Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren X:

Der wahre Jacob (1877 - 1933)


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren X: Der wahre Jacob (1877 - 1933) /  kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2010-05-22. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen10.htm  

Erstmals publiziert: 2004-04-22

Überarbeitungen: 2010-06-22 [Ergänzungen]; 2005-04-25 [Ergänzungen]; 2005-02-07 [Ergänzungen]; 2004-10-26 [Ergänzungen]; 2004-07-02 [Ergänzungen];  2004-06-07 [Ergänzungen]; 2004-04-27 [zahlreiche Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Logo®

Der wahre Jakob : illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung. -- Berlin : Dietz   1877 - 1883; [N.S.] [1.]1884 - 40.1923 = Nr. 1-971; 48.1927,1(9.Juli) - 54.1933,10


""Der wahre Jacob" erschien von 1879 bis 1933 und bekämpfte Junkertum, Bourgeoisie, Militär und Kirche.

An der Nase herumgeführt "und ausgelacht noch obendrein" wurde die Polizei, als das staatliche Damoklesschwert des Sozialistengesetzes über der noch jungen Arbeiterbewegung schwebte. In Hamburg erschienen die ersten zehn Nummern des "wahren Jacob". Er wurde im Verlauf der Jahre zur bekanntesten humoristisch-satirischen Publikation in Deutschland und begleitete seit 1879 die Sozialdemokratie auf ihrem Wege vom Sozialistengesetz bis zur Machtergreifung durch den Nationalsozialismus.

Ironie, Satire und eine spitze Feder waren die Kampfmittel gegen Herrschaft und Unterdrückung. "Der wahre Jacob" erlangte hierdurch schnell Popularität. Seine ursprüngliche Auflage von 100.000 erreichte 1914 rund 336.000 Exemplare und übertraf damit seine Konkurrenzblätter "Simplicissimus" oder "Kladderadatsch"."

[Quelle: http://www.dietz-verlag.de/menue/0219.htm. -- Zugriff am 2004-04-21]



Abb.: Wolf, Rudolf: Rache ist süß. -- In: Der wahre Jacob.

"Geben Sie mir den "Wahren Jacob!"
"Bedaure, den kenne ich leider noch gar nicht."
"Das ist Ihr Glück, sonst hätte ich mir mein Löschblatt anderswo gekauft."

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- Vorsatzblatt]


1879



Abb.: Bismarck ohne Maske. -- In: Der wahre Jacob. -- 1879.


1884



Abb.: Zur Uniformierung der Reichstagsmitglieder erlaubt sich der "Wahre Jacob" ganz ergebenst obige Kostüme vorzuschlagen <Ausschnitt>. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 6, 1884



Abb.: Das Recht auf Arbeit nach der Auffassung des Herrn Pfarrers. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 8, 1884


DIE BANNBULLE WIDER DIE CHOLERA

"Bacilla, süße Bacilla mein,
Was lässt du das Köpfchen hangen?
O sag, mein Schatz, was macht dir Pein?
Was mag dein Gemüt bedrängen?"

"O edler Bacillus, wert und lieb,
Hast du denn nicht gelesen,
Was der Papst in der neusten Enzyklika schrieb
An seine Diözesen?

Der Rosenkranz soll bringen uns um!
Nun rückt eine mächtige Schar aus
Und macht uns lahm und betet uns krumm
Und macht uns Bazillen den Garaus.

Wir kriegen wohl selbst gar die Cholera,
Sie wird uns angebetet,
Und der gleiche Tod ist vielleicht uns nah,
Womit wir die Menschen getötet."

Bacillus aber lacht und spricht:
"Mein Kind, wie du doch naiv bist!
Bei Dr. Koch! ich vermute nicht,
Dass du im Urteil so schlicht bist.

Wer unser Geschlecht zu bewältigen traut
Mit einem Rosenkranze,
Fürwahr! der segelt gegen den Wind
Und zäumt den Gaul auf dem Schwanze.

