Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren V:

Simplicissimus (1896 - 1944)

2. Jahrgang 11 - 49 : 1906 - 1944


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren V: Simplicissimus (1896 - 1944). -- 2. Jahrgang 11 - 49 : 1906 - 1944 / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2007-12-20. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen51.htm   

Erstmals publiziert: 2004-04-19

Überarbeitungen: 2007-12-06 bis 20. [Aufteilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-03 [Ergänzungen]; 2007-11-26 [Ergänzungen]; 2006-03-29 [Ergänzungen]; 2005-02-10 [Ergänzungen]; 2004-12-19 [Ergänzungen]; 2004-11-25 [Ergänzungen]; 2004-10-26 [Ergänzungen];  2004-07-01 [Viele Ergänzungen];  2004-06-24 [Viele Ergänzungen]; 2004-06-07 [Ergänzungen]; 2004-05-20 [Ergänzungen]; 2004-05-16 [Ergänzung]; 2004-05-06 [Ergänzungen] ; 2004-05-01 (Ergänzungen]

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelleiste

Simplicissimus. -- München : Simplicissimus-Verl. --  1.1896/97 - 49.1944,37 (13.Sept.); 1954,1 (9.Okt.) - 1967,12 (3.Juni) damit Erscheinen eingestellt

Sämtliche Jahrgänge des Simplicissimus bis 1944 sind online zugänglich:

http://www.simplicissimus.com/. -- Zugriff am 2007-11-26



Abb.: Dies ist das Hundevieh, welches so unsägliches Elend über unser Land gebracht hat und von allen anständigen deutschen Wappentieren verabscheut wird. -- Titelblatt Jg. 10, Nr. 1. -- 4. April 1905


"Die deutsche satirische Wochenzeitschrift "Simplicissimus" (lat. "der Einfältigste") erschien ab 1896 in München unter der Leitung von Albert Langen (1869-1909) und war ein bürgerlich-demokratisches Kampfblatt allerdings ohne formuliertes politisches Programm. Seinen großen Erfolg - 1897 erschien die Auflage in 15.000 Exemplaren, 1904 bereits in 85.000 - verdankte der "Simplicissimus" sowohl seiner geistvoll streitbaren politischen Aktualität als auch der künstlerischen Qualität seiner Zeichnungen und Literaturbeiträge. Thomas Theodor Heine gehörte mit zu den besten Zeichnern: Seine angriffslustige, gefährlich dreinschauende, zähnefletschende und ihre Ketten sprengende rote Bulldogge - ein Zeichen des Protestes gegen Kaiser und Junker, Militär und Klerus, Imperialismus und Preußentum, Beamten- und Philistertum - war das Wappentier und Symbol des "Simplicissimus". Auch die Auseinandersetzungen mit der Zensur und Justiz, Gerichtsverhandlungen, Geld- und Haftstrafen erhöhten die Popularität.

Nach Beginn des Ersten Weltkriegs gab der "Simplicissimus" seine oppositionelle Haltung auf und öffnete sich Nationalismus und Chauvinismus. Er wurde noch bis 1944 herausgegeben, doch den Erfolg der Vorkriegszeit hat er nicht mehr erreichen können."

[Quelle: http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/kunst/simplicissimus/. -- Zugriff am 2004-04-14]

"Bis heute gilt der "Simplicissimus", der von 1896 bis 1944 in München erschien, als das Witzblatt schlechthin; er steht als Synonym für Opposition. Dabei begann das später so erfolgreiche Unternehmen mit einer Panne. Der Verleger Albert Langen hatte die Zeitschrift am 1. Januar 1896 starten wollen, doch die Kapitaldecke war noch zu dünn; Langen mußte sich Geld von seiner Familie leihen. Also stellte sich der Branchenneuling erst am 4. April 1896 dem Publikum vor. Voller Optimismus hatte Langen im Börsenblatt eine Auflage von 300 000 Exemplaren angekündigt und damit das Interesse an seinem neuen Blatt gewaltig überschätzt. Bei den Verkaufszahlen der ersten Nummern schwanken die Angaben der Anekdoten und Erinnerungen: Wurden 500, 1000 oder etwas mehr verkauft? Aber wie dem auch sei, der Verlag war auf Jahre mit Makulaturpapier eingedeckt. Trotz dieser Startschwierigkeiten erregte der "Simplicissimus", von seinem Gründer zunächst als eine Art Pendant zum französischen "Gil Blas Illustré" konzipiert, sehr schnell Aufsehen. Verschiedene Konfiskationen, ein vorübergehendes Verkaufsverbot in Österreich sowie Eisenbahnverbote auf den preußischen Bahnhöfen wirkten maßgeblich an der wachsenden Popularität der Zeitschrift mit.

Zu seinen Mitarbeitern zählten so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Erich Mühsam, Frank Wedekind, Hermann Hesse, Jakob Wassermann, Arnold Zweig, Thomas und Heinrich Mann, Gustav Meyrink und Hans Grimm, denen die Zeitschrift die Möglichkeit erster Schreiberfahrung bot. Im satirischen Spiegel des Blattes, das zum einträglichsten Unternehmen des Verlegers Albert Langen wurde, erschien jedes öffentliche Ereignis aus Politik und Kultur, so daß die Zeitschrift als eine Chronik dreier deutscher Epochen, des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reichs, gelesen werden kann. "

[Quelle: http://www.uni-regensburg.de/Universitaet/RUZ/archiv/ruz-9602/roeschuz.htm. -- Zugriff am 2004-04-19]

Aus der unübersehbaren Literatur zum Simplicissimus sei nur genannt der Ausstellungskatalog:

Simplicissimus : eine satirische Zeitschr. ; München 1896 - 1944 ; Haus d. Kunst, München, 19. November 1977 - 15. Januar 1978 / [d. Ausstellung wird veranst. von d. Bayer. Staatsgemäldesammlungen in Verbindung mit d. Ausstellungsleitung Haus d. Kunst München e.V. Katalog: Carla Schulz-Hoffmann]. -- München : Ausstellungsleitung Haus d. Kunst, 1977. -- 478 S.


1906



Abb.: Die Geschichte der Familie Huber: 2. Morgenröte des Christentums / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 1, S. 3. -- 2. April 1906

Um das Jahr 712 kam der heilige Emmeran in die Gegend von Regensburg. Sein Begleiter Aloisius war es, der den Eberulf Huôbar (das ist: Huabar, Huaba, Huawa, Huber) zum Christentum bekehren wollte. Eberulf Huôbar wollte nicht an die Macht des Christengottes glauben, und sogar die bestimmte Versicherung, dass die Mönche des heiligen Gallus am Bodensee ein neues Getränk, das Bier, braueten und den Benediktinerschnaps brenneten, konnte ihn nicht umstimmen. Ja, als Aloisius ihm zumutete, sich mit Wasser taufen zu lassen, da ergrimmte Huôbar, und es wäre beinahe um den Glaubensboten geschehen gewesen.
Da traf es ein Zufall, dass dem Huôbar eine Sau schwer erkrankte. Aloisius besprach sie, gab ihr kräftige Tranke, behandelte sie mit Sorgfalt und besprach sie wiederum.  

Und siehe da, am siebenten Tage war die Sau fröhlich und gesund und grunzte heiter wie ehedem in der Siedelung. Huôbar war erstaunt und nachdenklich; und er begann, an den alten Göttern zu zweifeln und dem neuen Gotte Vertrauen zu schenken.

Schon wenige Wochen später ließ er sich taufen und erhielt den Namen seines Bekehrers Aloisius. Er wurde ein eifriger Christ und zeigte gerne in der Öffentlichkeit durch seine Teilname an Prozessionen, dass er sich bekehrt habe. Er vererbte seinen starken Glauben auf alle Nachkommen und noch heute ist bei jeder Prozession ein Aloisius Huôbar, das ist: Huawa oder Huber, vertreten.


Abb.: Der stolze Spanier / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr.2, S.23. -- 9. April 1906

"Unsere neue Königin wechselt den Glauben wie 'n Hemd. Ich nich, ich wechsel' den Glauben nich' un's Hemd nich."

Hintergrund:

"Princess Victoria Eugenie of Battenberg

From Wikipedia, the free encyclopedia.

Princess Victoria Eugénie of Battenberg later Queen Victoria Eugenia of Spain (24 October 1887-15 April 1969), a granddaughter of Queen Victoria of the United Kingdom, was the consort of the exiled King Alfonso XIII of Spain and the paternal grandmother of the current King of Spain, Juan Carlos.

...

In 1905, Princess Victoria attended a dinner party hosted by her uncle, Edward VII in honour of King Alfonso XIII of Spain. The Spanish king took a fancy to the young English Princess, and began a courtship. There was some opposition to a potential marriage, coming from Alfonso's family, and Victoria's heritage.

Queen Maria Cristina, Alfonso's mother, did not approve due to the obscure origins of the Battenberg Royal line and Victoria's lowly HSH title. Also it was pointed out that Victoria was a potential carrier of haemophilia, the infliction carried out through Queen Victoria's female descendants. Victoria's brothers, Prince Leopold of Battenberg, and Prince Maurice of Battenberg were known to be sufferers.

On 9 March 1906, the Spanish Royal Household announced the engagement of King Alfonso XIII (17 May 1886-28 February 1941), the posthumous and only son of Alfonso XII of Spain and his second wife, the Archduchess Maria Christina of Austria, later Queen Regent of Spain. The news raised concern among many Spaniards because the prospective bride was a Protestant and not sufficiently royal. Princess Victoria Eugénie had been baptised into the Presbyterian Church of Scotland, having been born at Balmoral, but was also in communion with the Church of England. And while she was a female-line granddaughter of Queen Victoria, on her father's side she was a morganatic scion of the Grand Ducal House of Hesse. Her background hardly seemed worthy in the eyes of many Spaniards to follow in the footsteps of the Bourbons and the Habsburgs who had provided the majority of Spanish queens since the sixteenth century. The princess removed the first obstacle when she agreed to undergo instruction to be received into the Roman Catholic Church. She was rebaptised by the Roman Catholic Bishop of Nottingham at San Sebastian in Madrid two days before her wedding, taking the additional names Maria Christina. Her uncle, King Edward VII, removed the second obstacle to the marriage when he issued Letters Patent on 3 April 1906, granting her the style and attribute of Royal Highness."

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Princess_Victoria_Eugenie_of_Battenberg. -- Zugriff am 2004-05-20] 



Abb.: Zurechtweisung /  Karikatur von Josef Benedikt Engl (1867 - 1907). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 5, S. 73. -- 30. April 1906

"Solch ein Teufelswind! Welch ein sündhafter Anblick!" -- "Murren wir nicht gegen die Vorsehung, lieber Amtsbruder, dondern seien wir froh, dass es nicht die Alte ist!"



Abb.: Germania / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 12, S. 200. -- 18. Juni 1906

Aus Berlin wird berichtet, dass es endlich gelungen isst, ein wirklich lenkbares Luftschiff herzustellen.


Ein Nörgler (zu einer Karikatur von Bruno Paul (1874 - 1968)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 17, S. 270. -- 23. Juli 1906

"Bal der Pfarrer mit unsern Hergott red't, sagt er allweil: 'Dein unwürdigster Knecht'. Warum müass'n nacha mir Hochwürden zu eahm sag'n



Abb.: Der Kampf gegen die Sittlichkeit / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 21, S. 339. -- 20. August 1906



Abb.: Der dumme Michel / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 23, S. 357. -- 3. September 1906

"Du bleibst mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!"

Erklärung:

Karikatur zur Kirche in Deutschland nach der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich.



Abb.: Frau Riehl1 in zehn Jahren / Karikatur von Ernst Kellermann (= Bruno Paul (1874 - 1968)). -- In Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 36 („Spezial-Nummer Salon Riehl“), S. 584. -- 3. Dezember 1906

"Zwei Kirchenfenster sollen S' haben, hochwürdige Herren, aber für die gefallenen Mädchen geb' ich nix. Das tut keine anständige Frau nicht."

Erklärung:

1 Regine Riehl

"Riehl-Prozess. Damit ist jener sensationelle Kuppelei-Prozess gegen die Bordellinhaberin Regine Riehl gemeint, die im November 1906 wegen gewalttätiger Einschränkung der persönlichen Freiheit und wucherischer Ausbeutung der Bordellinsassinnen vor Gericht stand und zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Der Prozess erregte weit über die Grenzen Österreichs großes Aufsehen, nicht allein wegen der eben genannten Vergehen Frau Riehls und der sanitären Übelwirtschaft in ihrem Bordell, sondern auch ganz besonders deshalb, weil ein krasser Missbrauch der Amtsgewalt von seiten der Wiener Polizeiorgane vorlag. - Unter der Marke eines Kleidersalons betrieb die schon mehrmals wegen Kuppelei vorbestrafte Regine Riehl jahrelang unter den Augen, ja unter Mitwirkung der zur Aufsicht berufenen Sittenpolizei ein Bordell, das die darin befindlichen Prostituierten ganz so wie ein Zuchthaus vollständig der Freiheit beraubte, aber schlimmer als im Zuchthaus ihnen auch grausame körperliche Züchtigungen auferlegte - abgesehen von den Prügelstrafen, die ihnen Frau Riehl mit der Hundspeitsche zuteil werden ließ, mussten sie sich auch von pervers-sadistischen Besuchern prügeln lassen - und ihnen jeglichen Lohn für ihre »Arbeit« vorenthielt. - Nach den im Bordell üblichen nächtlichen Orgien wurden die Insassinnen in ihr Schlafgemach gesperrt, in elende Löcher, wo acht Mädchen in vier Betten schlafen mussten. Die Fenster konnten nicht geöffnet werden, da sie mit Vorlegeschlössern von außen verschlossen waren. Mit der polizeilichen Revision aber wusste Frau Riehl sich durch besondere Freigebigkeit (»Madeln, verführts mir den dicken Kommissar, aber nehmts kein Geld von ihm«, lautete ihre berühmte Weisung) so gut zu stellen, dass kein Mädchen es wagen durfte, bei den Kommissären eine Klage anzubringen. Verschüchtert, mit Schub und Arbeitshaus bedroht, ertrugen die meisten in stumpfer Ergebenheit ihr Schicksal und duldeten eine Sklaverei, die nur durch einen gelegentlichen Aufenthalt im Spital unterbrochen wurde. Aber auch aus dem Spital führte der Weg immer wieder in die »Kaserne« zurück, denn die Verbindungen der Frau Riehl reichten auch bis in das Spital hinein, aus dem sie immer erfuhr, wann eine ihrer Pensionärinnen als geheilt entlassen werden sollte. Dann fand sich das Faktotum des Riehlbordells mit einem Wagen vor dem Krankenhaus ein, nahm die Ware in Empfang und brachte sie zuverlässig dorthin zurück, wo eiserne Vorlegeschlösser, der Hunger und die Hundspeitsche jeden Gedanken von Flucht niederhielten oder austrieben. War aber ein Mädchen endlich verbraucht und geschäftlich gar nicht mehr verwendbar, dann öffnete sich endlich die Türe und das Geschöpf, das jahrelang für Frau Riehl  gefrondet hatte, wurde mit einigen alten Fetzen und ein paar Kreuzern Gnadenabfindung an die Luft gesetzt. - Dem Redakteur Emil Bader vom »Illustrierten Wiener Extrablatt« gebührt das Verdienst, durch seine Veröffentlichungen über die krassen Zustände die Aktion gegen die Kupplerin in Gang gebracht zu haben. Im Verlaufe des Prozesses stellte sich heraus, dass die Polizei die Aufsicht über den Riehlschen »Kleidersalon« in nur sehr nachlässiger Weise geführt hat. Einer ihrer Beamten gab vor Gericht die denkwürdige Erklärung ab, es sei nicht Sache der Polizei, die Prostituierten gegen die Kupplerinnen, sondern Sache der Polizei sei es, das Publikum gegen die Prostituierten zu schützen. Der auch als Zeuge vernommene Chefarzt der Wiener Polizei gab im Namen des Polizeipräsidenten zu, dass unter den 4000 Polizeiorganen drei tatsächlich von ihrer Amtspflicht abgewichen seien. Gegen diese sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden und sie seien seit Monaten vom Dienste suspendiert. Die Enthüllungen im Prozess Riehl gaben Veranlassung zu gründlichen Reformen auf dem Gebiete der Wiener Sittenpolizei."

[Quelle: Bilderlexikon der Erotik. -- Berlin : Directmedia2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 19). -- ISBN: 3-89853-919-9. -- Original- Buchausgabe des Instituts für Sexualforschung erschienen Wien 1928-1932. -- s.v.]


1907


Peter Schlemihl [= Ludwig Thoma <1867-1921>]: Germanen. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 11, Nr. 43 („Spezial-Nummer Das Zentrum“), S. 686.  -- 21. Januar 1907

Man muss von einer herkömmlichen Vorstellung loskommen, wenn man die Übermacht der Kirche in Deutschland verstehen will.

Man muss den Glauben an die germanische Krafthuberei aufgeben. Tacitus war ein nervöser Großstadtmensch. Er hat die Germanen ungefähr so beurteilt, wie heute eine Berliner Schriftstellerin die Tiroler Naturburschen abschätzt. Er hat Helden gesehen, wo nur Quadratlackel waren. Wirkliche Kraft haben diese Leute nicht besessen; die langbeinigen Metsäufer haben wohl auf allen Straßen Europas Leute totgeschlagen, aber schädlichen Einflüssen haben sie niemals starken Widerstand entgegengesetzt. In Spanien und Italien schmolzen sie weg wie Schnee beim Föhnwind.

In kürzester Zeit hatten die Tugendbolde alle Laster angenommen, die eine heiße Sonne und eine verfaulte Kultur ausgebrütet hatten.

Sie machten die Laster noch widerlicher, weil sie ihre Rohheit dazu gaben, und hinterher abergläubische Angst vor den Folgen zeigten.

Der weinerliche Rohling ließ sich durch abgeschmackte Vorstellungen vom Jenseits zwar nicht von seinen Gewohnheiten abbringen, aber er verstand sich im Katzenjammer dazu, die Verzeihung zu erkaufen.

In diesen Eigenschaften liegt die Erklärung für die ungeheure Macht der Pfaffen.

Alle germanischen Staatenbildungen früherer Zeit sind durch die Pfaffen zugrunde gegangen; im Innern verdorben, nach außen verraten. Das hat dieses Heldenvolk nie abgehalten, an den Pfaffen zu hängen.

Ein verderbter, treuloser Adel, aus dem die verehrten Souveräne hervorgingen, verkaufte seine Kaiser an die Päpste, verschenkte den Wohlstand des Landes an die Pfaffen und fand keinen starken Widerstand im Volke, das viel zu roh war, um über Pfaffenmärchen wegzukommen, und viel zu knechtselig, um gegen seine Fürsten aufzutreten.

Das Christentum hat in Deutschland Verheerungen angerichtet wie eine schwere Krankheit.

Obwohl die christliche Lehre Menschenliebe predigt, sind die tugendhaften Germanen durch sie zu neuen, entsetzlichen Rohheiten gekommen.

Weil sie nur die entstellte, äußerliche Form von den Pfaffen übernahmen.

Da diesen die Laster der Hohen und Niedern so reichliches Geld einbrachten, wären sie nach ihrer Meinung dumme Kerle gewesen, wenn sie Sittlichkeit erstrebt hätten. Und außerdem brauchten sie die Rohheit derer, welche ihnen Werkzeuge der Verfolgungswut sein mussten. Wer sich ein rechtes Bild von den Blüten des deutschen Christentums machen will, der soll an die Hexenprozesse denken, die an dreihunderttausend Menschenleben vernichtet haben. Der Richter, der mit deutschem, gravierlichem Ernste ein siebenjähriges Kind oder eine achtzigjährige Greisin auf die Folter spannen lässt und sich nach der wichtigsten Persönlichkeit dieses schönen Christentums, nach dem Teufel, erkundigt, der Pfaffe, der die Gefolterten mit dem Gallimathias seiner verhunzten Lehre quält und geistliche Lieder singt, wenn unmündige Kinder und schwache Frauen verbrannt werden, der Pöbel, der neugierig zuschaut und Zoten reißt, der ehrsame Bürger, der bei solchen Schauspielen Stärkung seines Glaubens, aber durchaus keine Schwächung seines Appetites findet, sie alle geben das Bild von der Kultur des deutschen Christentums.

Von den Folgen einer solchen Vergangenheit wird man nicht frei ohne gewalttätige Kur. Die Franzosen haben ihre Leiden, die um so viel geringer waren, gerächt und die pfäffische Tradition unter die Guillotine geschoben. Ihr großer, schöner Kampf, den sie heute gegen die Pfaffen führen, wäre nie möglich gewesen, wenn nicht die Stürme der ersten Revolution die Luft gereinigt hätten.

Die französischen Pfaffen haben einmal das zornige Volk gesehen, einmal haben ihnen die Herzen in jämmerlicher Angst gezittert. Das hat geholfen, und das wirkt nach. Der frechste Übermut ist ihnen genommen; ihre Wünsche führen nicht allzuweit, denn vor ihnen taucht immer wieder das Gespenst der gesegneten Guillotine auf.

Deutschland krankt weiter an seiner Vergangenheit. Die lange Pfaffengasse am Rhein entlang wallen die Scharen, um den Heiligen Rock in Trier zu küssen. Was soll man für diese Tiere von Freiheit und Gesittung erhoffen? Sie haben sie vor der Nase liegen und sind doch weiter von ihnen entfernt als die Fidschi-Insulaner. Es wird nie besser werden. Nie. Aber von den kraftvollen Germanen wollen wir abkommen; nicht wahr?

Sie waren nie kraftvoll, sie waren nur roh. Ihr Christentum war das heulende Elend der Säufer. Und es ist recht viel davon auf die Nachkommen übergegangen, die demnächst Herrn Roeren wählen werden.


Edgar Steiger (1858 - 1919): Des deutschen Knaben Morgengebet. -- In Simplicissimus. --  Jg. 12, Nr. 1 („Spezial-Nummer Erster April“), S. 15. -- 1. April 1907
Du lieber Gott, ich danke dir,
Dass ich ein deutscher Knabe
Und dass ich einen deutschen Gott
Und deutsche Eltern habe.

Ich kann ja freilich nichts dafür:
Wie's kommt, so muss man's nehmen.
Doch wär' mein Vater ein Franzos,
Wie müsst' ich mich da schämen!

Verdorben wäre und verwelscht
Mein Denken und mein Sinnen;
Die Mutter wäre liederlich
Wie die Pariserinnen.

Der Vater, statt zum Skat zu gehn
Am Stammtisch an der Schenke,
Ging' abends ganz woanders hin --
mich schaudert's, wenn ich's denke!

Vor allem aber: als Franzos,
Allgütiger, Allweiser,
Da hätt' ich wohl ein Vaterland,
Doch hätt' ich keinen Kaiser!

Drum dank' ich dir, du lieber Gott,
Dass ich ein deutscher Knabe,
Und bitte dich: Nimm alles hin,
Nimm alles, was ich habe!

Nimm Geld und Gut und Glück und Ehr'
Und Ruhm und Lorbeerreiser!
Nimm Vater mir und Mütterlein!
Nur lass' mir meinen Kaiser!

Und wenn der Erbfeind uns bedräut
Und Tod speit und Verderben,
Vergönne mir als letzte Gunst,
Jauchzend für ihn zu sterben!



Abb.: Michels Frühling / Karikatur von C. O. Petersen. -- In Simplicissimus. -- Jg. 12, Nr. 2, S. 18. -- 8. April 1907


Frühling (zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 12, Nr. 7 („Spezial-Nummer Mai“), S. 97. -- 13. Mai 1907

Hört doch, wie die Spatzen schreien,
Wie der stolze Tauber girrt!
Sehet, wie es rings im Maien
In den blauen Lüften schwirrt!

Jedes Tierchen will sich paaren, 
Und das kleinste weiß es schon.
Nur der Mensch ist unerfahren
Wegen seiner Religion


Moralische Erzählung. -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 12, Nr. 11 („Automobil-Nummer“), S. 162. -- 10. Juni 1907

Zu Lengsfeld in Thüringen lebte ein gottesfürchtiger Landmann namens Gottlieb Grohlich, welcher auf eine bemerkenswerte Weise von harten Schicksalsschlägen verfolgt wurde. Bis zum Jahre 1906 erfreute er sich im Kreise seiner aus einer treuen Gattin und fünf wohlgeratenen Kindern bestehenden Familie eines vortrefflichen Wohlstandes, und nicht selten sah man ihn des Abends vor seinem hart an der Landstraße gelegenen Häuschen sitzen und Gott für seine große Güte danken. Während dieser Abendandacht geschah es am 5. Mai des Jahres 7906, dass ein Wagen ohne Pferde dahergerast kam, desgleichen niemand in Lengsfeld zuvor gesehen. Grohlichs jüngstes Töchterchen, die dreijährige Minna, die sich gerade auf der Landstraße tummelte, wurde von dem Kraftwagen erfasst und musste ihr junges Leben lassen. Grohlich gab den Seinen ein Beispiel heldenhafter Niederkämpfung des seelischen Schmerzes. Aber bereits am 5. Juni wurde sein bestes Schwein, als es zum Stalle heimkehrte, vom Kraftwagen überfahren und verschied. Grohlichs netzten den Schweinebraten mit ihren Tränen. Nun folgte ein schwerer Schicksalsschlag auf den anderen. Am 8. Juni wurde Schorsch Grohlich, alt fünf Jahre, überfahren und starb kurz danach; am 3. Juli kam Friedrich August Grohlich, alt 15 Jahre, unter das Automobil und wurde gänzlich zerstört; am 20. August kam Karoline Grohlich, vierzehn Jahre alt, auf dieselbe Weise ums Leben; am 1. September wurden dem zwölfjährigen Max Grohlich beide Beine kurz unterhalb

der Hosentaschen abgefahren. Nun war das Grohlichsche Ehepaar aller Kinder beraubt, schmerzgebeugt wagte es dennoch nicht, an der Lauterkeit von Gottes Absichten zu zweifeln. Am 6. September fand der Grohlichsche Haushahn seinen Tod unter Automobilrädern, und Frau Grohlich musste ihm beim Versuche, ihn zu retten, in die Ewigkeit nachfolgen. Da zum ersten Male begann Grohlich, Gottes Güte und Weisheit mit prüfendem Blicke zu betrachten und schwarzen Rachegedanken Raum zu geben. Er beschaffte sich eine erhebliche Anzahl langer eiserner Nägel und verschluckte sie. So mit Nägeln gefüllt warf er sich vor einem herannahenden Automobil auf die Straße. Die Nägel durchdrangen sowohl seinen Leib als auch die Luftschläuche der Räder. Ein ungeheurer Knall erfolgte, und der Kraftwagen überschlug sich, seine Insassen unter sich begrabend.

Moral: Frauen und Kinder haben eine gewisse Existenzberechtigung, du sollst sie nicht ohne Grund überfahren. —

Nachtrag. Gottlieb Grohlich wurde von seinen schweren Verletzungen gänzlich wiederhergestellt und konnte vor Gericht gezogen werden. Er wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung zu längerer Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seinem Gotte steht er leider noch nicht wieder auf dem früheren vertrauten Fuße.


Geistlicher Trost (zu einer Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952)). -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 12, Nr. 17, S. 275. -- 22. Juli 1907

[Priester:] "Weinet nicht, Jungfer Emerentia! Der Himmel hat Euch durch mich gesegnet, aber Frau Ursula Meier, Tulpengasse 14, erster Stock, links, wird den drohenden Segen von Euch abwenden."



Abb.: Gegen den Index / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. --  Jg. 12, Nr. 18, S. 277. -- 29. Juli 1907

Selbst das größte Schaft verliert manchmal die Geduld,
aber durch einen passenden Maulkorb wird es leicht wieder beruhigt.

