Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren V:

Simplicissimus (1896 - 1944)

1. Jahrgang 1 - 10 : 1896 - 1906


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren V: Simplicissimus (1896 - 1944). -- 1. Jahrgang 1 - 10 : 1896 - 1906  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2007-12-20. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen51.htm   

Erstmals publiziert: 2004-04-19

Überarbeitungen: 2007-12-20 [Ergänzungen]; 2007-12-05 [Aufteilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-03 [Ergänzungen]; 2007-11-26 [Ergänzungen]; 2006-03-29 [Ergänzungen]; 2005-02-10 [Ergänzungen]; 2004-12-19 [Ergänzungen]; 2004-11-25 [Ergänzungen]; 2004-10-26 [Ergänzungen];  2004-07-01 [Viele Ergänzungen];  2004-06-24 [Viele Ergänzungen]; 2004-06-07 [Ergänzungen]; 2004-05-20 [Ergänzungen]; 2004-05-16 [Ergänzung]; 2004-05-06 [Ergänzungen] ; 2004-05-01 (Ergänzungen]

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelleiste

Simplicissimus. -- München : Simplicissimus-Verl. --  1.1896/97 - 49.1944,37 (13.Sept.); 1954,1 (9.Okt.) - 1967,12 (3.Juni) damit Erscheinen eingestellt

Sämtliche Jahrgänge des Simplicissimus bis 1944 sind online zugänglich:

http://www.simplicissimus.com/. -- Zugriff am 2007-11-26



Abb.: Dies ist das Hundevieh, welches so unsägliches Elend über unser Land gebracht hat und von allen anständigen deutschen Wappentieren verabscheut wird. -- Titelblatt Jg. 10, Nr. 1. -- 4. April 1905


"Die deutsche satirische Wochenzeitschrift "Simplicissimus" (lat. "der Einfältigste") erschien ab 1896 in München unter der Leitung von Albert Langen (1869-1909) und war ein bürgerlich-demokratisches Kampfblatt allerdings ohne formuliertes politisches Programm. Seinen großen Erfolg - 1897 erschien die Auflage in 15.000 Exemplaren, 1904 bereits in 85.000 - verdankte der "Simplicissimus" sowohl seiner geistvoll streitbaren politischen Aktualität als auch der künstlerischen Qualität seiner Zeichnungen und Literaturbeiträge. Thomas Theodor Heine gehörte mit zu den besten Zeichnern: Seine angriffslustige, gefährlich dreinschauende, zähnefletschende und ihre Ketten sprengende rote Bulldogge - ein Zeichen des Protestes gegen Kaiser und Junker, Militär und Klerus, Imperialismus und Preußentum, Beamten- und Philistertum - war das Wappentier und Symbol des "Simplicissimus". Auch die Auseinandersetzungen mit der Zensur und Justiz, Gerichtsverhandlungen, Geld- und Haftstrafen erhöhten die Popularität.

Nach Beginn des Ersten Weltkriegs gab der "Simplicissimus" seine oppositionelle Haltung auf und öffnete sich Nationalismus und Chauvinismus. Er wurde noch bis 1944 herausgegeben, doch den Erfolg der Vorkriegszeit hat er nicht mehr erreichen können."

[Quelle: http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/kunst/simplicissimus/. -- Zugriff am 2004-04-14]

"Bis heute gilt der "Simplicissimus", der von 1896 bis 1944 in München erschien, als das Witzblatt schlechthin; er steht als Synonym für Opposition. Dabei begann das später so erfolgreiche Unternehmen mit einer Panne. Der Verleger Albert Langen hatte die Zeitschrift am 1. Januar 1896 starten wollen, doch die Kapitaldecke war noch zu dünn; Langen mußte sich Geld von seiner Familie leihen. Also stellte sich der Branchenneuling erst am 4. April 1896 dem Publikum vor. Voller Optimismus hatte Langen im Börsenblatt eine Auflage von 300 000 Exemplaren angekündigt und damit das Interesse an seinem neuen Blatt gewaltig überschätzt. Bei den Verkaufszahlen der ersten Nummern schwanken die Angaben der Anekdoten und Erinnerungen: Wurden 500, 1000 oder etwas mehr verkauft? Aber wie dem auch sei, der Verlag war auf Jahre mit Makulaturpapier eingedeckt. Trotz dieser Startschwierigkeiten erregte der "Simplicissimus", von seinem Gründer zunächst als eine Art Pendant zum französischen "Gil Blas Illustré" konzipiert, sehr schnell Aufsehen. Verschiedene Konfiskationen, ein vorübergehendes Verkaufsverbot in Österreich sowie Eisenbahnverbote auf den preußischen Bahnhöfen wirkten maßgeblich an der wachsenden Popularität der Zeitschrift mit.

Zu seinen Mitarbeitern zählten so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Erich Mühsam, Frank Wedekind, Hermann Hesse, Jakob Wassermann, Arnold Zweig, Thomas und Heinrich Mann, Gustav Meyrink und Hans Grimm, denen die Zeitschrift die Möglichkeit erster Schreiberfahrung bot. Im satirischen Spiegel des Blattes, das zum einträglichsten Unternehmen des Verlegers Albert Langen wurde, erschien jedes öffentliche Ereignis aus Politik und Kultur, so daß die Zeitschrift als eine Chronik dreier deutscher Epochen, des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reichs, gelesen werden kann. "

[Quelle: http://www.uni-regensburg.de/Universitaet/RUZ/archiv/ruz-9602/roeschuz.htm. -- Zugriff am 2004-04-19]

Aus der unübersehbaren Literatur zum Simplicissimus sei nur genannt der Ausstellungskatalog:

Simplicissimus : eine satirische Zeitschr. ; München 1896 - 1944 ; Haus d. Kunst, München, 19. November 1977 - 15. Januar 1978 / [d. Ausstellung wird veranst. von d. Bayer. Staatsgemäldesammlungen in Verbindung mit d. Ausstellungsleitung Haus d. Kunst München e.V. Katalog: Carla Schulz-Hoffmann]. -- München : Ausstellungsleitung Haus d. Kunst, 1977. -- 478 S.


1896




Abb.: Friede / Von Saul Peschkas. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 5, S. 3. -- 1896-05-02

In allen Kirchen wurde zu Gott gebetet: "Herr schenke uns Frieden!" Und aus jedem Palast und jeder Hütte falteten sich die Hände empor: "Frieden, Herr, gib uns nur Frieden!"

Da hatte Gott Erbarmen, und der liebste seiner Engel schwebte hinab auf die Erde.

Aber schon nach wenigen Tagen kehrte der Friede zurück. In seinen Zügen war eine tiefe Trauer zu lesen, und auf seiner Stirne klaffte eine blutige Wunde.

"Verzeihe, Herr!" sagte er bittend, "die Menschen bedürfen meiner nicht."

"Sie bedürfen deiner nicht? Sie, die täglich um Frieden beten?"

"Lass dir erzählen, Herr, wie es kam," antwortete der Engel. Ich war ja nicht säumig, ich bin zu allen gegangen, aber nirgends konnte ich helfen, nirgends war ich willkommen. Ich kam zu Nachbarn, die im Zank lagen, und jeder sagte mir: "Gib mir mein Recht!" Ich ging zu streitenden Eheleuten, zu Eltern und Kindern und jedes verlangte nur seinen Willen. Ich ging zu den Armen und sie sagten: "Mach uns reich!" Ich ging zu den Reichen und sie sagten: "Lass die Armen in Fesseln!" Ich ging zu den Priestern und sie forderten nur Gläubige für ihre Kirchen. Ich ging zu den Führern der Nationen und sie zeigten mir unermessliche Magazine voll von Mordwerkzeugen und sie sagten: "Gib uns noch mehr!" Keiner hieß mich willkommen; alle meinten, wenn ich nur ihre Wünsche erfüllte, dann hätten sie ja den Frieden. Das aber vermochte ich nicht, Herr, und so – – – so kam ich wieder."

"und die Wunde, die Wunde auf deiner Stirn?" fragte der Herr traurig und zärtlich zugleich.

Da neigte der Engel den Kopf und sagte leise, zitternd: "Ich stieß wider einen Baum . . . Verzeih mir.2

Und der Herr trat näher . . . sah in lange an . . . und küsste ihn auf die Wunde.

Saul Peschkas



Abb.: Unsern Feinden Dummheit, Misanthropie, Prüderie, Frömmelei /  von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 6, S. 5. -- 1896-05-09


Gustav Falke <1853 - 1916>: Klösterverkehr. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 18, S. 3. -- 1896-08-01

In den alten Klostergängen
Tönt's von dumpfen Nachtgesängen,
Die von den zerfallnen Mauern
Seltsam durcheinanderschauern; –
Über die geborstnen, kalten
Dielen rauscht es wie von Falten,
Schlürft es wie von kleinen weichen
Füßen, die im Dunkeln schleichen,
Und das weiße Mondlicht fällt
Still in eine Geisterwelt.

Auf verkommenen Gartensteigen
Windet sich der Schattenreigen,
Arg zermürbte Nonnenkutten
Flattern durch die Hagebutten,
Herbsttau von den nackten Ästen
Tröpfelt leis den frommen Gästen
Wie in längst vergangnen Tagen
Auf Kapuzen und auf Kragen,
Und manch Nönnlein schüttelt sich
Innerlich und äußerlich.

Aus dem Garten durch die Koppeln,
Über frühbereifte Stoppeln,
Grabenlängs auf weichen Wegen,
Geht's dem nahen Wald entgegen.
Klostergeister von der andern
Seite sind in gleichem Wandern.
Wunderliches Tongerinnsel,
Meckern, Seufzen, Bußgewinsel.
Nah und näher, wie das klingt,
Mönch und Nonn' im Hause singt.

Prior und Priorin fassen
Sich um ihre nachttaunassen
Gräbergrauen rauen Hemden
Ohne jegliches Befremden.
Lieber Bruder, liebe Schwester,
Geben die verdammten Nester,
Diese engen Moderzellen,
Wieder einem mondeshellen
Schäferstündchen uns zurück,
Einem kurzen Liebesglück?

Mönch und Mönchlein, Nonn' und Nönnlein,
Alle nach dem Liebesbrönnlein
Durstig, selig, mitzuleiden,
Mitzubüßen, was die beiden
Sünder einst zur Schuld entflammte,
Sie, als Hehler mitverdammte,
Ruhelos in ihren Grüften,
Fallen sich um Hals und Hüften.
Bruder, Schwester, Oh und Ach!
Ja, das liebe Fleisch ist schwach.

Eins! Das fährt durch alle Knochen,
Heimwärts und ins Loch gekrochen!
Abschiedsseufzer, Abschiedsdrücken . . .
Ach mein Strumpfband! Suchen, Bücken.
Mein Brevier! Das ist ein Hasten,
Gürtelbinden, Glätten, Tasten.
Nächstens wieder, Schwester, Bruder,
Heute Liebster, morgen Luder,
Wurmfraß wieder, was durchwärmt
Eben noch so schön geschwärmt.

Mönche rechts, und Nonnen links ab.
Niemand liest der alten Sphinx ab,
Der verschwiegnen Nacht, was eben
Sich in ihrem Schoß begeben.
Durch die Felder, durch die feuchten,
Flirrt und irrt ein schwaches Leuchten,
Zieht es wie von grauen Linnen,
Wie's die Nebelfrauen spinnen,
Klingt's wie frommer Kirchenchor,
Der im Winde sich verlor.



Abb.: Der Triumph der Kultur / von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 20, S. 4f. -- 1896-08-15



Abb.: Kinder der Liebe / von Emmanuel Bachrach-Barée (1863 - 1943). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 23, S. 4. -- 1896-09-05

Erläuterung: bezieht sich auf die Ächtung Unehelicher Kinder ("Kinder der Liebe") und den Gegensatz davon zu Markusevangelium 10,13f.: "Da brachte man Kinder zu ihm [Jesus], damit er ihnen die Hände auflegte. Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab. Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes." (Einheitsübersetzung)



Zur Physiologie des Glorienscheins / von Schnebel. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 30, S. 6. -- 1896-09-24


1897



Abb.: Ein Eklektiker / von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 40, S. 6. -- 1897-01-04

Schulrat (in einer Berliner Volksschule): "Welches ist die heiligste Liebe?" – Ein Schüler: "Die Mutterliebe." – Schulrat: Wisst Ihr nicht eine Liebe, die noch höher steht?"  – Ein anderer Schüler: "Die Kindesliebe."  – Schulrat: "Ich meine eine andere Liebe."  –  Schweigen  –  Schulrat: "Denkt noch einmal nach." Zieht eine Mark heraus: "Wer es beantwortet, bekommt eine Mark." – Ein Schüler: "Die Liebe zu unserem Herrn und Heiland Jesus Christus." – Schulrat: "Jawohl, mein Sohn! Hier hast du deine Mark. Wie heißt du denn, mein Sohn?"  –  Schüler: "Moses Itzigsohn." F.W.



Abb.: Gefilde der Seligen / von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 1, Nr. 51, S. 1. -- 1897-03-20

"Nein, wir können Ihnen keine größeren Flügel geben. Sie haben kein kirchliches Begräbnis gehabt."


Fritz Mauthner <1849 - 1923>: Gottlose Priester. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 5, S. 35. -- 1897-05-01

Wir sind die Priester ohne Weihe,
Wir predigen aus keinem Buch,
Wir wissen nichts von eurer Hölle,
Wir sind die Priester ohne Fluch.

Wir kämpfen unsere Geisterschlachten
Für keines neuen Gottes Ruhm.
Die Priester ohne Weihe hassen
Die Weihe ohne Priestertum.

Wir sind im Licht geheime Könige,
Die keine Königin gebar;
So herrschen wir, die Königspriester,
Frei über eine freie Schar.

Wir gründen auf den Knechtschaftstrümmern
Uns keinen Altar, keinen Thron,
Für all ihr Blut wird unsern Kriegern
Kein Schmuck, kein Sold, kein Wort zum Lohn.

Und ob darum zu Feld und Hütte
Enttäuscht heimkehre Mann für Mann,
Von uns jedeiner fühlt sich einsam
Sich einen ganzen Heeresbann.

Wir, ob allein, verlassen, blutend,
Wir schlagen unsere Geisterschlacht,
Wir führen, ob auch niemand folge,
Vor uns ist Tag, dahinten Nacht.

Auch die uns künftig folgen wollen,
Wir weisen warnend sie zurück.
Wir sind die Priester ohne Weihe,
Wir führen weit, doch nicht zum Glück.



Abb.: In der Kirche  / von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 6, S. 46. --  1897-05-08

"Mama, wer wohnt denn hier in diesem kalten, unfreundlichen Haus?" – "Aber Herzblättchen, hier wohnt der liebe Gott." – "Ja kann er denn nicht ausziehen?"



Abb.: Damenbad / Karikatur von K. Gerhardt. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 10, S. 74. -- 5. Juni 1897


 
Abb.: Feste Preise /  -- Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 10, S. 75. -- 5. Juni 1897

"Ja, liebe Frau, wenn Ihnen ein Begräbnis zweiter Klasse für Ihren seligen Mann zu teuer ist, so müssen Sie ihn eben dritter Klasse begraben lassen."



Abb.: Aus der Praxis eines "Heiligen" / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 12, S. 91. -- 19. Juni 1897

"Bedaure, Nuditätenalbums mit Gebetbuchumschlag heben wir noch nicht."



Abb.: Homunculus / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 12, S. 92. -- 19. Juni 1897

"endlich ist es gelungen, auf chemischem Wege einen Menschen herzustellen. Nun müssen wir aber mal ganz energisch gegen die Unsittlichkeit vorgehen."



Abb.: Ein Moderner /  Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 13, S. 101. -- 26. Juni 1897

"Du, Jakl, warum machst denn du koa Kreuz nimmer, wenn's blitzt?" – "A was, dös braucht's nimmer, seit i bei der Feuerversicherung bin."



Abb.: Bauernfrömmigkeit /  Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 14. -- 3. Juli 1897

"Hinterbäuerin, warum lasst denn gar kei Seel'nmess' nimmer lesen für dein g'storbenen Mann? Willst'n denn ganz verschmachten lassen im Fegfeuer?!" – "na, dös net, aber  er is mir a mal im Traum erschiene und hat g'sagt: Marie, hat er g'sagt, brauchst koa Mes' mehr les'n lassen für mi, is schad um Geld, woast, i bin in der Höll!"



Abb.: Abgewunken / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 17. -- 24. Juli 1897

 "Ach, Hochwürden, retten Sie mein Seelenheil! Es ist heute Fasttag, und ich habe nichts zu essen als diesen Zipfel Wurst." — "Ich dispensiere dich, lieber Bruder in Christo."



Abb.: Dilemma / Karikatur von E. Weiner. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 18, S. 138. -- 31. Juli 1897

"Warum weinen Sie eigentlich immer, Herr Pastor, wenn Sie auf der Kanzel stehen?" – "Weil ich nicht an das glauben kann, was ich predige."


Frank Wedekind <1864 - 1918>: Ein politisch Lied (II.). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 18, S. 142. -- 31. Juli 1897

Und so komme ich denn heute zum zweiten
Male, den Pegasus in der hohen Schule zu reiten,
Wie ich ihn dir vorritt einmal schon,
O du hochgeehrte Frau Redaktion!

Und möchte nachträglich um Entschuldigung bitten
Von wegen seiner ländlichen Sitten.
Aber darin ist er Kind:
Vorne sieht er und hinten ist er blind;

Kann es daher unmöglich voraussagen,
Wo es hintrifft, wenn er pflegt auszuschlagen,
Jedoch, hochgeehrte Frau Redaktion,
Der Betreffende merkt es schon.

Und so muss ich heute vor allem andichten
Hochwohlgeboren Frau Baronin Suttner1 wegen versäumter Pflichten
Auf Kuba, auf Kreta und am Goldenen Horn;
Ich beginne daher den Gesang von vorn.

Warum haben Sie, verehrte Frau Baronin,
Sich nicht als kühne Amazonin
Geworfen zwischen die kämpfenden Partein,
„Die Waffen nieder!" ihnen zuzuschrein?

Dabei konnten Sie einen ganzen Haufen
Exemplare von Ihrem Roman verkaufen;
Aber das taten Sie natürlich nicht,
Weil Ihnen der praktische Sinn gebricht.

Als die Welt lag im tiefsten Frieden,
Haben Sie uns Ihren Roman beschieden
Und die internationale Friedensliga dazu;
Jetzt pflegen beide der seligsten Ruh.

Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen,
Es mit einem friedlicheren Unternehmen zu wagen.
Wie würde es gegenwärtig zum Exempel sein
Mit einem internationalen Tierschutzverein?

Die Vorteile blieben nämlich die gleichen,
Ks ließen sich unzählige weiche Herzen erweichen,
Denn ein Köter zählt in der Diplomatie
Immer noch mehr als manches Menschenvieh.

So zum Beispiel die Berge von Toten,
Geschlachtet auf Grund diplomatischer Noten,
Wo ein einziges menschliches Wort
Hätte Einhalt getan dem Massenmord!

Was bekommen denn diese Türken und Griechen
Jemals von diesen Lorbeeren zu riechen,
Für die sie auf dem Schlachtfeld verreckt? -
Aber die Vaterlandsliebe ist wieder erweckt!

Die Völker bedürfen zeitweilig der Hiebe
Zur gegenseitigen Erweckung der Vaterlandsliebe,
Damit der Mann, der auf dem Thron sitzt,
Nicht mehr in Sorgen und Ängsten schwitzt.

In diesem Genre kenne ich manche Geschichte,
Die ich in diesem Gedichte noch nicht bedichte.
Wahrscheinlich bedichte ich sie in meinem nächsten Gedicht,
In diesem bedichte ich sie noch nicht.

Nur soviel sage ich zu dieser Stunde:
Es leben auf Erden sowohl Herren wie Hunde;
Und ein Hund ist ein jeglicher Mann,
Der nicht logisch denken darf oder kann.

Gott sei Dank, finden wir dergleichen
Nie und nimmer in deutschen Reichen
Gegenüber einem Herrn von Stumm2:
Mausefalle vidi-bumbumbum!

Vielmehr muss man so kalkulieren:
Es gibt Völker, die sich selber regieren,
Und Völker, die dazu noch zu dumm -
Mausefalle vidi-bumbumbum!

Item leben wir deutschen Mäuse
Ruhig wie Schnecken in ihrem Gehäuse.
Stets in uns selber frisch, froh, frei und frumm,
Mausefalle vidi-bum!

Um so mehr muss es unsere Ohren erfreuen,
Wenn andere Nationen nach Freiheit schreien,
Wie zum Beispiel der kleine Rest
Hindus, den übrig ließ die Pest

Und die Hungersnot, indessen die alte Matrone
Mit dem unvergleichlichen Mustersohne
Feiert ein halbes Centenarium -
Mausefalle vidi-bumbumbum!

Die Hindus werden das gleiche erfahren,
Was sie erfuhren vor dreißig Jahren,
Als sie sich zum letzten Male erfrecht,
Zu bestehen auf ihrem Menschenrecht:

Man bindet sie nämlich vor die Kanonenmündung
Und bringt das Pulver darin zur Entzündung.
Auf einmal ist dann der Hindu fort:
Ein hochfashionabler englischer Sport,

Über den ihr keineswegs dürft erschrecken,
Denn er dient lediglich kulturellen Zwecken,
Sintemalen die christliche Kultur
Von jeher so liebreich als möglich verfuhr.

Sie sucht mit Schnaps, mit Kanonen und Bibeln
Den aufrührerischen Geist der Hindus zu zwiebeln;
Darin offenbart sich das wahre Christentum -
Mausefalle vidi-bumbumbum!

Ich aber möchte der Regierung vorschlagen,
Zuallererst zu sorgen für des Volkes Magen,
Dermaßen also der Hindus Blutdurst
Zu stillen mit einer Blut-Wurst.

Ich habe nämlich nach meinen Erlebnissen und Taten
Sehr viel Anlagen zum Diplomaten,
Darum schicke mich das Deutsche Reich
Als Botschafter nach Konstantinopel sogleich.

Ich werde mich dort im Serail einführen
Und die Hohe Pforte von innen heraus kurieren.
Ich wette, dass darauf der kranke Mann
(Janz gesund zu Kreuze kriechen kann.

Deshalb scheue man keine Kosten
Und gebe mir diesen diplomatischen Posten,
Zu dem ich in des Wortes verwegenstem Sinn
Als früherer Nachtwächter wie geschaffen bin.

Ich bin nämlich momentan ohne Mittel
Und interniert im hiesigen Spittel,
Dabei eine vornehme Person;
Das bezeugt die verehrte Frau Redaktion.*

Man möge also allergnädigst geruhen,
Mich auf obenerwähnten Posten zu tuen,
Maßen ich einen Posten haben muss.
Gehorsamst

Hieronymus

* Leider ist die Redaktion dazu noch immer nicht in der Lage. Sie bittet darum den anonymen Einsender behufs Zusendung eines Honorars um seine Adresse.

