Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren VIII:

Süddeutscher Postillon (1882 - 1910)


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren VIII: Süddeutscher Postillon (1882 - 1910)  /  kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2004-11-02. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen8.htm  

Erstmals publiziert: 2004-04-21

Überarbeitungen: 2004-11-02 [Ergänzungen]; 2004-10-12 [Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelblatt, Maifeier, 1893

Süddeutscher Postillon. -- Stuttgart : Dietz . --   1.1882 - 29.1910,26; damit Erscheinen eingestellt


Quelle aller Abbildungen:

Süddeutscher Postillon : Ein Querschnitt in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Berlin [u.a.] : Dietz, [1979?]


1886


Mädchen-Turnen

Es kann mir — so der Mucker1 spricht —
Das Turnen nicht gefallen.
Ich lieb' es schon bei Männern nicht,
Es bringt das Blut ins Wallen.

Doch wehe, wenn ein Mädchen springt
Und schaukelt sich am Recke!
Die Turnerin holt unbedingt
Der Teufel sich vom Flecke.

Die Tugend und die Sittlichkeit
Und die Moral entweichet,
Sobald ein Mädchen schürzt das Kleid
Und ihre Füßchen zeiget.

Und geht ein Mädchen weiter dann
Auf solchen Sündenpfaden, -
Ich weiß es wohl! Dann siehet man
Zuweilen gar die Waden.

Man sage nicht: gesund nur sei
Beim Turnen die Erregung!
Die Arm' und Beine sind dabei
Unschicklich in Bewegung.

Und dadurch findet Sünde statt
Beim Turnen ganz notwendig,
Denn dass ein Mädchen Beine hat,
Das ist schon unanständig!

In: Süddeutscher Postillon. -- 1886, Nr. 66, Beiblatt.

Erläuterung:

1 Mucker:

"Mucker: Pietist. Die Jenaer Studentensprache taufte Pietisten wie Eva von Buttler, Heinrich Schönherr, Ebel und Diestel Mucker. Das war am heutigen Wortsinn gemessen eine Fehlbezeichnung, denn das Pietistendogma der Heiligkeit des Geschlechtsverkehrs ist das Gegenteil von dem, was wir heute unter Muckertum verstehen. Eva von Buttler glaubte um 1700, dass die letzte Heiligung nur durch Koitus mit der Menschenmutter Eva (und ersatzweise mit anderen Frauen, z. B. mit ihr selber) erlangt werden könne. Die Ebel-Diestelschen Pietisten in Königsberg hielten ten Gottesdienste, bei denen die Frauen nackt waren (um 1820), und erfanden den «Seraphinen-Kuss» (rituellen Zungenkuss)."

[Quelle: Borneman, Ernest <1915 - 1995>: Sex im Volksmund : Die sexuelle Umgangssprache d. dt. Volkes. Wörterbuch u. Thesaurus / Ernest Borneman. -- Reinbek b. Hamburg : Rowohlt, 1971. -- ISBN 3-498-00428-X. -- s.v.]

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 11.] 


1892


Eduard Fuchs (1870 - 1940): Karfreitagsklänge

Für Melodie "O Haupt voll ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/spiritua/ohauptvo.html. -- Zugriff am 2004-10-12]

Vom Kirchenchor hallts fromm empor:
„O Haupt voll Blut und Wunden."
Die Menge horcht mit Mund und Ohr,
Als salbungsvoll der Priester schwor:
„Vom Tod sind wir entbunden."

Auf Eiderdaunen macht sich breit
Der Reichtum mit Maitressen.
O Leideszeit! Karfreitagszeit!
Des Christen schönstes Feierkleid
Bei Sekt und Austernessen!

Der Priester spricht: „Durch Christi Blut
Sind alle wir auf Erden
Erlöset von des Teufels Brut,
Des Mittlers Blut gibt Christen Mut
Gen alle Todbeschwerden."

Der Arme stöhnt vom Siechenbett,
Wo ihn die Schwindsucht hingestreckt:
„Mein Weib . . . mein Kind ... ah ... ah ..."
Ein Blutstrom noch dem Mund entquoll:
„Wer so stirbt, der stirbt wohl!"

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 8

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 28.]


Karl Kaiser (1868 - ?): Sitte

Im Königsschloss zu Memphis
War großer Galatag,
Und feierliche Stimmung
Auf den Gesichtern lag.

Der Pharao, der große,
Verehlichte sich heut,
Doch nicht mit seiner Schwester
Wies Sitte war zurzeit.

Entgegen aller Sitte
Ägyptischer Moral
Es wurde eine Fremde
Des Pharao Gemahl.

Ägyptens viele Pfaffen
Die waren dess' nicht froh,
Jedoch das war Pomade
Dem großen Pharao.

Er ließ ganz einfach Platten
Auffinden, worauf stand:
Osiris selbst verbiete
Das Schwester-Eheband.

Da schnauften alle Pfaffen
Gar herzerleichtert auf;
Und ist der Pfaff zufrieden,
Ist's auch der große Häuf.

Gerettet war die Sitte
Ägyptischer Moral;
Der König kam zum Weibchen,
Die Pfaffen aus der Qual.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 10

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 36f.]


