

Sonsten sang, bey'm Mondenscheine, Nachtigall seu Philomele;
Wenn jetzt Bülbül flötet, scheint es mir denn doch dieselbe Kehle.

Alter Dichter, Du gemahnst mich, als wie Hameln's Rattenfänger;
Pfeifst nach Morgen, und es folgen all die lieben, kleinen Sänger.

Aus Bequemlichkeit verehren sie die Kühe frommer Inden,
Dass sie den Olympus mögen nächst in jedem Kuhstall finden.

Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomiren dann Ghaselen.


1833



Abb.: Michel Delaporte (?) (1806 - 1872): Le premier qui les vit, de rire s'éclata. / Quelle farce, dit-il, vont jouer ces gens-là. — Der erste, der sie sah, brach in schallendes Gelächter aus. / Welche Farce, sagte er, wollen diese Leute da uns spielen? (Jean de La Fontaine: Fables, Livre III: Le Meunier, son Fils, et l'Ane). -- 1833

Erläuterung: Karikatur auf die Saint-Simonisten1. Mit Bischofsstab dargestellt ist der Priester Châtel2, rechts steht Glas und Flasche schwenkendes Mitglied des Templerordens3. Diese beiden Gestalten rahmen Enfantin4 (Le Père) ein, der seinen Arm um eine freie Frau (Femme Libre) legt. Im Hintergrund ist das Irrenhaus von Charenton abgebildet.

1 Saint-Simon

"Saint-Simon, Claude Henri, Graf, Schriftsteller und Gründer der ersten sozialistischen Schule, Enkel des vorigen, geb. 17. Okt. 1760 in Paris, gest. 19. Mai 1825, wurde in glänzenden Verhältnissen erzogen, von hervorragenden Lehrern, unter ihnen von d'Alembert, unterrichtet, trat mit 17 Jahren in den militärischen Dienst und ging mit Bouillé nach Amerika, um unter Washington für die Freiheit der Neuen Welt zu kämpfen. Nachdem er hierauf Amerika bereist und unter anderm vergeblich versucht hatte, den Vizekönig von Mexiko für einen großen Kanalbau zur Verbindung der beiden Weltmeere zu interessieren, kehrte er 1783 nach Frankreich zurück, wurde hier Oberst eines Regiments, nahm aber bald seinen Abschied. In den nächsten Jahren beschäftigten ihn die Pläne großartiger Unternehmungen. So versuchte er 1785 in Holland, allerdings vergeblich, eine französisch-holländische Expedition gegen die englischen Kolonien in Indien zustande zu bringen. 1787 ging er nach Spanien, um die Regierung zu dem Bau eines Kanals zwischen Madrid und dem Meere zu veranlassen; aber die Ausführung dieses Projekts wurde durch den Ausbruch der französischen Revolution verhindert. Diese wurde für Saint-Simon verhängnisvoll; denn er verlor durch sie sein ganzes bedeutendes Vermögen. Um seine Existenz zu sichern, betrieb er in Gemeinschaft mit einem Grafen Redern geschäftsmäßig den Verkauf von Nationalgütern; daneben aber beschäftigte ihn mehr und mehr der Gedanke, etwas Großes für das Wohl der Menschheit zu wirken, die sozialen und moralischen Übelstände im Volksleben zu beseitigen und das allgemeine Völkerglück herzustellen. Schon damals trug er sich mit der Vorstellung, dass man zur Lösung dieser Aufgabe eine neue allgemeine, eine physiko-politische Wissenschaft schaffen müsse. 1797 schied er aus dem Geschäft mit einer Abstandssumme von 144,000 Fr., um sich fortan dieser Aufgabe zu widmen. Er studierte mehrere Jahre an der Universität in Paris Naturwissenschaften und Geschichte und bereiste dann England und Deutschland. Nach Paris zurückgekehrt, verheiratete er sich 1801 mit einem Fräulein von Champgrand und stürzte sich während seiner Ehe in den Strudel des geselligen Verkehrs und der Sinnenlust. Nach einem Jahre, in dem er den Rest seines Vermögens verbraucht hatte, gab er dies Leben auf und trennte sich von seiner Frau. Er betrachtete jetzt die experimentelle Lehrperiode seines Lebens als abgeschlossen und wollte nun die Ergebnisse seiner Studien und Erfahrungen der Welt verkünden. 1802 erschien seine erste Schrift: »Lettres d'un habitant de Genève à ses contemporains«, in der er versuchte, das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft wissenschaftlich zu erfassen und eine Reform derselben sowie eine neue Gesellschaftswissenschaft und Religion zu begründen; aber seine unklaren und phantastischen Ausführungen fanden keine Beachtung. Ebenso erging es seinen folgenden Schriften: »Introduction aux travaux scientifiques du XIX. siècle« (1808, 2 Bde.), »Lettres an bureau des longitudes« (1808), »Nouvelle Encyclopédie« (1810), »Mémoire sur l'Encyclopédie« (1810), »Mémoire sur la science de l'homme« (1811), »Mémoire sur la gravitation« (1811). In die bitterste Not geraten, sah Saint-Simon sich gezwungen, zur Fristung seiner Existenz eine schlecht bezahlte Kopistenstelle in einem Leihgeschäft (mont de piété) anzunehmen, bis ihn einer seiner frühern Diener, Diard, in sein Haus nahm. Als dieser aber nach zwei Jahren starb, lebte er im Elend von den Unterstützungen seiner Freunde. 1814 erschien eine neue Schrift von ihm: »Réorganisation de la société européenne«. In ihr und zahlreichen andern, die in den nächsten Jahren erschienen, geht Saint-Simon direkt auf die soziale Frage ein, betont hier den Klassengegensatz von Arbeitgebern und Arbeitern, von Kapital und Arbeit, die ungerechte Verteilung, die falsche Eigentumsordnung, das Recht der arbeitenden Klassen auf eine neue Organisation der Produktion etc. Wegen einer dieser Schriften: »L'organisateur« (1820), in deren erstem Hefte: »Parabole politique«, er die Meinung vertrat, dass der Verlust von 10,000 Arbeitern für Frankreich nachteiliger wäre als der Verlust der königlichen Familie, des ganzen Hofstaates, des höchsten Klerus und der obersten Beamten, wurde er in Anklagezustand versetzt, aber von den Geschwornen freigesprochen. Ein größeres historisches Werk: »Système industriel« (1821-22, 3 Bde.), war der Versuch einer Geschichte der Arbeit. Nun begannen seine Schriften die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und führten Saint-Simon auch eine Schar begeisterter und hervorragender Schüler zu, wie Augustin Thierry, Auguste Comte, Saint-Aubin u.a.; indes was Saint-Simon vor allem erstrebte, die Beachtung und Anerkennung seiner Schriften durch die Männer der Wissenschaft, fand er nicht. Dazu war seine materielle Lage eine außerordentlich kümmerliche. Ihn ergriff die Verzweiflung, und im März 1823 machte er einen Selbstmordversuch, bei dem er ein Auge verlor. Saint-Simon lebte noch zwei Jahre, vergöttert von seinen Schülern, deren Zahl zunahm, und schrieb außer einem Werk: »Opinions littéraires, philosophiques et industrielles« (1825), die beiden Hauptwerke seines Lebens: »Catéchisme des industriels« (1823) und »Nouveau Christianisme« (1825), in denen er die Ideen entwickelte, die dann nach seinem Tode seine Schüler zu dem sozialistischen System, dem Saint-Simonismus, ausbildeten (s. Sozialismus). In jenem Werke wird die Arbeiterfrage als das soziale Problem der Gegenwart, ihre Lösung als die eigentliche Aufgabe der Gesellschaft hingestellt und der Weg zu ihrer Lösung nach den sozialistischen Ansichten Saint-Simons gezeigt. Das zweite Werk behandelt die religiöse Reform der Gesellschaft durch ein neues Christentum der werktätigen Bruderliebe. Nach seinem Tode bildeten seine Schüler, zu denen unter andern auch Péreire, Rodriguez, M. Chevalier, Léon Halévy, J. B. Duvergier, Bailly gehörten, unter der Führung von Bazard (s. d.) und Enfantin (s. d.) als Saint-Simonisten die erste sozialistische Schule, die von 1825-32 die neue sozialistische Lehre in weitern Kreisen mit Erfolg verbreitete. Saint-Simons Werke wurden zuletzt mit denen Enfantins herausgegeben (Par. 1865-78, 36 Bde.); sein Bildnis s. Tafel »Sozialisten I«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Châtel

"Châtel, Ferdinand François, franz. Kirchenreformer, geb. 1795 in Gannat (Allier), gest. 13. Febr. 1857 in Paris, seit 1818 Priester, machte sich seit 1823 als Feldprediger bei der königlichen Garde in Paris durch freisinnige Predigten bemerklich. Nach der Julirevolution 1830 forderte er Reformen in Kultus und Verfassung, Aufhebung der Ohrenbeichte, Gestattung der Priesterehe etc. und richtete einen Gottesdienst der »Eglise unitaire française« ein. 1842 schloss die Polizei die Tempel der neuen Kirche; ein neues Unternehmen nach der Februarrevolution endigte schon 1850 nicht glücklicher. Unter seinen Schriften ist das »Le code de l'humanité, ou l'humanité ramené à la connaissance du vrai Dieu et an véritable socialisme« (Par. 1838) betitelte Buch hervorzuheben, worin er Dogmatik und Moral auf naturalistische Prinzipien zurückzuführen suchte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Templerorden

"Templerorden, wurde zu Anfang des 12. Jahrhunderts in Palästina gegründet, war an allen Kreuzzügen hervorragend beteiligt und wusste sich im Lauf der Zeit ungeheure Reichtümer und Privilegien zu sichern. Schon im 13. Jahrhundert stand er in üblem Ruf. Man sprach von allerlei dunklen kirchenfeindlichen Aktionen und vor allem von schweren Exzessen auf sexuellem Gebiet. Bald nach der Verlegung des Ordenssitzes von Jerusalem nach Cypern (1291) kam es zur Katastrophe. Philipp der Schöne von Frankreich, vermutlich vom Verlangen nach den Schätzen der Templer getrieben, verband sich mit Papst Klemens V. und ließ 1306 den Großmeister Jakob von Molay mit 140 Ordensrittern in Paris kurzerhand verhaften. Im Anschluss an diese Tat begann der große und skandalöse Prozess, der zur Aufhebung des Ordens, zur Einziehung seiner sämtlichen Güter und zur lebendigen Verbrennung der leitenden Persönlichkeiten führte. Unter den die Hundertzahl weit überschreitenden Anklagepunkten steht die Behauptung, dass eine homosexuelle Betätigung (damals Sodomie genannt) im Orden nicht nur geübt, sondern sogar gefordert wurde, in vorderster Reihe. Bei den Verhören, bei denen allerdings die Folter eine große Rolle spielte, gaben 98 Ritter diesen Punkt zu, aber nur drei von ihnen bekannten sich selbst dieses Lasters schuldig. Von den sonstigen Anklagen sind zu erwähnen: seltsame Kusszeremonien bei der Aufnahme (Küsse auf Mund, Nabel, Bauch und Schamteile); Verleugnung Christi, Marias und der Heiligen bei der Aufnahme; Anspeiung des Kreuzes; Verehrung von Götzenbildern, »Baphomets« genannt, die mit phallischen (Buchstabe T) und homosexuellen (aus Schlangen geformte Gürtel) Emblemen geschmückt waren; Ermordung der von ihnen gezeugten Kinder, die sie dann am Feuer brieten und mit deren Fett der Baphomet eingesalbt wurde. Die Wahrheit ist nie klar ans Licht gekommen. Die Anklagen sind wohl kaum völlig aus der Luft gegriffen, aber jedenfalls gewaltig übertrieben. Manche Dinge wird man als Entlehnungen aus der Gnosis (s. d.) oder den Traditionen der Ophiten (s. d.) aufzufassen haben, so die Symbolik der mystischen, offenbar als Mannweib gedachten Baphometfigur. Portugal ist das einzige Land, in dem der Orden der Unterdrückung entging. Er musste seinen Namen in »Christusorden« abändern und besteht als solcher noch heute."