Erläuterungen:

1 Baronin Suttner = Bertha von Suttner (1843-1914): Schriftstellerin, Pazifistin, Friedensnobelpreisträgerin. 1889 erschien ihr pazifistischer Roman: "Die Waffen nieder"

2 Herrn von Stumm = Karl Ferdinand von Stumm (1836 - 1901): Großindustrieller (Eisenwerke), Politiker und Förderer der evangelischen Kirche an der Saar

Frank Wedekind <1864 - 1918>: Ein politisch Lied (III.). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 19, S. 146. -- 7. August 1897
Teure Frau Redaktion, nie sollst du mich befragen
Nach dem, was ich dir nicht kann sagen,
Sonst muss ich wie der edle Lohengrin
Von hinnen zieh'n mit meinem Schwin.

Was braucht eine Frau so genau auch zu wissen,
Von wem sie sich lässt herzen und küssen.
Richtiger denkt sie sich, dem Gaul,
Wenn er geschenkt ist, sieht man nicht ins Maul.

Unterlass es daher, unvorsichtige Fragen zu stellen
Nach meiner Herkunft, Namen und Erwerbsquellen,
Dann bleibe ich dir treu als Hieronymus
Jobs, Wächter der Finsternus.

Um nun das politische Artikelschreiben
So trefflich als möglich zu betreiben,
Nenne mir, o Muse, diejenige Partei,
Bei der am meisten Geld zu verdienen sei.

Denn ohne das Geld müssen wir elend sterben.
Man kann es stehlen, erben oder auch erwerben,
Wobei es sich als praktisch empfiehlt,
Dass man niemals kleinere Summen stiehlt.

Denn für das Stehlen von kleineren Summen
muss man baumeln oder wenigstens brummen.
Erben kann man hingegen, wie man will;
Der eine erbt wenig und der andere viel.

Das Gelderwerben ist äußerst gefährlich
Und der Ertrag in der Regel spärlich;
Deshalb erwirbt man nur, wenn man muss -
O ich armer Hieronymus!

Ich flehe nun noch einmal, meine teure Muse:
Mit der Seelenglut der Eleonore Duse
Verkünde, wo das größte Portemonnaie,
Auf Dass ich mit patriotischer Be-

geisterung es meinen Händen erschließe
Und sein Gehalt in meine Taschen fließe.
An einer eigenen Überzeugung, Gott sei Dank,
Ist mein Dichter-Gemüt nicht krank. -

Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen und putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!

Östlich der Elbe haben die Junker
Großen Bedarf an patriotischem Geflunker;
Schreibe doch nur Artikel für sie,
Dann machst du noch eine feine Partie.

Der Heiratskontrakt ist sofort im reinen,
Schreibst du nur gegen die Einfuhr von Schweinen
Und kämpfst für das vaterländische Schwein;
Das wird auch für dich von Vorteil sein.

Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Güte, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Ich entsage jeglicher Schweinerei;
Nenne mir doch eine andere Partei!

Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen, putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!

lässt du die Sozialdemokraten
In der tiefsten Hölle schmoren und braten,
Dann baut dir die deutsche Großindustrie
Ein Schloss am Rhein, und deine Poesie

Wird, wie bei Julius Wolff es gewesen,
Noch weit mehr gekauft als gelesen
In Pergament, Juchten und Saffian.
Und wenn du die Augen zugetan,

Errichtet man dir eherne Monumente,
Maßen jeder Backfisch über dir flennte,
Bis die Gattin schließlich gebar
Und sah, Dass die Welt etwas anders war.

Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Güte, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Ich danke für alberne Lobhudelei;
Nenne mir daher eine andere Partei!

Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen, putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!

Habemus Papam. Ihr Lutheraner
Seid in der Schule der Welt die Quartaner,
Die hinter den Ohren nicht trocken sind,
Deren Streitmacht blonde Locken sind.

Dagegen erheben wir Ultramontanen
Zweitausendjährige Kriegesfahnen
Aus verschlissener Seide, aus Brokat und Samt
Und freuen uns, Dass ihr auf ewig verdammt.

Lasset doch nur mal die Jesuiten
Wieder die jungen Küchlein ausbrüten,
Dann seid ihr Quartaner in Bälde so nass
Wie der Hahnen am Heidelberger Fass.

Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Ideale, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Ich gestehe mit Beschämung: Non possumus.
Videant Consules! Hieronymus.

Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen und putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!

Es existieren in unsern deutschen Fabeln
Außer Riesen und Drachen auch die Nationalmiserabeln
Neben Lindwurm und Bandwurm und anderm Gezücht,
Aber in Wirklichkeit existieren sie nicht.

Dagegen verehrt man ihre abgetragenen Schuhe
An einem Wallfahrtsort, genannt Friedrichsruhe.
Die Sohlen waten noch ziemlich tief,
Aber die Absätze sind getreten schief.

Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich vermisse
Deinen guten Geschmack, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Mich verwirrt die Marktschreierei,
Nenne mir daher eine andere Partei!

Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt die Füßchen, putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!

Es schneidet niemand charaktervollere Gesichter
Im Deutschen Reichstag als Eugen Richter,
Was nicht verwunderlich, denn er stützt
Sich auf die Volksklasse, die besützt.

Möge ihn Gott der Gerechte davor schützen,
Selber nur Charakter zu besützen,
Was indes nicht zu befürchten ist,
Maßen er ein braver, biederer Christ.

Wenn er statt dessen ein Jude wäre,
Regte sich jedenfalls die germanische Ehre,
Und er kämpfte, ehe man sich's versieht,
Als eingefleischter Antisemit.

So aber rezitiert er die deutsche Freiheitsposse
Von dem talentvollen Dichter Hieronymus Mosse,
Darin das Kapital nach allerhöchster Gnade schielt
Und dabei mit Glück die verfolgte Unschuld spielt.

Das Kapital muss nämlich stets ein wenig winseln,
Damit sich seine Reize anständig verzinseln.
Das übrige besorgt die Annoncen-Expedition
Eugen Richter und Artur Levysohn.

Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Güte, und die Wurst schmeckt auch diesmal nicht nach Seife,
Aber nach Knoblauch, und das ist einerlei;
Deshalb nenne mir rasch eine andere Partei!

Und Jungfer Muse, erstaunt ob meinem Gruseln,
lässt sich noch einmal frisch übermuseln
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!

Leider gibt es in allen deutschen Staaten
Auch sogenannte Sozialdemokraten,
Die verfolgen gar kein anderes Ziel,
Als zu streiken ohne jedes Taktgefiehl.

Zieht man ihnen dann das Fell über die Ohren,
Dann fühlen sie sich erst recht wie neugeboren,
Und saugt man ihnen aus den Knochen das Mark,
Dann sagen sie, das mache sie gerade stark.

Legt man sie vorsorglich an die Kette,
Dann radeln sie mit den Agrariern um die Wette,
Und kratzt man ihnen die Augen aus,
Dann verbreiten sie Aufklärung von Haus zu Haus.

Kurz und gut, es gibt gar kein Mittel,
Weder Militär, noch Richter, noch Polizeibüttel,
Dem diese Brut nicht widersteht;
Höchstens hilft noch Religiosität.

Dass sie aber an Honoraren viel blechen,
Möchte ich dir wirklich nicht versprechen.
Von Miquel gestand es offen und frei,
Dass bei ihnen nicht viel zu holen sei.

Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Die Sozialdemokratie, aber ich pfeife
Ebenfalls auf übersinnliches Honorar.
Welche Partei bezahlt denn bar?

Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Wird in ihrer Haltung steifer und immer steifer,
Rümpft das Näschen und setzt sich in Positur
Und zeigt mir von ihrer Kehrseite die Hälfte nur:

Viel zu holen ist bei keiner von diesen Parteien,
Soll dir hingegen deine Begeisterung gedeihen,
Dann geh mit der Regierung durch dick und dünn
Und schöpfe daraus deinen Gewünn.

Folge der Regierung durch alle Labyrinthe,
Durch die höchsten Höhen und die dickste Tinte,
Dann erfüllt sich früher dein Ideal
Und du wirst Finanzminister oder Oberpostgeneral

Oder Intendant patriotischer Festspiele
Oder Bevollmächtigter vaterländischer Gefühle
Am Goldenen Horn oder bei der Goldenen Hundertzehn,
Man weiß ja nie, was noch kann geschehn.

Aber vor allem unterlass deine faulen Witze,
Sie sind in der Diplomatie nichts nütze;
Lieber zeige dich möglichst dumm
Als ganz devoten

Hieronymum.


Praktisches Christentum / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 19, S. 146. -- 7. August 1897

Der Küster: "Aha, seitdem es dreißig Grad im Schatten hat, trifft man den Herrn Rat auch 'mal in der Kirche."



Abb.: Vorbereitung zum Wallfahrtstage / Karikatur von Reinhold Max Eichler (1872 - 1947). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 23, S. 180. -- 4. September 1897

"Hier Bernhard vom heiligen Felsen; wer dort?" – "Silberstein und Rosenbaum." – "Wollen Sie mir umgehend noch 500 Stück von den kleinen Heiligenbildern zustellen."



Abb.: Karnickelwirtschaft / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 24, S. 189. -- 11. September 1897

"Was? In gemischter Ehe leben Sie?! Das ist ja die reinste Karnickelwirtschaft!"



Abb.: Die Henkersmahlzeit / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 25, S. 195. -- 18. September 1897

"Sie hab'n gut red'n. Hochwürden. Wenn's mir alle Tag' so ganga wär' wie heut, wär i a net ins Zuchthaus kumma!"



Abb.: Zur Erinnerung an den Katholikentag in Landshut [1897]. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 27, S. 211. -- 2. Oktober 1897


Gustav Falke <1853 - 1916>: Gott. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 28, S. 219. -- 9. Oktober 1897

Ich glaub' an Gott, und weil ich glaub,
Soll ich davon viel reden?
Er lebt im alten Märchenstaub,
im Koran, in den Veden.

Ich weiß, er lebt im kleinsten Gras
Und lebt im Elefanten,
Im Hohenpriester Kaiphas,
Im Munde meiner Tanten.

Auch mich hat er zu seinem Haus
Für alle Zeit erkoren,
Fährt brausend zu der Nase aus,
Fährt ein durch beide Ohren.

Und ziert sich nicht und treibt's darin,
Und fragt nicht nach den Kosten,
Verwohnt ist's schließlich aus und inn',
und kipplig alle Pfosten.

Behagt's nicht mehr, sprengt er zuletzt
Das wacklige Gemäuer.
Mit einem derben Tritt und setzt
Sich selbst darauf als Feuer.

Und zieht dahin, daher als Qualm,
Stürzt sich als Regen nieder,
Und baut mich, einen Roggenhalm,
Aus meiner Asche wieder.

Und wieder wirkt er ab und auf,
Zu ungestümem Walten,
Und kreist den schlanken Schaft hinauf,
Dass sich die Spitzen spalten.

Und wirkt so weite, kräftiglich,
Und bringt mich auf die Mühle,
Und reibt als Stein zu Mehle mich,
Dass ich sein Wesen fühle.


Der glaubensstarke Hochwürden / von fis. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 30, S. 238. -- 23. Oktober 1897

"Ah, Hochwürden, das freut mich, dass ich Sie noch treffe. Hochwürden wollen ja nach Spanien reisen, wie ich hörte –"
"Ja mein Sohn, ich habe mich in Gottesnamen zu dieser beschwerlichen Missionsreise entschließen müssen."
"Aber Ihr hohes Alter, Hochwürden . . ."
"Ja, mein lieber Sohn, da hab' ich mein Schicksal getrost in Gottes Hand gelegt . . ."
"Fahren Hochwürden von Genua aus mit dem Dampfer?"
"Ach nein, das doch nicht, mein Sohn, da ist man doch zu sehr in Gottes Hand, ich reise mit der Bahn."



Abb.: Gottvertrauen / Karikatur von Walther Soergl. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 30, S. 240. -- 23. Oktober 1897

Der Pastor: "Sage mir, mein lieber Anton, werden wir heuer eine gute Kirschernte haben?" – Der Bauer: "Wie der liebe Gott will, Herr Pastor – geplieht ha'n se nich [geblüht haben sie nicht]."


Frank Wedekind <1864 - 1918>: Silvester. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 40, S. 314. -- 31. Dezember 1897
Mein Fenster öffnet sich um Mitternacht,
Die Glocken dröhnen von den Türmen nieder,
Die Berge leuchten rings in Flammenpracht,
Und aus den dunklen Gassen hallen Lieder.
Will mir der Lärm, will mir der blut'ge Schein
Des nahen Völkerkriegs Erwachen deuten? -
Noch ist die Saat nicht reif. Die Glocken läuten
Dem neuen Jahr. - Wird es ein bessres sein?

Ein neues Jahr, in dem mit blassem Neid
Die Habsucht und die Niedertracht sich messen;
Ein neues Jahr, das nach Vernichtung schreit;
Ein neues Jahr, in dem die Welt vergessen,
Dass sie ein Altar dem lebend'gen Licht;
Ein neues Jahr, des dumpfe Truggewalten
Den Adlerflug des Geistes niederhalten;
Ein neues Jahr! - Ein bessres wird es nicht.

Von Goldgier triefend und von Gaunerei,
Die Weltgeschichte, einer feilen Dirne
Vergleichbar, kränzt mit Weinlaub sich die Stirne,
Und aus der Brust wälzt sich ihr Marktgeschrei:
Herbei, ihr Kinder jeglicher Nation;
An Unterhaltung ist bei mir nicht Mangel.
Im Internationalen Tingeltangel,
Geschminkt und frech, tanz' ich mir selbst zum Hohn.

Den he'ligen Ernst der menschlichen Geschicke
Wandl' ich zur Posse, Dass ihr gellend lacht;
Den Freiheitsdurst'gen brech' ich das Genicke,
Damit mein Tempel nicht zusammenkracht.
Ich bin der Friede, meine holden Blicke
Besel'gen euch in ew'ger Liebesnacht;
Wärmt euch an mir und schlaft bei meinem Liede
Sanft und behaglich ein; ich bin der Friede!

Drum segne denn auch für das künft'ge Jahr
Gott euren süßen Schlaf. Das Todesröcheln
Des Bruders auf der Freiheit Blutaltar
Verhallt, wenn meine fleisch'gen Lippen lächeln.
Nur wenn der eigne Geldsack in Gefahr,
Dann tanz' ich mit den schellenlauten Knöcheln
Sofort Alarm, damit euch eure Schergen
Zu den geraubten neue Schätze bergen.

Warum schuf Gott den Erdball rund, warum
Schuf Krupp'sche Eisenwerke er in Essen,
Als Dass den Heiden wir mit Christentum
Und Schnaps das Gold aus den Geweiden pressen.
Ein halb Jahrtausend ist das nun schon Mode,
Doch sehr verfeinert hat sich die Methode:
Kauf oder stirb! Wer seines Goldes bar,
Den plagt dann ferner auch kein Missionar.

Ich bin der Friede, meine Schellen läuten,
Sobald des Menschen Herz sich neu belebt,
Und meine Füße, die den Tod bedeuten,
Zerstampfen, was nach Licht und Freiheit strebt.
Ich bin der Friede, und so wahr ich tanze
Auf Gräbern in elektrisch grellem Glanze,
Es fällt zum Opfer mir das künft'ge Jahr,
Wie das geschiedne mir verfallen war!

So sang die Göttin. Aber Gott sei Dank,
Noch eh sie dirnenhaft von hinnen knixte,
Gewahrt' ich, Dass die üpp'ge Diva krank
Und alt, so rot sie sich die Wangen wichste,
Dass schon der Tod ihr selbst die Brust gehöhlt;
Und tausend Bronchien rasselten im Chore:
Der rote Saft sprengt dieses Leichnams Tore,
Eh er noch einmal seine Jahre zählt.

Dann wurden unterird'sche Stimmen laut:
Der Mensch sei nicht zum Knecht vor goldnen Stufen,
Es sei zum Herrscher nicht der Mensch berufen,
Der Mensch sei nur dem Menschen angetraut.
Ein dumpfes Zittern, wie aus Katakomben,
Erschütterte den Boden. Alsogleich
Ward jeden Gastes Antlitz kreidebleich:
Bewahr' uns Gott vor Anarchie und Bomben!

Ich aber denke: Eh ein Jahr vergeht,
Vergeht die Kirchhofsruhe. Böse Zeichen
Verkünden einen Krieg, der seinesgleichen
Noch nicht gehabt, solang die Erde steht.
Noch ist die Saat nicht reif, doch wird sie reifen,
Und Habgier gegen Habgier greift zum Schwert;
Es wird der Bruder, seines Bruders wert,
Dem Bruder mörd'risch nach der Kehle greifen.

Die Glocken sind verhallt, verglommen sind
Die Feuerbrände und verstummt die Lieder;
Die alte, ew'ge, blinde Nacht liegt wieder,
Wie sie nur je auf Erden lag, so blind;
Und doch hängt das Geschick an einem Haar
Und lässt sich doch vom Klügsten nicht ergründen.
Wie werden diese Welt wir wiederfinden,
Wenn wir sie wiederfinden, übers Jahr?

Hermann

1898



Abb.: Die dummen Bauern / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 2, Nr. 47, S. 371. -- 18. Februar 1898

"Schwätzt doch nicht immer von Fortschritt und Aufklärung usw. Ihr wisst ja doch nciht was das ist!" – "Dös braucht's a net, aber was Guats mud sein für uns, weil's da Hoche [Ihr da oben] gar nix davon wissen wollt's!"


Abb.: Osterbeichte / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 2, S. 16. -- 9. April 1898

"Zu was für an Herrn genga denn Sie, Frau Meier? I geh' zum Pater Onufrius." – "Na, i geh zum Pater Kosima, wissens, der fragt oan scho um so schöne Sünd'n, dass man sich glei dreißig Jahre jünger fühlt!"



Abb.: Das Licht! <Ausschnitt> / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 4, S. 28. -- 23. April 1898

Die Geistlichkeit: "Das Licht sollen wir ausmachen! Da braucht's keine Beschwörung. Das werden wir gleich haben! So! Es war ja bloß ein kleines Fünklein – Vernunft."



Abb.: Jägerlatein / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 5, S. 35. -- 30. April 1898

"Herr Förster, Ihre Ansichten sind ja im allgemeinen ganz nett, aber warum sehe ich Sie denn nie in der Kirche!"
"Bin scho amal d'rin g'wes'n; aber da hat sich der Weihrauchg'ruch a so an mi ang'hängt, dass meine Hund' vier Woch'n lang koa Witterung nimmer g'habt hab'n."



Abb.: Bilder aus dem Familienleben: Mutter und Sohn / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 11, S. 84. -- 11. Juni 1898

 "O Mutter, teure Mutter, glaubst Du denn nicht mehr an Gott?!"



Abb.: Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 12, S. 90. -- 18. Juni 1898

"Na, werd ich beweisen, dass ich bin ä ehrlicher Christ, ä überzeugter Christ. Werd ich wählen den Antisemit!"



Abb.: Der Wahltag <Ausschnitt> / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 12, S. 91. -- 18. Juni 1898

Nachmittags 3 Uhr im Dom-Café: "I sag Ihna bloß das, Hochwürden, an Katechismus sag' i eahna auswendig her von hint und von vorn; da brauchens nimmer frag'n, wia i wähl!"


Kleiner Wahlkatechismus für politisch Unreife. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 12, S. 94. -- 18. Juni 1898



Abb.: Agitation / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus.  -- Jg. 3, Nr. 12, S. 96. -- 18. Juni 1898

 "Liebe Beichtkinder, ich bin weit davon entfernt, euch bei der Wahl beeinflussen zu wollen. Aber das muss ich euch sagen: wer den Bauernbündler1 wählt, verliert seine ewige Seligkeit!".

Erläuterung:

1 Bauernbündler:

"Der Bayerische Bauernbund (BB) vertrat von etwa 1870 bis 1933 die Interessen der ländlichen Bevölkerung im bayerischen Landtag und im Deutschen Reichstag. Er hatte seine Hochburgen in den altbayerischen Gebieten. Im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Interessenorganisationen (Bund der Landwirte, Landbund, Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei) war seine Programmatik liberal und in Abgrenzung zum Zentrum bzw. zur BVP betont nicht-klerikal. Seit 1922 nannte er sich Bayerischer Bauern- und Mittelstandsbund.

Nach der Novemberrevolution 1918 (vgl. auch Münchner Räterepublik) setzte der linke Flügel um Ludwig Gandorfer u.a. eine Zusammenarbeit mit SPD und zeitweise USPD durch. Von 1920 bis 1930 koalierte der Bayerische Bauernbund mit BVP und DNVP auf Landesebene. Mit verwandten Gruppen schloss sie sich ab 1928 für die Reichstagswahlen zur Deutsche Bauernpartei zusammen, wobei er sich mit weiteren mittel- und kleinbäuerlichen Organisationen von 1927 bis 1933 in einem Dachverband mit dem Namen "Deutsche Bauernschaft" zusammengeschlossen hatte. Wegen des fortdauernden Unterstützung der 1929 konstituierten Grünen Front trat der Bayerische Bauernbund jedoch aus dieser demokratiebejahenden Bauernorganisation 1930 auf. Die auf der Liste der Deutschen Bauernpartei gewählten Reichstagsabgeordneten des Bayerischen Bauernbundes schlossen sich der Fraktion der CNBL an.

Nach 1930 ging ein Großteil der Wählerschaft zur NSDAP über, 1933 löste sich der BB selbst auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligten sich frühere BB-Mitglieder an der Gründung der CSU."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bayerischer_Bauernbund. -- Zugriff am 2007-11-30] 



Abb.: Die Kirche hat einen guten Magen1  / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 15, S. 114. -- 9. Juli 1898

"Sie wollen also Ihr Vermögen der Kirche vermachen; daran tun Sie wohl, mein Sohn, damit bauen Sie sich eine Treppe zum Himmel! Wieviel ist es denn?" – "Ach, Hochwürden, e wären 80.000 Mark; wenn i nur mein Seel'nheil retten könnt'; aber es ist halt lauter erwuchertes Geld!" – "O mein Freund, es ist mehr Freude im Himmel über die Bekehrung eines einzigen schweren Sünders als über zehn Gerechte!2"

Erläuterungen:

1 Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832): Faust I (1808),

MEPHISTOPHELES.

Denkt nur, den Schmuck, für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft! –
Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
Gleich fängt's ihr heimlich an zu grauen:
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,
Und riecht's einem jeden Möbel an,
Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt' sie's klar,
Daß dabei nicht viel Segen war.
Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
Wollen's der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht' sie, ein geschenkter Gaul,
Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.
Er sprach: So ist man recht gesinnt!
Wer überwindet, der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen
,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch' allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.

2 Vgl. Lukasevangelium 15, 7:

"Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen." (Lutherbibel)



Abb.: Zwei Dicke Säulen / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 15, S. 117. -- 9. Juli 1898

 "Unerschütterlich fest ruht der Bau des sittlichen Kulturstaats auf zwei massiven Grundpfeilern: Polizei und Prostitution."



Abb.: Frömmigkeit / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 17, S. 130. -- 23. Juli 1898

"Uissen Sie, bei uns in Amöricä bin ich Präsident von amöricäs Bible-Gesellschaft. Vorigen Jahr wir haben verteilt in die Land 500.000 Bibels, 300.000 Manifests gegen das Teufel und 100.000 Gesänge gegen die Alkohol." – "und hat Ihr Kampf gegen die Sünde Erfolg gehabt?" – "Oh, yes, immense Erfolg, indees! Nun uenn uir uollen uns amüsieren wir müssen gehen nach Europa. – Nehmen Sie eine kleine Souper mit mir?"