Ernst Klaar (1861 - 1920): Die Tugendrose


Abb.: Tugendrose [Bildquelle: http://www.kath.net/detail.php?id=8273.. -- Zugriff am 2004-10-12]

Es sandte der Herrin von Portugal
Der Papst eine Tugendrose,
Die barg viel schimmerndes Edelgestein
In ihrem goldenen Schöße.

Der Goldschmied, der dies Blümlein gemacht,
Kann seinem Herrgott danken,
Denn er bekam für das Werk seiner Kunst
An fünfzigtausend Franken.

Wohl ist der Papst ein armer Mann,
Der Ärmste unter den Knechten,
Es müssen die Priester und Pfaffen sein
Allüberall für ihn ,,fechten".

Doch kann ihn dieses hindern nicht,
Die Tugend zu belohnen,
Doch nur, wenn sie im Prachtgewand
Sich spreizt aufschimmernden Thronen.

Das arme Weib im Bettlerkleid,
Das reine, das sittlich große,
Bekam von seiner Heiligkeit
Noch nie eine Tugendrose.

Erläuterung:

"Lourdes (www.kath.net / CWNews.com)

Papst Johannes Paul II. wird bei seinem Besuch im französischen Marienwallfahrtsort Lourdes am 14. und 15. August eine seltene päpstliche Auszeichnung mitbringen: Die „Goldene Rose“.

Sie wurde im 11. Jahrhundert erstmals von Papst Leo IX. an besonders verdienstvolle Personen, Institutionen oder auch Städte und Orte verliehen, die sich als „Kämpfer für den Glauben“ verdient gemacht haben. Die päpstliche Auszeichnung wurde am vierten Fastensonntag, dem „Laetare“-Sonntag, verliehen.

Die „Goldene Rose“ ist eine aus Gold gearbeitete Rose, die mit Diamanten besetzt ist. Sie wird auch als „Tugendrose“ oder „Rosa aurea“ bezeichnet. Die letzte regierende Person, die die „Tugendrose“ erhielt, war die Großherzogin Charlotte von Luxemburg im Jahr 1956.

Johannes Paul II. hat diese besondere Auszeichnung bereits an die großen Wallfahrtsorte Tschenstochau, Loreto und Knock übergeben.

Papst Innozenz III. verglich die Goldene Rose mit Jesus: Wie die Rose aus Gold, Moschus und Balsam zusammengesetzt sei, so bestehe auch Jesus aus drei Substanzen, aus der Gottheit, der menschlichen Seele und dem menschlichen Körper."

[Quelle: http://www.kath.net/detail.php?id=8273.. -- Zugriff am 2004-10-12]

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 10

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 38f.]


Karl Kaiser (1868 - ?): Einerseits und anderseits : eine Professorenstudie

Mit „einerseits" und „anderseits",
Wie's Kätzchen um den heißen Brei,
So schleicht der deutsche Professor
An jedem heiklen Punkt vorbei.

Mit stolzem Satze „einerseits"
Schwingt er aufs hohe Ross sich keck
Um sofort wieder „anderseits"
Hinabzurutschen in den Dreck!

Heut: „Darwin hoch!" und morgen: „Hoch
Die heilge Überlieferung!"
So „einerseits" und „anderseits"
Gelingt ihm jeder Katzensprung.

Als echter Pfaff der Wissenschaft
Ist er im Spiegelfechten groß:
Sucht „einerseits" den „letzten Grund",
Lügt „anderseits" ganz bodenlos! . . .

Solang der Staat nicht in Gefahr
Lässt er den Dingen ihren Lauf.
Doch geht es schief dann hebt er flink
Die Klassengegensätze auf!

„Lieb Arbeit" und „lieb Kapital"
Möcht er versöhnen gar nicht faul.
Doch leider kriegt er stets zum Schluss
Als Dank von beiden eins aufs Maul!

Jedoch als ledernes Kamel
Bleibt er auch ferner wie zuvor:
Ein „einerseits" und „anderseits",
Ein echter deutscher Professor!

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 11

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 34f.]


Karl Kaiser (1868 - ?): Auch dann nicht!

Für die feigen Sklavenseelen
Mag ein Gott am Platze sein,
Dass sie ihre frommen Kehlen
Bettelnd können heiser schreien.

Aber wer in stolzen, freien
Anschauungen eingelebt
Wird nicht nach dem Himmel schreien,
Selbst wenn ihn der Tod umschwebt.

Lebenslust wird jäh erwachen,
Niederringen wird er sie —
Stöhnen wird er oder lachen,
Aber beten wird er nie.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 14

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 49.]


Karl Kaiser (1868 - ?): Der erste Schritt

Auf noch schwachen Körpersäulchen
Wagt das Kind den ersten Schritt.
Wackelt und verzieht das Mäulchen,
Füßchen wollen nicht recht mit.

Götterschauspiel für die Großen,
Wenn das kleine Männchen schwankt
Und mit wunderlichen Posen
Mit den Ärmchen vorwärts langt.