Erklärung:

1 Index

"Index librŏrum prohibitōrum (lat., »Verzeichnis der verbotenen Bücher«) heißen die Verzeichnisse derjenigen Bücher, die zu lesen den Anhängern der katholischen Kirche verboten ist, wohl zu unterscheiden von Index librorum expurgandorum oder Index expurgatorius. wie die Verzeichnisse derjenigen Bücher heißen, die (in den vorhandenen Exemplaren und in neuen Ausgaben) von den einzeln angegebenen anstößigen Stellen gereinigt werden sollen. Vereinzelte Bücherverbote kommen schon in der alten Kirche und im Mittelalter vor; umfangreichere Verzeichnisse verbotener Bücher wurden aber erst nach der Reformation veröffentlicht, zuerst von Karl V. in Belgien 1524–40 und von Heinrich VIII. in England 1526 ff., dann im Auftrag oder mit Genehmigung der Regierung von den theologischen Fakultäten (und der Universität) zu Löwen (1546, 1550, 1558) und Paris (1544, 1547, 1551, 1556), von Inquisitoren in Venedig (1549, 1554) und Mailand (1554). Der erste römische Index (insofern überhaupt der erste Index, als die frühern Verzeichnisse Catalogi heißen) wurde unter Papst Paul IV. 1559 von der römischen Inquisition veröffentlicht. Er enthielt drei alphabetisch geordnete Klassen: in der ersten stehen die Namen derjenigen Schriftsteller, deren sämtliche Schriften verboten werden, in der zweiten einzelne mit dem Namen ihrer Verfasser erschienene, in der dritten anonyme Schriften; schließlich wird eine große Zahl von Bibelausgaben verboten sowie der ganze Verlag von 61 namentlich verzeichneten und von allen andern Buchdruckern, die ketzerische Bücher gedruckt hatten oder drucken würden (dieses letzte Verbot steht nur in diesem Index). Dieser, von einem Ausschuss des Trienter Konzils überarbeitete und mit zehn allgemeinen Regeln vermehrte Index wurde nach Schluss des Konzils 1564 von Pius IV. veröffentlicht. Die Fortführung des Index übertrug Pius V. 1571 der neu errichteten Indexkongregation. Eine vermehrte Ausgabe wurde von Sixtus V. 1590 veröffentlicht, aber gleich nach seinem Tod unterdrückt. Unter Clemens VIII. erschien 1596 eine Ausgabe des Trienter Index, in der jeder der drei Klassen Appendixe beigefügt sind. Seitdem sind noch etwa 40 Ausgaben des römischen Index erschienen; in jede derselben wurden die mittlerweile neu verbotenen Bücher eingereiht. Die wichtigsten sind die von Alexander VII. von 1664, in der die drei Klassen in Ein Alphabet vereinigt wurden (die erste Klasse ist übrigens nach Clemens VIII. nicht mehr vermehrt worden), und die von Benedikt XIV. von 1758, in der zahllose Fehler der frühern Ausgaben verbessert und neue allgemeine Verordnungen über das Bücherwesen beigefügt wurden. Durch die Konstitution Officiorum ac munerum vom 24. Jan. 1897 hat Leo XIII. ein neues Recht geschaffen, indem er alle frühern Bestimmungen mit Ausnahme der Konstitution Benedikts XIV. von 1758 außer Geltung setzte. In dem auf Grund dieser Konstitution neu hergestellten Index (Rom 1900) sind erhebliche Kürzungen vorgenommen, insbes. alle vor 1600 verurteilten Bücher gestrichen worden. Auch Goethe, Freiligrath u. a. stehen nicht mehr im Verzeichnis. Dafür bleiben nach Artikel 2 der Konstitution die Bücher der Apostaten, Häretiker, Schismatiker und aller Schriftsteller, welche die Häresie oder das Schisma verteidigen oder die Grundlagen der Religion selbst irgendwie untergraben, ganz allgemein verboten Von 1890–1900 sind 82 Autoren mit 131 Schriften (darunter 60 italienische, 47 französische, 16 spanische und portugiesische, 4 englische, 4 deutsche) auf den Index gekommen. Die letzten Dekrete trafen die Schriften des Abbé Loisy (16. Dez. 1903), den Roman »Franz von Assisi« von Ciro Alvi, sowie die reformerischen Schriften von A. Hontin (»L'Américanisme:«) und A. Vogrinec (»Nostra maxima culpa«; 3. Juni 1904). Die spanischen Indexe sind von den römischen zu unterscheiden. Sie wurden unabhängig von der Indexkongregation von der spanischen Inquisition veröffentlicht, enthalten mit verhältnismäßig wenig Ausnahmen auch die römischen Bücherverbote, aber auch viele andre und sind von 1584 an alle zugleich Indices prohibitorii und expurgatorii. Der erste wurde 1551 von dem Generalinquisitor Valdes veröffentlicht; der bekannteste ist der von dem Generalinquisitor Sotomayor 1640 herausgegebene. Vgl. I. Mendham, The literary policy of the Church of Rome exhibited in an account of her damnatory catalogues and indexes (2. Aufl., Lond. 1830); Petzholdt, Bibliotheca bibliographica, S. 133 ff. (Leipz. 1866); Reusch, Der Index der verbotenen Bücher (Bonn 1883–85, 2 Bde.) und Die Indices librorum prohibitorum des 16. Jahrhunderts (Stuttg. 1886, Literarischer Verein); Hollweck, Das kirchliche Bücherverbot; Kommentar zur Konstitution Leos XIII. (2. Aufl., Mainz 1897); Phil. Schneider, Die neuen Büchergesetze der Kirche (das. 1900); Hilgers, Der Index der verbotenen Bücher, in seiner neuen Fassung dargelegt etc. (Freiburg 1904)."

 


Der Zwickauer (= Edgar Steiger (1858 - 1919)): Nicht baden! : ein naturwissenschaftlich-moralisch-theologisches Kollegium in Versen. -- In Simplicissimus. --  Jg. 12, Nr. 22, S. 351. -- 26. August 1907

Der Mensch ist kein Amphibium,
Kein Walfisch und kein Renken.
Und das, verehrtes Publikum,
Gibt mancherlei zu denken.

Er bleibe darum hübsch am Land,
Und was ihm schadet, lass' er!
Denn Gift, solang' es ungebrannt,
Ist unbedingt das Wasser.

Ich meine nicht nur innerlich,
Sofern, den Durst zu stillen,
Der Unglückswurm es trinkt und sich
Vollpumpet mit Bazillen.

Nein auch von außen angewandt,
Wird's der Gesundheit schaden.
Das Rheuma, sagt uns der Verstand,
Kommt lediglich vom Baden.

Auch ist ein solcher Zeitvertreib
Moralisch zu beklagen:
Frech wird der schnöde Menschenleib
Dabei zur Schau getragen.

Was hilft das schönste Badkostüm?
Denn ach! gegebnen Falles
Sieht man, ist's nass, bei ihr und ihm
So ziemlich alles, alles!

Drum beug' ich betend jetzt die Knie
Vor Silvia, der Reinen.
Sie wusch sich sechzig Jahre nie
Vom Kopf bis zu den Beinen.

Sie pflegte gläubig für und für
Im eignen Fett zu schwitzen;
Nur Sonntags an der Kirchentür
Netzt' sie die Fingerspitzen.

Und das war auch nur ein Symbol
Fürs Seelenbad der Frommen;
Der Finger hütete sich wohl
Zu tief hineinzukommen.

Dafür kam sie im Himmelreich --
So heißt's -- zu hohen Gnaden.
Drum, liebe Christen, tut's ihr gleich
Und hütet euch zu baden!


Edgar Steiger (1858 - 1919): Der katholische Professor. -- In Simplicissimus. --  Jg. 12, Nr. 28, S. 430. -- 7. Oktober 1907

Nach bekannter Melodie zu singen

Einst hab' ich mitunter
Zu denken gewagt,
Selbst über das Wunder
Was Neues gesagt.
Ich liebte das Wissen,
Soweit es erlaubt,
Und habe beflissen
Den Glauben zerglaubt.
Ich füllte in Fässer
Den göttlichen Wein --
:: O selig Professor,
Professor zu sein!::

Nun trag ich geduldig
Den Maulkorb am Maul.
Ich weiß, was ich schuldig
Sankt Peter und Paul.
Und murr' ich und knurr' ich,
So lacht man und spricht:
"Der Kerl ist zu schnurrig!
Er beißt uns ja nicht!
Nur nass wird's und nässer --
Schon hebt er das Bein!"
:: O selig Professor,
Professor zu sein!::


Edgar Steiger (1858 - 1919): Schulgelderhöhung in Bayern. -- In Simplicissimus. --  Jg. 12, Nr. 31, S. 494. -- 28. Oktober 1907

Der Stein der Weisen ist gefunden.
Nun bleibt das Volk auf ewig dumm;
Dem Zentrum fehlt es nie an Kunden,
Sogar auf dem Gymnasium:
Wer für zehn Mark zu Mittag speiste,
Fühlt gerne sich dem Armen gleich,
Und wenn er zudem arm an Geiste,
Ist seiner auch das Himmelreich.

Die Söhne reicher Väter haben
Sehr oft ein geistig Defizit.
Den Mangel höh'rer Geistesgaben
Macht dann die höh're Bildung quitt.
Das gibt dann den angenehmen Dünkel,
Der Gott und Menschen wohlgefällt
Und selbst im stillen Pinkelwinkel
Auf Würde noch und Anstand hält.

Plebejer sollen nicht studieren --
Sie sind ja so schon zu gescheit.
Sie könnten den Respekt verlieren
Vor einer hohen Obrigkeit.
Der kluge Mann baut vor beizeiten;
Drum, liebes deutsches Publikum,
In die Fabriken die Gescheiten,
Die Dummen ins Gymnasium!



Abb.: Zwei Welten / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- Jg. 12, Nr. 37, S. 615. -- 9. Dezember 1907

"Vater im Himmel, ist das noch ein Mensch! Unglückseliger, hast du eine unsterbliche Seele?!" — "Nein. Hast du eine Zigarre?".



Abb.: Weihnachten in einem ostpreußischen Garnisonslazarett / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- Jg. 12, Nr. 39, S. 638. -- 23. Dezember 1907

"Fräie dich, Garnisonslazarett! Oberstaabsarzt, fräie dich! Fräie dich, behandelnder Arzt, Lazarettgehilfe, fräie dich, und ihr Soldaten, fräiet äich! Denn äich ist häite der Häiland jeboren!"


1908


Ludwig Thoma (1867-1921): Missionspredigt des P. Josephus gegen den Sport. -- In Simplicissimus. -- Jg. 12, Nr. 41 („Spezial-Nummer Wintersport“), S. 672. -- 6. Januar 1908

Liebe Christengemeinde!

Im vorigen Jahr habe ich euch den Unzuchtsteufel geschildert, der wo bei schlampeten Frauenzimmern unter dem Busentüchel wohnt oder gleich gar auf der nacketen Haut sitzt, wenn sie ihre seidenen Fetzen so weit ausschneiden. Er freut sich über die höllische Wärme, die wo beim Tanzen aufakimmt, und rapiti capiti hat er den christlichen Jüngling bei der Fotzen oder beim Heft, mit dem er vielleicht liebevoll die giftigen Dunst' aufschmeckt. Apage Satanas! sag i, apage du Höllenfürst! Aber natürlich die Menscher müssen flankein, und wenn die Röck fliegen, merken sie nicht, dass ihnen der Spirigankerl den Takt pfeift.

Liebe Christengemeinde!

Jetzt haben wir aber noch einen anderen Unzuchtsteufel, und der ist gleich gar ein Engländer und heißt Sport. Jesses Marand-Joseph! Wenn man mit leiblichen Augen zuschauen muss, wie da eine unsterbliche Seele nach der andern in die Höll abirutscht und mit einem solchen Schwung, dass sie im Fegfeuer gleich gar nimmer bremsen kann! Rodelts nur! Rodelts nur, ihr Malefizpamsen, dass euch die letzten Unterröck kopfaus in die Höh steigen und der Teufel gleich weiß, wo er anpacken muss. Zeigt's as nur her, eure Waderln und die schwarzen Strümpf und noch was dazu, dass euer Schutzengel abschieben muss über dem grauslichen Anblick! Ja, was siech i denn da? Ein Trumm Mensch, das schon zehn Jahr aus der Feiertagsschul is, schnallt sich Schlittschuh an, wie ein lausigs Schuldeandl, und rutscht am Eis umanand. Und natürlich, er ist aa dabei, der feine Herr mit sein Zwickerbandl hinter die Ohrwaschel!

Habt's as net g'hört, dass die Glocken zum heiligen Rosenkranz läut? Hörts net glei auf mit dem Speanzeln, und mit'm G'sichterschneiden, und mit dene Redensarten, die von der Peppen ins Herz hinein tropfen? O du Amüsierlarven, du ausg'schamte, was hängst denn du deine Augen so weit außer, dass ma's glei an der Knopfgabel putzen könnt? Hat er was g'sagt, dein abg'schleckter Herzensaff? Hat er was g'sagt, dass deine Kuttelfleck vor lauter Freud in die Höh hupfen?

Und in Rosenkranz gehst net nei, du arme, verlorene Seel, und ausg'rutscht bist aa scho, und der Teufel hat di bei deine langen Haar? Gelt, da schagst, wenn di der Teufel mit der glühenden Zang in dein Hintern zwickt, weil's d'n jetzt gar a so drahst? Ja, ja, ja, ja ! Ja, was kimmt denn da daher? D' Frau Muatta mit die zwoa Töchter auf die Ski?

San s'da, Madam, und hat's Ihnen neig'schmissen in den Schneehaufen, dass de dicken Elefantenfüaß zum Firmament aufistengan? Da kann ja unser Herrgott a halbe Stund lang nimmer aba schaug'n, sunst muaß er dös abscheuliche Schasti-Quasti sehg'n, dös wo eahm Sie aufirecken! Pfui Teufi! sag i, pfui Teufi!

Und de Fräulein Töchter, habe die Ehre! Plumpstika, liegt auch schon da! Freili, was mam siecht, is ja netter, als wie bei da Frau Mama, Aba g'langt denn dös net, dass Ihnen da Herr Verehrer vom Hofball her bis zum Nabel kennt? Muaß er no mehra seh'gn? muss Eahna denn der Teufel aa bei der untern Partie derwischen? Ja, strampeln S' nur mit di Füaßerln! Erm schaugt scho hin; er siecht's scho! Servus, Herr Luzifer! Da kriag'n S' amal a feins Bröckerl in den höllischen Surkübel. Amen!

Peter Schlemihl


Edgar Steiger (1858 - 1919): Professoren-Autodafé. -- In Simplicissimus. --  Jg. 12, Nr. 48, S. 795. -- 24. Februar 1908

Wo sich die Theologen raufen,
Verliert der Laie den Verstand.
Wie prasseln fromm die Scheiterhaufen
Im lieben deutschen Vaterland!

Und lustig in den Flammen schmoren,
Die zweifelten an dem und dem.
Der Duft gebrat'ner Professoren
Ist Gott dem Herren angenehm.

Rom hat die allerfeinste Nase:
Wer winselnd nicht am Boden kriecht,
Entwickelt ketzerische Gase,
Bis er zuletzt nach Freiheit riecht.

Der Teufel naht dem frömmsten Beter,
Der sich zu denken untersteht,
Und kitzelt selbst die Leisetreter
Der Theologenfakultät.

Das Sündigen macht immer Freude,
Und denkt der Mensch so drum herum,
Stürzt bald das ganze Lehrgebäude
Vom Giebel bis zum Sockel um.

Drum lob ich's, dass unser Vater leise
Den Kindern auf die Finger klopft,
Und ihnen sanft auf seine Weise
Die unverschämten Mäuler stopft.

Und lächelnd hör' ich das Gejammer
Der Männer ohne Saft und Kraft,
Die langen Reden in der Kammer
Von Freiheit und von Wissenschaft.

Einfältig sind sie wie die Tauben:
Da wird das Dogma durchgesiebt;
Sie schelten auf den Aberglauben,
Und dass es keine Wunder gibt.

Und glauben doch das größte Wunder,
Durch die Geschichte unbelehrt,
Dass Rom sich je vom alten Plunder
Zu ihrer Schlamperei bekehrt!


Edgar Steiger (1858 - 1919): Der bayrische Hirtenbrief. -- In Simplicissimus. --  Jg. 13, Nr. 7, S. 114. -- 18. Mai 1908

Wenn's draußen frech beginnt zu lenzen
Und alles dich zur Sünde hetzt,
Mein Sohn, bedenke wohl die Grenzen,
Die deinem Denken sind gesetzt!

Und wollen dich die Ketzer kirren,
So sage du: der wahre Christ
Darf denken, aber niemals irren --
Wüsst' ich nur, wie das möglich ist!

Die Wahrheit ist stets dagewesen;
Rom zapft sie wie den Wein vom Fass.
Doch die modernen Hypothesen
Sind hinter ihren Ohren nass.

Drum hüte dich, das Zeug zu lesen!
Ja, wären Darwin oder Kant
Ein bisschen früher dagewesen,
Man hätte sie gewiss verbrannt.

Die Kirche liebt die Wissenschaften,
Das weiß man seit Sankt Benedikt.
Drum hat sie, die sich drein vergafften,
Schnell in die Ewigkeit geschickt.

Dort können sie nun fortstudieren
Und schauen, wie der Hase lief.
Die Kirche aber schützt die Ihren
Durch einen schönen Hirtenbrief.



Abb.: Zum Preise des Höchsten / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- Jg. 13, Nr. 24, S. 393. -- 14. September 1908

"Auch über uns wacht Gott! Wenn er die Wanzen bellen ließe, könnt keener von uns schlafen."



Abb.: Logik / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In Simplicissimus. -- Jg. 13, Nr. 25, S. 408. -- 21. September 1908

"Jeggerl, san dö Pfarrer dick! Da möcht' i erstamal an liab'n Gott sehgn."



Abb.: Kirchen-Reklame / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In Simplicissimus. -- Jg. 13, Nr. 29, S. 485. -- 19. Oktober 1908

"Warum läuten s'denn heut die ganze Zeit?" -- "Na wissen S', die wollen sich bloß bemerkbarmachen, weil koa Mensch nei' geht."



Abb.: Predigttext für Hofprediger / Karikatur von Rudolf Wilke (1873 - 1908). -- In Simplicissimus. -- Jg. 13, Nr. 33, S. 542. -- 16. November 1908

Sirach Kap 23, Vers 33: "O, dass ich könnte ein Schloss an meinen Mund legen und ein fest Siegel auf mein Maul drücken, dass ich dadurch nicht zu Fall käme, und meine Zunge mich nicht verderbte!"


1909



Abb.: Dornsteiner Bote : Organ für das katholische Volk. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 1, S. 4. -- 5. April 1909

Einladung zum Abonnement

Der "Dornsteiner Bote" trägt die Devise für Religion und Sitte, für Fürst und Vaterland und eignet sich deshalb auch als Insertionsorgan in hervorragendem Maße. Unser politischer Teil trägt den Bedürfnissen des katholischen Volkes in weitestem Maße Rechnung und sind wir bestrebt, durch kräftiges Eintreten für alle Forderungen unserer heiligen Kirche auch fernerhin das Wohlwollen einer hochwürdigen Geistlichkeit zu erringen, sowie auch einem verehrten Leserpublikum stets das Neueste zu bieten und der p.p. Geschäftswelt von Dornstein und Umgebung in jeder Beziehung entgegenzukommen. Neben einem hervorragenden politischen Teil werden wir unsere Aufmerksamkeit stets auf die lokalen Bedürfnisse zuwenden, wie auch durch Scherz und Ernst für die Unterhaltung der Leserwelt Sorge tragen.

Einer hochwürdigen Geistlichkeit wie hohem Beamtenkörper und p.p.Geschäftswelt und Publikum ergebenster

Verlag und Redaktion

Für Religion und Sitte! Für Fürst und Vaterland!



Abb.: Die grimmigsten Gegner der Erbschaftssteuer. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 14, S. 225. -- 5. Juli 1909

sehen sich in ihren heiligsten Gütern bedroht.



Abb.: Desillusion / Karikatur von Ernst Heilemann (1870 - ). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 14, S. 230. -- 5. Juli 1909

"Das hat man von der dummen sexuellen Aufklärung! Die pikanteste Lektüre macht einem keinen Spaß mehr."


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Geschichte einer Ehe. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 14, S. 239. -- 5. Juli 1909

Sie war eine hübsche Putte
Und er ein eitler Aff'.
Drum gingen sie schnell aufs Standesamt
Und wurden zu ewiger Eh' verdammt,
Das Bäffchen1 und die Kutte,
Der Junker und der Pfaff.

Sie sprachen: "Ihr Herren und Damen,
Denkt stets an Tod und Grab!
Dort oben werden wir alle gleich,
Den armen gehört das Himmelreich.
Drum nehmen in Christi Namen
Wir euch den Mammon ab."

Und siehe! Des Himmels Segen
Ruht' auf dem würdigen Paar.
Sie strebten nur nach himmlischem Ruhm
Und machten in Korn und Christentum.
Wir hungerten ihretwegen
So manches dürre Jahr.

Da, mitten im Ehefrieden,
Fand er eine andere nett,
Und sie, nicht faul, sprach: "Geh nur! Geh!"
Und lebte selber in wilder Eh'.
Da wurden die beiden geschieden,
Geschieden von Tisch und Bett.

Doch dauert es gar nicht lange,
Da tat es den ärmsten leid.
Durch die Zwietracht litt das Geschäft sehr,
Und das Christentum rentierte nicht mehr.
Da dachten sie beide bange
Der alten seligen Zeit.

Und eh' vergangen zwei Jährchen,
Geht's wieder zur heiligen Eh'.
Und den Menschen zum Trost und Gott zum Ruhm
Blüht neu Kornwucher und Christentum.
Wir gratulieren dem Pärchen
Und zahlen die Zeche -- juchhe!

Erklärung:

1 Bäffchen (Beffchen): Teil Kragenstück am Talar evangelischer Geistlicher


Abb.: Beffchen
[Bildquelle: Wikipedia]


Niederbayrische Predigt (zu einer Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 16, S. 271. -- 19. Juli 1909

Indem wir ins wieder in Christo versammelm,
Schaugt's nur aufa, ös g'scheete Rammeln.
SchaugT#s nur her auf mei g'weichte Hand,
Ös abscheilige Christen überanand,
Was i da hab! Jetzt sagt oana g'wiss:
"A Maß!" Na -- a Nahrungsmittel is,
Und g'wissermaßen is aa'r a Symbol
Fürs irdische Glück und 's geistige Wohl.

In Christo Geliebte, ös habt's as ja g'lesen,
Dös san halt wieder vom Zentrum oa gw'wesen,
De wo im Reichstag fürs Bier ham g'redt.
Gel, wenn ma jetza koa Zentrum net hätt,
Nacha waar's glei aus mit 'm schwoab'n und bürst'n
Nacha wurd's ös aus Mangel an Nahrung verdürst'n,
Und verschwinden tat bald auf Erden hier
Der heilige Glaub'n und dös billige Bier.

Drum sag i no mal: Dös is a Symbol
Fürs leibliche Glück und fürs geistige Wohl.
Wer gibt enk zum Himmel an richtigen Pass?
Wer gibt enk hienieden a billige Maß?
Dös Zentrum gibt's enk. Drum bleibt aa dabei
In spiritu sancto, bei dera Partei!
Amen.


Fritz Sänger: Schulprüfung. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 20, S. 335. -- 16. August 1909

Anlässlich der letzten Ereignisse im deutschen Parlament behaupteten wieder einige Nörgler, es wäre notwendig, in den deutschen Schulen die Bürgerlehre einzuführen; und darauf wurde eine Kommission gewählt, weil man jetzt den Nörglern gründlich den Mund stopfen muss. Diese Kommission kommt in ein Dorf irgendwo im deutschen Vaterlande. Es sind: ein Abgeordneter aus der Mitte, ein Junker und ein Liberaler, die

weiter links dürfen im Leben nicht in eine deutsche Schulstube kommen wegen der Ansteckungsgefahr. Der Herr Kirchenvertreter prüft zuerst. «Wir beten erst ein Vaterunser.» Das geschieht.

«Meier I, wie heißen die Bücher des Alten Testaments?» Meier I wie ein Laufkreisel: «Die fünf Bücher Moses, Das Buch Josua, Das Buch der Richter, Das Buch Ruth» usw. «Gut, sehr gut.» -

«Müller II, kannst du mir die Propheten aufsagen, vor- und rückwärts?» Müller tut's.

«Gut, Kinder, sehr gut. Kommen wir zur Schöpfungsgeschichte. Kann mir einer sagen, zu was hat Gott den Menschen geschaffen?» Allgemeine Stille.

«Na! Denkt doch nach. Ich will einen Spruch haben.» Willi Krenlen hält den Finger hoch. «Na, sag's.»

Krenlen wie eine Kaffeemühle: «Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott» usw.

«Auch gut», meint der Herr Kirchenvertreter, «aber nicht, was ich meinte, ein ganz kurzer Spruch. Zu was schuf Gott den Menschen, na, wer kann es sagen?» Pause.

Er will daraufhelfen. «Gott schuf den Menschen ---- na -»

Müller II: «Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde.» Kirchenvertreter sehr erfreut: «Ganz richtig, kannst du mir den ganzen Spruch sagen?»

Müller II: «Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.»

«Aber natürlich, Kinder, da steht es doch. Ich sehe schon», sagt der Herr Kirchenvertreter zum Lehrer, «es ist gut, es ist sehr gut, die deutsche Schule ist auf der Höhe der Zeit, aber wenn die Herren Kollegen nachprüfen wollen?» Der Herr Baron tritt vor.

«Kinder, sagt mal», sagt der Herr Baron, «wer ist die wichtigste Person im Lande?» «Der König.»

«Janz jut. Wie redet man den König an?» «Euer Majestät.»

«Janz jut. Ihr werdet zwar je mit dem König zu sprechen wohl kaum die große Gnade haben, aber sagt, warum tut man das, warum sagt man nicht einfach Herr König?» Stille. -

«Na, Kinder, von was ist der König?» Neues Erstaunen. Der kleine Peter meldet sich. «Na, Kleiner?» «Von Gottes Gnaden ist er.»

«Von Gottes Gnaden ist er, janz jut, sehr jut, und darum sagt man Majestät.»

Der Herr Baron ist sehr zufrieden. «Ich finde auch, dass die Kinder vollständig jenug wissen, aber wenn's der Herr Kollege ------?»

Der Liberale, ein Kaufmann, tritt vor: «Kinder, könnt ihr auch rechnen?» «O ja.»

«Gut, ich glaub's; schreiben und lesen?» «Ja», schreien alle.

«Gut, das glaube ich auch. Nun sagt mal, ihr seid Deutsche, nicht wahr?» Im Chore: «Ja.»

«Also hört mal, was ist das, <Deutschland>?» Allgemeines Schweigen. Endlich nach langer Pause meldet sich Schulze III: «Deutschland ist über alles.» «Ja», sagt der Abgeordnete lächelnd, «so heißt es in dem Lied; na, ich will es euch sagen, Deutschland ist ein Bundesstaat.»

Alle Kinder schauen sich verblüfft an. Der Lehrer wird unruhig.

«Dann sagt mal, Kinder, was habt ihr als Deutsche für Rechte?»

Die allgemeine Verständnislosigkeit wächst, auch der Herr Lehrer nimmt daran Anteil, der Herr Baron und der Kirchenvertreter schütteln nachdenklich die Köpfe. Der Kaufmann will sich besser ausdrücken: «Seht, Kinder, im alten jüdischen Staat gab es gewisse Gesetze.» Jetzt kommt wieder Leben in die Kinder.

Meier I meldet sich: «Die zehn Gebote.» «Ganz richtig, und auch andere Gesetze; wo waren die aufgeschrieben?»

Allgemeines Freuen, jeder antwortet: «In den fünf Büchern Moses.»

«Ganz richtig», sagt der Kaufmann, «und wir Deutsche haben doch auch Gesetze, wo sind die aufgeschrieben?» Wieder allgemeines Erstaunen, atemlose Stille. «Na, ihr habt doch vom Bürgerlichen Gesetzbuch gehört und von der deutschen Verfassung?» Alle schauen sich verwundert an.

Der Lehrer tritt unruhig von einem Bein auf das andere. Der Kaufmann will den Kindern helfen.

«Na», sagt er, «der Herr Lehrer hat doch gewiss einmal von der Verfassung gesprochen.» Niemand weiß was.

Endlich meldet sich der kleine Peter: «Ja, hat er, aber ich mog's nit sagen.» «Na, sag's nur.» «Aber i trau nit.» «Sag's.»

«Ja, es ist mir einmal etwas passiert, weil ich habe Kirschen gegessen und Milch getrunken. Dann hat der Herr Lehrer so geschaut und hat gesagt, Peterl, hat er gesagt, in dieser Verfassung sollte dich die Prüfungskommission sehen.»

Nachdem sich die Fröhlichkeit über diesen Fall verlaufen, will der Kaufmann noch etwas sagen; aber die andern halten es durchaus für überflüssig, weiter zu prüfen, und die Majorität entscheidet.

So verlief die Enquete des deutschen Reichstages über die deutschen Volksschulen.

Die Kommission gab das Votum ab, dass die Volksschulen vortrefflich wären und keinerlei Veränderung des Lehrstoffes empfehlenswert sei.

Dieses Votum wurde mit zweidrittel Mehrheit gefasst und damit war die Sache erledigt.



Abb.: Erntewagen 1909. -- Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 14, Nr. 21, S. 337. -- 23. August 1909

Ihr Pfaffen, nur recht aufgefrachtet!
Dem Stimmvieh, das euch länger achtet,
Hat unser Herr viel Kraft verliehen,
Es wird den Wagen weiter ziehen


Spanien (zu einer Karikatur von Wilhelm Schulz (18765 - 1952)). -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 14, Nr. 23, S. 384. -- 6. September 1909

Lasst euch mit Rosenkränzen nur erwürgen
Von Dieben, die euch Seligkeit verbürgen,
So könnt ihr doch ein mahnend Beispiel geben,
Wie glücklich Völker unter Pfaffen leben.



Abb.: Aus einer Landpredigt / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 14, Nr. 29, S. 484. -- 18. Oktober 1909

"Hat man schon gehöret, dass Gott Vater und ott Sohn süch gehauet haben? Und hat man wüderum schon gehöret, dass Gott Sohn den heilügen Geist getratzt hat? Und wü die Dreieinigkeit Gottes in Früden läbet, so soll auch der Bauersmann mit seiner Kürche und mit seinem Könige in Früden läben!"


