Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren IX:

Schweiz


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren IX: Schweiz  /  kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2005-02-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen9.htm  

Erstmals publiziert: 2004-04-22

Überarbeitungen: 2005-02-12 [Ergänzungen]; 2005-01-20 [Ergänzungen]; 2004-12-06 [Ergänzungen]; 2004-10-27 [Ergänzungen]; 2004-06-22 [Ergänzungen]; 2004-06-11 [Ergänzungen]; 2004-05-25 [Ergänzungen]; 2004-05-16 [Ergänzungen]; 2004-05-08 [Ergänzungen]; 2004-05-03 [Ergänzungen]; 2004-04-30 [Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Gewidmet dem Andenken an meinen Geschichtslehrer, den Jesuitenpater


Abb.: P. Ferdinand Strobel, 1962

Dr. Ferdinand Strobel SJ (1908-1999)

Er war ein großartiger Geschichtskenner und leider gleichzeitig ein großer Reaktionär.  


0. Übersicht



Zur Einstimmung: Der Schweizerpsalm als Symbol dafür, dass in der politisch in so vielem vorbildlichen Schweiz Staat und Religion immer noch nicht getrennt sind.

Klicken Sie hier, um den Schweizerpsalm zu hören

Schweizerpsalm

MelodieAlbert (P. Alberich) Zwyssig, 1808-1854, 1841
Deutscher Text: Leonhard Widmer, 1808-1868
Am 12. Sepember 1961 vom Schweizer Nationalrat als Nationalhymne anerkannt.

 

Trittst im Morgenrot daher,
Seh' ich dich im Strahlenmeer,
Dich, du Hocherhabener, Herrlicher!
Wenn der Alpen Firn sich rötet,
Betet, freie Schweizer, betet.
|: Eure fromme Seele ahnt :|
Gott im hehren Vaterland!
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland!

Kommst im Abendglühn daher,
Find' ich dich im Sternenheer,
Dich, du Menschenfreundlicher, Liebender!
In des Himmels lichten Räumen
Kann ich froh und selig träumen;
|: Denn die fromme Seele ahnt :|
Gott im hehren Vaterland!
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland!

Ziehst im Nebelflor daher,
Such' ich dich im Wolkenmeer,
Dich, du Unergründlicher, Ewiger!
Aus dem grauen Luftgebilde
Bricht die Sonne klar und milde,
|: Und die fromme Seele ahnt :|
Gott im hehren Vaterland!
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland!

Fährst im wilden Sturm daher,
Bist du selbst uns Hort und Wehr,
Du, allmächtig Waltender, Rettender!
In Gewitternacht und Grauen
Laßt uns kindlich ihm vertrauen!
|: Ja, die fromme Seele ahnt :|
Gott im hehren Vaterland!
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland!
 

Rumantsch
 
1. En l'aurora la damaun
ta salida il carstgaun,
spiert etern dominatur, Tutpussent!
Cur ch'ils munts straglischan sura,
ura liber Svizzer, ura.
Mia olma senta ferm,
Mia olma senta ferm Dieu en tschiel,
il bab etern, Dieu en tschiel, il bab etern.

2. Er la saira en splendur
da las stailas en l'azur
tai chattain nus, creatur, Tutpussent!
Cur ch'il firmament sclerescha en noss cors
fidanza crescha.
Mia olma senta ferm,
Mia olma senta ferm Dieu en tschiel,
il bab etern, Dieu en tschiel, il bab etern.

3. Ti a nus es er preschent
en il stgir dal firmament,
ti inperscrutabel spiert, Tutpussent!
Tschiel e terra t'obedeschan
vents e nivels secundeschan.
Mia olma senta ferm,
Mia olma senta ferm Dieu en tschiel,
il bab etern, Dieu en tschiel, il bab etern.

4. Cur la furia da l'orcan
fa tremblar il cor uman
alur das ti a nus vigur, Tutpussent!
Ed en temporal sgarschaivel
stas ti franc a nus fidaivel.
Mia olma senta ferm,
Mia olma senta ferm Dieu en tschiel,
Il bab etern, Dieu en tschiel, il bab etern.
 

[Quelle der mp3-Datei: http://www.admin.ch/ch/d/schweiz/psalm/strophe1.mp3. -- Zugriff am 2005-01-20]


1. Leonhard Widmer (1808 - 1868)


geb. 1808 in Meilen

Lithograph, Dichter, Förderer des Volksgesangs, Komponist des Schweizerpsalms ("Trittst im Morgenrot daher")

gest. 1868 in Zürich



Abb.: Karikatur aus dem Lager der "Straussen" / von Leonhard Widmer (1808 - 1868). -- 1839

"Im Jahre 1838 berief die fortschrittliche Regierung Zürichs den deutschen Theologen David Friedrich Strauss (1809-1874) an die Universität. Strauss hatte durch sein 1835 publiziertes Buch «Das Leben Jesu» Aufsehen erregt, in dem er mit Hegelscher Philosophie das christliche Evangelium als einen Mythos deutete und die historische Persönlichkeit Jesu in Zweifel zog. Die Wahl von Strauss löste in konservativen Kreisen eine Welle der Entrüstung aus. Durch Karikaturen, Petitionen und Volksversammlungen sollte die Wahl des Tübinger Theologen rückgängig gemacht werden. Am 6. September 1839 kam es zum «Züriputsch», zur bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den Choräle singenden Konservativen und den Regierungstruppen. «Nach dieser Niederlage fielen von radikaler Seite im Grossen Rate die schärfsten Vorwürfe und Schmähungen gegen die Gegner Straussens und gegen das Volk. Die radikalen Politiker waren vor allem durch die anwachsende Volksbewegung unsicher geworden. In der Tat ging die Aktion weiter. Es handelte sich weniger um einen Angriff auf die Institutionen des Kantons Zürich, geschweige denn um eine soziale Bewegung, als um die Beseitigung der missliebig gewordenen Politiker. Dabei griffen die Konservativen zu denselben Mitteln, die der liberalen Umwälzung zugrundelagen, zu Volksversammlungen und Petitionen an die Behörden ...» (Anton Largiader, Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich, Bd. 2, Zürich 1945, S. 145ff.).

Die vorliegende Karikatur aus dem Lager der Strauss-Anhänger zeigt die aufgeregte katholische und protestantische Geistlichkeit, die gemeinsam mit dem Volk die Flamme des Wissens im Schnabel des Straussen zu löschen versucht."

[Quelle von Abb. und Text:  Ich male für fromme Gemüter . zur religiösen Schweizer Malerei im 19. Jahrhundert.  -- Luzern : Kunstmuseum, 1985. -- ISBN 3-276-58-5 [!]. -- S. 214]

"David Friedrich Strauß

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

David Friedrich Strauß (* 27. Januar 1808 in Ludwigsburg; † 8. Februar 1874 in Ludwigsburg) war ein berühmter Schriftsteller, Philosoph und Theologe.

David Friedrich Strauß wurde am 27. Januar 1808 zu Ludwigsburg in Württemberg geboren. Er studierte Theologie am Evangelischen Stift zu Tübingen. 1830 wurde er Vikar und 1831 Professoratsverweser am Seminar zu Maulbronn; er ging aber noch ein halbes Jahr nach Berlin, um Hegel und Schleiermacher zu hören. 1832 wurde er Repetent am Tübinger Stift und hielt zugleich philosophische Vorlesungen an der Universität.

Damals erregte er durch seine Schrift "Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet" (Tübingen. 1835, 2 Bde.; 4. Aufl. 1840) ein fast beispielloses Aufsehen. Strauß wandte in demselben das auf dem Gebiet der Altertumswissenschaften begründete und bereits zur Erklärung alttestamentlicher und einzelner neutestamentlicher Erzählungen benutzte Prinzip des Mythus auch auf den gesamten Inhalt der evangelischen Geschichte an, in welcher er ein Produkt des unbewusst nach Maßgabe des alttestamentlich jüdischen Messiasbildes dichtenden urchristlichen Gemeingeistes erkannte. Die Gegenschriften gegen dieses Werk bilden eine eigne Literatur, in der kaum ein theologischer und philosophischer Name von Bedeutung fehlt. Seine Antworten auf dieselben erschienen als "Streitschriften" (Tübingen. 1837). Für die persönlichen Verhältnisse des Verfassers hatte die Offenheit seines Auftretens die von ihm stets schmerzlich empfundene Folge, dass er noch 1835 von seiner Repetentenstelle entfernt und als Professoratsverweser nach Ludwigsburg versetzt wurde, welche Stelle von ihm jedoch schon im folgenden Jahr mit dem Privatstand vertauscht wurde.

Früchte dieser ersten (Stuttgarter) Muße waren die "Charakteristiken und Kritiken" (Leipzig. 1839, 2. Aufl. 184) und die Abhandlung "Über Vergängliches und Bleibendes im Christentum" (Altona 1839). Von einer versöhnlichen Stimmung sind auch die in der 3. Auflage des "Lebens Jesu" (1838) der positiven Theologie gemachten Zugeständnisse eingegeben, aber schon die 4. Auflage nahm sie sämtlich zurück. 1839 erhielt Strauß einen Ruf als Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte nach Zürich; doch erregte diese Berufung im Kanton so lebhaften Widerspruch, dass er noch vor Antritt seiner Stelle mit 1000 Franken Pension in den Ruhestand versetzt ward. 1841 verheiratete sich Strauß mit der Sängerin A. Schebest (s. d.), doch wurde die Ehe nach einigen Jahren getrennt. Sein zweites Hauptwerk ist: "Die christliche Glaubenslehre, in ihrer geschichtlichen Entwickelung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft dargestellt" (Tübingen. 1840 1841, 2 Bde.), worin eine scharfe Kritik der einzelnen Dogmen in Form einer geschichtlichen Erörterung des Entstehungs- und Auflösungsprozesses derselben gegeben wird. Auf einige kleine ästhetische und biographische Artikel in den "Jahrbüchern der Gegenwart" folgte das Schriftchen "Der Romantiker auf dem Thron der Cäsaren, oder Julian der Abtrünnige" (Mannheim. 1847), eine ironische Parallele zwischen der Restauration des Heidentums durch Julian und der Restauration der protestantischen Orthodoxie durch den König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

1848 von seiner Vaterstadt als Kandidat für das deutsche Parlament aufgestellt, unterlag Strauß dem Misstrauen, welches die pietistische Partei unter dem Landvolk des Bezirks gegen ihn wachrief. Die Reden, welche er teils bei dieser Gelegenheit, teils vorher in verschiedenen Wahlversammlungen gehalten hatte, erschienen unter dem Titel: "Sechs theologisch-politische Volksreden" (Stuttgart. 1848). Zum Abgeordneten der Stadt Ludwigsburg für den württembergischen Landtag gewählt, zeigte Strauß wider Erwarten eine konservative politische Haltung, die ihm von seinen Wählern sogar ein Misstrauensvotum zuzog, in dessen Folge er im Dezember 1848 sein Mandat niederlegte.

Seiner späteren, teils in Heidelberg, München und Darmstadt, teils in Heilbronn und Ludwigsburg verbrachten Muße entstammten die durch Gediegenheit der Forschung und schöne Darstellung ausgezeichneten biographischen Arbeiten: "Schubarts Leben in seinen Briefen" (Berlin. 1849, 2 Bde.); "Christian Märklin, ein Lebens- und Charakterbild aus der Gegenwart" (Mannheim. 1851); "Leben und Schriften des Nikodemus Frischlin" (Frankfurt. 1855); "Ulrich von Hutten (Leipzig. 1858; 4. Aufl., Bonn 1878), nebst der Übersetzung von dessen "Gesprächen" (Leipzig. 1860); "Herm. Samuel Reimarus" (das. 1862); "Voltaire, sechs Vorträge" (das. 1870; 4. Aufl., Bonn 1877); ferner "Kleine Schriften biographischen, litteratur- und kunstgeschichtlichen Inhalts" (Leipzig. 1862; neue Folge, Berlin. 1866), woraus "Klopstocks Jugendgeschichte etc." (Bonn 1878) und der Vortrag "Lessings Nathan der Weise" (3. Aufl., das. 1877) besonders erschienen. Eine neue, "für das Volk bearbeitete" Ausgabe seines "Lebens Jesu" (Leipzig. 1864; 5. Aufl., Bonn 1889) ward in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Einen Teil der hierauf gegen ihn erneuten Angriffe wies er in der gegen Schenkel und Hengstenberg gerichteten Schrift zurück: "Die Halben und die Ganzen" (Berl.1865), wozu noch gehört: "Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte, eine Kritik des Schleiermacherschen Lebens Jesu" (das. 1865).

Noch einmal, kurz vor seinem am 8. Februar 1874 zu Ludwigsburg erfolgten Tod, erregte Strauß allgemeines Aufsehen durch seine Schrift "Der alte und der neue Glaube, ein Bekenntnis" (Leipzig. 1872; 11.Aufl., Bonn 1881), in welcher er mit dem Christentum definitiv brach, alle gemachten Zugeständnisse zurücknahm und einen positiven Aufbau der Weltanschauung auf Grundlage der neuesten, materialistisch und monistisch gerichteten Naturforschung unternahm. Strauß' "Gesammelte Schriften" hat Zeller herausgegeben (Bonn 1876-78, 11 Bde.; dazu als Bd. 12: "Poetisches Gedenkbuch", Gedichte).

[Dieser Artikel basiert auf dem Artikel aus Meyers Konversationslexikon von 1888-90.] "

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/David_Friedrich_Strau%DF. -- Zugriff am 2003-04-16]


1.1. Schreiben Gottes an den Bürgermeister Hirzel in Zürich  (1839) / von Franz Grillparzer (1791-1872)


Mein lieber Bürgermeister Hirzel1!

Es muss in gegenwärtigen radikalen Zeiten für uns legitime Gewalten doppelt erfreulich sein, wenn wir Zeichen der Anhänglichkeit an unsere Person von Seiten her erhalten, von wo wir es am wenigsten vermutet hätten, namentlich von Freidenkern und aus Freistaaten. Die Allgemeine Zeitung2 vom 16. Februar hat mir daher unendliches Vergnügen gemacht. Sie sprechen darin klar und unumwunden Ihre Gesinnung gegen mich aus. Sie glauben an mich! Freundlicher Mann! Nehmen Sie dafür die Gegenversicherung, dass auch ich an Sie glaube, und zwar nicht bloß, dass Sie der Bürgermeister Hirzel sind, wie sie gütig annehmen, dass ein Gott sei, sondern ich schreibe Ihnen außerdem auch Eigenschaften und Wirksamkeiten zu; wo ich denn nicht weiß, ob Ihr schönes Bekenntnis rücksichtlich meiner sich ebensoweit erstreckt. Ich bin vorsichtig geworden. Ihr Freund und Lehrer Hegel glaubt auch an mich, ja er beweist mich, wobei er mich aber zur absoluten Allgemeinheit macht. Mein Herr Bürgermeister Hirzel! Ich bin nicht die absolute Allgemeinheit, so wenig Sie selbst etwa die Bürgermeisterwürde in Zürich, sondern der wirkliche Bürgermeister sind. Ich will nicht bloß sein, sondern auch handeln, schaffen, regieren, belohnen, strafen und dergleichen. Wollen Sie mir daher durch die Allgemeine Zeitung gefälligst zu wissen machen, nicht bloß, dass Sie mich glauben, sondern auch als was und wie.

Nicht verhehlen kann ich Ihnen übrigens schon jetzt, dass die Berufung des Professors Strauß auf die Universität nach Zürich mit meinen Wünschen keineswegs übereinstimmt. Er ist mit meinem Sohne fast ebenso umgegangen, wie Professor Hegel mit mir. Er glaubt zwar ebenfalls an ihn, heißt das all' ingrosso oder en bloc, zerrt und zupft dann aber wieder so lange an ihm, dass man zuletzt nicht mehr weiß, was davon übrig bleibt. Er nennt ihn zwar den tugendhaftesten und weisesten aller Geborenen, wenn er aber erst all seine Lebensumstände und Wunder zu Mythen, d.h. nach Hörensagen ausgebildeten und vergrößerten macht, so weiß ich nicht, warum jene belobte Weisheit und Tugend nicht ebenso mythisch ausgeprägt und überarbeitet sein sollte, wo denn der Name Christus das einzig Unzweifelhafte bliebe. Sie werden mir zwar einwenden, meines Sohnes Lehre stehe als Zeugnis seiner für immer unantastbar da; aber teils ist diese Lehre schon so mannigfach angetastet worden, teils habe ich genannten meinen Sohn nicht als Professor ordinarius auf die Universität Jerusalem geschickt, sondern in die Welt als Befreier und Erlöser des Menschengeschlechtes.

Was Sie von der Notwendigkeit sagen, die Fortschritte der Wissenschaft nicht zu hemmen oder auf gewisse Fächer zu beschränken, trifft ganz mit meiner eigenen Ansicht zusammen. Nur gebe ich Ihnen zu bedenken, dass vor der Hand Ihre Schweizer Bauern von der Religion nicht Aufklärung, sondern Heiligung und Versöhnung erwarten. Machen Sie deshalb Herrn Strauß zum Professor der Philosophie, und gelingt es ihm, als solcher Ihre Landsleute zu überzeugen, dass die Geheimnisse und Gnadenmittel der Religion zum seligen Leben überflüssig seien, so können Sie den Gehalt eines Professors der Theologie künftig in Ersparung bringen, ja die Auslagen für Kirchen und Pastoren im allgemeinen, was dem Budget Ihrer guten Stadt nicht wenig ersprießlich  sein wird. Bis dahin lassen Sie die Äcker von den Ackersleuten bestellen und nicht von den Naturforschern.

So weit geht meine unmaßgebliche Meinung, der ich übrigens verbleibe

Ihr

wohlaffektionierter

Gott m. p.

Nachschrift. Wissen Sie etwas Näheres von Rauschenplat3 und Mazzini4? Man sagt, auch die Hannoveraner seien bei ihrer Regierung um die Erlaubnis eingekommen, eine Revolution machen zu dürfen? Sollten die Leute so kühn sein?

Erläuterung:

1 Konrad Melchior Hirzel (1793 - 1843): Bürgermeister von Zürich 1832 - 1839, berief 1838 David Friedrich Strauss an die Theologische Fakultät der Universität Zürich (s. oben).

2 Conrad Melchior Hirzel <1793–1843>: An meine Mitmenschen im Kanton Zürich. -- In: Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung. -- 1839-02-16

3 Rauschenplat [Daten nicht ermittelt]: deutscher sozialistischer Flüchtling in der Schweiz in den 1830er-Jahren

4 Mazzini: Giuseppe Mazzini (1805 - 1872): italienischer Freiheitskämpfer, 1834 bis 1836 als Flüchtling in der Schweiz


2. Martin Disteli (1802 - 1844)


Siehe jetzt unter:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXIV: Martin Disteli (1802 - 1844)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen34.htm


3. Frühe Zeitschriften der Arbeiterbewegung


3.1. Das Nordlicht (Zeitschrift der republikanischen Flüchtlings- und Handwerkervereine am Zürichsee). -- 1835


Anonym: Die Religion der Pfaffen. -- In: Das Nordlicht. -- Nr. 2(1835-02), S. 2.

» ,,Die Kirche hat einen guten Magen,
hat ganze Länder aufgefressen
und doch noch nie sich übergessen."

Die Pfaffen haben Himmel und Erde im Sack; sie sind die Generalpächter des Himmels und beziehen den Eingangszoll. Bei dem Eintritt in diese Welt stellen sie uns einen Wechsel auf den Himmel aus,, und fahren wir ab. so visieren sie uns noch das Wanderbuch: alles gegen bare Bezahlung. Und das nennen sie Religion. Ihr Blick ist gen Himmel gerichtet, ihr Herz aber hängt am Irdischen; und während sie uns mit hoher Salbung von der Nichtigkeit und Eitelkeit aller irdischen Güter predigen, schielt ihr eines Auge immer seitwärts in unsere Taschen. Solange diese ihnen offenstehen, blühet ihr Weizen; hängt man ihnen aber den Brotkorb höher, dann fahren sie flugs her über die arge Welt, krächzen ach und wehe und verkünden den Untergang der Religion. Sind denn die Himmelsplätze überhaupt im Preise gefallen oder glauben wir nur, auch ohne den Mautschein dieser schwarzen Himmelspförtner unsre Seelen ein schwärzen zu können?«

[Quelle: Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus / bearb. u. eingel. von Werner Kowalski. -- Berlin : Akademie-Verlag. -- Bd. 1., Zeitschriften aus der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung : (1834 - 1847). -- 1967. -- CVII, 427 S. -- (Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ; Bd. 5). -- S. 100]


3.2. Die junge Generation (Zeitschrift des Bundes der Gerechten). -- 1842/43


Widersprüche unserer religiösen und politischern Gesetze. -- In: Die Junge Generation. -- Jg. 1, Lieferung 1 (1842-01), S. 145 - 151

»Wir alle sind Kinder eines Vaters, wir alle haben die Bestimmung, hier zeitlich und dort ewig glücklich zu sein. In diesem Grundsatz konzentrieren sich die Grundsätze aller Religionen, es muss also wohl etwas naturgesetzlich Wahres daran sein. Weiter heißt es:

Uns alle hat er zu Erben dieser schönen Erde eingesetzt.

Ei, ei! Das wäre ja auf diese Weise für uns ganz allerliebst eingerichtet.

Kinder eines Vaters, Erben dieser schönen Erde und auf derselben zeitlich glücklich sein, das ist alles, was wir verlangen können, um diesen Punkt drehen sich alle gesellschaftlichen Kämpfe. Derselbe muss doch also erklärt, diskutiert und ins praktische Leben eingeführt werden, weil ohne ihn die ewige Glückseligkeit ein Narrenseil ist, an welchem Pfaffen und Aristokraten ihre Puppen tanzen lassen.

Was ist abgeschmackter als die gleisnerische betrügerische Lehre mancher Pfaffen, nach welcher uns die ewige Glückseligkeit als Lohn für die hienieden geduldig ertragenen Leiden und Mühen versprochen wird, während doch nur die ausschließliche irdische Glückseligkeit einiger unserer sogenannten christlichen Brüder schuld an den meisten unserer irdischen Leiden ist.

Was! Wir maßen uns an, den Himmel zu erringen, und verstehen nicht einmal, hier unten unter uns Brüdern eine brüderliche Ordnung zu halten?

Dort oben träumt ihr euch eine ewige Glückseligkeit, und das Fundament der irdischen ist bis in seine Grundfesten verpfuscht!

Nein! Pfaffe, wenn du nicht verstehest, deinem Volke zur irdischen Glückseligkeit zu verhelfen, so versprich ihm die himmlische nicht; denn wenn es wahr ist, dass sie nicht allen unbedingt zuteil wird und erst hienieden verdient werden muss, so kann sie nur dadurch verdient werden, dass man allen Menschen, allen Brüdern, allen Kindern desselben himmlischen Vaters dieselbe irdische Glückseligkeit zu verschaffen sucht. Wer dies nicht versteht, versteht noch viel weniger, etwas für die himmlische Glückseligkeit zu tun; wenn dies nicht möglich ist, so ist die ewige Glückseligkeit noch viel unmöglicher, wenigstens ist dann so viel gewiss, dass sie nicht verdient werden kann und nicht zu verdient werden braucht.

Nur durch vorhergegangenes Tun und Handeln kann etwas verdient werden; man muss aber vorher die Freiheit und die Mittel haben, zu tun und zu handeln.

Wer diese nicht hat (und der Arme hat sie nicht), kann die ewige Glückseligkeit sich nicht verdienen. Nur der schon hienieden Glückliche, der Reiche und Mächtige, ist alsdann in den Stand gesetzt, sie sich zu verdienen.

Dieser Zustand ist aber nicht von Gott, denn er ist nicht natürlich, er ist durch die Veralterung der gesellschaftlichen Übel entstanden, mittelst deren Wegräumung wir es für uns alle möglich machen können, hier zeitlich glücklich zu sein.

Wenn nun der Reiche und Mächtige diese Wegräumung nicht leidet, weil er besondere Vorteile davon zieht; wenn der Arme zu schwach und zu feig zum Widerstand gegen dieses Übel ist und der Pfaffe diese Schwäche und Feigheit noch bestärkt durch die Lehre der geduldigen Ergebung in die uns durch andere und zum Vorteil anderer auferlegten Leiden, so liegt es ja doch klar und deutlich auf der Hand, dass die Lehre von der ewigen Glückseligkeit nur dazu benutzt wird, um das Volk damit um die zeitliche Glückseligkeit zu betrügen.

Wenn wir einmal dahin gelangt sind, allen unsern Brüdern eine zeitliche Glückseligkeit zu verschaffen, so ist uns auch die ewige Glückseligkeit gesichert, denn nur indem wir handeln, um jene zu erreichen, können wir uns dieser versichern.

Wenn nach der Politik der Reichen und Mächtigen und der von ihrem System der Ungleichheit bezahlten Pfaffen die geduldige Ertragung unserer Leiden eine Tugend ist, mittelst welcher wir den Himmel verdienen können, so vergesse man nur nicht, dass wir nach den Grundsätzen der Religion alle Brüder sind und es folglich unter Brüdern ganz schicklich ist, diese unsere Leiden und Mühen miteinander zu tragen, damit dieselben auf niemandem zu schwer lasten und folglich das Streben nach ewiger Glückseligkeit jedem erleichtert werde.

Solange wir aber dieses nicht tun und den einen alle Lasten aufbürden, um dadurch die Lebenslage einiger anderen zu versüßen, machen wir aus dem Streben nach der ewigen Glückseligkeit das Privilegium derer, welche schon mit dem zeitigen Glück privilegiert sind. Das sollte denn doch unter Brüdern nicht stattfinden. Indem wir den einen dieses himmlische Streben furchtbar erschweren und sie dadurch gleichsam mit Gewalt an den Rand des Verbrechens und der Laster stoßen, werden wir ihnen selbst ein Hindernis des zeitigen und ewigen Wohles, welches der Schöpfer uns allen ohne Ausnahme bestimmt hat.

Wenn wir alle Brüder sind, so haben wir auch vor allem für das zeitliche Wohl aller zu sorgen; wenn der Seelenhirt daher dies nicht kann oder will, so ist er uns auch mehr schädlich als nützlich, denn seine Worte sind dann nichts als Unverstand und trügerische pfäffische Gleisnerei, deren er sich nur bedient, um zu leben, um Amt und Brot zu behaupten.