Abb.: Die Schenkung / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 18, S. 142. -- 30. Juli 1898

"So, da wär'n die 5000 Mark fürs Fenster in unsrer neu'n Kirch' und gel'ns meine Bedingungen." – "O, da soll es nicht fehlen, Herr Supperl, der Gegenstand des Gemäldes ist das Martyrium des Patrons der Metzger, unten Ihre Porträts als Medaillons, eine Gedenktafel und zwei Ehrenstühle in der Kirche!" – "Ja, und was d' Hauptsach' is, d' Fleischlieferung für'n Pfarrhof!"



Abb.: Zukunftsbild von den preußischen Bahnhöfen / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 19, S. 145. -- 6. August 1898

"Patriotische Schriften! Die neuesten Hohenzollerndramen! Gesammelte Reden Kaiser Wilhelms II.! Adliges Kochbuch! Münchner Neueste Nachrichten! Erbauungsschriften! Gartenlaube! Daheim! Gesangbücher! Katechismen! Heilige Schrift gefällig!!!"

Erläuterung: Der preußische Minister für öffentliche Arbeiten, Karl von Thielen (1832 - 1906)  hatte verboten, den Simplicissimus auf preußischen Bahnhöfen zu verkaufen.


Frank Wedekind <1864 - 1918>: [Bismarcks1] Höllenfahrt. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 22, S. 170. -- 27. August 1898

Und als er drei Wochen dort oben war,
Da sagte er: Nein, meine Lieben,
Das gefällt mir nicht, und ich wünschte sogar,
Ich wäre dort unten geblieben.

Dort unten lebt sich's zwar herzlich schlimm,
Doch lebt sich's hier oben noch schlimmer;
Mich ärgert der unausgesetzte Klimbim
Und der Singsang der Frauenzimmer.

Dafür ist mir wahrhaftig mein Herz zu schwer;
Ich ging, solang ich noch Mensch war,
Auch nicht in Paris in die Folies Bergeres
Oder in Berlin in die Frenche Bar.

Du alter Schwede dort an der Tür,
Lass mich lautlos wieder entweichen;
Ich habe zwar gerade kein Trinkgeld bei mir,
Doch bist du ja meinesgleichen. —

Sankt Peter erwidert höflich: „Durchlaucht,
Ich begreife durchaus Ihre Klagen.
Wer den ganzen Tag seine Pfeife raucht,
Dem kann es bei uns nicht behagen.

Die Engelgeschöpfchen sind nicht Ihr Fall,
Drum ging ich an Ihrer Stelle
Hier gleich gegenüber in die Walhall',
Oder ich ginge vielleicht in die Hölle ..."

„Beim Himmel, das lässt sich hören! Ich geh
In die Hölle. Mein guter Sankt Peter,
Du musst mich empfehlen. Du warst ja von je
Ein gewaltiger Schwerenöter!"

Und als er nun schritt durch das Höllentor,
Sprühten Flammen ihm unter den Füßen;
Laut heulte und jauchzte der Höllenchor,
Den erlauchten Gast zu begrüßen.

Von seinem Throne stieg Luzifer
Und sagte: „Sei herzlich willkommen;
Du lebtest und starbst als ein Reaktionär,
Der gegen den Strom geschwommen.

Das war dein Anfang: Du bandest stracks
Dem deutschen Michel die Hände,
Doch der deutsche Michel brach knacks auf knack
Seine Fesseln, und das war dein Ende.

Du warst ihm ein Vater besonderer Art;
Du hieltest ihn stets bei den Haaren
Und hast ihn vor allem Guten bewahrt,
Um das Böse ihm zu ersparen.

Die deutsche Einheit, das deutsche Reich,
Das war alles in frohem Gedeihen,
Da schlugst du den Michel erst windelweich,
Von der Freiheit ihn zu befreien."

Der Fürst erwidert: „Mein lieber Freund,
Ich tat nach meinem Gewissen;
Du weißt nicht, wie manche Nacht ich geweint
In meine einsamen Kissen.

Ich war nur Mensch, und ich bin Pessimist;
Mir bot jene Welt keine Freuden,
Und außerdem bin ich ein strenger Christ,
Das lässt sich nun mal nicht vermeiden.

Der deutsche Michel war, als ich kam,
Ein gespenstiges Fabelwesen;
Die ganze Freiheit, die ich ihm nahm,
War aus Büchern zusammengelesen.

Die Füße, die ich ihm amputiert,
Auf denen könnt er nicht laufen;
Die Einheit, in der er gänzlich vertiert,
War die Einheit im Raufen und Saufen.

Er lag beduselt in Satans Macht;
Und wenn ich ihn tüchtig geprügelt,
So hat das sein Blut in Umlauf gebracht
Und seine Schritte beflügelt.

Ich weiß, o Luzifer, dass du mir grollst.
Der Erbfeind musste sich trollen,
Und wenn es kommt, wie ich hoffe, so sollst
Du mir noch viel grimmiger grollen.

Doch konnt ich leider vor deinem Gestank
Den Michel nicht gänzlich bewahren,
Drum hab ich denn auch des Teufels Dank
Für all meine Mühe erfahren."

Hermann

Erläuterung:

1 Otto von Bismarck, geb.1815, Gründer und erster Kanzler des Deutschen Reiches.
Reichskanzler von 1871 bis 1890,   war am 30. Juli 1898 gestorben.



Abb.: Des Frommen Klage / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 22, S. 174. -- 27. August 1898

"Koa bissl koa Religion hams nimmer dö Leut heutzutag; derazeit dass unseroans in Amt und Predig is, sitzens in der Wirtschaft und fressen oan d' Weißwürscht weg."



Abb.: Nach der Vision / Karikatur von E. Weiner. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 23, S. 182. -- 3. September 1898

Der fromme Büßer (der eben eine himmlische Erscheinung gesehen): "Wenn ich jetzt nur wieder aufstehen könnt'!"


Ernst von Wolzogen (1855 - 1934): Vom bösen Geist. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 27, S. 210. -- 1. Oktober 1898

Ach, wie die Welt voll Hammeln ist!
Und wie die Hammel springen!
Besonders über weichen Mist,
Da springt sich's wie mit Schwingen.

Die meisten Leute sind so nett,
Sie wenden sich wie Handschuh';
Und wer vor'm Kopfe trägt ein Brett,
Dem hilft der biedre Kantschu1.

Wie ginge das Regieren doch
So glatt und so  gemütlich,
Wie triebe man durch's Nadelloch
Kamele leicht und gütlich –

Wenn nur der böse Geist nicht wär' –
Der Himmel mag ihn holen!
Der Geist macht uns das Leben schwer –
O, blieb er uns gestohlen.

Wie wär' der Mensch des lebens froh,
Wie heiter seine Stirne,
Erfüllte man mit reinem Stroh
Den Hohlraum der Gehirne!

Der Geist spukt wie ein Geist herum
Als Völker-Schreck und -Plage –
Woher? wieso? wozu? warum?
Ist ewig sein Gefrage.

Was wär' das eine goldne Zeit,
Fromm, fröhlich, ohne Sorgen,
Blieb bei der lieben Geistlichkeit
Der böse Geist geborgen!

Ei, auf dem Dreyfuß2 saß sich's gut
Und fein ließ sich's orakeln –
Was muss nun diese Satansbrut
Um Wahrheit so spektakeln?

Macht denn die Wahrheit glücklich? – Nein!
Na, also geht's auch ohne.
Dem simplen Geistlos-Glücklichsein
Dem winkt die Tugendkrone.

Gasförmig ist des Geist Gestalt,
Man kann ihn nicht erschießen –
Und kaum gelingt's, ihn mit Gewalt
In Flaschen zu verschließen.

Man wird, weiß Gott, darob verrückt;
Wie soll den Geist man ducken?
Er fühlt sich minder stets gedrückt,
Je mehr man ihn lässt drucken!

– – – – – – – – –

Des Geistes Macht ward offenbar –
Sie wird euch nicht verschonen,
Kriecht ihr gleich hinter den Altar
Und hinter die Kanonen.

Ja, rasselt mit dem Rosenkranz
Und rasselt mit dem Säbel
Und tanzet euren Eiertanz
Im Weihrauch-Phrasen-Nebel

Und sei die Dummheit noch so groß
Und sei sie noch so erblich –
Der Geist allein bleibt fesselllos,
Der Geist allein unsterblich!

Was will der sanfte Glockenton
Von Osten her bedeuten?
Setzt nur den Geist erst auf den Thron –
Dann mögt ihr Frieden läuten!

Erläuterugen:

1 Kantschu

"Kantschu (v. türk. Kamtschi), kurze, starke, aus Lederriemen geflochtene Peitsche mit kurzem Stil, am Handgelenk hängend getragen und in Rußland auch als Reitpeitsche gebräuchlich (vgl. Nogeika)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Dreyfuß: Anspielung auf den Dreifuß-Sitz der Orakelpriesterin Pythia (Πυθία) in Delphi und Alfred Dreyfus (1859–1935)

"Alfred Dreyfus, franz. Artilleriehauptmann, geb. 9. Okt. 1859 in Mülhausen i. E., einer aus dem Elsaß stammenden jüdischen Familie angehörig, wurde, nach glänzender militärischer Laufbahn, im Dezember 1894 vom obersten Kriegsgericht wegen Spionage und Verrat militärischer Geheimnisse an eine fremde Macht zur Degradation und lebenslänglichen Deportation nach Cayenne verurteilt; er wurde dort auf der Teufelsinsel in qualvoller Gefangenschaft gehalten. Die klerikale und nationalistische Partei benutzte diese »Affaire« zur Entfesselung des Antisemitismus in Frankreich. Allein den Bemühungen wahrheitsliebender Männer, besonders Emil Zolas, gelang es, die Schuldlosigkeit D.' wahrscheinlich zu machen. Trotz des Widerstrebens des Generalstabs und der mächtigen Militärpartei übertrug das Kabinett Brisson (September 1898) die Angelegenheit dem Kassationshof, der das erste Urteil aufhob und die Sache dem Militärgerichtshofe zu Rennes zur Revision überwies (Oktober 1898). D. wurde nach Rennes überführt. Das dortige Kriegsgericht verurteilte ihn (9. Sept. 1899) von neuem, doch mit Zubilligung mildernder Umstände. Dieses ungeheuerliche Urteil führte die Begnadigung D.' durch den Präsidenten der Republik herbei (21. Sept. 1899). Seitdem suchten alle Parteien die durch die »Affaire« verursachte leidenschaftliche Aufregung zu beschwichtigen. D.' »Briefe aus der Gefangenschaft« wurden deutsch veröffentlicht (3. Aufl., Berl. 1899). Er schrieb: »Cinq années de ma vie« (Par. 1901; deutsch, Berl. 1901). Vgl. Marin, Histoire de l'affaire D. (Par. 1898); Steevens, The tragedy of D. (Lond. 1899); Guyot, L'affaire D. (Par. 1899); Mittelstädt, Die Affäre D. (Berl. 1899); Zola, L'affaire D. (Par. 1901; deutsch, Stuttg. 1901); Reinach, Histoire de l'affaire D. (Par. 1901 bis 1908, 6 Bde.; Bd. 1 deutsch, Berl. 1901)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Palästina / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 31 („Palästina-Nummer“), S. 241. -- 29. Oktober 1898       

Gottfried von Bouillon1: "Lach' nicht so dreckig, Barbarossa2! Unsere Kreuzzüge hatten doch eigentlich auch keinen Zweck."

Erläuterung: Bezieht sich auf die Nahostreise Kaiser Wilhelms II. 1898, die nach Istanbul, Jerusalem und Damaskus führte,

1 Gottfried von Bouillon. (um 1061 bis 1100), französischer Adliger und Führer des 1. Kreuzzuges.

2 Barbarossa = Friedrich I. "Barbarossa" ("Rotbart"), (1123-1190), Römischer König und Kaiser. 1189 brach Friedrich zum Kreuzzug nach Kleinasien auf. Nach zwei großen Siegen über die Muslime ertrank Friedrich am 10. Juni 1190 beim Baden im Fluss Saleph (heute Göksu in der Türkei).


Frank Wedekind <1864 - 1918>: Im Heiligen Land. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 31 („Palästina-Nummer“), S. 245. -- 29. Oktober 1898
Der König David steigt aus seinem Grabe,
Greift nach der Harfe, schlägt die Augen ein
Und preist den Herrn, dass er die Ehre habe,
Dem Herrn der Völker einen Psalm zu weihn.
Wie einst zu Abisags von Sunem1 Tagen
Hört wieder man ihn wild die Saiten schlagen,
Indes sein hehres Preis- und Siegeslied
Wie Sturmesbrausen nach dem Meere zieht.

Willkommen, Fürst, in meines Landes Grenzen,
Willkommen mit dem holden Eh'gemahl,
Mit Geistlichkeit, Lakaien, Exzellenzen
Und Polizeibeamten ohne Zahl.
Es freuen rings sich die historischen Orte
Seit vielen Wochen schon auf deine Worte,
Und es vergrößert ihre Sehnsuchtspein
Der heiße Wunsch, photographiert zu sein.

Ist denn nicht deine Herrschaft auch so weise,
dass du dein Land getrost verlassen kannst?
Nicht jeder Herrscher wagt sich auf die Reise
Ins alte Kanaan. Du aber fandst,
Du sei'st zu Hause momentan entbehrlich;
Der Augenblick ist völlig ungefährlich;
Und wer sein Land so klug wie du regiert,
Weiß immer schon im voraus, was passiert.

Es wird die rote Internationale,
Die einst so wild und ungebärdig war,
Versöhnen sich beim sanften Liebesmahle
Mit der Agrarier sanftgemuten Schar.
Frankreich wird seinen Dreyfus froh empfangen,
Als wär' auch er zum Heil'gen Land gegangen.
In Peking wird kein Kaiser mehr vermisst,
Und Ruhe hält sogar der Anarchist.

So sei uns denn noch einmal hoch willkommen
Und lass dir unsere tiefste Ehrfurcht weihn,
Der du die Schmach vom Heil'gen Land genommen,
Von dir bisher noch nicht besucht zu sein.
Mit Stolz erfüllst du Millionen Christen;
Wie wird von nun an Golgatha sich brüsten,
Das einst vernahm das letzte Wort vom Kreuz
Und heute nun das erste deinerseits.

Der Menschheit Durst nach Taten lässt sich stillen,
Doch nach Bewund'rung ist ihr Durst enorm.
Der du ihr beide Durste zu erfüllen
Vermagst, sei's in der Tropenuniform,
Sei es in Seemannstracht, im Purpurkleide,
Im Rokokokostüm aus starrer Seide,
Sei es im Jagdrock oder Sportgewand,
Willkommen, teurer Fürst, im Heil'gen Land!

Hieronymus.

Erläuterung: Bezieht sich auf die Nahostreise Kaiser Wilhelms II. 1898, die nach Istanbul, Jerusalem und Damaskus führte,

Wegen dieses Gedichtes beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Leipzig am 1898-10-25 diese Ausgabe und die folgend des Simplicissimus wegen Majestätsbeleidigung. Das ganze hatte noch ein juristisches Nachspiel.

1Abisags von Sunem: siehe 1. Könige 1,1-4: "König David war alt und hochbetagt; auch wenn man ihn in Decken hüllte, wurde ihm nicht mehr warm. Da sagten seine Diener zu ihm: Man suche für unseren Herrn, den König, ein unberührtes Mädchen, das ihn bedient und pflegt. Wenn es an seiner Seite schläft, wird es unserem Herrn, dem König, warm werden.Man suchte nun im ganzen Land Israel nach einem schönen Mädchen, fand Abischag aus Schunem und brachte sie zum König. Das Mädchen war überaus schön. Sie pflegte den König und diente ihm; doch der König erkannte sie nicht."


Kirchenparade (Zu einer Zeichnung von von Eduard Thöny (1866 - 1950)). --  In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 32 (beschlagnahmt, nicht in den Verkauf gelangt), S. 253. -- 5. November 1898

Leutnant: "Ich bitte mir in der Kirche schneidige Haltung aus, dass mir keiner schläft, lacht, schwätzt, betet oder dergleichen."



Abb.: Kurze Trauer / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 32 (beschlagnahmt, nicht in den Verkauf gelangt), S. 254. -- 5. November 1898

"Ihr wollt schon wieder heiraten, Schustermathes, und seid mir doch noch die Begräbniskosten für eure verstorbene Frau schuldig!"



Abb.: Im Kloster / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 34, S. 266. -- 19. November 1898

"Wos? den Haufen Holz soll i mach'n, dass i a Mittagessen kriag?" – "Ja, mein Sohn, bei uns gilt der Spruch: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." – "No, Ehrwürden Herr Frater, für dös schaug'n Sie aber gar nöt schlecht aus!"



Abb.: Der Ungläubige / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 36, S. 283. -- 3. Dezember 1898

 "Is dös a Art und Manier für an verheirat'n Mo? Um zwölfi is 's Essen fertig und um halbi drei kummst amal daher!" – "Babett, tua mi nöt roatz'n, i bin a schon hanti, weil i fufzehn Mark verspielt hab heut vormittag!" – "Siehst as, dös is d' Straf Gottes. weilst Kart'n spiel'n tuast am Sonntag Vormittag, statt in d' Kirch geh!" – "Dumms G'schwatz, dumms, der wo mirs Geld abg'wunna hat, war ja do a nöt in da Kirch!"


1899



Abb.: Sonntagsheiligung / Karikatur von Adolf Münzer (1870 - 1953). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 43, S. 340. -- 23. Januar 1899

"Entschuldchen Se nor, Herr Baster, 'n Sonndach thät'ch ooch heilig halten, wenn'ch dann de ganze Woche frei hätte un mich davon erholen gennte wie Sie."



Abb.: Die Anzüglichen / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 44, S. 350. -- 30. Januar 1899

"Fress'n und Sauf'n und Faulenzen, das wär euch halt s' Liebste!" – "Dös host derrate, Hochwürden, bloß vom Cölibat möcht mar nix wiss'n!"



Abb.: Die gute Pfründe / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 48, S. 379. -- 27. Februar 1899

"Sie werden zufrieden sein, mein lieber Herr Kollege, die Gemeinde, welche Sie von mir übernehmen, ist zwar nicht reich, aber die Leute sind sehr fromm und gottesfürchtig und für die Kirche geben sie den letzten Pfennig her."



Abb.: Fastengespräch / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 50, S. 398. -- 13. März 1899

"No Alter, wie hat die Krebssupen g'schmeckt, und dö Forellenfisch' und dö Dampfnudel und dar Weinpudding?" – "I sag dir bloß, dass is net versteh, wias so gottvergessne Leut gebn kon, dö net wmal an Fasttag halten!" – "Aber schau, Hansel, a jeder hat net das Glück, dass er a Pfarrersköchin zur Frau kriagt."



Abb.: Die letzte Hilfe / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 3, Nr. 52, S. 411. -- 27. März 1899

"Exzellenz, gegen das Gift der Aufklärung, welches sich so tief in unser armes betörtes Volk eingefressen hat, gibt es nur ein Mittel: Rückkehr des ganzen Volkes in den Schoß unserer allein seligmachenden Kirche." – "ach ja, ich verstehe – Gegengift!"



Abb.: Ein frommer Mann / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 4, Nr. 1, S. 4. -- 3. April 1899

"Was sagst du nur zu deiner Frau, wenn du abends immer ausgehst?" – "Ja, mei Daibchen; das is ganz verschieden, heite hab 'ch gesagt, ich dhäde in die Vorschdandssitzung vom Gustav Adolf-Verein1 gehn."

Erläuterung:

1 Gustav Adolf-Verein

"Gustav Adolf-Verein (Evangelischer Verein der Gustav Adolf-Stiftung) ist eine Vereinigung innerhalb der evangelisch-protestantischen Kirche mit dem auf Gal. 6, 10 gegründeten Zweck, den kirchlichen Bedürfnissen der in der Diaspora (s. d.) lebenden Glaubensgenossen nach Kräften Abhilfe zu leisten. Im Anschluss an die zweite Säkularfeier des Todes Gustav Adolfs (6. Nov. 1832) erließen Superintendent Großmann (s. d. 2), der Archidiakonus Goldhorn und der Kaufmann Lampe zu Leipzig einen Ausruf zur Beteiligung an dem Unternehmen, das zunächst fast auf Leipzig und Dresden beschränkt blieb, von dem aber bis 1840 bereits 31 Gemeinden mit 1233 Tlr. unterstützt wurden. Als zum Reformationsfest 1841 der Darmstädter Hofprediger Zimmermann, ohne von dem sächsischen Unternehmen zu wissen, einen Ausruf zur Begründung eines Vereins mit gleichem Zweck erließ, verständigte man sich gegenseitig und gründete 16. Sept. 1842 zu Leipzig den Evangelischen Verein der Gustav Adolf- Stiftung. Nach den zu Frankfurt 1843 festgestellten Satzungen umfaßt die Wirksamkeit des Vereins lutherische, reformierte, unierte sowie solche Gemeinden, die ihre Übereinstimmung mit der evangelischen Kirche glaubhaft nachweisen. Die Mittel dazu werden erlangt durch die jährlichen Zinsen vom Kapitalfonds des Vereins sowie durch jährliche Geldbeiträge von völlig beliebigem Betrag, durch Schenkungen, Vermächtnisse, Kirchenkollekten etc. In jedem Bundesstaat (bei größern in jeder ihrer Provinzen) wird die Bildung von Hauptvereinen angestrebt, denen sich Zweigvereine in einzelnen Orten angliedern. Ihr gemeinsamer Mittelpunkt ist der aus 24 Mitgliedern bestehende Zentralvorstand mit dem Sitz in Leipzig (Vorsitzender bis 1857 Großmann, bis 1875 Geheimer Kirchenrat Hoffmann, bis 1900 Geheimer Kirchenrat Professor D. Fricke, zurzeit Geheimer Kirchenrat D. Pank). Das Zentralbureau befindet sich in Leipzig. Von den Einnahmen der Zweigvereine steht ein Drittel diesen zu freier Verfügung, zwei Drittel sind an den Hauptverein abzuführen, der wiederum ein Drittel dem Zentralvorstand zu überweisen hat.