Wenn der kleine Held geschwinde
Dann zur Mutter rettet sich,
Taut der Alten Herzensrinde,
Jeder denkt: „So war auch ich/'

Und ein paar Jahrzehnte später,
Wenn den ersten Zweifelsblitz
Schaffen die Gedankenräder
In des Grübelns Fieberhitz;

Wenn die Götter retirieren
Mit dem Quark ,,Moral" und „Sitt"
Muss der junge Mensch es spüren,
Macht sein Geist den ersten Schritt.

Dann zerreißen Gängelbänder
Und des Glaubens Windeltuch,
Ohne Stütze und Geländer
Macht der Geist den Gehversuch.

Doch in seinem schwanken Wallen
Stützt ihn keine Mutter mehr,
Mag er in den Abgrund fallen
Der Gemeinheit, wüst und leer.

Mag er herrlich sich entwickeln,
Herr der Geister seiner Zeit,
Oder auch sich selbst zerstückeln
In des Wahnes finstrer Freud.

Wenn dann Jahresreihen mahnen,
Und ans Sterben denkt der Mann,
Wenn der morsche Geisteskahnen
Keine Last mehr halten kann;

Wenn des Denkens letztes Blitzen
Untergeht in kindscher Nacht
Und der Mensch das will besitzen,
Was er vorher hat verlacht.

Dann tun Geist und Körperglieder
Ihren ersten Schritt ins Grab,
Und zum Kinde wird er wieder,
Geistlos, wackelnd mit dem Stab.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 19

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 8ff.]


Eduard Fuchs (1870 - 1940): Verbrechen

Die einen zetern von Unmoral,
Die andern von schwerer Vererbung,
So konstruieren beide genial
Im Nu eine Tatsachenfärbung.

Dass man die Statistik ins Auge fasst,
Das hat es ja gar nicht nötig,
Wenns nur in das richtige Schema passt,
Ist jeder zum Schwindel erbötig.

Aus diesem Grund ist die Quintessenz:
Hier Fatalismus, dort Bibel
Das ABC der Rettungsessenz
Für jedes Gesellschaftsübel.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 24

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 54.]


Ernst Klaar (1861 - 1920): Modernes

Sozialisten töten und Ketzer braten
Sind staatserhaltende Heldentaten.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 24

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 73.]


Eduard Fuchs (1870 - 1940): Merkreim

Mit Winseln und mit Beten
Wird keine N+ot gestillt,
Und auch mit frommem Trösten
Kein leerer Bauch gefüllt.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1892, Nr. 26

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 76.]


Karl Kaiser (1868 - ?): Krähwinkel

Von dem Berge bumsen dumpf
Blanke Morskanönchen,
Von den Türmen klingen hell
Fromme Glockentönchen.

Andachtsvoll, die Fenster auf,
Lauscht das ganze Städtchen;
Magistrat summt in der Kirch
Ein devots Gebetchen.

Und ein alter Wackelgreis,
Schwaches Lebenslichtchen,
Hockt in seinem goldnen Schloss,
Schneidet Gichtgesichtchen.

In: Süddeutscher Postillon (??)

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 50f.]


1893


Eduard Fuchs (1870 - 1940): Skeptizismus

Die Fata morgana von Himmelsglück,
Zerflossen ist vor meinen Augen,
In der Erkenntnis hell leuchtendem Licht
Die Götter mir längst nichts mehr taugen.

Vor denen ich einst auf den Knien gerutscht,
Sie liegen in Scherben am Boden,
Mit rüstigem Denken erricht ich mir nun
Jetzt eine neue an Stelle der toten.

Und schau ich die neuen Göttergestalten,
Der alten hell lachende Erben:
„Wie lange?" zieht höhnend es durch mein Gehirn,
Und auch sie, sie liegen in Scherben.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1893, Nr. 7

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 54.]


Dem Papst hat sein Bischofsjubiläum neun Millionen an Geschenken eingebracht. Da kann man schon jubilieren.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1893, Nr. 8, S. 2.

Erläuterung: Papst Leo XIII. war am 1843-02-19 zum Erzbischof von Damiata geweiht worden, feierte 1893 also sein 50jähriges Bischofsjubiläum.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 16]



Abb.: Titelblatt. -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 14, 1893.

Sozialist

Wenn ich ans Beten glauben tät',
Verrichtet' Tag für Tag ich ein Gebet:
Schütze, o Herrgott, unsre Partei
Vor schäbiger, knausriger,
Kleinlicher, lausiger,
Kleinbürgerei.



Abb.: "Apotheose der Gegenwart" (Ausschnitt) : Mit Gott für König und Vaterland. -- In: Süddeutscher Postillon. -- Maifeier, 1893



Abb.: "Lex Heinze". --  In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 7, 1893.

"Die Lex Heinze

Am 3. 02. 1899 legte die Reichsregierung eine Gesetzesnovelle vor, die verschärfte Strafbestimmungen gegen Zuhälterei, Kuppelei sowie Regelungen "gegen das Feilhalten von Schriften, das Ausstellen von Abbildungen und das Aufführen von Theaterstücken, (...) , die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen" vorsah. (Walter T. Rix, Hermann Sudermann - Werk und Wirkung, Würzburg 1980, S. 18) Auslöser dieses Vorgehens waren der Mordprozeß gegen das der Berliner Unterwelt angehörende Ehepaar Heinze und dabei zutage getretene Tatumstände. Viele Künstler und Gelehrte riefen zur Mobilisierung gegen diese Verknüpfung von Zuhälterei, Kuppelei und Kunst im §184a auf. "

[Quelle: http://www.gbbb-berlin.com/lankwitz/sudlex.htm. -- Zugriff am 2004-04-19]


Der Sieg der Tugend

Eine sittsame Ballade aus der Zeit der Lex Heintze

Ein frommes Pfäfflein lobesam
Arglos in einen Schlosspark kam,
Es wandelte beschaulich,
Und was es dacht' in seinem Sinn
Beim Wandeln durch die Bäume hin,
War fromm und sehr erbaulich.