[Quelle: Bilderlexikon der Erotik : Universallexikon der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft / Institut für Sexualforschung. -- 
Wien, 1928-1932. -- CD- ROM-Ausgabe: Berlin : Directmedia, 1999. -- (Digitale Bibliothek ; 19). -- ISBN 3932544242. -- S. 4298. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]

4 Enfantin

"Enfantin (spr. angfangtäng), Barthélemy Prosper (gewöhnlich Père Enfantin genannt), Saint-Simonist und Hauptvertreter des Saint-Simonismus (s. Sozialismus), geb. 8. Febr. 1796 in Paris als Sohn eines Bankiers, gest. daselbst 31. Aug. 1864, wurde in der Polytechnischen Schule gebildet und besuchte dann als Weinreisender Belgien, Deutschland und Russland. 1821 trat er in ein Bankhaus zu Petersburg, kehrte jedoch 1823 nach Paris zurück, wo er Kassierer bei der Hypothekenbank wurde. In Gemeinschaft mit dem ihm befreundeten Olinde Rodrigues studierte er die Schriften Saint-Simons und gründete 1825 eine Kommanditgesellschaft zur Unterhaltung des Journals »Le Protecteur«, in dem er Saint-Simons Ideen entwickelte. Nach und nach bildete sich um ihn und Bazard (s. d.), namentlich seit 1829, ein Kreis von Anhängern, die Schule der Saint-Simonisten. Während Bazard die philosophisch-politische Seite des Saint-Simonismus ausbildete, verfolgte Enfantin die philosophisch-soziale Richtung und hüllte sie in ein phantastisch-religiöses Gewand. Er erklärte die von der Gesellschaft aufgestellten Gesetze für ungerecht, namentlich in Bezug auf die Ehe, forderte die völlige Emanzipation der Frauen und verteidigte auch in der Entwickelung der zynischen Theorie von einem Doppelpriester die Freiheit des geschlechtlichen Verkehrs. Hierüber brach 1831 Zwist unter den Häuptern der Schule aus, Enfantin zog sich mit einigen 40 ihm treu gebliebenen Anhängern auf seine Besitzung in Ménilmontant zurück und organisierte dort eine patriarchalisch-sozialistische Gesellschaft nach seinen Lehren. Die Staatsgewalt sah in der Verbindung eine Verletzung des Vereinsgesetzes, zugleich auch der guten Sitten und stellte Enfantin mit seinen Genossen (Rodrigues, Michel Chevalier, Duveyrier, Barrault etc.) vor die Assisen. Im August 1832 wurde Enfantin zu Gefängnis und Geldstrafe verurteilt, die Verbindung wurde aufgelöst, der Saint-Simonismus war damit vernichtet. Enfantin ging, nach einigen Monaten seiner Hast wieder entlassen, nach Ägypten und wurde dort als Ingenieur des Paschas an den Nildämmen beschäftigt. Wieder nach Frankreich zurückgekehrt, erhielt er eine Anstellung als Postmeister und ging dann als Mitglied einer mit der Untersuchung der Kolonisationsfrage beauftragten Kommission nach Algerien. Diese Frage besprach er in seiner Schrift »Colonisation de l'Algérie« (Par. 1843). Nach der Februarrevolution redigierte er wieder ein Journal, »Le Crédit public«, das viel von dem alten Saint-Simonistischen Geist in sich hatte, aber bald aus Geldmangel einging. Später ward er bei der Verwaltung der Lyoner Bahn angestellt. Von seinen Schriften verdienen Erwähnung: »Économie politique, et politique Saint-Simonienne« (1831); »Morale« (1832); »Le livre nouveau« (1832); »La religion Saint-Simonienne« (1831). Seine Werke erschienen gesammelt mit denen von Saint-Simon in 17 Bänden (Bd. 24-40, Par. 1865 ff.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Bildquelle: Die Karikatur zwischen Republik und Zensur : Bildsatire in Frankreich 1830 bis 1880, eine Sprache des Widerstands? / Hrsg. und Red.: Raimund Rütten ... Unter Mitarb. von: Gerhard Landes ... -- Marburg : Jonas-Verl.,1991. -- 502 S. : zahlr. Ill. ; 29 cm. -- ISBN: 3-922561-97-7. -- S. 169]


1841


Franz Grillparzer (1791-1872): Indische Philosophie. -- 1841

Lobt mir ihr Wissen, ihre Kunst
Und ihres Schauens Macht,
Ich frag euch um dies eine nur:
Wohin sie es gebracht.


Georg Herwegh (1817-1875): Heidenlied. -- 1841


»Der verfluchte Pfaffe weiß selbst nicht, was e will; hol ihn der Teufel!«
Friedrich der Große

Wie lebten doch die Heiden
So herrlich und so froh!
Das war ein Volk von Seiden,
Wir sind ein Volk von Stroh;
Entführt' ein Ochs ein schönes Kind
Zuweilen auch - doch glaubet mir:
Die Heiden waren nicht so blind,
Nicht halb so blind als wir.

Die Heiden, 's ist doch schade
Um solch ingenium;
Sie hießen Vier gerade
Und nahmen Fünf für krumm;
Auch hatt' die Jungferschaft ein End',
Sobald die Magd ein Kind gebar,
Dieweil das Neue Testament
Noch nicht erfunden war.

Sie taten, was sie mochten,
Die Frechheit war enorm;
Sie siegten wenn sie fochten,
Auch ohne Uniform;
Sie hatten keine Polizei
Und tranken lieber Wein als Bier,
Wie waren doch die Heiden frei,
Die Heiden! - aber ihr?

Und von Achill und Hektor,
Wie's im Homerus steht,
Bis zu dem letzten Rektor
Der Universität,
Da gab's kein Buch in ganz Athen -
O schreckliche Verworfenheit!
Man wurde vom Spazierengehn
Und von der Luft gescheit.

Wie wussten sie die Tatzen
Den Pfaffen abzuhaun!
Die durften nur nach Spatzen,
Nicht nach den Weibern schaun;
Den Prinzen gar erging es schlecht,
Die fanden kaum ein Nachtquartier;
Wie hatten doch die Heiden recht,
Die Heiden! - aber ihr?

Die Heiden, ach! die Heiden,
Die keine Christen sind,
Sie spinnen doch die Seiden
Für manch ein Christenkind;
Drum lebe hoch das Heidenpack
Und jeder echte Heidenstrick,
Homerus mit dem Bettelsack
Und ihre Republik!


1849


Rudolf von Gottschall (1823 - 1909): Ost und West. -- 1849

Im Orient, im Orient,
Wo ewig blau das Firmament,
Wo in der Ganga heil'ger Flut
Die Lotosblume träumend ruht,
Wo stolz des Himalaja Höh'n
Auf Kaschmirs Eden niedersehn,
Wo die Natur so mild und lind
Im Traume lächelt wie ein Kind:
Dort möcht' ich wohl ein Hindu sein,
Gleich der Natur so sanft und rein,
Vor den Pagoden niederknien,
Ein Derwisch durch die Lande ziehn
Und glauben an die Götterwelt
Hoch über mir im Himmelszelt,
Und glauben an der Vedas Spruch,
An jedes Wort im heil'gen Buch;
Dort möcht' ich wohl an flammenden Altären
Die menschgeword'nen Götter fromm verehren.

Im Okzident, im Okzident,
Wo wolkenschwer das Firmament,
Da kehrt der Geist beim Geiste ein,
Und Herr muss der Gedanke sein,
Da wird der blinde Wahn bekriegt;
Da herrscht das Wort, das schlägt und siegt.
Hier lull' in süße Träumerei'n
Uns keine Pfaffenkaste ein!
Hier gilt kein heil'ges Fabelbuch,
Hier nur des Geistes freier Spruch.
Ernst ist und sinnend die Natur,
Kein Pflanzenwuchs der Tropenflur,
Kein üpp'ger Spezereienduft,
Kein Wohllustbad der schwülen Luft:
drum sind wir frisch und krafterfüllt,
Sind selbst uns Schwert, sind selbst uns Schild,
Und brauchen nicht bei menschgeword'nen Göttern
Uns einzuschmeicheln und uns einzuvettern.

Im Orient, im Orient,
Wo heiß die Tropensonne brennt,
Da möcht' ich wohl ein Türke sein,
Mich immer süßer Ruhe weih'n,
Und geistesdumpf, gedankenlos
Einschlummern in der Wohllust Schoß,
Auf meinen Diwan hingestreckt,
Von duft'gen Blüten zugedeckt,
Die lange Pfeife in der Hand,
Den Blick zum Himmel hingewandt,
Auf dessen ewig heit'rem Blau
Mir niederquillt der Ruhe Tau:
So möcht' ich sitzen Tag und Nacht,
Vertrauend des Propheten Macht,
Und tönt der Ruf vom Minarett,
So neig' ich fromm mich zum Gebet,
Bis einstens mir im Paradies der Lüste
Entgegenblüh'n der Houris1 üpp'ge Brüste.

Im Okzident, im Okzident,
Wo keine Tropensonne brennt,
Da schließe nie zu süßer Ruh
Der Geist der Zeit die Augen zu;
Da wiege nie in Trämerei'n
Der Wohllust Opium uns ein!
Hier gilt es Taten, kraftbeschwingt!
Der Freiheit Hahnenruf erklingt;
Ein großer, schöner Morgen bricht
Jetzt an mit ahnungsvollem Licht.
Wer möchte wohl bei seinem Schein
Noch eines Sultans Sklave sein,
Ein kraftlos feiler Haremsknecht,
An Leib und Seele abgeschwächt?
Im Westen braust im Tatendrang
Der Weltgeschichte Sturmgesang,
Und die Geschichte mahnt mit Flammenlettern,
Die Despotien in den Staub zu schmettern.

Erläuterung:

1 Houris: himmlische Nymphen

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 56f.]


1870


Georg Herwegh (1817-1875): Man schlägt sich, man verträgt sich (urwäldlich). -- März 1870

Ein Stamm von Wilden prügelt seinen Götzen
(Las ich in einem Buche voll Ergötzen)
Und pflegt sogar mit Füßen ihn zu treten,
Wenn er nicht gleich erhört, um was sie beten.

Um Skalpe beten sie, um Rindviehhäute,
Um einen Schnaps vielleicht — wie andre Leute
Um Neckartäler oder Schwarzwaldhügel —
Item, auch Götter kriegen manchmal Prügel.

Des andern Tages aber steht der Fetisch
Am alten Platz und lächelt majestätisch:
"Ich wusste schon, es würd' nicht lange dauern,
Das Toben dieser Wilden an den Mauern.

Ich kenne meine alten Indianer —
Beim Gerstensafte reden sie pianer,
Und trotz so manchem häuslichen Krakeele,
Verbindet uns ein Bier und eine Seele."


1882/1883


Frank Wedekind <1864 - 1918>: An die Weltschmerzler

Oh, ihr erbärmlichen Knechte der Zeit,
Ihr wollt die Schöpfung verachten;
Je unverschämter, je blinder ihr seid,
Desto höher glaubt ihr zu trachten.