Wir haben zweierlei Gesetze, religiöse und politische: beide gibt man sich alle Mühe uns einzuprägen und uns daran zu gewöhnen, sie zu befolgen, allein stimmen denn beide miteinander überein? In der Wirklichkeit nicht im geringsten, zum Schein nur durch verkehrte Auslegungen.

Jede Übertretung dieser Gesetze, wenn auch der kleinsten, ist nach Auslegung der Pfaffen Sünde, jede öftere Wiederholung derselben wird zum Verbrechen. Wer dies nicht glaubt, der frage nur seinen Pfaffen, ob es erlaubt sei, sich der kleinsten Maßregel einer anerkannt schlechten Regierung zu widersetzen. Antwortet eine kleine Zahl darauf mit Ja, so wird die bei weitem größere Zahl mit Nein antworten. Hier ist also schon ein Widerspruch.

Die Beweise solcher Widersprüche liefert uns die Geschichte in Menge, das Interesse der Religion und der Politik lag sich zu allen Zeiten und bei allen Völkern in den Haaren, weil beide von den persönlichen Interessen einiger benutzt werden, um das System der Ungleichheit zu erhalten und
zu befestigen.

In diesem Systeme des Widerspruchs wird es nun ganz natürlicherweise der Religion sowie der Politik unmöglich, an der Herstellung einer zeitlichen allgemeinen Wohlfahrt tätig zu arbeiten; Politiker und Pfaffen kamen daher über ein, die Aufmerksamkeit der Völker hauptsächlich auf ein dunkles, unbestimmtes, unergründetes Jenseits zu lenken, um dadurch ihre Betrachtungen von den Ursachen der gesellschaftlichen Mängel abzuziehen. So sagt man uns, vor Gott gilt kein Ansehen der Person, während die Pfaffen für unsere erlauchten gekrönten Häupter besondere Gebete in den Kirchen verrichten, für sie besondere Festlichkeiten veranstalten. Ei, wenn vor Gott kein Ansehen der Person gilt, so verlange man von uns auch nicht, jemandem besondere Ehren zu erweisen.

Vor Gott sind wir alle gleich, sagen sie; gut, das beweist, dass wir es auch hier auf Erden vor ihm sein sollen und dass ihm alles angenehm ist, was wir tun, um es zu werden.

Vor dem Gesetz sind wir alle gleich, sagen andere.

Dies ist eine der gröbsten politischen Pharisäereien. Für wen sind denn unsere Gesetze des Diebstahls und der Bettelei gemacht? Unstreitig doch zum Vorteil des Reichen; denn der kann seine wildesten Leidenschaften befriedigen, ohne weder dadurch vor dem Auge des Gesetzes Dieb noch Vagabund werden zu müssen.

Wenn alle Verbrechen aus der Sucht hervorgehen, die Begierden zu befriedigen, so ist es doch natürlich, dass der den Streichen des Gesetzes mehr anheimfällt, dem diese Befriedigung im System der Ungleichheit erschwert wird. Wenn die Ursachen der Verbrechen aus der Armut und Dürftigkeit der einen entstehen, dann ist heute jede Gleichheit vor dem Gesetze eine Ungerechtigkeit, eine schändliche Verhöhnung der Menschheit; Beweis:

Die Geldstrafen sind vor dem Gesetz gleich und nicht verhältnismäßig; wer aber wird damit durch das Gesetz stärker gestraft, der Arme oder der
Reiche?

Für wen sind die Gefängnisstrafen in ihren Folgen schrecklicher, für den Reichen, der keine Arbeit zu versäumen und kein Geschäft zu vernachlässigen hat, oder für den Gewerbtreibenden und Arbeiter, deren künftige Existenz dadurch ruiniert wird?

Ei, ei! Wie unverschämt gescheit sie sind mit ihrer Gleichheit vor dem Gesetz und wir wie dumm vor ebenderselben!

Moses sagte: Du sollst kein Dieb sein, du sollst nicht stehlen; unsere politischen Gesetze sagen dasselbe. Christus aber sagte, du sollst kein Eigentümer sein, du sollst nichts haben und besitzen. Nun, wer hat und besitzt denn unter uns das meiste? Auf keinen Fall doch die Diebe, mit welchen wir unsere Gefängnisse vollpfropfen; denn die sind immer so arm wie die Kirchenmäuse. Wenn nach dem Gebote Christi niemand etwas hätte und besäße, d. h. wenn es kein Eigentum gäbe und alles Gemeingut wäre, so hätte auch niemand etwas zu stehlen. So geht aus einem Übel immer das andere» hervor.

So sind alle unsere Gesetze zum Vorteil der einen und zum Nachteil der andern gemacht.

Wem also wird es leichter, die Gesetze zu befolgen, denen, welche dieselben zu ihrem ausschließlichen Vorteil gemacht haben, oder denen, welche man dadurch in Abhängigkeit von den ersteren erhalten wollte?

Unstreitig doch ersteren, den Reichen und Mächtigen, und niemandem wird dies schwerer als denen, welche sich infolge des Mangels, der Entbehrung und der Abhängigkeit von andern immer an den Rand des Elends, der Verachtung und der Verzweiflung zurückgedrängt sehen.

Ebenso wird es niemandem leichter, die Tugend zu üben, als denen, zu deren Vorteil die Gesetze gemacht wurden oder welche die Gelegenheit haben, sie zu ihrem Vorteil zu benutzen; denn wenn vermöge dieser Gesetze der Reiche es möglich machen kann, den Wert der Arbeit zu bestimmen, wenn dieselben ihm erlauben, große Ländereien und gefüllte Magazine (welche oft zum Lebensunterhalt von Tausenden hinreichen) sein Eigentum zu nennen und darüber nach Gutdünken zu schalten, so versteht es sich ganz von selbst, dass niemand imstande ist, mehr Almosen zu geben und mehr Arme zu unterstützen, als ein solcher Reicher. Dabei hat er gar nicht nötig, sich an der Hand weh zu tun oder sich am Munde etwas abzusparen.

Zum Besuch der Kranken und Gefangenen hat auch niemand mehr Zeit als er, ebenso zur guten Erziehung seiner Kinder, die er, wenn er dazu untauglich ist, noch andern übergeben kann, um den bösen Ruf eines schlechten Vaters von sich abzuwenden.

Wem aber wird das Tugendüben schwerer als dem Armen, dem Unbemittelten, dem, gegen welchen alle bestehenden Gesetze gemacht sind?

Hat der Geld und Mittel, Almosen und Unterstützungen auszuteilen? Hat der Zeit, die Kranken und Gefangenen zu besuchen, und erlaubt man ihm das letztere? Ist der wohl in der Lage, alle Menschen, die hohen wie die niedern, die armen wie die reichen, liebreich und als Brüder zu behandeln,

während ihn die Gesellschaft als Feind behandelt, ihn argwöhnisch, finster, mürrisch und zornig macht?

Die geduldige Ergebung in das aufgelegte Joch, welche man Tugend nennt, ist ihm diese nicht schon durch den Hunger aufgezwungen worden? Hat ihn das Gefühl der Abhängigkeit, in welchem er erzogen wurde, nicht schon in zarter Jugend für den Widerstand gegen die Ungerechtigkeit lau und kalt gemacht? Diese geduldige Ergebung, dieses stumme Dulden des Unrechts ist denn doch also keine Tugend, weil es nicht aus einem Gefühl der Freiheit und Selbständigkeit hervorging, sondern durch die eiserne Notwendigkeit gebildet wurde.

So wie unsere Pfaffen für das Geld der Reichen und Mächtigen die Sachen arrangiert haben, bleibt uns nun freilich eine riskante Wahl übrig. Sie sagen uns gleichsam:

,,Wir haben hier die Mittel zu eurem zeitlichen und ewigen Wohl; die ersten bekommt ihr nicht, weil das euch nicht dienlich ist, um das Himmelreich zu erringen; wenn ihr euch aber darüber widerspenstig zeigt und uns und den vornehmen Leuten darüber Gesichter schneidet, so bekommt ihr gar nichts."

„Ei, da behalten Sie auch ihren Segen", sagte der Bettelbube zum Bischof, der ihm das Almosen verweigerte, „denn wäre er einen Heller wert, so böten Sie mir ihn nicht an."

Die Gewalttätigen werden das Himmelreich nehmen, sagte Christus; es muss also erkämpft und nicht erduldet und erbetet werden.

Das ganze politisch-religiöse Gewebe der Reichen und Mächtigen und der nach dem Abfall vom Überflusse beider schnappenden Pfaffen ist doch also aus den grellsten Gegensätzen zusammengesetzt.

Da schwatzen sie uns dummen Teufeln immer nur von einem bessern Jenseits die Ohren voll und wissen doch, dass an seinen Pforten geschrieben steht: Sowenig ein Kamel in das Himmelreich geht usw.

Wenn wir in unserer Armut den kummervollen Blick oft in die Höhe richten, so gilt das mehr dem Brotkorb, den man uns zu hoch gehängt hat, als dem Jenseits, was wir mit Hunger, Schweiß und Tränen verdienen sollen, während es andere für eine gutbezahlte Leichenrede umsonst bekommen. Vor allem dahier unten Ordnung geschaffen, damit der Herrgott auch einmal wieder eine Freude an uns hat, denn bis jetzt wurde eine spottschlechte Wirtschaft in seiner Haushaltung geführt.«

[Quelle: Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus / bearb. u. eingel. von Werner Kowalski. -- Berlin : Akademie-Verlag. -- Bd. 1., Zeitschriften aus der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung : (1834 - 1847). -- 1967. -- CVII, 427 S. -- (Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ; Bd. 5). -- S. 260 - 265]


Wilhelm Weitling (1808 - 1871): Das Himmelreich auf Erden. -- In: Die Junge Generation. -- Jg. 2,  S. 14

Die Kommunisten sind gefährliche Leut;
Sie sind alle nicht recht gescheit,
Wollen umkehren die ganze Welt;
Nichts ist, was ihnen darauf gefällt.
Der alte Herrgott ist ihnen auch schon zu schlecht;
Sie machen sich einen ganz neuen zurecht.
Das Himmelreich, sagen sie, soll sein auf Erden;
Denn wer weiß, wie es dort oben wird werden.
So meinen sie, hat gelehrt unser Herr Jesu Christ,
Weil er auch sei gewesen Kommunist.
Und es solle wder geben Herren noch Knechte
Das ist ja ärger als die französischen Menschenrechte.

[Quelle: Kowalski, Werner (1929 - ): Vorgeschichte und Entstehung des Bundes der Gerechten : Mit einem Quellenanhang. -- Berlin : Rütten & Loening, 1962. --269 S. . -- (Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Geschichte an der Martin-Luther-Universität, Halle ; Bd. 1). -- S. 166.]


3.3. Blätter der Gegenwart für sociales leben (Zeitschrift des junghegelianisch-atheistischen Jungen Deutschland in der Schweiz). -- Lausanne. -- 1844/45


Edgar Bauer (1820 - 1866): Staat und Christentum. -- In: Blätter der Gegenwart für sociales Leben. -- Nr.1 (1844-12), S. 11f.

»Der Mensch kann nur eines sein: entweder er ist ein Sohn der Erde oder er ist Sohn des Himmels; als letzterer ist er Christ, als ersterer ist er vernünftiger Bürger — Mensch.

Der Christ betrachtet die sogenannten weltlichen Verhältnisse als lumpig; er macht eine Erziehung durch, nicht für die Erde, sondern für den Himmel. Alles, was er tut, gilt ihm nur, indem er sich dadurch die sogenannte Liebe Gottes erwirbt und sich einen Anspruch auf den Himmel verschafft. Sein Streben muss daher stets selbstsüchtig und auf die Zeit beschränkt sein, wo er lebt. Für eine Zukunft, für eine Entwicklung der Menschheit lebt er nicht, weil nach seiner Meinung die Menschheit ihre Zukunft nicht auf Erden, sondern im Himmel hat. Sich zum Menschen mit vernünftigem Streben auszubilden, fällt ihm nicht ein, denn wenn er in den Himmel kommen soll, so darf er an die Erde nicht denken; er glaubt recht vollkommen zu sein, wenn er von seiner eigenen Schlechtigkeit recht überzeugt ist und die Schmach, ein Mensch zu sein, recht innig fühlt.

Oder der Mensch ist Erdensohn, ist vernünftiger Weltbürger: dann lebt er nicht für den Himmel, sondern sein ganzes Streben ist weltlich. Die Menschheit ist es, in deren Dienst er arbeitet, die bürgerliche Gesellschaft, in der er allein seine Kräfte zur Anerkennung zu bringen vermag. Daher ist auch sein ganzes Streben darauf gerichtet, diese Gesellschaft zu vervollkommnen, sein Möglichstes dazu beizutragen, dass sie vernünftige Einrichtungen habe, d. h. dass in ihr keines ihrer Mitglieder durch das andere beeinträchtigt werde.

Der Mensch ist also entweder vollkommener Christ, oder er ist vollkommener Bürger. Dieser Gegensatz kann nicht scharf genug hingestellt werden. Der Christ hat sich als Christ jeder Obrigkeit zu beugen, sie mag sein, wie sie will. Da ihm nichts mit natürlichen Dingen zugeht, er vielmehr alles auf seinen Gott zurückbezieht, so kommt ihm auch seine Obrigkeit von Gottes Gnade, und je schlechter sie ist, desto lieber muss sie ihm sein, weil er dann glauben muss, Gott wolle ihn recht prüfen und durch irdisches Dulden zur Himmelsseligkeit vorbereiten.

Der wahre Bürger dagegen sieht in der Obrigkeit etwas Menschliches; er sucht sie daher immer nach seiner Vernunft und Einsicht einzurichten, d. h. er strebt dahin, seine eigene Obrigkeit zu werden.

Wer zwischen dem Menschen und dem Christen vermitteln will, kann den wahren Menschen nicht kennen. Er weiß nichts von dem Menschen, der sich selber Gesetz ist und in seiner Vernunft den einzigen Antrieb zur freien Tat findet, von dem Menschen, der alle unfreie Demut, jedes entwürdigende Vorurteil mit der Wurzel von sich ausrottet.

Und doch kann nur ein solcher Mensch in vollkommener Gesellschaft leben, weil nur derjenige für etwas Allgemeines Sinn haben kann, welcher sich selbst als eine allgemeine Macht erkannt hat. Das Abhängigkeitsgefühl kann nie der Kitt einer vernünftigen Gesellschaft werden. Der Mensch muss sich frei fühlen, um sich überhaupt zu fühlen, und er muss sich selber achten, wenn er seine Mitmenschen als seinesgleichen achten soll.

Doch von dem Gesellschaftsmenschen weiß man jetzt meistens noch nichts; man kennt nur ein Gesellschaftstier. Man kann den Staat höchstens ein Rudel Menschen nennen. Man lässt sich zähmen und abrichten und verliert fast alle Anlage zur freien Selbstbestimmung. Aber — bei dem Löwen der Wüste! — der Mensch muss wieder wild werden, damit er etwas werde! Er sprenge den Menageriekäfig, in dem man ihn als ein Wunder der Zahmheit herumführt! Noch stecken die übermütigen Tierbändiger ganz ruhig ihren Kopf in den Rachen des Löwen; denn sie wissen — er beißt doch nicht zu.

Aber — wenn er einmal zubeißt! —«

[Quelle: Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus / bearb. u. eingel. von Werner Kowalski. -- Berlin : Akademie-Verlag. -- Bd. 1., Zeitschriften aus der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung : (1834 - 1847). -- 1967. -- CVII, 427 S. -- (Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ; Bd. 5). -- S. 339f.]


St.: An die Deutschen im Auslande : eine unpolitische Epistel aus politischem Material. -- In: Blätter der Gegenwart für sociales Leben. -- Nr.2 (1845-01), S. 10f.

»Es flog ein Gänschen über den Rhein
Und kam — als was wohl — wieder heim?
(Schluss)

Also alle ihr armen Schlucker, die ihr den freien deutschen Rhein überschritten, die ihr mit wahrer Schafsgeduld die letzten Grobheiten des letzten deutschen Polizeibeamten einstecktet, sagt mir aufrichtig, wart ihr in jener Zeit nicht glücklich und zufrieden? Lebtet ihr nicht in jenem behaglichen Schlendrian, in jener wahren Deutschheit, die dem Untertanen so wohl ansteht?

Und nun? Nun lauschet ihr den verderblichen Reden von Freiheit und Gleichheit der Volksverführer, nun werden euch die Zustände im lieben Vaterlande drückend vorkommen; ihr werdet euch, nach Deutschland zurückgekehrt, „unzufrieden, unbehaglich" fühlen. Wer hieß euch auch in die Schweiz kommen! Hattet ihr nicht genug an dem deutschen gesetzmäßigen Liberalismus? Genügte es euch nicht, während die wohlhabenden Bürger bei Braten und Wein seichbeutelten, an dem Geruch ihrer Speisen euern Hunger und an dem Wasser ihrer Reden euern Durst zu stillen? Oh, ein Stück Brot und Käse tuts auch, wenn man nur z-u-f-r-i-e-d-e-n ist! Darum —

Mitbürger, ach seid doch zufrieden
Und schickt euch in die böse Welt!
Das Los, das euch von Gott beschieden,
Trag' jeder als ein Christ, ein Held.
Wer nur den lieben Gott lässt walten,
Der lässt auch alles hübsch beim alten:
Es gibt auf Erden weit und breit
Nichts Schön'res als — Zufriedenheit!

Wenn sie ins Wanderbuch euch schreiben
Viel Schand' und Schimpf und Schimpf und Schand',
Wenn sie euch mit Gendarmen treiben
Gleich Vagabunden aus dem Land,
So lasst euch dieses nicht verdrießen,
Ein Wort kann alles ja versüßen:
Es gibt auf Erden weit und breit
Nichts Schön'res als — Zufriedenheit!

Wenn ihr als arme Schlucker lungert,
Wenn's Hemd euch durch die Hose blickt,
Wenn ihr vorm Haus des Reichen hungert
Und wenn der Frost euch kneipt und zwickt,
Bedenkt: Es kann ja hier auf Erden
Doch nicht ein jeder glücklich werden!
Den Großen Glück und Herrlichkeit,
Dem Volke — die Zufriedenheit!

Von Gottes Gnaden ist der König,
Wir sind nur seinetwegen da,
Und murren wir einmal ein wenig —
Man schießt uns tot — Halleluja!
So tat man's allerorten treiben,
So ist's, so sei's, so muss es bleiben:
Drum liebes Volk, sei doch gescheit,
Bewahre die — Zufriedenheit!

Und habt ihr alles auch verloren,
Und wird es euch so schwer und bang,
Und zieht man's Fell euch über die Ohren,
Bedenkt — 's ist nur ein Übergang.
Lasst schinden, quälen euch und treten,
Ihr dürft ja — singen noch und beten,
Ihr habt — wie glücklich ihr doch seid —
Ja immer noch — Zufriedenheit!

Zufriedenheit sei meine Freude,
Zufriedenheit sei meine Lust!
In meinem abgeschabten Kleide
Herrsch' dies Gefühl in meiner Brust!
Und bin ich gleich verlumpt, verdorben,
Vor Hunger endlich gar gestorben,
So schreibt aufs Grab mir groß und breit:
Der Kerl starb an — Zufriedenheit!
† Amen† «

[Quelle: Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus / bearb. u. eingel. von Werner Kowalski. -- Berlin : Akademie-Verlag. -- Bd. 1., Zeitschriften aus der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung : (1834 - 1847). -- 1967. -- CVII, 427 S. -- (Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ; Bd. 5). -- S. 342f.]


Anonym: Pfaffen, Kirche, Religion (aus einem Briefe). -- In: Blätter der Gegenwart für sociales Leben. -- Nr.3 (1845), S. 2ff.

»Sie haben recht, es sind nicht sowohl die Bajonette, nicht die Einrichtungen in Staat und Kirche, die wir als feindliche Macht anzuerkennen haben; es ist vielmehr die Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit der entarteten Menschen. Gleichgültig gegen die Wahrheit, verlieren sie den Mut, wenn sie sich ihnen als Göttin der Vernunft entschleiert und nackt darstellt. Wie ein Prahlhans von Kampf und Schlachten redet, aber beim ersten Schuss davonläuft, so verhalten die Menschen sich zum Kampfe unserer Zeit, und noch weit ärger; denn die Mutlosigkeit, wenn sie zum Geständnis gebracht werden soll, verwandelt sich in Fanatismus und dickköpfige Verstocktheit. Nirgends tritt dies greller hervor als auf religiösem Gebiete. Wir deklamieren gar meisterlich gegen die Pfaffen, ja sogar gegen die Kirche; wenn man uns aber beweist, dass wir damit auch das ganze Wesen der Religion angegriffen haben, dann schreien wir Mord und Zeter.

Sie glauben freilich, „man möge das Wort beibehalten, weil das Volk nun einmal an Worten hängt"; aber bedenken Sie wohl, mit jedem Worte ist zugleich ein Begriff verbunden. Die Religion ist jedoch nichts anderes als das Streben, sich für eine unbekannte, unwirkliche, jenseitige Welt auszubilden, einem Wesen unserer Einbildung zu dienen und — vergessen Sie das nicht — jenem Wesen, jener Welt sein eigenes menschliches, irdisches Wesen zum Opfer zu bringen, sein Fleisch zu kreuzigen. Noch nie erklärte ein religiöser Mensch, dass ihm sein weltliches, menschliches Streben Hauptsache sei.

Sie halten Religion gleichbedeutend mit Moral. Sie irren sich. Moral ist etwas Menschliches, Religion ist „göttlich". Ebenso täuschen Sie sich, wenn Sie in der Aufhebung des Pfaffentums und der Kirche schon das Ziel errungen zu haben glauben. Seien Sie aufrichtig gegen sich selbst! Kann eine Religion bestehen ohne Religionslehrer, und haben Sie somit nicht wieder den ganzen Kram hergestellt? Jede Religion muss bestimmte, ewig feststehende Lehrsätze haben — sehen Sie in der Geschichte nach, wie viel Menschenblut dieser Lehrsätze willen vergossen ist, — und diese müssen von Priestern gelehrt werden. Erkennt man ein Wesen außer und über der Natur und dem Menschen an, so muss man dieses Wesen verehren und ihm dienen — der irdische Mensch kann seinem Gott nur irdisch dienen —, da haben Sie auch die Kirche wieder. Der Gottesdienst muss alsdann dem Menschen das Höchste sein, und so hätten wir auch die Kirchenherrschaft wieder hergestellt!

Sie selbst sagen: „Das Volk hängt zu sehr am Worte." Ich kannte das Volk nicht näher, aber ich wollte es nicht glauben, bis ich mich endlich selbst überzeugte. Aber spricht denn das nicht für unsere Behauptung, die Mutlosigkeit sei unser ärgster Feind? Und sollen wir diesen Feind schonen? Teurer Freund! Sagen Sie selbst, wieviel Menschen gibt es nicht, die sich bei jeder Gelegenheit über Kirche und Pfaffen lustig machen, die vielleicht seit zehn Jahren nicht das Innere einer Kirche gesehen, keine Predigt gehört und kein einziges Mal gebetet haben? Muss nun aber ein religiöses Glied einer religiösen Gemeinde sich nicht mit ihr zum Gebet vereinigen ? Muss es nicht ? Aber genug! Sagen Sie diesen Leuten: Freunde, wir wollen die Würde des Menschen wiederherstellen, seiner sittlichen Macht volle Anerkennung ver-

schaffen; sagen Sie ihnen, was Sie wollen, und berühren Sie den Namen „Religion", so wette ich, es sind noch unendlich viele, welche ein Geschrei erheben, man wolle ihnen das Heiligste aus dem Herzen reißen usw. Bedächten die Menschen nur den einzigen Satz: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen", gewiss, sie würden Mut bekommen, auf eigenen Füßen zu stehen.

Einerlei, das darf uns nicht anfechten. Die Menschheit und nur die Menschheit ist es, in deren Diensten wir stehen. Irren wir, wohlan, so widerlegt uns, und gern wollen wir unsern Irrtum bekennen, wo nicht, nun so reicht uns die Bruderhand, lasst uns Mann an Mann in geschlossenen Gliedern für die Sache der Menschheit kämpfen. Einer für alle, alle für einen — alle aber für die Menschheit!«

[Quelle: Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus / bearb. u. eingel. von Werner Kowalski. -- Berlin : Akademie-Verlag. -- Bd. 1., Zeitschriften aus der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung : (1834 - 1847). -- 1967. -- CVII, 427 S. -- (Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ; Bd. 5). -- S. 345f.]


4. Kulturkampf und Sonderbundszeit (1845 -1847)


"Im Innern empfing der Parteihass durch kirchliche Streitigkeiten neue Nahrung. 1834 hatten die Kantone Luzern, Bern, Solothurn, Baselland, St. Gallen, Aargau und Thurgau in einer Konferenz zu Baden 27. Jan. 1834 ein Konkordat aufgestellt, um die Rechte des Staates gegenüber der katholischen Kirche zu wahren. Dasselbe wurde aber in St. Gallen 1835 durch Volksabstimmung verworfen, und auch Bern trat wegen der von Frankreich geschürten Erregung im katholischen Jura 1836 davon zurück. In Zürich kam es zu einem »Putsch« der Orthodoxen, als der Verfasser des »Lebens Jesu«, D. F. Strauß, 1839 an die Hochschule berufen wurde: ein Bauernhause rückte 6. Sept. in die Stadt und erzwang den Sturz der liberalen und die Einsetzung einer konservativen Regierung. In Luzern erlangten die von Joseph Leu und Siegwart Müller geführten Ultramontanen im Mai 1841 bei einer von ihnen ins Werk gesetzten Verfassungsrevision den vollständigsten Sieg.

Ermutigt durch diese Erfolge, forderten die Ultramontanen, gestützt auf die im Bundesvertrag enthaltene Garantie der Klöster, von der Tagsatzung, dass Aargau gezwungen werde, die infolge eines Aufruhrs der Klerikalen im Januar 1841 aufgehobenen Klöster des Kantons wiederherzustellen, und als sich die Tagsatzung 31. Aug. 1843 mit dem Anerbieten Aargaus, die vier Frauenklöster herzustellen, zufrieden erklärte, berieten die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Freiburg im September 1843 bereits über ihre Trennung von der Eidgenossenschaft.