Da plötzlich schrickt der Pfaff empor,
Denn dort aus dichtem Rosenflor
In marmorweißem Schimmer
Ragt eine Venus, splitternackt,
Und starr ihn das Entsetzen packt
Ob solchem „Frauenzimmer".

Und hin zum Grafen eilt er schnell
Und droht mit Fegefeu'r und Höll'
Für solche schwere Sünde,
Und jeder Ablass wird verwehrt,
Falls, wenn der Pfaff zurückgekehrt,
Er noch dies „Weibsbild" finde.

Der Graf ist ganz entsetzt und spricht:
„Ich lieb' ja auch die Venus nicht —
Sie ist ja nur von Steine.
Ihr könnt getrost von hinnen gehn,
Wie ihr's gesagt, so soll's geschehn
Zum Nutzen der Gemeine."

Und wie sich hebt der Morgen hell,
Eilt in den Park das Pfäfflein schnell,
Die Venus zu erschauen,
Doch wie er kommt zum Marmorstein,
Reibt er erstaunt die Äugelein —
Mag seinem Blick nicht trauen.

Da steht in Rosen rot und Grün
Frau Venus mit der Krinolin'
Und langem Weiberrocke,
Den Busen hält ein Stahlkorsett,
Das Köpflein eine Haube nett,
Verbergend jede Locke.

Ein Vöglein sitzt auf ihrem Kopf
Und singt ins Ohr dem frommen Tropf
Ein Lied voll Hohn und Spotte,
Das Pfäfflein aber still vergnügt
In seine Klause sich verfügt
Und danket seinem Gotte.

Nun wandelt wieder fromm und still
Der Pfaff, wenn's Abend werden will,
Hin durch den Park beschaulich;
Er streicht behaglich sich das Kinn,
Und was er denkt in seinem Sinn,
Ist fromm und sehr erbaulich.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1893, Nr. 2, S. 3.

Erläuterung: zur Lex Heintze siehe oben.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 38f.] 


Ernst Klaar (1861 - 1920): Die Kirche

"Mutter" nennt die Kirche sich,
Hat gar viele Kinder,
Leider doch erklärt sie die
Allesamt für Sünder.

Wenn die Kinder "sündig" sind,
Sag, wer war der Vater?
Lebst wohl gar in wilder Eh
Mit 'nem Zölibater?

In: Süddeutscher Postillon. -- 1893, Nr. 5

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 70.]


Eduard Fuchs (1870 - 1940): Ein Nichtglaubens-Bekenntnis

Gebrochen und zerrissen sind die Bande
Moralität und Heuchelei;
Was einst mein ganzes Ich umspannte,
Geborsten ist es — ich bin frei!
Ja frei, o welch ein Hohn
Gen alles Hergebrachte
Durchzieht die Brust, wenn aus des Hirnes Schachte
Dogmatscher Firlefanz entflohn.
Ich lach der altersgrauen Sitten,
Einst hoch und heilig, jetzt zum Spott;
Ich kenn kein flehentliches Bitten
Zum Christen- oder Geldsackgott.
Es sind die grauen Nervenstränge
Jetzt Leiter anderer Ideen
Und seit abwegs der großen Menge
Erlernet erst mein Geist das Gehen.
Ich fülle nicht mit ,,Idealen",
Den Kopf mit utopistscher Schwärmerei,
Und ob auch tausend sie empfahlen,
Erbarmungslos reiß sie entzwei.
Es taucht mein Geist in der Erkenntnis Labyrinthe
Als Pionier der neuen Zeit,
Und was ich schreib, schreib ich mit Herzbluts Tinte
Bis wir vom Zwang des Alten sind befreit.
Und ihr, ihr faden, seichten Schwätzer
Nennt ihr mich wütend einen Hetzer,
So spott ich euer.
Nennt ihr mein Denken unmoralisch,
Mein Tun und Treiben kannibalisch,
Dann brech ich aus in eine Lache
Und stimme an ein Lied der Rache.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1893, Nr. 9

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 7f.]


Ernst Klaar (1861 - 1920): Politische Bauernregeln <Auszug>

Steht die Gesellschaft vor dem Bankrott,
Schwärmt sie sehr für Kirch und Gott.

Den Völkern wär es schon ganz recht,
Wenn Gott die Fürsten erhalten möcht.

Mancher nennt sich von Gottes Gnaden,
Und stützt sich doch allein auf Soldaten.

Unsere heutige Moral
Richtet sich ganz nach dem Kapital.

Blüht der Weizen der Schienenflicker,
Werden Pfaff und Landsknecht dicker.

In: Süddeutscher Postillon (??)