Der Glaube floh und der Weltschmerz blüht.
Der Pessimismus ward Mode.
Da singt ihr nun ewig das nämliche Lied
Und jammert und quält euch zu Tode.

Ist euch verleidet der Menschen Trug,
Nun wohl, so lasset das Keifen.
Ein jedes Flüsschen hat Wassers genug,
Euch sämtliche zu ersäufen.

Ihr spottet des Lebens und bildet euch ein,
Ihr ständet erhaben darüber;
Und schaut ihr ein schimmerndes Mädchenbein,
So überfällt euch das Fieber.


1886


Arno Holz (1863-1929): Anti-Hiob. -- 1886

Schon Heine meinte: die Menge tut's,
Und im Frühling blühten die Quitten -
Der alte Mann aus dem Lande Uz
Hat nicht umsonst gelitten.

Erst gestern hat man ihn aufgestellt
Als modischen Dalai Lama,
Und schluchzend liest nun die ganze Welt
Sein primitives Drama.

In seinem Namen als Schutzpatron
Sezieren sich tragisch die Reimer -
O du katzengräulicher Buddhaton,
Kenne die Pappenheimer!

Schlagt tot die Sonne, wenn sie glüht,
Mit pessimistischen Knüppeln!
So lange noch eine Rose blüht,
Lass ich mir mein Herz nicht verkrüppeln!


1896



Abb.: L'amoureuse de Mozart: = die Liebhaberin Mozarts: die Dame am Klavier behauptet, mit Mozart aus dem Jenseits Sex zu haben . -- Karikatur von Théophile Alexandre Steinlen <1859 - 1923>. -- In: Gil Blas Illustré. -- 1896-08-14


1902



Abb.: Franz Jüttner (1865 - 1926): Nietzsche. --1902


1905


Frank Wedekind (1864-1918): Trost. -- 1905

Der Tod kommt bald und sicher,
Hält stets sich in der Näh.
Er ist ein fürchterlicher
Tröster im Erdenweh.

Ich hasse ihn nicht aus Liebe,
Ich liebe ihn heiß aus Hass.
Wenn man unsterblich bliebe,
Wie grauenvoll wäre das!

Des Fressens und Weitergebens
Urewige Wiederkehr
Als höchsten Ertrag des Lebens
Ertrag ich nicht länger mehr.


1908



Abb.: Die Verehrung der Sonne "OSRAM". -- Werbung. -- 1908

[Bildquelle: Chronik 1908 / Richard Miklin. -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1992. -- 240 S. : zahlr. Ill. . -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-577-14008-9. -- S. 80]


1909



Abb.: Albert Weisgerber (1878 - 1915): Eine künstlerische Offenbarung. -- 1909

"Ich nenne meinen Tanz den 'Tanz des altindischen Dschanataputra'. Ich kann den Leuten doch nicht sagen, dass ihn mein Impresario Isidor Meier erfunden hat!"

[Bildquelle: Piltz, Georg: Geschichte der europäischen Karikatur. -- Berlin : Deutscher Verlag d. Wiss., 1976. -- 328 S. : 310 Ill. ; 28 cm. -- S. 226]


1911



Abb.: Armer Himmel!: Der Sohn des Himmels Pu Yi, geboren 1906, seit 1908 Kaiser Chinas. -- 1911


1912



Abb.: Arme Sonne!: So schaut ein direkter Nachfahre der Sonnengöttin aus: der japanische "himmlische" Kaiser, der 123. Tenno Joschihito besteigt 1912 den Thron. Während seiner Amtszeit (bis 1926) kommt der japanische Imperialismus zur vollen Blüte


1914


Otto Ernst [= Otto Ernst Schmidt] (1862 - 1926): Der Mystikus. -- 1914

O hättest du immer "dunkel" geschrieben,
Du wärest ein Symbolist geblieben!
Zum ersten Male schrieb er klar
Da sah man's, dass er ein Simpel war.


1919


Kurt Tucholsky (1890 - 1935): Mit einem japanischen Gott. -- In: Fromme Gesänge. -- 1919


Abb.: Glücksbuddha. -- Bildquelle: http://dailypics.blogfodder.net/archives/2001_10.html. -- Zugriff am 2004-12-12

Da hockt der dicke Gott und grinst,
der schwere Bauch in düstern Falten . . .
und über des Geschickes Walten
sitzt jener ruhig da und blinzt . . .

O Wandrer, lüfte deinen Hut!
Denn dieser strebt zum Idealen.
Was weiß er von des Denkens Qualen?
Er existiert und damit gut!

Theobald Tiger


1922


Erich Weinert (1890-1953): Die Okkultisten. -- 1922

Sie sitzen in schwarzer Nische
Eng aneinandergerückt;
Da werden heimlich die Tische
Und dann sie selber verrückt.

Das Medium im kleinen Glastisch
Verursacht ein Nachttopfgeräusch:
Dann erscheint es, ideoplastisch,
In Badehosen und keusch.

Man macht mit den Gegenständen
Telekinetisch Radau.
Der Kosmos ruht in den Händen
Der medialen Rotundenfrau.


Kurt Tucholsky (1890 - 1935): Die Mühle. -- In: Die Weltbühne. -- 1922-09-07


Abb.: Tibetische Gebetsmühle [©MS ClipArt]

Für Gussy Holl1

Zum erhabenen Brahma
betet jeder Lama
weit in Tibet ein Gebet.
Sitzt da im Gestühle
und dreht an einer Mühle,
die zum Beten vor ihm steht.
Uralt Wort vom Priestertum:
»Om - mani - padme - hum!«2

Für Rezitation "Om mani ..." hier drücken

Quelle der wav-Datei: http://www.dharma-haven.org/tibetan/meaning-of-om-mani-padme-hung.htm. -- Zugriff am 2004-12-13]

Hier bei uns zu Lande
am unsichtbaren Bande
jeder solche Mühle schleppt.
Mancher will nur beten
zu den Papiermoneten,
bis ihn die Devise neppt.
Stets zählt er sein Eigentum . . .
Om - mani - padme - hum!

Mancher sieht nur Weiber
Brüste nur und Leiber -
keine, keine lässt ihn still.
Taumelt durch die Nächte,
dass er die Frauen schwächte,
weil die Mühle es so will.
Der kennt nur ein Heiligtum . . .
Om - mani - padme - hum -

Mancher stelzt wie'n Gockel
und klemmt sich das Monokel
ein - und betet nur zum Heer.
Will den Kerls was pfeifen
und seine Deutschen schleifen
und wünscht sich einen Weltkrieg her.
»Nieder mit dem Judentum!
Om - mani - padme - hum!«

Also drehn verdrossen
alle Zeitgenossen
immer ihre Mühle rum.
Jeder hat die seine,
und jeder dreht nur eine
Walze lebenslänglich um.
Was sind Schönheit, Geld und Ruhm -?
Om - mani - padme - hum.

Theobald Tiger

Erläuterungen:

1 Gussy Holl (1888 - 1966): Filmschauspielerin

2 Om mani padme hum: "Om das Juwel ist im Lotus. Hum": Mantra des Bodhisattva des Erbarmens,  Avalokiteshvara (Chenrezig )


1924


Erich Weinert (1890-1953): Der Novize. -- 1924

Im Affenhaus,
Auf einem Treppchen,
Saß ein braunes Häppchen
Und sah melancholisch aus.
Es dachte an seinen Kokoswald;
Denn hier war es kalt.
Da hüpfte auf seine Leiter
Ein Affe, älter und gescheiter.
Der sagte sehr kategorisch:
„Dieser Käfig ist nur illusorisch!"
Denn er vertrat die These
Von der innern Befreiung;
Auf die komme es an,
Und die erreiche man
Nur durch Askese
Und Selbstkasteiung.
Man müsse sie üben
Von früh bis spät.
Und dabei fraß er die Rüben,
Die der andre verschmäht.


1925


Kurt Tucholsky (1890 - 1935): Olle Germanen.  -- In: Die Weltbühne. -- 1925-03-03

Papa ist Oberförster,
Mama ist pinselblond;
Georg ist Klassen-Oerster,
Johann steht an der Front
der Burschenschaft
'Teutonenkraft'.
Bezahlen tut der Olle.
Was Wotan4 weihen wolle!

Verjudet sind die Wälder,
verjudet Jesus Christ.
Wir singen über die Felder,
wie das so üblich ist,
in Reih und Glied
das Deutschland-Lied.
Nachts funkelt durch das Dunkel
Frau Friggas1 Frost-Furunkel.

Die Vorhaut, die soll wachsen,
in Köln und Halberstadt;
wir achten selbst in Sachsen,
dass jeder eine hat.
Ganz judenrein
muss Deutschland sein.
Und haben wir zu saufen:
Lass Loki2 ruhig laufen!

Wer uns verlacht, der irrt sich.
Uns bildet früh und spät
für 1940
die Universität.
Wer waren unsre Ahnen?
Kaschubische3 Germanen.
Die zeugten zur Erfrischung
uns Promenadenmischung.
Drum drehten wir
zum Beten hier
die nationale Rolle.
Was Wotan4 weihen wolle !

Theobald Tiger

Erläuterungen:

1 Frigga =  Frigg: in der nordischen Mythologie Odins Gemahlin. Nach ihr ist der Freitag benannt. Sie weiß aller Menschen Geschick, obgleich sie es keinem voraussagt.

2 Loki:  in der nordischen Mythologie ein Gott, dessen Name »Beschließer« oder »Endiger« bedeutet, da das Element, über das er gebietet, das Feuer, nach germanischem Glauben das Ende der Welt herbeiführt.

3  Kaschuben: alter slawischer Volksstamm

4 Wotan: germanischer Gott, entspricht dem nordischen Odin



Abb.: Ein Gottkönig stirbt: Der 13. Dalai Lama, Thupten Gyatso (1876-1933). Nach seinem Tode beginnt die Suche nach seinem Nachfolger.


Abb.: Wahrhaft göttlich!: So schaute der Dalai Lama als Zweijähriger aus


1934



Abb.: Ein Zeichen der Zeit als Naturwunder: Das umstehend gezeigte Tier ist mit dem Hakenkreuz auf der Stirn zur Welt gekommen. Dieses bescheinigt ... Amtsvorsteher". -- 1934 [wohl ernst gemeint]

[Bildquelle: : Propagandapostkarten / ges. u. hrsg. von Robert Lebeck. Mit e. Einl. von Manfred Schütte. -- Dortmund : Harenberg. -- 18 cm. -- Teil 2., 80 Bildpostkarten aus den Jahren 1933 - 1943.  -- 1980. -- 178 S. : 80 Ill. (z.T. farb.). -- (Die bibliophilen Taschenbücher ; Nr. 157). -- ISBN: 3-88379-157-1. -- S. 43]


1926


Slang [= Fritz Hampel (1895 - 1932)]: Du bist wie eine Sybille : Rabindranath Tagore1 in Berlin. -- In: Die Rote Fahne. -- 1926-09-15


Abb.: Tagore in Deutschland. -- 1930 [Bildquelle: http://www.parabaas.com/rabindranath/articles/pMartin1.html. -- Zugriff am 2004-11-26]

Wer gestern nachmittag 3 Uhr das Brandenburger Tor passierte, konnte aus dem Eingang zur englischen Botschaft eine Gestalt auftauchen sehen, die alles Irdische — außer ihren guten Beziehungen zur englischen Regierung — von sich abgestreift zu haben schien: den indischen »Philosophen« und »Dichter« Tagore, der das soziale Elend seiner indischen Volksgenossen mit dem Hinweis auf die Lilien des Feldes, die weder säen noch ernten, aber doch ihr Auskommen haben2, zu beheben gedenkt.