Vom Tage. -- In: Simplicissimus. -- Jhrg. 14, Nr. 29, S. 491. -- 18. Oktober 1909

Am Tage nach dem Verbot des Simplicissimus auf den bayrischen Bahnhöfen ließ sich der liebe Gott beim Eisenbahnminister melden. Er wurde höflich empfangen und eingeladen, Platz zu nehmen. "Nein, danke," sagte er, "aber ich wollte Eure Exzellenz bitten, nun auch die Zentrumsblätter zu verbieten. Wenn ich auch kein Wittelsbacher bin -- aber wie ich täglich von der klerikalen Presse lächerlich gemacht werde, dös is einfach a Saustall."


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Gesang der schwarzen Engel. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 31, S. 512. -- 1. November 1909

Singt ein Tedeum1! Er2 ist geköpft!
Ihr Kutten, tanzet dem Siegesreigen!
Haben wir erst das Land geschröpft,
Lehren wir jetzt die Ketzer schweigen.
Seht doch! Europas Pfaffenheit
Hüpft wie ein Rudel trunkner Flöhe.
Willkommen, du alte, du gute Zeit!
Ehre sei Gott in der Höhe!3

Wollüstig schnuppernd am Boden kriecht
Das Gewürm in allen Staaten.
Heiliger Torquemada4, es riecht
So lieblich nach Ketzerbraten.
Nach einer Erbauung am Blutgerüst
Tut's doppelt wohl, dem Volk zu begegnen:
Da packt den Frommen ein eigen Gelüst,
Mit blutigen Händen zu segnen.
Das Kreuz ist ja nur der Griff am Schwert,
Und räudige Ketzer werden
Mit dem einen oder dem andern bekehrt --
Und Friede auf Erden!3

König Alfons5, was zittert die schmale Hand,
Die das Urteil unterschrieb?
Seht Ihr den Schatten dort an der Wand?
Er holt schon aus zum Hieb.
Im roten Mantel steht bereit
Euer Kollege mit der Hippe.
König Alfons, ach! es tut mir leid
Um die schöne Unterlippe.
Doch tröstet Euch! Ein Requiem6 töt,
Wenn Ihr von hinnen gefahren,
Auch seid Ihr Bourbonen7 dran gewöhnt
Seit mehr denn hundert Jahren.
Auch lässt Hochwürden am heiligen Ort
Zu Ehren Euch ein Tedeum erschallen:
"Hie Pfaffenherrschaft und Fürstenmord
Und an den Menschen ein Wohlgefallen!3"

Erklärungen:

1 Tedeum

"Tedēum (lat.), Hymnus in der katholischen Kirche, der sogen. Ambrosianische Lobgesang nach den Anfangsworten: »Te deum laudamus« (»Dich, o Gott, loben wir«); hauptsächlich im Gebrauch bei Dankgottesdiensten und beim Brevier als Schluss der Matutin."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Er = Francesc Ferrer i Guàrdia

Francesc Ferrer i Guàrdia (* 10. Januar 1859 in Alella bei Barcelona; † 13. Oktober 1909 in Barcelona) war ein libertärer spanischer Pädagoge.

Leben

Francesc Ferrer i Guàrdia stammte aus einer streng katholischen Familie. Er selbst entwickelte sich zum Gegner der Religion und trat der Freimaurerloge Verdat in Barcelona bei. Als Unterstützer des gescheiterten Versuchs Ruiz Zorillas, die Republik auszurufen, musste er 1885 nach Paris ins Exil gehen.

1901 kehrte er nach Spanien zurück und eröffnete eine Reformschule, die Escuela Moderna. Aufgrund seiner (insbesondere für die damalige Zeit) radikalen, am Anarchismus orientierten reformpädagogischen Konzepte war er heftigen Anfeindungen ausgesetzt. 1906 wurde er unter dem Verdacht, in ein Attentat auf König Alfons XIII. verwickelt zu sein, verhaftet und über ein Jahr lang festgehalten. Gewisse Kreise der Kirche hatten die Aburteilung vor einem Kriegsgericht gefordert, aber die spanische Regierung entschied sich aus politischen Gründen dagegen. Die Schule musste daraufhin schließen.

1909 wurde nach anarchistischen Aufständen in Barcelona („die tragische Woche“) das Kriegsrecht ausgerufen. Ferrer wurde beschuldigt, in die Aufstände verwickelt zu sein. Man stellte ihn vor ein Kriegsgericht. Ohne sich verteidigen zu dürfen und ohne die Möglichkeit von Zeugenaussagen zu seiner Verteidigung wurde er ohne jegliche Beweise zum Tode verurteilt. Das Todesurteil rief auf der ganzen Welt Entrüstung hervor. Entgegen der allgemeinen Hoffnung, König Alfons XIII. würde das Todesurteil nicht unterschreiben, unterschrieb er es dennoch.

Am Tag seiner Verurteilung brachte man ihn in eine Zelle, die wie eine Kapelle eingerichtet war. Die katholische Kirche wollte ihm geistlichen Beistand leisten, was er aber energisch ablehnte.

Bevor er stehend erschossen wurde, ging sein letzter Gruß an seine Schule:

„Ich bin unschuldig. Es lebe die moderne Schule!“ (Original spanisch: ¡Soy inocente! ¡Viva la Escuela Moderna!)

 egriffen. Mehrere an der "Escuela Moderna" orientierte Schulen entstanden („Modern Schools“ oder „Ferrer Schools“ genannt), die erste 1911 in New York City."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Francisco_Ferrer. -- Zugriff am 2007-12-06]

3 Ehre sei Gott in der Höhe ...: Lukasevangelium 2,14

4 Torquemada

"Thomas de Torquemada, span. Inquisitor, geb. 1420 in Valladolid, gest. 16. Sept. 1498 im Kloster von Avila, getaufter Jude, war 22 Jahre lang Prior des Dominikanerklosters in Segovia, 1482 Adjunkt der Inquisition, seit 1483 General- oder Großinquisitor in Kastilien und Aragonien. Als solcher hat er seinen Namen mit Fluch und Blut beladen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 König Alfons XIII. (1886 - 1941) von Spanien

6 Requiem

"Requĭem (lat.), in der römisch-kath. Kirche die stille oder gesungene Seelen- und Totenmesse (Missa pro defunctis), die ihren Namen von den Anfangsworten des Introitus: »R. aeternam dona eis« (»die ewige Ruhe gib ihnen«) erhalten hat. Das R. hat vier Meßformulare: für den Tag des Begräbnisses (in die obitus), für den Jahrestag des Todes (in anniversario, Jahrtag), für das Gedächtnis Allerseelen (in commemoratione omnium fidelium) und für die gewöhnlichen Tage (in missis quotidianis). Das R. darf nur in schwarzen Paramenten und an gewissen Tagen zelebriert werden und hat gegenüber der andern Messe kleine Abweichungen; so fehlt der Psalm Judica beim Stufengebet, das Gloria, Credo, Alleluja, das Friedensgebet vor der Kommunion und der Schlußsegen; nach dem Tractus folgt die Sequenz: »Dies irae, dies illa« (s. d.); das Agnus Dei schließt mit: »Dona eis requiem« und die Messe mit: »Requiescat in pace« statt dem üblichen: »Ite missa est«. Das Orgelspiel soll möglichst schweigen, der Gesang ernst sein."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Bourbonen: französisches Geschlecht des Hochadels, 1792 durch die Französische Revolution gestürzt, durch Restauration 1814/15 wieder eingesetzt, 1830 in Frankreich endgültig gestürzt. Seit 1712 sind die spanischen Könige bourbonischer Abstammung.



Abb.: Triumph des Fortschritts / Karikatur von Ernst Heilemann (1870 - ). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 31, S. 516. -- 1. November 1909

"Hören Sie mir auf mit den Ewigkeitswerten, die sind jetzt auch passé."


Vom Tage. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14 (1909/1910)

Das orthodoxe Blatt „Zions Wachtturm" [Zions Wacht-Turm und Verkünder der Gegenwart Christi / Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft. -- Barmen] bringt anlässlich des hundertjährigen Geburtstages Darwins einige von tiefem Verständnis zeugende Ausführungen; wir geben sie hier wieder, schon weil wir annehmen, dass sie von „Zions Wachtturm" in dem berechtigten Wunsche gedruckt worden sind, es möge ihnen eine tunlichst weite Verbreitung zuteil werden:

„. . . Hier setzt der Widerstreit ein zwischen dem Worte Gottes und der sogenannten modernen Wissenschaft, vor welcher alle Welt, vorab die Gebildeten, einschließlich der führenden Geistlichen und Professoren der Theologie, Bücklinge machen, voll Ehrerbietung für den wissenschaftlichen Gott .Evolution'. Diese Gelehrten reden und denken über die Natur, als wäre sie Gott. Weil sie unter dem Mikroskop Zellen sich haben gruppieren und spalten sehen, so wähnen sie, die ganze organische Welt habe sich in dieser Weise aufgebaut. Der Zellenbau habe begonnen, und dann sei die Zeit gekommen, wo eine Zelle gefunden habe, ein Schwanz wäre ihr nützlich, und habe daher einen angesetzt. Ein noch gescheiterer Nach-

komme dieser Zelle habe gefunden, Schuppen und Flossen seien ihm nützlich, und habe daher solche entwickelt. Noch später sei ein solches Wesen auf der Flucht vor einem hungrigen Mitwesen aus dem Wasser gesprungen und dadurch auf den Gedanken gekommen, es könnte Flügel gebrauchen . . . Aber in einer bestimmten Zeit kam einer dieser Nachkommen der ersten Zelle, welche es bereits bis zum Affen gebracht habe, auf einen großartigen Gedanken; er sagte zu sich selbst: ,Ich will meinen Schwanz ablegen, hinfort nicht mehr auf den Händen gehen, und mein Haarkleid will ich abstreifen, und eine Nase will ich bilden und eine Stirn und ein Gehirn, das sittliche Gedanken haben und überlegen kann, und dann will ich mir Kleider schneidern lassen und einen Zylinderhut aufsetzen und mich Darwin, Doktor der Wissenschaft, nennen und die Geschichte meiner Entwicklung schreiben."'


1910


Hocus-Pocus. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 43, S. 744. -- 24. Januar 1910

Ein harter Herr, den frech und gierig
Der heiße Hunger trieb nach Gold,
Betrügerisch und kalt und schmierig;
So war der König Leopold1.

Nie trübte Mitleid mit den Armen
Die geile Freude am Gewinn,
Nie rührte menschliches Erbarmen,
Nie streifte Ehre seinen Sinn.

Erpresst, geraubt, geheim gestohlen
Ein Leben lang. Da muss er fort
Und lässt sich einen Pfarrer holen;
Jetzt kommt die Heiligkeit zum Wort.

Die gute Kirche übt die nette
Und schöne Kunst für reichen Lohn:
Sie macht den Lump im Sterbebette
Zum Engelein vor Gottes Thron.

Man weiß in Mecheln und in Brüssel,
Dass Leopold jetzt selig ist,
Und spricht mit Salbung um den Rüssel:
Er starb katholisch und als Christ.

Simplicissimus

Erklärung:

1 Leopold II. von Belgien

"Leopold II. (* 9. April 1835 in Brüssel; † 17. Dezember 1909 auf Schloss Laeken, Brüssel; eigentlich Leopold Ludwig Philipp Maria Viktor, franz. Léopold Louis Philippe Marie Victor, ndl. Lepold Lodewijk Filips Marie Victor) aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha war bis 1865 Herzog von Brabant und Prinz von Belgien und folgte seinem Vater Leopold I. auf den Thron. Von 1865 bis 1909 war er König der Belgier.

Leopold II. galt als hervorragender Diplomat und Geschäftsmann. Das bemerkenswerteste an seiner Regentschaft waren seine Aktivitäten im Kongo, wo er den Freistaat Belgisch-Kongo gründete, dessen persönlicher Eigentümer er von 1885 bis 1908 war. Zu dieser Zeit wurde aus dem Kongo vor allem Elfenbein und Kautschuk exportiert. Die einheimische Bevölkerung wurde dabei schwer misshandelt und ausgebeutet. Wie viele Menschen bei diesen sogenannten Kongogräueln ums Leben kamen, ist umstritten. Adam Hochschild, der sich mit der Kolonialzeit in Belgisch-Kongo besonders intensiv auseinandergesetzt hat, schätzt die Zahl auf zehn Millionen Einwohner. 1908 wurde das riesige Territorium Eigentum des belgischen Staats und im Zuge dessen in Belgisch-Kongo umbenannt."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_II._%28Belgien%29. -- Zugriff am 2007-12-06]

"Unter der Bezeichnung Kongogräuel wurde die systematische Ausplünderung des Kongo-Freistaats etwa zwischen 1888 und 1908 mittels Sklaverei und Zwangsarbeit zur Kautschukgewinnung bekannt. Ungefähr 10 Millionen Kongolesen fanden dabei den Tod.

Ursache

Auf der Kongo-Konferenz von 1884/85 in Berlin wurde das Kongobecken mitsamt seinem Hinterland dem König von Belgien, Leopold II., zugesprochen. Somit nahm die Kolonie eine Sonderrolle ein: Während die anderen Kolonien auf der Welt von einem Staat verwaltet und regiert wurden, war der so genannte Kongo-Freistaat seit 1885 persönlicher Privatbesitz des Königs.

Es herrschte der „Kautschukboom“. Der von Henry Wickham ausgehenden Methode des Kautschukanbaus zur Gummireifenproduktion begegneten im Kongo-Freistaat beste Voraussetzungen mit der größten natürlichen Fläche an Bäumen mit Kautschuk-Ranken. Die gleichzeitig in Asien und in der Karibik angelegten künstlichen Kautschuk-Plantagen würden erst in 20 Jahren rentabel werden, so dass eine zeitlich begrenzte gewinnträchtige Monopolstellung gegeben war. Von nun an überzog ein staatlich eingerichtetes und organisiertes Zwangsarbeitssystem das Land.

Um die Schwarzen zu zwingen, soviel Kautschuk wie möglich zu sammeln, was mit dem Erklettern der Bäume verbunden war, erwies sich ein einfaches Aneinanderketten der Menschen als unpraktikabel. Die Lösung boten zwei Ideen an: Die Geiselhaft und das Hände-Abhacken.

Geiselhaft

Jedem Dorf wurden Quoten nach Liefermenge und -frist auferlegt (entweder in zwei oder in vier Wochen - je nach Entfernung des Dorfes von der nächsten Sammelstelle). Als Gewähr wurden die Frauen als Geiseln genommen. Kamen die Männer zu spät oder lieferten nicht genügend Kautschuk ab, wurden die Frauen umgebracht. Oft starben die Frauen durch die Entbehrungen in der Geiselhaft. Auch Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung.

Oft hackten die Männer die gesamte Kautschuk-Ranke ab, was mehr einbrachte. Die Ranke jedoch starb ab, so dass die Männer mit der Zeit immer weiter in den Dschungel mussten, um genügend Material zu finden. In Reaktion darauf wurde das Abhacken der Ranke verboten und mit dem Tode bestraft.

Weigerte sich ein Dorf oder gab es einen Aufstand, wurde es zerstört und alle Bewohner, Frauen, Männer oder Kinder, wurden erschossen.

Die geforderte Kautschukmenge war so hoch, dass sie eigentlich nur durch unablässige Arbeit bei Tag und Nacht gewonnen werden konnte. Wer die geforderte Menge nicht erreichte, galt als faul und wurde hart bestraft.

Hände-Abhacken


Verstümmelte Kongolesen

Die andere ausgeübte Methode war das Hände-Abhacken. Die Force Publique, wie die Armee des Kongo-Freistaats hieß, bestand aus Schwarzen – nur die Offiziere waren Weiße. Über jede abgegebene Patrone wurde genau Buch geführt. Damit die Soldaten mit ihrer Munition nicht auf die Jagd gingen oder sie etwa für einen Aufstand zurückbehielten, musste genau Rechenschaft für jede abgeschossene Patrone gegeben werden. Dies wurde durch die Formel „für jede Kugel eine rechte Hand“ gelöst: Für jede Kugel, die abgeschossen wurde, mussten sie den von ihnen Getöteten die rechte Hand abhacken und sie als Beweis vorlegen. Oftmals wurden Lebenden die Hände abgehackt, um verschossene Munition zu erklären.

Es kam auch vor, dass „motivierte“ Soldaten (die sehr viele Hände zurückbrachten) frühzeitig aus dem harten Dienst in der Armee entlassen wurden. Auch diese Vorgehensweise begünstigte das Hände-Abhacken. Die Hände wurden geräuchert, um sie länger haltbar zu machen, da es lange dauern konnte, bis ein weißer Vorgesetzter die Anzahl der Hände kontrollieren konnte.

Widerstand

Durch einzelne engagierte Missionare, die sich zur Wehr setzten, gelangte das Geschehen an die Öffentlichkeit. Das ganze Ausmaß der Gräuel wurde jedoch in Europa aufgedeckt, als Edmund Dene Morel, ein Angestellter der Reederei, die das Monopol auf den Handel mit dem Kongo-Freistaat hatte, aufdeckte, dass mit der Kolonie gar kein Handel betrieben wurde, sondern die Schiffe, die in die Kolonie fuhren, praktisch nur mit Waffen und Munition beladen waren.

Morel startete in der Folge die erste internationale Menschenrechtsbewegung und erreichte besonders in Großbritannien und den USA ein großes Echo der Empörung. Die soeben erfundene Erfindung der Photographie führte das Ausmaß der Unterdrückung eindrücklich vor Augen. Fotos von Schwarzen mit abgehackten Händen oder Füßen machten daraufhin in Europa und den USA die Runde. 1903 untersuchte Großbritannien die Anschuldigungen gegenüber Leopold II. und seinem Regime im Casement-Bericht, in dem sämtliche Vorwürfe Morels bestätigt wurden. Unter internationalem und nationalem Druck (in Belgien war Leopold II. unbeliebt), gab der König schließlich nach: 1908 verkaufte er den Kongo - zu einem überhöhten Preis - an den belgischen Staat. Die Kolonie erhielt nun den Namen „Belgisch-Kongo“. Geiselhaft und Hände-Abhacken verschwanden; die Zwangsarbeit wurde 1910 offiziell abgeschafft.

Ausblick

Mit der Verwaltung durch den belgischen Staat verbesserte sich allmählich die Situation der Schwarzen. Jedoch wurde trotz offiziellen Verbots die Zwangsarbeit zunächst weiter geduldet. Äußere Umstände bildeten den Hauptgrund für die Veränderungen: Der Großteil der Kautschukbäume war abgeholzt, und die in der Karibik und in Asien angelegten Kautschukplantagen konnten mittlerweile genutzt werden.

Schon Zeitgenossen schätzten, dass im Kongo-Freistaat die Hälfte der Einwohner durch Zwangsarbeit, Hunger, die Grausamkeit der Verwaltung sowie durch Krankheiten ums Leben kam. 1924 ermittelte Belgien, dass in Belgisch-Kongo etwa 10 Millionen Einwohner lebten. Somit dürften in den 23 Jahren der Herrschaft Leopolds etwa 10 Millionen Menschen ums Leben gekommen sein. Viele Historiker bezweifeln diese Zahl hingegen als zu hoch.

Das System Leopolds II. war nicht einzigartig. Als in Französisch-Kongo, Gabun oder Deutsch-Kamerun die Kautschuk-Produktion anlief, wandten beide Kolonialmächte dieselben Methoden an: Zwangsarbeit und Sklaverei. Auch in diesen Kolonien wurde die Zahl der Ureinwohner um etwa die Hälfte reduziert.

Literatur
  • Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines fast vergessenen Menschheitsverbrechens. Stuttgart 2000.
Film
  • Weißer König, Roter Kautschuk, Schwarzer Tod, von Peter Bate, Belgien 2004"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kongogr%C3%A4uel. -- Zugriff am 2007-12-06]


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Pater Auracher. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 44, S. 773. -- 31. Januar 1910

Nehmt euren Strick, ihr Kapuziner,
Und geißelt den verruchten Leib!
Schon wieder nahm ein Gottesdiener
Ein Eheweib, ein Eheweib.

Und leider nicht das eines andern,
Mit dem man schnell die Zeit vertreibt,
Wenn plötzlich im Vorüberwandern
Man mit dr Kutte hängen bleibt.

O nein! Es brach der Gottverdammte
Ganz frech den heil'gen Zölibat
Und schloss mit ihr vorm Standesamte
Das staatliche Konkubinat.

Ein hoher Priester -- dreimal wehe! --
Als wär' er auch nur Fleisch und Bein,
Wagt es, in sogenannter Ehe
Ganz offen Mensch und Mann zu sein.

Als Rom die Kunde kam zu Ohren,
Da sprach es kalt: "Was beißt mich da?
Der Mensch hat den Verstand verloren --
Anathema! Anathema!1"

Die Regel gilt in allen Orden
Für alle, die die Kutte drückt:
Ist einer erst gescheit geworden,
Erklärt ihn Rom gleich für verrückt.

Erklärung:

1 Anathema = verflucht = mit dem Kirchenbann belegt (exkommuniziert)



Abb.: Religiöser Hochstapler / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 47, S. 818. -- 21. Februar 1910

"Sonderbar, sobald ich aus der Oberpfalz 'nauskomme, glaubt kein Mensch mehr, dass ich der Bruder vom lieben Gott bin!"


Ultramontane Hochschule (zu einer Karikatur von von Wilhelm Schulz (1865 - 1952)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 14, Nr. 50, S. 878. -- 14. März 1910

Herr Bethmann1, das ist nix,
Sie kennen keine Tricks!
Wie man mit schönem Anstand lügt
Und unser dummes Volk betrügt,
Das kann der Klerus bloß.
Der hat die Sache los.

Mit griwes grawes vobiscum
Kriegt er das liebe Rindvieh rum.
Drum lernen Sie zu drehen,
Von hinten rum zu gehen,
Zu schwindeln und zu deuteln
Von schwarzen Lügenbeuteln!

Erklärung:

1 Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921), Reichskanzler von 1909 bis 1917.


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Der Urlaub. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 3, S. 51. -- 21. März 1910

Hochwürden sind, was man so heißt,
Auf unbestimmte Zeit verreist.
Die Aufregung der letzten Tage --
Das sieht ein jeder -- war zu groß.
Kindsvater sein, Gericht und Klage,
Das macht den Frömmsten nervios.
Er muss ins Ausland, andre Luft
Einziehn in die verschleimten Röhren,
Und wenn der Staatsanwalt ihn ruft,
So braucht er's drüben nicht zu hören.
Nur tüchtig trinken, tüchtig essen
Und, was dahinten liegt, vergessen.
Man bleibt ja immer, was man is,
Character indelebilis1,
Kann in Gebet und guten Werken
Die abgespannten Nerven stärken,
Ein Meineid ist ein Meineid zwar --
So denken leider doch die meisten.
Doch ist die Kirche in Gefahr,
So kann man sich dergleichen leisten.
Das Mädchen mit dem Priesterkind
Lernt unterdes das Zuchthaus kennen;
Hochwürden, die der Vater sind,
Geruhten vorher durchzubrennen.
Doch haben sie Matthäi am letzten
In München Abschied erst genommen
Und von dem höchsten Vorgesetzten
Erbetnen Urlaub auch bekommen.
Natürlich nur aus Nächstenliebe,
Die da, wo keine Rettung bliebe,
Den Mantel breitet über alle
Und jedem Sünder Gnade schenkt -- --
Wüsst' ich nur, was in diesem Falle
Der Staatsanwalt zu tun gedenkt!

Erklärung:

1 character indelebilis: das unauslöschliche Zeichen, das durch das Sakrament der Priesterweihe in die Seele des Priesters geprägt ist, wodurch er Priester auf ewig bleibt.



Abb.: Aus Oberammergau / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 10, S. 172. -- 6. Juni 1910

Als Beweis für die tiefgreifende und erhebende Wirkung des Passionsspiels wird uns berichtet, dass nach der letzten Vorstellung ein Engländer den Judas niedergeboxt hat.



Abb.: Abnützung / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 14, S. 233. -- 4. Juli 1910

"Früher hamm halt d' Leut' do no mehr Glaub'n g'habt." -- "Ja, aber damals hab'n s' 'n aa net so strapaziert."


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Excommunicatio major. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 16, S. 275. -- 18. Juli 1910

1.

Warum hast du nicht Gelder unterschlagen
Wie weiland Pondorfs Pfarrer Münsterer?
Im Kloster würde niemand darnach fragen
Und in Italien ist's nicht finsterer.

Warum hast du zum Meineid nicht verleitet
Das Mädchen, dem du erst ein Kind gemacht?
Man hätte selber dich zur Bahn begleitet
Und hinterdrein ins Fäustchen noch gelacht.

Wer hieß dich Tor die plumpe Wahrheit sagen,
Die dir manch durchgewachte Nacht geschenkt?
Die Kirche kann's nun einmal nicht vertragen,
Lässt einer sich's anmerken, dass er denkt.

2.

Seit Pfingsten liegt beim Nuntius die Bulle,
Und alle sind zum Fluchen schon bereit.
Doch reicht dem Kind die dicke Butterstulle
Ein kluger Vater erst zur Vesperzeit.

Das heißt, sobald der Landtag auseinander
Und kein Krakeeler, der sie störte, da,
Dann reibt der Bischof dir den Salamander --
Ad exercitium! Anathema!

Dann wird die Kirche fürchterlich sich rächen,,
Und jeder Luki, der ans Dogma glaubt,
Darf dich auf offner Straße niederstechen --
Das heißt, wenn es der Staatsanwalt erlaubt.



Abb.: Nach Spaniens Abfall / Karikatur von Paul Schondorff. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 18, S. 294. -- 1. August 1910

Wo einstens man den Luther fand,
Ist Petri letztes Futterland.


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Toleranz. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 18, S. 307. -- 1. August 1910

Wir sind die Orthodoxen.
Wir brüllen wie die Ochsen
Und stoßen voller Zorn
Ins Scheunentor das Horn

Karl Marx ist unsre Bibel,
Kautsky1 die Kinderfibel,
Und wer da selber denkt,
Wird kurzerhand geschwenkt.

Wir sind die Kirchenväter.
Wer einen Millimeter
Vom wahren Glauben wich,
Der bratet ewiglich.

Nach altem Kirchenstile
Beschließen die Konzile,
Was bis nach Kamerun
zu glauben und zu tun.

Und wer dagegen handelt,
Wird öffentlich verschandelt.
Und wer nicht lügen kann,
Verfällt dem Kirchenbann.

Was brauchen wir Personen?
Wir haben ja Schablonen,
Und was nicht passt hinein,
Das hat kein Recht zu sein.

Verboten ist der Zweifel.
Die Freiheit geh' zum Teufel!
Es lebe die Disziplin!
Wo kämen wir sonst hin?

Erklärung:

1 Karl Kautsky (1854 - 1938): führender Theoretiker der deutschen und internationalen Sozialdemokratie.


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Undank. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 20, S. 339. -- 15. August 1910

"Auch du, mein Sohn?" So hört man es röcheln.
Und ein Greis mit klappernden Knöcheln
Schleicht durch die Pinien des Vatikans,
Ängstlich lauschend dem Krähen des Hahns.

"Zweimal gekräht und dreimal verraten!
Spanien, mein Petrus unter den Staaten --
Ist das meiner Weisheit letzter Schluss? --
Gibt seinem Heiland den Judaskuss.

"Hab' dich erzogen zum wahren Glauben
Mit spanischen Stiefeln und Daumenschrauben;
Habe, wenn dich der Teufel bedrängt,
Alle Sünde dir weggesengt;

"Mit Klöstern dich, wie mit Wanzen, gesegnet;
Vom Himmel hat's Mönche und Nonnen geregnet;
Dich zu erlösen durch Christi Blut,
Fraßen sie all dein irdisch Gut.

"Wie sagte mein großer Vorfahr' gleich?
Nur Arme kommen ins Himmelreich!1
Bist du nicht arm? Was willst du mehr?
Allein Gott in der Höh' sei Ehr'!"

Erklärung:

1 Matthäusevangelium 5,3 (Bergpredigt)



Abb.: Ehrlich-Hata 6061 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 20, S. 340. -- 15. August 1910

Eine Deputation des Hamburger Senats bittet Herrn Professor Ehrlich1 flehentlich, die Lustseuche nicht weiter zu bekämpfen, denn sie sei die erfolgreichste Bundesgenossin aller Sittlichkeitsapostel.

Erklärung:

1 Paul Ehrlich (1854 - 1915) und Sahachiro Hata (秦 佐八郎; 1873 - 1938) entwickelten am 31. August 1909 "Präparat 606" (Später: Salvarsan), eine organische Arsenverbindung, mit der eine wirksame Behandlung der Syphilis (Lustseuche) möglich war.


Abb.: Argumente / Karikatur von Paul Schondorff. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 21, S. 345. -- 22. August 1910

"-- -- -- Nun will ich euch aber beweisen, Geliebete, dass es doch eine Hölle gibt. Denn schaut sie doch aan, die Leute, die da sagen, dass er keine Hölle nicht gibt, -- was sind sie denn? Saudumme Rindviecher san s' überanend! -- -- Doch es gibt auch noch andere Beweise dafür, die ihr nur nicht versteht."


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Katholischer Arbeiterfestzug. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 21, S. 355. -- 22. August 1910

Bumbum! Tschintschin! Tschintschin! Bumbum!
Was geht im alten Augsburg um
Mit Weihrauch und mit Knotenstock,
Der ganze Zug ein schwarzer Rock,
Voran der Ko'perator1?