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 65f.]


Ernst Klaar (1861 - 1920): Göttliche Weltordnung

"Göttlich" nennt ihr die Weltordnung?
Ei, was seid ihr für Spötter!
Teufel führen das Regiment,
Aber keine Götter.

In: Süddeutscher Postillon (??)

[Quelle: Aus dem Klassenkampf : soziale Gedichte / hrsg. von Eduard Fuchs ... München 1894. Neu hrsg. u. eingel. von Klaus Völkerling. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1978. -- XXXVII, 89 S. ; 21 cm. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 18). -- S. 72.]


1894



Abb.: "Es werde Licht". -- In: In: Süddeutscher Postillon. -- Maifeier, 1894


Abb.: "Und es ward Licht". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Maifeier, 1894



Abb.: "Deutschland, Deutschland über alles": Kulturbilder aus Afrika. -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 7, 1894.


Ludwig Pfau (1821 - 1894): Frau Kirche

Frau Kirche war einst kerngesund,
Pausbackig, rotwangig, kugelrund;
Konnte Glaubenskieselsteine kauen,
Dogmatische Hufeisen gar verdauen;
Führte wohl etwas sträflichen Wandel,
Stak in manchem Liebeshandel,
Hat dann zur Sühn' etlich' Ketzer geröstet
Aber die Gläubigen mit Ablass getröstet.
So ganz wuslich, krabblich, fidel,
Soff ganz heidnisch und machte Krakeel;
Stand auch mit Herrn Jokus aufs beste,
Hatt' ihre Narren- und Eselsfeste.
Doch, nun sie alt und bresthaft ward,
Griesgram und von schlottriger Art,
Kann sie den Witz nicht mehr ertragen
Ist ein Beweis von schlechtem Magen.
Seit sie taub war auf einem Ohr
Und ihre besten Fangzähn' verlor,
Ist sie zum Lachen viel zu faul,
Weist auch nit gern ihr zahnloses Maul;
Wehrt nun andern Lust und Lachen,
Weil's alle alten Betschwestern machen.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1894, Nr. 12.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 55f.] 


Der „Mantel der christlichen Liebe"

Der „Mantel der christlichen Liebe"
Ist wahrlich keine Mythe:
Sie decken ihn über des Volkes Not
Und preisen dann Gottes Güte:
Wie er den Menschen nur Gutes tut,
Wie er für alle gesorgt so gut! —

In: Süddeutscher Postillon. -- 1894, Nr. 14.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 56] 


B.N.: Die Ganzen und die Halben

Nicht fürchten wir die Ganzen,
Ein jeder kennt sie gut;
Dagegen vor den Halben
Sei stets man auf der Hut.

Sie kommen katzenfreundlich
Und biedern süß uns an
Und spenden unsern Kassen
Ein Märklein dann und wann.

„Ja, ja, in vielen Dingen,
Stimm ich euch völlig bei.
Doch manches muss ich tadeln,
Das, jenes, allerlei."

„Ja, ja, gewissermaßen
Bin ich auch Sozialist.
Doch bin ich Patriot auch,
Ein Deutscher und ein Christ."

„Ja, ja, mit vielen Schäden
Behaftet ist die Zeit.
Ihr aber zu extrem seid
Und gehet viel zu weit."

„Ja, ja, ihr könnt mir's glauben,
Ich hab' ein warmes Herz
Für's Arbeitsvolk; sein Leiden
Erregt mir tiefen Schmerz."

Und kommt die Zeit der Wahlen:
Der Biedermann erscheint
Im Lager unsrer Gegner;
Wirbt auch für unsern Feind! —

Der Eigennutz verbrämt sich
Gern mit Humanität.
Der eine wollte haschen
Nach Popularität!

Arbeiter anzulocken
Der andre war bestrebt:
Er ist ein Metzger, Bäcker,
Der von den Massen lebt! -

Nicht fürchten wir die Ganzen,
Ein jeder kennt sie gut;
Dagegen vor den Halben
Seid ja auf eurer Hut

In: Süddeutscher Postillon. -- 1894, Nr. 16.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 56 - 58] 


Momentbild

Die Dunkelmänner stemmen sich
Der neuen Zeit entgegen,
Obgleich das Licht der Wissenschaft
Schon flammt auf allen Wegen.

Mit Hokuspokus suchen sie
Ergrimmt es auszublasen,
Obgleich die Atzeln1 schon versengt
Und die bebrillten Nasen.

Wer immer fällt dem Rad der Zeit
Aufhaltend in die Speiche,
Der wird zermalmt, weil's vorwärts rollt
Und über seine Leiche.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1894, Nr. 25.

Erläuterung:

1 Atzel = Elster oder Assel

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 64] 


1895



Abb.: Eugen von Baumgarten (1863 - ?): Ein Bild ohne Worte zum 80. Geburtstagsfest [Bismarcks]. -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 9, 1995-03.