Am Montag abend las er in der Philharmonie aus eigenen Werken. »Freunde, redete er uns an!« schwärmt die »Vossische«3 und bemerkt entzückt seinen weißseidenen Philosophenbart, den braunen Talar, das rote Kissen des Brokatsessels und die helle, klare, hohe Stimme.

Was er sagt, ist nicht die Hauptsache. Jedenfalls ist es eine »blumige, zarte, gütige Philosophie, die dem Vers entgegenlebt«, »Lyrisch-Zartes, Erotisches«, kurz: ein Hinweis auf die Lilien des Feldes. »Eine reine, glückselige Heiterkeit verwandelt den wunderbaren Mann. Und uns mit ihm«, sagt der reine Schmock4 der »B.Z.«5. Der »Vorwärts«6 schließt während des Vortrages die Augen und bildet sich ein, »daß nicht ein kraftvoller Greis dort auf der Bühne tönende Verse skandiert«, sondern »eine Sybille, um mit heller, hallender Frauenstimme freudige Wahrheiten zu verkünden«.

Es liegt nicht im Wesen einer Sybille, dem blutrünstigen englischen Imperialismus Vorwürfe zu machen oder gar die Millionen armer Inder zum Kampfe gegen ihre schamlose Ausbeutung durch die Engländer aufzurufen. Eine Sybille verkündet lieber mit heller, hallender Frauenstimme freudige Wahrheiten, zum Beispiel, daß gewisse Mädchen schön und gewisse Vögel gelb sind. Die Sybille Tagore wünscht dreierlei: Sonne im Herzen, eine gute
Abendkasse und den Hosenbandorden7.

Erläuterungen:

1 Rabindranath Tagore: Rabindranath Thakhur, anglisiert Tagore, (1861 - 1941): bengalischer Dichter, Maler, Philosoph, Pädagoge und Sozialreformer. Für die von ihm selbst vorgenommene englische Übersetzung seines Werkes Gitanjali erhielt er 1913 den ersten asiatischen Nobelpreis für Literatur. Der Text der indischen Nationalhymne Jana-Gana-Mana beruht auf einem seiner Gedichte, ebenso die Nationalhymne von Bangladesch, Amar Sonar Bangla. Zu seinen herausragenden Leistungen gehört die Gründung der Vishva-Bharati-Universität in Shantiniketan. Tagore besuchte Deutschland 1921, 1926, 1930. Er genoss hier Kultstatus.


Abb.: So lässt sichs reisen: Tagore mit seiner indischen Reisebegleiterin in Europa. -- 1926

2 Vermengung von Matthäusevangelium 6, 28f. ("Und warum sorget ihr für die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie derselben eins.") und Mätthäusevangelium 6, 26 ("Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch.")

3 Die Vossische Zeitung, eigentlich "Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrten Sachen", 1721-1934 erschienen, liberale Tageszeitung aus Berlin.

4 Schmock: gesinnungsloser Zeitungsschreiber. Ins Deutsche eingeführt durch Gustav Freytags Drama »Die Journalisten« (1854)

5 B.Z. = Berliner Zeitung am Mittag, erschien 1904-1943, gehörte zum Ullstein-Konzern

6 Vorwärts: 1876 als Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie gegründete Zeitung

7 Hosenbandorden (The Most Noble Order of the Garter) ist der exklusivste Orden Großbritanniens

[Quelle: Fritz Hampel (Slang) <1895 - 1932>: Panoptikum von vorgestern : Satiren, Humoresken u. Feuilletons / Fritz Hampel. Hrsg. und mit einem Nachw. von Wolfgang U. Schütte. -- 2., durchges. Aufl. -- Berlin : Verlag Tribüne, 1982. -- 274 S. ; 21 cm. -- S. 78f.]


1929


Kurt Tucholsky (1890 - 1935): Götzen der Maigoto-Neger. -- In: Deutschland, Deutschland über alles. -- 1929


Abb.: Götzen der Maigoto-Neger

„. . . . einen seltsamen Brauch. Der Stamm stellt seine Götzen — aus Holz oder sogar Wachs bekleidet in besondere Hallen und umtanzt sie bei feierlichen Gelegenheiten. Der Verfasser hat Gelegenheit gehabt, in diese Räume einzudringen — man sah gradezu grauenerregende Gestalten, wüste Masken voller stumpfer, fast tierischer Rohheit im Blick ein Götze thronte auf einem Totem-Tier und hielt einen Wurfspieß in der Hand . . . die Maigoto-Neger sind sehr stolz auf diese Kunstwerke . . ."


1935



Abb.: Mädchen schmückt Führerbild am Erntedankfest 1935

Bekenntnis zum Führer

Wir hörten oftmals deiner Stimme Klang
und lauschten stumm und falteten die Hände,
da jedes Wort in unsre Seele drang.
Wir wissen alle: Einmal kommt das Ende,
das uns befreien wird aus Not und Zwang.
Was ist ein Jahr der Zeitenwende!
Was ist da ein Gesetz, das hemmen will
der reine Glaube, den du uns gegeben,
durchpulst bestimmend unser junges Leben.
Mein Führer, du allein bist Weg und Ziel!

 

[Textquelle und Bildquelle: Evangelische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz : Bilder und Texte einer Ausstellung ; [Dokumentation und Kommentar zu einer im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland für den Reichstag in Berlin erstellten Ausstellung] / zsgest. und kommentiert von Eberhard Röhm und Jörg Thierfelder für die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Mit einer Einf. von Klaus Scholder. --  Stuttgart : Calwer, 1981. -- 60 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. -- ISBN 3-7668-0688-2. -- S. 69]


1937



Abb.: R. Schwarzkopf: Der Sieg des Glaubens (Der Kampf der SA ; Bild 6). -- 1937 [leider todernst gemeint]

[Bildquelle: : Propagandapostkarten / ges. u. hrsg. von Robert Lebeck. Mit e. Einl. von Manfred Schütte. -- Dortmund : Harenberg. -- 18 cm. -- Teil 2., 80 Bildpostkarten aus den Jahren 1933 - 1943.  -- 1980. -- 178 S. : 80 Ill. (z.T. farb.). -- (Die bibliophilen Taschenbücher ; Nr. 157). -- ISBN: 3-88379-157-1. -- S. 33]


1938



Abb.: "Jeder Tierfreund gibt seine Stimme am 10. April dem Schöpfer der deutschen Reichstierschutzgesetze Adolf Hitler." -- Aufruf zur Abstimmung über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. -- In: Der Tierschutz : Monatsschrift der Tierfreunde Österreichs. -- 2, 1938

Erläuterung: "Kurz nach Machtantritt schuf das Hitlerreich ein vorbildliches Tierschutzgesetz, man vergaß nur, es auch auf die Juden anzuwenden." (ein jüdischer Deutscher)

Merke: "Nicht jeder ist ein guter Buddhist, weil er nur Gemüse frisst." (Detlev Kantowski)

[Bildquelle: Stadtchronik Wien : 2000 Jahre in Daten, Dokumenten und Bildern. - - Wien, München : Brandstätter, 1986. --  525 S. ; 4°. -- ISBN 3-85447-229-3. -- S. 432.]


1940



Abb.: Glaube höchster Wahnsinnsstufe: "Heilig soll uns sein jede Mutter guten Blutes". -- Wahrspruch des SS-Lebensborn

[Bildquelle: Chronik 1940 / Christoph Hünermann. -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1989. -- 240 S. : zahlr. Ill. . -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-611-00076-0. -- S. 18]

Erläuterung:

"Der Lebensborn e.V. war im Dritten Reich ein staatlich geförderter Verein, der auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassen- und Gesundheitsideologie der Erhöhung der Geburtenrate zur Zucht einer reinen, arischen Elite dienen sollte.

Ideologische Grundlagen des Lebensborns

Der »Lebensborn e.V.« war ein Lieblingsprojekt Heinrich Himmlers, dem er Modellcharakter für die Zukunft Deutschlands beimaß. Sein bevölkerungspolitisches Denken war im wesentlichen von folgenden ideologischen Versatzstücken bestimmt:

  • Rettung der allein zur Herrschaft befähigten »nordischen Rasse« vor dem durch Geburtendefizite bedingten drohenden Untergang
  • Sammlung aller so genannten germanischen Völker in einem zu schaffenden »Reich« als Etappe zur Schaffung eines nationalsozialistisch bestimmten Imperiums
  • Der Wert eines Volkes bemesse sich an der Zahl und so genannten rassischen Qualität seiner Soldaten und Soldatenmütter
  • Steigerung der Geburtenraten bei gleichzeitiger qualitativer so genannter rassischer »Veredelung« der Deutschen

Der »Lebensborn e.V.« folgte diesen ideologischen Vorgaben und suchte sie auf dem Gebiet der Mütterfürsorge in die Praxis umzusetzen. Zentrale Anliegen des Vereins waren die Vermeidung von Abtreibungen und damit die Erhöhung der Geburtenrate, jedoch keineswegs im Sinne der Kirchen, sondern im Sinne der »neuen Moral« einer aktiven, rassisch bestimmten nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik. Dem untergeordnet waren die vom Lebensborn in der Praxis durchgeführten Fürsorgemaßnahmen für ledige Mütter so genannten »guten Blutes« (an »Müttern anderen Blutes«, vor allem «Erbkranke» konnten u. U. Zwangssterilisierungen vorgenommen werden - als menschenverachtende Kehrseite der «rassischen» Auslese). Die Nationalsozialisten setzten die in den westlichen Staaten, auch in den USA und Schweden, zum Teil noch bis 1974 "wissenschaftlich" diskutierte Eugenik konsequent in die Tat um.

Geschichte und Organisation

Geburtenrate und NS-Fürsorge

Seit dem Ersten Weltkrieg war die Geburtenrate in Deutschland stark gesunken, von 894.978 Lebendgeburten im Jahre 1920 auf 516.793 im Jahre 1932. In keinem anderen Industrieland gab es einen vergleichbaren Einbruch in der Geburtenstatistik.

Der vor allem durch den Ersten Weltkrieg bedingte Frauenüberschuss betrug über 2 Millionen. 1937 schätzte der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, die Zahl der Abtreibungen auf 600.000 bis 800.000 jährlich und damit deutlich über der Geburtenrate liegend. Pro Jahr stürben etwa 30.000 bis 40.000 Frauen an den Folgen einer Abtreibung, in Folge unsachgemäßer Eingriffe auf Dauer unfruchtbar würden etwa 300.000 Frauen pro Jahr.

Um diesen Entwicklungen entgegen zu steuern, hatte im März 1934 die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) das Hilfswerk Mutter und Kind gegründet, das enorme finanzielle Mittel, nämlich mehr als die Hälfte des gesamten Spendenaufkommens des Winterhilfswerks, erhielt. Das Deutsche Institut für Jugendhilfe e.V. betreute uneheliche Kinder, deren Väter die Alimente verweigerten. Eheschließungen wurden mit Darlehen in Form von Bedarfsdeckungsscheinen für Möbel und Hausrat bis zu 1.000 RM gefördert.

In diesem sozialpolitischen Kontext ist auch die Einrichtung des »Lebensborn e.V.« als konkurrierende SS-eigene Organisation zu sehen.

Vereinsgründung und Satzung

Zur vorrangigen Betreuung unehelicher Mütter wurde auf Veranlassung Himmlers am 12. Dezember 1935 der »Lebensborn e.V.« in Berlin gegründet. Der Verein war organisatorisch der SS eingegliedert, erhielt jedoch die rechtlich selbständige Form eines eingetragenen Vereins, um als juristische Person so Eigentümer von Heimen und anderem Besitz werden zu können und um auch Nicht-SS-Angehörigen den Beitritt zu ermöglichen.