Während die bayrische Regierung dem G. die Bildung von Zweigvereinen zunächst untersagte und erst im September 1849 gestattete, wurde die Genehmigung in Preußen schon im Februar 1844 erteilt. Im September 1844 erfolgte zu Göttingen der Anschluß der preußischen Vereine an den Gesamtverein. In Österreich konnte der Verein erst nach den 1861 erlassenen Religionspatenten seine Wirksamkeit beginnen. Allmählich traten dem Verein in Ungarn und der Schweiz, in Frankreich, Rußland, Schweden, Rumänien, Italien und Holland Hilfsvereine zur Seite; die protestantischen Gemeinden Belgiens und die Evangelisationsgesellschaft im Elsaß (1890) schlossen sich ihm an. Die seit 1851 bestehenden Frauenvereine haben sich den Schmuck und die Ausstattung der Gotteshäuser, die Pflege der Konfirmandenanstalten, die Unterstützung von Predigerwitwen und -Waisen zur besondern Aufgabe gemacht. 1903 zählte der Verein 45 Haupt- und 1943 Zweigvereine, dazu 632 Frauenvereine. Die Einnahmen betrugen 2,402,742 Mk. Im letzten Vereinsjahr wurden 1,738,525 Mk. an Unterstützungen aufgewendet, im ganzen bis 1903: 43,566,700 Mk., die über 5302 Gemeinden verteilt wurden. Das Gesamtvermögen der Vereine und des Zentralvorstandes betrug 1903: 5,148,047 Mk. Organe des Gustav Adolf-Vereins sind die von mehreren Hauptvereinen herausgegebenen »Boten des Evangelischen Vereins der Gustav Adolf-Stiftung«; ferner erscheinen alljährlich vom Zentralvorstand herausgegebene »Fliegende Blätter«, mehrere Gustav Adolf-Kalender, Berichte über die Hauptversammlungen und andre Vereinsschriften."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Zur lex Heinze1 / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 4, Nr. 2, S. 12. -- 10. April 1899

"Ach Quatsch! Religion und Sittlichkeit sind nur fürs Volk. Ich muss das wissen, mein Schatz ist vortragender Rat im Kultusministerium."

Erläuterung:

1 Lex Heinze

"Lex Heinze heißt die auf Anregung des Kaisers aus Anlass der Berliner Gerichtsverhandlung gegen den Zuhälter Heinze und dessen der Prostitution ergebenen Ehefrau entstandene Novelle vom 25. Juni 1900 zum deutschen Strafgesetzbuch, welche die Strafvorschriften über Sittlichkeitsverbrechen (s. d.), insbes. Kuppelei (s. d.) und Zuhältertum (s. d.), erweitert und ergänzt. Der erste Entwurf vom 29. Febr. 1892 kam im Reichstag nicht einmal zur ersten Lesung. Im Winter 1892/93 ging der Entwurf dem Reichstag in gleicher Gestalt wieder zu. Er wurde von einer Kommission eingehend beraten. Mit 15 gegen 6 Stimmen lehnte sie den Teil des Entwurfs ab, der die Prostitution kasernieren, also die Wiederzulassung öffentlicher Häuser ermöglichen sollte. Dagegen fügte sie außer andern Zusätzen und Verschärfungen den sogen. Arbeitgeberparagraphen ein, der die Arbeitgeber oder Dienstherren mit Strafe bedrohte, die unter Missbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses ihre Arbeiterinnen zur Duldung oder Verübung unsittlicher Handlungen bestimmen, ferner einen Paragraphen, der Ansteckung durch Geschlechtskrankheit mit Strafe bedroht. Indes kam der Entwurf über die Kommissionsberatung nicht hinaus. In den folgenden Sitzungsperioden brachte das Zentrum den Kommissionsentwurf als eignen Antrag ein. In der Session 1899/1900 kam auch die Regierung wieder mit einem neuen Entwurf vor den Reichstag. Eine Kommission verband ihn mit dem Zentrumsantrag. Über die auf Kuppelei und Zuhältertum bezüglichen Bestimmungen herrschte Einverständnis. Die Regierung erklärte aber den Arbeitgeberparagraphen für unannehmbar, da er zu unbegründeten Strafanträgen seitens eines eifer- und rachsüchtigen Personals führen könnte, ebenso für unannehmbar, dass die Altersgrenze für die strafbare Verführung eines unbescholtenen Mädchens von 16 auf 18 Jahre hinausgesetzt werde. Anderseits wurde der Antrag der Regierung abgelehnt, wonach die Vorschriften über Kuppelei und Zuhältertum keine Anwendung finden sollen auf die Vermietung von Wohnungen an Frauenspersonen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, sofern damit nicht eine Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes der Mieterin verbunden ist. Ende Februar 1900 erhob sich eine lebhafte öffentliche Bewegung gegen die sogen. Kunst- und den Theaterparagraphen, auf die sich Regierung und Reichstagskommission geeinigt hatten. Der eine Paragraph verbietet, Schriften und Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, zu geschäftlichen Zwecken in Ärgernis erregender Weise öffentlich (z. B. in Schaufenstern) auszustellen oder anzuschlagen. Der andre Paragraph wendet sich gegen öffentliche Aufführungen, die durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Die Agitation, an deren Spitze sich der Goethe- Bund (s. d.) stellte, hatte Erfolg. Die aus Zentrum und Konservativen gebildete Reichstagsmajorität verzichtete auf beide Paragraphen. Als Rest blieb nur eine Bestimmung, die unter Strafe verbietet, Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt zu überlassen oder anzubieten (Strafgesetzbuch, § 184 a). In einem neuen Paragraphen, dem sogen. Gerichtsberichtparagraphen (§ 184 b), wird bei Strafe verboten, aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, öffentliche Mitteilungen zu machen, die geeignet sind, Ärgernis zu erregen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.. Im Vorzimmer des Vatikan / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. --  Jg. 4, Nr. 4, S. 25. -- 10. April 1899

[Kardinäle, die auf den Tod des Papstes Leo XIII. warten:] "Tot?" — "Nein, ein neues Gedicht [des literarisch sehr produktiven Papstes]."



Abb.: Ein Blick in die Zukunft / Karikatur von Reinhold Max Eichler (1872 - 1947). -- In: Simplicissimus. --  Jg. 4, Nr. 15, S. 116. -- 10. Juli 1899

Pfarrer zum neu angestellten Lehrer: "Und machen Sie mir die Kinder ja nicht so gescheit! Je mehr wir ihnen jetzt geben, desto weniger geben sie später uns."



Abb.: Frömmigkeit allein tut's nicht / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 4, Nr. 16, S. 123. -- 17. Juli 1899

"Sie wollen Ihre Tochter also dem Herrn weihen! Wie viel Vermögen geben Sie ihr?" – "Vermögen haben wir leider nicht!"  – "Was! Kein Vermögen! Wozu soll sie denn dann das Gelübde der Armut ablegen? Glauben Sie, wir spielen hier Komödie?"



Abb.: Trost / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 4, Nr. 20, S. 155. -- 14. August 1899

"Tröstet euch, ihr Armen! Not, Mühsal und Entsagung sind die Schlüssel zur Himmelspforte!" – "Dann ham Hochwürden wahrscheinli an Dietrich."



Abb.: Die Sittlichkeitskommission / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 4, Nr. 24, S. 185. -- 11. September 1899

"Ihre Produktionen scheinen vom Standpunkt der Sittlichkeit sehr verwerflich. Bitte wollen Sie dieselben wiederholen."



Abb.: Österreichische Hebststimmung / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- 4. Jhrg., Nr. 30, S. 238. -- 23. Oktober 1899


1900



Abb.: Berechnung / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 4. Jhrg., Nr. 40, S. 319. -- 31. Dezember 1899

"Dat 's doch 'ne Sün'n un #ne Schan'n, Mariken, dat hützudag so wenig Lüd in 't Gotteshus gah'n." – "Dat 's ganz recht, Jochen; denn kummt up unsereens mihr, wenn de leiwe Gott sin Lohn verdeelt."


1900



Abb.: Im Himmel / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- 4. Jhrg., Nr. 43, S. 348. -- 16. Januar 1900

"Flügel könnt ihr mir geben, soviel ihr mögt, aber das will ich euch nur sagen: Eier legen tu' ich nicht!"



Abb.: Schwere Zeiten / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 4. Jhrg., Nr. 48 („Karneval“), S. 343. -- 20. Februar 1900       

"Ja, ja, Herr Bruder, der Karneval is a harte Zeit. Da hört man erst im Beichtstuhl, was ma alles entbehren müassen."



Abb.: Aschermittwoch / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- 4. Jhrg., Nr. 49, S. 389. -- 27. Februar 1900

Prinz Karneval ist tot — es lebe die lex Heinze!



Abb.: Zur lex Heinze / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- 4. Jhrg., Nr. 49, S. 391. -- 27. Februar 1900

Schutzbrille für Reichsagsabgeordnete mit leicht erregbarer Sinnlichkeit (Deutsches Reichspatent angemeldet).



Abb.: Zur lex Heinze / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 4, Nr. 49, S. 396. -- 27. Februar 1900

"Pfui Teufel" Wie kann man so ohne Borsten herumlaufen?"



Abb.: Letzte Zuflucht / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 1, S. 8. -- 27. März 1900

Wer leichtfertigen Damen eine Wohnung überlässt, macht sich nach dem neuen Gesetz selbst wenn er keinen Gewinn daraus zieht der Kuppelei schuldig. Es bleibt also nichts anderes übrig, als dieses staatlich konzessionierte Gewerbe fei in der Luft schwebend in Fesselballons zu betreiben.

Erläuterung: bezieht sich auf den Kuppeleiparagraphen (§ 180 StGB), der erst 1974 (!) aufgehoben wurde.



Abb.: Dressur  / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 7, S. 55. -- 8. Mai 1900

Das Ausland bewundert von neuem die hohe Dressurfähigkeit des bayrischen Löwen.



Abb.:  Ersatz / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 13, S. 106. -- 19. Juni 1900

"Wo soll das hinführen, Herr Amtsrichter! Das Volk hat keinen Funken Religion und fürchtet sich vor Hölle und Teufel nicht mehr!" – "Braucht's auch nicht – dafür haben wir Polizei und Staatsanwalt."



Abb.: Apostelverehrung in Oberammergau / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 5. Jhrg., Nr. 14, S. 113. -- 26. Juni 1900

"Nun kann uns der heilige Mann nicht mehr entrinnen."

Erläuterung:

"Die Oberammergauer Passionsspiele sind das weltweit bekannteste Passionsspiel (seit 1634), bei dem durch die Dorfbewohner Oberammergaus in sechs Stunden die letzten 5 Tage im Leben Jesu nachgestellt werden.

Die Musik zum Oberammergauer Passionsspiel schrieb im Jahre 1815 der Oberammergauer Schullehrer Rochus Dedler. Seine Kompositionen umrahmen mit großem Chor und Orchester heute noch das gesamte Spiel.

Im Pestjahr 1633 hatten die Einwohner von Oberammergau feierlich gelobt, regelmäßig ein Passionsspiel aufzuführen, wenn sie von der Pest verschont bleiben würden. 1634, 1644, 1654 und 1664 wurde das Passionsspiel auf der Grundlage von Texten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aufgeführt. 1674 kam es zur Erweiterung des Passionstexts durch Pfarrer Johann Älbl. Der Ettaler Benediktiner Ferdinand Rosner (1709–1778) schließlich schreibt die „Passio nova“ im Stil des Barocktheaters. Oberammergau wurde damit zum Leitbild für andere Passionsspielorte. 1770 verbot der Geistliche Rat von Kurfürst Maximilian III. Joseph die Passionsspiele.

Die Bühne war ursprünglich ein einfaches Holzgerüst, im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts wurde sie mit Kulissen und Bühnentechnik ausgestattet. Der Benediktiner Othmar Weis aus dem säkularisierten Kloster Ettal verfasste 1811 einen neuen Text für das Passionsspiel mit dem Titel „Das große Opfer auf Golgotha oder Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu“. Im Jahr 1815 nahm Johann Nikolais Unhoch (1762-1832) eine grundlegende Neugestaltung vor. Joseph Alois Daisenberger (1799-1883), der seit 1845 Pfarrer in Oberammergau war, wurde erster richtiger Spielleiter der Passionsspiele. Er entwarf einen neuen Text für das Passionsspiel von 1850. Der Ort wurde langsam auch international durch seine Passionsspiele bekannt. 1890 wurde eine neue Bühne nach Plänen Carl Lautenschlägers errichtet. "

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Oberammergauer_Passionsspiele. -- Zugriff am 2007-11-30]



Abb.: Toast / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 19, S. 153. -- 31. Juli 1900

"Also trinken wir auf wohljelungene Rache an den jelben Schweinehunden und energische Verbreitung des Christentums!"



Abb.: Serenissimus [bei den Passionsspielen] in Oberammergau / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 5. Jhrg., Nr. 24, S. 189. -- 4. September 1900

"Äh — hm — sehr gutes Stück! Bin gespannt, wie die Sache ausgeht."


Der chinesische Krieg im Deutschen Reichstag / von Tarup [= Edgar Steiger <1858 - 1919>]. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 26, S. 206. -- 18. September 1900

Stenographischer Bericht

DER REICHSKANZLER1 hält ein Papier in der Hand. In dem Augenblick, da er es vorlesen will, beugt er sich zum Grafen von Bülow hinüber, flüstert ihm, auf den Zehenspitzen stehend, etwas ins Ohr und zieht sich dann schleunigst zurück.

STAATSSEKRETÄR VON BÜLOW2: Ich schließe mich ganz der Meinung des Reichskanzlers an („Bravo!" rechts). Nur zwei Worte bitte ich Sie noch zu beherzigen: A la guerre comme à la guerre und point d'argent, point de Suisse („Sehr richtig!"). Sprechen wir also zum deutschen Volke mit dem würdigen Jago in Shakespeares Othello: „Tu Geld in deinen Beutel!" (Tosender Beifall. Auf der Journalistentribüne weinen die Berichterstatter der patriotischen Presse, während sie die Telegramme redigieren. Herr Schweinburg flüstert: „Ein zweiter Bismarck!").

GRAF LIMBURG-STIRUM3 (kons.): Eine so junge Dynastie wie die chinesische, die kaum ins 11. Jahrhundert zurückreicht, hat gar keine Existenzberechtigung... („Bravo!" bei den Sozialdemokraten. Lange Gesichter auf der Rechten). . . Ich meine natürlich nur in Asien. ..

ABG. LIEBER4 (Centrum): Will die Regierung unsere Unterstützung, so sorge sie für schleunige Vermehrung der Feldgeistlichkeit. Auf je 10 Soldaten ein berittener Feldkaplan, das ist das mindeste, was das katholische Deutschland verlangen muss. Hat übrigens der Herr Kriegsminister bereits dafür Sorge getragen, dass für die nächste Fronleichnamsprozession in Peking die nötige Anzahl Festgewänder und Fahnen rechtzeitig zur Stelle sind?

ABG. RICHTER (Freisinn. Volksp.): Ich möchte mir die Frage erlauben, wo der Herr Reichskanzler hingeraten ist. (Verlegenes Lächeln am Regierungstisch.) PARDON!!

PRÄSIDENT VON BALLESTREM5: Ich mache den Redner darauf aufmerksam, dass ich eine Kritik Allerhöchster Worte nicht dulden werde.

ABG. RICHTER: Aber ich wollte ja nur sagen, dass es mir seltsam vorkommt, wenn der Herr Reichskanzler bei einer so wichtigen Beratung im Hause nicht anwesend ist. Im übrigen ist DAS BILD. . .

PRÄSIDENT: Ich bitte auch Allerhöchste Bilder unkritisiert zu lassen.

ABG. RICHTER: Aber ich wollte ja nur sagen, dass das Bild der jetzigen Lage in China. . .

PRÄSIDENT: Ich entziehe dem Redner das Wort.

ABG. BEBEL6: Die Chinesen sind die friedfertigsten und sanftmütigsten Menschen. Wenn sie morden und brennen und notzüchtigen, so ist das einfache Notwehr. Wir Europäer sollten uns an ihnen ein Beispiel nehmen. - (ABG. KARDORFF: „Tun wir auch! PARDON...!" Er hält, da der Präsident zur Glocke greift, errötend inne.) - Dann führten wir nicht gegen sie Krieg, sondern gegen die Herren Stumm und Krupp, die ihnen Kanonen und Munition. . .

PRÄSIDENT: Der Redner hat ein Mitglied dieses Hauses unter ausdrücklicher Namennennung beleidigt. Ich entziehe ihm das Wort.

ABG. STUMM7: Mein Freund Krupp, der eben so schwer angegriffen wurde, hat schon am 6. August die Waffenlieferungen nach China eingestellt und alle von China noch weiter bestellten Kanonen, Panzerplatten etc. der deutschen Regierung für unsere Armee zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, dass man in diesem Hause die patriotische Gesinnung dieses Mannes würdigen und dass die Regierung bei den bevorstehenden Friedensverhandlungen das ihrige tun wird, um meinem Freunde für die schweren geschäftlichen Verluste, die er durch seinen Patriotismus erlitten, vom chinesischen Staat die nötige Entschädigung zu erwirken.

(Tosender Beifall. Der Abg. Hasse-Leipzig stimmt das Lied „Deutschland, Deutschland über alles" an, das sämtliche Abgeordnete, außer den Sozialdemokraten, stehend singen. Als der Gesang zu Ende ist, betritt der Reichskanzler den Saal.)

Tarup

In: Simplicissimus. -- Jg. 5 (1900/01)

Erläuterungen:

1 Reichskanzler = Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819 - 1901; Reichskanzler: 1894 - 1900)

2 Staatssekretär von Bülow = Bernhard Fürst von Bülow (1849 - 1929)

3 Friedrich Wilhelm Graf v. Limburg-Stirum (1835-1912)

4 Ernst Lieber (1838-1902), Zentrumsführer

 5 Franz Graf v. Ballestrem (1834 - 1910; Reichstagspräsident 1898 - 1906)

6 August Bebel(1840 - 1913), Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Reichstagsabgeordneter 1871 - 1913

7 Karl Ferdinand Stumm (1836 - 1901), Eigentümer der Neunkircher Eisenhütte (Saarland), Reichstagsabgeordneter



Abb.: Gebet vor der Schlacht / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 5. Jhrg., Nr. 27. -- 25. September 1900

"Christliche Soldaten, fassen wir unsere Gefühle zusammen in dem Rufe. Der liebe Gott hurra! hurra! hurra!"



Abb.: Unangenehm / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 28, S. 222. -- 2. Oktober 1900

"Als wir vorige Woche einen englischen Missionar aßen, wurde ich und meine Familie total betrunken; das ganze Fleisch war mit Whisky durchtränkt."



Abb.: Trost / Karikatur von F. Scholl. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 29, S. 230. -- 9. Oktober 1900

"Jessas, das Zeitungsg'schrei; 's ist doch a Glück, dass net alles aufkommt!"


Aus: Die Thronstütze : ein Couplet fürs Varieté. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 33, S. 265. -- 6. November 1900

Scharf nach unten, mild nach oben,
Öffentlich den Herrgott loben,
Heimlich is man kalte.
Bald 'nen Tritt, un bald 'nen Orden,
Mancher ist schon so jeworden
Oberstaatsanwalte,
Hopsasa, tralala!
Oberstaatsanwalte.


1901



Abb.: Gang zur Frühmesse. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 42, Beiblatt. -- 8. Januar 1901

"Du, Alte, heut nacht hat mir träumt, i wär g'storb'n und in 'd Höll kumma." -- "Jessas na!" -- "Ja, aber weil i auf der Welt a so fromm war, hab i dö andern Sünder am Bratspieß drahn derf'n."



Abb.: Je nachdem / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 46, S. 372. -- 5. Februar 1901

"Der Pfarrer hat mi vermahnt, dass i wenigstens auf die Feiertäg koa Todsünd begeh. Wann der Hias koan Urlaub kriagt, lasst si's macha."



Abb.: Äußerste Hilfe / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 5, Nr. 46, Beiblatt. -- 5. Februar 1901

"Es is a Elend, Hochwürden, der kloane verdienst und dö hoch'n Fleischpreis'!" – "Halten Sie die gebotenen Fasttage, mehr kann die Kirche nicht tun."



Abb.: Der evangelische Bund / Karikatur von Max Hagen (1862 - 1914). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 6, Nr. 3, S. 18. -- 9. April 1901

"Ein günstiges Jahr, teurer Amtsbruder, ein sehr günstiges Jahr, drei Sittlichkeitsverbrechen weniger als auf katholischer Seite."

Erläuterung:

"Der Evangelische Bund wurde am 5. Oktober 1886 in Erfurt als ein "Schutz und Trutzbündnis" zur "Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen" gegründet. Ein Ziel war es, angesichts der Zersplitterung dem deutschen Protestantismus zu mehr Geschlossenheit zu verhelfen. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte eine Neuorientierung ein. Die starke antikatholische Zielrichtung der Anfangszeit wich einer stärker ökumenischen Ausrichtung. "

[Quelle: http://www.evangelischer-bund.de/ueber_uns/ueber_uns.html. -- Zugriff am 2004-06-21]



Abb.: Der gekaufte Betstuhl / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 6, Nr. 3, Beiblatt. -- 9. April 1901

"Gel, Urschl, 's is halt glei a andere Andacht dabei, wenn ma nöt mit de Fretter dahint'n z' beten braucht."



Abb.: Tiefsinnig / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 6. Jhrg., Nr. 9, S. 72. -- 21. Mai 1901

"Überblicken wir das Schaffen des teuren Dahingeschiedenen, so sehen wir, dass derselbe in drei Perioden zerfällt, nämlich erstens die erste, zweitens die zweite und drittens die dritte Periode."



Abb.: Vignette / Karikatur von Ernst Stern (1876 - 1954). -- In Simplicissimus. -- 6. Jhrg., Nr. 14, S. 106. -- 25. Juni 1901



Abb.: Onkel und Nichte / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- 1901

"Na, Daisy, kommt zu Euch auch das Christkind?" — "Aber selbstmurmelnd — Mystik ist doch jetzt die große Mode.".



Abb.: "Na Edith, biste wieder zurück, wie war's denn den Sommer über?" — "Faule Kiste, mit die Seebäder war's nischt, mit die Ausstellungen och nich, nur aufn Osnabrücker Katholikentag war noch Leben in die Bude." -- In: Simplicissimus. -- 1901

[Bildquelle: Chronik 1901 / Norbert Fischer ; Klaus Gille ; Wolfgang Jung. -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1991. -- 232 S. : zahlr. Ill. . -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-611-00153-8. -- S. 133]


1902


 
Abb.: An der deutschen Grenze / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 6, Nr. 48, S. 377. -- 18. Februar 1902

"Jedes Jahr einmal müssen wir so tun, als ob wir hinein wollten. Sonst merken sie, dass wir schon längst bei ihnen zu Hause sind."

Erläuterung: Bezieht sich auf die Jesuiten, die seit 1872 (Jesuitengesetz) in Deutschland verboten sind.



Abb.: Gebetkuren /  Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 6, Nr. 51, S. 408. -- 11. März 1902

"-- -- -- und so flehen wir zu Dir, dass Du kraft Deiner Allmacht hinwegnehmest von diesem tugendhaften Jüngling jegliche Besoffenheit und ihm wieder verleihest die himmlische Gabe der Nüchternheit, nachdem er die Bücher unserer Prophetin Mrs. Eddy1 zum festen Preise von fünfzehn Mark käuflich erworben haben wird. Amen."