[Bildquelle: Grobe Wahrheiten - wahre Grobheiten, feine Striche - scharfe Stiche : Jugend, Simplicissimus und andere Karikaturen-Journale der Münchner "Belle Epoque" als Spiegel und Zerrspiegel der kleinen wie der großen Welt ; Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Instituts für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der Ludwig-Maximilians-Universität München / Hrsg.: Ursula E. Koch und Markus Behmer mit Irmgard Bommersbach ... -- München : Fischer, 1996. -- 99 S. : zahlr. Ill. ; 30 cm. -- ISBN 3-88927-198-7. -- S. 71]


1898


Abb.: "Ein Lieber-Orakel" (Ausschnitt). -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr.9, 1898.


Die sittliche Weltordnung

Eine ganz kleine Fabel will ich euch hier erzählen. Es gab einmal ein großes Volk, von dem es hieß, Wahrheitsliebe sei seine erste Tugend und es sei treu und gerade wie seine Eichen. Wenn nun einer der Männer aufstand und sprach vor dem versammelten Volke von den Fürsten des Landes, so nannte er sie weise, gütig und gerecht. Wenn einer einen Prozess hatte, so hieß es: „Noch gibt es Richter!" Und wenn man von den Priestern sprach, so sagte man, sie führten einen gottseligen Lebenswandel. Niemals hörte man auf offener Tribüne: „Unser Fürst ist ein blöder Schwätzer, ein größenwahnsinniger Tor, unsere Priester sind elende Heuchler, die nur reden, was wohlklingt in den Ohren der Reichen und Mächtigen." Auch nicht: „Unsere Richter sind gewissenlose Streber, die jederzeit des Winkes von oben gewärtig sind, um das Recht zu beugen." Und doch dachten alle Verständigen des Landes so.

Das wäre die kleine Fabel, die ich euch hier erzählen wollte. Leider hat sie einen großen Fehler - dass sie nämlich gar keine Fabel ist.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1898, S. 13.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 20f.]


Christentum und Staatsraison

Wir sind ein christlich frommer Staat,
Verpönt ist jede schlechte Tat,
Alleinz'ge Richtschnur ist die Bibel,
Was drüber ist, das ist vom Übel.

Doch höher noch gilt in Berlin
Die dreimal heil'ge Disziplin,
Sie ist das höchste der Gesetze,
Drum sorgt, dass niemand sie verletze.

„Du sollst nicht töten!" sagt die Schrift.
Doch — Fluch der Kugel, die nicht trifft!
Und Fluch dem Säbel, der nicht spaltet!
Humanität ist längst veraltet.

Ein Staatsverbrecher ist der Mann,
Der erst bedächtig sich besann,
Eh' er blindwütend scharf geschossen
Und seines Volkes Blut vergossen.

Wir sind's im Reiche längst gewohnt:
Nicht Vater, Mutter wird geschont!
Was soll man da den Pöbel schonen
Bei Straßendemonstrationen?

Drum Polizist e und Gendarm,
Gebrauche den bewehrten Arm,
Wenn sich das Volk zusammenrottet
Und nicht aufs Wort von dannen trottet.

Hau mit dem Säbel, was du kannst,
Den Plebs auf Schädel oder Wanst.
Und schieße hurtig mit der Flinten
Scharf auf das Volk von vorn und hinten.

Gib keine Schonung, kein Pardon,
Denn das verbeut die Staatsraison;
Je mehr du Opfer bringst zur Strecke,
Je mehr lobt dich der von der Recke.

Haust du mit deinem Säbel flach,
Da schreit er schmerzlich weh und ach!
Und schießest blind du über'n Knäuel,
So ist ihm das der höchste Greuel.

Wer mit der Flinte nicht ^schießt,
Nicht mit dem Säbel haut und spießt,
Der wird bestraft ob solcher Schlaffe,
Denn das ist „Missbrauch seiner Waffe".

„Du sollst nicht töten!" sagt die Schrift.
Doch — wer den Plebs nicht tödlich trifft,
Der darf in unserm Christenstaate
Nicht hoffen auf besondre Gnade.

Denn höher noch gilt in Berlin
Die dreimal heil'ge Disziplin;
Sie ist das höchste der Gesetze,
Das andre ist nur leer Geschwätze.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1898, Nr. 22, S. 182.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 109f.] 


1899



Abb.: "Die Kirche hat einen guten Magen, / Hat ganze Länder aufgefressen / Und doch noch nie sich übergessen; / Die Kirch' allein meine liebe Frauen, / Kann ungerechtes Gut verdauen." (Goethe: Faust I)). -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 17, 1899.


1900



Abb.: "Zum Kohlengräberstreik": "Da klagen die Leute über Kohlennot. An uns liegt's wahrlich nicht, wenn die Leute frieren.". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 4, 1900.



Abb.: "Sie zu ihm": "Da schimpfen die Leut immer auf's Cölibat — uns scheniert's doch nix!". -- Karikatur von J. Stichler. -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 4, 1900.


Der Postillon: Gepanzerter Segensspruch


Abb.: Postkarte um 1900

„Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" —
Wir brachen einst in friedlich Land1,
Freiwerber war die Kruppkanone,
Und unser Recht hieß: Mord und Brand!
Wir annektierten Stadt und Hafen
Und haben niemand drum gefragt,
Erschlagen haben wir die Braven,
Die für ihr Land den Kampf gewagt.

„Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" —
Aufging die Saat, die wir gesät.
Mit Panzerfäusten, wie zum Hohne,
Ward unsre Schar dahingemäht.
Des Hasses wilde Flammen lodern
Und zünden einen Weltenbrand,
Die Leiber unsrer Söhne modern
Erschlagen jetzt im fremden Land.

„Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" —
Die Rache ruft! Nun schlagt euch gut!
Kein Kämpfer einen Feind verschone!
Ersticken soll der Brand im Blut!
Wie wilde Hunnen sollt ihr hausen,
Dass ein Jahrtausend mög' vergehn,
Eh' ohne schreckensvolles Grausen
Ein Fremdling wagt, euch anzusehn!

„Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" —
Die Träger seid ihr der Kultur!
Der Dulder mit der Dornenkrone
Blickt segnend hin auf eure Spur.
Lehrt fern im Osten Christenliebe
Mit Kruppkanonen, Schwert und Spieß
Und wandelt um durch deutsche Hiebe
Die Erde in ein Paradies!

Erläuterung: Anspielung auf die Hunnenrede Wilhelms II. am 1900-07-27 in Bremerhaven an die Soldaten des ostasiatischen Expeditionskorps:

"Große überseeische Aufgaben sind es, die dem neu entstandenen Deutschen Reiche zugefallen sind, Aufgaben weit größer, als viele Meiner Landsleute es erwartet haben. Das Deutsche Reich hat seinem Charakter nach die Verpflichtung, seinen Bürgern, wofern diese im Ausland bedrängt werden, beizustehen. Die Aufgaben, welche das alte Römische Reich deutscher Nation nicht hat lösen können, ist das neue Deutsche Reich in der Lage zu lösen. Das Mittel, das ihm dies ermöglicht, ist unser Heer.

In dreißigjähriger treuer Friedensarbeit ist es herangebildet worden nach den Grundsätzen Meines verewigten Großvaters. Auch ihr habt eure Ausbildung nach diesen Grundsätzen erhalten und sollt nun vor dem Feinde die Probe ablegen, ob sie sich bei euch bewährt haben. Eure Kameraden von der Marine haben diese Probe bereits bestanden, sie haben euch gezeigt, dass die Grundsätze unserer Ausbildung gute sind, und Ich bin stolz auf das Lob auch aus Munde auswärtiger Führer, das eure Kameraden draußen sich erworben haben. An euch ist es, es ihnen gleich zu tun.

Eine große Aufgabe harrt eurer: ihr sollt das schwere Unrecht, das geschehen ist, sühnen. Die Chinesen haben das Völkerrecht umgeworfen, sie haben in einer in der Weltgeschichte nicht erhörten Weise der Heiligkeit des Gesandten, den Pflichten des Gastrechts Hohn gesprochen. Es ist das um so empörender, als dies Verbrechen begangen worden ist von einer Nation, die auf ihre uralte Kultur stolz ist. Bewährt die alte preußische Tüchtigkeit, zeigt euch als Christen im freundlichen Ertragen von Leiden, möge Ehre und Ruhm euren Fahnen und Waffen folgen, gebt an Manneszucht und Disziplin aller Welt ein Beispiel.

Ihr wisst es wohl, ihr sollt fechten gegen einen verschlagenen, tapferen, gut bewaffneten, grausamen Feind. Kommt ihr an ihn, so wisst: Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Führt eure Waffen so, dass auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. Wahrt Manneszucht. Der Segen Gottes sei mit euch, die Gebete eines ganzen Volkes, Meine Wünsche begleiten euch, jeden einzelnen. Öffnet der Kultur den Weg ein für allemal! Nun könnt ihr reisen! Adieu Kameraden!"

1 Deutsche Truppen besetzen im Dezember 1897 Tsingtau. Kiautschou (Kiaochow, Provinz Shantung) muss 1898 an das Deutsche Reich verpachtet werden.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1900, Nr. 16, S. 129.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 109f.] 


1902



Abb.: "Schnaps und Bibel". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 2, 1902.


1903


Religionsunterricht bei Hofe


Abb.: So etwa hat man sich den lieben Gott vorzustellen: Kaiser Wilhelm II.

Hauslehrer: Nun, Königliche Hoheit, wie geruhen Hochdieselbe sich Se. Majestät den lieben Gott vorzustellen?

Prinz (schweigt).

Hauslehrer: Nun, denken Hoheit sich einen schneidigen alten Herrn in großer Paradeuniform, die Brust mit hohen Orden bedeckt, auf dem Haupte eine Krone, fast so schön wie die Ihres Königlichen Herrn Vaters, um die Schultern einen großen Purpurmantel, Kanonenstiefel an den Füßen und als Zepter einen herrlichen Marschallstab , dann haben Sie ungefähr die richtige Vorstellung.

Der Herr Papa: Gut, sehr gut! Man kann es den Kindern gar nicht anschaulich genug machen.

In: Süddeutscher Postillon. -- 1903, S. 39.

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 30.]


1904



Abb.: "Der stolze deutsche Aar". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 25, 1904.


1905



Abb.: Generalvikar: "Na, mein Lieber, wie denken Sie denn über die bösen Witzblätter?" — Domprediger: "Wissen Sie — über die denke ich überhaupt nicht! Auf die schimpfe ich bloß.". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 2, 1905.