Mit der Vereinsgründung wurde auch eine entsprechende Satzung mit rassistischen Vereinszielen verabschiedet.

Am 15. August 1936 eröffnete der Lebensborn sein erstes Heim »Hochland« in Steinhöring bei Ebersberg in Oberbayern. Das Heim verfügte anfangs über 30 Betten für Mütter und 55 für Kinder. Bis 1940 verdoppelte sich in etwa die Bettenzahl.

Geschäftsführer des »Lebensborn e.V.« waren zunächst SS-Sturmbannführer Guntram Pflaum und ab dem 15. Mai 1940 bis Kriegsende SS-Standartenführer Max Sollmann; ärztlicher Leiter war von Anfang an SS-Oberführer Dr. med. Gregor Ebner.

Aufnahmebedingungen

Frauen, die sich um Aufnahme bewarben, sollten laut Satzung des Lebensborns ursprünglich, wie es hieß »in rassischer und erbbiologischer Hinsicht alle Bedingungen erfüllen, die in der Schutzstaffel allgemein gelten«. Entsprechend mussten die Frauen die gleichen Anforderungen erfüllen wie jeder SS-Bewerber bei der Aufnahme in die SS und bei der Heirat:

  • Vorzulegen war der Große Abstammungsnachweis, vulgo «Ahnentafel» mit dem Nachweis der Vorfahren bis zum 1. Januar 1800, wie für die NSDAP und ihren Untergliederungen üblich.
  • Ein Erbgesundheitsbogen mit Angaben über mögliche erbliche Belastungen in der Familie war auszufüllen.
  • Ein Ärztlicher Untersuchungsbogen zum Nachweis der Gesundheit und zur «rassischen» Beurteilung fasste die Untersuchungen durch SS-Ärzte, später, wegen Ärztemangels, auch durch andere zugelassene Ärzte zusammen.
  • Die Bewerberin musste einen Fragebogen zur Person, etwa nach Beruf, Krankenversicherung, Parteizugehörigkeit, Heiratsabsicht usw. ausfüllen, zudem einen handgeschriebenen Lebenslauf mit Lichtbildern vorlegen.
  • Unverheiratete werdende Mütter hatten außerdem eine Eidesstattlichen Versicherung abzugeben, dass der angebene Mann der Vater des Kindes sei.

Sämtliche Unterlagen waren gleichfalls vom werdenden Vater einzureichen, der deshalb immer bekannt sein musste. Ausgenommen waren SS-Angehörige nur, wenn die Heiratsgenehmigung für die Mutter bereits vom Rasse- und Siedlungshauptamt erteilt worden war.

Die ursprünglich stark ausgrenzenden Auslesekriterien zur Aufnahme in die Heime wurden, wie auch die der gesamten SS, durch die Umstände des Krieges ziemlich reduziert, so dass schließlich die Anträge von etwa 75% aller Bewerberinnen bewilligt wurden. Die enormen Menschenverluste als Folgen des Krieges und das immer größer werdende Geburtendefizit der Deutschen bewogen dazu, die »rassische Auslese« nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen und Kompromisse einzugehen »zwischen der notwendigen Quantität und der bestmöglichen [rassischen] Qualität«.

Betreuung in den Heimen

Als SS-eigene Organisation war der Lebensborn in der Lage, die Geheimhaltung von Entbindungen zu gewährleisten. Eigene Standesämter und polizeiliche Meldeämter in den Lebensbornheimen sorgten dafür, dass die Heimatgemeinde einer ledigen Mutter nichts von der erfolgten Geburt erfuhr - ledige Mütter fanden mitunter wenig soziales Verständnis.

War die Aufnahme bewilligt, konnte die Frau die Zeit der Schwangerschaft auf Wunsch auch weit entfernt vom Heimatort, bis einige Wochen nach der Geburt des Kindes in einem Heim des »Lebensborn e.V.« zubringen. Sofern die Mutter ledig war, übernahm der Lebensborn e. V. die Vormundschaft. Die Kinder wurden, in einem germanisch-nationalsozialistisch-pseudochristlichem Ritual, durch Dolchauflegung unter der Hakenkreuzfahne geweiht und erhielten einen Kerzenleuchter als Geschenk, der von KZ-Häftlingen in Dachau gefertigt wurde.

Die Versorgung der Lebensborn-Heime lag auch während des Krieges über der Zuteilung für die Bevölkerung. Die ärztliche Betreuung in den Lebensbornheimen war so gut, dass immer mehr Ehefrauen von SS-Führern sich nur für die Entbindung anmeldeten. Während des Krieges waren die Lebensbornheime auch deshalb beliebt, weil sie meist außerhalb von Bomberangriffen bedrohter Gebieten lagen. Gegen Kriegsende wurden die Lebensborn-Heime etwa zur Hälfte von Frauen von SS-Angehörigen und zur anderen von ledigen Müttern in Anspruch genommen. Zwischen den beiden Gruppen kam es verschiedentlich zu erheblichen Spannungen.

Die im Lebensborn geborenen Kinder konnten in den Heimen erzogen und gegebenenfalls – soweit sie den »Rasseanforderungen« genügten – zur Adoption freigegeben werden. Bevorzugt wurden sie an Familien von SS-Angehörigen vermittelt. Nach dem Krieg wurde eine große Anzahl Lebensbornkinder misshandelt, sexuell missbraucht, psychiatrisiert und zwangsadoptiert, was nicht wenige in den Selbstmord getrieben hat. Eine der schwedischen Abba-Sängerinnnen ist eines dieser "Tyskerbarn" (vgl. englische Wikipedia).

Lebensborn-Heime

Viele Lebensbornheime wurden in enteigneten jüdischen Anwesen eingerichtet. Manche kamen auch als Schenkungen zum Verein.

Die Gesamtzahl der in den deutschen Heimen unehelich geborenen Kinder belief sich bis zum 31. Dezember 1939 auf ungefähr 770, davon befanden sich noch 354 in Lebensbornheimen.Bis zum 30. September 1944 wurden 6.584 Norwegerinnen in den dortigen völlig überbelegten Lebensborn-Entbindungsheimen aufgenommen.

Im Laufe des Kriegs wurden insgesamt 200-250 norwegische Kinder in fünf Lufttransporten in die Heime Kohren-Sahlis, Hohehorst und Bad Polzin gebracht. Sie wurden entweder von ihren Vätern aufgenommen oder kamen in Pflege mit dem Ziel einer späteren Adoption.

In von der Wehrmacht besetzten Gebieten wurden auch gezielt Kinder ihren Eltern weggenommen und verschleppt, nur weil sie den unwissenschaftlichen Kriterien entsprachen oder einfach nur »nordisch« aussahen.

In deutschen Lebensbornheimen wurden bis Kriegsende ungefähr 8.000 Kinder geboren, in Norwegen 12.000 (nach anderen Quellen 9.000). Viele Kinder aus den Lebensbornheimen haben ihre Eltern nie wiedergefunden. In Norwegen fand eine spezielle Diskriminerung der »tyskerbarn« und ihrer Mütter statt, für die sich Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik 1998 entschuldigte.

Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt

Im Nürnberger Justizgebäude wurde vor einem US-Militärgericht im Rahmen des so genannten RuSHA-Prozesses vom 1. Juli 1947 bis 10. März 1948 gegen 14 Beschuldigte verschiedener SS-Hauptämter verhandelt, darunter auch gegen vier ehemalige führende Funktionäre des »Lebensborn e.V.«. Es ergingen folgende Urteile:

  • SS-Oberführer Dr. med. Gregor Ebner (Leitender Arzt) - 2 Jahre, 8 Monate (verbüßt)
  • SS-Oberführer Max Sollmann (Geschäftsführer) - 2 Jahre, 8 Monate (verbüßt)
  • SS-Sturmbannführer Dr. jur. Günther Tesch (Leiter Hauptabteilung Rechtswesen)- 2 Jahre, 10 Monate (verbüßt)
  • Inge Viermetz (stellvertetende Leiterin der Hauptabteilung Arbeit) - Freispruch

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Lebensborn. -- Zugriff am 2005-02-06 (gekürzt)]



Abb.: Glaube höchster Wahnsinnsstufe: Altar zur Namensgebungszeremonie des SS-Lebensborn

Erläuterung: siehe oben

[Bildquelle: Chronik 1940 / Christoph Hünermann. -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1989. -- 240 S. : zahlr. Ill. . -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-611-00076-0. -- S. 18]


1941



Abb.: Tödlicher Ernst: Mütter besiegen den Tod, indem sie Kanonenfutter liefern. -- Muttertagsbeilage der Leipziger Illustrierten Zeitung. -- 1941-05-18

[Bildquelle: Chronik 1941 / Christoph Hünermann. -- 3., überarb. Aufl. . -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1991. -- 240 S. : zahlr. Ill. . -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-611-00076-0. -- S. 79]


1943



Abb.: I believe ... -- Britisches Plakat. -- um 1943

[Bildquelle: Propaganda : illustrierte Geschichte der Propaganda im 2. Weltkrieg / Anthony Rhodes. Hrsg. Victor Margolin. [Übers. und Red.: Alfred P. Zeller]. -- Stuttgart : Parkland, 1993. -- 318 S. : zahlr. Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-88059-745-6. -- S. 131]


1950


Louis Fürnberg (1909 - 1957): Lied der Partei. -- 1950

Keine Satire, sondern bitterer Ernst in der DDR: offizielles Lied der SED

Sie hat uns alles gegeben,
Sonne und Wind und sie geizte nie.
Wo sie war, war das Leben,
Was wir sind, sind wir durch sie.
Sie hat uns niemals verlassen,
Fror auch die Welt, uns war warm.
Uns schützt die Mutter der Massen,
Uns trägt ihr mächtiger Arm.

Refrain:
Die Partei, die Partei, Die hat immer recht
Und Genossen es bleibe dabei,
Denn wer kämpft für das Recht,
Der hat immer recht
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht,
Wer die Menschen verteidigt,
Hat immer recht.
So aus Lenin'schem Geist
Wächst von Stalin geschweißt
Die Partei, die Partei, die Partei.

Sie hat uns niemals geschmeichelt.
Sank uns im Kampfe auch mal der Mut,
Hat sie uns leis nur gestreichelt:
"Zagt nicht!" und gleich war uns gut.
Zählt denn noch Schmerz und Beschwerde,
Wenn uns das Gute gelingt,
Wenn man den Ärmsten der Erde,
Freiheit und Frieden erzwingt?

Refrain:
Die Partei, die Partei, Die hat immer recht ...

Sie hat uns alles gegeben,
Ziegel zum Bau und den großen Plan.
Sie sprach: "Meistert das Leben,
Vorwärts Genossen, packt an.
" Hetzen Hyänen zum Kriege,
Bricht euer Bau ihre Macht.
Zimmert das Haus und die Wiege,
Bauleute, seid auf der Wacht!

Refrain:
Die Partei, die Partei, Die hat immer recht ...


1953


Abb.: Stalinplakat, DDR, 1952 (auch ernst gemeint)

Johannes R. Becher (1891 - 1958): Danksagung. -- 1953. -- (Diese Verherrlichung des Massenmörders Stalin ist ernst gemeint)

Neigt euch vor ihm in ewigem Gedenken!
O sag auch du, mein Deutschland, Stalin Dank.
Er kam, ein neues Leben dir zu schenken,
Als schon dein Land in blutgem Schutt versank.