Im Schweiße schwimmt der Gottesmann;
Das Bäuchlein wackelt fromm voran.
O Qual im Mittagssonnenschein
Vier Stunden lang Arbeiter sein! --
Und dann die Herren Meister.

Die Herren Meister -- welche Ehr'! --
Die Köpfe rot, die Beine schwer,
Dass jedes Aug' es sehen kann:
Die Gottesfurcht nährt ihren Mann.
Und dann die Herrn Gesellen.

Die Herrn Gesellen wie zum Tanz,
Zylinderhut und Rosenkranz,
Im Maul für Laib- und Seelennot
Gebete und ein Butterbrot.
Und dann die Handarbeiter,

Die Handarbeiter still und klein,
Sie trippeln ängstlich hinterdrein,
Verwundert, dass bei solchem Fest
Der Herr sie mitmarschieren lässt.
Und dann der Ko'perator.

Der Ko'perator Speichelfluss,
Er macht den Anfang und den Schluss.
Bumbum! Kreist dort im Hintergrund
Nicht schnuppernd - tschin! ein Schäferhund
Und eine Hammelherde?

Erklärung:

1 Ko'prator = Kooperator = Titel katholischer Hilfsgeistlicher


Pius1 horribiliscribifax (zu einer Karrikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 27, S. 439. -- 3. Oktober 1910

Auf und voll von Tintenklecks,
Das ist unser Pontifex!
Schreibt und schreibt und schreibt und schreibt,
Dass Man's gut katholisch bleibt,
Jede Woche ha--ha--ha! --
Eine Mords-Enzyklika.
Borromaea2 oder wenn die
Nicht mehr zieht, kommt die pascendi3,
Und drauf setzt er tintenfroh
Einen motu proprio4.
Dass es ihn bloß nicht verdrießt,
Wenn es doch kein Mensch nicht liest!

Erklärungen:

1 Pius X. (Giuseppe Melchiorre Sarto; 1835 - 1914), Papst 1903 bis 1914, 1954 heilig gesprochen

2 Borromaea: Enzyklika Editae saepe vom 1910-05-05, dem Andenken des Heiligen Karl Borromäus (1538 - 1584) gewidmet und gegen die "falschen Reformatoren" gerichtet. Ein Auszug daraus zeigt die Stoßrichtung:

“Damals tobten die Leidenschaften; die Kenntnis der Wahrheit war verwirrt und verdunkelt; es herrschte ein beständiger Kampf mit den Irrlehren; die menschliche Gesellschaft stürzte sich allem Unheil entgegen und schien dem Verderben preisgegeben. Inmitten solcher Verhältnisse traten hochmütige und aufrührerische [widerspenstige] Männer auf, ‘Feinde des Kreuzes Christi’, Menschen von ‘irdischer Gesinnung, deren Gott der Bauch ist‘ (Phil. III., 18, 19). Diese richteten ihr Augenmerk nicht auf die Verbesserung der Sitten, sondern auf die Leugnung der Dogmen; sie vermehrten die Unordnung und ließen zu ihrem eigenen und zu anderer Nutzen der Zügellosigkeit freien Lauf; oder doch untergruben sie, indem sie die autoritative Leitung der Kirche ablehnten, nach dem Belieben gerade der verkommensten Fürsten oder Völker wie unter einem Joch die Lehre, Verfassung und Disziplin er Kirche. Sodann ahmten sie jenen Gottlosen nach, denen die Drohung gilt ‘Wehe euch, die ihr das Böse gut und das Gute böse nennt’ (Js. V, 20), und nannten diese aufrührerische Erhebung und die Verderbnis des Glaubens wie der Sitten Reform und sich selbst Reformatoren. Allein in Wahrheit waren sie Verführer, und dadurch, dass sie durch Streit und Kriege die Kräfte Europas erschöpften, haben sie die Revolutionen und den Abfall der Neuzeit vorbereitet, in denen sich die drei Arten des Kampfes, welche früher getrennt waren und aus denen die Kirche immer siegreich hervorgegangen war, zu einem einzigen Angriffe vereinigten: nämlich die blutigen Verfolgungen der ersten Jahrhunderte, sodann die innere Pest der Häresien und schließlich unter dem Vorwand der evangelischen Freiheit eine Verderbtheit der Sitten und eine Verkehrtheit der Disziplin, welche das Mittelalter in diesem Grade vielleicht nicht einmal erreicht hat.”

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Editae_saepe. -- Zugriff am 2007-12-08]

3 Enzyklika Pascendi vom 1907-09-8 gegen den Modernismus. Beginn dieser Enzyklika:

"Papst Pius X.: Enzyklika »Pascendi Dominici gregis«

vom 8. September 1907 über die Lehren der Modernisten

An die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und anderen Ortsordinarien, die Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl haben.

Ehrwürdige Brüder! Heilsgruß und Apostolischen Segen!

1. Die Herde des Herrn zu weiden ist das Uns durch Gott übertragene Amt, welches von Christus vor allem die Aufgabe zugewiesen erhalten hat, den Schatz des überlieferten heiligen Glaubens auf sorgfältigste Weise zu hüten und profane Neuerungen und Einwendungen der sogenannten Wissenschaft zurückzuweisen. Zu aller Zeit war diese Sorge des Obersten Hirten für das katholische Volk ein notwendiges Anliegen, denn dem Feind des Menschengeschlechtes hat es niemals an Leuten gefehlt, die Verkehrtes reden, die mit ihren nichtigen Reden zu Verführern werden, oder an betrogenen Betrügern. Man kann es nicht leugnen, dass in der letzten Zeit die Zahl der Feinde des Kreuzes Christi um eine große Anzahl gewachsen ist. Mit neuen, hinterlistigen Taten versuchen sie die Lebenskraft der Kirche zu brechen und, wenn es ihnen möglich ist, das Reich Christi selbst von Grund auf zu zerstören. Deshalb dürfen Wir nicht länger schweigen, um Unserer heiligsten Aufgabe nicht die Treue zu brechen und um die Milde, welche Wir bisher in der Hoffnung walten ließen, dass man sich eines Besseren besinnen würde, Uns nicht als Pflichtvergessenheit anlasten zu lassen.

2. Wir sind nun gezwungen, Unser Zögern nicht weiter auszudehnen, da die Verfechter dieser Irrtümer bereits nicht mehr nur ausschließlich unter den öffentlichen Feinden zu finden sind. Zu Unserem größten Schmerz und Unserer höchsten Beschämung müssen wir die Worte gebrauchen: Sie lauern bereits im Inneren der Kirche selbst, wörtlich gesprochen, am Busen und im Schoße der Kirche. Sie sind um so gefährlicher, je weniger sie bekannt sind. Ehrwürdige Brüder, Wir sind der Meinung, dass sich viele aus der katholischen Welt der Laien und – noch viel schlimmer – sogar aus den Reihen des Klerus, die sich unter dem Deckmantel der Liebe zur Kirche verstecken, ohne Grundlage einer soliden Philosophie und Theologie, vergiftet durch falsche Lehren, die sie aus dem Munde der Feinde zu hören bekamen, und jede Bescheidenheit beiseite rückend als Reformatoren der Kirche aufspielen. Kühn versammeln sie sich in ihren Reihen, greifen das Heiligste des Werkes Christi an und verschonen dabei nicht einmal die göttliche Person des Erlösers selbst, den sie mit blasphemischer Frechheit zu einem armseligen Menschen herabwürdigen.

3. Diese Leute mögen sich wundern, wenn Wir sie zu den Feinden der Kirche zählen. Über das Innerste ihres Herzens wird nur Gott alleine richten. Wem jedoch ihre Lehren, ihre Redewendungen und ihre Handlungsweisen bekannt sind, der kann sich darüber nicht wundern. Es entspricht absolut der Wahrheit, dass sie schlimmer sind als alle anderen Feinde der Kirche. Wie bereits erwähnt, schmieden sie ihre Pläne, die Kirche ins Verderben zu stürzen, nicht nur außerhalb, sondern auch im Inneren der Kirche. Im Blute der Kirche, in ihrem tiefsten Inneren, hat sich diese Gefahr festgesetzt. Deshalb wird ein Schaden für die Kirche um so sicherer, je genauer sie die Kirche kennen. Dazu kommt noch, dass sie nicht nur an die Äste und Zweige, sondern tief an die Wurzel ihre Hand legen: an den Glauben und an die tiefsten Fasern des Glaubens. Ist aber diese Wurzel des Lebens einmal getroffen, dann werden sie das Gift in dem ganzen Baum verbreiten. An der katholischen Wahrheit werden sie kein Stück unberührt oder unverdreht lassen. Sie kennen viele tausend Arten, um Schaden anzurichten.

Dabei verhalten sie sich äußerst gewandt und schlau. Abwechselnd spielen sie die Rolle des Rationalisten und des Katholiken in einer derart gewandten Weise, dass sie jeden harmlos Denkenden mit Leichtigkeit zu ihrem Irrtum bekehren können. Auch lässt ihre Verwegenheit sie vor keinen Konsequenzen zurückschrecken. Mit frecher Stirn und kaltem Blut drängen sie sogar dazu. Dazu kommt noch ihr äußerst tätiges Leben, ihre ständige, eifrige Beschäftigung mit gelehrten Arbeiten aller Art und oft eine zur Schau getragene Sittenstrenge. Dies alles trägt um so leichter dazu bei, sich in ihnen zu täuschen. Mit ihren Fachstudien sind sie schließlich an einem Punkt angekommen, an dem sie keine Autorität mehr anerkennen und sich keine Beschäftigungen mehr gefallen lassen wollen. Auf diese Weise haben sie ihr eigenes Gewissen getäuscht und möchten das Wahrheitsdrang nennen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei nur um Stolz und Hartnäckigkeit. Man sollte dabei fast an jedem Heilmittel zweifeln.

Wir hatten gehofft, dass Wir diese Männer doch noch zur Besinnung bringen könnten. So haben Wir sie zuerst mit väterlicher Milde behandelt, dann mit Strenge; schließlich sahen Wir Uns gezwungen, öffentlich gegen sie einzuschreiten. Euch ist bekannt, ehrwürdige Brüder, dass alle Mühen vergeblich waren. Kaum hatten sie für einen Augenblick den Nacken gebeugt, erhoben sie ihn erneut mit noch größerer Kühnheit. Wenn es sich nur um sie handeln würde, könnte man dies vielleicht durchgehen lassen. Da jedoch der katholische Glaube selbst gefährdet ist, wäre es eine große Sünde, wenn wir noch länger Schweigen würden. Wir müssen reden und ihnen vor der gesamten Kirche die Maske vom Gesicht reißen, die doch ihr wahres Wesen nur halb verhüllt.

4. Die Modernisten – so werden sie im allgemeinen sehr richtig bezeichnet – gebrauchen den schlauen Kunstgriff, ihre Lehren nicht systematisch und einheitlich, sondern stets nur vereinzelt und ohne Zusammenhang vorzutragen. Dadurch erwecken sie den Anschein des Suchens und Tastens, während sie davon fest und entschieden überzeugt sind. Deshalb ist es gut, ehrwürdige Brüder, diese Lehren zunächst im Überblick darzustellen, um aufzuzeigen, in welchem Zusammenhang sie stehen. Erst danach ist es angebracht, nach dem Grund des Übels zu suchen und die Mittel vorzuschreiben, durch welche das Unheil abgewendet werden kann.

5. Um aber in dieser schwierigen Frage schrittweise vorzugehen, merken Wir an dieser Stelle zunächst an, dass jeder Modernist sozusagen mehrere Rollen in einer Person spielt. Er ist Philosoph, Gläubiger, Theologe, Historiker, Kritiker, Apologet und Reformator. Diese Rollen müssen gut unterschieden werden, wenn man das System richtig verstehen und die Prämissen und Konsequenzen ihrer Lehren durchschauen will."

[Quelle: http://www.domus-ecclesiae.de/magisterium/pascendi-dominici-gregis.teutonice.html. -- Zugriff am 2007-12-08]

4 Motu prorio Sacrorum antistitum vom 1910-09-01: darin wird für den gesamten Klerus der Antimodernisteneid vorgeschrieben, siehe: http://www.payer.de/religionskritik/antimodernisteneid.htm


1911


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Sine grege1. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 46, S. 782. -- 13. Februar 1911

Wenn das Wissen und der Glaube
Aus dem alten Leime geht,
Braucht man stets die Daumenschraube,
Die sie ineinanderdreht.
Wenn die Finger lustig knacken
Zu des Ketzers Seelenheil,
Beugt er fromm den steifen Nacken
Und bekennt das Gegenteil.

Doch wozu die Leiber quälen?
In so aufgeklärter Zeit
Hat zur Folterung der Seelen
Rom den Modernisteneid2.
Allen Guten tut's noch weher,
Und den Armen an Verstand
Hängt man nun den Brotkorb höher,
Und sie fressen aus der Hand.

Christus trieb mit Geißelhieben
Krämer aus dem Gotteshaus3.
Der an seiner Statt geblieben,
Treibt die Gläubigen hinaus.
Jeder geht nun seiner Wege
Froh in Gottes Sonnenschein,
Und der papa sine grege1
Ließt die Messe drin allein.

Erklärungen:

1 papa sine grege (lateinisch) = Papst ohne Herde, Anspielung auf die Enzyklika Pascendi Dominici gregis (siehe oben)

2 Antimodernisteneid, siehe: http://www.payer.de/religionskritik/antimodernisteneid.htm

3 Matthäusevangelium 21,12f.: "Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): «Mein Haus soll ein Bethaus heißen»; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus." (Lutherbibel)


Hirt und Herde (zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 15, Nr. 47, S. 799. -- 20. Februar 1911

Lässt man seine Lämmlein grasen
Ungestört auf grünen Rasen,
Mögen sie zufrieden sein
Und er Hirte obendrein.

Was entsteht für ein Gewudel,
Wenn ein Jesuitenrudel
In die Herde fällt und beißt
Und die Schäflein niederreißt!

Pius1, höre, was ich meine:
Häng' die Hunde an die Leine!

Erklärung:

1 Papst Pius X.


Es gibt Menschen, welche die Moral als Totschläger benutzen: sie sind korrekt. Sie leben von den Fehltritten ihrer Nebenmenschen: sie sind sittenstreng. Sie hoffen zu Gott, dass die andern der Teufel hole: sie sind religiös!

In: Simplicissimus. -- Jg. 15 (1910/1911)



Abb.: Von bayrischen Gymnasien / Karikatur von O. L. Naegele. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 2, S. 35. -- 10. April 1911

"Die Oberklasse ist heuer wieder sehr gut, wir haben darin acht ausgebildete Ministranten."



Abb.: Letzter Frühling / Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 5, S. 73. -- 1. Mai 1911

"Morgen können wir's nicht mehr,
Darum lasst und heute leben!"

Erläuterung:

Klerus und ostelbisches Junkertum erleben vor der Reichtagswahl 1912 ihren "letzten Frühling": bei der Reichstagswahl 1912 erhielt die SPD 35% der Stimmen und wurde stärkste Partei im Deutschen Reichstag.


Zentrum und Mutterschutz (Zu einer Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 12, S. 197. -- 19. Juni 1911

"Ja, meine andächtigen Zuhörer, gegen die Säuglingsfürsorge müss'n mir schon desweg'n sein, weil der Herr g'sagt hat: 'Lasset die Kindlein zu mir kommen', und da derf'n mir s' nicht aufhal'n von der himmlisch'n Reis.



Abb.: Nachruf:  / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 14, S. 236. -- 3. Juli 1911

"Schad is, dass dös Madl fortheirat', die hat immer aso ausführli 'beicht'!".



Abb.: Glaube und Landwirtschaft / Karikatur von O. L. Naegele. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 15, S. 254. -- 10. Juli 1911

"Hast's scho g'hört, Hiasl, siebzig Prozent zahlt d' Hagelversicherung." -- "Siehgst, da Wettersegen is halt do allaweil sein' Gang wert."



Abb.: Jatho1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 16, S. 265. -- 17. Juli 1911

"Meine Herren, wir müssen uns darüber klar sein: was wir wollen, ist die Trennung der Religion von der Kirche."

Erklärung:

1 Jatho

"JATHO, Carl, Pfarrer, * 25.9. 1851 in Kassel als Sohn des Pfarrers Louis J., + 1.3. 1913 in Köln. - Nach dem deutsch-französischen Krieg, an dem J. als Freiwilliger teilgenommen hatte, studierte er in Marburg und Leipzig Theologie und war anschließend von 1874-1876 Religionslehrer in Aachen. 1876 heiratete er die aus Soest stammende Johanna Becker. Aus dieser Ehe gingen 4 Söhne hervor. Von 1876 bis zu seiner Amtsenthebung im Jahre 1911 war J. Pfarrer. Zunächst bis 1884 in der evangelischen Gemeinde in Bukarest, anschließend in Boppard und ab 1891 an der Christuskirche in Köln. Seit 1905 erhielt J. wegen seiner Lehrverkündigung Mahnungen von seiten des Generalsuperintendenten. Ihm wurde vorgeworfen, Pantheismus zu lehren und die kirchlichen Dogmen abzulehnen. Der Vorwurf stützte sich vor allem auf J.s 1906 erschienenen Predigtband. 1910 wurde ein Kirchengesetz »betreffend das Verfahren bei Beanstandungen der Lehre von Geistlichen« erlassen, auf Grund dessen J. 1911 seines Amtes enthoben wird. Das Urteil war mit 11:2 Stimmen eindeutig. Nach seiner Amtsenthebung setzte J. seine Predigttätigkeit außerhalb der Kirche fort und hielt in ganz Deutschland Vorträge. Zwei Jahre nach seiner Amtsenthebung starb J. im Alter von 62 Jahren. - C. J. war ein Pfarrer, der durch seine Predigttätigkeit überzeugte und regen Zulauf erhielt. Sein Verhältnis zur Tradition und Dogmatik war von Skepsis gekennzeichnet. Für ihn stand die Entfaltung der Persönlichkeit als Ziel des christlichen Glaubens im Vordergrund. Seine "undogmatisch-mystische" Theologie stellt einen Versuch dar, auf die spezifische Situation des neuzeitlichen Menschen einzugehen."

[Quelle: Bernd Wildermuth. -- http://www.bautz.de/bbkl/j/Jatho.shtml. -- Zugriff am 2007-12-08. -- Dort ausführliche Literaturangaben]



Abb.: Zensur / Karikatur von Ludwig Kainer (1885 - ). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 16, S. 276. -- 17. Juli 1911


Aus dem Tagebuch eines Bischofs / von Hornaus. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 19, S. 331. -- 7. August 1911

Ein unbescholtner Lebenswandel?
Die Kirche fordert ihn -- gewiss!
Jedoch beim Kuh- und Kälberhandel
Ist er vielleicht ein Hindernis.

Ein glatter Einser beim Examen?
Das Wissen ist des Glaubens Tod.
Sagst du zu allem Ja und Amen
So findest du auch Amt und Brot.

Ein Prediger der Nächstenliebe?
Der Kirche Schlachtschwert ist der Fluch,
Die beste Deckung sind die Hiebe,
Schwarz sei die Seele, wie das Tuch.

Ein gutes Zeugnis vom Kollegen?
Was schert uns Bambergs Klerisei?
Gibt ihm nicht Orterer1 den Segen,
bekommt er niemals die Pfarrei.

Bestätigen des Friedens halber?
Eh' brech den Krummstab ich entzwei.
Ich bin ja nur ein armer Salber
Im harten Frondienst der Partei1.

Ein echter Christ von Gottes Gnaden?
Gleichviel! Ich tue meine Pflicht:
Er liest dem alten Habenschaden
Im Mai die Totenmesse nicht.

Erklärungen:

1 Königlicher Oberstudienrat Dr. Georg Ritter von Orterer (1849 - 1916): Gymnasialdirektor und Politiker der Zentrumspartei (MdR und MdL), Präsident der Kammer der Abgeordneten (Bayern)

2 Partei = Zentrumspartei



Abb.: Ein Radikaler / Karikatur von Ernst Heilemann (1870 - ?). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16 („Badenummer“), Nr. 20, S. 335. -- 14. August 1911

"Sie sind ein Gegner der kirchlichen Trauung?" — "Jawohl, aber noch mehr der standesamtlichen."



Abb.: Berlin W = Theosophen / Karikatur von Ernst Heilemann (1870 - ?). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 33, S. 571. -- 13. November 1911

"unbegreiflich, dass Leute nicht an Gott glauben, wo selbst Kaiser glaubt!"



Abb.: Kreuz und Halbmond / Karikatur von A. Woelfle. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 35, S. 601. -- 27. November 1911

"Der Mensch hat selbst nicht den Mut zum Morden. Immer beruft er sich noch auf seinen Gott."


Edgar Steiger <1858 - 1919>: Der schwarze Weihnachtsmann. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 38, S. 683. -- 18. Dezember 1911

Der schwarze Weihnachtsmann geht um
Zur Stunde der Gespenster.
Und schreckt die Kinder mit Gebrumm
Und klopft an Tür und Fenster.
Er sagt, er wäre -- sapperlot! --
So quasi selbst der liebe Gott;
Und wen da plagt der Zweifel,
Den steckt er flugs in seinen Sack
Und fährt mit ihm dann huckepack
Geradewegs zum Teufel.

Der schwarze Weihnachtsmann geht um,
Ein ellenlanger Krüppel.
Er hat im Maul das Christentum
Und in der Hand den Knüppel.
Und dreht die Augen himmelwärts
Und zeigt sein Pfefferkuchenherz
Und girrt und gurrt vor Liebe.
Doch öffnest du ihm Tür und Haus,
Fleihn Frieden, Ruh' und Glück hinaus
Und regnet's Zank und Hiebe.

Der schwarze Weihnachtsmann geht um
Als bettelarmer Blinder.
Ich bitte, stellt euch taub und stumm,
Ihr großen deutschen Kinder!
Doch wird er frech und droht und schreit
Von Gott und Höll' und Ewigkeit,
So packt den Kerl beim Kragen
Und dann noch schnell -- so seid ihr quitt --
Zum Abschied einen sanften Tritt
Auf seinen vollen Magen!


1912



Abb.: Ekstase / Karikatur von Ernst Heilemann (1870 - ?). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 46, S. 811. -- 12. Februar 1912

"O Signorina, Ihre Augen machen mich noch modernistisch!"


Edgar Steiger (1858 - 1919): Der Sittlichkeitsvereinler. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 16, Nr. 52, S. 911. -- 25. März 1912

Wenn ihm die Arterien verkalken,
Sieht er in des nächsten Aug' den Splitter,
Aber nicht im eigenen den Balken1 --
Diese Diagnose rächt sich bitter.

Jugend, Schönheit, Frühling, Keimen, Zeugen
Gilt dem Impotenten jetzt als Sünde.
Weil die Knie sich ihm von selber beugen,
Sieht er dafür überird'sche Gründe.

Meint, in diesem Jammertal auf Erden
Habe man genau zu unterscheiden:
Nötig sei zwar das Geborenwerden,
Doch was dem vorhergeht, sei zu meiden.

Möchte somit Gott ins Handwerk pfuschen
Und die schöne Wohllust aller Wesen,
Die er nicht mehr fühlen kann, vertuschen,
Um als Geist vom Leibe zu genesen.

Doch der Leib, den er verleugnet, rächt sich:
"Wer mit Zwanzig scheute, mich zu schauen,
Spüre, dass ich da bin, jetzt mit Sechzig,
Spür' es mit Entsetzen und mit Grauen!

"Weil in mir er die Natur geschändet
Und geflucht dem blinden Sinnenrausche,
Werd' ihm Aug' und Seele umgewendet,
Dass er bellend Mann und Weib vertausche!

"Wo in Schönheit sonst das All- und Eine,
Das die Welt erhält, euch überschauert,
Grinse dem Verächter das Gemeine,
Das ihn nun auf Schritt und Tritt belauert."

Sprach's. Und die Moral von der Geschichte?
Wir, die solches schreiben, bleiben Schweine,
Und die andern, dass man uns vernichte,
Gründen neue Sittlichkeitsvereine.

Erklärung:

1 Matthäusevangelium 7,3; "Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?" (Lutherbibel)



Abb.: Die Jesuiten in Bayern / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 4, S. 53. -- 22. April 1912

"Heilige Väter! Heuer müssen wir euch leider noch durch ein Hinterpförtchen hereinlassen -- nächstes Jahr bauen wir euch Triumphbogen!"



Abb.: Triumph / Karikatur von Peter Schondorff. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 4, S. 61. -- 22. April 1912

"Was, i soll koan Glauben hamm= I glaub vielleicht mehra wie Sie!" -- "No, i glaub' doch den ganzen Katechismus und alles, was der heilige Vater uns anschafft." -- "I glaub' aber aa noch alles, was er scho' lang wieder abg'schafft hat!"


Edgar Steiger (1858 - 1919): Die Jesuiten. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 4, S. 67. -- 22. April 1912

Verboten durch ein Reichsgesetz!
Was soll das alberne Geschwätz?
Was schert uns euer Ja und Nein?
Wir waren, sind und werden sein.

Schwarz wie die Mutter Mitternacht
Ist Leib und Seele, Hut und Tracht.
Ein warmes Dunkel hüllt uns ein:
Wir waren, sind und werden sein.

Unsichtbar wie der liebe Gott,
Ein Popanz und ein Kinderspott
Mit Kreuz und Gift und Heil'genschein —
Wir waren, sind und werden sein.

Nicht warm, nicht kalt, nicht jung, nicht alt,
Wir wandeln Antlitz und Gestalt,
Ein Taggespenst von Fleisch und Bein —
Wir waren, sind und werden sein.

Ein Pestbazillus in der Luft
Schwimmt durch ein Meer von Rosenduft
Durchs Schlüsselloch ins Schloss hinein —
Wir waren, sind und werden sein.

Verboten durch ein Reichsgesetz!
Wir klopfen an. Was soll die Hetz'?
Der Herr Minister ruft: „Herein!"
Wir waren, sind und werden sein.

Erläuterungen:

"Am 4.7.1872 wird das "Jesuitengesetz" erlassen:
  • Jesuiten und ihnen verwandte Orden werden aus dem Reich ausgewiesen,
  • ihre Niederlassungen werden aufgelöst,
  • Ausländer können ausgewiesen werden,
  • Deutschen Ordensangehörigen kann der Aufenthalt an bestimmten Orten polizeilich zugewiesen oder verboten werden.
  • nur noch solchen Geistlichen durften kirchliche Ämter übertragen werden, die der Regierung genehm waren.
Trotz Jesuitenverbot um 1900 Patres in Berlin.

Die meisten Gesetze der Kulturkampfzeit bleiben jahrzehntelang in Kraft; wenigstens auf dem Papier. Ein sg. Kanzelparagraph z.B. wird erst 1953 durch den Dt. Bundestag aufgehoben. Zwar wird das Jesuitengesetz 1904 gemildert, doch erst 1917 wird es auf massives Drängen der Zentrumsfraktion gestrichen.  ...

Die ersten Patres, P. Fäh und Graf Hoensbroech (letzterer wird später den Orden verlassen und zu einem erbitterten Jesuitengegner werden) helfen zunächst in den neu gegründeten Pfarreien Herz-Jesu (Mitte) und Rixdorf/ St.Clara. Sie sind nur einige Monate in Berlin. Doch das Eis ist gebrochen, und von 1893 an sind ständig einzelne oder mehrere Jesuiten in der Stadt, sei es zum Zweck des Studiums an der Uni oder um pastorale Aufgaben zu übernehmen. 1900 beziehen 2 Patres im Hedwigskrankenhaus in der Großen Hamburger Straße eine Wohnung: die Anfänge einer Jesuitenkommunität in Berlin. Noch galt zwar das von der Regierung verhängte Jesuitenverbot, und die Patres mussten sich umsichtig verhalten. Hin und wieder gab es auch mal Angriffe in der Presse; aber die Zahl der Jesuiten, die in die Stadt geholt wurden, wuchs ständig. In den Berichten des Delegaten von Breslau nach Rom wird immer wieder betont: das seelsorgliche Wirken der Patres sei ein Segen für das ganze Gebiet, eine große Hilfe auch für den Klerus, weil sie durch Exerzitien, Standesvorträge, seelsorgerische Beratung und Aushilfen in Berlin und Umgebung überall bekannt seien."

[Quelle: http://www.canisius.de/jesuitenorden/jesuiten_berlin.html. -- Zugriff am 2004-07-01]


Edgar Steiger (1858 - 1919): Die neue Preußenhymne. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 9, S. 147. -- 27. Mai 1912

Die Teufel weinen und die Engel lachen.
Viktoria! Preußen in der Welt voran!
Im Parlament gab's großes Reinemachen,
Der Präsident erschlug den roten Drachen
Und zeigte, was er kann.

Des Januschauers1 kühnste Fieberträume,
Sie wurden Wahrheit zu der Edlen Trost.
Der Leutnant kam, dass er die Bude räume,
Die Junker tanzten um die Freiheitsbäume,
Und Heydebrand2 rief: „Prost!"

Gottlob! Die heil'ge Ordnung ist gerettet.
Ihr Preußen fürchtet Gott und Polizei.
Was tätet ihr, wenn ihr die zwei nicht hättet?
Schwer atmet zwar ein Bierherz, das verfettet,
Doch fühlt sich's wohl dabei.