Die gewaltsame Niederwerfung der Liberalen in Wallis durch die Ultramontanen und die Berufung der Jesuiten an die höhern Lehranstalten von Luzern (1844) steigerten die Aufregung. Als der Antrag Aargaus, die Jesuiten aus der Schweiz fortzuweisen, auf der Tagsatzung keine Mehrheit fand, versuchten die Luzerner Radikalen 8. Dez. 1844 mit Hilfe von Freischaren aus andern Kantonen die klerikale Regierung mit Gewalt zu beseitigen; das Unternehmen scheiterte jedoch kläglich. Ebenso endete ein zweiter Freischarenzug unter dem frühern Luzerner Regierungsrat Steiger und dem Berner Ochsenbein 31. März 1845 mit einem blutigen Rückzug. Diese Freischarenzüge boten den sieben ultramontanen Kantonen Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Freiburg und Wallis den Vorwand, im Dezember 1845 einen förmlichen Sonderbund abzuschließen und ihn zum Widerstand gegen »unbefugte« Bundesbeschlüsse militärisch zu organisieren.

Sobald der Inhalt des anfangs geheim gehaltenen Bündnisses bekannt wurde, beantragte der Vorort Zürich bei der Tagsatzung, es als unverträglich mit den Bestimmungen des Bundesvertrags für aufgelöst zu erklären, erlangte aber erst, nachdem in Genf und St. Gallen die liberale Partei zur Herrschaft gekommen war, im Juli 1847 die knappe Mehrheit von 12 Kantonalstimmen. Gleichzeitig wurde auch die Wiederaufnahme der Bundesrevision und die Ausweisung der Jesuiten beschlossen. Da die sieben Sonderbundskantone, auf die Hilfe der kontinentalen Großmächte, die einstimmig für sie Partei ergriffen, vertrauend, allen Mahnungen und Vermittelungsversuchen unzugänglich blieben und eifrig rüsteten, entschloss sich die Tagsatzung zu Bern 4. Nov. 1847 zur Anwendung von Waffengewalt (Sonderbundskrieg). Eine eidgenössische Armee von fast 100,000 Mann unter General Dufour zwang Freiburg und Zug zur Kapitulation, vertrieb die vom Obersten Salis-Soglio befehligten Sonderbundstruppen 23. Nov. aus ihren verschanzten Stellungen bei Luzern und zog in diese Stadt ein. Nun unterwarfen sich auch die Waldstätten und Wallis, und noch vor Ende November war der Sonderbund aufgelöst.

Die Regierungen und teilweise auch die Verfassungen in den besiegten Kantonen wurden verändert und diesen die Kriegskosten auferlegt. Der Ausgang des Krieges entschied auch den Sieg der Bundesrevision. Eine Kollektivnote Österreichs, Preußens, Frankreichs und Russlands vom 18. Jan. 1848 erklärte allerdings, dass diese Mächte keine Veränderung des Bundesvertrags von 1815 zulassen würden, die mit der Kantonalsouveränität in Widerspruch stehe. Die Tagsatzung wies indes mit Entschiedenheit diese Einmischung zurück, die infolge der Februarrevolution zu Boden fiel, und schuf nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Nordamerika die in ihren Grundzügen noch jetzt bestehende Verfassung, welche die Schweiz aus einem Staatenbund in einen fester gefügten Bundesstaat umwandelte. Dem Bunde wurden das ausschließliche Recht über Krieg und Frieden, der Verkehr mit dem Ausland, das Zoll-, Post- und Münzwesen, Maß und Gewicht, die Organisation des Bundesheeres, der höhere Militärunterricht, die Garantie republikanisch-demokratischer Kantonalverfassungen, der Rechtsgleichheit, der Glaubensfreiheit für die christlichen Konfessionen, der Preß- und Vereinsfreiheit etc. übertragen. An Stelle der Tagsatzung trat eine in ihrer Stimmabgabe freie Bundesversammlung, bestehend aus der Vertretung der Kantone (Ständerat) und der des Schweizer Volkes (Nationalrat), an Stelle des bisherigen wechselnden Vorortes als höchste vollziehende Behörde ein ständiger Bundesrat von sieben Mitgliedern, von denen das den Vorsitz führende den Titel Bundespräsident erhielt; ebenso wurde ein Bundesgericht eingesetzt. Nachdem 151/2 Kantone mit 1,897,887 Seelen gegen 61/2 verwerfende mit 292,371 Einw. die neue Verfassung angenommen, erklärte die Tagsatzung sie 12. Sept. 1848 in Kraft und löste sich auf. Die erste Bundesversammlung trat 6. Nov. in Bern, das zum Bundessitz bestimmt wurde, zusammen und wählte den ersten Bundesrat."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Schweiz"] 

"Sonderbundskrieg

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Der Sonderbundskrieg war ein Bürgerkrieg in der Schweiz. Er dauerte vom 3. November bis zum 29. November 1847, also nur 27 Tage.

Anlass für den Krieg war die Gründung des Sonderbundes durch katholische Kantone, was die Einheit der Eidgenossenschaft gefährdete. Die Sonderbundskantone waren: Luzern, Zug, Uri, Schwyz, Unterwalden, Wallis und Fribourg. Die Tagsatzung beschloss die gewaltsame Auflösung des Sonderbundes und ernannte Henri Dufour zum General. Unter Dufour errangen die Tagsatzungstruppen - bestehend aus den übrigen Kantonen mit Ausnahme von Appenzell-Innerrhoden und Basel-Stadt, die beide neutral blieben - einen schnellen und relativ unblutigen Sieg (insgesamt gab es nur etwas über 100 Todesopfer) über die Sonderbundstruppen.

Als Folge des Sonderbundskrieges wurde 1848 der Schweizerische Bundesstaat gegründet. "

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Sonderbundskrieg. -- Zugriff am 2004-04-22]



Abb.: Reaktionäre Karikatur von David Hess (1770-1843): Die neuen Zustände in der Schule. Auf der Tafel: 2. Timotheusbrief 4,3-4 ["Denn es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln; und man wird der Wahrheit nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien zuwenden."]
Der Herr Schullehrer ist ein großer Mann
Bei dem der Pfarrer selbst noch lernen kann.



Abb.: David Hess (1770 - 1843): Der Geist unserer Zeit. -- 1831

Erläuterung: Reaktionäre Karikatur. Der Teufel zertritt Requisiten und Symbole der katholischen Kirche.



Abb.: Heinrich von Arx (1802 - 1858): Karikatur zum Kampf um die Klosteraufhebung im Kanton Aargau. -- In: Der Guckkasten. -- 1841-05-25

Erläuterung: Historischer Hintergrund

"In der Reformation wurde der bernische Aargau reformiert, die Grafschaft Baden paritätisch; die Freiämter blieben katholisch. Die Revolution erlöste 1798 den Aargau aus seiner Untertanenstellung und wandelte den bernischen Teil in einen Kanton Aargau, die gemeinen Vogteien in einen Kanton Baden um; der heutige Kanton, mit dem das im Lüneviller Frieden (1801) von Österreich abgetretene Fricktal vereinigt wurde, entstand 1803 durch die Mediationsakte und blühte trotz der konfessionellen Verschiedenheit der einzelnen Landesteile auf. 1814 rettete der junge Kanton sein Dasein gegen die Herrschaftsgelüste Berns; dagegen wurde die repräsentative Verfassung durch hohen Zensus, lange Amtsdauern und dgl. in oligarchischem Sinn abgeändert, nach der Julirevolution aber infolge des unblutigen Aufstands vom 5.-10. Dez. 1830 demokratisiert (15. April 1831). Als durch eine am 5. Jan. 1841 vom Volke sanktionierte Verfassungsrevision der bisherige Grundsatz der Parität der Konfessionen, der den an Zahl schwächern Katholiken die gleiche Zahl Vertreter im Großen Rate wie den Reformierten sicherte, aufgehoben und die Vertretung nach der Kopfzahl eingeführt wurde, erhob sich in den Freiämtern ein Aufruhr, der indes von den Regierungstruppen nach dem Gefecht bei Villmergen (11. Jan.) rasch unterdrückt wurde. Infolge dieses Aufstandes beschloss der Große Rat, die acht Klöster des Kantons als Herde des konfessionellen Haders aufzuheben und ihr 61/2 Mill. Fr. betragendes Vermögen für Schul- und Armenzwecke zu verwenden (13. Jan.). Die hierin liegende Verletzung der im Bundesvertrag von 1815 ausgesprochenen Klostergarantie gab zu großer Aufregung in der Eidgenossenschaft und langwierigen Verhandlungen in der Tagsatzung Anlass, deren Mehrheit sich 31. Aug. 1843 mit der Wiederherstellung der vier Frauenklöster zufrieden gab, während die nachmaligen Sonderbundskantone nach wie vor auf der Herstellung sämtlicher Klöster bestanden. Von da an stand der Aargau an der Spitze der antiklerikalen Bewegung in der Schweiz und stellte 1844 auf der Tagsatzung den Antrag auf Ausweisung der Jesuiten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Aargau"]


 


Abb.: Erinnerungen aus dem Aargau 1841: Klosterbesetzung. -- um 1847

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 155]



Abb.: Heinrich von Arx (1802 - 1858) (?): Mittwoch den 30ten Dezember siegte in Bern das Licht über die Dunkelheit. - 1841

Erläuterung: Karikatur im Wochenblatt "Der Guckkasten". Am 1840-12-30 hatte sich der Gemeinderat Bern für die Einführung der Gasbeleuchtung ausgesprochen. Die konservativen Gegner der Gasbeleuchtung sind nach dieser Karikatur auch sonst die Dunkelmänner.

[Quelle: Dettwiler, Walter <1960 - >: Von linken Teufeln und heuchlerischen Pfaffen : der Weg zur modernen Schweiz im Spiegel der Karikatur (1798-1848). -- Zürich : Der Schweizerische Beobachter, ©1998 Kollation 71 S. : Ill. -- S. 55]



Abb.: Hieronymus Hess (1799 - 1850): Karikatur auf die Reaktion in Luzern



Abb.: "Der geistige Fortschritt in Luzern"

[Bildquelle: Heer, Albert ; Binder, Gottlieb:  Der Sonderbund. -- Zürich : Schäubli, 1913. -- 368 S. : Ill.  -- S. 17]



Die Zukunft des Luzerner Volkes. -- In: Der Guckkasten. -- 1844-03-08


Jesuitenlied der Zürcher Radikalen. -- Juni 1844

Es frisst bis in sein tiefstes Herz ,
Ein heimlich Gift am Land.
Auf, auf, mein Volk, nun halt dich fest,
Und brenne aus das Schlangennest
Mit schonungsloser Hand!

Nun wird es sich wohl zeigen klar,
Wer es mit ihnen hält.
Du treues Volk, mach dich herbei
Und zeichne sie als vogelfrei,
Die dir das Netz gestellt.

O schwarze Jesuitenbrut,
Die ohne Kutten schleicht!
Zeit ist es, dass man an dich denkt.
Wer mitfliegt, wird auch mitgehenkt,
Gib acht, du wirst erreicht.

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S. 653]


*
Abb.: Satire auf die Jesuiten

[Bildquelle: Heer, Albert ; Binder, Gottlieb:  Der Sonderbund. -- Zürich : Schäubli, 1913. -- 368 S. : Ill.  -- S. 49]


Hermann Rollet (1819 - 1904): An die freie Schweiz.

Ein freies Vol, ein freies Land
Darf keine Fessel dulden,
Und hebt es nicht zur Wehr die Hand,
Verdient es alle Schmach und Schand
Durch eigenes Verschulden.

Der Geist des Lichtes und der Lieb
Ist flammend auferstanden,
Wer da noch gern im Dunkel blieb,
Wer da nicht folgt der Seele Trieb,
Der schlägt sich selbst in Banden.

Du Schweizervolk, du Schweizerland,
Das oft so kühn gestritten,
Es treff dich Spott und Schmach und Schand,
Wenn du nicht stark mit Herz und Hand
Verjagst die Jesuiten.

Mit allen Kräften dreingehaut
Ins Nachtgezücht der Sünde,
Auf dass der Nacht im Lichte graut,
Auf dass der Morgen, glanzbetaut,
Den hellen Tag verkünde!

Wir folgen euch im Kampfgewühl
Zum Siege und zum Glücke;
Den Ronge1 seht und Schneidemühl2,
Ein solcher Brand wird nimmer kühl.
Wir bleiben nicht zurücke.

Ihr aber sollt mit Herz und Hand
Die Freiheit, längst erstritten,
In Treue schützen vor der Schand
O Schweizervolk, o Schweizerland,
Verjag die Jesuiten!

Erläuterungen:

1 Ronge

"Ronge, Johannes, Urheber der deutsch-katholischen Bewegung (s. Deutschkatholiken), geb. 16. Okt. 1813 zu Bischofswalde in Schlesien, gest. 26. Okt. 1887 at Wien, wurde 1840 Kaplan in Grottkau. Wegen eines in den »Sächsischen Vaterlandsblättern« erschienenen Artikels (»Rom und das Breslauer Domkapitel«) im Januar 1843 suspendiert, übernahm er zu Laurahütte in Oberschlesien den Unterricht der Kinder dortiger Beamter. Die Ausstellung des heiligen Rockes zu Trier im Oktober 1844 veranlaßte ihn, einen vom 1. Okt. 1844 datierten »Offenen Brief« an den Bischof Arnoldi zu Trier in den »Sächsischen Vaterlandsblättern« (15. Okt.) zu veröffentlichen, der ungemeines Aufsehen machte. Hierauf wurde R. 4. Dez. förmlich degradiert und exkommuniziert. Seit 1845 Pfarrer der deutsch-katholischen Gemeinde in Breslau, wirkte er fortan in Schriften und auf Rundreisen für den Deutschkatholizismus, nahm an den politischen Kämpfen teil, war Mitglied des Vorparlaments, flüchtete aber, infolge eines offenen Briefes an Friedrich Wilhelm IV. steckbrieflich verfolgt, 1849 nach London. Nach der Amnestie kehrte er 1861 nach Breslau zurück, gründete im Oktober 1863 in Frankfurt a. M. den Religiösen Reformverein und lebte seit 1873 in Darmstadt, wo er die »Neue religiöse Reform« herausgab, später in Wien."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Schneidemühl (heute: Pila, Polen): dort gründete Johannes Czerski die Christlich-apostolisch-katholische Gemeinde:

"CZERSKI, Johannes, Gründer der Christlich-apostolisch-katholischen Gemeinde in Schneidemühl, * 12.5. 1813 in Warlubien bei Neuenburg (Westpreußen), † 22.12. 1893 in Schneidemühl. - C. stammte aus einer polnischen Bauernfamilie und war ursprünglich katholischer Theologe. In seiner Schrift »Rechtfertigung meines Abfalles von der römischen Hofkirche« berichtet er über seine Entwicklung. Schon auf dem bischöflichen Seminar in Posen seit 1838 konnte C. »über manche vorgetragene Dogmata nicht einig werden und verglich sie mit der Bibel«. 1842 wurde er zum Priester geweiht und war einundeinhalb Jahre Vikar an der Domkirche in Posen. C. wurde in das Dorf Wyri bei Posen strafversetzt und kam schließlich im März 1844 als Vikar nach Schneidemühl, wurde aber bereits im Mai wegen seiner intimen Beziehungen zu der jungen Polin Maria Gutowska suspendiert. Er entsagte am 22.8. dem geistlichen Stand und vollzog am 19.10. seinen Austritt aus der Kirche. Mit einem großen Teil der Gemeinde in Schneidemühl gründete C. die Christlich-apostolisch-katholische Gemeinde. Sie verwarf die katholische Lehre von der Sündenvergebung, dem Primat des Papstes, der Heiligenverehrung, dem Gebot des Fastens und des Priesterzölibats, empfing das Abendmahl in beiden Gestalten und feierte den Abendmahlsgottesdienst in der Muttersprache. In einer Eingabe vom 27.10. 1844 an die königliche Regierung in Bromberg bat die Christlich-apostolisch-katholische Gemeinde um »Anerkennung und Regulierung und Feststellung ihrer externa«. Am 17.2. 1845 wurde C. von dem Kapitularvikar der Erzdiözese Posen degradiert und exkommuniziert und am 21.2. von einem evangelischen Pfarrer in Schneidemühl feierlich getraut. Er verband sich mit dem suspendierten katholischen Priester Johannes Ronge, der am 12.1. 1845 in Breslau als »Allgemeine Christliche Kirche« die deutsch-katholische Gemeinde gegründet hatte. C. wandte sich seit 1860 immer stärker vom christlichen Denken ab und wurde Wanderprediger des »Bundes freier religiöser Gemeinden«. "

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/c/czerski_j.shtml. -- Zugriff am 2004-10-19]

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 216.]



Abb.: Die Jesuiten halten Mission


Aus der Rede von Lehrer Wild auf dem Sängerfest in Hombrechtikon. --  Mitte Juni 1844. -- In: Der Schweizerbothe. -- 1844-06-18

Die Lüge und die Finsternis
Sind ihre linke Hand;
Der Mauchelmord und der Verrat
Sind ihre rechte Hand.

Unser Losungswort sei:
Fort mit den Jesuiten!
Mein Hoch gilt den Kämpfern gegen den Jesuitismus.

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S. 654]


Lied zum ersten Jesuitenzug. -- 1844

Auf Brüder, es ist hohe Zeit
Macht eure Waffen nur bereit
Zum Kampfe für Recht und Wahrheit,
Für Ehre und Geistesfreiheit!

Wir ziehen in die Bundesstadt,
Zu rächen Vaterlandsverrat.
Es macht wohl dem Siegwart schwül,
Sei auch das Wetter noch so kühl.

Zum Teufel ihr Jesuiten,
Zum Henker ihr Loyoliten!
Und bis zum nächsten Morgenrot,
Dann ist der Schurke Siegwart tot.

Und haben wir hier gesiegt,
dass unser Feind darnieder liegt,
Dann fort mit den Jesuiten,
In Freiburg, Schwyz und Sitten.

S'gibt keinen Frieden mehr fürwahr
Bei dieser Höllen-Hundeschar.

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S. 687f.]


Schmähgedicht auf die Jesuiten im "Schweizerboten" Nr. 148 vom 10. Dezember 1844

Raffe auf dich, Männertugend,
 Heil'gen Rechtes stolze Kraft.
Stelle hier dich kühne Jugend
Mit des Mutes Ritterschaft.

Ein Gewürm durchschleicht die Gauen,
Schwarze, gift'ge Höllenbrut,
Weh' den lenzgeschmückten Auen,
Wo es nährt sein Drachenblut.

In des Landmanns frohe Hütte
Kriecht das schlangelnde Getier;
Legt sich sanft mit süßer Bitte,
Vor der Frauen holde Zier.

Auf der Jungfrau reine Blüte,
Wirft es seinen schlauen Blick;
In das offne Kindsgemüte,
Gleitet es mit Satans Tück.

Um des Knaben rasches Jagen,
Legt es seines Geifers Bann;
Und in frühen Lenzestagen,
Wird entnervt der junge Mann.

Hebt sich wo ein kühner Seher
Mutentflammt, im Manneszorn,
Tritt der Truggestalt er näher
Mit der Lanze scharfem Dorn.

Sieh, o Graus, sich blähen, bäumen,
Das gewalt'ge Schlangenpaar;
 Unter ihres Giftes Schäumen
Liegt er auf der Totenbahr.

Züngelnd über seine Leiche
Gleitet hin der wüste Schwärm,
Und er teilet neue Reiche
Beutedurstig, gierdewarm.

Ach des Lebens schönste Freuden
Flieh'n das Nahen dieser Gäst';
Und des Lebens schwerste Leiden
Ziehen ein mit ihrer Pest.

Winkelrieds gepries'ne Söhne,
Duldet ihr die Drachenbrut!
Soll' der Freiheit bang Gestöhne
Werben erst den Heldenmut ?

Ruft's durch alle Tale wieder,
Ruft es mit Orkangebraus
Jesuiten, Judasbrüder
Fort mit euch - zum Land hinaus!

Die Redaktion macht folgende Anmerkung: »Wir erhielten diese dichterische Herzensergießung eines Mannes, der von den so nahe bevorstehenden Ereignissen in Luzern [8. Dez., 1. Freischarenzug] durchaus keine Ahnung hatte, zu einer Zeit, in der auch wir diese Krise noch ferner glaubten. Abgesehen davon, dass dieser Aufruf außer aller Beziehung mit den Vorfallenheiten der letzten Tage steht, verdient er gewiss seines trefflichen Geistes und der edlen Form wegen öffentliche Mitteilung. Werden nun auch die Jesuiten in Luzern festen Fuß fassen, so fordert ihre Gemeingefährlichkeit nichts destoweniger alle, die es mit dem Vaterlande gut und redlich meinen, dringend auf, nicht müde zu werden, bis sie wieder aus der Schweiz vertrieben sind. Der „Aufruf" kömmt daher weder zu frühe, noch zu spät, er kömmt immer noch zur rechten Zeit! A.d.R.«

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S. 688f.]


Schmähgedicht auf die Jesuiten im »Basellandschafllichen Volksblatt« Nr. 27 vom 2. Juli 1844

Der Jesuit

Als die Natur schon lange Zeit
In Füll' und Kraft gewaltet,
Und auf dem Erdball weit und breit
Manch' Götterbild entfaltet:

Da schuf sie einst in düst'rer Stund'
Ein Scheusal sonder Gleichen;
Das Laster schloss mit ihm den Bund
Zu frechen Bubenstreichen.

Ein Abschaum voller Tück' und Wut
Ist dieses grause Wesen,
Das aus dem Schlund der Höllenbrut
Natur zum Schreck erlesen.

Des Auges Basiliskenblick
Hegt Krokodilles-Tränen;
Die Hand, des Teufels Meisterstück,
Dient wilder Bosheit Plänen.

Nur Gift und Galle, gleich dem Molch,
Durchströmt den feilen Schergen,
Der blut'ger Rache sichern Dolch
Im Schlafgewand will bergen.

Merkt scheu auf diese Kreatur
Mit ihren Baalessitten!
Im Zorne schuf sie die Natur:
Sie schuf - den Jesuiten.

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S. 663.]


Anonymes Jesuitenlied der Radikalen aus dem Jahre 1844, »Von einer Anzahl aufgeklärter Katholiken in der Schweiz.« - (Basellandschaftliches Volksblatt Nr. 48 vom 14.11.1844)

Ihr verdammten Volksverdummer,
Falscher Lehren Satansbrummer,
Finst're Feinde der Vernunft,
Aus der Hokus-Pokus Zunft;
Ihr elenden Schriftverdreher,
Sündenböcke, Messenkräher,
Beichtstuhlhocker, wohlerfahren,
Alte Weiber derb zu narren,
Schöne Mädchen arg zu plagen,
Ihr Geheimnis zu erfragen;
O ihr miserablen Schmeichler,
Freche Lügner, freche Heuchler,
Freunde nur vom Pfaffentum,
Falsch und seelenschwarz und krumm;
Ihr verdammten Intriganten,
Ruhestörer, Arroganten,
Fratzenpossen wilder Affen,
Schlechteste von allen Pfaffen,
Menschenfeind in Tat und Worten,
Unheilstifter aller Orten,
Störer guter Anverwandten,
Bauern-Beutel - Spekulanten;
Ihr verschmitzten Kellerratten,
Freund von Finsternis und Schatten,
Hochverräter, Schlangenseelen,
Räuber, die das Volk bestehlen,
Doppelzungen, Bösewichter,
Finst're Isegrimgesichter,
Voll von Satanspfiffigkeit,
Nur zum Schlechten stets bereit;
Ihr verfluchten Alchimisten,
Feinde aufgeklärter Christen,
Ihr Aqua-Toffana-Spender,
Brüdermörder, Mädchenschänder,
Unkraut in des Geistes Saaten,
Ekler Auswurf aller Staaten,
Meister ihr, den Schalk zu machen,
Erd und Himmel auszulachen;
Ihr des freien Geist's Tyrannen,
Hydraköpfe, weicht von dannen;
Vagabunden ohne Gleichen,
Ihr könnt euch zum Teufel streichen;
Aller Länder Spott und Schand,
Fort mit euch aus unserm Land,
Ihr verfluchten Jesuiten,
Höllenhunde, Sodomiten,
Drachen aus dem Höllenreich,
In die Hölle fort mit euch!!!

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S. 684f..]



Abb.: Der Teufel und seine Großmutter stritten sich, wer das größte Unheil in die Welt gebracht habe. Der Teufel verwies auf die Erschaffung der Jesuiten und der Bürokratie, seine Großmutter dagegen auf die Kommunisten. Der Teufel gab sich geschlagen / von Johann Jakob Ulrich (1798 - 1877). -- 1845

[Quelle: Fuchs, Eduard <1870 - 1940>:  Die Karikatur der europäischen Völker. -- München : lange. -- Teil 1: Vom Altertum bis zum Jahre 1848. -- 4., vermehrte Aufl. -- 1921. -- 480 S. : Ill. -- S. 413]


Zürcher Jesuitenmarsch. -- Januar 1845

Hinaus die Jesuiten!
Die Natternbrut hinaus!
Kehr wieder alte Treue
In unser Brüder Haus!

Gib du den Segen uns,
Den du den Vätern gabst,
Du alte Schweizerfreiheit,
Sei du unser Papst!

(Gedrucktes Flugblatt, Exemplar im BNZ)

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S.747.]


Aus einem Brief von H. Miller an Rudolf Sulzer in Hard, Vorarlberg. -- Oberwinterthur, 28. Februar 1845

Der Sängerverein von Winterthur hatte das Motto angebracht:

»Der Jesuiten Freund ist Schweizer Feind
Der Jesuiten List ist Christengift
Der Jesuiten Bruder ist von Sitten ein Luder
Der Jesuiten Kleid ist allen Bösen geweiht
Der Jesuiten Brot ist der Freiheit Tod
Der Jesuiten Bund ist ein Höllenschlund
Der Jesuiten Heil ist des Zankes Pfeil
Der Jesuiten Lehre ist des Teufels Wehre.