Er kam, aus deiner Not dich zu erretten,
Wo immer neues wächst, gedenke sein.
Hochhäuser ragen über Trümmerstätten
Und ihr Willkommen lädt uns herzlich ein.

Es wird ganz Deutschland einstmals Stalin danken.
In jeder Stadt steht Stalins Monument.
Dort wird er sein, wo sich die Reben ranken,
Und dort in Kiel erkennt ihn ein Student.

Dort wird er sein, wo sich von ihm die Fluten
Des Rheins erzählen und der Kölner Dom.
Dort wird er sein in allem Schönen, Guten,
Auf jedem Berg, an jedem deutschen Strom,

Allüberall, wo wir zu denken lernen
Und wo man einen Lehrsatz streng beweist.
Vergleichen wir die Genien mit den Sternen,
So glänzt als hellster der, der Stalin heißt...

Dort wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte
Der Apfelbäume an dem Bodensee,
Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,
Und winkt zu sich heran ein scheues Reh.

Am Wendelstein und in den Isarauen
Sind wir begegnet deinem Angesicht.
Wir sind begegnet dir im Abendblaucn,
Und sind begegnet dir im Morgenlicht.

In seinen Werken reicht er uns die Hand.
Band reiht an Band sich in den Bibliotheken,
Und niederblickt sein Bildnis von der Wand.
Auch in dem fernsten Dorf ist er zugegen.

Mit Marx und Engels geht er durch Stralsund,
Bei Rostock überprüft er die Traktoren,
Und über einen dunklen Wiesengrund
Blickt in die Weite er, wie traumverloren.

Er geht durch die Betriebe an der Ruhr,
Und auf den Feldern tritt er zu den Bauern,
Die Panzerfurche - eine Leidensspur.
Und Stalin sagt: »Es wird nicht lang mehr dauern.

Er spricht im neuen Hüttenkombinat.
Wie brüderlich und schlicht sagt er: »Genossen!«
Ein jedes Wort, das Stalin spricht, ist Tat,
Aus einem Stück sind Wort und Tat gegossen.

In Dresden sucht er auf die Galerie,
Und alle Bilder sich vor ihm verneigen.
Die Farbentöne leuchten schön wie nie
Und tanzen einen bunten Lebensreigen.

Mit Lenin sitzt er abends auf der Bank,
Ernst Thälmann setzt sich nieder zu den beiden.
Und eine Ziehharmonika singt Dank,
Da lächeln sie, selbst dankbar und bescheiden.

Die Jugend zeigt euch ihre Meisterschaft
In Sport und Spiel - und ihr verteilt die Preise.
Dann summt ihr mit die Worte »lernt und schafft«
Wenn sie zum Abschied singt die neue Weise.

Nun lebt er schon und wandert fort in allen
Und seinen Namen trägt der Frühlingswind,
Und in dem Bergsturz ist sein Widerhallen
Und Stalins Namen buchstabiert das Kind.

Wenn sich vor Freude rot die Wangen färben,
Dankt man dir, Stalin, und sagt nichts als: »Du!«
Ein Armer flüstert »Stalin« noch im Sterben
Und Stalins Hand drückt ihm die Augen zu.

Dort wirst du sitzen mit uns in der Runde
Und teilst mit uns die Speise und den Trank.
Wir heben, grüßend dich, das Glas zum Munde
Und singen dir und sagen Stalin Dank.

Stalin: so heißt ein jedes Friedenssehnen.
Stalin: so heißt des Friedens Morgenrot,
Stalin beschwören aller Mütter Tränen:
»Stalin! O ende du des Krieges Not.«

Wer je wird angeklagt des Friedens wegen,
Aufrecht stehst du in dem mit vor Gericht.
Die Richter aber ihre Hände legen
Vors Auge, denn sie blendet soviel Licht.

Du trittst herein, welch eine warme Helle
Strömt von dir aus und was für eine Kraft
Und der Gefangene singt in seiner Zelle,
Er fühlt als Riese sich in seiner Haft ...

Im Wasserfall und in dem Blätterrauschen
Ertönt dein Name, und es zieht dein Schritt
Ganz still dahin. Wir bleiben stehn und lauschen
Und folgen ihm und gehen leise mit.

Du Freund der Völker, du, ihr allerbester,
Was je war rühmenswert, blüht dir zum Ruhm.
Es spielt, den Weltraum füllend, ein Orchester
Das hohe Eied von Stalins Heldentum ...

Gedenke, Deutschland, deines Freunds, des besten.
O danke Stalin, keiner war wie er
So tief verwandt dir. Osten ist und Westen
In ihm vereint. Er überquert das Meer,

Und kein Gebirge setzt ihm eine Schranke,
Kein Feind ist stark genug, zu widerstehn
Dem Mann, der Stalin heißt, denn sein Gedanke
Wird Tat, und Stalins Wille wird geschehn.

Vor Stalin neigt euch, Fahnen, lasst euch senken!
Eis soll ein ewiges Gedenken sein!
Erhebt euch, Fahnen, und weht im Gedenken
An Stalin bis hinüber an den Rhein.

In Stalins Namen wird sich Deutschland einen.
Er ist es, der den Frieden uns erhält.
So bleibt er unser und wir sind die Seinen,
Und Stalin, Stalin heißt das Glück der Welt.

Die Völker werden sich vor dir erheben,
Genosse Stalin, und zu dir erhebt
Mein Deutschland sich: in unserm neuen Leben
Das Leben Stalins ewig weiterlebt.

[Quelle: Hell und schnell : 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten / hrsg. von Robert Gernhardt und Klaus Cäsar Zehrer. --  Frankfurt am Main : S. Fischer, 2004. -- 621 S. -- ISBN 3-10-025505-4. -- S. 491 - 494.]


Nicht datiert



Abb.: Der Schauspieler Nakamura Utaemon parodiert Buddhas Todesszene. -- Anonymer japanischer Holzschnitt


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der weiße Elefant


Abb.: Königlicher weißer Elefant, Thailand. [Bildquelle: http://www.fao.org/DOCREP/005/AD031E/ad031e00.htm. -- Zugriff am 2004-07-26]

In Siam1 ehret man den weißen Elefanten;
Er wird auf Gold bedient und wohnt in einem Schloss.
Der fromme Pöbel küsst die Fährte des Giganten,
Mit Weihrauch frönet ihm ein bunter Pfaffentross:
Oft sieht man Heere gar im Krieg ihr Blut verspritzen,
Um dieses Kleinod zu besitzen.

Ein solcher weißer Elefant
Er hatte, wie man sagt, für ihrer zween Verstand —
Bat seinen Wärter einst ihm anzuzeigen,
Warum vor ihm sich alle Kniee beugen.
"Ich weiß," sprach er, "doch wahrlich nicht wofür?
Ich bin ja nur ein bloßes Tier."

"Ei," war die Antwort des erstaunten Heiden,
"Erlauchter Fürst, Sie sind auch zu bescheiden.
Ihr treuer Knecht kennt Ihren hohen Stand;
Er weiß, dass nach dem Tod der Menschen große Seelen,
Die man als Helden pries, sich das Gewand
Des weißen Elefanten wählen."

"Wer? ich ein Mensch?" versetzt das biedre Tier,
"Und wegen dieses Wahns hält man mich hier gefangen?
Freund, lass mich in den Wald, man treibt sein Spiel mit mir
Und hat euch alle hintergangen.
Urteile selbst: der Elefant kennt nur
Den Stolz des Edelmuts, verachtet schwache Feinde,
Ist mäßig im Genuss der Güter der Natur,
In seiner Liebe keusch und stirbt für seine Freunde.
Nun sage mir, wie ist's in aller Welt
Nur möglich, dass man uns für Menschen hält?"

Erläuterung

1 Siam = alter Name für Thailand


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der Kater und die Ratze

Am Indus glaubet alt und jung,
Nach der Brahminen Lehren,
An eine Seelenwanderung;
Sogar die Tiere nähren
Den Irrwahn. Immerhin, er leiht
Dem Sterblichen Unsterblichkeit,
Drum halt' ich ihn in Ehren.

Von ihrem Erbfeind aufgejagt,
Verkroch sich eine Ratze
In einen Schrank. Umsonst zernagt
Der scharfe Zahn der Katze
Das harte Holz. In sichrer Ruh
Sieht ihr der Flüchtling spottend zu
Aus seinem festen Platze.

"Wie!" rief der Schalk, "du glaubst wohl gar,
Ich könne mich vermessen,
Ich, der dein Ohm als Ratze war,
Mein Fleisch und Blut zu fressen?
Ach, liebes Bäschen, komm, ich muss
Mit einem heißen Vaterkuss
An meine Brust dich pressen."

"Die neue Sippschaft schmeichelt mir,"
Sprach jene zum Corsaren.
"Indes, Herr Vetter, wollen wir
Die Küsse noch versparen,
Bis einst auch meine Seele wird,
Vom Ratzenbalge losgeschirrt,
In einen Kater fahren."


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der Fakir

Ein Fakir lag auf seinem Bauch
Und ließ, die Sünder zu erbauen,
Sich nach dem alten Ordensbrauch
Bis auf das Blut mit Ruten hauen.
Der Pöbel sah den Wundermann
Mit heiligem Erstaunen an.
"Ihr Götter," hort er einen sagen,
"Welch eine Selbstverleugnung!" "Was!"
Versetzt der Schwärmer, "glaubt ihr das?
Kein Fakir lässt umsonst sich schlagen.
Geduld! das Blättchen wendet sich;
Der Tod verwandelt euch in Pferde,
Und wehe dem, auf welchem ich
Im Paradiese reiten werde!"


Friedrich Martin Bodenstedt (1819-1892): Schein und Wesen

(Morgenländisch.)

Der Lehrer sprach zum Schüler: „Sieh',
mein Sohn, den Schatten dort vom Zelt,
er gleicht dem Dasein dieser Welt,
ist ganz so wesenlos wie sie.
Beachte, wie ich meine Hand
jetzt auf zum Licht der Sonne hebe
und unter uns dem Wüstensand
selbst mit den Fingern Schatten gebe:
Er scheint dir greifbar und bezirklich,
allein, du siehst, er ist nicht wirklich;
denn alles Wirkliche besteht,
derweil der Schatten schnell vergeht,
zieh' ich die ausgestreckte Hand
zurück ins hüllende Gewand.
Und wie der Schatten wesenlos
ist alles, Täuschung uns'rer Sinne,
Vorstellung des Gehirnes bloß
und nicht» zu bleibendem Gewinne.
Selbst jener Glutenborn am Himmel
und nachts die leuchtenden Gestirne,
das ganze atmende Gewimmel
des Weltalls lebt bloß im Gehirne,
im Schau'n des inneren Gesichts;
wird dies vernichtet, so bleibt nichts."

So sprach und ging der Lehrer weiter
mit seinem grübelnden Begleiter,
der, durch die Lehren ganz verwirrt,
vom rechten Weg sich bald verirrt
im endlos dürren Wüstenraum,
wo keine Quelle und kein Baum
im Sonnenbrande Kühlung bot.
Da, fernher tauchte bräunlichrot
ein Felsblock auf, der, schmal und scharf,
gerade so viel Schatten warf,
den Schüler vor der Glut zu schützen.
Dem Lehrer könnt' er nichts mehr nützen,
er kam zu spät, doch fleht er kläglich:
„Mach' Platz, die Glut ist unerträglich!
Ich kann nicht weiter vor Ermatten,
sei menschlich, teil' mit mir den Schatten!"
Darauf der Schüler: „Du verkehrst
die eig'ne Lehre: — eben erst
sprachst du, der Schatten sei nur scheinbar,
nur eine Vorstellung, ein Nichts,
ein Bild des inneren Gesichts;
dein Wunsch ist nicht damit vereinbar;
dir sitzt der Schatten im Gehirne,
mir kühlt er meine glüh'nde Stirne,
ich find' ihn wesentlich und wirklich,
sehr fühlbar and genau bezirklich,
für mich ist er ein wahrer Schatz.
Doch räum' ich dir sogleich den Platz,
wenn du gestehst, dass du geirrt,
und deine Lehre nur verwirrt."