Dass Eure Väter für die Freiheit starben,
Als man bei Jena3 auseinanderlief.
Das sieht man heut noch an der Enkel Narben.
Und wie fürs Volk die armen Junker darben,
Beweist der Zolltarif.

Fühlt nicht das allerdümmste Huhn, weswegen
Es auf der Welt ist. Wer den Zweck erkennt,
Auf dessen Tun ruht sichtbar Gottes Segen.
Ihr sollt nicht Eier, sondern Bauern legen;
Drum wählt man Euch ins Parlament.

Auf! Blast zum Sturm wie seinerzeit bei Düppel4!
Und singt das Lied: „Der König absolut!"
Und jeden, der nicht mitsingt, haut zum Krüppel
Macht, dass Er Euern Willen tut.

Erläuterungen:

1 Elard von Oldenburg-Januschau  (1855-1937), Reichstagsabgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei 1902 - 1912, galt als der Prototyp des ostelbischen Junkers [siehe: http://www.rosenberg-wpr.de/Januschau/Muehleisen/januschau.htm. -- Zugriff am 2004-07-01] . Der Vers bezieht sich auf den Ausspruch des Januschauers im Parlament: “Der König von Preußen und Deutsche Kaiser muß jeden Moment zu einem Leutnant sagen können: Nehmen Sie zehn Mann und lösen Sie den Reichstag auf.”

2 Ernst von Heydebrand und der Lasa (1851 - 1924), Vorsitzender der deutschkonservativen Fraktion im Preußischen Abgeordnetenhaus 1906 - 1918.

3 Doppelschlacht von Jena und Auerstedt 1806: Die preußische Armee verlor diesen viertägigen Kampf in einer schweren Niederlage gegen die napoleonischen Truppen.

4 Schlacht bei den Düppeler Schanzen 1864 im Krieg gegen Dänemark


Edgar Steiger (1858 - 1919): Rom und Köln. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 12, S. 195. -- 17. Juni 1912

O seht des heiligen Vaters Dank
Für den Peterspfennig der Kölner!
Nun sitzen sie auf der Spötter Bank,
Wie andere Sünder und Zöllner.

Dagegen sendet man Segen und Gruß
Den glaubensstarken Berlinern,
Die mit gestiefeltem Pferdefuß
Vor Rom katzbuckeln und dienern.

Vernehmt die neueste Christenlehr':
Der Hunger ist Gottes Strafe.
Arbeiter kennt man in Rom nicht mehr,
Man kennt nur Hirten und Schafe.

Denn ein Schaf, das sich zum Glauben bekehrt,
Das kümmert sich nicht hienieden,
Ob der es oder ein anderer schert;
Es bedankt sich und ist zufrieden.

So will es, mein der Vertreter in Rom,
Der dominus dominorum1.
Verständnisinnig lächeln im Dom
Die Bischöfe Kopp2 und Korum3.

Sie lesen vergnügt, wie andere Leut,
Den vatikanischen Wischer,
Und wünschen mit christlicher Schadenfreud
"Einen guten Morgen, Herr Fischer3!"

"Herr Kollege scheinen nicht wohl zu sein?
Ihre Wangen sind heute blasser.
Sie gossen wohl in den Berliner Wein
Zu viel von Kölnischem Wasser?"

Wie sagt der Psalmist? Grad' fällt mir's ein.
Es gilt von Hütten und Thronen.
"Wie lieblich ist es, wenn Brüderlein
Einträchtig beisammen wohnen!"4

Erklärungen:

Bezieht sich auf die Enzyklika vom 1912-09-24 Singulari quadam von Pius X. und den sog. Gewerkschaftsstreit. Die Enzyklika war gerichtet "an unseren gelibten Sohn, Georg Kopp, Kardinalpriester der Heiligen Römischen Kirche, Bischof von Breslau, und an die anderen Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands"

"Der Gewerkschaftsstreit war eine Auseinandersetzung innerhalb des katholischen Milieus nach der Wende zum 20. Jahrhundert. Dabei ging es letztlich um die Frage nach Legitimität der christlichen Gewerkschaften im Rahmen der katholischen Kirche.

Positionen

Innerhalb des katholischen Milieus gab es vor dem ersten Weltkrieg grundsätzliche Auseinandersetzungen zwischen modernen und antimodernen Tendenzen. Während die erste insbesondere vom Sozialkatholizismus repräsentiert wurde, hat man die Anhänger der Gegenseite einige Zeit später als Integralisten bezeichnet. Diese Auseinandersetzungen wurden auf sozialpolitischer Ebene im so genannten Gewerkschaftsstreit ausgetragen. Im katholischen Milieu hatten sich im Zusammenhang mit der Industrialisierung und der Urbanisierung neben den im engeren Sinn kirchlichen Vereinen und Bruderschaften gegen Ende des 19. Jahrhunderts einige große sozialpolitisch aktive Organisationen gebildete. Zu diesen gehörte etwa der Volksverein für das katholische Deutschland. In das Umfeld gehörten auch die von ihrem Anspruch her überkonfessionellen aber faktisch doch überwiegend katholisch geprägten christlichen Gewerkschaften.

Hinter dem Streit standen konkret das Problem nach der katholischen Legitimität der christlichen Gewerkschaften und die Frage ob Katholiken sich auch nichtkatholischen Organisationen anschließen durften. Vor allem die Integralisten lehnten darüber hinaus demokratische Tendenzen und soziale Emanzipationstendenzen innerhalb des Katholizismus, wie sie die so genannten Kölner und Mönchengladbacher Richtung um den Volksverein vertrat, strikt ab und beharrten darauf, dass die Kirche das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben zu durchdringen habe. Zentrale Vertreter der Kölner und Mönchengladbacher Richtung waren unter anderem Franz Hitze, August Pieper und Heinrich Brauns. Führende Köpfe auf Seiten der Integralisten waren die Bischöfe von Trier und Breslau, Michael Felix Korum und Georg von Kopp, sowie der Berliner Maximilian Beyer. Bischof Korum äußerte etwa: „Auch wenn die Gewerkschaften nur katholische Mitglieder aufwiesen, die Leitung aber einem Arbeiter zuwiesen, müssten wir sie bekämpfen. Alles kommt darauf an, dass die Geistlichen die katholischen Arbeiter in der Hand behalten.“ Zwischen beiden Seiten wurde der Streit mit Vehemenz und Polemik bis zum Kriegsausbruch geführt.

Verlauf und Folgen

Der Konflikt führte zunächst zur Spaltung der katholischen Arbeitervereine. Die Vereine aus Nord- und Ostdeutschland standen dabei auf der Seite der Integralisten. Sie organisierten sich 1903 unter der Führung von Geistlichen in einem im „Verband der katholischen Arbeitervereine, Sitz Berlin.“ (1913 124.000 Mitglieder). Dieser lehnte die Mitgliedschaft in Gewerkschaften ab. Zwar gab es sogenannte Fachabteilungen, aber diese waren kein Ersatz für eine gewerkschaftliche Interessenvertretung. Der weitaus größere Teil blieb als westdeutscher Verband der Arbeitervereine mit über 450.000 Mitgliedern ein wichtiger Teil der Köln-Mönchengladbacher Richtung. Auch die süddeutschen Arbeitervereine lehnten den Integralismus ab.

Innerhalb der christlichen Gewerkschaften selbst führte der Streit ebenfalls zu erheblichen Spannungen. Während August Brust und der von ihm geleitete Christliche Bergarbeiterverband letztlich für eine Überwindung der richtungsgewerkschaftlichen Spaltung der deutschen Gewerkschaftsbewegung eintrat, was auf eine Zusammenarbeit mit den sozialdemokratisch orientierten freien Gewerkschaften und eine Einheitsgewerkschaft hinausgelaufen wäre, stand August Wieber und der von ihm geführte christliche Metallarbeiterverband (CMV) für eine katholische Ausrichtung der christlichen Gewerkschaften. Dies führte zeitweise zum Ausschluss des CMV aus dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften. Stattdessen sollte der überwiegend protestantische Siegerländer Metall- und Bergarbeiterverband und der katholischer Sauerländer Gewerkverein eine neue Zentralorganisation bilden. Als dieser Versuch scheiterte, wurde der CMV zwar wieder aufgenommen, damit war der Kurs zur Überwindung der Richtungsgewerkschaften aber blockiert.

Insgesamt konnten sich die nicht integralistischen Positionen zwar behaupten, mussten aber erhebliche Einschränkungen hinnehmen. Eine päpstliche Enzyklika von 1912 Singulari quadam sprach sich eindeutig für konfessionelle Arbeitervereine und ihre Fachabteilungen aus. Christliche Gewerkschaften wurden in Ländern wie Deutschland danach zwar geduldet, aber nur insoweit ihre katholischen Mitglieder gleichzeitig auch in den Arbeitervereinen organisiert wären und die Gewerkschaften nicht gegen die kirchliche Lehrmeinung verstießen. Dieser Kompromiss war nur zustande gekommen, weil sich der Kölner Erzbischof Fischer, die Führung der Zentrumspartei und auch die Reichsregierung bei Pius X. gegen eine Verurteilung der christlichen Gewerkschaften eingesetzt hatten.

Dennoch war der Streit innerhalb des deutschen Katholizismus nicht beendet. Erst die Enzyklika Quadragesimo anno von 1931 beendete ihn im wesentlichen zugunsten der Gewerkschaften.

Negative Auswirkungen hatten die Auseinandersetzungen nicht zuletzt für die christlichen Gewerkschaften. Sie waren zeitweise fast handlungsunfähig. Angesichts der päpstlichen Entscheidung von 1912 konnten sie es nicht wagen, sich etwa an Streiks zu beteiligen. Nicht zuletzt aus diesem Grund fand der große Bergarbeiterstreik von 1912 im Ruhrgebiet ohne die Beteiligung des christlichen Bergarbeiterverbandes statt. Im Saarrevier hatte der Trierer Bischof Korum sich schon 1903 gegen die Beteiligung der christlichen Gewerkschaften gewandt. Die sozialdemokratisch orientierten freien Gewerkschaften haben von dieser Schwäche profitiert. Auch der sozialpolitisch engagierte Volksverein für das katholische Deutschland sah sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen genötigt, einen vorsichtigen Kurs zu steuern. Die Zentrumspartei konnte zwar ihre Unabhängigkeit bewahren, aber während des parallel stattfindenden Zentrumsstreits scheiterte der Versuch zur Überwindung der Konfessionsgrenzen.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass der Gewerkschaftsstreit zur Abwendung katholischer Arbeiter vom Zentrum geführt hat. Hatten noch 1903 68% der katholischen Wähler für diese Partei gestimmt, waren es 1912 nur noch 54%.

Literatur
  • Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Arbeitswelt und Bürgergeist. München 1990. S.465-468
  • Friedrich Hartmannsgruber: Die christlichen Volksparteien 1848-1933. Idee und Wirklichkeit. In: Geschichte der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Bewegungen in Deutschland. Teil 1. Bonn, 1984. ISBN 3-923423-20-9 S.274-276.
  • Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. München, 1966. S.133-135"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Gewerkschaftsstreit. -- Zugriff am 2007-12-09]

1 dominus dominorum (lateinisch) = Herr der Herren

2 Georg Kardinal von Kopp (1837 - 1914), von 1881 bis 1887 Bischof von Fulda und von 1887 bis 1914 Fürstbischof von Breslau.

3 Michael Felix Korum (1840 - 1921), von 1881 bis 1921 Bischof von Trier.

4 Antonius Hubert Kardinal Fischer (1840 - 1912), von 1902 bis 1912 Erzbischof von Köln.

5 Psalm 133,1: "Siehe, wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!" (Lutherbibel)


Edgar Steiger (1858 - 1919): Konkubinat und Ehe. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 13, S. 211. -- 24. Juni 1912

Sankt Petrus fischt mit Angel und Netz
Auf deutschen Seen und Weihern.
Was kümmert ein lausiges Reichsgesetz
Das christkatholische Bayern!

In Dachau nennt man Konkubinat
Die gesetzlich gültige Ehe,
Und wenn die Gattin ein Töchterlein hat,
So zetert der Vormund: "Wehe!

"Viel lieber wüsst' ich das arme Kind
Bei Säufern und Messerstechern,
Die wahrhaft gläubige Christen sind,
Als bei staatlichen Ehebrechern.

Wozu denn hat man ein Amtsgericht?
Das römische Recht muss siegen.
Und wenn das Gesetz dagegen spricht,
So muss man's ein bisschen biegen.

"Heraus mit dem Balg!" Der Staat erlaubt,
Was die Kirche verlangt. Und der Mutter
Wird im Namen des Königs das Kind geraubt,
Vierhundert Jahre nach Luther.

Die Theologie und die Jurisprudenz
Sind petrefakte1 Geschwister,
Wie Hertlings2 und Thelemanns3 Exzellenz
Zwei homogene Minister.

Und bezeichnet die Ehe als Ehebruch
Ein oberbayrischer Richter,
So kommt er dadurch in guten Geruch
Im Lande der Denker und Dichter.

Wenn's regnet, wächst gar schnell der Spinat.
Wer weiß? Eh' ich mich's versehe,
Gilt gar ein Köchinnen-Konkubinat4
Vor Gericht als heilige Ehe.

Erklärungen:

1 petrefakte = versteinerte

2 Georg Freiherr (seit 1914: Graf) von Hertling (1843 - 1919): Politiker der Zentrumspartei und Philosoph, 1875 bis 1890 und von 1896 bis 1912 Abgeordneter im Reichstag, 1912 bis 1917 bayrischer Ministerpräsident. Vom 1. November 1917 bis zum 30. September 1918 Reichskanzler.

3 Heinrich Ritter von Thelemann (1851 - 1923): Jurist, 1912 - 1918 bayrischer Justizminister

4 Köchinnen-Konkubinat: das berühmt-berüchtigte übliche Verhältnis vieler katholischer Geistlicher mit ihrer Pfarrköchin


Edgar Steiger (1858 - 1919): Der Ordenserlass. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 15, S. 243. -- 8. Juli 1912

Der Tausend! Wie man sich doch irren kann!
Da sprach man stets von Hertling1, Soden2, Knilling3,
Und nun entpuppt sich dieser dritte Mann --
O Schreck! -- als aus der Art geschlagner Drilling.

Wie stehst du da jetzt, liebe Vaterstadt!
Im Hofbräu ist es heller Tag geworden.
Das Ministerium des Kultus hat
Den offnen Krieg erklärt dem fremden Orden.

Wer sich vom Ausland kommandieren lässt,
Hat nichts zu suchen hier im Bayernlande.
Hineingegriffen drum ins Wespennnest!
Fort mit der internationalen Bande!

Die Schleicher gehen aus auf Kinderfang.
Die Seelen bindet ein geheim Versprechen.
Bewahrt die Jugend vor Gewissenszwang!
Er ist das größte Majestätsverbrechen:

So schrieb von Knilling, Roms getreuster Sohn,
 Und alle Frommen kriegten die Migräne;
Der heil'ge Vater griff zum Bannstrahl schon,
Den Vätern Jesu4 klapperten die Zähne.

Doch kam es noch zur rechten Zeit ans Licht,
Dass man zu früh den Apostat beweinte,
Weil er die frommen Väter Jesu nicht,
Weil er die bösen Temperenzler5 meinte.

Als dies das Volk von München-Stadt und -Land
Vernahm, erfasst's ein heil'ger Ehrfurchtschauer,
Und der Minister Knilling ward ernannt
Zum Ehrenmitglied des Vereins der Brauer.

Erklärungen:

1 Georg Freiherr (seit 1914: Graf) von Hertling (1843 - 1919): Politiker der Zentrumspartei und Philosoph, 1875 bis 1890 und von 1896 bis 1912 Abgeordneter im Reichstag, 1912 bis 1917 bayrischer Ministerpräsident. Vom 1. November 1917 bis zum 30. September 1918 Reichskanzler.

2 Maximilian Freiherr von Soden-Frauenhofen (1844 - 1922), Zentrumspolitiker, bayerischer Innenminister 1912 - 1915

3 Eugen Ritter von Knilling (1865 - 1927), Politiker der Bayerischen Volkspartei, bayerischer Kultusminister, 1922 - 1924 bayerischer Ministerpräsident

4 Väter Jesu = Jesuiten

5 Temperenzler = Abstinenzvereine



Abb.: Moderne Kreuzritter / Karikatur von Ludwig Kainer (1885 - ?). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 22, S. 351. -- 26. August 1912

"Sehen Sie, meine Damen, jeder muss auf seine Art für das Christentum wirken. Meine Familie zum Beispiel hat bereits zwei Millionärstöchter der Kirche zugeführt."



Abb.: Der Fall Traub1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 26, S. 405. -- 23. September 1912

[Luther:] "Wollt ihr denn aus meiner Kirche jedes freie Wort verbannen?" -- "Ja, Sie können auch von Glück sagen, dass Sie bloß die katholische Kirche reformiert haben. Wir hätten Ihnen anders auf den Kopf gespuckt!"

Erklärung:

1 Gottfried Traub (1869 - 1956): Theologe und Politiker (Fortschrittspartei, DNVP).

"Traub, selbst Sohn eines evangelischen Pastors, besuchte nach der Lateinschule in Göppingen theologische Seminare in Maulbronn und Blaubeuren. Von 1887 bis 1891 studierte er Theologie, Philosophie und Nationalökonomie in Tübingen. 1892 bestand er die erste theologische Prüfung und 1899 die Licentiatenprüfung. Nach ersten Pastoratsstellen in Württemberg ging er 1901 nach Dortmund, wo er neben seiner Gemeindetätigkeit auch Vertrauensmann der Vereinigung der Freunde der christlichen Welt wird. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb Traub regelmäßig in der Zeitschrift "Die Hilfe", die Friedrich Naumann herausgab. 1912 wird er wegen ständiger Differenzen mit der Kirchenleitung (unter anderem verletzte er mehrfach die Parochialgrenzen und hielt Predigten die dem damaligen Stand der protestantischen Dogmatik widersprachen) unter Verlust seiner Pension aus dem kirchlichen Dienst entfernt. 1914 verleiht ihm die Theologische Fakultät der Universität Zürich die Ehrendoktorwürde. Er wird jedoch 1920 rehabilitiert und erhält 1926 auch seine Pensionsansprüche zurück.

Nach dem Kapp-Putsch flüchtete Traub zunächst nach Österreich. Nach Erlass des Amnestiegesetzes kehrte er jedoch schon Ende 1920 nach Deutschland zurück. Von 1921 bis 1925 arbeitet Traub als Chefredakteur der München-Augsburger Abendzeitung, die zum Konzern von Alfred Hugenberg gehört. Von 1919 bis zum Verbot 1939 gibt er außerdem die christlich-nationale Zeitschrift "Eiserne Blätter" heraus.

Partei

Ursprünglich gehörte Traub der linksliberalen Deutschen Fortschrittspartei an, entwickelte sich jedoch politisch immer weiter nach rechts. Folgerichtig wechselte er 1917 in die Deutsche Vaterlandspartei, in der er auch Wolfgang Kapp kennenlernte. Er vertritt nunmehr eine annexionistische Politik und fordert einen "Siegfrieden".

1918 beteiligte Traub sich an der Gründung der DNVP, in deren Vorstand er gewählt wurde. Innerhalb der Partei gehörte Traub zum völkisch-radikalen Flügel.

Abgeordneter

Traub wurde 1913 in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt, dem er bis 1918 angehörte. 1919/20 war er Mitglied der Weimarer Nationalversammlung.

Öffentliche Ämter

In der kurzlebigen Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat, die von Wolfgang Kapp während des nach ihm benannten Putsches gebildet wurde (13. bis 17. März 1920) war Traub Kultusminister.

Veröffentlichungen
  • Bonifatius. Ein Lehrbuch, Leipzig 1894
  • Materialien zum Verständnis und zur Kritik des katholischen Sozialismus, München 1902.
  • Ethik und Kapitalismus. Grundzüge einer Sozialethik, Heilbronn 1904
  • Aus suchender Seele. Andachten, Buchverlag Die Hilfe, Berlin 1906.
  • Ethik und Kapitalismus. Grundzüge einer Sozialethik, Heilbronn 1909.
  • Konfirmationsnot und Apostolisches Glaubensbekenntnis. Ein Mahnwort an besinnliche Eltern, Berlin 1911.
  • Staatschristentum oder Volkskirche - Ein protestantisches Bekenntnis, Diederichs, Jena 1911.
  • Ich suche Dich Gott! Andachten, Diederichs, Jena 1912. (Aufsätze aus der Hilfe)
  • Gott und wir. Predigten, Salzer, Heilbronn 1912.
  • Gott und Welt, Engelhorn, Stuttgart 1913. (Aufsätze aus der Hilfe)
  • Kampf und Frieden, Engelhorn, Stuttgart 1914.
  • Aus der Waffenschmiede, Engelhorn, Stuttgart 1915.
  • Schwert und Brot, Engelhorn, Stuttgart 1915.
  • Recht auf Obrigkeit, Langensalza 1924.
  • Das nationalsozialistische Kirchenprogramm. Besprochen, München-Solln 1932.
  • Christentum und Germanentum, Schaffstein, Köln 1936."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Traub. -- Zugriff am 2007-12-10]


Edgar Steiger (1858 - 1919): Der neue Kreuzzug. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 29, S. 467. -- 14. Oktober 1912

Man heizt den Ofen, soll da Wasser sieden.
Der heiße Kessel summt: "Maikäfer flieg!"
Die Diplomaten schwärmen für den Frieden;
Drum gibt es Krieg.

In Wien und Stambul sank das Barometer
Seit gestern von Veränderlich auf Sturm.
Pst! Pst! Im Testament des großen Peter
Kichert der Wurm.

Der Jupiter bedient sich der Trabanten,
Wenn er der Welt ein Schauspiel geben will.
Man gafft und gafft. Und unsere Gesandten
Sind mäuschenstill.

Man tut zwar so -- wir sind ja alle Christen
Und lieben unsre Nächsten wie -- doch nein!
Nur seinen eignen Saustall auszumisten,
Fällt keinem ein.

Drum losgeknallt und Nasen abgeschnitten!
Gott will's! Der neue Kreuzzug ist im Gang.
Zu Russlands Orgel tönt des frommen Briten
Choralgesang.

Drum auf zum Kampf, Bulgaren, Griechen, Serben!
Der Rubel rollt, und Väterchen zahlt bar.
Es ist so süß, fürs Vaterland zu sterben
Und für den Zar.

Erklärung:

Bezieht sich auf den (drohenden) Ersten Balkankrieg 1912

"Erster Balkankrieg 1912

1912 war das Osmanische Reich durch die Revolution der Jungtürken 1907/08 sowie den Italienisch-Türkischen Krieg 1912 geschwächt. In dieser Situation ergriffen die Balkanbundstaaten Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro die Gelegenheit, um die restlichen verbliebenen osmanischen Provinzen auf dem Balkan zu erobern. Am 8. Oktober 1912 erklärte Montenegro und am 18 Oktober Bulgarien der Türkei den Krieg, die Bündnispartner folgten wenige Tage später.

In weniger als zwei Monaten verlor die Türkei fast ihre gesamten europäischen Besitzungen an die Balkanstaaten. Während Griechenland weiterhin Krieg gegen die Osmanische Armee führte, schlossen sich am 3. Dezember 1912 Serbien, Montenegro und Bulgarien einem Waffenstillstand mit den Osmanen an. Die Friedensbedingungen wurden von der Türkei jedoch als unzumutbar abgelehnt. Zudem kam es in der Türkei Anfang 1913 zu einem Staatsstreich, so dass die Kämpfe wieder auflebten. Am 19. April 1913 erreichten die Türken einen erneuten Waffenstillstand.

Unter Vermittlung der europäischen Großmächte wurde am 30. Mai 1913 in London der Londoner Vertrag geschlossen, der den Krieg beendete. Die Türken verzichteten auf alle europäischen Gebiete westlich der Linie zwischen Midia am Schwarzen Meer und Enos an der Ägäisküste, die Insel Kreta kam zu Griechenland.

Ein weiteres Resultat des Krieges war die Unabhängigkeit Albaniens. Sie war von Vertretern der albanischen Nationalbewegung am 28. November 1912 in Vlora ausgerufen worden. Die Sieger des Ersten Balkankriegs waren aber vorläufig nicht bereit, den neuen Staat anzuerkennen. Griechenland, Serbien und Montenegro erhoben Anspruch auf große Teile der albanisch besiedelten Gebiete, in denen auch Angehörige ihrer Ethnien lebten und zum Teil heute noch leben."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Balkankriege#Erster_Balkankrieg_1912. -- Zugriff am 2007-12-10]


Edgar Steiger (1858 - 1919): Die Gottesaffen. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 35, S. 579. -- 25. November 1912

"Gott Mohammeds, du Schlachtenlenker,
Hör', wie dein Volk um Hilfe schreit!
Das Richtschwert nimm, erlauchter Henker,
Und köpfe wie zu Alis1 Zeit!
Und, wie mit Moses einst im Bunde
Des Pharao gewaltig Heer2,
Ersäufe jetzt die Christenhunde
In ihres Blutes rotem Meer."

"O Jesu Christ, du Gott der Liebe,
Erlöser dieser argen Welt,
Mach', dass bei jedem Säbelhiebe
Ein Türkenkopf vom Rumpfe fällt!
Sie hier das Kreuz, dran du gehangen,
Von frischem Heidenblute rot!
Zweitausend Feinde sind gefangen
Und fünfundzwanzigtausend tot!"

Sie brüllen's hüben, brüllen's drüben
Und sinken betend in die Knie,
Indes sie sich im Morden üben --
O schauerliche Blasphemie!
Doch spottet nicht der Gottesaffen!
Denn manchen dünkt's die höchste Zeit,
Dass auch bei uns der Chor der Pfaffen
Zum Gott der Brandenburger schreit.

Erklärungen:

Bezieht sich auf den Ersten Balkankrieg 1912

1 'Alī ibn Abī Tālib, ibn 'Abd al-Muttalib ibn Hāschim ibn 'Abd al-Manāf, (علي بن أبي طالب‎);‎ (598 - 661): war der vierter Kalif im sunnitischen Islam, letzter der Rechtgeleiteten Kalifen und erster Imam (امام‎) aller Linien der schiitischen Imame. Bezieht sich auf die Die Kamelschlacht oder Schlacht von Basra 656 zwischen den Anhängern des Ali ibn Abi Talib, und seinen Gegnern, die seinen Anspruch auf das Kalifat bestritten, gegenüberstanden. Die Schlacht endete mit einem Sieg der Anhänger Alis.

2 Exodus Kap. 14, 26ff.: "Aber der HERR sprach zu Mose: Recke deine Hand aus über das Meer, dass das Wasser wiederkomme und herfalle über die Ägypter, über ihre Wagen und Männer. Da reckte Mose seine Hand aus über das Meer, und das Meer kam gegen Morgen wieder in sein Bett, und die Ägypter flohen ihm entgegen. So stürzte der HERR sie mitten ins Meer. Und das Wasser kam wieder und bedeckte Wagen und Männer, das ganze Heer des Pharao, das ihnen nachgefolgt war ins Meer, so dass nicht einer von ihnen übrigblieb. Aber die Israeliten gingen trocken mitten durchs Meer, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken. So errettete der HERR an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand. Und sie sahen die Ägypter tot am Ufer des Meeres liegen. So sah Israel die mächtige Hand, mit der der HERR an den Ägyptern gehandelt hatte. Und das Volk fürchtete den HERRN, und sie glaubten ihm und seinem Knecht Mose." (Lutherbibel)



Abb.: Der Herr Pastor / Karikatur von Richard Graef (1879 - ?). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 35, S. 579. -- 25. November 1912

"Pass auf, geliebte Christine, dass wir nicht umwerfen, auf dass dein sündhaft Fleisch nicht gen Himmel schreie!"


1913



Abb.: Kgl. bayrisches Jesuitenjournal / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 42, S. 708. -- 13. Januar 1913

Ich finde, das ist wohl getan,
Der Staat nimmt sich der Sache an,
Dem Lande Mist zu spenden.
Und weil ja der Regierungsmist
Ganz überreich vorhanden ist,
So kann man ihn verschwenden.

Der Jesuit kutschiert, und so
Bleibt man in Bayern herzensfroh
Bei einem alten Brauche.
Die Ochsen sind schon eingespannt,
Bald trieft das alte schöne Land
Von fetter Pfaffenjauche.


Edgar Steiger (1858 - 1919): O Straßburg, o Straßburg!. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 43, S. 723. -- 20. Januar 1913

O Straßburg1, o Straßburg, du wunderschöne Stadt,
Die eine deutsche Hochschul' und Professoren hat!

Sie hat Professoren -- wer wagt und sagt mir nein?
Straßburger Professoren, die müssen katholisch sein.

Der Hertling2, der Hertling, der hat es so bestimmt.
Ein Philosoph muss glauben, das Denken ist nur Zimt.

Zehn Bethmann3 für 'nen Hertling -- so sagt man in Berlin.
Ein Philosoph muss glauben wie Thomas von Aquin4.

Der Thomas von Aquino, der glaubt, diewil's absurd,
An Gott und an das Zentrum, an Orterer5 und Lourdes.