Erläuterung:

1 Mrs. Eddy = Mary Baker Eddy (1821 - 1910), Gründerin von Christian Science

"Eddy, Mary, geborne Baker, Begründerin der Christian Science (s. d.), geboren zu Bow bei Concord in New Hampshire (Vereinigte Staaten). Aus streng calvinistischer Familie stammend und tief religiös veranlagt, trieb E. als junges Mädchen Naturwissenschaft, Ethik, Griechisch, Latein, Hebräisch, später besonders Medizin. 1843 mit Oberst Glover vermählt und nach dessen baldigem Tode jahrelang in zweiter, schließlich getrennter Ehe durch bittere Schicksale hindurchgegangen, glaubte sie 1866 ihre Genesung von schwerer Krankheit dem festen Vertrauen auf Gottes Güte zu verdanken. Drei Jahre lang von jedem Verkehr mit der Außenwelt getrennt, lediglich dem Studium der Bibel lebend, veröffentlichte sie 1870: »Science and Health. W!th key to the Scriptures«, welches Buch im Laufe der Jahre wachsendes Aufsehen machte (252. Aufl., Boston 1903). 1877 heiratete sie den Arzt Dr. E., den sie von der Wahrheit und Beweisbarkeit ihrer Lehre überzeugt hatte, und leitete mit ihm seit 1881 das »Massachusetts Metaphysical College« in Boston. Nach seinem Tode (1888) zog sie sich 1889 auf ihre Besitzung Pleasant- View nach Concord zurück. Außer »Science and Health« veröffentlichte sie noch eine Anzahl größerer und kleinerer, ihre Lehre entwickelnder Schriften."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

"Christian Science (engl., spr. krißtjĕn ßai-ĕns, »christliche Wissenschaft«), Name der von Mrs. Mary Eddy (s.d.) begründeten metaphysischen Heilmethode, deren Grundsätze in Eddys Buch »Science and health, with key to the scriptures« (252. Aufl., Boston 1903) niedergelegt sind und durch weitverbreitete kirchliche Gemeinschaften gepflegt werden. Sünde und Krankheit werden auf Grund der Erkenntnis, daß Gott, das absolut Gute, alles in allem ist, das Böse also keine Daseinsberechtigung hat, in ihrer Wirklichkeit geleugnet, bez. auf eignes Verschulden oder Schuld der Allgemeinheit zurückgeschoben. Sie werden beseitigt und geheilt durch das Gebet der christlichen Wissenschaft (Gesundbeten), d. h. das Ringen nach dem klaren Verständnis der Tatsache, daß durch den allguten, übrigens unpersönlich gedachten Gott in selbstverständlicher Folge seiner Allmacht und Allgegenwart jedes Übel und Leid überwunden werden kann, sobald sich der Mensch seiner geistigen Verbindung mit dem Grundelement allen Seins bewußt geworden ist. Die Offenbarung Gottes in Christus (dem ersten »Szientisten«) wird auf Grund des als Führer zum ewigen Leben dienenden Bibelwortes angenommen; Dogmen, Kirchenformen und Priesterherrschaft werden als Fesseln für die freie geistige Entwickelung des Menschen und der Religion verworfen. In dem einfachen Gottesdienst werden von zwei »Lesern« abwechselnd eine Anzahl Stellen aus der Bibel und dem Lehrbuch der christlichen Wissenschaft vorgetragen. Die erste Kirche der Szientisten wurde 1879 in Boston gegründet. Heute gibt es in mehr als 500 staatlich genehmigten Kirchengemeinschaften über eine Million fast über den ganzen Erdball verbreiteter Anhänger. In Deutschland wurde die erste Kirche 1899 zu Hannover eröffnet. Seit 1900 erscheint hier (hrsg. von Fräulein M. Schön) das »Deutsche Monatsheft der christlich-wissenschaftlichen oder metaphysischen Heilmethode« als Organ der Vereinigung christlicher Wissenschaftler in Deutschland. Jede politische und kirchenpolitische Tendenz ist ausgeschlossen. Vgl. Thomassin in der »Christlichen Welt« (Marburg 1901)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gut dressiert / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 6, Nr. 52, Beiblatt. -- 18. März 1902

"Wie bringen wir nur die Kerls wieder wach? Is doch 'ne blamable Geschichte." -- "Durchaus nicht, Herr Leutnant. Wenn der Gottesdienst aus ist, erwacht die Mannschaft von selbst."



Abb.: Der Bankrott des Frommen / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 1, Beiblatt. -- 1. April 1902

"Was liegt uns an den Gütern, welche die Motten1 fressen! In unserer geliebten Bibel finden wir immer Trost, denn ich habe meine Wertpapiere darinnen versteckt!"

Erläuterung:

1 Vgl. Matthäusevengelium 6,19: "Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen." (Lutherübersetzung)



Abb.: Verdächtige Assistenz / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 2, Beiblatt. -- 8. April 1902

"Ich beglückwünsche Sie als staatserhaltende Partei -- aber wer ist denn der da hinten?" -- "Ach, Exzellenz, der hat nur unsere geistigen Argumente."



Abb.: Aus Belgien /  -- Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 7, S. 56. -- 13. Mai 1902

"Der Himmel hat es glücklich gefügt, lieber Bruder im Herrn, dass die Arbeiter nicht so viel zu fressen haben wie wir, sonst hätten sie den Generalstreik länger ausgehalten."

Erklärung:

Am 10. April 1902 beginnt in Belgien ein von den Sozialisten organisierter Generalstreik für die Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts (für Männer). Seit 1901 finden dafür in Belgien erfolglos Streiks statt. In Belgien hatten Hochschulabsolventen, Männer über 50 Jahre und Grundbesitzer mehr als eine Stimme.



Abb.: Ein Vorbild / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 7. Jhrg., Nr. 10, S. 75. -- 3. Juni 1902

"In Gallimathäa lebte ein junger Mensch. In diesem wurde das Böse stark und er ging hin und sündigte. Als aber dasselbige Weib von ihm verlangte, dass er die Frucht der Sünde anerkennen sollte, da wurde er plötzlich erleuchtet. Und er verfluchte die Buhlerin und wandte sich ab von ihr und heiratete die Tochter des reichen Ben Jakub. So kam er wieder auf die Bahn des Gerechten."



Abb.: Durchs dunkelste Deutschland: Tolstoi1 in Leipzig / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 14, S. 105. -- 1. Juli 1902

"Nee mei Kutester, Se derfen nich gloom, hier wärsch wie in Russland, — bei uns genn so gemeene Gotteslästerungen nich ketuldet wärn."

Erklärung:

1 Der russische Schriftsteller Graf Lew Nikolajewitsch Tolstoj (1828 - 1910) wurde 1901 wegen seines Romans "Auferstehung" von dem Heiligen Synod der russisch-orthodoxen Kirche exkommuniziert.  Von Tolstojs »Antwort an den Synod« wurde die deutsche Übersetzung (Anhang zu Tolstojs Broschüre »Der Sinn des Lebens«) im Oktober 1901 in Leipzig beschlagnahmt.



Abb.: Bayerischer Religionskrieg 1902 / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 16, S. 121. -- 15. Juli 1902

"O Herr, der du willst, dass Friede und Eintracht herrschet auf Erden, gib uns Kraft, dass wir die Ketzer derschlagen und a Ruh schaffen im Land!"



Abb.: Jungfrau Germania. / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 22, S. 176. -- 26. August 1902

Sie ist alt geworden in dreißig Jahren
Und fromm, wie jede welkende Schöne.
O lasst uns alle nach Kräften sparen,
Auf dass gedeihen die Lieblingssöhne.



Abb.: Ein Unverbesserlicher / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 28, S. 222. -- 7. Oktober 1902

"Pfui, Hans, immer so lackelhaft zu raufen; weißt du nicht, dass in der Bibel steht: 'Wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem biete auch die linke dar!'1" -- "No ja, Herr Koprater2, gilts?"

Erklärung:

1 Matthäusevangelium 5,39 (Bergpredigt)

2 Koprater = Kooperator = Titel katholischer Hilfsgeistlicher


Der Zweifler (zu einer Karikatur von von Eduard Thöny (1866 - 1950)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 29, S. 227. -- 14. Oktober 1902

"So 'n Pastor weiß viel, was nach 'm Tod ist! Der weiß auch nicht mehr, als dass 'n toter Hering eingesalzen und gefressen wird."



Abb.: Die Pfarrersköchin / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 7. Jhrg., Nr. 32. -- 4. November 1902

"Schon vom idealen Standpunkt aus muss das Zölibat bestehen bleiben, lieber Amtsbruder. Wird es aufgehoben, dann verliert die Liebe den schönen Zug der Uneigennützigkeit."


1903



Abb.: Prost Mahlzeit / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 41, S. 321. -- 6. Januar 1903

Der Suppentopf des deutschen Proletariers nach der Annahme des Zolltarifs.



Abb.: Ein Argument / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 44, S. 350. -- 27. Januar 1903

"Lass doch deine Grübeleien, lieber Bruder. Das ist klar, Religion muss sein, -- wovon sollten wir sonst leben!"



Abb.: Gottesgnadentum / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 45, S. 353. -- 3. Februar 1903

"Nach allem, was jetzt an europäischen Höfen passiert ist, könnte man fast auf die Idee kommen, die Fürsten stammten von Menschen ab."



Abb.: Der bayrische Löwe / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 51, S. 401. -- 17. März 1903

wie er sich vom Minister nicht schwarz-weiß färben lassen wollte

und wie der dafür belohnt wurde.



Abb.: Babel und Bibel1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 52, S. 409. -- 24. März 1903

"Heb dich hinweg, Sklave; wir können in Babylon keine Wurst mehr essen, wenn nicht die Berliner2 ihren Senf dazu gegeben haben."

Erklärung:

1 Babel und Bibel

"Der Babel-Bibel-Streit – in der Literatur auch Bibel-Babel-Streit – ist ein altorientalistisch-theologischer Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts. Obwohl er praktisch gleichzeitig mit dem Streit um den sogenannten Panbabylonismus stattfand und oft damit gleichgesetzt wird, sind beide Streitereignisse sowohl sachlich als auch personell strikt voneinander zu unterscheiden.

Der Anlass für den Babel-Bibel-Streit war ein öffentlicher Vortrag des deutschen Assyrologen Friedrich Delitzsch, den er am 13. Januar 1902 in Gegenwart von Kaiser Wilhelm II. vor der Deutschen Orientgesellschaft in der Sing-Akademie zu Berlin hielt. In diesem Vortrag vertrat er die These, die jüdische Religion und das Alte Testament gingen auf Babylonische Wurzeln zurück; Babel habe als Erklärer und Illustrator der Bibel zu gelten. In Reaktion auf scharfe, auch vor persönlichen Diffamierungen nicht zurückschreckenden Polemiken von konservativer jüdischer und christlicher Seite betonte er ein Jahr später in einem zweiten Vortrag die kulturelle, sittliche und schließlich sogar religiöse Überlegenheit der babylonisch-assyrischen Kultur über die Alttestamentlich-Israelitische und begann, gegen die konservative kirchliche Offenbarungslehre zu polemisieren.

Die insgesamt drei Vorträge über "Babel und Bibel" riefen eine breite öffentliche Diskussion und eine Flut von Schriften hervor, die teils eine Verständigung suchten, überwiegend aber Delitzsch von konservativ-theologischer Position aus scharf widersprachen. Dabei ging es sowohl um seine wissenschaftliche Deutung als auch um die Bedeutung der biblischen Texte als Offenbarung. Als sein produktivster Hauptgegner dürfte der Bonner Alttestamentler Eduard König gelten.

Hugo Winckler prägte dann den Begriff Panbabylonismus, um den von ihm postulierten weitreichenden Einfluss des assyrischen Denkens auf den israelischen Gottesgedanken zu beschreiben, den er als Echo des Astralkultes ansah. Ihm folgten Peter Jensen und Alfred Jeremias, die einen Großteil der Erzählungen des Alten Testaments aus dem Gilgamesch-Epos herleiteten.

Mit dem Ersten Weltkrieg, dem Niedergang der Religionsgeschichtlichen Schule und dem Aufkommen der Dialektischen Theologie verlor die Diskussion an Bedeutung. Argumente aus dem Babel-Bibel-Streit erhielten jedoch in den Auseinandersetzungen um das Alte Testament während des Kirchenkampfs neue Bedeutung: Delitzsch selbst sprach sich in seinen letzten Lebensjahren für die Ausscheidung des Alten Testaments aus dem kirchlichen Gebrauch aus und nahm damit Forderungen der Deutschen Christen vorweg. Einige Ideen bevölkern bis heute die populärwissenschaftliche Diskussion.

Eine Nebenfolge des Streites war die Popularisierung der deutschen Ausgrabungsergebnisse in Vorderasien wie etwa des Ischtar-Tores.

Literatur
  • Klaus Johanning: Der Bibel-Babel-Streit: Eine forschungs-geschichtliche Studie; Europäische Hochschulschriften: Reihe 23, Bd. 343; Zugleich Marburg, Univ. Diss., 1987; Frankfurt am Main u.a.: Lang, 1988; ISBN 3-8204-1455-X
  • Reinhard G. Lehmann: Der Babel-Bibel-Streit. Ein kulturpolitisches Wetterleuchten; in: Johannes Renger (Hg.): Babylon: Focus mesopotamischer Geschichte, Wiege früher Gelehrsamkeit, Mythos in der Moderne. 2. Internationales Colloquium der Deutschen Orient-Gesellschaft 24.-26. März 1998 in Berlin; Saarbrücken: SDV, Saarbrücker Druckerei und Verlag, 1999; S. 505-521; ISBN 3-930843-54-4
  • Reinhard G. Lehmann: Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit; Orbis Biblicus et Orientalis 133; Zugleich Mainz: Univ. Diss., 1989; Freiburg (CH): Universitäts-Verlag; Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht; ISBN 3-525-53768-9 (Vandenhoeck & Ruprecht); ISBN 3-7278-0932-9 (Universitäts-Verlag)
  • Rüdiger Liwak: Bibel und Babel. Wider die theologische und religionsgeschichtliche Naivität; BThZ Heft 2/1998"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Babel-Bibel-Streit. -- Zugriff am 2007-12-02]

2 Berliner: gemeint ist vor allem Friedrich Delitzsch (1850 - 1922)

"Friedrich Delitzsch (* 3. September 1850 in Erlangen; † 19. Dezember 1922 in Langenschwalbach bei Wiesbaden) war ein deutscher Assyriologe.

Delitzsch wurde als Sohn des lutherischen Alttestamentlers und Hebraisten Franz Delitzsch geboren. Er studierte ab 1868 zunächst in Leipzig bei bei Franz Delitzsch, H.L.Fleischer und L.Krehl orientalische und bei H.Brockhau, G. Curtius und E. Windisch indogermanische Sprachen, ab 1871 in Berlin Äthiopisch bei August Dillmann und Sanskrit bei A.Weber und schloss das Studium mit Studien über indogermanisch-semitische Wurzelverwandtschaft ab. Den Plan, sich für Sanskrit zu habilitieren, gab er nach einer schicksalhaften Begegnung mit dem Alttestamentler Eberhard Schrader in Jena, der ihn in das kurz zuvor neu erschlossene Asyrische einführte, auf und habilitierte sich kurz darauf (1874) für semitischen Sprachen und Assyriologie in Leipzig, wo er 1877 außerordentlicher, 1885 ordentlicher Professor wurde. 1893 wurde er als ordentlicher Professor nach Breslau und 1899 als Nachfolger seines einstigen assyriologischen Lehrers nach Berlin an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin berufen.

Er war Mitbegründer und Förderer der Deutschen Orientgesellschaft und seit 1899 Direktor der Vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen. Seine besonderen Verdienste liegen in der Erforschung der alten vorderasiatischen Sprachen (Assyrisch / Akkadisch, wofür er im Laufe seines Lebens eine Reihe grundlegender Hilfsmittel schuf, und der Förderung der alttestamentlichen Textkritik. Weiteren Kreisen wurde er bekannt durch seine in zahlreichen veränderten Fassungen und Übersetzungen erschienenen Vorträge über 'Babel und Bibel' (1902-1905), die den Babel-Bibel-Streit auslösten.

In der Folge des Babel-Bibel-Streites nahm er im Laufe seines Lebens zunehmend eine kritische Haltung gegenüber dem alten Testament ein. Sehr weit in dieser Hinsicht geht sein Werk Die große Täuschung (s.u.), in dem er unter anderem fordert, das Alte Testament aus dem christlichen Kanon zu entfernen, und schließlich im Anschluss an Paul Haupt und andere sogar eine arische Herkunft Jesu Christi vermutete. Dabei verwendete er in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern im Babel-Bibel-Streit ab 1903 zunehmend Argumentationsmuster, die auch in der antijüdischen Polemik seiner Zeit Verwendung fanden. Jedoch bestritt Delitzsch selber bis zu seinem Tod mit Vehemenz jede antisemitische Haltung. Tatsächlich zeigt die biographisch-wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Aussagen zum Alten Testament, dass bei ihm subjektiv wirklich kein rassistischer Antisemitismus vorlag, sondern ein zunehmender theologischer Antijudaimus. Seine Ablehnung des Alten Testaments beruhte wesentlich auf seinem (biographisch bedingten) theologischen Unvermögen, historische Textforschung und Theologie konstruktiv miteinander zu verbinden, was ihn trotz seiner unbestrittenen Bedeutung als Assyriologe und trotz grundlegender Beiträge zur Alttestamentlichen Textkritik theologisch nachhaltig diskreditierte."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Delitzsch. -- Zugriff am 2007-12-02]



Abb.: Lohn der Frömmigkeit1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 7, Nr. 53 („Extra-Nummer Friede“). -- 1. Juni 1903

"Ein' feste Burg ist unser Geld."2

Erklärung:

1 bezieht sich auf den zweiten Burenkrieg (1899 - 1902): der fromme, schwarze Herr ist der Bure Paul "Oom" Kruger (1825 - 1904), ein fundamentalistischer Calvinist, der glaubte, dass die gottgetreuen Weißen Afrika erobern müssten.


Abb.: Paul "Oom" Kruger (1825 - 1904)
[Bildquelle: Wikipedia]

"Der Zweite Burenkrieg (auch Südafrikanischer Krieg) von 1899-1902 war ein Konflikt zwischen Großbritannien und den Burenrepubliken Oranje Freistaat und Südafrikanische Republik (Transvaal), der mit deren Eingliederung in das Britische Empire endete. Ursachen waren einerseits das Streben Großbritanniens nach den Bodenschätzen der Region und nach einem territorial geschlossenen Kolonialreich in Afrika und andererseits die ausländerfeindliche Gesetzgebung der Burenrepubliken."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Burenkrieg. -- Zugriff am 2007-12-02. -- Dort ausführliche Informationen]

2 Anspielung auf Martin Luther's (1483-1546) Lied: Ein' feste Burg ist unser Gott (1529)

Ein' feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen;
Er hilft uns frei aus aller Not,
Die uns jetzt hat betroffen.
Der alt' böse Feind,
Mit Ernst er's jetzt meint,
Groß' Macht und viel List
Sein' grausam' Rüstung ist,
Auf Erd' ist nicht seinsgleichen.

2. Mit unsrer Macht ist nichts getan,
Wir sind gar bald verloren;
Es streit' für uns der rechte Mann,
Den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesu Christ,
Der Herr Zebaoth,
Und ist kein andrer Gott,
Das Feld muss er behalten.

3. Und wenn die Welt voll Teufel wär
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
Wie sau'r er sich stellt,
Tut er uns doch nichts,
Das macht, er ist gericht',
Ein Wörtlein kann ihn fällen.

4. Das Wort sie sollen lassen stahn
Und kein'n Dank dazu haben;
Er ist bei uns wohl auf dem Plan
Mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr', Kind und Weib:
Lass fahren dahin,
Sie haben's kein' Gewinn,
Das Reich muss uns doch bleiben.

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Quelle der mid-Datei: http://ingeb.org/spiritua/einfeste.html. -- Zugriff am 2007-12-02



Abb.: Kirchliche und weltliche Erziehung / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 2, S. 9. -- 7. April 1903

Kinder haben ihren Schutzengel. Wenn sie brav sind, entreißt er sie den Klauen des Teufels und vertraut sie der Obhut französischer Klosterfrauen an. Dort wird so gut für sie gesorgt, dass sie bald als Engel den himmlischen Freuden zugeführt werden können



Abb.: Petri Fischzug / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 5, S. 33. -- 28. April 1903



Abb.: Unpassend / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr.8, S. 59. -- 19. Mai 1903

"Empörend, was dieses Fräulein Müller als Pastorstochter für einen starken Busen hat!"



Abb.: Reichstagswahlen / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 8. -- 19. Mai 1903

An allen Orten zu Deutschlands Segen
Sieht man Pfaffen Eier legen.

Der Adler als Schützer der Klerisei
Lässt sich gerne zum Brüten herbei.

Und herzlich beten die frommen Priester
Für das Gedeihen der schwarzen Biester.

Aber in der Entscheidungswochen
Sind rote Kücken herausgekrochen.

Erläuterung: Bezieht sich auf die Reichtagswahl vom 16. Juni 1903, bei der das Zentrum knapp 20% der Stimmen erhielt, die SPD aber fast 32% und damit stärkste Partei wurde.



Abb.: Das Südtirol / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 11, S. 83. -- 9. Juni 1903

"Der Pfarrer hat g'sagt, dass Deine Fremden nit amal die österliche Beicht verricht' haben. Schmeiß außer Simmerl, sinscht kemmts mitanander in d' Höll." — "I nit Jackl, i hab sie glei auf Erden g'straft — und hab nomal so viel für d' Loggis verlangt."



Abb.: Die Betschwestern / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 13, Beiblatt. -- 23. Juni 1903

"Geh, Venta, tean ma nöt bal Brotzeit mach'n?!" -- "Na, i hob no zwoa Rosenkränz' für 'n alt'n Mandelbaum, der hot so an harten Konkurs!"



Abb.: Pfingspredigt / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 15, S. 114. -- 7. Juli 1903

". . . Und so vernehmet denn die Worte unseres heutigen Textes. 'Du hörest das Sausen des Windes wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er führet.'1 Lasset uns dieses nach drei Seiten betrachten:

  1. Woher der Wind kam,

  2. wohin er fuhr,

  3. dass man beides nicht weiß."

1 Johannesevangelium 3,8



Abb.: Katholische Corps1 / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 15, S. 116. -- 7. Juli 1903

 "Auch beim heutigen Rosenkranzbeten hat Windhorstia2 wieder glänzend gesiegt! Ad exercitium salamandris3 eins — zwei — drei — eins! — Gsuffa! — Amen!"

Erläuterung:

1 Katholische Corps = farbentragende katholische Studentenverbindungen. Wegen des katholischen Mensurverbots nicht schlagend, sonst haben sie alle Kennzeichen der nichtkatholischen Corps, besonders Standesdünkel,  lächerliche Rituale und eine ausgeprägte Saufkultur.

2 Windhorstia: Anspielung auf den katholischen Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst (1812 bis 1891)

3 exercitium salamandris

"Einen Salamander reiben.