Drum fort mit der Jesuitenbande aus unserm Vaterlande,
S' nächste Mal Kugeln im Sack, fürs Jesuitenpack.«

[Quelle: Strobel, Ferdinand <SJ> <1908-1999>: Die Jesuiten und die Schweiz im 19. Jahrhundert : ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. -- Olten [u.a.] : Walter, 1954.  -- 1147 S. -- S.773.]



Abb.: "Es ging ein Sämann aus zu säen, siehe der böse Feind [=Jesuit] aber säte Unkraut unter den Weizen" (Matthäusevangelium 13, 24ff.). -- In: Der Guckkasten. -- 1845-01-25

[Quelle: Dettwiler, Walter <1960 - >: Von linken Teufeln und heuchlerischen Pfaffen : der Weg zur modernen Schweiz im Spiegel der Karikatur (1798-1848). -- Zürich : Der Schweizerische Beobachter, ©1998 Kollation 71 S. : Ill. -- S. 61]



Abb.: The civil war at Switzerland: Conflict at Lucerne. -- In: The Illustrated London News. -- 1845-04-12

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 157]



Abb.: Johann Jakob Ulrich (1798 - 1877): 40.000 Bajonette. -- In: Wochenzeitung. -- 1845-02-18

Erläuterung: Der berner Bär will die Jesuiten-Spinne zertrümmern und gefährdet dabei die ganze Schweiz.

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 21]



Abb.: Johann Jakob Ulrich (1798 - 1877): Am Ende des Jahres 1845. -- In: Wochenzeitung. -- 1845-12-23

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 20]



Abb.: Das Wappen des Kantons Freiburg

[Quelle: Fuchs, Eduard <1870 - 1940>:  Die Karikatur der europäischen Völker. -- München : lange. -- Teil 1: Vom Altertum bis zum Jahre 1848. -- 4., vermehrte Aufl. -- 1921. -- 480 S. : Ill. -- S. 414]



Abb.: Joachim Senn (1810 - 1847): Kommando des Pfarrers von Neukirch. -- 1846

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 58]



Abb.: Anonym: In der Morgendämmerung des Sonderbundkrieges. -- 1847

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 8]



Abb.: Christian Gehri (1808 - 1882): Tafelaufsatz mit Sonderbund-Allegorie "Souvenir 1847". -- 1847

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 166]



Abb.: Aus: Vier schöne unpolitische Bilder: 1860. -- In: Der Postheiri. -- 1847, Nr. 13

Erläuterung: Das Schiff "Helvetia" wird von den Nachttieren Eule und Fledermäusen, Sinnbildern politischer Umnachtung, überflogen und von Meeresungeheuern, u.a. einem raffgierigen Jesuiten (Krake, roter Pfeil), bedroht.

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 54]


 


Abb.: "[Konstantin] Siegwarts [(1801-1869)] letzter Augenblick auf Schweizerboden". -- 1847

[Bildquelle: Heer, Albert ; Binder, Gottlieb:  Der Sonderbund. -- Zürich : Schäubli, 1913. -- 368 S. : Ill.  -- S. 311]



Abb.: Eid der Drei Eidgenossen im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert des Fortschritts! Fortsetzung des Rütlischwurs. -- 1847

Erläuterung: Schwur zwischen Jesuiten und Konservativen, die die Pressefreiheit, das eidgenössische Abkommen und das Evangelium mit den Füßen treten.

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 57]



Abb.: "Jiz git's Chrieg, u da weimer de die Donnere ga bi de Chräge näh!". -- In: Guckkasten. -- 1847



Abb.: Skapulier, das angeblich von einem Soldaten der Sonderbundsarmee getragen wurde. -- 1847

Erläuterung: Skapulier:

"Skapulier heißt in der katholischen Kirche auch ein Sakramentale, das aus zwei mit dem Bilde Mariens oder der Leidenswerkzeuge Christi versehenen Tuchflecken besteht und an zwei Bändchen unter den Kleidern auf Brust und Rücken getragen wird. Die Inhaber solcher Skapuliere gehören einer Skapulierbruderschaft an, deren vorzüglichste die »Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel« (daher Karmelitenskapulier, eingeführt 1587) ist mit dem Skapulierfest am dritten Sonntag im Juli."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 172]


Franz Grillparzer (1791-1872): Epigramme: Die Schweizer 1847

Man fragt, ob ihr denn Deutsche seid?
Ich glaub es nun und nie:
Ihr triebt die Jesuiten aus,
Wir schreiben gegen sie.



Abb.: Konservatives Flugblatt: Der Sonderbund. -- 1847



Abb.: Wie kommen wir heraus?. -- In: Der Postheiri. -- 1847, Nr. 19.

Erläuterung: Die Eidgenossenschaft wird vom jungen Liberalen Richtung Jeuitenaustreibung gezogen, vom alten Konservativen in Richtung Klösterherstellung.

[Quelle: Dettwiler, Walter <1960 - >: Von linken Teufeln und heuchlerischen Pfaffen : der Weg zur modernen Schweiz im Spiegel der Karikatur (1798-1848). -- Zürich : Der Schweizerische Beobachter, ©1998 Kollation 71 S. : Ill. -- S. 65]



Abb.: Wie die Luzerner ihre Stadt übergeben täten am 23. & 24. Nov. 1847 / Wie die Jesuiten ihre Schätze auf listige Weise in Sicherheit bringen. -- 1847

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 169]



Abb.: Heinrich von Arx (1802 - 1858): Die eidgenössischen Stände im Notenbild. -- Um 1848

[Bildquelle: Schweizer Humor in Vers, Prosa und Zeichnungen : Ein Buch zum Lesen, Vorlesen u. Anschauen vom Rodolphe Töpffer, Jeremias Gotthelf, Martin Disteli, Gottfried Keller u. vielen anderen / Hrsg.: Martin Hürlimann. -- Zürich : Atlantis, 1944. -- 319 S. ; 8°. -- (Kreis Schweizer Verleger ; Bd. 9). -- S. 275 - 283]



Abb.: "Schießet in Gottes Name!" -- vor 1848

[Bildquelle: Heer, Albert ; Binder, Gottlieb:  Der Sonderbund. -- Zürich : Schäubli, 1913. -- 368 S. : Ill.  -- S. 169]


Ferdinand Freiligrath (1810-1876): Im Hochland fiel der erste Schuss <1. Strophe>. -- 1848-02-25

Im Hochland fiel der erste Schuss -
Im Hochland wider die Pfaffen!
Da kam, die fallen wird und muss,
Ja, die Lawine kam in Schuss
Drei Länder in den Waffen!
Schon kann die Schweiz vom Siegen ruhn:
Das Urgebirg' und die Nagelfluhn
Zittern vor Lust bis zum Kerne!



Abb.: Joseph Simeon Volmar (1796 - 1865): Modell für ein Denkmal an den Sonderbundskrieg: Sterbender Löwe besiegt Drachen. -- 1848

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 175]


Franz Grillparzer (1791-1872): Epigramme: Jesuiten 1848

Die Schweizer worfeln tüchtig drauf,
Die Frucht fällt dicht dabei,
Doch Östreich hält nach oben auf
Und sammelt sich - die Spreu.


Louise Otto (1819-1895): Gott im Himmel sieh darein! (In: Mein Lebensgang : Gedichte aus fünf Jahrzehnten, 1893) zwischen 1840 und 1850

Das Alphorn tönt, die Hirtin zieht zur Senne,
Die Herdenglocken klingeln vor ihr her,
Und sicher, Dass er keinen Stein verkenne
Steigt dort der Bursche mit dem Schießgewehr
Empor zur Alp', die Gämse zu erjagen,
Auf Felsenpfaden, die ins Blaue ragen.

Das Gletschereis glänzt bunt in Frührotsschimmer,
Rot glüht die Firn und dunkel dampft der See,
Hier Blütenpracht, dort ewges Eisgeflimmer,
Hier grüne Matte, droben weißer Schnee!
Lawinen drohen von der Berge Warten -
Das ist die Schweiz der schöne Gottesgarten

Und feig versteckt im weiten Priesterkleide
Mit Gift und Kette wandelt der Verrat,
Ein Volk zu knechten, das ein Tell befreite,
Aus dessen Mitte einst ein Zwingli trat,
Gar finstre Macht wohnt in des Landes Mitten
Das ist die Schweiz! und das sind Jesuiten!

Kanonen donnern dumpf und Kugeln fliegen -
O, das ist mehr, ist mehr als Gämsenjagd.
Ach, das sind Brüder, die sich wild bekriegen
Das Bruderblut ist's das zum Himmel klagt,
Ein Fluch, der allwärts folgt der Heuchler Schritten -
Das ist die Schweiz! - und das sind Jesuiten!«

Ich schaue hier und bebe - soll ich beten?
So reich gesegnet hat der Herr dies Land.
Frei darf nicht nur der Strom, der Vogel reden,
Frei auch der Mensch die Feder in der Hand,
Frei darf das Volk im freien Rate sitzen,
Frei die Vertriebnen andrer Staaten schützen.

So viel, so viel hat Gott der Schweiz gegeben -
Traun viel um das es uns zu bitten not -
Er gab ihr Alles, was sie braucht zum Leben,
Zum freien Leben - andres ist nur Tod.
Fast Frevel scheint's bei so viel Heil zu bitten -
So sei's denn Fluch - - Verflucht die Jesuiten

Ich schaue hin und bebe - soll ich fluchen?
Ja, ja ich darf's, ich ruf den Himmel an!
Die eine Hölle in dies Eden trugen
Sie sind verflucht, die solchen Greul getan! -
Sieh Gott darein! - das ist mein brünstig Bitten-
Heil sei der Schweiz! - Fluch sei den Jesuiten.



Abb.: Der Landsturm gegen den Bundesrat : ein Fastnachtsumzug. -- In: Der Postheiri. -- 1850, Nr. 7

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 22]



Abb.: Heinrich Jenny (1824 - 1891): Der Reaktionär, Der Ultramontane. -- Aus: Das Pfropfenziehen nach Grundsätzen. -- In: Der Postheiri. -- 1850, Nr. 6

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 183]


5. Der Nebelspalter 1875ff.



Abb.: Titelleiste von Heft 1

Der Nebelspalter : die humoristisch-satirische Schweizer Zeitschrift. -- Rorschach :  Löpfe-Benz ; [dann] Horn : Engeli + Partner, 1875-  . -- Aktuelle Erscheinung Monatl., 1996- ; Frühere Erscheinung Wöchentl., 1875-1995. --  Zählung Jg. 1, Nr. 1 (1875)-



Abb.: "In unserer Arena: Euer Jubeljahr wird auch das meine. Deck deine glatten Gesichter, fluchendes Reptil, es geht zu Ende!". -- In: Nebelspalter. -- Nr. 5, 1875-01-30

"Eugene Lachat aus Solothurn und Gaspard Mermillot aus Carouge auf «papistischer» Seite und der radikale Aufklärer Obrecht mit dem blanken Schild der Wahrheit das waren Exponenten im sogenannten «Kulturkampf», der auch die schweizerische Innen- und Aussenpolitik des Jahres 1875 mitprägte. Im Hintergrund, am Rande der helvetischen Arena, droht Pius IX. mit Peterspfennig und päpstlichem Bannstrahl."

[Quelle: 111 Jahre Nebelspalter : ein satirischer Schweizerspiegel / Einl.: Jürg Tobler ; Bildauswahl: Franz Mächler ; Bildkommentare: Hans A. Jenny. --  Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1985.  -- 331 S. : Ill.  -- S. 11]



Abb.: Der große Kulturkämpfer: Herr Segesser meint, man braucht nicht zu glauben, nur zu schlucken, und ladet seine getreuen Luzerner wohlwolllend ein, das letztere freiwillig zu tun. -- In: Nebelspalter. -- 1875-07-31

Erläuterung:

Segesser

"Segesser von Brunegg, Philipp Anton, * 5. 4. 1817 Luzern, † 30. 6. 1888 Luzern; Grabstätte: ebd., bei der Hofkirche. - Staatsmann, Rechtshistoriker, Publizist.

Der aus patrizisch-regimentsfähiger Familie stammende Segesser studierte Jura und Geschichte in Heidelberg, Bonn, Berlin, München und schloss 1841 mit dem Luzerner Anwaltsexamen ab. Als Ratsschreiber diente er 1841-1847 der konservativen Regierung; nach dem für Luzern unglücklichen Sonderbundskrieg trat er von seinem Amt zurück.

Aus Privatstudien erwuchs seine Rechtsgeschichte der Stadt und Republik Luzern (4 Bde., Luzern 1850-58; dafür 1860 Dr. iur. utr. h. c. der Universität Basel).

Innerhalb des Nationalrats, dem er seit 1848 ununterbrochen angehörte, vertrat er die gemäßigt katholisch-konservative und föderalistische Opposition. Wegen seiner Wahlstrategie erlangte Segessers Partei in der konfessionell aufgewühlten Situation von 1871 einen überzeugenden Wahlsieg; als kantonaler Minister führte er bis 1875 das Polizei-, dann das Justizdepartement.

Dank seiner gemäßigten konfessionellen Position konnte Segesser im erbittert geführten schweizerischen Kulturkampf vermitteln und zu dessen Beilegung beitragen.

Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten, wozu auch seine Mitarbeit am grundlegenden Quellenwerk zur Schweizer Geschichte (Aeltere Eidgenössische Abschiede aus dem Zeitraum von 1245-1520. Bde. I-III/ Abt.en 1 u. 2, Zürich 1858, Luzern 1863-74) u. eine Biographie des Söldnerführers Ludwig Pfyffer (4 Bde., Bern 1880-82) gehören, schrieb Segesser Beiträge für die Tagespresse. Im Mittelpunkt seiner lesenswerten Essays zur europäischen Zeitgeschichte steht die Frage nach der Beziehung von Kirche und Staat, die er weder nach den Vorstellungen der römischen Kurie noch im Sinne einer Oberhoheit über die Kirche geregelt sehen wollte.

Seine von großem Weitblick zeugende ökumenenische und liberalkatholische Gesinnung schlug sich nieder vor allem in seinem Essay zum ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) und in seiner perspektivenreichen Studie Culturkampf (1875). Die Bedeutung des »geistreichsten und geistig unabhängigsten Schweizer Staatsmanns« (Eduard Fueter), der als Fortschrittsskeptiker Burckhardts Befürchtungen teilte, wurde im 20. Jh. richtig erkannt."

[Quelle: Victor Conzemius. -- In: Literaturlexikon : Autoren und Werke deutscher Sprache / [hrsg. von] Walter Killy. -- Berlin : Directmedia Publ., 2000. -- 1 CD-ROM  -- (Digitale Bibliothek ; 9). -- Lizenz des Bertelsmann-Lexikon-Verl., Gütersloh. -- ISBN 3-89853-109-0. -- s.v.]


Abb.: O, du lieber  Augustin, alles ist hin!: Exbischof Eugène Lachat: O Herr, bilde doch diese Bundesversammlung, dass sie mit dem Herzen und nicht mit dem Besen regiert. Muss i denn, muss i denn ?-?-?. -- In: Nebelspalter 1875-03-20

Erläuterung:

Exbischof Eugène Lachat

"LACHAT, Eugène, * 14. X. 1819 in Reclere, † 1. XI. 1886 in Balerna (Tessin), Priester 1842, zuerst Missionär im Elsass, dann Pfarrer von Grandfontaine, Dekan von Delsberg 1855, Bischof von Basel 1863. Von Anfang an stellten sich vielfache Schwierigkeiten ein : die Frage der Lehrschwestern im Berner Jura, die Aufhebung des bischöflichen Seminars in Solothurn und endlich die Bekanntmachung des Dogmas über die päpstliche Unfehlbarkeit (1870), das Vorspiel zum Kulturkampf, während dessen Verlauf der Bischof Lachat abgesetzt wurde (30. X. 1873). Lachat floh nach Luzern. Als der Friede wieder hergestellt war, seine Rückkehr ins Bistum jedoch als unmöglich galt, wurde er zum apostolischen Administrator des Tessin ernannt, das eben am 1. IX. 1884 vom Bistum Como und Mailand abgetrennt worden war ; er übernahm sein Amt am 1. VIII. 1885."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 4. -- 1927. -- S. 575]


Abb.: Tut es gut, wenn die Pfaffen in den Jura zurückkehren oder nicht? -- In: Nebelspalter. -- 1875-07-03

Erläuterung:

"Im Februar 1863 wurde der aus dem Jura stammende Mgr. Eugene Lachat zum Bischof von Basel ernannt. Gleich nach seinem Amtsantritt geriet er mit der Berner Regierung in Konflikt. Zuerst war es wegen der Ursulinerinnen oder Lehrschwestern, denen man — nach langer Debatte im Grossen Rat und nach einer heftigen Presspolemik — die Führung von Anstalten im Kanton verbot. Dann brach 1870 nach der Verkündung des Dogmas über die Unfehlbarkeit des Papstes der Kulturkampf aus, der im Jura verderbliche Spuren hinterließ. Kurze Zeit nach dem vatikanischen Konzil untersagten die Diözesankantone, besonders Bern, die Proklamation des neuen Dogmas. Mgr. Lachat erhob sich gegen dieses Verbot, setzte die Priester, die sich seinen Befehlen nicht unterzogen, ab und exkommunizierte sie. Am 29. I. 1873 wurde er nach langen Unterhandlungen von den Konkordatskantonen abberufen und begab sich nach Luzern. Durch Rundschreiben vom 1. II. 1873 verbot Bern den Geistlichen jeden Verkehr mit dem abgesetzten Bischof. Sie kehrten sich aber nicht daran, und einen Monat später legten 97 jurassische Priester Protest ein beim Regierungsrat und versprachen ihrem kirchlichen Oberhirten Treue. 69 dieser Priester, die am 15. IX. 1873 ihr Amt ausübten, wurden abgesetzt. Gleichzeitig erklärte Bern den weltlichen Zivilstand und die Zivilehe als obligatorisch. Die 69 Pfarrer mussten in die Verbannung gehen und wurden durch Priester der eben ins Leben gerufenen altkatholischen oder christkatholischen Kirche ersetzt. Aber es war schwierig, genügend Leute der neuen Richtung zu finden, und der unter polizeilichem Schutz abgehaltene Gottesdienst hatte nur wenig Erfolg ; die große Mehrzahl der Römischkatholischen blieb den verbannten Priestern treu und betrachtete sie beinahe als Märtyrer. Der Kampf war überaus lebhaft, zuweilen sogar erbittert. Die «Eindringlinge» waren allerlei Beleidigungen, Angriffen, Drohungen und Plackereien ausgesetzt und bildeten die Zielscheibe der eben gegründeten Zeitung Le Pays. Die Bundesverfassung von 1874 änderte die Sachlage. Da Art. 44 den Kantonen die Ausweisung ihrer Staatsangehörigen untersagte, wurde Bern eingeladen, sein Verbannungsdekret zu widerrufen, und die Priester konnten wieder heimkehren. Die Pfarrgemeinden nahmen nach und nach von ihren Gütern wieder Besitz, hielten aber noch einige Jahre lang ihren Gottesdienst in Scheunen oder andern Lokalen ab.

1878 begann die Wiedergutmachung ; ein Amnestiedekret wurde erlassen, die Ruhe kehrte allmählig wieder zurück, doch werden die politischen Kämpfe — gleichsam als Erbschaft des Kulturkampfes — noch heute, besonders im Nordjura, mit großer Heftigkeit weitergeführt. Dem Bischof Lachat wurde die Rückkehr nach Solothurn nicht gestattet. Durch eine Übereinkunft des Bundesrates mit dem päpstlichen Stuhle von 1. IX. 1884 wurden die gestörten Verhältnisse geordnet. Mgr. Lachat wurde nach Lugano versetzt."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 4. -- 1927. -- S. 427]



Abb.: Den 30.000 [Unterschreibern des Referendums gegen die Zivilehe]: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein; oder; Dem Referendum entsteigt das durch die Initiative Bedrohte als Phönix des Fortschritts. -- In: Nebelspalter. -- Nr. 10, 1875

Erläuterung: Bezieht sich auf das gescheiterte Referendum gegen das Eidgenössische Zivilstandgesetz vom 1874-12-24, da dann am 1876-01-01 in Kraft treten konnte und alle Zivilstandssachen den Kirchen entzog.

[Quelle: Die Schweiz im Nebelspalter : Karikaturen 1875-1974 / Hrg. zum Anlass des 100jährigen Bestehens des Nebelspalters ; Auswahl und Kommentar: Bruno Knobel.  -- Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1974.  -- 310 S. : Ill.  -- S. 29]



Abb.: Gefälligst mehr Vorsicht: "Du arme Gliederpuppe, wenn sie dich nur nicht am Ende noch auseinanderzehren!". -- In: Nebelspalter. -- Um 1875

Erläuterung: Hintergrund: im Tessin bildeten seit 1875 die Konservativen die Regierung ohne ein Volksmehr. Die freisinnigen suchten mit allen Mitteln, auch mit Waffengewalt, zu ihrem Recht zu kommen:

"Die Jahre 1875-1877 zeichneten sich [im Tessin] durch eine überaus heftige politische Aufregung und durch Konflikte zwischen dem Grossen Rat und dem Staatsrat aus; letzterer sollte erst 1877 erneuert werden und zählte 5 Radikale unter den 7 Mitgliedern. Die Extremsten der geschlagenen Partei konnten sich mit dem Verlust der Regierungsgewalt nicht abfinden ; sie taten die Absicht kund, die Herrschaft, selbst mit Gewalt, zurückzuerobern. Fast überall brachen Unruhen aus. Am 19. IX. 1875 sollte in Massagno vor den Toren Luganos die Versammlung des neuen konservativen Vereins L'Avvenire stattfinden; die Radikalen veranstalteten eine Gegendemonstration, beim Bahnhof und in den Strassen Luganos floss Blut. Am 15. x. 1876 fand eine Kundgebung des patriotischen liberalen Verbandes vor dem Regierungspalast in Locarno statt ; sie verlangte die Absetzung des Grossen Rates und Neuwahlen. Trotz des Protestes der Minderheit beschloss die Regierung die Auflösung des Grossen Rates, welcher Beschluss jedoch am 7. Nov. vom Bundesrat als nicht verfassungsgemäß aufgehoben wurde. Die oberste eidgenössische Behörde entsandte auch gleich mit Simon Bavier einen Kommissär ins Tessin, der alle Anstrengungen machte, um die Parteien zu versöhnen. Am 22. Okt. kam es in Stabio zu Ausschreitungen anlässlich eines radikalen Schützenfestes. Die Radikalen rotteten sich bewaffnet in Lugano, Locarno, Bellinzona und Mendrisio zusammen. Die Konservativen taten das gleiche in Sagno, Tesserete, Brione sopra Minusio, Gordola, im Gambarogno, im Bleniotal und in der Leventina. Die Gefahr war groß, aber dank der Bemühungen Baviers konnte der Bürgerkrieg vermieden werden. Die Ereignisse von Stabio gaben Anlass zu einem aufsehenerregenden Prozess, der vom 1. II. bis zum 16. V. 1880 dauerte und mit der Freisprechung aller Angeklagten endigte. Nach Vornahme einer Verfassungsrevision wurde am 24. XI. 1876 der Grosse Rat erneuert und zwar auf Grund der tatsächlichen Bevölkerung und auf je 1000 Einwohner 1 Mitglied. Die Zahl der Abgeordneten kam so auf 119. Der Ausgang der Wahlen vom 21. I. 1877 war für die Konservativen günstig ; sie bestellten den Staatsrat lediglich aus ihren Reihen, da die Radikalen darin keinen Sitz annehmen wollten."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 6. -- 1931. -- S. 688]

[Quelle: Die Schweiz im Nebelspalter : Karikaturen 1875-1974 / Hrg. zum Anlass des 100jährigen Bestehens des Nebelspalters ; Auswahl und Kommentar: Bruno Knobel.  -- Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1974.  -- 310 S. : Ill.  -- S. 36]



Abb.: Der neue Kardinal: Mermillod: "Dieu, rebellisches Genf!—Ich werde nun dein Bischof nimmer sein!—aber dein Kardinal, und das ist bessser für mich ... und für dich!—". -- In: Nebelspalter. -- 1890

"Der «Kulturkampf» führte sogar zu eigentlichen Streitfällen zwischen Bundesrat und Papst. So hatte Pius IX. im Jahre 1864 den Genfer Pfarrer Mermillod in Genf zum Hilfsbischof des Gebietes Lausanne-Genf ernannt, weil in dieser Gegend der Katholizismus am Erstarken war. Das führte nach der 1873 erfolgten Ernennung Mermillods zum Apostolischen Vikar zur Streitfrage, ob Genf in eine eigene Diözese umgewandelt werden solle. Das aber wollten weder die Genfer Radikalen noch der Bundesrat. Letzterer verwies Mermillod, welcher sich mehr dem Papst als staatlichen Anordnungen gehorsamspflichtig fühlte, des Landes. Damit verletzte jedoch der Bundesrat eindeutiges Recht (da Mermillod Genfer Bürger war); das Parlament billigte indessen die Maßnahme.

Der Papst kritisierte in einem Schreiben in groben Worten die kirchenfeindliche Haltung der weltlichen Gewalt, worauf der Bundesrat nicht nur mit ebenso scharfen Äußerungen antwortete, sondern gleich auch den päpstlichen Gesandten auswies, womit die jahrhundertealte Nuntiatur ein Ende nahm. Unter Papst Leo XIII. milderte sich der «Kulturkampf»; er verzichtete auf die Beibehaltung des vom Vorgänger versteckt geschaffenen Bistums Genf, worauf der Bundesrat die Erlaubnis erteilte zur Rückkehr Mermillods, der sogleich zum Bischof ernannt wurde (1883). Als er 1890 den Kardinalshut erhielt und nach Rom übersiedelte, wurde dies von vielen begrüßt, weil damit ein ständiger Stein des Anstoßes aus der Welt (der Eidgenossenschaft) geschaffen war."