Was maulst du, Schopenhauer? Was brummst du, alter Kant?
In Straßburg liest man wieder das Narrenschiff von Brant6.
Es leb' im freien Deutschland die freie Wissenschaft,
Nur sei sie hübsch katholisch, vermuckert und verpfafft!

Erklärungen:

Es geht um sogenannte Konkordatslehrstühle, wie es sie heute noch gibt!!! Ein Konkordatslehrstuhl ist ein Lehrstuhl an einer Universität, der nicht in einer theologischen Fakultät angesiedelt ist, bei dessen Besetzung die Katholische Kirche aber dennoch miteinbezogen wird. Konkordatslehrstühle bestehen in Deutschland vor allem an Universitäten in Bayern, aber auch in Freiburg und Mainz. Grundlage für diese Besonderheit im Verhältnis von Kirche und Staat sind Konkordate. Durch die Konkordatslehrstühle soll der katholischen Kirche in Bayern vor allem hinsichtlich der pädagogisch relevanten Lehre an Universitäten ein Mitspracherecht eingeräumt werden. (Wikipedia).

1  Die Universität Straßburg war 1872  als „Kaiser-Wilhelm-Universität“ gegründet worden.

2 Georg Freiherr (seit 1914: Graf) von Hertling (1843 - 1919): Politiker der Zentrumspartei und Philosoph, 1875 bis 1890 und von 1896 bis 1912 Abgeordneter im Reichstag, 1912 bis 1917 bayrischer Ministerpräsident. Vom 1. November 1917 bis zum 30. September 1918 Reichskanzler.

3 Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921), Reichskanzler von 1909 bis 1917.

4 Thomas von Aquin (1225 - 1274), Dominikaner, 1323 heiliggesprochen, sein Werk und seine Ideen wurden 1879 unter Papst Leo XIII. zur Grundlage der katholischen akademischen Ausbildung erhoben.

5 Königlicher Oberstudienrat Dr. Georg Ritter von Orterer (1849 - 1916): Gymnasialdirektor und Politiker der Zentrumspartei (MdR und MdL), Präsident der Kammer der Abgeordneten (Bayern)

6 Narrenschiff von Brant

"Daß Narrenschyff ad Narragoniam des Sebastian Brant (1457–1521), 1494 gedruckt von Johann Bergmann von Olpe in Basel, wurde das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von über 100 Narren auf einem Schiff mit Kurs gen Narragonien entwirft und so der verkehrten Welt durch eine unterhaltsame Schilderung ihrer Laster kritisch den Spiegel vorhält. Das Werk wurde 1497 ins Lateinische übersetzt und durch Weiterübersetzungen in verschiedene Landessprachen in ganz Europa verbreitet."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narrenschiff. -- Zugriff am 2007-12-10]


Edgar Steiger (1858 - 1919): Das Dilemma. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 17, Nr. 46, S. 775. -- 10. Februar 1913

Ein Maßkrug, ob von Stein, ob zinnern,
Bedeckt den Trunk mit Finsternis.
Das Ministerium des Innern
Verröchelt am Gewissensbiss.

Die Kirche und den Staat zu trennen,
Schafft Herrn von Soden1 große Not.
"Du sollst den Menschen nicht verbrennen,
Vorausgesetzt, dass er schon tot."2

Der Bischof, der in Bayern heute
Im Namen Roms sein Urteil spricht,
Verfügt es so. Für andre Leute
Gibt es ein Oberlandgericht.

Und dieses spricht: "Ein jeder mache
Mit siner Leiche, was beliebt."
Man sieht, dass oft dieselbe Sache
Uns zweierlei zu denken gibt.

Zum Beispiel lässt sich nächsten Montag
Verbrennen so ein Bazi -- oh! --,
Verliest der Pfarrer schon am Sonntag
Die excommunicatio.

Doch ei der Leiche von Xylanders
Ging mit der geistliche Kondukt.
Ja, Bauer, das ist ganz was anders;
Auf deinen Sarg hätt' man gespuckt.

Mit solchen Leuten es verderben,
Wie Unklug! Gott schuf Arm und Reich.
Die Kirche lehrt zwar, dass im Sterben,
Wenn's aus ist, alle Menschen gleich.

Erklärungen:

1 Maximilian Freiherr von Soden-Frauenhofen (1844 - 1922), Zentrumspolitiker, bayerischer Innenminister 1912 - 1915

2 Anspielung auf die Verbrennung von Ketzern und Hexen. Für Katholiken war Feuerbestattung durch Papst Leo XIII. Mai 1886 verboten worden. Verstorbene, die letztwillig ihre Verbrennung verfügt haben, konnten nicht eingesegnet und kirchlich bestattet werden, ihre Asche durfte auch nicht in der geweihten Erde eines Friedhofs begraben werden. Erst 1964 wurde im katholischen Kirchenrecht das Verbot der Feuerbestattung aufgehoben, sofern damit nicht die explizite Leugnung des Glaubens an die Auferstehung zum Ausdruck gebracht werden soll.

3 Generaloberst Emil Ritter von Xylander (1835-1911)?



Abb.: Kunst bringt Gunst / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 6, S. 85. -- 5. Mai 1913

Da es sich bei den Münchener Kunstausstellungen alljährlich wiederholt, dass nach der Eröffnung anstößige Bilder entfernt werden müssen, hat sich der Staat in zuvorkommender Weise entschlossen, selbst die Jury zu stellen. Dieselbe setzt sich zusammen aus einem Bischof, einem katholischen und einem protestantischen Geistlichen, einem Arzt und einem Mädchenschullehrer.


Edgar Steiger (1858 - 1919): Vademecum für bayerische Hochschullehrer. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 15, S. 251. -- 7. Juli 1913

Schuster, bleib' bei deinem Leisten!
Ein Professor weiß am meisten,
Wenn er weiß, dass er nichts weiß.
Hat er nur den wahren Glauben,
Darf er vieles sich erlauben,
Auch sogar, wenn er ein Preiß'.

Nur das gottverfluchte Denken
Soll sich der Gelehrte schenken,
Weil es ihm zu gar nichts nützt.
Denn das Denken führt zum Zweifel,
Und der Zweifel führt zum Teufel,
Den der Staatsanwalt beschützt.

Denn der Teufel, dieser Stänker,
Der dem Staatsanwalt und Henker
Erst die Kunden auserwählt,
Gilt als Einrichtung der Kirchen,
Wie ein anonym Geschirrchen,
Das in keinem Haushalt fehlt.

Drum, willst du Professor werden,
Denke: Schwarz ist Trumpf auf Erden;
Einst war einst und jetzt ist jetzt.
Dreh' dich um wie der Film im Kino!
Im katholischen Kasino
Wird die Professur besetzt.


Edgar Steiger (1858 - 1919): Selbsterkenntnis. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 16, S. 267. -- 14. Juli 1913

Umständlich und geräuschvoll schnäuzen
Die Diplomaten ihre Nase:
"Seltsam! Man schlägt sich tot mit Kreuzen.
Das ist die allerneuste Phase.

Der Halbmond ist zum Neumond worden1;
Man könnte mit ihm Stiefel wichsen,
Nun sind die Christen dran und morden
Sich brüderlich mit Kruzifixen.

Da gilt es reiflich überlegen
Den Wert der Demut und des Stolzes,
Und ob das der ersehnte Segen
Und Zweck des armen Marterholzes.

Warum das Christentum der Griechen,
Der Herrn Bulgaren und der Serben
(Man kann es schon von weitem riechen)
Zum Töten besser als zum Sterben.

Doch ist bei näherer Betrachtung
An uns die Reihe des Errötens:
Sie stiegen ja in unsrer Achtung
Erst durch die edle Kunst des Tötens.

"Was werft ihr immer vor uns beiden,
Dass die Moral ein bisschen lax is.
Ein wahrer Christ muss unterscheiden
Klar zwischen Theorie und Praxis."

Erläuterung:

Bezieht sich auf den Zweiten Balkankrieg 1913, in dem Serbien, gemeinsam mit Griechenland, Rumänien und dem Osmanischen Reich, Bulgarien überwältigte. Bulgarien musste kapitulieren und seine im Ersten Balkankrieg gewonnenen Territorien teilweise wieder abtreten.

1 das Osmanische Reich verlor aufgrund der Niederlage im Ersten Balkankrieg durch den Vertrag von London vom Mai 1913 fast alle seine europäischen Besitzungen.



Abb.: Spiritisten / Karikatur von C. O. Petersen. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 18 („Sommerfrische“), S. 405. -- 28. Juli 1913

"So, und nu schau'n wa de leere Buddel so lange an, bis ihr Jeist wiedakommt!"



Abb.: Spezialisten / Karikatur von Peter Schondorf. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 29, S. 477. -- 13. Oktober 1913

"Regt si denn euer Pfarrer net über eure nackerten Knie auf?" — "Naa, naa — der unsrige is nur auf d'Weiber scharf."



Abb.: Die Übergabe Badens1 an das Zentrum (frei nach Velasquez2) / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 33, S. 552. -- 10. November 1913

Ergebt euch nur! Es war ja nie ein Kampf!
Es war ein bisschen Lärm und Pulverdampf.
Die liberale Festung, die Bastei,
Gebt sie den Pfaffen nur! Was ist dabei?

Wozu denn tapfer sein? Wozu sich wehren?
Ihr könnt die Gunst von oben nicht entbehren.
Die Schlüssel her! So endigt eure Not.
Lebt weiter unter schwarz, wie unter rot!

Erklärungen:

1 Baden

2 Velasquez


Abb.: Diego Velázquez (1599 - 1660): Übergabe von Breda,
1634–1635


Edgar Steiger (1858 - 1919): Das Staatsmännlein. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 35, S. 57. -- 24. November 1913

Es geht ein Männlein still und stumm
Um die Verfassung stets herum,
Den Pferdefuß im Gummischuh',
Damit sein Tritt nicht wehe tu';
Auf runder Glatze weißem Fleck
Ein Jesuitenhütlein keck,
Damit der Weltmann sich gepaart
Mit einem Pfäfflein offenbart;
Die Hornbrill' auf dem Nasenbein,
Um groß zu sehen, was da klein,
Und klein zu sehen, was da groß:
Des Philosophen traurig Los!

So geht das Männlein still und stumm
Um die Verfassung stets herum,
So wie die Erde früh und spät
Sich um die Liebe Sonne dreht.
Bald steht es rechts, bald steht es links,
Doch stets daneben schlechterdings,
Beguckt von hinten sie und vorn
Gleich fern von Liebe wie von Zorn,
Von oben, unten, grad' und schief,
Mit einem Worte: objektiv.
Und fragt, wozu ein solch Papier,
In dem,, was Staat heißt, existier'.

Im Thomas von Aquino1 steht
Kein Wort von dieser Rarität.
Und auch die dei civitas2
Von Augustin war ohne das.
Ja, selbst der weise Salomo3
Ward ohne das des Lebens froh,
Und unser Urahn Adam hatt'
Statt ihrer nur ein Feigenblatt4.
Woraus denn jeder, der studiert,
Ganz ohne weitres eruiert,
Dass die Verfassung Trug und List
Und ganz verfassungswidrig ist.

Drum geht das Männlein still und stumm
Um die Verfassung stets herum,
So wie die Erde früh und spät
Sich um die liebe Sonne dreht.
Nun frag' ich euch: Was soll die Hetz'?
Auch hier herrscht ein Naturgesetz5.

Erklärungen:

1 Thomas von Aquin (1225 - 1274), Dominikaner, 1323 heiliggesprochen, sein Werk und seine Ideen wurden 1879 unter Papst Leo XIII. zur Grundlage der katholischen akademischen Ausbildung erhoben.

2 Augustinus <354 . 430>: De civitate Dei (lat.; Vom Gottesstaat), von 413 bis 426 verfasst.

"In 22 Büchern entwickelt Augustinus die Idee vom Gottesstaat (civitas dei, civitas caelestis), der zum irdischen Staat (civitas terrena, civitas diaboli) in einem bleibenden Gegensatz stehe. Der irdische Staat erscheint in der augustinischen Darstellung teils als gottgewollte zeitliche Ordnungsmacht, teils als ein von widergöttlichen Kräften beherrschtes Reich des Bösen. Der Gottesstaat andererseits manifestiert sich in den einzelnen, nach den religiösen Geboten lebenden, Christen selbst. Von dieser dialektischen Grundidee her entwirft Augustinus eine umfassende Welt- und Heilsgeschichte."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/De_civitate_Dei. -- Zugriff am 2007-12-12]

3 Salomo

"Salomo (hebr. Schělomō, griech. Salōmōn, unserm »Friedrich« entsprechend), Davids Sohn von Batseba, den der Prophet Natan »Jedidja«, d.h. »Gottlieb«, genannt hatte, regierte nach des Vaters Tode 40 Jahre über Israel (1018–978, nach andrer Zeitrechnung 993–953 v. Chr.). Jung zum Herrscher berufen, regierte er besonnen und energisch. In ungestörtem Frieden blühte die Wohlfahrt seiner Untertanen, Volkstum und Religionswesen gelangten zu organisch ausgeprägter Verbindung, und alle regierende Gewalt im Lande vereinte sich im Königtum. Trotz seiner Militärmacht war S. dem Krieg abhold, förderte Handel, Kunst und Gewerbe, erwarb sich den Namen eines Weisen und seinem Volke Ruhe und Reichtum. Mit angesehenen Nachbarhöfen befreundet, mit dem ägyptischen Königshause verschwägert, wusste er das Volksleben in dem von ihm auf dem Berge Moria bei Jerusalem gebauten prachtvollen Tempel zu konzentrieren. Für diesen Tempel lieferte ihm der König Hiram von Tyrus Material und, nachdem phönikische und ägyptische Künstler den Bau in sieben Jahren vollendet hatten, konnte sich in ihm der israelitische Gotteskultus rein entfalten. Für sich baute S. einen kunstreichen Palast, ein Zeughaus mit Säulen- und Thronhalle, legte Befestigungen an, schuf zahlreiche, die Gartenkunst fördernde Lustbauten und gründete Karawansereien und Vorratsstädte, von denen Tadmor (Palmyra) zu eignem Ruhm emporstieg. Diese Bauten wurden ermöglicht durch Fronarbeit und Reichtum, den der Handel, dessen in Ezjongeber von Tyrern gebaute Flotte von ð Ophir (s. d.), einem arabischen Stapelplatze, Gold und andre Produkte Afrikas und Indiens holte, und der Tribut der Vasallenfürsten häufte. Die durch Salomos Baulust geschaffenen Frondienste, das schwelgerische Hofleben und der seinen heidnischen Haremsfrauen zuliebe begünstigte Götzendienst führten nach Salomos Tode die Teilung des Reiches herbei. Salomos Weisheit, die sich in Liedern, Sprüchen und Rätseln, besonders auch bei einem Besuche, den ihm die Königin von ð Saba (s. d.) abstattete, kundgab, bewirkte, dass ihm die biblischen Bücher »Hoheslied«, »Prediger Salomos« (Kohelet) und »Die Sprüche Salomos« zugeschrieben wurden. In der spätern morgenländischen Literatur (vgl. Grünbaum, Neue Beiträge zur semitischen Sagenkunde, Leiden 1893, S. 189 ff.) gilt S. als Beherrscher der Geister und als Urbild der Weisheit. Der Siegelring Salomos ist der Talisman der Weisheit und der Zauberei; der Salomonische Tempel hat in der Freimaurerei und Rosenkreuzerei symbolische Bedeutung."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Genesis 3,6f.: "Und das Weib sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze." (Lutherbibel)

5 Naturgesetz: Anspielung auf die katholische Naturrechtslehre


1914



Abb.: Im Lande der Pogrome1 / Karikatur von R. Masel
. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 41, S. 693. -- 5. Januar 1914

"Ich will die sagen, Brüderchen, aus der biblischen Geschichte hat das russische Christentum nur den Bethlehemitischen Kindermord2 gelernt."

Erklärungen:

1 Land der Pogrome = Russland

"Juden-Pogrome traten sodann im zaristischen Russland in Gebieten, die heute zu Russland, Polen, Ukraine, Weißrussland oder wie Bessarabien zu Moldawien gehören, in regelmäßigen Abständen auf. Als erstes Pogrom der modernen Zeit gilt das Juden-Pogrom von Odessa im Jahr 1821. Über die Gründe ist nichts näher bekannt, angenommen wird, dass ihnen antisemitische Ressentiments zugrunde lagen. Zwischen 1903 und 1906 kamen bei Pogromen in Russland schätzungsweise 2.000 jüdische Russen ums Leben. Besonders bekannt wurden die Pogrome von Kischinew in der heutigen moldawischen Hauptstadt Chişinău. Sie wurden wohl zumindest teilweise von der russischen Regierung bewusst geschürt. Aufgrund dieser Ereignisse kam es zu einer ersten größeren Auswanderungswelle russischer Juden nach Palästina."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pogrom. -- Zugriff am 2007-12-12]

2 Bethlehemitischer Kindermord: Matthäusevangelium 2, 16ff.: "Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte. Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31,15): «In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.»" (Lutherbibel)


Edgar Steiger (1858 - 1919): Gleich und gleich --!. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 46, S. 783. -- 9. Februar 1914

Der Fürstbischof von Breslau1
Ward rot und blau vor Zorn.
"Was mault der Doktor Schulte2?
Ich reit' gen Paderborn2.
Ich muss den Bruder beuteln.
Wenn Rom gesprochen hat,
So gibt es nichts zu deuteln --
Drum sapienti sat3!

Es kracht in allen Nähten
Beim Kampf um Mein und Dein.
Arbeiter sollen beten
Und gut katholisch sein.
Die Ketzer zu bekehren
Sind, die da glauben, da.
Der Mensch soll nicht begehren
Mit einem weichen k.

Hinauf die Himmelstreppe!
Was gilt die Wette? Topp!
Wohl gibt es viele Köppe,
Doch gibt's nur einen Kopp1.
Wenn alle Stricke reißen,
Greift man zum Bischofshut.
Die Kirche und die Preußen
Verstehn sich gar zu gut."

Erklärungen:

Bezieht sich auf den sog. Gewerkschaftsstreit (siehe oben!)

1 Georg Kardinal von Kopp (1837 - 1914), von 1881 bis 1887 Bischof von Fulda und von 1887 bis 1914 Fürstbischof von Breslau.

2 Karl Joseph Schulte (1871 - 1941): von 1910 bis 1920 Bischof von Paderborn,  von 1920 bis 1941 Erzbischof von Köln; engagierte sich im sog. Gewerkschaftsstreit (siehe oben!).

3 sapienti sat (lezteinisch) = "für den Verständigen genug!" (d.h. für ihn bedarf es keiner weitern Ausführung), Zitat aus Plautus, Persa, IV, 7



Abb.: Die Zentrumsspritze / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 49, S. 832. -- 2. März 1914

Um die immer mehr um sich greifende Feuerbestattung wirksamer zu bekämpfen, ist unter dem Patronat des heiligen Florian eine klerikale Feuerwehr gegründet worden.


Edgar Steiger (1858 - 1919): Bürgerstolz. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 50, S. 847. -- 9. März 1914

Die Frage macht uns viel zu schaffen:
Wir sind sowohl ein Volk in Waffen
Als leider manchmal in Zivil.
Wenn die mit Sporen und mit Stiebeln
Uns andre nun bisweilen zwiebeln
So fehlt es noch am rechten Stil

Ein bisschen auf die Väter schießen
Und durch ein kleines Blutvergießen
Die Straßen reinigen vom Mob --
Wer wollte solches Tun nicht preisen?
Man kittet nur mit Blut und Eisen
Den Sprung im deutschen Volk, und ob!

Drum Ehrfurcht vor dem bunten Kleide,
Anbetung vor der Säbelscheide!
Wer Achselknöpfe trägt, ist Herr.
Und wo des Leutnant Pickelhaube
Wälzt wonnegrunzend sich im Staube
Als L. d. R.1 das M. d. R.2

Ein idealer Volksvertreter
Gleicht einem alten Barometer.
Gibt's Regenwetter, macht er Druck
Und steigt bei jedem Druck von oben.
Das Werk, es wird den Meister loben.
Gehorsam ist des Christen Schmuck.

Erklärungen:

1 L. d. R. = Leutnant der Reserve

2 M. d. R. = Mitglied des Reichstags



Abb.: Im Kampf für die Konzeption1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 18, Nr. 51, S. 850. -- 16. März 1914

Man muss dem Gott die Pfeile schleifen,
Die Kinderzahl soll um sich greifen.

Erklärung:

1 Konzeption = Empfängnis. Bezieht sich auf die Verbote der Empfängnisverhütung durch die katholischen Kirche (es gibt unzählige Erlasse gegen die verschiedensten Methoden von coitus interruptus bis Kondome), 



Abb.: Sittlichkeitsreformatoren / Karikatur von Peter Schondorf. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 19, Nr. 16, S. 261. -- 20. Juli 1914

"Die Luthersche Übersetzung passt auch nicht mehr; wir müssen eine neue Bibel schreiben!"


Edgar Steiger (1858 - 1919): Palastrevolution. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 19, Nr. 16, S. 263. -- 20. Juli 1914

Nun haben wir vierzig Jahre schon
Hausiert mit Himmel und Hölle
Und getauscht für ein bisschen Religion:
Viel Steuern, Soldaten und Zölle.

Mit Brettern vernagelt dem Volk umher
Die Scheibe des Horizontes.
Und wollt' es wissen: wohin? und woher?
So blickten wir ultra montes1.

Nun kommt, da in unsern Händen das Heft,
Ein täppischer Italiener2
Und verbietet das lukrative Geschäft.
Fürwahr! Das wäre noch schöner!

Hat man darum sich Tag und Nacht geplagt
Und gepflügt den politischen Acker,
Dass man reuig "pater, peccavi"3 sagt
Wie drüben im Badischen Wacker?

Nur Messe lesen? Was fällt euch ein?
Was wären wir ohne den Klerus?
Mag der Papst auch zehnmal unfehlbar sein,
Interdum dormit Homerus4.

Dass die Stänker alle der Teufel hol'
Mitsamt dem Bischof von Como!
Einst retteten Gänse das Kapitol,
Heut' redet der Hertling5 pro domo6.

Erklärungen:

1 ultra montes = jenseits der Berge = Rom (Papst)

2 täppischer Italiener = Papst Pius X.

3 pater peccavi (lateinisch)= "Vater ich habe gesündigt" (Lukasevangelium 15,18)

4 interdum dormit Homerus (lateinisch) = "Manchmal schläft Homer."

5 Georg Freiherr (seit 1914: Graf) von Hertling (1843 - 1919): Politiker der Zentrumspartei und Philosoph, 1875 bis 1890 und von 1896 bis 1912 Abgeordneter im Reichstag, 1912 bis 1917 bayrischer Ministerpräsident. Vom 1. November 1917 bis zum 30. September 1918 Reichskanzler.

6 pro domo (lateinisch) = "für das (eigne) Haus", d. h. in eignem Interesse, einer so betitelten Rede Ciceros


1914-07-28: Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien: Beginn des Ersten Weltkriegs


1915


Gott strafe England (zu einer Zeichnung von Eduard Thöny). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 19, Nr. 46, S. 602. -- 16. Februar 1915. -- [Leider nicht ironisch gemeint!]

Wir wollen Ihn nicht allein betonen,
Doch auch nicht unsre Kraft allein;
Vielmehr so soll es richtig sein:
Gott straf' uns -- wenn wir England schonen!



Abb.: Inserat des Albert Langen Verlags, der den Simplicissimus herausgab
. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 19, Nr. 47, S. 613. -- 23. Februar 1915.


1916


Buddhismus. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 21, Nr. 13, S. 166. -- 27. Juni 1916.

Seit einigen Jahren schon war Buddha in Europa Mode geworden, und allenthalben hatten sich kleine Konventikel gebildet, wo man sich damit abgab, den "Willen zum Leben" wegzudiskutieren.

In Japan war man über diese Wendung der Dinge von ganzem Herzen erfreut und erhoffte einen fortschreitenden europäischen Quietismus, mit dem man dann seinerzeit leicht würde fertig werden können.

Da kam der Weltkrieg und drohte, all die schönen Aussichten über den Haufen zu werfen.

Das durfte nicht sein. "Buddha muss den europäischen Völkern erhalten bleiben!" wurde nun die Losung.

In den Tempeln einer gerade zufällig von Japan besetzten chinesischen Provinz befanden sich viele tausend bronzene Buddhastatue; diese wurden beschlagnahmt, der leichteren Transportfähigkeit wegen zu gefälligen Granaten und Schrapnells umgegossen und unverweilt auf den europäischen Markt geworfen.

Und hier betreibt nun der alte Gautama Buddha von neuem in zwar veränderter Gestalt, aber darum nicht minder energisch eine eindrucksvolle Propaganda gegen den verfluchten "Willen zum Leben"."


1918



Abb.: Kindliche Frage / Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 23, Nr. 32, S. 398. -- 5. November 1918

"Mutter sag' mal, gelten nach dem Kriege die zehn Gebote wieder?"


1918-11-11 Waffenstillstand zwischen Alliierten und Deutschem Reich


1919-01-18 Friedensvertrag von Versailles


1919


Trennung von Staat und Kirche (Zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 24, Nr. 5, S. 64. -- 29. April 1919

[Geistliche:] "Jetzt sind wir nur noch von Gott eingesetzt -- -- -- wer zahlt uns da Gehalt?"


1920


Hochwürden als Wahlhelfer (Zu einer Karikatur von Wilhelm Schulz (1865 - 1952)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 25, Nr. 10, S. 156. -- 2. Juni 1920

[Katholischer Geistlicher:] "Rohrmoserin, Rohrmoserin, das Auge Gottes sieht auch durch das Wahlkuvert!"



Abb.: Das russische Paradies / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 25, Nr. 14, S. 199. -- 1. Juli 1920

"Sie sind besser dran, Hochwürden. Aus Ihrem Himmel gibt's keine Retourbillets."



Abb.: Es tagt / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 25, Nr. 28, S. 365. -- 6. Oktober 1920

Eine afrikanische Negerdeputation macht aus Mitleid mit dem Unglück Deutschlands den Vorschlag, in Europa das Christentum einzuführen.


1921



Abb.: Die Ahnfrau der Partei / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 25, Nr. 48 („Spuk“), S. 638. -- 23. Februar 1921

"Was -- das soll Marx sein? Der sah doch ganz anders aus!" -- "Entschuldigt nur, Genossen, ich bin in der letzten Zeit sehr oft zitiert worden und dadurch stark abgenutzt."



Abb.: Ein aussichtsloser Fall / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 26, Nr. 3, S. 26. -- 13. April 1921

"Allmächtiger, wie lange willst du noch dem Jammer auf der Erde zusehen?" -- "Lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrer ekelhaften Weltgeschichte! Ich habe mich wieder ganz auf die biblische Geschichte zurückgezogen."


Die große Mode (zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 26, Nr. 8, S. 103. -- 18. Mai 1921

Angeregt durch Rabindranath Tagore übt sich sich Berlin W. in Nabelbeschauung.



Abb.: Vergeltungsmaßnahmen / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 26, Nr. 15, S. 186. -- 6. Juli 1921


Der Lieblingsmaharadscha der Frauen (zu einer Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950)). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 26, Nr. 15, S. 198. -- 6. Juli 1921

"Haben Sie eigentlich etwas von Tagore gelesen?" — "Oh, viel mehr! Ich habe in seinen Augen gelesen!"

Erläuterung: Rabindranath Tagore (1861 - 1941), indischer Nobelpreisträger für Literatur 1913. Besuchte 1921 u.a. Deutschland

Siehe auch:

Thoma, Ludwig <1867-1921 >: Tagore in Deutschland.  -- 1921. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/thoma09.htm



Abb.: Moderne Erlöser / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 26, Nr. 23, S. 291. -- 31. August 1921

"Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken1 . . . Zur Kasse, bitte, rechts gehen!"

Erklärung:

1 Matthäusevangelium 11,28.


1922



Abb.: Okkultismus und Geschäft / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 27, Nr. 4, S. 48. -- 26. April 1922

Endlich ist es gelungen, ein Automobil zu erfinden, das ohne Motor, nur durch die Kraft des Gebetes bewegt wird.



Abb.: Was tun? spricht Zeus / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 27, Nr. 6, S. 90. -- 10. Mai 1922

"Lieber Gott, lass die Preis steigen! Ich habe noch einige Waggons Mehl auf Lager!" "O Herr, lass die Preise fallen! Ich habe kaum mehr Brot zu essen!"

1923



Abb.: Japanische Ideologen / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 28, Nr. 28, S. 348. -- 8. Oktober 1923

veranstalten einen Umzug mit der Parole "Nie wieder Erdbeben!"


1924



Abb.: Interessengemeinschaft / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 28, Nr. 44, S. 546. -- 28. Januar 1924

"Hör' auf, Alte! Gegen die Mietsteigerung hilft dir der Herrgott nicht, hat ja selber so viele Häuser überall."



Abb.: Nach der Predigt / Karikatur von Richard Graef (1879 - ). -- In Simplicissimus. -- Jg. 29, Nr. 9, S. 132. -- 26. Mai 1924

"Schlechte Christ'n hat er ins g'hoaß'n! Dös is do Sach' gnua, wann mir guate Katholik'n san!"