Ueber Ableitung und Erklärung dieses auf den deutschen Hochschulen herrschenden Brauchs scheint sich eine bestimmte Ansicht noch nicht gebildet zu haben; noch gehen die Meinungen darüber sehr auseinander. Noch im April 1871 enthielt das Feuilleton des Dresdener Journals (Nr. 89) einen Artikel: Der Salamander in der Culturgeschichte aus der Feder des jetzigen Herausgebers des Moniteur des Dates, des eine so umfassende Literaturkenntniss besitzenden Dr. Hugo Schramm, in welchem der Salamander nach den verschiedensten Seiten seines culturgeschichtlichen Auftretens behandelt und dabei auch des Salamanderreibens gedacht wurde. Dr. Schramm ist nicht der Meinung, dass, wie Scheffel in der Note 122 zu seinem Ekkehard vermuthet, die Sitte des Salamanderreibens aus den Trankopfern des germanischen Heidenthums zu erklären sei; er will sie vielmehr aus dem frühern Glauben an die Unverbrennlichkeit des Salamanders und aus der An nahme herleiten, es sei aus der Asche des Salamanders ein Salz zu gewinnen, durch welches alle Giftstoffe aus dem Körper entfernt werden könnten. »Ich meine«, sagt derselbe a.a.O., »jene eigenthümliche Art und Weise der deutschen Studenten, auf das Wohl einer gefeierten Person zu trinken, solle andeuten, dass die Zuneigung zu ihr oder die Verehrung für sie sogar die Feuerprobe bestehen könne; theils glaube ich, soll das Reiben und Aufstossen mit den Gläsern die Pulverisirung eines Salamanders vorstellen, um scheinbar aus dessen Asche jenes heilkräftige Medicament für die Person zu gewinnen, der zu Ehren und Freuden getrunken wird. Oder aber man will durch das sogenannte ›Exercitium Salamandri‹, an dem alle bei dem Trinkgelage Versammelten theilnehmen, lediglich die Einhelligkeit und durch das Wort ›Salamander‹, welches die Trinker während des Reibens vor sich hinmurmeln, die Aufrichtigkeit der Gesinnung für den Gegenstand des Salamanderreibens ausdrücken. Denn nicht blos als Bild der Unverbrennlichkeit, wie er schon in den Hieroglyphen der alten Aegypter vorkommt, auch als Symbol der Treue, Beständigkeit, Tugend, Sittenreinheit und des Glücks finden wir den Salamander auf Wappen und Wap penschildern, auf Schaustücken und Medaillen, auf Reliefs und Holzschnitten abgebildet.«"

[Quelle: Wander, Karl Friedrich Wilhelm <1803-1879>: Deutsches Sprichwörter-Lexikon : ein Hausschatz für das deutsche Volk.  -- Leipzig : Brockhaus, 1867-80. -- 5 Bde. : 18 cm. -- Bd. 3, S. 1844ff.]


.Abb.: Vor der Papstwahl / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 18, S. 137. -- 28. Juli 1903

"Eminenz darf ich Sie zu Tisch bitten?" — "Unmöglich, ich habe heute kein Gegengift bei mir."

Erläuterung: Am 20. Juli 1903 ist Papst Leo XIII. gestorben, am 4. August wurde im Konklave Giuseppe Melchiorre Sarto  (Pius X.) zum Papst gewählt



Abb.: Im Jenseits / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 19, S. 145. -- 4. August 1903

Virgil und Horaz müssen die lateinische Grammatik umlernen, damit sie sich mit Leo XIII. verständigen können.

Erläuterung: Spott aufs Kirchenlatein, das sich sehr vom klassischen Latein Vergils und Horaz's unterscheidet. Am 20. Juli 1903 war Papst Leo XIII. gestorben.



Abb.: Gefährliche Bücher / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 23, S. 184. -- 1. September 1903

"Mit Freuden bemerke ich, Frau Oberstaatsanwalt, dass ungleich so vielen flatterhaften Frauen, die in oberflächlicher Romanlektüre Zerstreuung suchen, Sie vielmehr die sommerliche Ruhe dazu benützen, durch Lesen der Heiligen Schrift Ihre Seele zu erbauen und zu erheben." -- "Ach nein, Herr Pastor, mein Mann hat mir die Bibel mitgegeben, ich soll doch mal nachsehen, ob nichts darin ist, das sich für eine Majestätsbeleidigungsanklage eignet."



Abb.: Kölner Katholikentag / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In: Simplicissimus. -- 8. Jhrg. Nr. 25, S. 193. -- 15. September 1903

Nach dem glänzenden Verlaufe des Parteitages übergab der Erzbischof dem Mailänder Kardinal Ferrari1 die Gebeine der heiligen drei Könige, der Präsident Ritter von Orterer2 aber erhielt für seine Verdienste die Haut des Ochsen des Evangelisten Lukas.

Erläuterung:

1 Kardinal Ferrari: Erzbischof Andrea Caro Ferrari  hatte vom Kölner Erzbischof  Anton Fischer im August 1903 Teile der Reliquien der Heiligen Drei Könige des Kölner Doms als Geschenk erhalten. Er deponiert in der Kirche  St. Eustorgio in Mailand Schien- und Wadenbein vom ältesten, Wadenbein vom mittleren und ein Halswirbel vom jüngsten Dreikönig. In anderen Mailänder Kirchen werden kleinere Knochenstückchen niedergelegt.

2 Georg Ritter von Orterer (†1916), Mitglied des Bayerischen Landtags von 1899 - 1912


Vom Tage. -- In: Simplicissimus. -- 8. Jhrg. Nr. 27. -- 29. September 1903

In ultramontanen Kreisen herrscht eine unbändige Freude über den Verlauf des sozialdemokratischen Parteitages1 in Dresden.

„Wie so ganz anders war es doch bei uns in Köln!" sagte Orterer2. „Und", fuhr er fort: „Sie werden sehen, meine Herren, dieser stete Kampf der Massen gegen die Intellektuellen wird und muss die Partei zerstören."

„Dös is wahr", erwiderte Daller3, „aber bei uns gibt's dös net. Dös is guat, dass mir koane Intellektuellen net hamm."



In Würzburg wurde der Selbstmörder, Leichen- und Gräberschänder Keh katholisch-kirchlich mit besonderer Feierlichkeit beerdigt. Der brave Mann hatte sicher nur protestantische Gräber ausgeraubt.

Erläuterungen:

114. Parteitag der SPD in Dresden im September 1903. Auseinandersetzung mit den revisionistischen Auffassungen von Eduard Bernstein ein. Die Mehrheit bekennt sich in einer Resolution zur Theorie des Klassenkampfes.

2 Georg Ritter von Orterer (1849 - 1916), Mitglied des Bayerischen Landtags von 1899 - 1912

3Dr. Balthasar Ritter von Daller (1835-1911), Gymnasialrektor und Theologieprofessor; Führer der bayerischen Zentrumspartei von 1910 bis1911



Abb.: Die Einigen / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 28. -- 6. Oktober 1903

"Nur druff, der fängt uns unsere Hühner weg, ob sie katholisch sind oder protestantisch."



Abb.: Religiöse Erziehung / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 30, S. 36. -- 20. Oktober 1903

"Wie lautet das sechste Gebot?" -- "Du sollst nicht erbrechen." -- "Falsch! 'Du sollst nicht ehebrechen' heißt es. Pfui, du verworfenes Geschöpf, was soll einmal aus die werden, wenn du dir dieses Gebot schon als kleines Kind nicht merken kannst!"



Abb.: Ein Vorschlag zur Güte / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- 8. Jhrg. Nr. 31. -- 27. Oktober 1903

"Wir können die biblischen Überlieferungen sehr wohl mit der Naturwissenschaft in Einklang bringen. Nach den neuesten Forschungen hat Adam von Eva den Apfel nicht angenommen; unsere Stammmutter gab ihn deshalb einem Gorilla. Und so ist die darwinistische Lehre bewiesen."



Abb.: Religiöse Ziele / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 31. -- 27. Oktober 1903

"Erst wenn den Unterricht die Geistlichkeit und der Papst wieder die Fürsten beherrscht, und wenn alle Konfessionen wieder in der katholischen Kirche vereinigt sind, dann Brüder, dann -- tragt's wieder was."



Abb.: Bayrische Zentrumsabgeordnete / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 33, S. 259. -- 10. November 1903

"Die katholische Kirche muss wieder eine Bartholomäusnacht1 arrangieren; hoffentlich wird diesmal die Gnade uns Bayern zu teil."

Erläuterung:

1 Bartholomäusnacht

"Bartholomäusnacht oder Pariser Bluthochzeit, die Ermordung der Protestanten (ð Hugenotten, s. d.) in Paris 24. Aug. 1572. Dass die Tat schon seit der Zusammenkunft mit Alba in Bayonne 1565 von Katharina und den katholischen Parteihäuptern geplant gewesen sei (so Bordier, La Saint- Barthélemy et la critique moderne, Genf 1879; Wuttke, mr Vorgeschichte der B., Leipz. 1879; Combes, L'entrevue de Bayonne et la question de la Saint-Barthélemy, Par. 1882), ist falsch. Katharina von Medici hatte im Einverständnis mit Heinrich von Anjou und den Guisen nur ihren Feind, den Admiral Coligny, der den König Karl IX. ganz für sich eingenommen hatte und ihn zum Kriege gegen Spanien drängte, beseitigen wollen. Als der Mordanschlag 22. Aug. 1572 missglückte, beschloss sie aus Furcht vor der Rache der Hugenotten, die aus Anlass der Hochzeit Heinrichs IV. mit Margarete von Valois in Paris zahlreich versammelt waren, deren Vernichtung und entriss 23. Aug. auch Karl IX. die Einwilligung. Der schändliche Frevel wurde in der Nacht vom 23. auf den 24. Aug. (B.) mit Hilfe der fanatisch-katholischen Bürger von Paris ausgeführt. Erst ward Coligny, dann alle protestantischen Edelleute, deren man habhaft werden konnte, ermordet, wenigstens 2000. Darauf fiel man auch in der Provinz über die Hugenotten her, deren in 4 Wochen 30,000 niedergemetzelt wurden. Karl IX. gab geheime Befehle, alle Ketzer als Feinde der Krone zu töten. Doch rafften sich die Protestanten zu tatkräftigem Widerstand auf. Weder Spanien noch die römische Kurie waren vorher von dem Mordplan unterrichtet worden, empfanden aber über dessen Ausführung lebhafte Genugtuung."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Der geheime Tanzboden / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 35. -- 24. November 1903

"Jetzt wollen wir aber dareinfahren unter diese verdorbene Jugend!" — "Nein, warten wir noch ein bisschen, es ist noch nicht unsittlich genug!"



Abb.: Selbsterkenntnis / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 36 („Spezial-Nummer Theater“). -- 1. Dezember 1903

"Was is, Hochwürden, wollen S' net heut abend ins Theater geh'n?" -- "Na, i dank schö. I geh in koa Theater; i spiel' selber des ganz' Jahr Kumedi."


1904



Abb.: Das Gebet des Crimmitschauer Fabrikanten / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 41, Beiblatt. -- 5. Januar 1904

"Du wirst und beistehen in diesem Kampfe, o Gott und Herr. Zeige deine Macht an uns und zwinge die Arbeiter durch grimmige Kälte zur Umkehr."

Erläuterung: vom  1903-08-22 bis zum 1904-01-18: streikten in Crimmitschau (Sachsen) ca. 9000 Textilarbeitern um den 10-Stunden-Tag und höhere Löhne.


Abb.: Postkarte: Zehnstundentagkämpferinnen in Crimmitschau, 1904 [Bildquelle: http://www.dhm.de/ausstellungen/streik/detailansichten/postkarten_detail12.html. -- Zugriff am 2004-06-17]



Abb.: Der Heiland / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 42 („Spezial-Nummer Das Zentrum“), S. 329. -- 12. Januar 1904

"Und Die heißen heute meine Jünger?!"



Abb.: Je nachdem / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1868 - 1909). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 42 („Spezial-Nummer Das Zentrum“). -- 12. Januar 1904

"Hoheit haben gegen Gottes Gebot gesündigt. Gewiss! Aber ich sehe den Fall so an: Hoheit haben in der Sorge für die Sittlichkeit des gemeinen Volkes die eigene vergessen. Solche Dinge beurteilt unsere Kirche sehr milde."



Abb.: Religiöse Erziehung / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 42 („Spezial-Nummer Das Zentrum“), S. 336. -- 12. Januar 1904

"Ja, Madel, um Christiwillen, woher woaßt denn du alle die abscheulichen Sachen?" — "Der Herr Koperator hat mi in der Beicht' d'rum g'fragt."



Abb.: Der Peterspfennig / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 42 („Spezial-Nummer Das Zentrum“). -- 12. Januar 1904

Erläuterung:

"Peterspfennig (Peterpenny, lat. Denarius Petri), Abgabe, die von Ina, König von Wessex, 725 n. Chr. in der Absicht eingeführt worden sein soll, davon in Rom eine Herberge für die angelsächsischen Pilger einzurichten. Diese Schola Anglorum hat jedenfalls Äthelwolf 855 wiederhergestellt und bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich den Grund zu jener drückenden Abgabe gelegt, die anfangs einen Silberpfennig von jeder ansässigen Familie betrug. Der P. wurde auch in Dänemark und Polen seit dem 11. Jahrh., in Schweden, Norwegen, Island seit dem 12. Jahrh. gezahlt, in Preußen aber im 14. Jahrh. ebenso vergeblich wie in Frankreich im 11. Jahrh. eingefordert. Mit der Reformation erlosch der P. als Abgabe. Als Liebesgabe für den Papst ist der P. seit der Wegnahme des Kirchenstaates eine regelmäßig sowie bei besondern Anlässen statthabende, freiwillige Sammlung der Katholiken aller Länder für die Bedürfnisse des Päpstlichen ð Stuhls (s. d.), da der Papst den ihm vom italienischen Garantiegesetz bestimmten Gehalt nicht erhebt. Der P. betrug früher im Durchschnitt etwa 5 Mill. Lire, ist aber seit 1900–05 auf 21/2 Mill. zurückgegangen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


*


Abb.: Der Zentrumsmann / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 42 („Spezial-Nummer Das Zentrum“). -- 12. Januar 1904

"Herrschaftsaxen! Is der Knopf fest ang'näht!"



Abb.: Ein guter Gedanke / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 42 („Spezial-Nummer Das Zentrum“). -- 12. Januar 1904

"Dass ich daran nicht früher gedacht habe! Mit einer einzigen guten Momentaufnahme kann man die ganze Aufklärung umschmeißen!"


Moralische Erzählung. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 44, S. 354. -- 26. Januar 1904

Ein junger Mohr ging einmal an dem Ufer eines Flusses spazieren, in welchem sich ein Europäer badete, der besonders das Gesicht sehr sorgfältig wusch. „Bist du nicht ein rechter Narr", rief ihm der Neger zu, „dass du dir soviel Mühe gibst, dein Gesicht abzuwaschen! Durch all dein Waschen wirst du doch niemals erreichen, dass du so schwarz wirst wie ich."

„Naseweises Kerlchen", versetzte der Europäer, „gar zu leicht lässt sich die Jugend durch den äußeren Schein blenden und zur Geringschätzung echter, aber nicht in die Augen fallender Vorzüge verleiten; glaube mir, ich bin schwärzer als alle Mohren Afrikas! Wisse, ich bin der Kultusminister eines großen süddeutschen Bundesstaates !"

Der Mohr sah die Torheit seiner Worte ein und ging sehr niedergeschlagen von dannen, nachdem er den Europäer stammelnd um Verzeihung gebeten hatte. Er nahm sich vor, nie wieder ein vorschnelles Urteil abzugeben.



Abb.: Deutsche Landschaft / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 45, S. 353. -- 2. Februar 1904



Abb. Deutscher Nationalreichtum <Ausschnitt> / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. --  Jg. 8, Nr. 46. -- 9. Februar 1904

Volk, mein Volk! Was soll das Klagen?
Sag, was drückt dich noch so schwer?
Ist's nicht schön in unsern Tagen?
Deutsches Volk, was willst du mehr?

Blick umher in allen Landen;
Keines ist mit so viel Macht,
Keins mit so viel teuren banden,
Keins so reich wie du bedacht.

....

Und der Frommen Lust und Freude,
Klerus, Konsistorium:
Glaubst du denn, man macht die Leute
Hier umsonst zu Lande dumm?



Abb.: Ultramontaner1 und Kreuzzeitungspastor2 / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- 8. Jhrg. Nr. 47. -- 16. Februar 1904

"Über die eigentliche Religion werden wir ja stets streiten, lieber Herr Amtsbruder von der Gegenfakultät — aber lassen Sie uns stets einig sein in der Erhaltung der Dummheit!"

Erklärung:

1 Ultramontaner

"Ultramontanismus (lat.), diejenige Auffassung des Katholizismus, die dessen ganzen Schwerpunkt nach Rom, also jenseits der Berge (ultra montes), verlegen möchte; ultramontan ist somit das ganze Kurial- oder ð Papalsystem."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Kreuzzeitung = Neue Preußische Zeitung (gewöhnlich nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), das Organ der evangelischen Hochkonservativen.


Abb.: Titelleiste der Kreuzzeitung (1914)


Otto Julius Bierbaum (1865 - 1910): Vom Kriegsschauplatz. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 48. -- 23. Februar 1904

Eines ist bei diesem Streite
Anders, als es sonsten ist:
Diesmal haut nicht Christ auf Christ,
Denn der eine ist ein „Heide".

Und so wissen alle beide,
Wie der Christ, so der Buddhist:
Unser lieber Gott, du bist
Ganz bestimmt auf unsrer Seite.

Dieser Umstand ist bequem,
Denn es ist nicht angenehm
Und es schafft Verlegenheiten,
Sich auch noch um Gott zu streiten.
Schneller fällt der erste Schuss,
Wenn man nicht erst beten muss.

Erläuterung: bezieht sich auf den russisch-japanischen Krieg, dessen unmittelbarer Anlass der japanische Überfall auf Port Arthur am 8.Februar 1904 war.



Abb.: Die Nottaufe / Karikatur von Max Hagen (1862 - 1914). -- In: Simplicissimus. -- 8. Jhrg. Nr. 51. -- 15. März 1904

"Ich will Ihnen zeigen, ein andersgläubiges Kind nottaufen, Sie gemeiner Kerl Sie!"



Abb.: Bayrische Kammer / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 8, Nr. 51. -- 15. März 1904

"Du, Sozi, den Liberalen müssen wir nausdruck'n. Schieb fest!"  "Soo — —"

Erläuterung:

Bezieht sich auf den Wahlkampf für die Landtagswahl im Juli 1905. Bei dieser Landtagswahl verliert die liberale Fortschrittspartei die Hälfte ihrer bisher 44 Sitze. Die Zentrumspartei gewinnt mit 102 Sitzen 19 Sitze mehr als bisher, die SPD gewinnt einen Sitz und hat nun 12 Sitze im Landtag. Der Wahlkampf dreht sich um die von Zentrum und SPD geforderte Wahlrechtsreform, nach der statt des indirekten Wahlrechts die Abgeordneten direkt gewählt werden sollen.


Vom Tage

In Nr. 84 der "Chemiker Zeitung" wird ein katholischer Ingenieur-Chemiker für eine Düngemittelfabrik Belgiens gesucht. Wenn gerade katholischer Mist fabriziert werden muss, warum wendet man sich nicht direkt an die Zentrumspartei.

In: Simplicissimus. -- Jg. 8 (1903/1904)



Abb.: Alte und neue Zeit / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 1, S. 4. -- 29. März 1904

So ist des Reiches Herrlichkeit
Herr Hutten1, wie zu deiner Zeit.
Spürst überall die römisch' Hand,
Der Pfaff regiert im deutschen Land.

Die andern sind die feilen Knecht',
Find'st keine Freiheit und kein Recht
Auch heut, wie einst. Was du gewagt,
Herr Hutten, war umsonst gesagt.

Erklärung:

1 Hutten = Ritter Ulrich von Hutten (1488 - 1523), Vorkämpfer des Humanismus und der geistigen Freiheit.



Abb.: Ein anderer Wind / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- 9. Jhrg., Nr. 2, S. 15. -- 5. April 1904

"Ja, alter Leibfuchs1, was waren wir einmal für schneidige Korpsburschen. Und jetzt sind unsere Söhne bei einer katholischen Blase! Sie wollen eben auch Karriere machen."

Erläuterung:

1 Leibfuchs

"Ein für das aktive Corps besonders wichtiger Typ eines Identitätskerns ist die Leibfamilie; die Zweiergemeinschaft aus Leibfuchs und Leibbursch, die Freundschaft zwischen dem Neumitglied in der Probezeit und dem von ihm gewählten aktiven Corpsburschen. Der Leibbursch steht seinem Leibfuchs zur Seite und ist auf sein Wohl bedacht. Er hat die Doppelfunktion eines Mitspielers und distanzierten Beobachters. Er lässt seinen Leibfuchs zu seinem eigenen realitätsgerechten Verständnis für die Vorgänge im Corps kommen. Der Leibbursch wird damit zum Tutor, der seinem Leibfuchs seine Möglichkeiten bewusstmacht und sie auszugraben hilft."

[Quelle: http://www.corps-arminia.de/corps/flaschenpost/m_flapo13.html. -- Zugriff am 2004-06-21]



Abb.: Lutherhetze1 / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 3, S. 30. -- 12. April 1904

"Nein, ihr Herren, ich habe nicht an der Lustseuche2 gelitten, obwohl ich in der Stadt des Papstes Alexander Borgia3 war."

Erklärung:

1 bezieht sich auf die Lutherbiographie von Friedrich Heinrich Suso Denifle OP:

Denifle, Heinrich <1844-1905>: Luther und Luthertum in der ersten Entwickelung; quellenmäßig dargestellt. -- Mainz :  Kirchheim, 1904-09. -- 2 Bde.

"Friedrich Heinrich Suso Denifle OP (* 16. Januar 1844 in Imst (Tirol), † 10. Juni 1905 in München) war ein Kirchenhistoriker und Dominikaner. Ab dem Jahr 1870 fungierte er als Lektor in Graz. 1876 wurde er in Graz Professor. Seit 1883 war er Archivar am Vatikanischen Archiv in Rom, nachdem er seit 1880 Generalassistent des Dominikanerordens in Rom war.

Von seinem Geschichtswerk ist die Biographie zu Martin Luther und dem Luthertum mit am Bedeutungsvollsten. Deutlich daran lässt sich der Einfluss der ultramontanen Auffassungen von Johannes Janssen darin ablesen. So zeichnet Denifle aufgrund der Quellen des Vatikanischen Geheimarchives über Luther und die Reformation ein Bild , das den Reformator durch seine Kritik in ein negatives Licht stellen sollte. Ähnlich radikal äußert sich zeitweilig Hartmann Grisar. Bereits Walther Köhler hat festgestellt, dass von einem feststehenden dogmatischen Standpunkt aus eine objektive Geschichtsdarstellung der Vorgänge um die Reformation und den Protestantismus nicht zu erwarten sei. Eine sachgerechte Würdigung Luthers schließe das mit ein. Die Arbeiten Denifles erfuhren daher Kritik durch die Protestanten, insbesondere durch Adolf von Harnack und Reinhold Seeberg. Dennoch bewirkte diese Schrift wertvolle Korrekturen der Weimarer Lutherausgabe.

Denifle markiert nach den Frühwerken von Ignaz von Döllinger und Janssen auch den Höhepunkt einer radikalen katholischen Geschichtsschreibung. Im Laufe des 1. Weltkrieges nehmen die konfessionellen Spannungen zwar ab. Der Einfluss der eigenen konfessionellen Bindung bleibt aber weiterhin spürbar.