"MERMILLOD, Gaspard, Bischof von Lausanne und Genf, Kardinal, * 22. September 1824 in Carouge (Kanton Genf) als Sohn des Bäckers und Gastwirtes Jacques M. und seiner Gemahlin Pernette Mégard, + 23. Februar 1892 in Rom. - M. trat 1837 in das Knabenseminar St-Louis du Mont bei Chambéry ein und oblag anschließend von 1841 bis 1847 dem Studium der Philosophie und Theologie an dem von Jesuiten geleiteten Kollegium St. Michel in Freiburg/Schweiz. Nach dem Empfang der Priesterweihe am 24. Juni 1847 wurde er Vikar in Genf-St. Germain, der einzigen katholischen Pfarrei der Calvinstadt. Um die Mittel zum Bau einer zweiten katholischen Pfarrkirche zu beschaffen, entfaltete er zusammen mit seinem Pfarrer eine großangelegte Sammeltätigkeit im In- und Ausland. Eine dieser Kollektenreisen führte ihn 1851 nach Paris, wo er seinen bald in weiten Teilen Europas bekannten Ruf als glänzender Prediger begründete und bleibende Kontakte zu Bischöfen und vor allem zu vermögenden Kreisen der hohen Gesellschaft und des katholischen Adels knüpfte. Bei einem längeren Romaufenthalt in den Jahren 1854-55 gewann er das Vertrauen Papst Pius' IX. (1846-1878), wodurch seine ultramontane Gesinnung bestärkt wurde. 1864 erlangte M. die Zustimmung des Papstes zu einer von ihm angestrebten Wiedererrichtung des Bistums Genf. Nachdem er schon 1857 Rektor der neuerrichteten Pfarrei Notre-Dame und im Juni 1864 Erzpriester und Pfarrer von Genf geworden war, erfolgte am 22. September 1864 die Ernennung zum Titularbischof von Hebron und am 25. September 1864 die Konsekration durch Pius IX. in Rom. Gleichzeitig bestellte ihn der Papst zum Weihbischof des Bistums Lausanne und Genf mit Sitz in Genf. Obschon Bischof Etienne Marilley (1846-1879) den Titel eines Bischofs von Lausanne und Genf formell beibehielt, hatte er 1865 die Jurisdiktion über den Kanton Genf an M. abzutreten - eine Regelung, die sich nach 1870 unheilvoll auswirken sollte. M. wuchs rasch zur zentralen Figur des in jenen Jahren aufblühenden Genfer Katholizismus heran. Um diesem ein Sprachrohr zu verschaffen, nahm er regen Anteil am Genfer katholischen Pressewesen. Unter seinem führenden Einfluss erschien seit 1868 die katholische Zeitung »Le Courrier de Genève«, 1870 folgte die »Correspondance de Genève«. Nachhaltig unterstützte er Marie-Thérèse Chappuis (1793-1875) bei der 1869 erfolgten Gründung des weiblichen Zweigs der Oblaten des hl. Franz von Sales. Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil gehörte M. zu den leidenschaftlichsten Verfechtern der päpstlichen Unfehlbarkeit. Unter den Befürwortern der Infallibilitätserklärung, die wiederholt in seiner Wohnung zu Beratungen zusammentrafen, nahm er eine führende Stellung ein und wurde betraut mit der Gründung einer »Pressezentrale«, die die interessierte Presse mit Informationen über den Konzilsverlauf bedienen sollte. Nach dem Konzil gaben das gestiegene, sich im gesellschaftlichen Leben artikulierende Selbstbewusstsein der Genfer Katholiken sowie entscheidend die Frage nach der jurisdiktionellen Zuständigkeit in der Calvinstadt der seit 1870 regierenden radikal-antiklerikalen Genfer Regierung 1872 Anlass, in einer überstürzten Aktion M. als Pfarrer von Genf abzusetzen. Der Heilige Stuhl erhob hierauf den Kanton Genf am 16. Januar 1873 zum Apostolischen Vikariat und M. zum Apostolischen Vikar. Die Genfer Regierung und der Schweizerische Bundesrat mussten darin eine indirekte Errichtung eines neuen Bistums und damit einen Verstoß gegen die Bundesverfassung sehen. Sie untersagten M. die Ausübung seines Amtes. Als sich dieser der Verfügung widersetzte, erfolgte am 17. Februar 1873 seine Ausweisung aus der Schweiz. Fortan leitete M. aus dem französischen Exil in Ferney (Departement Ain), seit 1880 in Monthoux (Departement Haute-Savoie) den Genfer Sprengel, der einem harten Kulturkampf ausgesetzt war. Gleichzeitig entfaltete M. eine vielseitige Aktivität als Prediger und Exerzitienmeister, insbesondere in Frankreich und Belgien, und festigte damit seine weitreichenden internationalen Beziehungen. 1881 wurde er Apostolischer Visitator in Skandinavien, 1882 auch Konsultor der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten. Eine Entwirrung der Verhältnisse in Genf trat erst unter der kirchenpolitischen Neuorientierung Papst Leos XIII. (1878-1903) ein. Nach intensiven Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Schweizerischen Bundesrat ernannte Leo XIII. M. am 15. März 1883 zum Bischof von Lausanne und Genf mit Sitz in Freiburg/Schweiz. Das Apostolische Vikariat Genf - Ursache des Konfliktes - wurde aufgehoben. - Unter dem Pontifikat Leos XIII. gelang es M., sich den veränderten Verhältnissen anzupassen. Verstärkt widmete er sich nunmehr der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Vehemenz aufgebrochenen »Sozialen Frage«. Er erkannte die Unzulänglichkeit einer bloßen Caritas im sozialen Bereich und gründete 1885 die »Union catholique d'études sociales et économiques«, eine internationale Studiengruppe, die unter dem Namen »Union de Fribourg« weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden ist und deren Arbeiten den Boden für die päpstliche Sozialenzyklika »Rerum novarum« (1891) bereitet haben. Der 1889 im Zusammenwirken mit dem Heiligen Stuhl in Freiburg/Schweiz gegründeten staatlichen katholischen Universität setzte M. vergeblich seinen Plan einer »freien« katholischen Universität (nach dem Vorbild der Instituts catholiques) entgegen. Am 23. Juni 1890 verlieh Leo XIII. M. die Kardinalswürde und berief ihn nach Rom. Nach seinem nur wenige Monate später erfolgten Tod wurde er zunächst auf dem Campo Verano beigesetzt. 1926 erfolgte seine Überführung in die Pfarrkirche von Carouge."

Quelle: Franz Xaver Bischof . -- http://www.bautz.de/bbkl/m/mermillod.shtml. -- Zugriff am 2004-04-22]

[Quelle: Die Schweiz im Nebelspalter : Karikaturen 1875-1974 / Hrg. zum Anlass des 100jährigen Bestehens des Nebelspalters ; Auswahl und Kommentar: Bruno Knobel.  -- Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1974.  -- 310 S. : Ill.  -- S. 42; 20f.]



Abb.: Nun kann's losgehen! (Das Tessiner Preisboxen. 1. Preis: Regierungsgewalt). -- In: Nebelspalter. -- 1890-11

Erläuterung: Bezieht sich auf die Tessiner Revolution vom 11. September 1890

"Der politische Horizont [im Tessin] verdunkelte sich wieder. Die Opposition wollte die Waffen nicht strecken ; in den höchsten eidg. Kreisen kargte man nicht mit Sympathie und Unterstützung. Die Opposition wurde vom Dovere, und, seit 1889, von der Riforma kräftig geführt. 1889 war der Abstand zwischen der radikalen und konservativen Partei nicht mehr sehr groß ; aber dank dem Majorz besaß die letztere im Grossen Rate mehr als Zweidrittelsmehrheit. Die unter größter Aufregung vorgenommenen Wahlen vom 3. in. 1889 hatten der Opposition unter dem Vorwand, dass Übergriffe begangen worden seien, Anlass zu zahlreichen Beschwerden in Bern gegeben. Es kam zu einigen Unruhen in Intragna, Locarno und Lugano ; der Bundesrat beeilte sich, zu intervenieren und entsandte als bevollmächtigten Kommissär Eugene Borel. Am 31. in. 1890 deckte man die Veruntreuungen des Kantonskassiers Scazziga auf. Des Einverständnisses beschuldigt, trat der Staatsrat zurück ; er wurde am 26. April wiedergewählt, und am 18. Juni weigerte sich der Grosse Rat, ihn in Anklagestand zu versetzen. Die radikale Partei ergriff die Initiative zur Verfassungsrevision, die u. a. folgendes vorsah : Wiederherstellung der frühern Wahlbezirke, Wahl des Grossen Rates nach dem Verhältnis von einem Abgeordneten auf 1000 tatsächliche Einwohner, Wahl des Staatsrats und der Mitglieder der Gerichte erster Instanz durch das Volk. Die Initiative erhielt die 7000 notwendigen Unterschriften, aber es brach ein Streit über die Interpretation der Verfassung aus. Die Regierung behauptete, dass die für die Ansetzung der Volksabstimmung vorgesehene Frist von einem Monat mit dem Tag beginne, an dem man den Erfolg der Initiative feststelle, also seit dem 31. August, die Radikalen rechneten vom Moment der Auflegung der Listen an, also vom 9. Aug. Die Radikalen beschuldigten die Regierung der Verfassungsverletzung. Vor der Volksabstimmung brach die Revolution am 11. IX.. 1890 in Bellinzona aus. Die Regierung ließ sich von den Ereignissen überrumpeln. Die Aufständischen bemächtigten sich des Zeughauses und verteilten Waffen und Munition ; die Polizei wurde entwaffnet, einige konservative Führer gerieten in Haft. Beim Angriff auf das Regierungsgebäude erschoss Angelo Gastioni den Staatsrat Ludwig Rossi. Man verhaftete die in Bellinzona anwesenden Staatsräte. In Lugano ging es ähnlich zu. Der Staatsratspräsident Respini und mehrere angesehene Männer der konservativen Partei wurden verhaftet. Am gleichen Abend erklärte eine Versammlung von 1000 bis 2000 Personen in Bellinzona die Regierung und den Grossen Rat als abgesetzt und ernannte eine provisorische Regierung, die aus Rinaldo Simen als Präsident, Germano Bruni, Advokat Battaglini, Plinio Perucchi und Ingenieur Lepori, bestand. Sie beschloss, die abgesetzte Regierung in Anklagestand zu versetzen und ordnete die Volksabstimmung über die Verfassungsrevision auf den 21. Sept. an.

Der Bundesrat wurde am gleichen Tage von den Ereignissen im Tessin benachrichtigt und entsandte den Obersten Künzli als Kommissär, begleitet von den Berner Bataillonen 38 und 39. Künzli und die Truppen kamen am Nachmittag des 12. Sept. in Bellinzona an. Er ließ sofort Bellinzona, Lugano, Locarno und die andern wichtigen Orte des Kantons besetzen. Seine Instruktionen lauteten auf Freilassung der Gefangenen, Auflösung der provisorischen Regierung und Annullierung aller von ihr getroffenen Maßnahmen. Bis zur Wiedereinsetzung einer rechtmäßigen Regierung sollte er den Kanton verwalten. Künzli vollzog diese Weisungen nicht sofort. Die provisorische Regierung befreite die Gefangenen und entließ die bewaffneten Insurgenten. Sie wurde nicht aufgelöst, trat jedoch am 14. zurück und übergab ihre Gewalt dem eidg. Kommissär. Staatspräsident Respini wurde erst am 15. auf freien Fuß gesetzt. Künzli übte eine regelrechte Diktatur aus ; die rechtmäßige Regierung konnte ihr Amt erst am 10. Okt. wieder übernehmen. Künzli setzte die Abstimmung über die radikale Initiative auf den 5. Okt. an ; diese wurde mit einer Mehrheit von weniger als 100 Stimmen angenommen. Die Abstimmung hatte unter dem Schütze der eidg. Bajonette stattgefunden. Der eidg. Kommissär ließ die Stimmzettel sofort verbrennen, so dass jede Kontrolle unmöglich war. Die Regierung blieb unter der Vormundschaft von Kommissär Künzli : 2 Staatsräte, Bonzanigo und Respini, nahmen den Rücktritt. Bundesrat Ruchonnet schlug die Bildung einer gemischten Regierung vor, die denn auch am 5. Dez. gewählt wurde und sich aus 3 Konservativen und 2 Radikalen zusammensetzte. Die militärische Okkupation des Kantons nahm am 19. Dez. ein Ende, aber Künzli legte sein Amt erst am 3. IV. 1891 nieder. Die eidg. Geschwornen tagten in Zürich vom 21. VI. - 14. VII. 1891 zur Aburteilung von 20 Insurgenten und Castioni. Letzterer hatte sich nach England geflüchtet und wurde in contumaciam zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt, die andern Angeklagten wurden freigesprochen."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 6. -- 1931. -- S. 659f.]

[Quelle: Der kühne Heinrich : Ein Almanach auf das Jahr 1976 / hrsg. von Dieter Bachmann, Bruno Kümin, René Simmen und Hans-Ulrich Zbinden. -- Zürich : Verlag der kühne Heinrich, 1975 . -- 112 S. : Ill. ; 25 cm. -- ISBN 3-85778-001-1. -- S. 75]


Der neue Professor

Herr Kneipp lebt herrlich in der Welt,
Er lebt zwar nicht vom Ablassgeld,
Der Pastor weiß, es nützt ihm bass
Ein tausendfacher Aderlass.

Und hilft dem Patienten nicht
Der Aderlass - mit Zuversicht
Der Pastor dann zum Wasser greift,
Womit er ihn beinah' ersäuft.

Hilft dieses nicht, so ist es schlimm,
Dann sagt zu ihm der Pastor: »Nimm
Geduldskraut aus dem Paradies,
Das macht Dir doch das Sterben süß.«

Den Säugling auch, der kaum gebor'n,
kuriert er durch den Wasserborn;
»Hat er neun Monde warm geruht,
Es tut ihm nun die Kälte gut.«

Man sieht, Herr Kneipp ist Allopath,
Und zwar im allerhöchsten Grad.
Stirbt dran der kleine Wurm - was schad't's?
Die Welt hat noch für viele Platz!

Kriegt eine Mutter, die schon elf
In Sorgen nährt, noch Nummer zwölf,
So gibt's für ihre Sorge Rath:
Sie steck' ihn nur ins kalte Bad.

Herr Kneipp vertraut der Urheilkraft,
Und pfeift auf jede Wissenschaft,
Von dieser weiß er grad so viel
Wie'n Esel von dem Flötenspiel!

Der Glaube macht ja oft gesund,
Wenn mit der Einfalt er im Bund.
Herr Python auch, vom Kapitol
In Freiburg, kennt das Sprüchlein wohl.

Und da er gläub'ge Scharen braucht,
Damit sein Anseh'n nicht verraucht,
Beruft er seine Majestät
Herrn Kneipp zur - Universität.

Professor Kneipp! Der Wassermann! -
In schwerer Zeit tut dann und wann
Ein Jux den Menschenkindern gut,
Und treibt den Spleen aus Hirn und Blut.

Drum, Schweizer, dankt dem Staatsgenie
Herrn Pythons, welcher wie noch nie
für Jux gesorgt. Zum Zeugen dess'
Schickt flugs ihm eine Dankadress'.

O gönnt ihm diesen Honigseim,
Ihr, die so oft mit Wust und Schleim
Verhunzt ihm habt den Appetit! -
Quod bonum feliz faustum sit!

In: Nebelspalter

[Quelle: Das große Buch des Lachens : eine Reise durch die Welt des Humors / hrsg. von Klaus Waller. -- [Reinbek] : Wunderlich, 1990. -- 382 S. : Ill.  -- ISBN 3-8052-0488-4. -- S. 24]

Erläuterung:

Bezieht sich auf Pfarrer Sebastian Kneipp (1821 - 1897), den Erfinder der Kneippkuren.


Abb.: Pfarrer Kneipp [Bildquelle: http://www.sauna-show.de/K.htm. -- Zugriff am 2004-06-07]



Abb.: Da und dort heißt's inkünftig: "Ja, unser Herr Pfarrer ist doch ein seelenguter Mann; er füllt uns die Stimmzettel selber aus, so dass wir damit gar Nichts mehr zu tun haben!". - In: Nebelspalter. -- 1891

[Quelle: Die Schweiz im Nebelspalter : Karikaturen 1875-1974 / Hrg. zum Anlass des 100jährigen Bestehens des Nebelspalters ; Auswahl und Kommentar: Bruno Knobel.  -- Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1974.  -- 310 S. : Ill.  -- S. 44]



Abb.: Der liebe Sonntag da und dort (Ausschnitt). -- Karikatur von F. Boscovits jun. -- In: Nebelspalter. -- Nr. 52, 1898

[Quelle: 111 Jahre Nebelspalter : ein satirischer Schweizerspiegel / Einl.: Jürg Tobler ; Bildauswahl: Franz Mächler ; Bildkommentare: Hans A. Jenny. --  Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1985.  -- 331 S. : Ill.  -- S. 62]



Abb.: Am Simplon (Alleinseligmachende Hälfte). Die Arbeiter: "Von allen Aeiten, vom Bischof bis zum Temperenzler, bringen sie uns den Glauben; aber die Versicherung, dass wir genug zum Leben haben und bekommen werden, die bringen sie uns nicht.". -- Karikatur von F. B.. -- In: Nebelspalter. -- Nr. 10, 1899

"Am 1. August 1898 griff der erste Bohrer in den Simplonberg. Schon nach sechs Kilometern betrug die Hitze im Stollen 40 Grad, in der Tunnelmitte stieg sie dann auf 54 Grad. Verborgene Quellen brachen auf, so dass die Arbeiter oft bis zur Brust im Wasser standen. Kalte und heiße Quellen übrigens - aus der heißesten kam ein Wasserstrahl von 50 Grad Wärme. Jahrelange mühsamste Arbeit führte schließlich zum großen Zusammentreffen am 24. Februar 1905 um 7 Uhr 20.

Kein Wunder, dass die Mineure unter solchen Umständen die Sektierer, Sprücheklopfer und Psalmendudler, die ganz offensichtlich mit Billigung der Unternehmerschaft für «Stimmung» sorgen sollten, nicht besonders freundlich begrüßten."

[Quelle: 111 Jahre Nebelspalter : ein satirischer Schweizerspiegel / Einl.: Jürg Tobler ; Bildauswahl: Franz Mächler ; Bildkommentare: Hans A. Jenny. --  Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1985.  -- 331 S. : Ill.  -- S. 64]



Abb.: Fritz Boscovits (1871 - 1965): Entwurf einer kantonalen Briefmarke für Luzern. -- In: Nebelspalter. -- 1900


-*
Abb.: Zur Freiheitsbewegung in Russland: Der Toten Erwachen. -- Karikatur von W. Lehmann-Schramm. -- In: Nebelspalter. -- Nr. 15, 1901

"1881, nach der Ermordung von Zar Alexander II. durch Anarchisten, gründete das kaiserliche Regime in Russland die Staatspolizei Ochrana. Mit Spitzeln und geheimen Mitarbeitern versuchte sie den Attentätern (die später auch Großfürsten, Ministerpräsidenten, Gouverneure undGeneräle ermordeten) auf die Spur zu kommen. Tausende von Verdächtigen wurden nach Sibirien in die Verbannung deportiert, Schuldige und Unschuldige hingerichtet."

[Quelle: 111 Jahre Nebelspalter : ein satirischer Schweizerspiegel / Einl.: Jürg Tobler ; Bildauswahl: Franz Mächler ; Bildkommentare: Hans A. Jenny. --  Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1985.  -- 331 S. : Ill.  -- S. 69]



Abb.: Illustrierte Zeitungs-Notiz: "In Berikon (Aargau), wo seit einigen Jahrzehnten ein Männerchor besteht, dessen Mitglieder den beiden Konfessionen angehören, hat sich nunmehr unter katholischer Direktion ein katholischer Männerchor gebildet, der die katholischen Sänger aus den umliegenden Gemeinden um seine Fahne sammeln will." (NZZ). -- In: Nebelspalter. -- Nr. 9, 1908

[Quelle: 111 Jahre Nebelspalter : ein satirischer Schweizerspiegel / Einl.: Jürg Tobler ; Bildauswahl: Franz Mächler ; Bildkommentare: Hans A. Jenny. --  Rorschach : Nebelspalter-Verlag, 1985.  -- 331 S. : Ill.  -- S. 87]


Abb.: Kriegerische Stimme aus dem Vatikan. "Auf in den Kampf - gegen den Modernismus!". -- In: Nebelspalter. -- 1908-02-15

Erläuterung:

"In der katholischen Kirche vertrat der Modernismus, der vorwiegend in Frankreich, England und Italien auftrat, ebenfalls die historisch-kritische Exegese, aber auch die Ablehnung der scholastischen Theologie und der entsprechenden Unterordnung der Praxis unter die Lehre. Viele Modernisten sahen die Sakramente, Dogmen und Gebete vom pragmatischen Standpunkt nicht als göttliche Gnadenmittel sondern wertvoll durch ihren psychologischen Effekt. Solche Tendenzen führten natürlich dazu, die Autorität der Kirche und die traditionelle Sicht Gottes abzulehnen.

Modernismusstreit

Die Thesen des Modernismus wurden in der katholischen Kirche im vielfältigen Veröffentlichungen rigoros abgelehnt, beispielsweise im "Syllabus Errorum" (1864) von Pius IX.. Pius X., der den Modernismus als "Sammelbecken aller Häresien" bezeichnete, verurteilte den Modernismus in der Enzyklika Pascendi (1907) und in der Apostolischen Konstitution Lamentabili sane exitu vom 3. Juli 1907. Letztere wird auch als Kleiner Syllabus bezeichnet, in ihr werden 65 Thesen des Modernismus aufgezählt und verworfen. Am 18. November 1907 verurteilte Pius X. nochmals die Lehren des Modernismus in seinem Motuproprio Praestantia Scripturae und verhängte darin als Strafe für die Modernisten die automatische Exkommunikation. Pius X. führte 1910 den Antimodernisteneid ein, mit dem jeder Kleriker dem Modernismus abschwören musste. Dieser Antimodernisteneid war bis 1967 in Kraft. Papst Pius XII. veröffentlicht am 12. August 1950 sein Apostolisches Rundschreiben Humani Generis. Darin greift er scharf modernistische Lehren an und verurteilt sie, unter anderen den Irenismus, den Relativismus und den Historizismus. Selbst heute spaltet der Modernismus die Katholische Kirche, ein Beispiel ist der Dialog zwischen der Priesterbruderschaft St. Pius X. und der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Modernismus. -- Zugriff am 2004-11-05]


Abb.: Stimmungsbild aus dem St. Gallischen: Geld oder Proporz?. -- In: Nebelspalter. -- 1910-03-19



Abb.: Die deutsche Evangelische Kirche hat den Arierparagraph angenommen: "Ehe man den Stammbaum dieser Männer untersucht hat, gehören sie nicht zur Kirche und in die Museen des Dritten Reichs!"

In: Nebelspalter. -- 1933-09



Abb.: Der Reichsbischof wird nachgiebig: "O S A F [Der Oberste SA-Führer] bleibt der Herr in unserem Hause! Immerhin kann Ihnen eine Hintertüre zur Benützung offen gehalten werden."

In: Nebelspalter. -- 1934-12


6. Emil Burki 1894 - 1952


"Emil Burki
Geboren 1894 in Zürich, dort 1952 gestorben. Gebrauchsgraphiker, bildet sich autodidaktisch zum Holzschneider und arbeitet seit 1932 fast ausschließlich in dieser Technik. In Zürich ansässig. Sein Werk umfasst über 700 Holz- und Linolschnitte in Schwarzweiss- und Farbendruck, von kleinsten bis zu großen Formaten als Illustration, graphische Folge und Einzelblätter; es zeichnet sich durch treffsichere Zusammenfassung seiner mehrheitlich zeitkritischen Themen zu einprägsam-knapper Form aus. Arbeitet für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften: seit 1923 als Illustrationszeichner für den Nebelspalter; Holzschnitte erscheinen u. a. seit 1932 im sozialdemokratischen Volksrecht sowie in der Gewerkschaftszeitung Der öffentliche Dienst. Ferner in: Information (Zürich, seit 1932), zwischen 1932 und 1937 in Das Flugblatt/Zeitglocke/DieZeit, seit 1933 in Büchergilde, in abc (Zürich, 1937/38), 1940/41 im Schweizer Spiegel, im Grünen Heinrich (Basel, 1945/46) und seit 1945 regelmäßig allwöchentlich in der Wochenzeitung Der Demokrat (Rorschach). 1944 Mitbegründer der Vereinigung schweizerischer Holzschneider Xylos. Sein Holzschnittwerk ist in der Emil Burki-Stiftung an der Graphiksammlung der eth Zürich vereint."

[Quelle: Der moderne Holzschnitt in der Schweiz / Eva Korazija Magnaguagno ; mit einem Beitr. von Fridolin Fassbind ; hrsg. von der Graphiksammlung ETH.  -- Zürich : Limmat-Verlag-Genossenschaft, ©1987.  -- 357 S. : Ill.  -- S. 307]


Abb.: Naives Weltbild. -- Holzschnitt von Emil Burki <1894 - 1952>. -- 1941

[Bildquelle: Der moderne Holzschnitt in der Schweiz / Eva Korazija Magnaguagno ; mit einem Beitr. von Fridolin Fassbind ; hrsg. von der Graphiksammlung ETH.  -- Zürich : Limmat-Verlag-Genossenschaft, ©1987.  -- 357 S. : Ill.  -- S. 128]


7. Gottfried Keller 1819 - 1890


Siehe auch:

Keller, Gottfried <1819 - 1890>: Das verlorne Lachen <Auszug>.  -- 1874.  -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/keller01.htm. -- Zugriff am 2005-03-02


Abb.: Illustration zu Gottfried Kellers Jesuitenzug / von von Martin Disteli (1802 - 1844). -- Beilage zur "freien Schweiz". -- Winterthur, 1844-02-03 (zugleich als Flugblatt gedruckt)

[Bildquelle: Ich male für fromme Gemüter . zur religiösen Schweizer Malerei im 19. Jahrhundert.  -- Luzern : Kunstmuseum, 1985. -- ISBN 3-276-58-5 [!]. -- S. 212]

Gottfried Keller (1819-1890): Jesuitenzug (auch: Jesuitenlied) 1843

Hussa! hussa! die Hatz geht los!
Es kommt geritten klein und groß,
Das springt und purzelt gar behend,
Das kreischt und zetert ohne End:
Sie kommen, die Jesuiten!

Da reiten sie auf Schlängelein
Und hintendrein auf Drach und Schwein;
Was das für muntre Bursche sind!
Wohl graut im Mutterleib dem Kind:
Sie kommen, die Jesuiten!