„Nein," — rief mit zornigem Gesicht
der Lehrer — „nein, das tu ich nicht!
Was meine höh're Einsicht fand,
weicht nicht dem platten Volksverstand."

Der Schüler sprach: „Ich warne dich,
leicht wirst du deines Irrwahns Beute!" —
Der Lehrer starb am Sonnenstich,
der munt're Schüler lebt noch heute.


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der Fakir und der Hund

Ein Hund fuhr einen Fakir an,
Und riss ihn bloß zum Spaß am Rocke.
Mit aufgehobnem Knotenstocke
Sprach, still ergrimmt, der heil'ge Mann:
"Ich würde dir den Nacken brechen,
Verböte das Gesetz es nicht.
Doch Böses von den Bösen sprechen,
Ist jedes Wahrheitsfreundes Pflicht."
Nun rief er laut: "In Brahmas Namen!
Ihr Nachbarn, helfet, helfet mir!
Der Hund ist toll." Die Nachbarn kamen
Und steinigten das arme Tier.


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Die Witwe

In Dekhan1 hielt ein junges Weib
Beim Nabob2 an, ihr zu vergönnen,
Dem Mann zu Ehren, ihren Leib
Als Totenopfer zu verbrennen.

"Nein," sprach der Fürst, "Das kann nicht sein!"
Die Frau bestand auf ihrer Bitte,
Und er, ein Feind der alten Sitte,
Beharrte fest auf seinem Nein.

Sie klagt ihr Leid mit frommen Zähren
Dem Oberbrahmen3. "Fluch auf ihn!"
Rief er, "kann der Tyrann dir wehren,
In deines Gatten Arm zu fliehen?"

"Wie?" sprach das Weib, "zu meinem Gatten?
Zu lange war er meine Qual;
Er kriegt mich nicht zum zweitenmal.
Gott Brahma tröste seinen Schatten!"

Erläuterungen: bezieht sich auf die Sitte der Witwenselbstverbrennung (satî) in Indien

1 Dekhan = südindische Hochebene

2 Nabob = Statthalter

4 Oberbrahmen = Oberbrahmanen


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der Tiger in der Hölle

An Luce

Auch für die Tiere schuf Zeus ein Elysium1
Und einen Tartarus2. Zwar schweigt Aesop3 zur Sache;
Doch es errät sich leicht warum:
Er fürchtete der Pfaffen Rache.
Da lob ich mir mein Saeculum4,
Das nicht mehr an Symbolen5 klaubet,
Und was ich will, sei's noch so dumm
Und noch so ketzerisch, zu sagen mir erlaubet.
Doch nun zu meinem Text. Ein tierischer Tyrann,
Ein großer Tiger, ward durch Rauben und durch Morden
Der Schrecken seines Gaus. Er würgte ganze Horden,
Und was des Ogers6 Grimm entrann,
Verkroch sich in entlegne Steppen.
Umsonst befahl der Leu, ihn vor Gericht zu schleppen;
Er spottete mit frechem Witz
Des Großsultans und der Justiz.
Einst fraß das Ungetüm sogar auch seine Jungen
In einem Anstoß leckrer Wut;
Die sichre Mutter war zum Schutz der kleinen Brut
Auf ihr Geschrei herbeigesprungen;
Auch sie erlag in ihrem Blut.
Doch biss sie sterbend ihn noch in die Kehle,
Und eh der Tag verging, fuhr seine schwarze Seele
Mit Brüllen in die Unterwelt.
Ein Dogge, der Merkur7 des Schattenreichs der Tiere,
Führt ihn vor den Senat. Die Richter sind drei Stiere,
Die den Gott Apis8 einst mit Würde vorgestellt.
Der Mörder ward verhört. Er trotzte den Archonten9,
Die sich auf ihrem Thron vor Zorn kaum halten konnten.
"Nein," rief der Präsident, "ein solcher Bösewicht
Kam uns, seitdem uns Zeus die höchste Richterstelle
Verliehen hat, noch niemals zu Gesicht:
Man führ' ihn in die Menschenhölle!"

Das Kompliment, mein Freund, war nicht sehr schmeichelhaft
Für uns, die wir so sehr mit unsrer Würde prahlen.
Doch was verschlägt das unsern Kannibalen?
Die haben ja den Orkus10 abgeschafft.

Erläuterungen:

1 Elysium = Gefilde der Seligen.

2 Tartarus = tiefste Hölle

3 Aesop = angeblicher griechischer Fabeldichter

4 Saeculum = Jahrhundert

5 Symbolen = Glaubensbekenntnissen

6 Oger = menschenfressender Riese und Dämon

7 Merkur = hier: Götterbote, Begleiter der Verstorbenen in der Unterwelt

8 Apis = heiliger Stier

9 Archonten = oberste Staatsbeamte

10 Orkus = Totenreich, Unterwelt


Aloys Blumauer (1755-1798): Der Aberglaube

Nach dem Französischen.

Ein Mann, dem eine Maus des Nachts den Schuh zerbiss,
Erzählte einst dem weisen Kato dies,
Als ein Ereignis, das ihn sehr beängstigt hätte.
Darüber, Freund, legt ruhig euch zu Bette,
Sprach Kato; denn das Wunder wär'
Um zehnmal noch bedenklicher,
Wenn euer Schuh die Maus gebissen hätte.


Aloys Blumauer (1755-1798): Der evangelische Bauernjunge, in der katholischen Kirche

Vater hört's nur Wunder an!
Wann is nur erzählen kann,
Was darnächst an Feiertägen
In der grossen Stadt is g'schegen,
Woas nit, wo i z'erst anheb,
Was ihm vor an Namen geb;
Sag enk, solche Sachen g'schegen,
Es vergeht am's Hörn und Segen.

Mitten war a Haus, o Hee!
Das geht enk so weit in d'Höh,
Vater! wett' um unsern Schimmel,
D'Rauchfäng g'langen bis an Himmel
Und da drina geht's erst zue,
Oans thut seufzen, s'andre schrein
Nir als lauter Narrathein:
Gold'ne Männer schwarz und gre
Stenga bockstarr in der Höh,
Hat dermeni Mandl gebn,
Ochs und Esel a darnebn,
Nackette am ganzen Leib,
Und a schön aufputztes Weib,
Grosse Männer, klani Kindel,
Allerhand so g'spassigs G'sindel,
Aber alli saan so frum,
S'red't und deut, und schaut kanns um;
Aber s' gfallt mir gar nit recht,
Daß a Schind'r und Henkersknecht
In das schöne Haus hingengen,
Dorten schinden, köpfen, hängen:
A! den habens recht zug'richt,
Grausam, wann mans nur ansicht,
Hab'n ihn gaselt, und ang'nagelt
Daß ihm 's Herz im Leib hat g'wagelt,
Alles ging so wunderli,
I wust gar nit, wo i bi.

Oben kommt durch d' Mauer g'schloffen
A weiß Mandl, das war b'soffen,
Hebt er glei zu greinen an,
That sie giften wie a Han;
Flucht enk d' Höll, und Teufel zoma,
That se vor kaan Menschen schoma,
Macht am recht um's Herz so schwar,
Dacht nur, wann i draussen war:
Kunnt sein Spaß recht ernstli machen,
That a nit a Bissel lachen.

Neben meiner war a Weib
Hat an dürren hagern Leib,
Ich hätt's gar gern wissen mögen,
Ob's auf d'Wochen nit wird regen:
Hat was mitma Schnierl than
Lauter schwarzi Kügerl d'ran,
Die konnt mehr als Bier'n braten
Is a Her, habs glei darathen:

Mitma Stangel kummt a Mann,
Kunti! was der Kerl kann:
Das war a kurioses Wesen.
Den saans alli schuldi g'wesen,
A Zauberei am Stangel hing,
Das macht alleweil kling kling:
Wann ers am nur hin that recken
Mußt' er glei a Geld d'rein stecken:
Hab dem Vogel gar nit traut,
Weil er so verzwickt ausschaut,
Is enk schlau um d' Leut rumg'schlichen,
Aber, bin ihm glei ausg'wichen:

A Kastel in am Winkel war,
Und da drina hock'n a Paar,
Das hat zwar verdächti g'schina,
Hab g'mant, s'seyn zwa Madel drina;
S' andre schien wohl wie a Mann,
Aber 's hat an Küttl an.
Die zwa kunten ihre Sachen
Mit anand recht hamli machen.

Rückwärks that der Hausherr steh'n
In am Eck recht wunderschön:
Hint und vorn a lauter Borten
Es war gar ka Herr so dorten,
Bild't si a an Baz'n ein
Wie halt grosse Herren seyn,
Hat er nur a Bissel g'spiert,
Daß sie wer nit frum aufführt,
That er wegen gringa Sachen
An abscheilichs Prozmaul machen,
Kurz, der Kerl is a Haad,
Sagt zum andern, glei seyds stat.
Hinten war a grosser Boden,
Stunden alte Männer droben,
Klani Bubmer a dabei
Was nit, an zween oder drei,
Und a Madel unter ihna,
Die hats treffli macha kina,
A jed's hat an Zedl g'hat,
Schwarze Hacken, krumm und grad,
D'r ane hat das Maul aufg'rissen,
D'r andre hat in Prigel bissen.
A jeder hat was anders g'macht.
An'r hat zant, der andre g'lacht,
Triebens, als obs narrisch waren,
Thaten wie die Kälber plaren:
S' Madel streckt die Gurgel r'aus,
Zwitscht enk grad als wie a Maus,
Die andern haben durch die Nasen
Gnaurt, und wie die Haltar blasen,
An alter Mann beim Kasten soß
Voller Hölzl klan und groß,
S' oft er hat a Holz angriffen,
So hat a Hörnl im Kasten pfiffen:
Aner hat a Butten g'habt,
Da hat er d'rauf her umer tappt,
Zwickt, und zwackt mit Hand und Füssen,
Das die Butt'n schrein hat müssen,
Oft steht aner an der Seit,
Der den andern allen deut,
S' sollen a weni stille schweigen,
Thaten d' Narren no mehr schreigen;
Hab'n auf a kupfers Häf'l klopft,
Da habi d' Ohren glei zug'stopft,
D' andern, die beim Hof'n sassen,
Hab'n in 'n langen Trachter blasen,
S' hat grewellt auf jeden Schlag,
Hab g'mant s'is der jüngste Tag:
Allen Leuten kommt a Graus,
S' sehen dumm und damisch aus:
D' Weiber thaten fast verzagen,
Seufz'n, und than auf d' Mieder schlagen.
Vorn da stund a mächtiger Mann,
Hat 's Hemmet über d' Hosen an;
Der kunnts recht bagschierli machen,
Daß man sie möcht narrisch lachen,
That bald knien, und bald steh'n,
Rechts und links und rückwärts geh'n,
Bald that er sie umadrahen,
Und bald wie die Hahna krahen:
A goldnes Ding gar wunderschö
Das hebt er übern Kopf in d' Höh:
S' kunt d' alten Weiber recht daschrecken,
Daß sie d' Arsch hint aussi recken;
Der Mann trinkt a recht gern an Wein,
Die Buebma schenk'n ihm fleissig ein:
Hungri is er a wohl g'wesen,
D'rum hat'r Papirl gessen;
Aber es war a geiziger Mann,
Gab seinen Kindern nichts davon,
Müessen nur so sinnli schauen,
Wie er thats' Papirl kauen:
Sobald er hat was türkisch g'sagt,
Hat er den Becher in's Tischtuch packt,
Und hernach that er nur kraisten,
Und den Buebma'n was vorfaisten,
Weil er hat s' Papierl g'schlückt,
Hats ihm brav in d' Därmer zwickt,
That st gar nit schön aufführen,
D' Buebma muestens freili g'spüren,
Kaner kunt enks mehr aussteh'n,
S' muesten um a Glutpfann geh'n,
Und mit Pech und solchen Sachen
Hinter ihm an Rauchen machen.
Oepper, daß er blind sein mag,
Weil er ihm beim hellen Tag
Unten, oben, vorn und hinten
So viel Leuchter laßt anzünden!
Thoret muß er a wohl seyn,
Weils so stark vom Boden schrein,
Weil die Buebma öfters deuten,
Und ihm vor den Ohren läuten.
Und sie hab'n ihn hint und vorn
Wie 'ra Huern d'Haut abg'schorn;