Neben dieser Thematik befasste sich Denifle auch mit der Mystik sowie der Kultur- und Kirchengeschichte des Mittelalters. Zudem verfasste er auch ein Werk über die Entstehung der mittelalterlichen Universitäten."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Denifle. -- Zugriff am 2007-12-03]

2 Lustseuche = Syphilis

3 Alexander Borgia

"Alexander VI., Papst 1492–1503, vorher Kardinal Rodrigo Borgia, geb. 1430 oder 1431 in Jativa bei Valencia, gest. 18. Aug. 1503, studierte anfänglich die Rechte, wurde dann durch seinen Oheim Papst Calixtus 111. 1456 zum Kardinal und 1458 zum Erzbischof von Valencia erhoben. Er führte auch als solcher ein wüstes Leben. Die schöne Vanozza de Cataneis war seine anerkannte Konkubine und gebar ihm drei Söhne und eine Tochter; auch aus andern Verbindungen hat er Kinder gehabt, und noch als Papst ward ihm ein Sohn geboren, den er durch eine Bulle vom Jahre 1501 legitimierte. Nach Innocenz' VIII. Tod erkaufte er die Tiara und ward unter großen Festlichkeiten 26. Aug. 1492 gekrönt. Klug, kräftig, umsichtig und berechnend, war er zugleich maßlos ehrgeizig und habsüchtig, treulos und schamlos, grausam und wollüstig. Sein Ziel war die Erhebung seines Hauses, der ð Borgia (s. d.), zu einer mächtigen Dynastie; daher war er tief verflochten in die verwickelten politischen Kämpfe, deren Schauplatz damals Italien war. Trotz Alexanders Sittenlosigkeit und Entartung dauerte der politische Einfluss der Kirche unter ihm fort. A. entschied den Streit zwischen Spanien und Portugal über die Teilung der Neuen Welt (vgl. Demarkationslinie). Unter seiner Regierung wurde die Bücherzensur verschärft und Savonarola 1498 als Ketzer verbrannt. Sein Tod wurde nicht durch Gift, wie man geglaubt hat, sondern durch das römische Fieber herbeigeführt. Vgl. Gregorovius, Lucrezia Borgia (3. Aufl., Stuttg. 1875); Leonetti, Papa Alexandro VI (Bologna 1880, 3 Bde.); Clément, Les Borgia (Par. 1882); Höfler, Don Rodrigo de Borja und seine Söhne (Wien 1888); Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 3 (Freib. 1895). Die Rettungsversuche von Ollivier (Par. 1870), Kayser (Regensb. 1878) und Nemec (Klagenf. 1879) sind ohne jeden wissenschaftlichen Wert."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

"Alexander VI., Borgia (1431–1503), Neffe des Alfonso de Borgia, der 1455 als Calixtus III. Papst geworden ist und seinen Neffen Roderigo zum Kardinal ernannte, war in der Reihe der Päpste einer der übelberüchtigtsten und lasterhaftesten. Mit seiner Konkubine Rosa Vanozza hatte er fünf Kinder, darunter den furchtbaren ð Cesare Borgia (s. d.) und ð Lucrezia Borgia (s. d.), mit der er in einem blutschänderischen Verhältnis gestanden sein soll. Burcard, sein Zeremonienmeister, erzählt, daß aus dem apostolischen Palast ein Bordell wurde, wo A. oft 50 Kurtisanen nackt tanzen ließ und Preise für die Sieger in erotischen Kämpfen austeilte. Durch ihn erhielt der Volksglaube an die Heiligkeit Roms den schwersten Stoß."

[Quelle: Bilderlexikon der Erotik : Universallexikon der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft / Institut für Sexualforschung. -- Wien, 1928-1932. -- CD- ROM-Ausgabe: Berlin : Directmedia, 1999. -- (Digitale Bibliothek ; 19). -- ISBN 3932544242. -- S. 154.]



Abb.: Das Feigenblatt / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 5, S. 42. -- 26. April 1904

"In Deutschland haben wir keine Feigenbäume, deshalb beschützen wir unsere Sittlichkeit mit Zentrumsblättern."



Abb.: Gebet eines armen Kindes / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. --  Jg. 9, Nr. 5, S. 48. -- 26. April 1904

"Lieber Gott, gib mir das Beschwerdebuch!"



Abb.: Mahnung / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 5, S. 51. -- 26. April 1904

"nur keine Reformen, liebe Brüder, keine Zugeständnisse an die weltliche Wissenschaft; dabei haben wir noch immer darauf gezahlt! Den ersten Fehler hat die Kirche gemacht, als sie zugab, dass die Erde rund sei!"



Abb.: Die Entstehung der Kolonien / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 6  („Spezial-Nummer Kolonien“), S. 53. -- 3. Mai 1904

"Der rastlosen Tätigkeit unserer Mission ist es gelungen, den wilden Stamm der Owaheli aus gottlosen Heiden zu überzeugten Christenmenschen zu machen. "Mit dem Christentum sind auch die übrigen Segnungen der Kultur bei den Negern eingekehrt. Der Handel blüht empor."
"Die Owaheli scheinen noch nicht reif für die Zivilisation zu sein. In frevelhaftem Übermut überfielen die den Kaufmann Piefke und erschlugen ihren Wohltäter." "Die Mordtat hat uns über den wahren Charakter dieser Negerhorden die Augen geöffnet. Da mit Milde bei ihnen nichts auszurichten ist, wird man sie mit Waffengewalt zu Ordnung und Sitte zwingen müssen."


Abb.: Kolonialmächte <Ausschnitt> / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. --  Jg. 9, Nr. 6 („Spezial-Nummer Kolonien“), S. 55. -- 3. Mai 1904

So kolonisieren die Engländer



Abb.: Moderne Apostel / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 6 („Spezial-Nummer Kolonien“), S. 58. -- 3. Mai 1904

"Gehet in alle Welt und lehret alle Völker!"1

1 Vgl. Matthäusevangelium 28,19: "Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker" (Lutherbibel)



Abb.: Aus einem Kolonialbericht / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 6 („Spezial-Nummer Kolonien“), Beiblatt. -- 3. Mai 1904

"Als die Wilden den Kriegstanz begannen, einige angetan mit den Kleidern ihrer früheren Missionäre, vermehrte dies auf das Schauerlichste den Eindruck der Kulturfeindlichkeit!"



Abb.: Gebet des Backfisches / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 9, Nr. 13. -- 21. Juni 1904

"Lieber Gott, bitte lass mich doch auch mal recht, recht unglücklich werden! Ich möchte so furchtbar gern an dir und der Welt verzweifeln!"



Abb.: Aus der Schule / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 19, S. 286. -- 2. August 1904

"Warum hat Gregor VII. das Zölibat eingeführt?" -- "Damit sich die Pfarrer nicht so sehr vermehren."



Abb.: Die Bettelmönche / Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 19, Beiblatt. -- 2. August 1904

"Die müssen wir anbetteln, sonst bettelt sie uns an!"



Abb.: Deutsche Bischöfe / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 20. -- 9. August 1904

"Wir leisten dem Heiligen Vater keinen Widerstand wie die französischen Bischöfe. Wenn wir unsere Festigkeit zeigen wollen, piesaken wir tote Protestanten und lassen sie nicht beerdigen."



Abb.: Vom Regensburger Katholikentag / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 23, S. 221. -- 30. August 1904

"Dö Instrumenterl sollt'n ma no haben, nacha waar's besser um unsern heiligen Glaub'n b'stellt."


Carl Georg Heinrich von Maaßen: Spiritismus. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 23, S. 222. -- 30. August 1904

Da! -- Endlich traf es ein, das Zeichen,
Das man erwartet Stund' um Stund',
Im Feuer heiligster Begeist'rung
Bespricht's der Spiritistenbund:
Durch Tod war aus dem Kreis geschieden
Das Mitglied Gottlieb Gänseklein;
Sechs Tage gingen, doch er kehrte
Bei keiner Sitzung klopfend ein.
Doch eines Tags trat außer Atem
Pankratius Huber vor den Bund
Und sagt: "Liebe Freunde, gestern
Gab er mir seine Nähe kund! --
Ja, gestern, als ich mit Familie
Im Augustinergarten saß,
Und im Gespräche der Verwandten
Des teuren Bundes vergaß,
Da fühlt' ich plötzlich ein Bedürfnis,
Stand auf und eilte dann geschwind
Zu jenem Ort, wo an den Wänden
Die schmucken weißen Becken sind.
Ich war dort ganz allein, und Stille,
Tiefernste Stille herrschte bang,
Als plötzlich aus dem Nebenbecken
Ein Rauschen mir zu Ohren drang.
Nur ich war in dem Raum, sonst keiner;
Auch hatte ich sogleich erspäht,
Dass selbst der Hahn zur Wasserspülung
War festgeschraubt und zugedreht.
Und plötzlich packte mich ein Ahnen
Und eine Stimme sagte mir:
Du Auserwählter der Gemeinde,
Der Gänseklein steht neben dir!" --
So sprach der Huber, und in Tränen
Umarmte sich die Brüderschar:
Das war das langersehnte Zeichen,
So überzeugend und so klar! --
Nur ein frivoles Ehrenmitglied
Brach in ein lautes Lachen aus.
Da schrie man: "Seht, ihm fehlt der Glaube!"
Und ballotierte es hinaus.

Jacobus Schnellpfeffer



Abb.: Berliner Himmelsbörse / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. --  Jg. 9, Nr. 25, S. 241. -- 13. September 1904

Der katholische liebe Gott: "Mir geht es furchtbar schlecht, Herr Kollega. In Frankreich1 hat man mir alles genommen und mich aus dem Lande vertrieben." Der protestantische liebe Gott. "So, so? Na, kommen Sie mal nach Berlin; da hat mein Mirbach2 eine Aktiengesellschaft 'Gott, König, Vaterland & Co.' gegründet. Vielleicht kann er für Sie auch etwas tun."

Erklärungen:

1 Frankreich: bezieht sich auf die Gesetze der Radikalen gegen die Klerikal-Nationalisten (vor allem gegen klerikale Vereine und Schulen)

2 Mirbach = Ernst von Mirbach (1844 - 1924), Oberhofmeister Auguste Victorias [Siehe zu ihm: Gundermann, Iselin: Ernst Freiherr von Mirbach und die Kirchen der Kaiserin. -- In: Hefte des Evangelischen Kirchenbauvereins. -- 9. -- Online: http://www.evangelischer-kirchenbauverein.de/Mirbach.htm. -- Zugriff am 2004-06-10]


Carl Georg Heinrich von Maaßen: Der Pfarrer. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 26, S. 252. -- 20. September 1904

Wie man sich so für was entscheidet,
Studierte Max Theologie.
-- Sein Vater, Subalternbeamter,
Erschwang das Geld mit vieler Müh'. --
Doch machte ihm nach vier Semestern
Gar mancher Zweifel arge Pein,
Und als der Glaube ihm ging flöten,
Weiht jammernd er die Eltern ein.
Der Vater sprach vom Hungertuche,
Die Mutter bat: "Max, bleibe stark!" -- --
-- Und jetzt belügt er die Gemeinde
Für monatlich dreihundert Mark.

Jacobus Schnellpfeffer



Abb.: Die deutsche Eiche / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 28, S. 271. -- 4. Oktober 1904

Die katholische Bohrassel hat den alten Baum so ausgehöhlt, dass eine Kapelle darin Platz fand. Sie ist mit Votivbildern geschmückt, auf denen der fromme Dank für bewilligte Kriegsschiffe ausgesprochen ist.



Abb.: Nach dem Sittlichkeitsprozess / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 31, S. 301. -- 25. Oktober 1904

"Bitte schön, Herr Pastor, wir haben nichts, unsere Blöße zu bedecken." — "Hier Habt ihr ein Feigenblatt."

Siehe dazu:

Hintergrund : mit den Unzüchtigkeits- und Gotteslästerungsparagraphen des Strafgesetzbuches gegen Kunst und Künstler ; 1900 - 1933 / hrsg. und kommentiert von Wolfgang Hütt. -- Berlin : Henschelverl., 1990. --  411 S. : Ill. ; 25 cm. -- ISBN 3-362-00384-2. -- S. 287



Abb.: Allgemeiner Niedergang / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 33, S. 328. -- 8. November 1904

"Warum wallfahrten S' aber allaweil nach Andechs1, Herr Huber? Mit ihrem Leiden sollten S' do lieber nach Altötting2 gehen!:" — "O mei! De Muttergottes von Altötting lasst aa scho bedeutend nach."

Erläuterung:

1 Andechs

"Der "Heilige Berg" von Andechs ist einer der großen Pilgerziele in Oberbayern. Die Brautradition der Benediktiner ist hier Jahrhunderte alt. Das Kloster und vor allem die Brauerei genießen einen hervorragenden Ruf. "

[Quelle: http://www.munich-insider.de/www/index.php?page_id=309. -- Zugriff am 2004-06-21]

2 Altötting: das Gnadenbild der schwarzen Madonna von Altötting


Abb.: Heiligenbildchen mit Madonna von Altötting



Abb.: In der Zuchthauskirche / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 34, S. 333. -- 15. November 1904

"Bis hierher hat uns Gott gebracht
Durch seine große Güte."

Erläuterung: Evangelisches Kirchenlied

 

Für Melodie "Bis hierher ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/spiritua/bishierh.html.  -- Zugriff am 2004-10-13]



Abb.: Bilder aus dem deutschen Pastorenleben / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 35, S. 341. -- 22. November 1904

"Sage mir, Gotthold, ist unsere Liebe nicht doch sündhaft?" — "O nein, Mathilde, sündhaft ist nur das Vergnügen."



Abb.: Aus unserer historischen Mappe: Die Einführung des Christentums in Deutschland / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 37 („Spezial-Nummer Familienfromm“), S. 365. -- 6. Dezember 1904



Abb.: Fort mit dem Schmutz! / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In. Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 38, S. 371. -- 13. Dezember 1904

"Nicht wahr, Mizzi, wenn ich wiederkomme, dann müssen meine Augen diese garstigen, unsittlichen Bücher nicht mehr erblicken?"


Auf dem Heimweg (zu einer Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950)). --  In. Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 39 („Spezial-Nummer Weihnachten“), S. 383. -- 20. Dezember 1904

"Warum der Pfarrer allaweil sagt, dass mir uns mit unserem Herrgott aussöhnen solln? Mir ham uns doch nia damit z'kriagt!"


1905


Im christlichen Gewerksverein  (zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 9 („Spezial-Nummer Der Streik“), Nr. 47, S. 475. -- 14. Februar 1905

 "Ihr sollt wieder arbeiten, denn es steht geschrieben: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen. [Genesis 3, 19]" — "Ja, Hochwürden, aber die Zechenbesitzer tun das doch auch nicht." — "Die sind nicht gemeint. Denn nicht einmal der liebe Gott würde sich getrauen, Herrn Stinnes [Hugo Stinnes (1870 - 1924)] oder Herrn Thyssen [Fritz Thyssen (1873 - 1951)] mit Du anzureden."



Abb.: Religion / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 53 („Spezial-Nummer Lügen“), S. 521. -- 28. März 1905

"Und vergib und unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern!" [Vaterunser]


Ludwig Risser: Christentum. -- In Simplicissimus. -- Jg. 9, Nr. 53 („Spezial-Nummer Lügen“), S. 522. -- 28. März 1905

Oft muss ich denken, wie es dem armen Heiland ergehen würde, wenn er noch einmal auf die Welt käme. Denn er hat gesagt und getan, was kein eifriger Christ billigen darf. Zur selbigen Zeit unter dem Kaiser Tiberius ist die Sittlichkeit keine sehr große gewesen. Die Menschen haben gelebt, dass es eine Schande war; an allen Ecken und Enden sind nackte Bildnisse gestanden. Das Konkubinat ist nicht einmal gestraft worden, wenn man es anzeigte, und überhaupt mit den Sklavinnen hat einer treiben dürfen, was ihm gefiel. Öffentliche Häuser hat es in Rom mehr gegeben, als heutzutage in Hamburg und Leipzig zusammengerechnet. Und das Traurige war, dass in diese betrübsame Nacht kein heller Schein fiel, weil es noch keine deutschen Pastorsfrauen gab. Jetzt müsste ein jeder eifrige Christ glauben, dass unser Heiland noch viel strenger aufgetreten wäre als wie seine eifrigsten Nachfolger von heute. Aber er hat keinen Sittlichkeitskongress abgehalten, er hat keine Anzeigen gemacht, er ist mit seinen armen Fischern umhergegangen, hat die Menschen getröstet, die Unglücklichen aufgerichtet, und wenn er einmal zornig wurde, war es immer gegen die Reichen oder gegen die Heuchler. Ja, er hat gleich gar für die fleischlichen Sünder Barmherzigkeit gezeigt.

Einmal haben jüdische Konsistorialräte - man hat sie selbigesmal auch schon Pharisäer geheißen — eine Ehebrecherin recht hart angeredet. Da hat der Heiland gesagt, sie sollen das arme Weib in Ruhe lassen, weil kein Mensch ohne Sünde ist. Das Merkwürdigste war, dass sich die Konsistorialräte schämten und das Schimpfen aufhörte. So etwas käme heute nicht mehr vor; ich glaube, sie täten sogar eine gerichtliche Klage gegen den Heiland erheben wegen Beleidigung der deutschen Pastorenfrauen. Weil nämlich diese Weibsleute keine Sünden haben. Ein anderesmal ist wieder ein schlechtes Frauenzimmer zu unserem Heiland gekommen und hat geweint und hat ihm die Füße gewaschen. Da ist ein jüdischer Superintendent aufgestanden und hat ein furchtbares Grausen gehabt, weil er eine Sünderin hat anschauen müssen. Er hat das Maul so weit aufgerissen wie ein Hamburger Gottesmann. „Hinweg mit der Verruchten!" schrie er, „wie kann ein solches Mensch in einem Zimmer sein, wo ich bin?"

Wie unser Heiland das hörte, ist eine Röte über sein mildes Antlitz geflogen, und er hat den Superintendenten angesehen. Nicht zornig, nicht bös. Aber so, dass dem plärrenden Pharisäer — selbigesmal hat man auch die Superintendenten so geheißen — dass dem plärrenden Pharisäer das Wort im Halse hängen blieb. Und die weinende Frau hat der Heiland getröstet. „Sie hat viel geliebt, darum wird ihr auch viel verziehen werden."

Liebe Leute, da muss ich ein wenig verschnaufen.

„Sie hat viel geliebt, darum wird ihr auch viel vergeben werden." So haben die Worte gelautet. Wenn jetzt zum Beispiel eine Frau Pastor dabeigesessen wäre, oder gar eine Frau Superintendentin, oder-lieber Gott, verzeih mir die Sünde! — eine Frau Konsistorialpräsidentin?! Was war jetzt da geschehen? Das bisserl Busen, was diese Weibsleute haben, hätte zu wogen angefangen, und Augen hätten sie gemacht, Augen! Ich hab einmal eine Pastorsfrau gesehen; sie ist aus Chemnitz gewesen. Die hat erzählt, dass ihre Magd ein Kind gekriegt hat, ledig! Eine Frucht der Sünde, hat sie gesagt und hat dabei ihre grasgrünen Augen blitzen lassen. Also ihr lieben Leut, so stelle ich mir vor, hätten die frommen Weibsbilder unseren Heiland angeschaut, wie er sagte, dass der Sünderin viel verziehen wird. Sie hätten das nicht verziehen, das dürft ihr glauben. Freilich sind die jüdischen Konsistorialräte ja auch nicht milde gewesen und haben den Heiland kreuzigen lassen.

Aber die heutigen hätten es viel ärger gemacht. Die hätten eigens einen Pastorenkongress zusammengerufen und ihre Damen dazu eingeladen, damit sie bei der Kreuzigung zuschauen. Jetzt müsst ihr euch vorstellen, wie das gewesen war. Den Abend vorher wäre eine Versammlung abgehalten worden, so wie zum Beispiel in Köln. Der Saal wäre gesteckt voll gewesen, nichts wie lauter Lizentiaten, Pastoren, Konsistorialräte, Zionswächter. Dann hätte ein Hofprediger geredet. Ich seh ihn ganz deutlich vor mir; ein glattrasiertes, fettes Gesicht. Also der hätt eine Rede gehalten. Erstens, dass die ganze Welt verhurt sei, ausgenommen natürlich ihn und die Herren Konsistorialräte und Pastores und ihre P. P. Ehefrauen. Und zweitens hätte er dann gesagt: „Liebe Schwestern und Brüder im Herrn. Morgen wird ein Mann gekreuziget, welcher einer Verworfenen die Vergebung ihrer Sünden versprach, weil sie viel geliebt hat. Dieser Hinrichtung wollen wir mit andächtiger Freude beiwohnen, denn sie ist ein gottsäliges Werk." Und da hätten alle bravo gerufen und geklatscht, und eine Frau Konsistorialrätin hätte im Namen der anwesenden Damen gedankt und erklärt, dass sie alle diese Hinrichtung mit besonderer Freude sehen würden, weil dadurch die beschimpfte Ehre der anständigen Frauen wiederhergestellt würde.

Den anderen Tag, ihr lieben Leute, wären dann diese Weiber vollzählig dabeigewesen. Aber sie wären nicht unter den weinenden Frauen Jerusalems gestanden, sondern sie hätten recht höhnisch bei den Fenstern herausgeschaut, und wie ein barmherziges Weib ihm das Schweißtuch reichte, da hätte die Frau Superintendent gesagt: „Eigentlich sollte man dieses Mensch auch hinrichten." Und nach der Kreuzigung hätten die Mitglieder des Pastorenkongresses einen Ausflug gemacht an den See

Genezareth oder an einen anderen Ort, wo man sich in anständiger Weise dem Vergnügen hingeben und die schöne Landschaft bewundern kann. Da hätte man eine venetianische Nacht arrangiert, und eine talentierte Pastorsfrau hätte die „Lorelei" gesungen, und sogar die strengen Konsistorialräte wären heiter gewesen, wie man eben heiter ist nach einem wohlgelungenen Tagewerke. Auf dem Heimweg hätte man Lampions getragen, und vielleicht hätte sich eine magere Pfarrerstochter an einen mageren Lizentiaten hingeschmiegt und hätte gelispelt: „Eichendlich is mersch doch galt ibbern Riggen runter geloofen, wie man den Mann an das Kreuz geschlagen hat."

Aber der Herr Lizentiat hätte gesagt: „Daderwegen brauchte Ihnen nicht zu graulen, Freilein Ida; denken Sie bloß, was er zu der Sünderin gesagt hat!"

Und weiter hinten im Festzuge, da wäre ein dicker Superintendent mit seinen Kollegen im eifrigen Gespräche einhergeschritten. Und er hätte gesagt: „Ich hab mersch gleich gedacht, dass die Sache kei gutes Ende nähmen gann. Erinnern Sie sich emal an die Bergpredigt. Wie er sagte: ,Wehe euch, ihr Reichen! Denn ihr habt bereits euren Trost!' Das geht doch gegen die besitzenden Glassen ! Das is doch eine Aufreizung zum Glassenhass! Wenn einer so gegen die besitzenden Glassen vorgeht, muss er ganz nadierlich ein schlechtes Ende nähmen."

„Jawohl!" hätte ein Konsistorialrat geantwortet, „das ist gewiss und wahr. Überhaupt hat die Predigt eine Tendenz gehabt, die auch das nationale Gefiehl verletzten mussde. Ich erinnere Sie an die Schdelle:,Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.' Das geht ganz deitlich gegen die milidärische Ausbildung unseres Volkes und gegen die allgemeine Wehrpflicht. Und dadermit auch gegen unsern glorreichen Geiser Tiberichus."