Hu, wie das krabbelt, kneipt und kriecht,
Pfui, wie's so infernalisch riecht!
Jetzt fahre hin, du gute Ruh!
Geh, Grete, mach das Fenster zu:
Sie kommen, die Jesuiten!

»Gewissen, Ehr und Treue nehmt
Dem Mann und macht ihn ausverschämt,
Und seines Weibes Unterrock
Hängt ihm als Fahne an den Stock:
Wir kommen, die Jesuiten!«

Von Kreuz und Fahne angeführt,
Den Giftsack hinten aufgeschnürt,
Der Fanatismus ist Profoss,
Die Dummheit folgt als Betteltross:
Sie kommen, die Jesuiten!

»Wir nisten uns im Niederleib
Wie Maden ein bei Mann und Weib,
Und was ein Schwein erfinden kann,
Das bringen wir an Weib und Mann:
Wir kommen, die Jesuiten!«

O gutes Land, du schöne Braut,
Du wirst dem Teufel angetraut!
Ja, weine nur, du armes Kind!
Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind:
Sie kommen, die Jesuiten!


Gottfried Keller (1819-1890): Pietistenwalzer. -- 1844

Nun stimmet die Harfen und salbet die Geigen
Und gebt euch die Händlein zum himmlischen Reigen,
Ein Weiblein, ein Männlein,
Ein Hühnlein, ein Hähnlein,
Je zwei und zwei, wie sich's am besten schickt
Und man sich am frömmsten zu Herzen drückt.

Sind alle da? Ei, so verschließet den Himmel,
Lasst draußen das sündige Pack und Gewimmel,
Verberget die Kniffe,
Die lüsternen Griffe,
Wir haben den Geist uns zu Fleische gemacht
Und feiern subtil die urewige Nacht!

Zu wecken die schlaffen, wollüstigen Gluten,
Bestreicht uns der Satan den Hintern mit Ruten;
Die heilige Völle
Durchwürze die Hölle!
Nun löschet die Lichter von ungefähr;
Das Töchterlein tanzt mit dem Missionär!

O süßliches Grunzen, o seliges Dunkel,
Begehrliches Suchen und tappend Gemunkel!
Mich fasset ein Schwindel!
Bacchantisch Gesindel!
O heilige, himmlische Windbeutelei -
Hinschmelz ich und sied ich im seligsten Brei!

Erläuterung:

"Piëtismus (neulat.), eine krankhafte Form der Frömmigkeit (pietas), die, nach Umständen und Persönlichkeiten zu verschiedenen Zeiten verschieden gestaltet, bald in einseitigem Betonen einzelner Glaubenslehren, bald in überspannten und exzentrischen Gefühlen, bald in skrupulöser Ängstlichkeit, bald endlich in einem separatistischen Treiben ohne Maß und Ziel, immer in unruhigem und ungesundem Streben nach Heil und Gnade sich kundgibt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.] 


Gottfried Keller (1819-1890): Warnung. -- 1846

Ja, du bist frei, mein Volk, von Eisenketten
Und von des Vorrechts unerhörter Schande,
Kein Adel schmiedet dich in schnöde Bande,
Und fröhlich magst du dir im Wohlstand betten.

Doch dies kann nicht dich vor der Knechtschaft retten,
Der schwarzen, die im weißen Schafsgewande
An allen Türen horcht im weiten Lande,
Wie Unkraut sich an jedes Herz will kletten.

Wenn du nicht kühnlich magst den Geist entbinden
Von allem Wust und tötender Umhüllung,
Nicht sorglich deiner eignen Einsicht pflegen:

Wird stets dein Feind die Tore offen finden,
All deiner Hoffnung raubend die Erfüllung,
Dein schön begonnen Werk in Asche legen.
 


Gottfried Keller (1819-1890): Reformation. -- In Gedichte, 1846

Im Bauch der Pyramide tief begraben,
In einer Mumie schwarzer Totenhand
War's, dass man alte Weizenkörner fand,
Die dort Jahrtausende geschlummert haben.

Und prüfend nahm man diese seltnen Gaben
Und sät' sie in lebendig Ackerland;
Und sieh da, eine goldne Saat erstand,
An der sich Herz und Auge konnten laben!

So blüht die Frucht dem späten Enkelkinde,
Die mit den Ahnen schlief in Grabesschoß -
Das Sterben ist ein endlos Auferstehn!

Wer hindert nun, dass wieder man entwinde
Der Kirche Mumienhand, was sie verschloss:
Das Korn des Wortes, neu es auszusä'n?


Gottfried Keller (1819-1890): Wochenpredigt. -- In: Neuere Gedichte,  1851/54


In heißem Glanz liegt die Natur,
Die Ernte wimmelt auf der Flur.
In langen Reihn die Sichel blinkt,
Mit leisem Geräusch die Ähre sinkt.

Doch hinter jenen grünen Matten,
In seines Kirchleins kühlem Schatten
Geborgen vor dem Stich der Sonne,
Da steht das Pfäfflein der Gemeine,
Auf diesem, dann auf jenem Beine,
In seiner alten Predigertonne,
Hoch an dem Pfeiler, grau und fest,
Gleich einem Storch in seinem Nest.

Schwarz glänzt das kurzgeschorne Haar,
Wie Röslein blüht das Wangenpaar;
Nur etwas schläfrig blinzen nieder
Die Äuglein durch die fetten Lider,
Weil er sich seiner Wochenpredigt
Mit ziemlich saurer Müh entledigt.
So spricht er von dem ewigen Leben,
Das es werd nach dem Tode geben:
Wie man auch da noch müsse ringen
Und immer weiter vorwärtsdringen,
Und nie von Wandel und Handel frei,
Bis man zuletzt vollkommen sei;
Von einem Stern zum andern hupfen
Und endlich in den Urquell schlupfen.

Doch unten in des Kirchleins Tiefen
Die Hörer auf den Bänken schliefen.
Sie waren alle hoch an Jahren,
Mit weißen oder gar keinen Haaren,
Ganz klingeldürre Fraun und Greise,
Gebeugt von ihrer langen Reise;
So lehnten sie an ihren Krücken
Mit lebensmüdem sanftem Nicken.
Sie hatten gelebt und hatten gestritten,
Erde gegraben und Garben geschnitten,
Bürden getragen und Freuden gehabt
Und, wenn sie gedürstet, sich gelabt.
Sie hatten nicht ihr Leben verfehlt,
Kein Genie und keine Tugend verhehlt,
Auch keine Schwänke unterlassen;
Wen s' konnten bei der Nase fassen,
Den haben sie gar fest ergriffen
Und ihn mit Freuden ausgepfiffen.
Sie hatten geweint und öfter gelacht
Und genugsam Kinder gemacht.

Die Predigt schweigt, sie sind erwacht,
Die Kirchentür wird aufgemacht,
Und leuchtend bricht der grüne Schein
Der Bäume in die Dämmrung ein.

Die Alten stehen mühsam auf
Und setzen langsam sich in Lauf
Und schleichen seltsam kreuz und quer
Über die grünen Gräber her.
Sie setzen sich auf die Leichensteine
Und reiben ihre kranken Beine,
Sie hüsteln wunderlich und lachen
Und sprechen bewusstlos kindische Sachen.
Sie schauen in die goldnen Auen,
Wo ihre Söhne und Sohnesfrauen
Im fernen Sonnenglanze gehen,
Die reifen Früchte rüstig mähen;
Sie sehen in all den hellen Schein
Mit blöden Augen stumm hinein.
Schon ist verklungen, leis und weit,
Das Lied von der Unsterblichkeit.

Und wie vor langen achtzig Jahren
Die Flämmlein im Entstehen waren
Und mählich aus der tiefen Nacht
Sich in ein helles Licht entfacht
- Das freilich auch sich ewig schien -,
So glimmen jetzt sie wieder hin
Und denken Bessres nicht zu tun,
Als ewig, ewig auszuruhn!
Von Durst nach neuem Kommerzieren,
Wenn recht ihr schaut, ist nichts zu spüren.

Das Pfäfflein ist nach Haus gekommen,
Hat einen Trunk zu sich genommen
Und wandelt jetzt im schönen Garten,
Den kühlen Abend zu erwarten,
Wo er sich freut auf ein Gelage,
Zu dem er freundlich ist gebeten;
Doch steht die Sonn noch hoch am Tage.
Des ist er nun in großen Nöten:
Er weiß, die besten Bachforellen
Werden auf blumiger Schüssel schwellen;
Ausländische Wurst und köstlicher Schinken
Reizen ihn zu frohem Trinken.
Er kennet die staubigen Flaschen zu gut
In des Kollegen frommer Hut,
Die schön geschliffenen Gläser dringen
Schon in sein Ohr mit feinem Klingen;
Er kennt das Tischlein hinter der Türen,
Von wo die Flaschen hermarschieren,
Bis er eine mit silbernem Hals entdeckt,
Die vor dem Abschied doppelt schmeckt.

Und noch drei lange, lange Stunden! -
Hier hat er Ranken angebunden,
Ein nagendes Räupchen abgelesen,
Dort aufgehoben einen Besen
Und an das Gartenhaus gelehnt;
Dann einen Augenblick gewähnt,
Er wolle auf den Sonntagmorgen
Noch schnell für eine Predigt sorgen.
Dann ist er davon abgegangen,
Hat einen Schmetterling gefangen,
Warf einen Socken über den Hag,
Der mitten in einem Beete lag.
Die Sonne steht noch hoch am Tag.
Er wird der langen Weil zum Raube
Und sinkt in eine kühle Laube,
Macht dort ein Ende seiner Pein,
Schläft zwischen Rosen und Nelken ein.

O Pfäfflein, liebes Pfäfflein, sag,
Ist dir zu lang der eine Tag:
Was willst du aus all den Siebensachen,
Den Millionen Sternen und Jahren machen?


Gottfried Keller (1819-1890): Dem Kopf- und Herz-Dogmatiker. -- 1854

Dein schlechtes Fühlen stieg aus deinem Kopf hernieder,
Dein schlechtes Denken kommt aus deinem Herzen bieder:
Das macht, weil dein Gehirn ein roher Hausknecht ist,
Die träge Magd, das Herz, zu wecken ihn vergißt!


Gottfried Keller (1819-1890): Ehescheidung amerikanisch. -- 1854

Zum Pfäffel kam ein Pärchen und schrie:
»Geschwinde lasst uns frein!
Wir können nicht eine einzige Stund
Mehr ohne einander sein!«

Und aber ein Jährlein kaum verstrich,
Sie liefen herbei und schrien:
»Herr Pfarrer, trennt und scheidet uns,
Lasst keine Minute verziehn!«

Das Pfäfflein runzelte sich und sprach:
»Macht euch die Scham nicht rot?
Wir haben es alle drei beschworn:
Euch trenne nur der Tod!« -

»Rot macht die Scham, doch Reue bleich!
Herr Pfarrer, gebt uns frei!«
Der Mann bot einen Beutel dar,
Die Frau der Beutel zwei.

Da tat das Pfäffel zwischen sie
Ein Kätzelein, heil und ganz;
Der Mann, der hielt es bei dem Kopf,
Die Frau hielt es am Schwanz.

Der Pfaff mit großem Messer hieb
Das Kätzelein entzwei:
»Es trennt, es trennt, es trennt der Tod!«
Da waren sie wieder frei.


Gottfried Keller (1819-1890): Mönchspredigt. -- 1858

Es schlägt ein Mönch aufs Kanzelbrett
Und macht gar schlimme Witze;
Sein Hals ist kurz, der Atem fett,
Sein Wort voll roter Hitze.

Er endet just, mit glühndem Hauch
Die Hölle heiß zu schildern;
»Gott selber«, schreit er, »wollt er auch,
Kann jene Qual nicht mildern!

Gott schloss der Hölle schwarz Portal
Und hat den Schlüssel verloren!
Solange Gott lebt, lebt die Qual,
Das ist euch zugeschworen!«

Er rief's; der böse Schwaden steigt
Aus seinen Eingeweiden;
Still rührt der Schlag - der Lästrer schweigt
Und endet ohne Leiden.

Ihr Christenleute, zittert nicht
Ob seinen wilden Scherzen!
Die Qual ist aus, die Hölle bricht,
Sie brach mit seinem Herzen!

Uns ist auf seiner fahlen Stirn
Ein guter Trost erworben:
Der böse Gott in seinem Hirn
Ist still mit ihm verdorben!


8. Robert Seidel 1850 - 1933



Abb.: Robert Seidel

"Seidel, Robert (1850-1933)

Geboren in Kirchberg (Sachsen). Tuchmacherlehre.

Seit 1870 in der Schweiz. Tuchmachergeselle in Feldbach, Horgen, Männedorf und Zürich, daneben kaufmännische Weiterbildung. Kaufmännischer Angestellter. Geschäftsführer der Buchdruckerei und Buchhandlung des Grütlivereins und der "Tagwacht".

Besuch des Seminars in Küsnacht 1879-1881. Primarlehrerpatent 1881.

Lehrer in Dietikon 1880–1882.

Studium an der Universität Zürich 1882–1884 als Auskultant.

Sekundarlehrer in Mollis GL 1884–1890.

Redaktor der "Arbeiterstimme" Zürich 1890–1898.

Mitbegründer und erster Redaktor des "Volksrechts" 1898–1899.

Seit 1900 Sekundarlehrer in Zürich-Aussersihl.

Privatdozent für Sozialpädagogik an der ETH seit 1905, an der Universität Zürich seit 1908 (beides bis 1929). Titularprofessor an der ETH 1923.

Publizist. Nahm 1869 als Vertreter des Konsumvereins Crimmitschau am Eisenacher Sozialistenkongress teil. In den 1880er Jahren Führer des Grütlivereins des Kantons Glarus. Mitglied der SPS. Gegner von Herman Greulich 1887–1900. Zuerst extrem links, ab 1904 auf dem rechten Parteiflügel stehend. Anlässlich der Abspaltung des Grütlivereins (1916) Austritt aus der SPS. 1925 Wiedereintritt. Mitglied des Grossen Stadtrates in Zürich 1893–1923. Kantonsrat 1893–1996, 1899–1917, 1920-1922/23. Nationalrat 1911–1917."

[Quelle: http://www.sozialarchiv.ch/Bestaende/APerson.html. -- Zugriff am 2004-09-23]


Robert Seidel (1850-1933): Auch ich bin gläubig. -- 1886/1895

Auch ich bin gläubig, doch mein Glaube
Hat keinen Raum im Wunderschrein,
Er klebt an keiner Satzung Staube
Und keine Kirche schließt ihn ein;
Er wühlt nicht in dem Schutt der Zeiten
Und gräbt nicht in der Worte Sand,
Er kann durchs rote Meer nicht schreiten
Und wandert in kein Fabelland.

Mein Glaube ist nicht eine Krücke,
Woran die Lahmheit sich bewegt;
Mein Glaube ist auch keine Brücke,
Worüber Einfalt Lasten trägt;
Mein Glaube ist kein Wegezeichen
Vom Erdental ins Himmelszelt,
Mein Glaube will kein Schlafgift reichen
Für Leiden einer Knechtewelt.

Mein Glaube schürt der Liebe Gluten
Noch in der Ichsucht kaltem Haus,
Und sucht den Edelstein des Guten
Selbst aus den Menschentrümmern aus.
Mein Glaube ist ein kühner Ritter,
Der furchtlos mit dem Bösen ficht
Und mit der Wahrheit Sturmgewitter
Die stolzen Lügenburgen bricht.

Mein Glaube ist des Fortschritts Bote;
Er fliegt voran im guten Streit
Und pflanzt das Banner auf, das rote,
Des Menschentums der neuen Zeit;
Mein Glaube ist der Freiheit Leuchte,
Die grell   der Knechtschaft Nacht erhellt
Und in die Kerker öd und feuchte,
Den Labetrunk der Hoffnung stellt.

Mein Glaube ruht auf Felsengrunde
Vielhundertjähr'ger Wissenschaft,
Und steht in treuem Bruderbunde
Mit Menschengeist und Weltenkraft.
Mein Glaube wurzelt in der Erde
Und rankt sich um der Menschheit Baum
Und ist das fleischgewordne Werde
Der Gottheit vom Erkenntnisbaum.


Robert Seidel (1850 - 1933): Das Paradies auf dieser Erde. -- 1886/1895

Es stiegen Engel einst zur Erde
Und brachten frohe Botschaft dar,
Dass Wohlfahrt allen Menschen werde1
Doch ward die Botschaft noch nicht wahr.
Noch schwingt die Not ihr schwarzes Zeichen,
Der Hunger herrscht von Meer zu Meer,
Und sonnverfinsternd ist der Bleichen
Und Darbenden verbittert Heer.

Es wurde Friede laut verkündigt
Den Hirten im gelobten Land —
Womit hat sich das Volk versündigt,
Dass es noch keinen Frieden fand?
Ist Christus nicht am Kreuz gestorben
Für alle Schwachheit, alle Schuld?
Und hat er leidend nicht erworben
Des Himmels höchste Gnad und Huld?

Und doch bleibt noch der Friede ferne,
Und ferne bleibt der Wohlfahrt Licht!
Und doch stöhnt noch auf diesem Sterne
Der Fleißge unterm faulen Wicht!
Und doch rast durch die Welt noch immer
Der Krieg mit wildem Sturmesgraus
Und stampft den schwachen Hoffnungsschimmer
Des Friedens und des Glückes aus!

Wer soll der Botschaft da noch glauben,
Wer noch des Höchsten heilgem Wort?
Wo lachen uns der Wohlfahrt Trauben,
Wo der verheißne Friedensport?
Sie winken ewig aus den Fernen,
Solang das Volk im Wahn sich wiegt,
Dass über jenen goldnen Sternen
Erst seine wahre Heimat liegt.

Solang das Volk zum Himmel trachtet
Und suchet dort sein Paradies,
Solange bleibt die Welt umnachtet,
Wie einer Zwingburg dumpf Verließ.
Das Unrecht schießet in die Halme
Und raubt dem Ölzweig Luft und Licht,
Und statt der Wohlfahrt schattger Palme
Erblühn des Elends Disteln dicht.

Erst wenn der Mensch von Pol zu Pole
Sich an die irdsche Heimat schmiegt,
Erhebt zu allen Volkes Wohle
Sein Haupt der Friede unbekriegt;
Erst wenn der Himmel aufgegeben
Dort über jenem Sternenzelt,
Beginnt der Wohlfahrt sonnig Leben
Und lacht im Glücke diese Welt.

"Das Paradies auf dieser Erde,
Den Himmel schon auf diesem Stern,
Die Freiheit von der Not Beschwerde
Allhier, statt in dem Himmel fern." —
Wann dieses Credo2 wird erklingen
In allen Zungen weit und breit,
Dann ist erfüllt der Engel Singen
Und 'kommen endlich goldne Zeit.

Erläuterungen:

1 Lukasevangelium 2,13f.: "Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen."

2 Credo = Glaubensbekenntnis


Robert Seidel (1850-1933): Kein Heiland ist noch je erschienen. -- 1886/1895

Kein Heiland ist noch je erschienen
Aus fernen Himmels weitem Schoß,
Kein Heiland hat den Arbeitsbienen
Gelindert ihrer Knechtschaft Los;
Kein Heiland wird herniedersteigen
Vom tränenlosen Sternensaal,
Um schmerzenskundig sich zu neigen
Erlösend aller Armen Qual.

Nur aus der Schmerzen heißen Gluten
Auflohend aus des Volkes Schacht,
Entsteigen kann der Held des Guten,
Der Führer durch der Leiden Nacht;
Erlösung sprosst aus dunklen Tiefen,
Aus der Gedrückten Tränenborn,
Gleich Halmen, deren Keime schliefen
In feuchter Gruft als sterbend Korn.

Der Armen Heiland ist der Arme,
Der helfend teilt sein Stückchen Brot,
Und Überwinder jedem Harme
Die eine liebumfloss'ne Not.
O hofft nicht mehr auf Heilands Kommen
Aus lichter Höh' von Gott gesandt!
Das Volk allein allein muss ihm zu frommen
Sich Heiland sein in jedem Land.

Und wenn einst jedes Volk geworden
Erlöser sich aus Drang und Not,
Erblüht ein einz'ger Bruderorden
Der Menschen all' im Morgenrot,
Und Friedensengel werden winden
Den Ölzweig um des Kriegers Pfeil,
Und Jubellieder schallend künden:
Erschienen endlich ist das Heil.


Robert Seidel (1850-1933): Ein fühlend Herz such niemand bei den Göttern. -- 1887

Zur Zuger Katastrophe 5. Juli 18871

Die Sonne lacht in hellstem Glanze
Und zaubert Gold auf blauen Grund;
Der See, in seinem bunten Kranze,
Blickt freudig auf zum Alpenrund;
Die ganze Schöpfung atmet Ruh und Frieden,
Als ob ihr immer Festtag wär beschieden.


Abb.: Zugersee [Bildquelle: http://www.fotopanorama.ch/frameload.php?site=leg/6410001.htm. -- Zugriff am 2004-12-04

Es zwitschern Vögel ihre Lieder
In diesem heilgen Tempelhain,
Es schweben Fischlein auf und nieder
Und laden stumm zur Kühlung ein;
Im weiten Raume zittert leises Beben,
Als wäre nahe göttlich Sein und Weben.

Das Feld erklingt vom Ährenrauschen
Und summt verträumt ein Erntelied,
Dem alle Blumen schläfrig lauschen,
Weil sie schon sommersonnenmüd;
Den ganzen Ring des Daseins scheint zu halten
Der Liebe Macht, der Güte segnend Walten.

Und dieses Scheines Zauberhülle,
Verführt das schwache Menschenkind,
Zu glauben an der Güte Fülle
In einer Gottheit lieb und lind;
Es siedelt an sich in des Abgrunds Schlünden
Und baut sein Haus auf unterspülten Gründen.

Da müht ein Braver sich im Garten
Und ahnt nicht unter sich den Schlund,
Dort Mütter ihre Kinder warten,
Doch ach! bald ruhen tief im Grund;
Dem Schutz des Höchsten anvertrauet liegen
Drei Säuglinge voll Unschuld in den Wiegen.

Des Fleißes flinke Hände regen
Sich in der Werkstatt engem Raum,
Sie bauen auf des Höchsten Segen
Und bauen doch auf Sand und Schaum;
Denn rührig schon wird es in dunklen Tiefen,
Wo Sandatome lange ruhig schliefen.

Von Arth2 ein Dampfer kommt gezogen,
Stolz furchend seine Silberbahn,
Und legt in feierlichem Bogen
Am lachenden Gelände an;
Willkommen beut3 der Wirt den frohen Gästen
Zum letztenmal vom Lande aus, dem festen.

Da Donnerkrachen, Sturmestosen
Die Nacht verschlingt den hellen Tag,
Und in den See den bodenlosen,
Sinkt alles, wie mit Zauberschlag,
Hoch schäumen auf der Tiefen Schlammesfluten
Und schließen grollend sich ob vielen Guten.


Abb.: Zuger Katastrophe 1887 [Bildquelle: http://www.ffz.ch/de/geschichtemain/geschichte/welcome.php?action=showinfo&info_id=19. -- Zugriff am 2004-12-04]

Beim Liebeswerke selbst, dem hohen,
Verschlingt die Retter noch die Flut,
Als griff ein böser Geist mit rohen
Gelüsten nach des Mitleids Blut;
Könnt höchste Bosheit Schlimmeres vollenden,
Als Tod zu reichen für der Liebe Spenden?

Wer störte so der Schöpfung Frieden?
Wer grausam so der Unschuld Spiel?
Wohin die Güte, die hienieden
Zu lenken schien der Wesen Ziel?
Wo zeigte sich ein allerhöchstes Lieben,
Und wo ist Gottes Gütigkeit geblieben?

Ich wage Antwort kühn zu geben,
Ich folge freien Geistes Spur:
Es gibt kein allbarmherzig Weben
Und Mitleid kennt nicht die Natur;
Ein fühlend Herz such niemand bei den Göttern

Nur Menschen macht die Güte zu Errettern!

Erläuterungen:

1 Am 5. Juli 1887 stürzte ein Teil des Seeufers der Vorstadt der Stadt Zug (Schweiz) ein und 30 Häuser versanken: 11 Personen starben, 300 verloren ihr Heim.

2 Arth: Ort im Kanton Schwyz, am Zugersee.

3 beut = bietet


Robert Seidel (1850-1933): Skandal. -- 1895/1908

Und weil der Wahrheit flammend Licht
Der Lügenbrut ist Ärgernis,
So ist Skandal des Helden Pflicht
Im Kampfe wider Finsternis.

Gesegnet sei der Flammenstrahl,
Der aus der Wahrheit donnernd loht!
Und Fluch der Furcht vor dem Skandal,
Die jeder Wahrheit bringt den Tod.


Robert Seidel (1850-1933): Das Pan-Germanentum. -- 1906

Das ist die Rasse der Germanen!
Graf Gobineau1 hat sie erdacht,
Und Chamberlain2 hat ihr zu Ahnen
Die Besten aller Zeit gemacht.

Germanen sind die Slawen, Kelten,
Wenn etwas Großes sie vollbracht;
Germanen sind das Salz der Welten,
Und sind sie Leuchten in der Nacht.

Der Heiland! Die Apostel! — Juden? —
O nein! Germanen reinster Art; —
Semiten pflegen Wechslerbuden,
Germanen Menschenliebe zart.

Homer und Moses, Colon3, Dante;
Germanen sind's, von Gott gesandt;
Doch Loyola4 und seine Bande
Sind Ruten aus des Teufels Hand.

Fälscht so der Hochmut die Geschichte
Und krönt der Weißen Herrentum,
Dann kommt ihr Gelben zum  Gerichte
Und lehrt die Christen Menschentum.

Erläuterungen:

1 Gobineau


Abb.: ein echter Germane: Arthur Graf Gobineau (wahrlich eine Herrenrasse!)

De Gobineau, Arthur

Joseph Arthur, comte de Les Pléiades (* 14. Juli 1816 in Ville-d'Afray (bei Paris), 13. Oktober 1882 in Turin; bekannt unter dem Pseudonym Arthur de Gobineau) war ein französischer Adeliger, der durch seine Theorie der arischen Herrenrasse (Essai sur l'inégalité des races humaines, 1853-1855) bekannt wurde.

Nach Schulbildung und Studium in Frankreich und in der Schweiz trat Gobineau 1849 in das französische Diplomatische Korps ein.