Nachfolger Christi


Abb.: Vater Gapon. -- Filmplakat. -- 1917 [Bildquelle: http://www.pitt.edu/~slavic/courses/russ1771/posters/film.html. -- Zugriff am 2004-10-01]

Erster Pastor: Dieser Gapon! Wie man sich nur so weit vergessen und als Priester dem Volke zuliebe gegen die heiligen Gebote der Polizei und des Militärs sich versündigen kann!

Zweiter Pastor: Ja, wenn Christus noch lebte, der würde ihn weit von sich weisen und sagen: „Ich kenne dich nicht!"

Erster Pastor : Ach der! Der machte es womöglich genauso!

In: Süddeutscher Postillon. -- 1905, S. 30.

Erläuterung: Bezieht sich auf den Blutigen Sonntag (Blutsonntag) in Russland:

"Der blutige Sonntag ist ein Ereignis in der Geschichte Russlands.

Am 9. Januar 1905 marschierte — geführt durch den orthodoxen Priester Vater [Georgi Apollonowitsch] Gapon [1870 - 1906] — eine Menge von Arbeitern in Sankt Petersburg zum Winterpalast in der friedlichen Absicht, für menschenwürdigere Betriebsbedinungen zu demonstrieren. Truppen der Staatsmacht eröffneten jedoch grundlos das Feuer auf die Demonstranten, wodurch Hunderte von Menschen starben und Tausende verwundet wurden.

Dieser Tag ging als "Blutiger Sonntag" in die Geschichte ein. Als Folge dieser Grausamkeit erhob sich das russische Volk gegen die Obrigkeit: Streiks, revolutionäre Aufstände, Meuterei, Morde an Grundbesitzern und Industriellen waren an der Tagesordnung. Es breitete sich eine gewaltvolle Protestwelle gegen die Politik des Zaren aus. Ein Generalstreik der sozialistisch organisierten Arbeiter legte das öffentliche Leben lahm, um den Zaren Nikolaus zu zwingen, einige Zugeständnisse zu machen.

Der Zar brachte unter dem öffentlichen Druck das "Oktober-Manifest" heraus, das Grundrechte und eine gesetzgebende Volksvertretung (Duma) auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts beinhaltete. Es trat jedoch keine wirkliche Verbesserung ein, denn der Zar löste das Parlament nach Gutdünken auf. Die politische Spannung setzte sich fort."

[Quelle: http://www.aberhallo.de/lexikon/index.php/Blutiger_Sonntag. -- Zugriff am 2004-10-01]

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 30.]



Abb.: "Schiller in klerikaler Auffassung": "Und ein Auto da Fé hat man uns auch versprochen —" (Schiller: Don Carlos, Erster Akt, Dritter Auftritt). -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 12, 1905-06.



Abb.: Max Engert (1859 - ?): Wider die politischen Witzblätter: "Glück zu dem Frieden, den die Furie stiftet!" [Schiller: Die Jungfrau von Orleans (1801), Zweiter Aufzug]. -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 12, 1905-06.

Erklärung:  Protestanten und Katholiken machen im Reichstag am 1905-05-12 erneut einen Vorstoß zur Bekämpfung des Schmutzes in Schrift und Bild. Dieser richtet sich namentlich gegen Simplicissimus und Jugend

[Bildquelle: Grobe Wahrheiten - wahre Grobheiten, feine Striche - scharfe Stiche : Jugend, Simplicissimus und andere Karikaturen-Journale der Münchner "Belle Epoque" als Spiegel und Zerrspiegel der kleinen wie der großen Welt ; Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Instituts für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der Ludwig-Maximilians-Universität München / Hrsg.: Ursula E. Koch und Markus Behmer mit Irmgard Bommersbach ... -- München : Fischer, 1996. -- 99 S. : zahlr. Ill. ; 30 cm. -- ISBN 3-88927-198-7. -- S. 48]


1906


Vom "Geiste des Christentums" spricht der satte Bürger! Ich muss lachen. Was ihm nicht passt, hat er aus dem Christentum heraus-, und was ihm in seinen Kram passte, hat er hineingelogen.

in: Süddeutscher Postillon. -- 1906, S. 27

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 41.]


1909



Abb.: "Bellealliance oder Zum schönen Bündnis". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 7, 1909. 



Abb.: "Vor der Suppe": "Komm, Herr Jesus, und sei unser Gast!". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 26, 1909. 



Abb.: "Deutschlands Geschichte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft". -- In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 20, 1909.


1910


Abb.: "Patent Christen: Äußere Mission": "Das Ergebnis des abgelaufenen Jahres ist ein gutes. Mit einem Aufwand von 50.000 Mark ist es uns durch Gottes Hilfe und dank der aufopfernden Tätigkeit der Missionare gelungen, zwanzig Negerfamilien zum Christentum zu bekehren."


Abb.: "Patent Christen: Innere Mission": "Materiell können wir Sie nicht unterstützen, dazu haben wir keine Mittel. Aber gehen Sie nur fleißig in die Kirche und in unsere Betstunde, dann werden Sie lernen, auch Hunger und Elend mit Geduld zu tragen."

In: Süddeutscher Postillon. -- Nr. 6, 1910. 


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren IX: Schweiz

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