Abb.: Kommunistenprogramm / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 29, Nr. 12, S. 170. -- 16. Juni 1924

Sie wollen eine neue Menschheit schaffen. Darum müssen sie beweisen, wie hässlich die alte ist.


Bauz: Byzantinisches Christentum. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 29, Nr. 20, S. 280. -- 11. August 1924

Was bedeutet die Bewegung,
Bringt der Ost mir frohe Kunde?
Meyer selbst kommt in Erregung
Mit den Händen und dem Munde.

Selig sind die Konvertiten,
Die am Kirchentor sich raufen;
Und es machen Jesuiten
Überstunden schon im Taufen.

Keiner liest mehr den Tagore1,
Buddha, Moses und Laotse2.
Mensch, was soll uns noch die Sore3.
Augustin4 wird unser Lotse.

Jede Nutte spricht sich heilig,
Jeder hat ein heiliges Becken;
Jeder Koofmich hat es eilig,
Sich mit Christus einzudecken.

Doch der Papst, er lächelt weise:
Rom hat einen guten Magen.
Und es wird auch diese Speise,
Dieses Gulasch noch vertragen.

Erklärungen:

1 Rabindranath Thakur, ältere Schreibweise Rabindranath Tagore, (bengalisch: রবীন্দ্রনাথ ঠাকুর, Rabīndranāth Ṭhākur, [ɾobin̪d̪ɾonat̪ʰ ʈʰakuɾ]; 1861 - 1941): indischer (bengalischer) Dichter, Philosoph, Maler, Komponist, Musiker und Brahmo-Samaj-Anhänger, erhielt 1913 den Nobelpreis für Literatur und war der erste asiatische Nobelpreisträger.

2 Laozi (chin. 老子, Lǎozǐ, "Alter Meister"): legendärer chinesischer Philosoph, der im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben soll. Auch Laotse, Lao-Tse oder Lao-tzu geschrieben. Gilt als Begründer des Daoismus (Taoismus).

3 Gaunersprache: "(Hehler-)Ware, Diebesgut, Beute"

4 Augustinus von Hippo, auch: Augustinus von Thagaste, Aurelius Augustinus oder Augustin (354 - 430): einer der bedeutendsten Kirchenlehrer der katholischen Kirche.



Abb.: D.R.P.1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 29, Nr. 23, S. 315. -- 1. September 1924

Apparat zur Herstellung des okkulten Phänomens der Levitation (Aufhebung der Schwerkraft).

Erklärung:

1 D.R.P. = Deutsches Reichspatent



Abb.: Hie Protestant, hie Katholik / Karikatur von Erich Schilling (1885 - 1945). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 29, Nr. 29, S. 388. -- 13. Oktober 1924

"Was man für eine Not mit den Dienstboten hat! -- --"



Abb.: Stabilisierung der Seele / Karikatur von Karl Arnold (1833 - 1953). -- In Simplicissimus. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 29, Nr. 30, S. 411. -- 20. Oktober 1924

Der älteste Sohn huldigt dem Mazdaznan1 Der jüngste Sohn huldigt der Edelerotik
Die Tochter geht zu Rudolph Steiner2 Die Großmutter tanzt bei Dalcroze3
Die Mutter hört bei Kayserling4 [sic!] Der Vater glaubt nach wie vor an den lieben Gott und trinkt jeden Abend seine sieben Maß Bier

Erklärungen:

1 Mazdaznan

"Mit dem Begriff Mazdaznan wird eine religiöse Lehre bezeichnet, die nach eigenem Verständnis auf einem reformierten Zarathustrismus basiert. Begründet wurde sie von Otoman Zar-Adusht Ha’nish, bürgerlich vermutlich Otto Hanisch, der selbst angab am 19. Dezember 1844 in Teheran geboren zu sein; er starb am 29. Februar 1936 in Los Angeles. Es handelt sich um eine Mischreligion mit zarathustrischen, christlichen und einigen hinduistischen/tantrischen Elementen. In zeitgenössischen Zeitungsberichten ist wiederholt von einem Sonnenkult die Rede. „Die Mazdaznan-Lehre ist Ausdruck der westlichen Rezeption asiatischer Heilsvorstellungen und -praktiken. Ha'nish variierte die Rassenlehre der damals erfolgreichen neureligiösen indisch-arischen Theosophie von Helena Blavatsky (1831-1891) und übernahm in seiner Atemlehre Elemente des Yoga.“

Die Anhänger sind Vegetarier, befolgen eine eigene Ernährungslehre, legen großen Wert auf tägliche Atemübungen und auf Meditationsübungen, darunter einige tantrische Übungen. Eine organisierte Anhängerschaft gibt es heute noch in Deutschland und Ungarn, in den USA, dem einstigen Schwerpunkt und Hauptquartier gibt es wie in Frankreich noch Anhänger.

Bekanntester Anhänger des Mazdaznan und von Otoman Zar-Adusht Ha’nish im deutschsprachigen Raum war der Schweizer Maler, Designer und Bauhaus-Lehrer Johannes Itten.

Gründer und Bewegung

Über Otoman Zar-Adusht Ha`nish gibt es nur wenige Daten. Der Öffentlichkeit ist er ausschließlich unter diesem Kunst-Namen bekannt. Er wurde seit 1890 verwendet, als Ha'nish in Chicago seine reformerische Lebensweise zu verbreiteten begann. Dort erhielt er auch angeblich um 1900 den Doktortitel der Medizin (M.D.) und hielt Vorlesungen zu vegetarischer Ernährung und über Darmreinigung.

Laut Aussagen einiger Schüler, die auf Hanishs Angaben beruhen, soll er Sohn des russischen Botschafters in Teheran und einer deutschstämmigen Mutter adliger Herkunft gewesen sein. Für diese Angaben gibt es keinen Beleg. Auf der deutschsprachigen Website der Bewegung heißt es: „Wann und wo er geboren war, wissen nicht einmal seine nächsten Jünger; denn diese und andere Einzelheiten seines privaten Lebens schienen ihm nie wichtig genug, um darüber zu sprechen.“ Er wurde angeblich aufgrund eines schweren Herzfehlers von seinen Eltern in eine zarathustrische Gemeinde im iranischen Hochland geschickt. Dort soll er dann mittels spezieller Atemtechniken gelernt haben, das Herzleiden zu heilen. Nach eigenen Angaben wurde Hanish dort rund 25 Jahre ausgebildet, bevor er sich zur weltweiten Verbreitung dieses überlieferten Lebensstils entschied.

Spätestens seit 1890 lebte Hanish in den USA, zuerst in Chicago, ab 1902 in New York und ab 1917 dann in Los Angeles, wo er die Reorganisierte Mazdaznan Tempel-Vereinigung der Verbündeten Gottes (engl. "Reorganized Mazdaznan Temple Association of God") gründete. Seit 1907 wurde die Lehre auch in Europa verbreitet.

Der Kritiker Upton Sinclair behauptet in seinen Werk Profits of Religion in "Book Six The Church of the Quacks" (sechstes Buch, Die Kirche der Quacksalber), dass Otoman Zar-Adusht Ha’nish ein "grocer-boy" (Sohn eines Lebensmittelhändlers) aus Mendota, Illinois, namens Otto Hanisch war. Sinclair: "I have traced his career in the files of the Chicago newspapers, and find him herding sheep, setting type, preaching prestidigitation, mesmerism, and fake spiritualism, joining the Mormon Church, then the "Christian Catholic Church in Zion", and then the cult of Brighouse, who claimed to be Christ returned. Finally he sets himself up in Chicago as a Persian Magi, teaching Yogi breathing exercises and occult sex-lore to the elegant society ladies of the pork-packing metropolis." (dt.: Ich habe seine Karriere anhand der Zeitungen in Chicago verfolgt und fand ihn dort als Schafhirte, Schriftsetzer, Prediger einer (...) falschen Spiritualität, Mitglied der Kirche der Mormonen, dann der 'Christlichen Katholischen Kirche in Zion' und dann des Kultes von Brighouse (...) Schließlich gab er sich in Chicago als persischer Magier aus, der Atemübungen lehrt und okkulte sexuelle Praktiken ...).

Es gibt auch die Vermutung, dass Ha'nish unter dem Namen Otto Hanisch 1854 in Posen geboren wurde und zunächst von Beruf Schriftsetzer war.

Bewegung

Ha'nish gründete um 1890 das erste Mazdaznan-Zentrum in Chicago (Mazdaznan Peace Centre). 1900 folgte die Gründung der Mazdaznan Temple Association of Associates of God mit Hauptsitz in Chicago. Seit 1998 lautet der offizielle Name The Mazdaznan Temple Association.

In Deutschland wurde die Mazdaznan-Lehre im Auftrag Ha'nishs seit 1907 durch die früheren kalifornischen Farmer und schweizstämmigen David and Frieda Ammann verbreitet. Unter der Leitung des David Ammann entstanden 1907 etliche Ableger in Leipzig, Dresden, Chemnitz, aber auch in Weimar, Hamburg und anderen großen Städten Deutschlands, die auch in Logen organisiert waren, so z.B. in Leipzig die Zarathustra-Gesellschaft und ein Jahr später die Mazdaznan-Tempel-Vereinigung für Deutschland und die deutschsprechenden Länder, die sich ab 1914 Mazdaznan-Bund nannte. Dieser besaß einen eigenen Verlag und einen Versand für diäetitische Lebensmittel.

Ammann wurde mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 nach der Publikation des Buches Inner Studies aus Leipzig als unerwünschter Ausländer ausgewiesen, weil darin tantrische Praktiken beschrieben wurden, und kehrte in die Schweiz zurück. In Herrliberg bei Zürich gründete er 1915 eine Mazdaznan-Siedlung, die er Aryana nannte. 1923 starb er unter ungeklärten Umständen. Heutige Mazdaznananhänger gehen auch heute noch von einer Verschwörung aus. Hanish selbst besuchte Europe im Jahr 1911 und nach dem Tod von David Ammann 1923 regelmäßig bis 1932.

Ein anderer bekannter Anhänger der Lehre war der Schweizer Maler Johannes Itten (1888 bis 1967). Von Oktober 1919 an war er als Lehrer am Bauhaus in Weimar tätig und warb dort auch Anhänger an. Itten gestaltete z.B. als seinen Beitrag zum ersten Bauhaus-Portfolio ein Zitat von Hanisch: Gruss und Heil den Herzen welche von dem Licht der Liebe erleuchtet und weder durch Hoffnungen auf einen Himmel noch durch Furcht vor einer Hölle irregeleitet werden.

Trotz der ideologischen Nähe zum nationalisozialistischen Denken wurde die Bewegung des Mazdaznan-Bundes 1935 in Deutschland verboten, 1938 auch der Vertrieb von Mazdaznan-Literatur. Nach 1945 blieb dieses Verbot in der DDR bestehen, so dass keine Neugründung dort möglich war, während in der BRD die Arbeit wieder aufgenommen werden durfte. 1959 wurde die Neuzeitliche Diät- und Lebensschule in Bringhausen am Edersee gegründet. Heute soll es in Deutschland einige tausend Mazdaznan-Anhänger geben. Das amerikanische Hauptquartier befand sich 1917 bis 1980 in Los Angeles. Dann wurde es nach Encinitas bei San Diego verlegt.

Lehre

Glaubensvorstellungen

Mazdaznan (sprich: Masdasnan) ist Wortschöpfung aus den altpersischen Worten Ahura Mazdā und Yaznan = "Verehrer des Höchstdenkbaren" und versteht sich als die Fortsetzung der monotheistischen Religion des Propheten Zarathustra. Eine andere Deutung des Namens geht von der Zendsprache aus. Hier heißt Ma = gut, zda = Gedanke; znan (Abk. von jasnan) = meisterhaft; Mazdaznan also "Meister des Gottesgedankens".

Mazda wird als außerhalb von Raum und Zeit stehender einziger und guter Gott betrachtet. Als sein Prophet gilt Zarathustra und später Mani. Zarathustra wiederum habe aus Steintafeln geschöpft, die von einer im Tibet lebenden Wahrheitssucherin Ainyahita mehrere Jahrtausende zuvor aufgezeichnet wurden.

In der materiellen Welt herrscht Jehova der als Kombination von Gutem (Mazda) und Bösem betrachtet wird. Als Propheten von Jehova betrachtet die Lehre Moses und Mohammed.

Weiter lehrt Mazdaznan, dass Zarathustra drei Erlöser prohezeit habe, die alle von einer Jungfrau geboren werden. Diese seien Krishna, Buddha und Yehoshua (fälschlich Christus genannt) gewesen. Deren Lehren seien später verfälscht worden.

Hanish nannte als Quelle seiner Lehre die Offenbarungen einer Prophetin namens Ainyahita aus dem Süden Tibets, der angeblichen Stammmutter der Arier. Sowohl Zarathustra als auch Jesus hätten lediglich ihre Lehren modifiziert.

Die Anhänger sprechen nicht von Glauben, sondern von „Lebenskunde“, die dazu dienen soll, durch disziplinierte Lebensweise bis hin zur Askese den Zustand der Vollkommenheit zu erreichen.

Rassenlehre

Zu Hanishs Lehre gehörte ursprünglich auch eine Rassenlehre, bei der die Arier auf der höchsten Stufe standen; zu ihnen zählte er auch die Semiten, nicht jedoch „Mischrassen“ wie die Inder und alle Farbigen. Ziel sei die Errichtung eines arischen Friedensreiches und Völkerbundes, von dem farbige Völker auszuschließen seien, da diese nicht „reinrassig“ seien.

Im Vorwort zur 1. Auflage des Buches Masdasnan Rassenlehre vom 14. August 1919 von David Amman heisst es: "Die Masdasnan-Rassenlehre Dr. O. Z. Hanishs ist das Weitblickendste, was bisher überhaupt über Rassenfragen und Entwicklung der Menschheit erschienen ist."

Heute vermeidet die Mazdaznan-Bewegung jede Bezugnahme auf Hanishs Aussagen zu den menschlichen Rassen, die entsprechenden Publikationen Hanishs werden heute nicht mehr vertrieben.

Atem- und Ernährungslehre

1908 veröffentlichte Hanish die erste deutschsprachige Ausgabe seiner Ernährungslehre. Üppiges Essen und Genusssucht gelten als große Übel. Die Folge übermäßigen Essens seien körperliche und geistige Störungen, aber auch Überheblichkeit, Klassendenken, Eroberungsdrang und Kulturverfall. Das erste Kapitel der Ernährungskunde beginnt mit dem Satz: "Der Mensch ist nicht auf Erden, um alles, was Wald, Wiese, Feld oder Garten abwerfen, in seinem Magen wie in einer Art Futterspeicher zu sammeln, auch nicht dazu, um eine Art Kirchhof oder Friedhof für tote Tiere zu sein. Vielmehr soll er hier auf Erden die Macht des Geistes über die Materie beweisen."

Die Basis der Mazdaznan-Ernährung ist Vollkorn-Getreide. Für das Brotbacken soll keine Hefe verwendet werden, da es sonst im Körper zur Gärung komme. Frische Lebensmittel werden bevorzugt; Gemüse sollte allenfalls gedünstet oder gebraten, aber nicht gekocht werden. Als Gemüse gelten alle Pflanzen, bei denen zwischen Aussaat und Ernte maximal 14 Monate liegen. Dauert die Reife länger, handelt es sich nach der Definition um "Kleinfrüchte", eine Zwischenform von Obst und Gemüse. Das Öl darf nur pflanzlich sein, da tierische Fette als unverdaulich betrachtet werden.

Der Verzehr von Fleisch wird grundsätzlich abgelehnt, da das Töten von Tieren als Widerspruch zum fünften Gebot der Bibel gesehen wird. Die Ernährung ist also rein vegetarisch, jedoch nicht vegan; Eier und Milchprodukte sind erlaubt. Käse fördert angeblich die Übersäuerung des Körpers. Reine Rohkost wird abgelehnt, da die Garung der Nahrung als Merkmal der Zivilisation und der Beherrschung der Natur gilt. Die Kost sollte zu zwei Dritteln aus Gemüse bestehen und zu einem Drittel aus Lebensmitteln, die Stärke, Fett und Eiweiß enthalten. Bei den Mahlzeiten sind besondere Regeln zur Zusammenstellung zu beachten, da ähnlich wie bei der Trennkost bestimmte Nahrungsmittel nicht zusammen gegessen werden sollen. Allerdings ist das Trennprinzip ein völlig anderes. Angeblich behindern Lebensmittel mit ähnlicher Struktur, also zum Beispiel solche, die jeweils Eiweiß enthalten, die Verdauung. Da der Morgen und der Nachmittag als "Hauptausscheidungszeiten" des Körpers gelten, soll zu diesen Zeiten nichts gegessen werden. Diese körperlichen Reinigungsrituale sollen u.a. auch gegen Warzen und Hautpigmente helfen, da hier für jeden offensichtlich "unreines Blut" und "geistige Unvollkommenheit" an die Oberfläche des Körpers gedrungen ist.

Die Mazdaznan-Ernährungslehre teilt die Menschen in drei Typen ein: materiell, spirituell und intellektuell. Diese Unterscheidung rührt aus der "Phrenologie", die verschiedene Gesichtsformen unterschiedlichen Menschentypen apriori zuordnet. Für jeden Typ gibt es eigene Ernährungsempfehlungen. Am stärksten eingeschränkt wird die Nahrungsauswahl beim spirituellen Typ, der auch weitgehend auf Milchprodukte verzichten soll, da er die besten Möglichkeiten hat die höchsten Stufen der Mazdaznanlehre zu erreichen. Darüberhinaus wird in einem eigenen Werk eine Diätetik für Kranke vorgestellt, die hauptsächlich die verderblichen Gärungsprozess im Körper verhindern soll.

Getrunken wird bei Mazdaznan vor allem destilliertes Wasser, aber nie zu den Mahlzeiten. Bier, Wein, Kaffee und schwarzer Tee werden in Maßen akzeptiert.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Empfehlungen zur Auswahl und Zusammenstellung der Lebensmittel nicht nachvollziehbar. Ernährungswissenschaftler kritisieren die Empfehlung von destilliertem Wasser, da dieses keinerlei Mineralstoffe enthält. Ansonsten sei die Ernährungsweise als Dauerkost durchaus geeignet."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Mazdaznan. -- Zugriff am 2007-12-16]

2 Rudolf Steiner (1861 - 1925):

österreichischer Esoteriker und Philosoph. Begründer der Anthroposophie. Auf Grundlage dieser Lehre gab Steiner einflussreiche Anregungen für verschiedene Lebensbereiche, etwa Pädagogik (Waldorfpädagogik), Kunst (Eurythmie, Anthroposophische Architektur), Medizin (Anthroposophische Medizin) und Landwirtschaft (Biologisch-dynamische Landwirtschaft).

3 Dalcroze

"Emile Jaques-Dalcroze (* 6. Juli 1865 in Wien; † 1. Juli 1950 in Genf), war ein Komponist und Musikpädagoge. Jaques-Dalcroze, häufig auch (falsch) Jacques-Dalcroze geschrieben, gilt als der Begründer der rhythmisch-musikalischen Erziehung. Dalcroze war zeitlebens auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten zum künstlerischen Ausdruck.

Leben, Werk und Wirkung

Der schweizer Komponist und Musikpädagoge Emile Jaques-Dalcroze wurde 1865 als Sohn schweizerischen Eltern in Wien geboren. Sein Vater war Uhrenfabrikatender. Mit seinen Eltern ging schon der kleine Jaques des Öfteren ins Theater und die Oper. Mit seiner Schwester Helene improvisierte er erste kindliche szenische Darstellung. Jaques-Dalcroze erhielt ab seinem 6. Lebensjahr Klavierunterricht. Seine Klavierlehrerin soll sehr streng mit ihm gewesen sein und ihm sogar das Improvisieren verboten haben.

Die Familie fährte nach Genf zurück, als der junge Emile war 10 Jahr alt. Er absolvierte eine Musikausbildung am Genfer Konservatorium (1877-1883) und studierte 2 Jahre Musik und Theater in Paris am Conservatoire de Musique (1884-1886). Inspiriert wurde er durch die additiven Modelle arabischer Rhythmik, als er für die Saison 1886/87 ein Engagement in Algier als zweiter Kapellmeister erhielt. Zurück in Wien erhielt Jaques-Dalcroze Unterricht in Komposition (Musik) von Anton Bruckner, den er jedoch zu streng und unpersönlich fand und daher zu Adolf Prosnitz (Klavier) und Hermann Graedener (Komponist) (Komposition) wechselte. Es folgte ein zweiter Paris-Aufenthalt (1889-1891), bei dem er den Schweizer Mathis Lussy kennenlernte und von ihm bedeutende Einflüsse in Ausdruck (Verhalten) und Rhythmustheorie erhielt. Weiterhin weckte er in Jaques-Dalcroze das grundsätzliche Interesse an Reformen.

Dann kehrte er nach Genf zurück und begann 1892 am Genfer Konservatorium zunächst als Theorierlehrer für Harmonielehre die Zusammenhänge zwischen Musik und ihrem tänzerischen Ausdruck über ihren Rhythmus zu untersuchen. Er entwickelte die musikpädagogischen Methoden seiner Zeit weiter, wobei er im Solfège-Uenterricht wiederum auf den Rhythmus, nämlich auf die rhythmischen Mängel seiner Schüler gestoßen wurde. Ab 1897 veröffentlicht er immer wieder Aufsätze über Rhythmik, Musik und Erziehung, die die Geschichte seiner Forschung beschreiben.

Von Genf aus verbreitete sich die seit 1902 gemeinsam mit Nina Gorter entwickelte Methode, die Methode Jaques-Dalcroze (MJD), als Rhythmische Gymnastik zunächst nach Deutschland (u.a. durch Alexander Sutherland Neill und Gertrud Grunow). Sein Ziel war ursprünglich die Entwicklung der Musikalität im Menschen gewesen, die sich infolge der Universalität des Rhythmus erweiterte. 1906 hatte er eine Begegnung mit dem Musiker und Bühnenbildner Adolphe Appia (1862-1928). 1911 gründete und leitete Jaques-Dalcroze zusammen mit Wolf Dohrn in Hellerau (bei Dresden) die Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus (die 1925 nach Laxenburg verlegt wurde). Die dortigen Unterrichtsdemonstrationen und Inszenierungen zogen die europäische Avantgarde an, und seine pädagogische und künstlerische Arbeit erreichte Weltgeltung. 1915 eröffnet er das heute noch bestehende Jaques-Dalcroze Institut in Genf. Etwa seit 1925 ist Rhythmik ein Studiengang an den Musikhochschulen Deutschlands. 1926 wurde die Internationale Vereinigung der Professoren der Jaques-Dalcroze-Methode gegründet, die 1977 in Federation Internationale des Enseignants de Rythmique (FIER) umbenannt wurde.

Neben Genf (International Jaques-Dalcroze Zentrum) gibt es heute noch ein Jaques-Dalcroze-Institut in Brüssel. Außerdem gibt es weltweit etwa 30 Ausbildungsstätten für Rhythmik, die sich zum Teil nach Jaques-Dalcroze nennen.

Emile Jaques-Dalcroze vertraute auf die Wechselbeziehung der musikalischen, körperlichen und emotionalen Erfahrung, die seine Arbeitsweise hervorrief. Über vielfältigste Übungen und die Improvisation wirkte sich die Rhythmik auf die musikalisch-künstlerische und die musikinterpretatorische Arbeit durch eine bewegte Darstellung aus. Er stellte fest, dass die Rhythmik eine positive Wirkungen in pädagogischen Prozessen und im sozialen Lernfeld zeigte. Er verstand sich u. a. in der Tradition von François Delsarte, der für die Pariser Oper in der Mitte des 19. Jahrhunderts Systeme zur Steigerung der menschlichen Ausdruckskraft entwickelt hat.

Zitate

Emile Jaques-Dalcroze (1919): Die künftige Erziehung muss die Kinder vor allem lehren, klar in sich selber zu sehen und ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu messen an dem, was frühere Generationen angestrebt und erreicht haben. Sie muss sie zu Erfahrungen anleiten, die ihnen erlauben, ihre eigenen Kräfte richtig zu bewerten, das Gleichgewicht zwischen ihnen herstellen und sie den dringenden Forderungen ihres besonderen wie auch des gesamten Daseins anzupassen.

Emile Jaques-Dalcroze (1944): Es ist sehr schwierig eine Methode in zwei Wörtern zu erklären, die selbstverständlich sehr ausführliche und sehr zahlreiche Studien und Erfahrungen verlangen wird. Es handelt sich darum, die verschiedenen Teile des Organismus der Kinder in Beziehung zu stellen: Gehirn, Rückenmark, figürliche Bewegungen, überlegte Bewegungen, ungewollte Bewegungen, Automatismen... und dann darum, die schlechten Automatismen zu zerstören, jene die sich der Freiheit ihrer Glieder widersetzen. Dafür habe ich den Beitrag der Musik, die sowohl regulierend, als auch stimulierend ist ..."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Emile_Jaques-Dalcroze. -- Zugriff am 2007-12-16]

4 Kayserling (richtig: Keyserling)

"Hermann Graf Keyserling, auch (seltener) Hermann Keyserling (* 20. Juli 1880 in Könno (estnisch: Kõnnu, heute Gemeinde Kaisma) im damaligen Livland, † 26. April 1946 in Innsbruck), war ein baltendeutscher Philosoph.

Leben

Keyserling stammte aus einem alten baltendeutschen Adelsgeschlecht. Sein Großvater war der in Russland angesehene Geologe Alexander Graf Keyserling. Er wuchs auf den abgeschiedenen livländischen Gütern seines Vaters auf, erst in Könno, dann in Rayküll, wo er von seinen Eltern und Hauslehrern unterrichtet wurde. Nach dem Tode seines Vaters (1895) heiratete seine Mutter Johanna im Jahre 1900 einen dieser Hauslehrer. Diese nicht standesgemäße Verbindung führte zu einem dauerhaften und folgenschweren Zerwürfnis zwischen Mutter und Sohn. Während Johanna sich radikal gegen Standesunterschiede wandte, wurde Hermann später zu einem Verfechter aristokratischer Ideale.

Nach dem Abitur (1897) übersiedelte Keyserling nach Genf, wo er Geologie studierte. 1898–1899 setzte er das Studium in Dorpat fort. Dort wurde er 1899 in einem Duell schwer verwundet. Darauf ging er nach Heidelberg, dann nach Wien, wo er 1902 das Geologiestudium mit der Promotion abschloss. In Wien schloss er Freundschaft mit dem Geschichtsphilosophen Houston Stewart Chamberlain, unter dessen Einfluss er sich der Philosophie zuwandte. Später trennten sich aber ihre Wege, und Keyserling übernahm Chamberlains Ansichten nicht. 1903–1906 wohnte Keyserling in Paris, 1906–1908 in Berlin, dann kehrte er auf sein Gut Rayküll zurück. Das Familienvermögen ermöglichte ihm das Leben eines freien Schriftstellers und Philosophen.

1911–1912 unternahm er die Weltreise, auf der sein bekanntestes Werk entstand, das Reisetagebuch, das aber wegen der Kriegswirren erst 1919 erschien und ihn dann schlagartig berühmt machte. Bis zum Ende der Weimarer Republik wurden trotz des anspruchsvollen philosophischen Inhalts 50 000 Exemplare verkauft. Nach dem Kriegsende emigrierte er nach Deutschland. Die entschädigungslose Enteignung seiner Güter durch die estnische Regierung brachte ihn 1919 um seine bisherige finanzielle Existenzbasis. Im selben Jahr heiratete er die Gräfin Maria Goedela Bismarck, eine Enkelin des Reichskanzlers Otto von Bismarck. Auf Einladung des ehemaligen Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen ließ er sich in Darmstadt nieder. Dort gründete er 1920 mit der Unterstützung Ernst Ludwigs und des Verlegers Otto Reichl die „Schule der Weisheit“, eine Lebensschule und vor allem eine Begegnungsstätte für maßgebliche Persönlichkeiten des geistigen Lebens. Zu den prominenten Förderern des Vorhabens gehörte Thomas Mann. Als philosophischer Schriftsteller und Leiter der Schule wurde Keyserling eine der berühmtesten Persönlichkeiten des geistigen Lebens in der Weimarer Republik. An den Jahrestagungen seiner Schule beteiligten sich u.a. Carl Gustav Jung, Max Scheler, Richard Wilhelm, Leo Frobenius, Paul Dahlke, Rabindranath Tagore, Frank Thieß und Hans Driesch. Ein Schwerpunkt seiner Bestrebungen war die europäische Auseinandersetzung mit asiatischem Denken, ein anderer der geistige Austausch zwischen Deutschland und Frankreich. Seine bekanntesten Werke wurden ins Englische, Französische und Spanische übersetzt und erregten auch im Ausland großes Aufsehen. Die Wirkung seines Auftretens prägte die Vorstellungen von dem, was ein Philosoph in der Öffentlichkeit sein kann.

Ab 1931 setzte sich Keyserling öffentlich mit dem erstarkenden Nationalsozialismus auseinander. Er bezeichnete ihn als Irrationalismus, der zur Katastrophe führen müsse, und folgerte: „der Nationalsozialismus […] darf […] als Partei niemals zur Führung gelangen“. Allerdings bemühte er sich, auch positive Aspekte im Nationalsozialismus zu finden. In der nationalsozialistischen Presse wurde er heftig angegriffen. Nach der Machtübernahme Hitlers erhielt er Redeverbot. Er konnte auch nicht mehr publizieren und durfte nicht mehr ins Ausland reisen. Wegen seiner Berühmtheit im Ausland wurden diese Verbote aber zeitweilig gelockert.