1855 wurde er von Napoleon III. mit einer Gesandtschaft nach Persien (Iran) geschickt. Dort wurde er zu seiner Idee der Übermenschen inspiriert: Er glaubt, dass es die Rasse sei, die Kultur hervorbringt. Seiner Ansicht nach führt der Aufbau von Reichen zur Vermischung der Rassen, die dann zur Degeneration führt.

1859 war Graf de Gobineau als kaiserlicher Kommissar in den USA, 1861 erfüllte er als außerordentlicher Gesandter eine weitere Mission in Persien, und 1864 kam er in gleicher Eigenschaft nach Athen. Auch in Rio de Janeiro und Stockholm war de Gobineau in diplomatischem Auftrage.

De Gobineau bewunderte Richard Wagner und Friedrich Nietzsche. Gleichzeitig machte er auf die beiden großen Eindruck mit seinem Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen, in der er die Überlegenheit der "arischen Rasse" zu begründen versuchte. Er ging von einer vollkommenen "Urrasse", nämlich der "nordischen", "arischen" oder "germanischen Rasse" aus. Später benutzten die Nationalsozialisten u.a. dieses Werk zur Legitimierung ihrer Rassenideologie.

In seinem belletristischen Werk, wie z.B. Les Pléiades oder La Renaissance war de Gobineau genauso erfolgreich. Auch hier thematisiert er seine reaktionären und aristokratischen Ansichten und seine Abneigung gegen die demokratische Massenkultur.

Am 13. Oktober 1882 stirbt Graf Arthur de Gobineau in Turin."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_de_Gobineau. -- Zugriff am 2004-12-05]

2 Chamberlain


Abb.: So schaut das Zuchtziel der Menschheit aus: H0uston S. Chamberlain um 1886 (guten Appetit!)

"Houston Stewart Chamberlain (* 9. September 1855 in Portsmouth; 9. Januar 1927 in Bayreuth) war ein englisch-deutscher Schriftsteller und Kulturphilosoph.

Ursprünglich Engländer, nahm er 1916 die deutsche Staatsangehörigkeit an. In seinem Hauptwerk Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1899) vertrat er eine völkisch-mystische Ideologie und entwickelte Arthur Gobineaus Gedanken einer "arischen Herrenrasse" weiter.

Allerdings ging er - anders als Gobineau nicht von der arischen als einer vollkommenen "Urrasse" aus, sondern sah in diesem "Rassentypus" das "Zuchtziel" einer zu züchtenden "Idealrasse".

Sein Gedankengut beeinflusste maßgeblich die Rassenlehre und die "rassenhygienischen" Vorstellungen des Nationalsozialismus (vgl. Vordenker des Nationalsozialismus).

Ab 1908 war Chamberlain mit Richard Wagners Tochter Eva verheiratet."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Houston_Stewart_Chamberlain. -- Zugriff am 2004-12-05]

3 Colon = Kolumbus

4 Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens


Robert Seidel (1850-1933): Von Gottes Gnaden. -- 1895/1908

Von Gottes Gnaden nennen sich
Die Herrscher auf der Welt;
Ob ihre Demut sich darin,
Ihr Hochmut wohl gefällt?

Ist's Hochmut! Dann aus freiem Mund
Erklingt der Fragen Spott:
Warum nicht jedem Land bestellt
Ein Haupt der liebe Gott?

Warum nicht einen König hat
Das höchste Land, die Schweiz,
Die doch so voll von Majestät
Und göttlich schönem Reiz?

Und warum Frankreich ohne Herrn,
Wie ganz Amerika?
Und warum steht der Freiheit Stern
Im Tal von Andorra1?

Und wessen Gnaden sei der Fürst,
Den sich aus freier Hand
In König Hakon2 hat erwählt
Das Volk von Norreland?

Ist's Volk von Gottes Gnaden dort,
So ist's der König nicht,
Und jagt das Volk den König fort,
So hält es nur Gericht.

Erläuterungen:

1 Andorra ist seit Heinrich IV. von Frankreich (1553 - 1610) hat Andorra republikanische Rechte, seit 1806 Republik

2 Hakon VI. (1339 - 1380): Sohn Magnus Erikssons von Schweden und Norwegen, wurde von dessen missvergnügten Untertanen 1343 zum norwegischen, 1362 auch zum schwedischen König gewählt, verlor aber Schweden schon 1363 an Albrecht III. von Mecklenburg.


Robert Seidel (1850-1933): Der Herr des Unterrichts. -- 1895/1908

Macht mich zum Herrn des Unterrichts,
Dann will die Welt ich umgestalten!
So sprach der Freund des Lichts
Und Feind der finsteren Gestalten.*)

Heut will zum Herrn des Unterrichts
Die Kirche wieder die Gewalten;
Allein sie will das Reich des Lichts
Zum Reich der Finsternis gestalten.

*) Leibniz 1646 - 1716. Deutscher Philosoph. [Anmerkung von Robert Seidel]


Robert Seidel (1850-1933): Opfer! Opfer! -- 1895/1908

I.

Opfer! Opfer! sprachen Priester
Zu dem Volk viel tausend Jahr,
Opfer müsst ihr reichlich bringen
Euren Göttern zum Altar.

Wollt den Höchsten ihr gefallen,
Ihrer Huld euch ganz erfreun,
Müsst ihr zu den Tempeln wallen
Und das Liebste opfernd weihn.

Und das Volk, es hat geopfert,
Was ihm lieb und teuer war,
Denn das Beste und das Schönste
Bracht es freudig zum Altar.

Aber, was dem Volk versprochen
Feierlich die Priesterschar,
Darauf wartet's hoffend immer
Nun seit tausend, tausend Jahr.

II.

Opfer sollt ihr nicht mehr bringen
Einem Gott in gläubger Fron;
Götter brauchen keine Opfer,
Sind ja frei und wunschlos schon.

Aber Opfer sollt ihr bringen
Noch dem Kampfe eurer Zeit;
Nur das Opfer wird erringen
Sieg und Kranz im heilgen Streit.

Opfern sollt ihr noch der Freiheit,
Noch der Wahrheit und dem Recht,
Noch dem Alter und der Schwachheit
Und den Streitern im Gefecht.

Jedes Scherflein einer Witwe,
Das verschämt ward dargebracht,
Wird zur schmetternden Fanfare,
Die den Feind erzittern macht.

Jeder Pfennig Opfergabe
Wird zum Schwerthieb in dem Streit,
Den die Arbeit mit dem Mammon
Führt um Recht und Menschlichkeit.

Und wo Millionen opfern
Ihre Scherflein gutem Streit,
Da wird, trotz Gewalt und Schlingen,
Sieghaft sein Gerechtigkeit.


Robert Seidel (1850-1933): Die Steine reden. -- 1895/1908


Abb.: Der sich in der von ihm inspirierten Kirchenlehre und Bibel offenbarende minimale Intelligenzquotient Gottes reicht sicherlich nicht zur Schöpfung:  Hieronymus Bosch (um 1450 - 1516): Der Garten der Lüste, linker Flügel: Die Schöpfung, Detail. um 1500

Die Steine reden
Eine gewaltige Sprache
Und predigen laut:
Was Priester sagen
Von sieben Tagen
Des göttlichen Schöpfungswerks
Ist Irrtum und Wahn;
Seid ihnen nicht untertan!
Unser Werden
Auf dieser Erden
Hat gewährt eine Ewigkeit;
Und bis wir verdarben
Und endlich starben
Und wurden Ackerstaub,
Der hervorbringt Frucht und Laub
Rauschte wieder dahin
Eine Ewigkeit.
Wir sind alt,
Wir sind kalt,
Aber einst waren wir jung
Und strahlten licht,
Wie der Sonne Angesicht.
Wir sind spröde und Hart,
Aber einst waren wir flüssig,
Einst waren wir weich
Und gehörten zu der Schöpfung
Bewegtem, blühenden Reich.
Sonnen und Erden
Sind im ewigen Werden,
Im steten Verderben
Und langsamen Sterben.
Alles ist Wandel
Und Werdegang,
Alles ist Welken und Todesgang.
Immer aufwärts allein
Und zum Licht
Dringt der Menschengeist,
Bis er durchbricht
Irrtum und Wahn;
Seid ihnen auch ihr
Nicht untertan
Und glaubet nicht,
Dass ein Schöpfergeist
Sein Lebenswerk
In sieben Tagen getan.


Robert Seidel (1850-1933): Der alte und der neue Glaube1. -- 1908/1925

I. Der alte Glaube

Ihr glaubt nur, weil ihr fürchtet
Der Hölle Schreck und Strafen;
Ihr glaubt nur, weil euch ängstigt
Das seelenlose Schlafen;
Ihr glaubt nur, weil ihr dürstet
Nach Himmelsseligkeiten,
Und glaubt nur, um euch Wonnen
Im Jenseits zu bereiten.

Ihr glaubt nur, weil ihr wünschet
Dem Tode zu entfliehen,
Und in ein neues Leben
Voll ewger Lust zu ziehen;
Ihr glaubt an Paradiese
Aus Eigennützigkeiten,
Wollt Jenseitshonig schlürfen
Für Diesseitsbitterkeiten.

Ihr glaubt, — doch steht ihr fragend
Schon auf des Zweifels Schwelle:
Erwartet uns ein Jenseits?
Ein Himmel? Eine Hölle? —
Allein als kluge Leute
Wählt ihr auf alle Fälle
Den Glauben, — euch zu sichern
Im Himmel eine Stelle.

Ihr wuchert mit dem Glauben,
Damit er gut rentiere
Und, ohne Werk und Arbeit,
Zu selgem Reichtum führe;
Und so ist euer Glaube
Nur ein Geschäftsexempel,
Nur eine Handelsbörse
Und nicht ein heilger Tempel.

II. Der neue Glaube.

Wir wuchern nicht mit Glauben;
Wir glauben, weil wir lieben
Und weil der Liebe Pflichten
Zum Glauben uns getrieben:
Zum Glauben an die Menschheit
Mit ihren Idealen,
Zum Glauben an die Zukunft,
Befreit von Not und Qualen.

Wir glauben an das Gute,
Trotz aller Schlechtigkeiten;
Wir glauben an das Wahre,
Trotz aller Unwahrheiten;
Wir glauben an das Schöne,
Trotz aller Hässlichkeiten;
Und glauben an das Helle
Trotz aller Dunkelheiten.

Wir glauben an das Rechte,
Ob auch das Unrecht siege;
Wir glauben an den Frieden,
Ob auch noch wüten Kriege.
Wir glauben an das Edle,
Ob auch Gemeinheit lache;
Wir glauben an die Freiheit,
Die heilge Völkersache.

Wir glauben diesen Glauben,
Weil er uns Stärke leihet
Zum Kampfe, der die Menschheit
Aus Nacht und Not befreiet,
Zum Werke, das die Erde
Erbaut zum Himmelreich,
Worinnen alle Menschen
Sind gut und frei und gleich.

Erläuterung:

1 Anspielung auf: Strauß, David Friedrich (1808 - 1874):  Der alte und der neue Glaube : ein Bekenntnis. -- Leipzig : Hirzel, 1872


Robert Seidel (1850-1933): O stürmt nur, stürmt, ihr Fragen! -- 1913

Ich lese ganze Seiten,
Wie's oben sich vergnügt,
Und wie sie unten leiden.
Wer hat das so gefügt?

Ich gehe durch die Straßen
Voll Reichtum, Glanz und Pracht,
Und weiß, viel tausend darben. —
Wer hat das so gemacht?

Ich wandle durch die Auen,
Von Wein und Korn geschwellt;
Daneben wohnt der Mangel. —
Wer hat das so bestellt?

Ich seh die Arbeit schaffen
Den Überfluss, das Gold,
Und seh in Not die Arbeit. —
Wer hat das so gewollt?

Ich höre, wie die Völker
Nach Ruh und Frieden schrein;
Und seh doch blutge Schlachten. —
Wer trieb das Volk hinein?

Wer war der große Meister,
Der diesen Bau  erdacht,
Drin Greueltat und Unrecht
Regieret mit stolzer Macht?

Wer mag darin entdecken
Die heilge lichte Spur
Von der so hoch gerühmten
Gesittung und Kultur?

Wer kann darinnen finden
Das Evangelium?
Des Heilands Nächstenliebe?
Das edle Menschentum?

Wer kann daraus ergründen
Gar Gott, den guten Geist,
Der allen Erdenkindern
Die Seligkeit verheißt?

O stürmt nur, stürmt, ihr Fragen
Und pocht an Herz und Ohr
Der Millionen Schläfer
Und reißet sie empor,

Und rufet sie zum Werke
Der neuen Zeit und Welt,
Damit sie selbst mit Stärke
Sich baun ihr Himmelszelt.


Robert Seidel (1850-1933): Wunder

Du nennst ein Wunder, was du nicht verstehst;
Unwissenheit sieht Wunder überall;
Doch auch, wo du als Wissenschafter stehst,
Erblickst du Wunder ohne Maß und Zahl.


9. Volkskalender



Abb.: Die Bassas beten den Satan an. -- In: Der christliche Hausfreund. -- 1835

[Bildquelle: Bilder aus Volkskalendern : Ill. d. 19. Jh. ; Bildquellen / hrsg. vom Schweizer. Museum für Volkskunde Basel. Katharina Eder ; Theo Gantner. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1987. -- 188 S. : überwiegend Ill. . -- (Rosenheimer Raritäten). -- S. 126]


Das Gespenst. -- In: Berner Hinkender Bote. -- 1842

Ihr, die uns den alten Glauben
An Gespenster wollet rauben,
Die sogar, mit frechem Mund,
Selbst den Teufel leugnen: kund
Sei euch allen, Mann und Frauen
Was ich sah mit Schreck und Grauen.

Fest im Wirtshaus sitzt der Peter!
Schon wird's spät und immer später;
Denn der Wein schmeckt gar zu gut;
Und im Weine sucht er Mut
Heimzukehren, ganz alleine
Durch die Nacht, im Mondesscheine.

Denn in später Nächte Stunde
Halten Geister ihre Runde.
Hier, am Moos, ein Irrlicht scheint;
Dort am Holz ein Kindlein weint.
Und das Heer der bösen Geister
Ist auf jedem Kreuzweg Meister.

«Geh nicht, Peter!» - Doch, voll Mutes
Hört er nicht! Er wagt's. Er tut es!
Keck tritt er hin in die Nacht;
Wandelt lustig; plaudert, lacht,
Tanzt und pocht mit frechem Munde
Laut, selbst in der Geisterstunde.

«Heh! Heraus ihr Poltergeister!
Kommt nur! Hier ist euer Meister!
Teufel! Ohne Schreck und Graus
Fordr' ich selber dich heraus.
Komm nur her, darfst du es wagen!
Hier mein Stock soll dich erschlagen!»

Peter! Peter! Nicht gefrevelt!
Wiss', die Hölle ist geschwefelt;
Nur ein Funke denk daran!
Zündet hell die Flammen an.
Peter! Peter! Lass dich warnen
Und vom Bösen nicht umgarnen.

Doch ein Mensch in trunk'nem Mute
Fasset nimmermehr das Gute.
Und so trabt er lästernd fort,
Bis an den berufnen Ort
Wo mit Schrecken und mit Grauen
Sich ein Riesengeist lässt schauen.


Abb.: Das Gespenst an der Wegkreuzung

Auf dem Kreuz von zweien Wegen
Tritt er Petern jetzt entgegen;
Hoch und groß mit langem Haar
Stellt er sich gar gräulich dar;
Und mit ausgestreckten Armen
Droht er Petern ohn' Erbarmen.

Horch! in seines Zornes Stimme
Ruft er ihm mit hohler Stimme:
«Peter! stell' dein Rufen ein!
Hier bin ich, und du bist mein.»
«Lass nun sehn! Darfst du es wagen.
Mit dem Stock mich zu erschlagen.»

Zitternd, gleich dem Laub im Winde,
Wird der Frevler jetzt zum Kinde!
Hin ist Trotz und Heldenmut!
Ihm entfällt der Stock, der Hut;
Stammelnd: «alle guten Geister
Loben ihren Herrn und Meister.»

Doch der Geist, fest sonder gleichen,
Will dem Sprüchlein gar nicht weichen.
Petern stockt im Leib sein Blut!
Hin ist all sein frecher Mut!
Schreck und Angst hätt' ihn getötet,
Hätt' der Bot ihn nicht errettet.

Wenn, liebe Leser, ihr auf meine Worte achtet,
Und ruhig dann dazu das Bild betrachtet
So sprecht ihr ganz getrost: der Geist Oho!
Ist ein Wegweiser nur, bekränzt mit Bohnenstroh.
Und was den frechen Mann hier so zum Narren macht,
Das ist, wie überall, zu vielen Weines Macht.
Drum gilt die Warnung hier:
Wer Schand und Spott will meiden,
Der trinke mäßig und bescheiden.

[Quelle: Kalender-Geschichten / aus Volkskalendern der deutschen Schweiz ausgew. und hrsg. von Katharina Eder ; mit einem Vorw. von Hans Trümpy. -- Frauenfeld [etc.] : Huber, ©1982. Kollation 559 S. : Ill. ; 21 cm. -- S. 169ff.]



Abb.: Gräuel des Heidentums. -- In: Der christliche Hausfreund. -- 1843

[Bildquelle: Bilder aus Volkskalendern : Ill. d. 19. Jh. ; Bildquellen / hrsg. vom Schweizer. Museum für Volkskunde Basel. Katharina Eder ; Theo Gantner. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1987. -- 188 S. : überwiegend Ill. . -- (Rosenheimer Raritäten). -- S. 122]



Abb.: Jung (aus: Alt und jung, 1847). -- In: Illustrirter Schweizer Kalender 1850

[Quelle: 1848: Drehscheibe Schweiz : die Macht der Bilder / Philippe Kaenel (Hg.) ; [deutsche Red.: Julia Wirz] ; [Übers.: Yve Delaquis ... et al.]. -- Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 183 S. : Ill. ; 24 cm. -- S. 18]



Abb.: Altchristliche Erziehung. -- In: Einsiedler Kalender. -- 1851


Abb.: Neuheidnische Erziehung. -- In: Einsiedler Kalender. -- 1851

[Bildquelle: Bilder aus Volkskalendern : Ill. d. 19. Jh. ; Bildquellen / hrsg. vom Schweizer. Museum für Volkskunde Basel. Katharina Eder ; Theo Gantner. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1987. -- 188 S. : überwiegend Ill. . -- (Rosenheimer Raritäten). -- S. 170f.]


Die entsetzliche Abstimmung. -- In: Des Volks Boten Schweizer-Kalender, 1852

Am Samstag vor dem dritten Advent 1850 saßen in einem Wirtshause Gäste und Wirtsleute bis in die Nacht hinein bei Scherz und Spiel beisammen und führten allerlei lästerliche Reden.

Endlich sagte der Wirt, ein angesehener junger Mann: «Wer unter uns glaubt, dass es keinen Gott im Himmel gebe, der soll seine Hand aufheben!» Schnell hob er unter Gelächter und Freudenbezeugung seiner Frau, drei Finger empor, und mit ihm noch einige andere Gäste.

Man ging spät zu Bett. Die Wirtsleute schliefen in einer Kammer, die durch ein Kohlenbecken war erwärmt worden, das man schon am Morgen hineingestellt und später wieder entfernt hatte.

Am Sonntag Morgen wollte der Wirth und seine Frau nicht erwachen. Das sechsjährige Töchterlein klopfte an ihre Türe und rief ihnen. Die übrigen Hausgenossen beruhigten aber das Kind durch die Vorstellung, die Eltern seien so spät zu Bett gegangen, dass sie wohl werden ausschlafen wollen. Als aber auch nach der Predigt sich noch Niemand regte, ließ man durch den Schlosser die Türe aufbrechen. Da lagen denn die beiden Eheleute wie tot da! der Arzt wurde schnell geholt, witterte noch den Kohlendampf und fand darin die Ursache des Unfalls. Bei der Frau waren alle Rettungsversuche ohne Erfolg; sie war und blieb tot. An dem Manne versuchten mehrere Ärzte alle ihre Kunst. Merkwürdig war, dass er die drei Finger seiner rechten Hand immer in den Mund steckte und daraufbiss. Die Ärzte hatten Mühe, zu verhindern, dass sie nicht in den Krampfanfällen völlig abgebissen wurden. Der Mann kam aber nicht mehr zum Bewusstsein, und nach acht Tagen war auch er eine Leiche. Sein Begräbnis war die erste Amtsverrichtung eines neu aufziehenden Pfarrers! Wenige Tage nachher erkrankte noch ein anderer Mann des Ortes, ein angesehener Bauer, der auch einer von denen gewesen war, welche die Hände aufgehoben hatten. Auch er starb unerwartet schnell. Ein vierter Mann, gelehrt und geschickt in seinem Beruf, der auch an dieser schrecklichen Abstimmung

Teil genommen hat, wurde ebenfalls tödlich krank. Mehrere Tage verzweifelte man an seinem Aufkommen. Jedoch hat er sich wieder erholt. Ein fünfter Teilnehmer aber besucht seitdem regelmäßig die Kirche und man hat ihn schon öfters weinen sehen. Das Volk spricht laut von dieser Geschichte als von einem Gottesurteil.


Abb.. Erkenne, dass ein Gott ist!

[Quelle: Kalender-Geschichten / aus Volkskalendern der deutschen Schweiz ausgew. und hrsg. von Katharina Eder ; mit einem Vorw. von Hans Trümpy. -- Frauenfeld [etc.] : Huber, ©1982. Kollation 559 S. : Ill. ; 21 cm. -- S. 203ff.]



Abb.: Amerikanische Gebetsseuche. -- In: Vetter Jakob. -- 1875

[Bildquelle: Bilder aus Volkskalendern : Ill. d. 19. Jh. ; Bildquellen / hrsg. vom Schweizer. Museum für Volkskunde Basel. Katharina Eder ; Theo Gantner. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1987. -- 188 S. : überwiegend Ill. . -- (Rosenheimer Raritäten). -- S. 99]



Abb.: Amerikanische Indianer bezeugen einem katholischen Missionar ihre Hochachtung, in Europa aber herrscht Kulturkampf. -- In: Einsiedler Kalender 1875

[Bildquelle: Bilder aus Volkskalendern : Ill. d. 19. Jh. ; Bildquellen / hrsg. vom Schweizer. Museum für Volkskunde Basel. Katharina Eder ; Theo Gantner. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1987. -- 188 S. : überwiegend Ill. . -- (Rosenheimer Raritäten). -- S. 131]



Abb.: Unnötiges Mitleid: "Friede seiner Asche! — Asche? Mein Gott ist denn am End' der arme Teufel gar verbrannt? -- In: Eidgenössischer National-Kalender, 1878

[Quelle: Kalender-Geschichten / aus Volkskalendern der deutschen Schweiz ausgew. und hrsg. von Katharina Eder ; mit einem Vorw. von Hans Trümpy. -- Frauenfeld [etc.] : Huber, ©1982. Kollation 559 S. : Ill. ; 21 cm. -- S. 497.]


«Der Brudermord ist von der Bibel befohlen»

meinte der preußische Militärgeistliche, als ihm ein frommer Soldat seine Gewissensbedenken offenbarte. Dieser meinte nämlich, alle Menschen seien ja Brüder und es sei schon schrecklich, einen Menschen, der uns Leides getan, zu töten; nur gar schrecklich und frevelhaft müsse es aber sein, einen Bruder, der uns in seinem ganzen Leben nichts zu leide getan, ja vielleicht unser Freund oder Wohltäter gewesen sei, aufs Kommando totzuschießen. — «Liebster», entgegnete der Prediger, «lass dich Das nicht anfechten. Du hast doch in der Bibel die Stelle gelesen, da es heißt: «Und es begab sich, da sie im Felde waren, schlug Kain seinen Bruder Abel tot.» [Genesis 4,8] Du bist ja jetzt auch im Felde. Nun heißt es an einer andern Stelle der heiligen Schrift: «Gehe hin und tue desgleichen.» [Lukasevangelium 10, 37] Da siehst du, dass die Religion nicht nur erlaubt, sondern sogar gebietet, den Bruder im Felde tot zu schlagen.» — In Folge dieses Trostes schlug der Preuße «leichten Herzens» Hunderte von Franzosen tot.

In: David Bürklis Züricher Kalender. -- 1879

[Quelle: Kalendergeschichten : Erbauliches und Beschauliches, Trauriges und Schauriges, Gereimtes und Ungereimtes aus Jos. Lindinners Jährlichem Hauss-Rath und David Bürklis Züricher Kalender / durch- und ausgelesen von Walter Baumann. -- Zürich : Orell Füssli, 1975.  -- 141 S. : Ill. ; 22 cm. -- S. 95]



Abb.: Maiensegen. -- In: Grütlianer. -- 1895

Und fehlt auch der Pfaffensegen dabei
Die Ehe ist gültig nicht minder.
Es lebe der Bräutigam und die Braut
Und ihre künftigen Kinder!

[Bildquelle: Bilder aus Volkskalendern : Ill. d. 19. Jh. ; Bildquellen / hrsg. vom Schweizer. Museum für Volkskunde Basel. Katharina Eder ; Theo Gantner. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1987. -- 188 S. : überwiegend Ill. . -- (Rosenheimer Raritäten). -- S. 64]



Abb.: Wallfahrten einst — jetzt — und in Zukunft. -- In: Nidwaldner Kalender. -- 1899

[Bildquelle: Bilder aus Volkskalendern : Ill. d. 19. Jh. ; Bildquellen / hrsg. vom Schweizer. Museum für Volkskunde Basel. Katharina Eder ; Theo Gantner. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1987. -- 188 S. : überwiegend Ill. . -- (Rosenheimer Raritäten). -- S. 64]


10. Varia



Abb.: Zwei Papstfiguren werden in Pisa 1409 als Ketzersymbole verbrannt. -- Amtliche Berner Chronik. -- 1478



Abb.: Die Dominikanermönche in Bern brennen dem Laienbruder Hans Jetzer die Wundmale Christi ein. -- Luzerner Chronik, 1513

"JETZER (JETZERHANDEL). Um 1500 beschäftigte der Streit um die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Maria immer mehr die Öffentlichkeit ; die Franziskaner (Barfüßer) waren dafür, die Dominikaner (Prediger) dagegen. Rom vermied einen Entscheid. Das Volk neigte den Franziskanern zu. Nach Ostern 1506 fand zu Wimpfen am Neckar ein Provinzial-Kapitel der Prediger statt. Der Lesemeister des Berner Klosters gab nachmals auf der Folter an, man habe beschlossen, dem sinkenden Ansehen des Ordens durch ein Wunder aufzuhelfen, und dazu Bern wegen seiner Gutgläubigkeit gewählt. Der Wert dieser Aussage i st nicht zu kontrollieren.