Endli nahm der G'spaß an End,
Da kriegt er a Bierst'n in d'Händ,
De that er ins Scherbel tauken,
Und damit die Leut ausjauken,
Vater! wier ka Narr nit seyn,
Geh enk nimmer in's Haus hinein,
Denn wie leicht könnt am der Mann
Oeppa so a G'spassel than,
Und derwischet an bein Flügeln,
That an fein hübsch uma prügeln.
Weit davon ist gut für'n Schuß;
Wer nit kummt, hat koan Verdruß!
Laß sie Hockus Pockus treiben,
Und die Narren Narren bleiben.


Joseph Victor von Scheffel (1826 - 1886):

Den Klassenhass,
Den Rasenhass
Und Massenhass
Dem Teufel lass!


Heinrich Leuthold (1827-1879): Sittliche Weltordnung

Sittliche Weltordnung . . . wie heißt?
wo der eine arbeitet und hungert,
der andere faulenzt und speist.


Arthur Fitger (1840 - 1909): Unfreiheit

Ach, lieber Herr Amtmann, habet Geduld!
Ich gesteh's, ich habe gestohlen;
doch hat der Kosmos selber schuld,
das sag' ich Euch unverhohlen.

Die Neigung zum Stehlen war in mir schon
von Anbeginn entzündet;
sie lag schon in der Konstitution
meiner Urgroßmutter begründet.

Rings drängen auf mich der ganzen Natur
vieltausendfältige Triebe;
ich ward nach höh'ren Gesetzen nur
unwiderstehlich zum Diebe.

Wie könnt' Ihr mich strafen, der ich doch nicht
aus freiem Willen gesündigt?" —
„Jetzt schweige, du naseweiser Wicht,
und höre, was man verkündigt.

Die hochwohllöbliche Polizei
steht auch unter kosmischem Zwange,
sie fängt die Diebe und hängt sie dabei
aus unwiderstehlichem Drange."


Ludwig Thoma (1867 - 1921): Indische Weisheit

Will die Menschheit einen Dalai Lama,
Muss sie mit Geheimnis ihn umgeben.
Besser ist es, wenn die Erdengötter
Hinter Wolken im Verborg'nen leben.

Auch die Seltenheit ist zu empfehlen
Im Gebrauch der hohen Lamaworte,
Denn es leidet ihre Geltungsstärke
Durch die Häufigkeit der Mundespforte.

Richtig ist, was uns die klugen Priester
Von der Weisheit Dalai Lama's lehren:
Nur je weniger wir sie vernehmen,
Können wir sie andachtsvoll verehren.

Füge gnädig es, erhab'ner Wischnu,
Und der Höchste aller, du, o Brahma,
Dass die Menschheit Glauben wieder fasse
An die Weisheit eines Dalai Lama.


Christian Morgenstern (1871 - 1914)

O ihr, an so viel »letztem Wissen« Leidenden,
wie seid ihr oft instinktlos im Entscheidenden!


Christian Morgenstern (1871 - 1914): Der Konvertit

Wie stehst du vor mir, kraus und fremd,
im neuen Weltanschauungshemd!

Und gingst doch gestern noch ganz nackt
nur bloß mit deiner Haut bepackt?

"Ja, ja, ganz recht, jedoch du weißt:
Es friert zuweilen auch den Geist!"


Christian Morgenstern (1871 - 1914)

Du bist kein Christ. Nun gut. Wer kanns die wehren.
Nur eines. schweige, birgs in stiller Brust,
und störe nicht der Frommen heilige Lust,
die eine Gottheit demutsvoll verehren.


Heinrich Bartel (1874 - ): Übermenschentum (nach Anhörung eines Vortrages über Friedrich Nietzsche)

"Jenseits geht von Gut und Böse,
Klebt am Alltagsstaube nicht.
Steigt empor, seid neue Menschen!"
Also Zarathustra spricht:

"Was da schwach ist, das lasst sinken,
Nur der Kraft gebührt der Ruhm.
Schwingt euch auf aus Schutt und Moder,
Auf, zum Übermenschentum!"

— — — — — —

Neue Lehren, neue Götter,
Neues kommt, das alte fällt,
Aber alles kehrt einst wieder;
Das ist so der Lauf der Welt.

Übermensch? bleibt mir vom Halse,
Denn mich lehrt der Zug der Zeit:
Dass ihr keine Übermenschen —
Ja nicht einmal Menschen seid.

Erläuterung:

" Übermensch, nach Fr. Nietzsche (s. d.) der seinen Willen zur Macht unbedingt geltend machende, jenseits von Gut und Böse lebende, weltfreudige und starke Mensch. Der Ausdruck kommt schon bei Goethe, im »Faust« und in der »Zueignung« zu den Gedichten, vor, doch auch bereits gegen Ende des 17. Jahrh. in den »Geistlichen Erquickstunden« des theologischen Schriftstellers Heinrich Müller in Rostock. Ähnliche Wortbildungen sind aber nicht selten, und es ist unwahrscheinlich, dass Goethe das Wort von Müller entlehnt habe. Nietzsche braucht es einmal für den Vornehmen, Singulären, wovon es Beispiele in der Geschichte gegeben hat, sodann für die Art, die über dem Menschen steht, so dass der Mensch nicht das Ende der Entwickelung sein soll, sondern diese über den Menschen hinausgeht."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Erich Mühsam (1878 - 1934): Der Gesang der Vegetarier

Ein alkoholfreies Trinklied
(Melodie "Immer langsam voran")

Für Melodie "Immer langsam ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/immerlan.html.  -- Zugriff am 2004-12-20]

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Auch Früchte gehören zu unsrer Diät.
Was sonst noch wächst, wird alles verschmäht.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.

Wir sonnen den Leib, ja wir sonnen den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.
Doch manchmal spaddeln wir auch im Teich,
Das kräftigt den Körper und wäscht ihn zugleich
Wir sonnen den Leib und wir baden den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.

Wir hassen das Fleisch, ja wir hassen das Fleisch
und die Milch und die Eier und lieben keusch.
Die Leichenfresser sind dumm und roh,
Das Schweinevieh - das ist ebenso.
Wir hassen das Fleisch, ja wir hassen das Fleisch
und die Milch und die Eier und lieben keusch.

Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.
Gemüse und Früchte sind flüssig genug,
Drum trinken wir nichts und sind doch sehr klug.
Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.

Wir rauchen nicht Tabak, nein wir rauchen nicht Tabak,
Das tut nur das scheußliche Sündenpack.
Wir setzen uns lieber auf das Gesäß
Und leben gesund und naturgemäß.
Wir rauchen nicht Tabak, nein wir rauchen nicht Tabak,
Das tut nur das scheußliche Sündenpack.

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Und schimpft ihr den Vegetarier einen Tropf,
So schmeißen wir euch eine Walnuss an den Kopf.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.


Johannes R. Becher (1891 - 1958): Der Glaube

"Hast du noch einen Glauben dir bewahrt?"
So fragst du. Und du fragst: "Kannst du noch glauben?
Ist nicht verbraucht schon jede Glaubensart?
Ein Glaube schien den andern uns zu rauben,

Bis auch der letzte Glaube, hingerafft
Von dem Verderben, uns zu nichts zerbrach.
Glaubst du an Gott? Wirkt noch der Glaube nach?
Nenn einen Glauben mir voll Glaubenskraft!"

Ich glaube, ja. Ich hab den Glaubensmut,
Mich zu dem heiligen Glauben zu bekennen.
In schwerer Not hat er geläutert sich

Und wird als reine Flamme einst entbrennen...
Es ist mein letztes bestes Glaubensgut.
Ich glaube, ja. An Deutschland glaube ich.


Johannes R. Becher (1891 - 1958): Hymne auf die UdSSR

Du bist die Menschheitsfeste
Im Sturm der Barbarei!
Du bist der Welten beste,
Denn dein Volk wurde frei!
Sieh, deine Grenzen reichen
Weithin, o Völkertraum!
Es glänzt dein Sternenzeichen
Im grenzenlosen Raum.


Abb.: "Du bist der Welten beste, denn dein Volk wurde frei": Zwangsarbeiter-Todeslager (Gulag) in der Sowjetunion und Statistik der dort Inhaftierten

Du bist, was uns lässt hoffen
Und was zu stärken mag.
Dein Wort tönt frei und offen,
Der Wahrheit Flügelschlag.
In Stalins Blick zu lesen,
Suchen "wir sein Gesicht,
Als wäre er ein Wesen,
Das täglich zu uns spricht.

Du bist in unserer Mitte,
Und uns durchweht dein Geist.
Es künden deine Schritte
Den Weg, den Lenin weist.
Du: Sicht und tiefstes Schauen,
Sinn und Zusammenhang!
Du bist im Weltengrauen
Der kommende Gesang.

Du bist im Völkerdarben
Ein Hoffen unverwandt,
Als hätten deine Garben
Ein Strahlen ausgesandt.
Du schlugst den Feindesbanden
Die heilige Freiheitsschlacht —
Neu ist die Welt erstanden
Im Sieg der Sowjetmacht.


Johannes R. Becher (1891 - 1958): Für Walter Ulbricht [diese Verherrlichung des Schwerverbrechers Walter Ulbricht war ernst gemeint!]

Wer so wie Du sieht auf den Grund der Dinge,
Wer so wie Du nur eines Willens ist,
Dass Friede sei, und dass das Volk vollbringe
Ein Friedenswerk — wer nach dem Maße misst —,

Wer so wie Du der Jugend ist verbündet
Und ihr den Mut zu neuem Leben gibt —
Wer so "wie Du ist in sich fest begründet —
Wer so wie Du sein Land, sein Deutschland liebt —

Der zieht den Hass, des Feindes Hass auf sich,
Doch mit dem Unmaß dieses Hasses wendet
Des Volkes ganze Liebe sich ihm zu —


Abb.: "wendet des Volkes ganze Liebe sich ihm zu": Sowjetische Panzer bahnen sich am 17. Juni 1953 während des Volksaufstandes gegen Ulbricht und seine SED-Diktatur am Potsdamer Platz einen Weg durch die aufgebrachte Menschenmenge.

Die Liebe ist's, die dies Sonett Dir sendet.
Wir, die wir Deutschland lieben, grüßen Dich.
Ruhm jedem, der sein Volk liebt so wie Du!


Zu Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXX: Papst