„Nu äben", hätte der Superintendent gesagt, „nu äben." Und dann hätte er zu seiner Frau gesagt: „Liebe Emilije, hast du auch das Gänsevertelchen eingewickelt, was ich übriggelassen habe?"

„Ich hab's nadierlich einpapiert", hätte die Frau gesagt.

„Das ess' ich morgen zum Gaffee", hätte der Superintendent wieder geantwortet. „Und jetzt wollen wir recht kemiedlich in Cherusaläm einziehen!"



Abb.: Seit zehn Jahren vergiftet der Simplicissimus das öffentliche Leben / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- 10. Jhrg., Nr. 1 („Dies Blatt gehört dem Staatsanwalt!“), S. 2. -- 4. April 1905

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Erläuterung:

1 Mirbach = Ernst von Mirbach (1844 - 1924), Oberhofmeister Auguste Victorias [Siehe zu ihm: Gundermann, Iselin: Ernst Freiherr von Mirbach und die Kirchen der Kaiserin. -- In: Hefte des Evangelischen Kirchenbauvereins. -- 9. -- Online: http://www.evangelischer-kirchenbauverein.de/Mirbach.htm. -- Zugriff am 2004-06-10]:

"Die Angriffe gegen Mirbach hatten aber noch einen anderen Grund. Bei der Verleihung von Titeln und Orden war er gelegentlich als Fürsprecher aufgetreten, was seine Gegner jetzt einseitig als Gegenleistung für größere Spenden deuteten und in scharfer verletzender Form in der Öffentlichkeit bekannt machten. In diesen Zusammenhang gehörte auch der gegen ihn gerichtete Verdacht, Mittel von der um die Jahrhundertwende in Schwierigkeiten geratenen Pommerschen Hypothekenbank entgegengenommen zu haben. Im Prozess gegen die Pommernbank, wo er als Zeuge aussagte, konnte ihm persönlich zwar nichts nachgewiesen werden, aber der Verbleib von 325.000,- Mark, für die er quittiert hatte, ohne die Spende jemals zu empfangen, war nicht aufzuklären.

Am 5. Juli 1904, als der Oberstkämmerer Solms-Baruth den Bericht an den Kaiser niederschrieb und durch zahlreiche Belege zur fatalen Wirkung des Spendenaufrufs ergänzte, verfasste Mirbach nach einem Gespräch mit ihm wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe sein Abschiedsgesuch. Er gestand ein, dass „auch einige Fehlgriffe meinerseits dazu beitragen, dass eine Presshetze in solchem Umfange entstehen konnte." Da ein Ende der unangenehmen Auseinandersetzungen nicht abzusehen sei, vielmehr befürchtet werden müsse, „dass durch die fortwährenden gegen meine Person gerichteten Angriffe und Verdächtigungen der Hof in Mitleidenschaft gezogen" würde, habe er diesen Entschluss gefasst und bitte um seine
Entlassung.
""

[Quelle: http://www.evangelischer-kirchenbauverein.de/Mirbach.htm. -- Zugriff am 2004-06-10]:



Abb.: Ausschnitt aus: Was hat der Simplicissimus verschuldet und mehr noch <Ausschnitt> / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- 10. Jhrg., Nr. 1 („Dies Blatt gehört dem Staatsanwalt!“), S. 3. -- 4. April 1905

"und wie einst beim Turmbau zu Babel die Sprachen sich verwirrten, so gab es beim Dombau in Berlin eine schreckliche Geschmacksverwirrung."  "Pfarrersköchinnen wurden durch den Teufel Bitru1 heimgesucht."

Erläuterung:

1 Teufel Bitru

"Der Taxil-Schwindel war ein von 1885 bis 1897 andauernder Schwindel einer vorgeblichen Enthüllungsgeschichte geheimer Riten der Freimaurerei durch Léo Taxil (1854-1907). Nach seinem Ausschluss aus der Freimaurerei wusste er den Argwohn der Römisch-Katholischen Kirche gegenüber der Freimaurerei lukrativ zu nutzen, zugleich konnte er seiner Abneigung gegenüber beiden Seiten genüge tun.

Léo Taxil (sein eigentlicher Name war Marie Joseph Gabriel Antoine Jogand-Pagès) war ein Atheist, der bereits wegen seiner Schmähschrift Die geheimen Liebschaften von Pius IX. verurteilt worden war.

Am 20. April 1884 veröffentlichte Papst Leo XIII. eine Enzyklika Humanum genus, die aussagte, dass die Menschheit in zwei unterschiedliche oppositionelle Teile geteilt sei, bei der die eine standhaft für die Wahrheit und Tugend kämpfe und die andere für die Dinge, die in Kontrast zu Tugend und Wahrheit stünden. Die eine sei das Königreich Gottes auf Erden, nämlich die Kirche von Jesus Christus, die andere sei das Königreich Satans, die durch die Freimaurerei angeführt oder unterstützt würde.

Zuvor weithin als Bekämpfer des Katholizismus bekannt, entschied sich Taxil nach dieser Enzyklika 1885 öffentlich vorgeblich für den Katholizismus und gab kund, dass er damit den durch ihn verursachten Schaden gegenüber dem wahren Glauben wieder zu beheben versuche. Darüber hinaus erklärte er, in ein Trappistenkloster zu gehen. Dies beeindruckte den Apostolischen Nuntius in Paris derart, dass er ihn darum bat, er möge seine Fähigkeiten als Autor doch in die Dienste Roms stellen. Taxil erwirkte zu Beginn seiner Antifreimaurerkampagne gar eine Audienz bei Papst Leo XIII. Taxils wahre Absicht lag aber darin, die Freimaurerei öffentlich zu verleumden, weil diese ihn bereits nach drei Besuchen wegen unsauberer Geschäfte ausschloss, und die Römisch Katholische Kirche in Verlegenheit zu bringen.

Satanismus-Schwindel

Das erste Buch Les frères Trois-Points (1885) war die in größeren Passagen frei erfundene vierbändige Geschichte der Freimaurerei, die fiktive Augenzeugenberichte über vermeintliche satanistische Riten unter Freimaurern enthielt.

1891 veröffentlichte er das Buch Les Sœurs Maçonnes, in der er „palladistische Satanslogen“ ersann und Eliphas Lévis erfundenen Baphomet von 1854 aufgriff, eine Gestalt eines Götzenbildes mit Bocksfüßen, weiblichen Brüsten und Fledermausflügeln. Eine erfundene Sophie Walder sei die palladistische Großmeisterin und „Urgroßmutter des Antichrist[en]“.

Zusammen mit Taxil schrieb der Deutsche Dr. Karl Hacks unter dem Pseudonym „Dr. Bataille“ in 200 Fortsetzungen das Werk mit dem Titel Teufel im neunzehnten Jahrhundert, das 10.000 Abonnenten fand. Das Werk beinhaltet viele unplausible Märchen. Man erfand eine 1874 geborene Diana Vaughan, welche die Tochter des „Teufels Bitru“ gewesen sein soll. Mit zehn Jahren sei sie Satan geweiht und in eine amerikanische Palladistenloge aufgenommen worden. Weiter wurden ihre Begegnungen mit inkarnierten Dämonen beschrieben, dabei soll einer Prophezeiungen auf ihrem Rücken mit seinem Schweif geschrieben haben, ein anderer Dämon in Form eines Krokodils spielte Klavier. Später wäre sie ausgetreten, als sie sich eines Tages zur Verehrung von Jeanne d’Arc bekannt habe, bei deren Name die Dämonen in die Flucht geschlagen worden wären. Als Diana Vaughan publizierte Taxil ein Buch mit dem Titel Eucharistic Novena, eine Sammlung von Gebeten, die vom Papst gelobt wurden.

Statt eines Lichtbild-Vortrages im Saal der Geographischen Gesellschaft am 19. April 1897 über Diana Vaughan und den Palladismus-Kult deckte er auf, dass seine spektakulären Enthüllungen über die Freimaurerei fiktiv seien und erwähnte zynisch, dass Diana Vaughan nie existierte, ebenso dankte er der Geistlichkeit für ihre Unterstützung durch ihre Werbung für seine wilden Behauptungen.

Bis heute wird der Schwindel von verschiedenen Gruppen für wahr gehalten und gegen die Freimaurerei verwendet. So publiziert der fundamentalistisch protestantische Verlag Chick Publications Traktate wie Der Fluch Baphomets."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Taxil-Schwindel. -- Zugriff am 2007-12-03]



Abb.: Kassel auf Reisen /  Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- 10. Jhrg. Nr. 8, S. 85. -- 23. Mai 1905

"(Aus der Kasseler Pastorenzeitung:) Unser teuerer und verehrter Mitbruder, Herr Konsistorialrat Guhr, musste auf seiner Erholungsreise durch Südtirol beständig auf der Hut sein, um seine Familie vor dem Anblick von Nuditaten zu bewahren."



Ein Pastor im Bezirke Kassel
Will ganz besonders sittlich sein,
Er führt den Krieg nicht mit Gequassel,
Er wird sogleich gar handgemein


Er kennt den Reiz der Unterwäsche,
Dem man so häufig unterliegt;
Drum rächt er sich durch Rutendresche,
Obgleich er doch zuletzt nicht siegt.

(Verse von Ludwig Thoma <1867 - 1921>)

Abb.: Aus dem Simplicissimuskalender 1906 / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 16, S. 182. -- 18. Juli 1905


Deutsche Pastoren (Zu einer Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 17, S. 202. -- 25. Juli 1905

"Ich bedauere es nicht, wenn unsere Jugend in Afrika fällt; so lernet sie den zornigen Gott erkennen. Darf ich Sie heute zu einem saftigen Gänsebraten einladen,  Herr Konsistorialrat?"



Abb.: Entwicklung / Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968). -- In Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 18 („Friede mit Frankreich!“), S. 208. -- 1. August 1905

Als die Pfaffen in Frankreich in einer Nacht
Die Ketzer nach Tausenden umgebracht,1
Da schmiss man den Kehricht in Deutschland hinaus.
Schaute beinah' wie Freiheit aus.
Aber heut hat sich's gewand't,
Heut' säubert der Franzose das Land,
Wir geben ihnen die ganze Macht
Und kriegen die Bartholomäusnacht1.

Erläuterung:

1 bezieht sich auf die Bartholomäusnacht

"Bartholomäusnacht oder Pariser Bluthochzeit, die Ermordung der Protestanten (ð Hugenotten, s. d.) in Paris 24. Aug. 1572. Dass die Tat schon seit der Zusammenkunft mit Alba in Bayonne 1565 von Katharina und den katholischen Parteihäuptern geplant gewesen sei (so Bordier, La Saint- Barthélemy et la critique moderne, Genf 1879; Wuttke, mr Vorgeschichte der B., Leipz. 1879; Combes, L'entrevue de Bayonne et la question de la Saint-Barthélemy, Par. 1882), ist falsch. Katharina von Medici hatte im Einverständnis mit Heinrich von Anjou und den Guisen nur ihren Feind, den Admiral Coligny, der den König Karl IX. ganz für sich eingenommen hatte und ihn zum Kriege gegen Spanien drängte, beseitigen wollen. Als der Mordanschlag 22. Aug. 1572 missglückte, beschloss sie aus Furcht vor der Rache der Hugenotten, die aus Anlass der Hochzeit Heinrichs IV. mit Margarete von Valois in Paris zahlreich versammelt waren, deren Vernichtung und entriss 23. Aug. auch Karl IX. die Einwilligung. Der schändliche Frevel wurde in der Nacht vom 23. auf den 24. Aug. (B.) mit Hilfe der fanatisch-katholischen Bürger von Paris ausgeführt. Erst ward Coligny, dann alle protestantischen Edelleute, deren man habhaft werden konnte, ermordet, wenigstens 2000. Darauf fiel man auch in der Provinz über die Hugenotten her, deren in 4 Wochen 30,000 niedergemetzelt wurden. Karl IX. gab geheime Befehle, alle Ketzer als Feinde der Krone zu töten. Doch rafften sich die Protestanten zu tatkräftigem Widerstand auf. Weder Spanien noch die römische Kurie waren vorher von dem Mordplan unterrichtet worden, empfanden aber über dessen Ausführung lebhafte Genugtuung."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Obacht! / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- 10. Jhrg. Nr. 19, S. 217. -- 8. August 1905

Wir erklären hiermit dem bayerischen Landtag den Krieg!

Erklärung:

Der bayerische Landtag hatte gerade ein Wahlgesetz verabschiedet, das dem Zentrum die Vorherrschaft sicherte.



Abb.: Der Allgütige / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 20, S. 238. -- 15. August 1905

"Weil dir nur Gott das Leben gelassen hat, Wladimir!"  "Ja, und die Zunge, Mütterchen, damit ich seine Güte lobpreisen kann."



Abb.: Evangelische Lockspitzel / Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 10, Nr. 21, S. 243. -- 22. August 1905

Mann kann die Schönheit lieben ohne ein Schwein zu sein, und man kann ein Schwein sein, ohne die Schönheit zu lieben."



Abb.: Nach dem Kongress / Karikatur von Jules Pascin (1885 - 1930). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 10, Nr. 27, S. 318. -- 3. Oktober 1905

"Ah, schon wieder zurück von Magdeburg1?"

Erklärung:

1 von der Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine in Magdeburg


Pharisäer (zu einer Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952)). -- In. Simplicissimus. --  Jg. 10, Nr. 27, S. 319. -- 3. Oktober 1905

Die sonst so milde sind und gut,
Die malen mit der Hand
Des Nächsten Sünde voller Wut
Großzügig an die Wand.

Ach, über ihres Nächsten Mist
Erbosen sich die Herrn --
Den eignen, der genau so ist,
Den riechen sie sehr gern.



Abb.: Fort mit der Afterkunst:  -- Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. --  Jg. 10, Nr. 27, S. 324. -- 3. Oktober 1905

"Auf der Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine in Magdeburg nahm man auch Stellung zur Kunst."


Vom Tage. -- In: Simplicissimus. --  Jg. 10, Nr. 29, S. 347. -- 17. Oktober 1905

Auf der Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine zu Magdeburg hielt auch ein Fräulein Paula Müller1, die Vorsitzende des Deutsch-evangelischen Frauenbundes, eine schöne Rede. Nachdem sie zuerst gegen die fortschrittlichen Frauen geeifert und in echt christlicher Weise dagegen protestiert hatte, dass man das Wort „Gefallene" für die Mutter eines unehelichen Kindes abschaffen wolle, erging sie sich in weiteren Ausführungen über die Mutterschaftsfrage. Sie schloss ihre Rede mit den Worten: „Die uneheliche Mutter muss geschützt werden, aber nicht, weil das Kind unehelich ist, sondern trotzdem es unehelich ist." Wir möchten uns hierauf nur die Frage erlauben. Hat Fräulein Müller diese schönen Worte gesprochen, trotzdem sie nicht verheiratet ist, oder weil sie nicht verheiratet ist?

Erläuterung:

1 Paula Müller

"Paula Müller (1865-1946), eine der bedeutendsten Vertreterinnen der evangelischen Frauenbewegung. Sie war 1901-1934 Vorsitzende des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes, engagierte sich innerhalb der Sittlichkeitsbewegung und setzte sich für das kirchliche Stimmrecht ein."

[Quelle: http://www.uni-ulm.de/uni/fak/zawiw/carmen/aufsatz.html. -- Zugriff am 2004-06-21] 

"MUELLER [-OTFRIED], Paula, evangelische Verbandspolitikerin, * 7.6. 1865 in Hoya, + 8.1. 1946 in Einbeck.

Müller ist eine zentrale Figur der organisierten protestantischen Frauenbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1901 wurde die Herausgeberin der Evangelischen Frauenzeitschrift erste Vorsitzende des 1899 gegründeten, bürgerlich-akademisch orientierten Deutsch-Evangelischen Frauenbundes. 1918 übernahm sie den stellvertretenden Vorsitz der Vereinigten Evangelischen Frauenverbände. Neben ihrem Engagement für soziale Probleme bemühte sich M. um den Ausbau der Verantwortung der Frauen innerhalb der Kirche und setzte sich für das kirchliche und kommunale Frauen-Stimmrecht ein. Mit A. v. Bennigsen gründete sie in Hannover das Christlich-Soziale Frauenseminar. Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte Müller in weiteren Gremien mit: 1919 war sie Mitglied des ersten Deutschen Evangelischen Kirchentags in Dresden; 1920 wurde sie als nationalkonservative Abgeordnete in den Reichstag gewählt, und seit 1926 arbeitete sie im Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss."

[Quelle: Sabine Doering. -- http://www.bautz.de/bbkl/m/mueller_otfried.shtml. -- Zugriff am 2004-06-21] 



Abb.: Der eheliche und der uneheliche Klapperstorch / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 30, S. 349. -- 24. Oktober 1905

"Auf dem Magdeburger Sittlichkeitskongress hat sich herausgestellt, wie schwere Gefahren es mit sich bringen muss, wenn man die außerehelich geborenen den auf gesetzmäßigem Wege erzeugten Kindern gleich stellt. Fräulein Paula Müller1, die zuerst auf diese Gefahr aufmerksam gemacht hat, sei dieses Bild verehrungsvoll gewidmet."

Erläuterung:  

1 Paula Müller: siehe zum Vorhergehenden



Abb.: Aus einer Himmelfahrtspredigt / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 30, S. 353. -- 24. Oktober 1905

"Geliebte, wenn ihr nun fragt, wie ist die Himmelfahrt vor sich gegangen, so dürft ihr nicht denken, bumm! wie eine Kanonenkugel, auch nicht päng! wie eine Flintenkugel, sondern lüri, lüri, lüri wie die Lerche!"


1906



Abb.: Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 40 („Neujahrs-Nummer Prophezeiungen“), S. 373. -- 2. Januar 1906

In Magdeburg wird ein Sittlichkeitsapostel ein System entdecken, wie sich der Mensch durch die Macht des Gebetes fortpflanzen kann.



Abb.: Karikatur von Ferdinand von Reznicek (1870 - 1911). -- In Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 40 („Neujahrs-Nummer Prophezeiungen“), S. 375. -- 2. Januar 1906

Durch die fortwährenden Sittlichkeitsbestrebungen sind die Geburten derartig zurückgegangen, dass man in Deutschland aus militärischen Gründen zur Wiedereinführung der Unsittlichkeit schreiten muss.

Man wird die Feigenblätter von den Statuen entfernen, man wird in der Schule Schiller ohne Streichungen lesen,
man wird das Militär in Bürgerquartiere legen, man wird in Berlin zahlreiche Théâtres parés veranstalten.
Man setzt Preise für Ehepaare aus, welche die meisten Kinder kriegen. Jedoch werden immer Pastoren die Preise gewinnen. Man wird das Zölibat aufheben.
Alles ist vergeblich; erst Bohn1 wird durch die lebhafte Schilderung seiner Ehefreuden der Unsittlichkeit wieder auf die Beine helfen.

Erklärung:

1 Friedrich Bohn: Generalsekretär der deutschen Sittlichkeitsvereine, Verfasser vieler Schriften gegen die Unsittlichkeit, z.B. 1910 (also nach unserer Karikatur):

Bohn, Friedrich: Die besonderen Gefahren, die der heutigen Jugend auf geschlechtlich-sittlichem Gebiet durch die Verbreitung widersittlicher Ideen und durch Verführung drohen, und ihre Bekämpfung in der christlichen Gemeinde. -- Glötzensee : Deutscher Sittlichkeitsverein, 1910. -- 24 S. -- Aus: "Landeskirchliche Kurse von 1909"



Abb.: Sittlichkeitsapostel / Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 42, S. 494. -- 15. Januar 1906

"Wie steht's jetzt mit der Sittlichkeit in Deutschland, liebe Frau Pastor?" — "Aber ich bitte Sie, bestes Fräulein, wie können Sie mich darum fragen? Mein Mann beschäftigt sich ja nur mit der Unsittlichkeit."



Abb.: Fataler Irrtum eines Kurzsichtigen im Zoologischen Garten / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 50, S. 599. -- 13. März 1906

"Ich habe die Ehre, Herr Konsistorialrat1!"

Erläuterung:

1 Konsistorialrat = eine bischöfliche Auszeichnung für katholische Geistliche

Vergleiche: In Wien sang man in den 1930er Jahren über einen hohen kirchlichen Würdenträger:

Was der Pavian unter den Affen
Ist der N.N. unter den Pfaffen


Moralisches. -- In Simplicissimus. -- Jg. 10, Nr. 52 („Spezial-Nummer Sittlichkeit“), S. 618. -- 27. März 1906

Ein Erhebendes ist in Deutschland geschehen. Die deutsche Kaiserin1 hat ein paar Wochen vor ihrer silbernen Hochzeit zum erstenmal erfahren, welche Hungerlöhne die kleinen Näherinnen erhalten. Seit 25 Jahren lebt die Kaiserin in Berlin, und bei einem zufälligen Besuche einer Ausstellung hat sie zufällig gefragt und hat zufällig die Wahrheit erfahren. Die Geschichte hat ein Schönes. Die Kaiserin war entrüstet, und Entrüstung über Gemeinheit ist nun einmal schön. Aber die Geschichte hat noch viel mehr Unschönes. Die Kaiserin gilt landauf, landab als fromme Protestantin. Viele Pastoren, Konsistorialräte, Hof- und Oberhofprediger machen ihr die untertänigste Aufwartung. Wie oft mag die Kaiserin mit diesen Agenten des Christentums beraten haben, wie so denn der Unsittlichkeit zu steuern sei. Wie viele Seufzer sind zum Himmel gestiegen über die schreckliche Zunahme des Lasters in Berlin ! Dann sind Kirchen projektiert und gebaut worden, dass die Frömmigkeit wachse, es sind Magdalenenstifte2 gebaut worden, dass die Gefallenen wieder emporkämen. Aber dass 20 Schritte hinterm Schlosse in elenden Dachkammern die Mädchen Nächte durchwachen, Nächte durcharbeiten und zuletzt doch durch die blutige Not der Prostitution anheimfallen, das hat der Kaiserin keiner von den Heiligen gesagt. Das hat sie zufällig erfahren müssen. Aber das weiß sie immer noch nicht, dass viele von den Schuften, denen die bittere Armut als ein gutes Mittel zur Verführung gilt, Beiträge zeichnen für Kirchen und Magdalenenstifte.

Und ab und zu mit Orden ausgezeichnet werden.

Erläuterung:

1 deutsche Kaiserin =  Auguste Viktoria (1858 - 1921), heiratete am 27. Februar 1881 den späteren Kaiser Wilhelm II. 1890 übernimmt sie die Protektorate über die Deutsche Rot-Kreuz-Gesellschaft und den Vaterländischen Frauenverein. Unter ihrer Schirmherrschaft wird der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein zur Bekämpfung des religiös-sittlichen Notstands gegründet. Durch ihr karitativ-kirchliches Engagement steht sie in Kontakt zu der christlich-sozialen Bewegung des Theologen Adolf Stoecker. 1899 stiftet sie die Frauenhilfe des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins. [siehe: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/AugusteViktoria/index.html. -- Zugriff am 2004-07-01]

2 Magdalenenstifte = Heime für "gefallene" Mädchen, benannt nach Maria Magdalena (Lukasevangelium 7, 37 - 38), der Patronin der reuigen Sünderinnen und Verführten.


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren V: Simplicissimus Jg. 11 -

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