Nach dem Kriegsende plante Keyserling eine Neugründung der Schule der Weisheit in Innsbruck. Das Vorhaben fand in Österreich viel Unterstützung, kam aber nicht zustande, da Keyserling schon im April 1946 starb. Sein Sohn Arnold Keyserling trat später ebenfalls als Philosoph hervor.

Werk

Das Reisetagebuch eines Philosophen zählt zu Keyserlings grundlegenden Werken. Es enthält die philosophischen Eindrücke der Weltreise, die den Autor über das Mittelmeer, den Sueskanal und den Indischen Ozean nach Ceylon, Indien, China, Japan und Nordamerika führte. Fernöstliche Weisheit trifft hier auf die abendländische Weltanschauung. Das Motto lautete Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum. Er schilderte, dass er sich auf der Reise so in seine jeweilige Umgebung versenkte, dass er zu einem Teil von ihr wurde. Daher verglich er sich gern mit Proteus, dem griechischen Gott der Wandlung, der jede beliebige Gestalt annehmen konnte.

Im Spektrum Europas bot Keyserling Wesensbilder der europäischen Völker. Seine Schilderungen der nationalen Mentalitäten werden zum Teil noch heute für verblüffend aktuell gehalten. Allerdings sind sie auch stark von subjektiven, teils schroffen Wertungen des Verfassers geprägt. Das sehr kritische Kapitel über die Schweiz erregte großes Aufsehen und heftigen Widerspruch, fand in der Schweiz aber auch die kritische Zustimmung von Carl Gustav Jung. Das Portugal-Kapitel, das ebenfalls sehr negative Wertungen enthält, fehlt in einem Teil der Auflagen. Den Deutschen bezeichnete Keyserling als den einzigen sachlichen Menschen, als den einzigen Europäer, dem die Sache mehr bedeutet als der Mensch. Er kam zum Ergebnis, dass ganz Europa wesentlich eines Geistes sei; die Aufgabe Europas bestehe im Vertreten des Prinzips des Individualismus. Der Internationalismus sei in gewisser Hinsicht berechtigt, dürfe aber in Europa nicht siegen, da er sonst das Volkstum auflöse. Der Hauptrepräsentant des Internationalismus sei das Judentum, das in Europa seit dem Mittelalter, vom Standpunkt der anderen und in bezug auf die anderen beurteilt, eine parasitäre Existenz geführt habe. Nach Keyserlings Ansicht sollten die Juden statt dessen Juden bleiben und sich bewusst zu ihrem Volkstum bekennen, dann könnten sie künftig eine rein segensreiche Rolle spielen.

In den Südamerikanischen Meditationen, der Frucht einer Südamerikareise, entwickelte er seine Konzeption der Gana, eines blinden Drangs, der Gebundenheit an eine irrationale Unterwelt, die den ihr triebhaft verfallenen Menschen beherrscht. Den Gegenpol dazu bildet der Einbruch des Geistes, der mit tragischem Lebensgefühl beginnt und den geistbestimmten Menschen befähigt, sich vom Ernst der Erdschwere und aller Gebundenheit zu lösen und das Leben als Spiel, als Schauspiel aufzufassen („Divina Commedia“).

Der Nachlass Keyserlings wird in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt verwahrt.

Kritik

Neben begeisterten Anhängern hatte Keyserling auch erbitterte Gegner. Zu diesen zählten prominente Persönlichkeiten des geistigen Lebens wie Kurt Tucholsky, Rudolf Steiner, Hans Blüher und Ludwig Klages. Klages beschuldigte Keyserling des Plagiats, was zu einer heftigen Auseinandersetzung führte, in der Keyserling 1933 Klages in einem Schmähartikel angriff. Aus der Sicht der Universitätsphilosophie wurde Keyserling distanziert bis ablehnend wahrgenommen. Vorgeworfen wurden ihm neben gravierenden stilistischen Mängeln unter anderem Snobismus und Überbetonung der eigenen Person sowie Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit in vielen Details. Seine Verherrlichung des Adelsideals - er sah im Grandseigneur den "Höchstausdruck" des Menschlichen - stieß bei Demokraten auf scharfen Widerspruch. Sein Anspruch, Weisheitslehrer und Leiter einer Weisheitsschule zu sein, bot Anlass zu Spott. Emil Preetorius verfasste ein Schmähgedicht, aus dem ein Schüttelreim berühmt wurde: Als Gottes Atem leiser ging, schuf er den Grafen Keyserling. Besonders heftig war die Polemik Tucholskys gegen Keyserling. Zu den ideologischen Kritikern Keyserlings zählte Joseph Goebbels."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Graf_Keyserling. -- Zugriff am 2007-12-16]



Abb.: Neue Zeitschriften Der gute Yoga-Kamerad : monatliche Lotosblätter für okkulte Lebensgestaltung / Karikatur von Erich Schilling (1885 - 1945). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 29, Nr. 34 („Mehr Zeitschriften!!“), S. 454. -- 15. November 1924

Unsere Vizepräsidentin Frau Geh. Oberrechnungsrat Meiselzwing verrichtet ihre allmorgendliche vorbildliche Yoga-Versenkung.


Abb.: Reinkarnation / von Friedrich Bulicke

O Wirrsal! O Zweifel, verdammter! --
Ich wusst' mich vom Schicksal geneppt,
Tageüber als kleiner Beamter, --
Nachts aber als götterentstammter,
Geheimwissender Adept -- --:

Da, -- wahrheitenthüllende Isis!
Hast nachts du im Traum mich entwirrt --!
Du löstest die innere Krisis -- -- --
Und zeigtest mir sonnenklar, wie's is, --
Wie's war -- und wie's einstmals sein wird! -- --

Du fasstests mich sanft bei den Ohren --!
Da -- wurden sie länger -- -- und lang -- -- --
Da fand ich mich, grau und geschoren,
Als -- Eselshengst wiedergeboren -- --
Und wiehernd erhob ich den Gesang --:

"Einst war ich als der -- 'Goldene Esel'
Des Apulejus1 bekannt -- --!
Nun -- wiedergeboren zu Wesel --!
Bin ich verlobt mit der Resel -- --!!
Und Oberkanzleiaspirant -- -- --!!!"

Erklärung:

1 'Goldene Esel' des Apulejus [Apuleius]

"Apulējus, röm. Rhetor, geb. um 125 n. Chr. zu Madaura in Numidien [gest. um 170 n. Chr.], genoss den ersten Unterricht in Karthago, studierte in Athen namentlich Platonische Philosophie und ließ sich nach weiten Reisen in Rom als Sachwalter nieder. Hier entstand sein Hauptwerk, die »Metamorphoses« in 11 Büchern (auch »De asino aureo« [»Vom goldenen Esel«] benannt, hrsg. von van der Vliet, Leipz. 1897; übersetzt von Rode, Berl. 1783), ein phantastisch-satirischer Sittenroman, dessen Grundlage ein griechischer Roman bildet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Redaktionelle Notiz

Unsere verehrt Abonnenten machen wir darauf aufmerksam, dass wir ihnen bei fester Vorbestellung eines ganzen Jahrgangs unserer Zeitschrift die altbewährten, unfehlbaren Rezepte des großen Adepten Basilius Valentinus zur Herstellung von echtem Gold aus Blei, als Prämie überlassen.

Gleichzeitig erinnern wir dringend an die pünktliche Einhaltung der Zahlungstermine für die Mitgliedbeiträge unseres Bundes, da wir angesichts der gegenwärtigen schwierigen Geldverhältnisse keineswegs Stundungen bewilligen können. Zuerst muss die geschäftliche Seite unseres Bundes in Ordnung sein! Mens sana in corpore sano!1 Wo kämen wir sonst hin.

Die Geschäftsstelle

Erklärung:

1 Mens sana in corpore sano (lateinisch): "in einem gesunden Körper (wohne) eine gesunde Seele" (Juvenal, Sat. 10,356)


Abb.: Ein selbsterlebter Fall von nächtlichem Austritt des Astralleibes aus einem höheren sächsischen Staatsbeamten


Abb.: Illustration zu obigem Artikel


1925



Abb.: Rudolf Steiner † / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 30, Nr. 3, S. 35. -- 20. April 1925

"Ich bin der Herr, Mein Gott. Ich kann keine andern Götter neben mir dulden."

Erklärung:

Am 30. März 1925 ist Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie in Dornach (Schweiz) gestorben.


Abb.: Rudolf Steiner um 1905
[Bildquelle: Wikipedia]


1926



Abb.: Unsers lieben Herrn Staatsanwalts braver Normalmensch  / Karikatur von Karl Arnold (1833 - 1953). -- In Simplicissimus. -- Jg. 30, Nr. 40, S. 579. -- 4. Januar 1926

"Nieder mit der Karikatur! Sie stört mir meine Freude an den täglich erscheinenden süßen Bildeln!"

Erläuterung: Die Simplicissimus-Ausgabe vom 1925-12-14 wurde von der Staatsanwaltschaft wegen einer Zeichnung von Heinrich Zille beanstandet, die nackte Frauen gezeigt hat. Die Ausgabe mit obiger Kollage wurde von der Staatsanwaltschaft Stuttgart beschlagnahmt, obwohl alle Fotos der Kollage aus schon veröffentlichten Zeitschriften stammen.



Abb.: Cäsar Mussolini / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 31, Nr. 5, S. 65. -- 3. Mai 1926

"Ich habe mich entschlossen, den lieben Gott gelten zu lassen. Aber er muss Italiener werden."

Anmerkung:

Und Gott wurde Italiener: Am 11. Februar 1929 unterzeichnen der faschistische Diktator Benito Mussolini und Kardinals-Staatssekretär Pietro Gasparri in Rom die Lateranverträge. Dadurch wurde der Katholizismus zur Staatsreligion, der Kirchenstaat wurde für die durch die italienische Einigung 1870 erlittenen Gebietsverluste entschädigt, und der Vatikan erhielt die volle Souveränität. (Alois Payer)



Abb.: Einbruch beim Wahrsager / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 31, Nr. 12, S. 158. -- 21. Juni 1926

"Warum erschrecken Sie? Haben Sie meinen Besuch denn nicht erwartet?"



Abb.: Das Gesetz zum  Schutz der Jugend gegen Schmutz und Schund / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 31, Nr. 18, S. 234. -- 2. August 1926

 Baut Wohnungen statt Paragraphen!

Erläuterung: Am 3. Dezember 1926 wird wird vom Reichstag in 3. Lesung das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzzeitschriften mit 250 gegen 158 Stimmen angenommen.



Abb.: Das Volk / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 31, Nr. 35 („Evviva l'Italia!“), S. 456. -- 29. November 1926

"Gegen Erdbeben helfen Prozessionen, aber gegen Mussolini1 -- --?"

Erklärung:

1 Benito Mussolini (1883 - 1945): von 1922 bis 1943 faschistischer Diktator (Duce) Italiens.


1927


Sagittarius: Salzburger Christusfilm1. -- In Simplicissimus. -- Jg. 32, Nr. 22, S. 290. -- 29. August 1927

O du jazzende,
o du schmatzende,
neppende Salzburger Festspielzeit!
Welt ward verschlimmert.
Christ wird geflimmert.
Freue, freue dich, o Christenheit.

O die pachtenden,
schminkend-schmachtenden
Seelenschmarotzer sind auch schon da:
Christ ist erschienen,
dass sie verdienen.
Freue, freue dich, Amerika!

O du tanzende,
o du wanzende,
hundeschnauzlüsterne Bourgeoisie!
Christus (Herr Warner2)
wird dein Umgarner --
Freu dich: Maria (Miss Dorothy3).

Erklärung:

Parodie auf das Weihnachtslied "O du fröhliche, o du selige ...":

O du fröhliche,
O du selige,
Gnadenbringende Weihnachtszeit.
Welt ging verloren,
Christ ward geboren,
Freue, freue dich, o Christenheit!

Klicken Sie hier, um die Melodie zu hören
[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/ODuFrohl.html. -- Zugriff am 2007-12-17]

1 bezieht sich auf The King of Kings, einen Monumentalfilm von Cecil B. DeMille aus dem Jahr 1927. Österreichpremiere: 1928

2 Harry Byron Warner (1875 - 1958) spielte den Jesus.

3 Dorothy Cumming (1899 – 1983) spielte die Maria.



Abb.: Kirche und Sowjet / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 32, Nr. 24, S. 321. -- 12. September 1927

11"Vertragen wir uns doch -- der gute Muschik1 hat Glauben genug für zwei Götzen!"

Erklärung:

1 Muschik = Bauer im zaristischen Russland



Abb.:  Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 32, Nr. 38, S. 518. -- 19. Dezember 1927

"Du, Resl1, wie heißt 'derblecken' auf aramäisch?"

Erklärung:

1 Therese Neumann, genannt Resl von Konnersreuth (1898 - 1962): bayerische Bauernmagd. Weltweit bekannt wurde sie durch Stigmata, die sich ab 1926 bei ihr zeigten. Sie soll auch seit dieser Zeit für den Rest ihres Lebens außer der Kommunion weder gegessen noch getrunken haben. Bei ihren Visionen soll sie auch in der Lage gewesen sein, aramäisch zu sprechen. (Wikipedia)


Vom Himmel hoch  (zu einer Karikatur von Eduard Thöny (1866 - 1950)). -- In Simplicissimus. -- Jg. 32, Nr. 39, S. 531. -- 26. Dezember 1927

"Na, Daisy -- kommt zu euch auch das Christkindl?" -- "Aber selbstmurmelnd -- Mystik ist doch jetzt die große Mode!"


1928



Abb.: Übers Grab hinaus! / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 32, Nr. 48, S. 649. -- 27. Februar 1928

"Wir finden Trost in dem Glauben unserer Kirche: Auferstehn, ja auferstehn wirst du!"

Erläuterung: bezieht sich auf das Reichsschulgesetz: am 15. zerbricht die seit dem 29. Januar 1927 bestehende Regierungskoalition zwischen Zentrum, DVP, DNVP und BVP, da kein Kompromiss zu einem Reichsschulgesetz möglich ist: Zentrum und DNVP wollen eine Aufwertung der konfessionsgebundenen Schule gegenüber der Gemeinschaftsschule.



Abb.: Große Überraschung für das Christkind / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 33, Nr. 38 („Weihnachtsüberraschungen“), S. 488. -- 17. Dezember 1928

Stefan George1 hat sich nach sechzigjähriger Prüfungszeit überzeugt, dass das Christkind heilig genug ist, um in seinen Kreis aufgenommen zu werden.

Erklärung:

1 Stefan George (1868 - 1933): deutscher Dichter, Lyriker des Symbolismus und später auch der Neuromantik.


Abb.: Stefan George, 1910
[Bildquelle: Wikipedia]

"George-Kreis wird die Gruppe um den Dichter Stefan George genannt.

Dieser Kreis hatte keine klar benannte Struktur oder Definition seiner Mitglieder. Er entwickelte sich aus der Gruppe um die von George herausgegebenen Blätter für die Kunst.

Bestand die Gruppe zunächst aus einer Sammlung von Schülern um den Dichter, so wurde der George-Kreis mehr und mehr zu einer Gruppierung sich elitär denkender junger Literaten. Mittelpunkt, Heilsbringer und Bewerter war George selbst, 'Glaubenstext' dessen Publikationen. Die Treffen des George-Kreises hatten einen rituell-kultischen Charakter, nur Ausgewählte durften an diesen teilnehmen. Eine wichtige Rolle spielte die gemeinsame Rezitation von Texten und eine kultische Verehrung. So wurde zum Beispiel Maximilian Kronberger, der in jungem Alter an einer Gehirnhautentzündung gestorben war, durch George und den inneren Kreis zu einer Gottheit stilisiert (Maximin-Kult).

Es entstand ein engerer wie ein weiterer Kreis; mit dem Anwachsen der Organisation wurde die Gemeinschaft in kleinere Kreise aufgeteilt, welche intern die Struktur des Kreises wiederholten.

Inhaltlich versuchte George unter dem Titel eines geheimen Deutschland eine bündische Struktur mit klaren Hierarchien aufzubauen, die sich durch ästhetische Überlegenheit kennzeichnen und von der Realität abgrenzen sollte. Es ging ihm offenbar um eine mystisch fundierte, antimoderne Gesellschaft. Nach 1945 wurde dieses geheime Deutschland mehrmals als mögliches Widerstandsmodell gegen den Nationalsozialismus bezeichnet. Aber auch das Gegenteil ist der Fall, im George-Kreis wird eine Keimzelle nationalsozialistischen Ideengutes vermutet.

Auffällig am George-Kreis war die männerbündische Konstante. Keine Frau hatte Zugang zum inneren Kreis, und nur sehr wenige – meist Ehefrauen anderer Jünger – konnten sich am Rand der Gruppe behaupten. Die Mitglieder wechselten mit den Jahren, mit dem Tod Georges (1933) zerfiel der Kreis.

Aufgrund seiner Naturmystik, seiner Ablehnung der Zivilisation und seines elitären Gestus wird der George-Kreis oft im Einflussbereich der konservativen Revolution angesiedelt.

Mitglieder

Im weiteren Sinne gehörten auch Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal hinzu, vom Kreis im engeren Sinn sind die wohl bekanntesten: Friedrich Gundolf, Robert Boehringer, Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine älteren Brüder Alexander und Berthold, Karl Wolfskehl, Max Kommerell, Henry von Heiseler, Edgar Salin und Ernst Kantorowicz. Ferner gehörten Paul Gerardy und Ludwig Klages dazu."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/George-Kreis. -- Zugriff am 2007-12-17]


1929



Pro deo1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 33, Nr. 41, S. 540. -- 7. Januar 1929

"Du wirst kurzsichtig, lieber Gott -- du hast schon wieder eine Lästerung übersehen!"

Erklärung:

1 pro deo (lateinisch) = "für Gott". Bezieht sich auf den Gotteslästerungsparagraphen (Reichsstrafgesetzbuch § 166).



Abb.: Josephine Baker1 in München / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 33, Nr. 49, S. 634. -- 4. März 1929

"Hinaus mit dir! In Bayern dürfen nur wir bodenständigen Schwarzen auftreten."

Erklärung:

1 Josephine Baker (1906 - 1985): US-amerikanische Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin. Erhielt wegen ihrer knappen Kostüme (Bananenröckchen) und ihrer Tänze erhielt sie Auftrittsverbote in Wien, Prag, Budapest und München.


Abb.: Josephine Baker im Bananenröckchen, 1927
[Bildquelle: Wikipedia]



Abb.: König und Kirchenstaat1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 33, Nr. 49, S. 643. -- 4. März 1929

"Bittschön, großer Mussolini, gib mir auch ein Fleckchen italienischer Erde, wo ich herrschen darf."

Erklärung:

1 Durch die Lateranverträge vom 11. Februar 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem damaligen Königreich Italien (vertreten durch den faschistischen Ministerpräsidenten Benito Mussolini) anerkannte und garantierte der italienische Staat die politische und territoriale Souveränität des Vatikans (kirchenstaates). garantiert.



Abb.:
Konkordat in Preußen — geistliche und weltliche Erziehung / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 34, Nr. 15, S. 173. -- 8. Juli 1929

"Unter uns, Herr Gewerkschaftssekretär, unser beiderseitiges Interesse wäre eigentlich, Analphabeten zu züchten."

Erläuterung:

"Das Preußen-Konkordat (lateinisch concordatum : Vereinbarung, Vertrag) bezeichnet einen am 14. Juni 1929 zwischen dem Freistaat Preußen und dem Heiligen Stuhl geschlosssenen Vertrag, welcher in der italienischen Version Solenne convenzione genannt wird, welcher aber dem Wortsinn nach kein feierlicher Text ist.

Der Vertrag behandelt im wesentlichen die Neugliederung der Diözesen, dass neben das alte Erzbistum Köln die neuen Erzbistümer Paderborn und Breslau treten sollen. Die innere Solennität des Dokuments resultiert aus der zeitgeschichtlichen Bedeutung. Seit 1918 war der Codex Iuris Canonici in Kraft, um dem Vatikan lag sehr daran, im Sinne dieses neuen Kirchenrechts seinen Einfluss, besonders auf das Schulwesen, auf weltlicher Seite zu verankern.

Päpstlicher Unterhändler war der Nuntius (kirchlicher Staatssekretär im Range eines Kardinals) Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., der aber die konfessionelle Schule und Lehrerbildung, wie er sie 1924 mit Bayern hatte regeln können, im evangelisch dominierten Preußen nicht durchbrachte. Immerhin wurden die Diözesen eine staatliche Dotation von jährlich 2,8 Millionen Reichsmark gewährt. Dafür sicherte sich die Regierung eine Art von Mitwirkung bei der Wahl von Bischöfen.

Diese wurden vom Papst erst ernannt, wenn Berlin keine "Bedenken politischer Art" vorzubringen hatte. Zur Zeit der Deutschen Demokratischen Republik wurde dieses Konkordat nicht anerkannt, während heute wieder darauf in den neuen Bundesländern Bezug genommen wird."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fen-Konkordat. -- Zugriff am 2005-02-07]

[Bildquelle: Chronik 1929 / [Autor: Brigitte Beier]. -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1988. -- 240 S. : zahlr. Ill. . -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-611-00039-6. -- S. 101.]



Abb.: Die Weißenberg-Sekte1 / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 34, Nr. 18, S. 219. -- 29. Juli 1929

Erklärung:

1 = Evangelisch-Johannische Kirche nach der Offenbarung St. Johannis.
"Die Johannische Kirche ist eine 1926 von dem Religions- und Sozialreformer Joseph Weißenberg (24.08.1855-06.03.1941) gegründete nachchristliche Neuoffenbarungsreligion auf spiritualistischer Grundlage, die sich selbst als christliche Kirche versteht. In Berlin und Brandenburg hat sie den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Die 1934 noch über 100.000 Anhänger zählende Gemeinschaft in ehemals 400 Gemeinden mit zahlreichen Predigern, Vereinen und eigener Siedlung Friedensstadt bei Trebbin hat heute im deutschen Sprachraum um die 3.000 Mitglieder.

1903 wurde von Joseph Weißenberg die Christliche Vereinigung ernster Forscher von Diesseits nach Jenseits, wahrer Anhänger der Christlichen Kirchen gegründet. Obwohl diese Vereinigung aus der evangelischen Kirche hervorgegangen ist, führte die scharfe Kritik Weißenbergs an der Kirche, die personenbezogene zentralistische Führung innerhalb seiner Vereinigung sowie kirchliche Zurückhaltung bezüglich einer Reihe von dokumentierten Heilungen und prophetischen Aussagen schließlich zum Bruch mit der Mutterkirche. Weißenberg trat aus der Kirche aus und gründete am 15. April 1926 die Evangelisch-Johannische Kirche nach der Offenbarung St. Johannis. Seit 1975 trägt sie den Namen Johannische Kirche."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Johannische_Kirche. -- Zugriff am 2007-12-17]


Fusion der Konfessionen (zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In Simplicissimus. -- Jg. 34, Nr. 33, S. 399. -- 11. November 1929

"Die Religion ist in Gefahr! Legen wir zusammen -- dann haben wir das Welt-Glaubens-Monopol."


1930



Abb.: Die Jagd nach dem Glück / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 35, Nr. 26, S. 301. -- 22. September 1930


1932


Ein neuer Beweis für Einstein (zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In Simplicissimus. -- Jg. 37, Nr. 7 („Heil Preußen“), S. 81. -- 15. Mai 1932   

[Einstein zu einem katholischen Geistlichen:] "Ja sehen Sie, Hochwürden, da bewährt sich wieder mal meine Relativitätstheorie: Das hätte der selige Torquemada1 sich auch nicht träumen lassen, dass seine Partei2 noch mal die Hoffnung der Demokratie werden würde."

Erklärungen:

1 Torquemada

"Thomas de Torquemada, span. Inquisitor, geb. 1420 in Valladolid, gest. 16. Sept. 1498 im Kloster von Avila, getaufter Jude, war 22 Jahre lang Prior des Dominikanerklosters in Segovia, 1482 Adjunkt der Inquisition, seit 1483 General- oder Großinquisitor in Kastilien und Aragonien. Als solcher hat er seinen Namen mit Fluch und Blut beladen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 die klerikal-katholische Zentrumspartei



Abb.: Moral-Zoologie / Karikatur von Thomas Theodor Heine (1867 - 1948). -- In Simplicissimus. -- Jg. 37, Nr. 10, S. 117. -- 5. Juni 1932

"Seht ihr, liebe Kinder, der Stier ist zwar stärker, aber der Ochse steht dafür sittlich höher!"


Wer schützt Gott vor seinen Freunden? (zu einer Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>). -- In Simplicissimus. -- Jg. 37, Nr. 10, S. 119. -- 5. Juni 1932

[Gott:] "Mit den Gottlosen wäre ich schließlich auch noch ohne Notverordnung fertig geworden, aber mit den Pastoren, die mich für Hitler reklamieren wollen, ist das nicht so einfach!"

Erklärung:

1932 wurden die Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC) gegründet, eine einflussreiche nationalsozialistische, antisemitische Bewegung in den evangelischen Landeskirchen.

"1932 gründete der Berliner Pfarrer Joachim Hossenfelder [1899 - 1976] die Glaubensbewegung Deutsche Christen als innerevangelische Kirchenpartei für das ganze Reich. In ihren „Richtlinien“ hieß es:

„Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen. […] Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten. […] In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper.“

Zu ihrem im Sommer 1932 veröffentlichten Programm gehörte ferner

  • die Auflösung der von Synoden regierten 29 Landeskirchen, die in ihrem Bekenntnis frei waren, und Schaffung einer nach dem Führerprinzip strukturierten „Reichskirche“
  • der Ausschluss der Judenchristen
  • die „Entjudung“ der kirchlichen Botschaft durch Abkehr vom Alten Testament, Reduktion und Umdeutung des Neuen Testaments
  • die „Reinhaltung der germanischen Rasse“ durch „Schutz vor Untüchtigen“ und „Minderwertigen“
  • die Vernichtung des „volksfeindlichen Marxismus“."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Christen. -- Zugriff am 2007-12-19]



Abb.: Religion / Karikatur von M. Frischmann. -- In Simplicissimus. -- Jg. 37, Nr. 26, S. 310. -- 25. September 1932

"Seht mal an, Kinners, dass es andern Leuten schlecht geht und uns gut, das hat Gott eben so gewollt und gegen den Willen Gottes soll man sich nich ufflehnen."


1933



Abb.: 1933 ein Jahr der neuen Humanität. -- In Simplicissimus. -- Jg. 37, Nr. 40 („Neujahr“), S. 471. -- 1. Januar 1933

Die Zunahme des Okkultismus wird wieder zu Hexenverbrennungen führen. Der sozialen Zeitrichtung folgend, werden die Hexen gebündelt an die ärmere Bevölkerung abgegeben.


1933-01-30 Adolf Hitler wird Reichkanzler


1933-03-24 Ermächtigungsgesetz



Abb.: Kirche und Politik: /  Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 38, Nr. 16, S. 181. -- 16. Juli 1933

"Schluss damit, ich selbst verhalte mich neutral — warum politisieren meine Angestellten!"


1935



Abb.: Die klösterlichen Devisenschiebungen /  Karikatur von Olaf Gulbransson <1873 - 1958>. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 40, Nr. 11, S. 124. -- 9. Juni 1935

"Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen" (Matthäusevangelium 6, 19)

Erläuterung:

"17. Mai 1935. Im ersten sog. Devisenprozess verurteilt ein Berliner Schöffengericht Wernera Wiedenhöfer, eine Ordensschwester der Vinzentinerinnen, zu fünf Jahren Zuchthaus, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für fünf Jahre und einer Geldstrafe von 140000 RM.
Der Angeklagten wird die »geistige Urheberschaft« an Transaktionen vorgeworfen, bei denen zwischen 1932 und 1934 insgesamt 252000 RM an Ordensgeldern über Belgien km in die Niederlande gebracht worden sind, ohne dass vorher die notwendige Genehmigung der staatlichen Devisenstelle eingeholt worden war. Der Prozess löst eine Welle von weiteren 60 »Priesterprozessen« aus."

[Quelle: Chronik 1935 / Matthias Felsmann ; Dorothee Merschhemke . -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1989. -- 240 S. : zahlr. Ill. -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts.) -- ISBN 3-611-00074-4. -- S. 89]


1939-09-01 Deutscher Überfall auf Polen, Beginn des Zweiten Weltkriegs


1941



Abb.: Blähungen / Karikatur von Erich Schilling (1885 - 1945). -- In: Simplicissimus. -- Jg. 46, Nr. 19, S. 295. -- 7. Mai 1941

"Da schau, Loisl, unser Pafarra werd allaweil dicka!'—'Koa Wunda, wo er do seine politischen Redn auf da Kanzl nimma nauslassn ko!"


1943



Abb.: Die Fromme Miss / Karikatur von Erik. -- In: Simplicissimus. -- Jg. 48, Nr. 10, S. 159. -- 1943

"Hergott -- lösch' sie aus, diese hundert Millionen Deutschen!"


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren VI: L'Assiette au Beurre (1901 - 1912)

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