Im Herbst 1506 wurde der Schneidergeselle Hans Jetzer von Zurzach ins Berner Predigerkloster als Novize aufgenommen, erst nach vielem Anhalten, da ihn sein Meister in Luzern wegen Diebstahl entlassen hatte. Schon zu Luzern hatte er einen Ruf für Verkleidungen und Nachahmung von Stimmen, litt er an Anfällen und Erscheinungen. Im Bern er Kloster wiederholten sie sich, wodurch die Mönche für die folgenden Darbietungen disponiert wurden. Er verlegte sie in seine verschlossene Zelle, wo er sich alle Vorteile wahrte. Die Mönche durften nur durch Bohrlöcher in der Wand zuschauen, so dass sie nie die ganze Zelle beobachten, nie Jetzer und die Erscheinung zusammen sehen konnten. Er wusste, was die Mönche hören wollten, und ging mit geschickter Steigerung der Wunder zu Werk, stets nachts. Er ließ zuerst einen verstorbenen Klostervorsteher, schließlich die Mutter Gottes erscheinen, die die dominikanische Ansicht von der Empfängnis bestätigte und ihm die 5 Wundmale Christi aufdrückte. Als Schneider konnte Jetzer sich selbst die Verkleidungen verschaffen. Bei anderem aber muss man Mithilfe annehmen. Die Kritik schließt aus Andeutungen des Prozesses, dass Jetzer sein unsittliches Leben fortsetzte, und dass sich seine Geliebte bei der damaligen Klosterfreiheit einschleichen konnte. Die Mönche waren überzeugt und entzückt von Wundern, wie sie nur den begnadetsten Stätten zuteil wurden. Es warnte sie nicht, dass Jetzer der Probe mit einem Brief mit spitzfindigen theologischen Fragen auswich, dass er nur von 5, statt von den 7 Herzeleiden Marias wusste. Stellte er doch bei Tage zur Bestätigung der nächtlichen Szenen die Leidensgeschichte Christi vor Mönchen und Laien in schlafwandelndem Zustand dar, der 7-9 Stunden dauern konnte. Das war nicht nur bloßes Schauspiel, sondern somnabuler Einfluss.

Das Aufsehen war allgemein. Die Erscheinungen dauerten schon vom Januar bis September 1507. Das Kloster rüstete zu einer Abordnung nach Rom. Am Abend vor der Abreise wurde in der Kirche Gottesdienst gelesen, als sich Maria mit Krone und weißem Kleid auf dem Lettner zeigte. Diesmal hatten die Mönche die ganze Erscheinung vor sich, erkannten Jetzer und entlarvten ihn. Ihr Verschulden war, dass sie diesen Vorfall vertuschen wollten. Umsonst, er wurde ruchbar. So groß vorher das Entzücken der Stadt, so groß war ihr Zorn, da sich von allen Seiten der Hohn regte. Der Rat übergab Jetzer dem ordentlichen Richter, dem Bischof von Lausanne. Hier begann am 8. x. 1507 der 1. Prozess. J. hatte neue Erscheinungen und bestätigte alle Wunder. Doch bald änderte er die Taktik, beschuldigte die Mönche und erklärte einen Teil der Wunder als ihr Werk. Nach Bern zurückgebracht, ließ er auf der Folter die letzten Wunder fahren ; die Mönche hätten ihn dazu mit Hilfe des Teufels missbraucht. Trotzdem diese die Beschuldigung entrüstet zurückwiesen, trotzdem Jetzer schlecht und widerspruchsvoll log, nahm die Stadt gegen sie Partei. Der Rat ließ die 4 Vorsteher, Prior Johannes Vatter, Lesemeister Dr. Stephan Bolzhurst, beide Süddeutsche, den Subprior Franz Ueltschi von Boltigen und den Schaffner Heinrich Steinegger von Lauperswil, verhaften. Auf sein Verlangen bestellte Papst Julius II. ein außerordentliches Gericht aus den Bischöfen von Sitten und Lausanne, Matthäus Schiner und Aymon von Montfaucon, und dem Provinzial der oberdeutschen Dominikanerprovinz, Peter Sieber, dessen Stellung im Gericht freilich durch das Breve vom 21. V. 1508 herabgedrückt wurde. Als Ankläger amteten Chorherr Löubli und Pfarrer Wymann, als Verteidiger Prokurator Heinzmann von Basel. Der 2. Prozess begann im Juli 1508 und richtete sich nur gegen die 4 Vorsteher. Jetzer trat als Hauptzeuge gegen sie auf. Die Anklage lautete auf Betrug im Bund mit dem Teufel. Das Verfahren wurde nach den Regeln des Ketzerprozesses unter Beiziehung des Hexenprozesses durchgeführt, formell korrekt, in Wirklichkeit willkürlich. Dem Verteidiger schnitt man das Wort ab, seine Anträge wurden verworfen, Entlastungszeugen nicht abgehört. Die Mönche erklärten sich für unschuldig ; ihre freien Aussagen deckten sich. Da beschloss das Gericht, trotz des Einspruchs des Provinzials, die Anwendung der Folter ; dieser trat aus dem Gericht zurück. Von der harten Haft, von Schiners Beredsamkeit erschüttert, brachen die Angeklagten auf der Folter zusammen und gaben zu, was Jetzer vorsagte, sogar unmögliche Dinge. Für das Gericht war im Nov. 1508 der Schuldbeweis erbracht. Der Rat leitete den Fall noch einmal nach Rom und bekam wieder gegen die Freunde des Ordens Recht. Der Papst ernannte den Bischof Achilles de Grassis als Kommissär. Unter seiner Leitung nahm der Gerichtshof den Prozess am 2. V. 1509 noch einmal vor. Jetzt erst erfolgte ein Augenschein im Kloster. Da sich die Angeklagten kaum noch wehrten, kam es rasch zur Bestätigung der früheren Ergebnisse. Am 23. Mai wurden sie schuldig erklärt und von de Grassis an der Kreuzgasse degradiert. Der Rat von Bern verurteilte sie zum Feuertode, den sie am 31. Mai im Schwellenmätteli erlitten. Der geistliche Gerichtshof erklärte Jetzer für einen verlumpten, falschen Mann und
verurteilte ihn zum Pranger und zu ewiger Verbannung. Der Rat ließ Jetzer entweichen. Er lebte zu Zurzach und starb dort um 1514."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 4. -- 1927. -- S. 403f.]


Abb.: Titelblatt von Johann Heinrich Heidegger <1633-1698 >: Tummulus Tridentini Concilii. --  Zürich: Gessner. -- 1690



Abb.: Anonym: Rechtens wegen ist das mein zur Ehre Gottes

[Bildquelle: Martin Disteli, 1802-1844 : ... und fluchend steht das Volk vor seinen Bildern / Lucien Leitess, Irma Noseda, Bernhard Wiebel.  -- Olten : Kunstmuseum, ©1977.  -- 119 S. : Ill. ; 30 cm.  -- S. 34]


Mit Belehrung vermischte Geschichte der Kinds-Mörderin M. H. von T., welche zu Aarau den 2. März 1779 mit dem Schwert ist hingerichtet worden. -- 1779

1. Ihr Christen kommt und tut anhören,
Wie Satan uns sucht zu betören;
Dass er uns bringen mög zu Fall:
Exempel hat man abermal.

2. Es ist wohl herzlich zu beklagen,
Dass man zu den heutigen Tagen,
Bei reichem Gnaden-Überfluss,
Von solchen Lastern hören muss.

3. Zu Aarau hat es sich begeben,
Mit einer jungen Dienstmagd eben
Im Neun und Siebenzigsten Jahr,
Es ist bekannt und offenbar.

4. Sie hatte sich lassen verführen,
Tat durch Unzucht ihr Ehr verlieren;
Wie es zwar leider viel geschieht,
Doch offenbar wirds vielmal nicht.

5. Die Schwangerschaft tät sich erzeigen,
Ob sie es gleich wollte verschweigen,
So kommt doch endlich die Zeit an,
Dass sie gebar, und hat kein Mann.

6. Als nun das Kind zur Welt gekommen,
Hat sie ihr alsbald fürgenommen,
Dass sie ein Mörderin wollt sein
Am unschuldigen Kindelein.

7. Das Tiger-Herz tät es nicht achten,
Sie macht ihr Kindlein zu verschmachten,
Versteckte es mit allem Fleiß,
Ein halbes Jahr dass niemand weiß.

8. Sie wollte nun auf Basel reisen,
Dann sie hat ein unruhig Gewissen;
Sie wollt nicht bleiben an dem Ort,
Wo sie begangen hat ein Mord.

9. Damit es ihr nicht möcht auskommen,
Hat sie den Leichnam mitgenommen,
Und als sie niemand wurd gewahr
Warf sie die Trucken in die Aar.

10. Kaum ist ein halbe Stund vergangen
Da wurd die Trucken aufgefangen,
Von Fischern zu Bieberstein
Und dem Amtsmann gegeben ein.

11. Er tät es gleich auf Aarau schicken,
So bald als man es tät erblicken,
So bald fallt ihnen plötzlich ein
Wer die Kindsmörderin mochte sein.

12. Da hat der Magistrat befohlen,
Man solle sie von Basel holen;
Darauf ward sie gleich eingesperrt,
Und auch gar scharf examiniert.

13. Zwölf Zeugen gegen ihr gestellet,
Welche sie eidlich han verfället,
Doch wollt sie es gestehen nicht,
Und leugnete vor dem Gericht.

14. Man tät sie an die Folter schlagen,
Doch wollt sie den Mord nicht aussagen;
Da tät man sie hart sperren ein
Dass sie ihr Lebtag da sollt sein.

15. Endlich hat sie sich doch ergeben
Alles bekennet frei und eben,
Bezeugte auch recht Reu und Leid
Und hat sich wohl zum Tod bereit.

16. Gott wöll uns doch Gnade geben,
Weil wir noch in der Freiheit leben;
Allhier in dieser bösen Welt
Zu tun was unserm Gott gefällt.

ENDE.

[Quelle: Bänkelsang : Texte - Bilder - Kommentare / hrsg. von Wolfgang Braungart. -- Stuttgart : Reclam, 1995. --  428 S. : Ill. ; 16 cm. -- Universal-Bibliothek ; Nr. 8041. -- ISBN 3-15-008041-X. -- S. 48ff.]



Abb.: Paulus Usteri (1768 - 1795) (?): Adel und Geistlichkeit im Würgegriff. -- Zürich. -- 1793

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 42]



Abb.: Gottfried Mind (1768 - 1814) (?): Sünd-Flut: Bern unter! Nur einer lacht. -- 1798

Erläuterung: Anlass ist die Besetzung der Stadt Bern am 1798-03-05 durch die französischen Truppen. Am Galgen (links) hängt der berner Münsterpfarrer David Müslin (1747 - 1821), der in seinen Predigten den Sturz der berner Republik vorhergesagt hatte.

[Quelle: Dettwiler, Walter <1960 - >: Von linken Teufeln und heuchlerischen Pfaffen : der Weg zur modernen Schweiz im Spiegel der Karikatur (1798-1848). -- Zürich : Der Schweizerische Beobachter, ©1998 Kollation 71 S. : Ill. -- S. 13]



Abb.: Balthasar Anton Dunker (1746 - 1807): La Divinité du Siecle = Die Gottheit des Jahrhunderts. -- Um 1798

Erläuterung: Reaktionäre Karikatur: Die Gottheit reitt mit ihren Füßen die Bibel und eine Weltkarte (d. i. die Weltordnung).

[Bildquelle: Zeichen der Freiheit : das Bild der Republik in der Kunst des 16. bis 20. Jahrhunderts : 21. Europäische Kunstausstellung unter dem Patronat des Europarates, Bernisches Historisches Museum, Kunstmuseum Bern, 1. Juni bis 15. September 1991 : [Katalog] / hrsg. von Dario Gamboni und Georg Germann ; unter Mitw. von François de Capitani. -- Bern : Stämpfli, 1991. -- XXIV, 789 S. : Ill. ; 23 cm. -- S. 683]



Abb.: Johann Jakob Schwarz (gest. 1811):
Bürger Pfarrer, ihr müsst ohn Habit und Kragen
Uns künftig die Wahrheit sagen. -- 1798

[Quelle: Dettwiler, Walter <1960 - >: Von linken Teufeln und heuchlerischen Pfaffen : der Weg zur modernen Schweiz im Spiegel der Karikatur (1798-1848). -- Zürich : Der Schweizerische Beobachter, ©1998 Kollation 71 S. : Ill. -- S. 15]



Abb.: Thunium Collegium Musicum (Katzenmusik mit Prädikanten-Dirigent). -- 1798

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 56]



Abb.: Ferracuti: Pater Paul Styger (mit Schwert und Pistole). -- 1802

Erläuterung: Der Kapuzinerpater Paul Styger (1764 - 1824) vom Kloster Stans (Unterwalden) gehörte zu jenen ca. 9000 Schweizern, die sich nach dem Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft in englische oder österreichische Dienste begaben, um gegen Frankreich zu kämpfen. Styger hat als einziger schweizer Söldner vom englischen Gesandten eine Tapferkeitsmedaille erhalten.

[Quelle: Zwischen Entsetzen und Frohlocken : vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798-1848 : ein Museum vermittelt Zeugen und Überreste dieser bewegten Zeit : [Ausstellung], Bernisches Historisches Museum, Bern, [23. April bis 19. Juli 1998] : [Ausstellungskatalog] / [Ausstellung und Katalog: Martin Illi, Quirinus Reichen] ; [Katalogred.: Karl Zimmermann, Käthy Bühler]. -- Bern : Bernisches Historisches Museum ; Zürich : Chronos-Verlag, ©1998. -- 220 S. : Ill. ; 32 cm. -- S. 74]



Abb.: Adam-Wolfgang Töpffer (1766 - 1847): Die Auswahl der Kinder von Sparta. -- Um 1818

Erläuterung:

Bezieht sich auf Artikel 10 der reaktionären Verfassung Genfs von 1814, nach dem die Wahlzettel u.a. durch den Ersten der jeweiligen Pastoren und Professoren ausgezählt wurden. Der Geistliche ist Pastor Choisy von der "Vénérable Compagnie ecclésiastique". Die Töpfe spielen auf die Redensarten "sourd comme un pot" = stocktaub und "payer les pots cassés" = für etwas den Kopf hinhalten müssen an

[Bildquelle: Zeichen der Freiheit : das Bild der Republik in der Kunst des 16. bis 20. Jahrhunderts : 21. Europäische Kunstausstellung unter dem Patronat des Europarates, Bernisches Historisches Museum, Kunstmuseum Bern, 1. Juni bis 15. September 1991 : [Katalog] / hrsg. von Dario Gamboni und Georg Germann ; unter Mitw. von François de Capitani. -- Bern : Stämpfli, 1991. -- XXIV, 789 S. : Ill. ; 23 cm. -- S. 690]



Abb.: "Sektiererpredigt" im Zürcher Oberland. -- 1823



Abb.: Keuschheit und Mäßigkeit im Kloster. -- Schweiz. -- o.J.

[Bildquelle: Henel, Hans Otto  <1888 - >: Thron und Altar ohne Schminke : vergessene Historien und Histörchen. -- Leipzig-Lindenau : Freidenker-Verlag, ©1926. -- S. 53]


David Hess (1770 - 1843): Der gesalbet Heer

Es ischt ämohl en Pfarer gsi
En guete feiße Ma;
Er ischt nid groß gsi, ehnder chli
Und häd es Büüchli gha
So rund als wie en Rychsprelat,
Doch ischt er gloffe, früeh und spat
Und häd sie nie kei Müeh lo reüe,
Daß au sis Heilwerch mög gedeye.

Am Suntig häd er, nid zum Schi
Bloß, wie en Heerehätzler gschraue;
By jedem Chind, wär's no so chli,
By alle Manne, alle Fraue
Stot uf der Gaß de Pfarer still,
Frogt jede won er ane will,
Gid jedem gueti Röt und Lehre
Und möcht die ganzi Wält bikehre.

Do god ämohl dä Ehrema
Am Samstig zobig spot spaziere,
Will no si Bredig istudiere,
Und trifft de Nochber Gschwornen a
(En Ma i sine beschte Jahre,
In jeder Arbet wohl erfahre),
Der Gülli uf sis Güetli treid
Und friindli gueten Obig seid.

«Gott grüetzi Hans! Wo wand ihr ane?
Was händ er i der Tause do?»
«S'ischt scharpfi Waar! Es theut mi mahne
Als sey de Chabis turschtig no;
Drum will i, s'ischt im guete Zeiche,
Dem Chabis jetzt go z'trinke reiche.»
«So rächt! Es häd en jeders Ding
Si Zit! Me mueß für alles sorge.

Acht kleine Dinge nicht gering.
Thue Guetes, lieber hütt als morge!
Ihr wänd do Chabisstöckli tränke,
Und ich, ich will no überdänke
Wie ich der Gnodesalbung voll
Mi Gmeind morn harangiere soll.
Do, gsend er, d'Bredig ischt scho gschribe,
Sunscht war i wol diheime blibe.»

So spröchlet öusre gueti Heer
Als wär er i der Chinderlehr,
Und lod, indeß mit Wohlgifalle
De Nochber lost, si Bredig falle.
«Herr je, mi Bredig!» rüeft er, buckt
Si müehsam uf de Bode nider
Und häd si scho bim Zipfel wider -
De Hans seid' «warted doch!» und juckt

Au no der Bredig; dankt im Bucke
Nid dra, was ihm de Buggel bschwärt
Und was de Pfarer chönnt verschlucke,
Er fahrt halt ifrig dri und lärt...
(I bitt i, nämeds doch nid übel!)
Sin ganze volle Güllechübel,
Als wär de Heer en Chabisstock,
Dem uf si Parüke, sin Huet und sin Rock!

«Nu hübschli!» - «Herr Jeger!
Putz Tunner und Wätter!»
So jomret de Gschworne! De Pfarer schreit Zättcr!
Er tropfet wie ne badeti Muus
Und gsed - i darfs nid säge wie - uus!
Das Ding ischt währli nid zum lache!
De Gschworne weiß nid wie er will
Dem nasse Heer Ägs sgüse mache.

Da aber seid: «Sind ihr nu still
Und thüends de Lüte nid erzähle.
Morn mag i säge was i will,
Jetzt cha's mer nid a Salbung fahle!»



Abb.: Hieronymus Hess (1799 - 1850): Ohne Titel. -- 1830

Erläuterung: Darstellung der pariser Julirevolution von 1830: ein Bürger und ein Handwerker nehmen Karl X. in die Klemme und drücken ihn von seiner Sitzbank. Karl X. versucht sich auf einen bereits am Boden liegenden Kapuziner zu stützen.

[Quelle: Dettwiler, Walter <1960 - >: Von linken Teufeln und heuchlerischen Pfaffen : der Weg zur modernen Schweiz im Spiegel der Karikatur (1798-1848). -- Zürich : Der Schweizerische Beobachter, ©1998 Kollation 71 S. : Ill. -- S. 37]


August Wilhelm Schlegel (1767-1845): Der neueste Religionskrieg. -- 1846

Wie lob' ich euch, handfeste Bauern,
Für eure Tat in Zürichs Mauern!
Ihr hört, dass Doktor Strauß1 gelehrt
Am Evangelium zu klauben,
Und kommt, mit Knüppeln stark bewehrt,
Zu streiten für den alten Glauben.
Zum Glücke schlägt der Strauß um Strauß
Zu keinen blut'gen Kriegen aus,
Weil seine Schutzherrn gleich verzagen,
Und niemand seine Haut will wagen.
Ihr fegt aus Kirche, Staat und Haus
Den alten Sauerteig hinaus.
Wer ferner aussinnt solche Flausen,
Den werdet ihr mit Kolben lausen2.

Erläuterungen

1 David Friedrich Strauß (siehe oben)

2 Zuerst lauteten die beiden letzten Verse:

Wer fernerhin sein Maul nicht zügelt,
Dem wird die Wahrheit eingeprügelt


Carl Spitteler: (1845 - 1924): Der Engel als Dienstmagd

I. Kapitel

Ein Hirt mit Namen Jakob
Sah nach dem Wetter aus,
Da schwebt ein Rosenwölklein
Grad über seinem Haus.

Und eine Leiter senkte
- Es war Sankt Jakobstag -
Sich zaudernd auf das Mättlein,
Das bei der Hütte lag.

Von Engeln ein Geschwader
- Wohl achtzig, wenn nicht mehr
Turnte daran herunter,
Flink wie die Feuerwehr.

Mit Ausgelassnen Spaßen
Durchschwärmten sie die Alp
Und machten nach Vermögen
Sich unnütz allenthalb.

Schmausten die Stachelbeeren,
Erschreckten Huhn und Gans,
Rissen den Bock am Barte,
Die Kühe an dem Schwanz.

Der Jakob, wild vor Ärger,
Flucht einen finstern Schwur,
Und eine Vogelfalle
Versteckt er in die Flur.

Und als am Dämmerabend
Heimflatterte die Schar
Und auch die Jakobsleiter
Spurlos verschwunden war,

Da zappelte, gefangen
Ein Engelbein am Pflock.
«Hah! hab ich dich! jetzt warte!»
Er riefs und schwang den Stock.

«Herr Bauer, liebster Bauer!»
Greinte die Gleisnerin,
«Lass mich ein bisschen leben,
Weil ich unsterblich bin.

Schlagt nicht! ich will gehorchen
- Befiehl, was dir behagt -,
Und dir getreulich dienen
In Haus und Stall als Magd.

Ich mach dir keine Kosten,
Ess weder Fleisch noch Brot,
Ein Schüsselchen voll Erdbeern
Mit Sahne tut's zur Not.

Sieh meine Locken leuchten,
Sie sparen dir das Licht.
Es gilt ja ums Versuchen,
Gewiss, es reut dich nicht.»

Der Hirt entließ den Stecken
Und kratzte sich im Haar.
«Das allerdings: versuchen,
Das kann man, das ist wahr.»

Doch stutzt er ihr die Flügel.
Er traute halt nicht recht,
Und wärens noch so Engel,
Dem weiblichen Geschlecht.

II. Kapitel

Bereits nach vierzehn Tagen
Merkte der Schlaue schon:
«'s ist kein so übler Handel:
Ein Engel ohne Lohn.

Das Ding ist flink und fleißig,
Ist säuberlich und nett,
Ich wüsste nicht, wahrhaftig,
Was ich zu klagen hätt.

Die Kühe milchen doppelt,
Der Kaffee schmeckt wie nie.
Was immer nur sie angreift,
Gerät, man weiß nicht wie.

Im Haus, in Stall und Scheuer
Geht's wie geschmiert darin,
Und Hosen kann sie flicken
Wie eine Königin.

Auch punkto Zucht und Sitte
Steht's recht in diesem Fach,
Sie lauft nicht jedem Burschen
Wie all die andern nach.

Ist ihre Arbeit richtig,
Nimmt sie das Bibelbuch,
Liest etwa ein Kapitel
Und betet einen Spruch.

Zwar geht ja wohl nicht alles
Durchaus nach meinem Sinn,
Im ganzen kann ich sagen,
Dass ich zufrieden bin.»

So sprach zu sich der Jakob,
Und jeden Abend lang
Setzt er sich vor die Haustür
Mit ihr zum Zwiegesang.

Der Jakob sang den Tiefton,
Der Engel den Sopran.
Und war ein Lied zu Ende,
So fing ein andres an.

Drob füllte sich mit Staunen
Ringsum das weite Tal,
Und nach dem Älplein horchten
Die Dörfler allzumal.

«Wer sitzt denn nur beim Jakob?
Und singt so hell und klar?
Die Sternlein selber könntens
Nicht lustiger fürwahr.»

III. Kapitel

« Du », sprach mit barscher Stimme,
Darinnen Gnade lag,
Der Jakob zu dem Engel
An einem Nachmittag:

«Hol morgen deinen Koffer
Und deinen Heimatschein.
Ich bin soweit zufrieden,
Zwar könnts noch besser sein.»

Fein lächelte die Falsche:
«Des bin ich gern bereit.
Doch wie gen Himmel kommen?
Da liegt die Schwierigkeit.»

Am andern morgen frühe
Setzten aufs Mättelein
Sich brüderlich die beiden.
Und schrieen im Verein:

« Sankt Jakob, deine Leiter!
Die Leiter gib herbei!»
Sankt Jakob rief: « Die Leiter
Ist dato heut nicht frei.

Doch wartet, eine Stange
Kommt nächstens allgemach.»
Sie wollte lang nicht kommen,
Dann kam sie nach und nach.

Der Hirt mit kräftgem Schwunge
Hisste den Engel auf.
Wie ein Marienkäfer
Lief sie daran hinauf.

«Hosianna!» sangs von oben.
War das ein Jubel! jeh!
Und fröhlich Spottgelächter
Grüßte herab: Adjeh!

Nach dreien Tagen meinte
Der Hirt verblüfft: «Ei nun,
Was hat denn die im Himmel
So schrecklich viel zu tun?

Mag sein das schlechte Wetter
Vielleicht, dass sie nicht kommt.
Weil jedenfalls der Regen
Den Federn nicht bekommt.»

Mit einem Barometer
Schlich täglich er umher.
Verschiednes kam vom Himmel,
Doch nie kein Engel mehr.

Erläuterung: Jakobsleiter: die Himmelsleiter, die nach Genesis 28,12 ff. der Stammvater Jakob im Traum erblickte. Sie verband die Erde mit dem Himmel, an ihrer Spitze stand Gott, und seine Engel stiegen auf ihr auf und nieder."



Abb.: L'Intrus = Der Eindringling / von Théophile Alexandre Steinlen <1859 - 1923>. -- 1902

Weitere Karikaturen von Steinlen in:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren VI: L'Assiette au Beurre (1901 - 1912)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen6.htm. -- Zugriff am 2004-06-07


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren X: Der wahre Jacob (1877 - 1933)

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