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 10, 1884. -- S. 75

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- S. 8]


1885



Abb.: Zeitbild: Stöcker1: "Hier stehe ich und kann nicht anders."2

Erläuterung:

1 Stöcker

"STOECKER, Adolf, evangelischer Theologe und Sozialreformer, * 11.12. 1835 Halberstadt, + 7.2. 1909 Gries b. Bozen, Grab: Friedhof der Dreifaltigkeitskirche, Berlin.-

Der Sohn eines gelernten Schmiedes und Wachtmeisters bei den Halberstadter Kürassieren studierte seit 1853 zunächst in Halle, dann in Berlin Theologie. Noch vor seinem ersten theologischen Examen 1858 nahm St. eine Hauslehrerstelle in der Neumark an; nach dem zweiten Examen arbeitete er in gleicher Tätigkeit seit 1859 für drei Jahre nahe Riga bei dem Grafen Lambsdorff. Dem Oberlehrerexamen 1862 schloss sich eine dreivierteljährige Bildungsreise nach Süddeutschland, die Schweiz und Italien an. Seit 1863 Pfarrer im ländlichen Seggerde (Altmark) übernahm St. 1866 eine Pfarrstelle in der Industriegemeinde Hamersleben (Magdeburger Börde), die er nach heftigen Auseinandersetzungen (Mischehenstreit) 1871 verließ.

Der seit 1867 mit Anna Krüger, der Tochter eines Brandenburger Kommerzienrates verheiratete (die Ehe blieb kinderlos) St. wurde aufgrund patriotischer Artikel in der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung, für die er seit 1863 Beiträge lieferte, 1871 als Divisionspfarrer in das lothringische Metz berufen. Sein Engagement beim Aufbau der deutschen evangelischen Gemeinde trug nicht unmaßgeblich dazu bei, dass er 1874 die Stelle des vierten (1880: 3., 1883: 2.) Hof- und Dompredigers in Berlin erhielt.

Von Beginn an volksmissionarisch tätig, übernahm St. 1877 die Leitung der 1874 gegründeten Berliner Stadtmission und initiierte im selben Jahr zusammen mit dem Nationalökonomen Adolph Wagner und dem Pfarrer Rudolf Todt den programmatischen Central-Verein für Socialreform auf religiöser und konstitutionell-monarchischer Grundlage. Als politische Plattform seiner christlich-sozialreformerischen, anti-sozialdemokratischen Weltanschauung rief St. am 3.1. 1878 in der sogenannten Eiskeller-Versammlung zur Gründung einer Christlich-sozialen Arbeiterpartei (st. 1881 Christlich-soziale Partei) auf, die jedoch bei den Reichstagswahlen im Juli 1878 chancenlos blieb. Trotz der Gegnerschaft Bismarcks setzte St. seine politische Tätigkeit fort, wandte sich nun aber verstärkt einer konservativ-mittelständischen Politik und dem Kleinbürgertum zu »als der sozialen Basis für seinen Kampf gegen sozialrevolutionären Umsturz und dem Abfall vom christlichen Glauben« (K.E. Pollmann).

Seit 1879 ist St.s politisches Wirken von einer konsequenten antisemitischen Agitation durchdrungen, die ihren Ursprung in St.s Kampf gegen Liberalismus, Kapitalismus und Sozialismus hat. Obgleich er sich vom Rassenantisemitismus distanzierte, ist seine Agitationssprache nicht frei von rassistisch-antisemitischen Diffamierungen, und St. scheute auch nicht die Kontakte und politischen Bündnisse mit dem Parteiantisemitismus und der Antisemitenliga. Insbesondere trug St. maßgeblich zur Verbreitung des Antisemitismus im Protestantismus und der evangelischen Kirche bei.

Als Mitglied des Preußischen Landtages (1879-1898) und der konservativen Fraktion des Reichstages (1881-1893, 1898-1908) verfocht St. eine sozialkonservative Reformpolitik mit den nicht erreichten Zielen der »politischen Rückgewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter für die Monarchie, die Evangelisierung des ganzen Volkes in allen Ständen und dem Aufbau der Kirche als sozialaktiver Volkskirche« (G. Brakelmann).

Nachdem St. 1890 unter widrigen, z.T. selbstverschuldeten Umständen sein Hofpredigeramt niedergelegt hatte, widmete er sich verstärkt seinem politischen Reichstagsmandat, zudem entwickelte er als Prediger und Volksmissionar eine enorme Wirkung.

Nach der 1890 zusammen mit A. v. Harnack, F. Naumann, E. Troeltsch, O. Baumgarten und M. Rade erfolgten Gründung des Evangelisch-sozialen Kongresses, aus dem er nach Auseinandersetzungen mit der liberalen Mehrheit 1896 austrat, schuf St. als konservatives Konkurrenzunternehmen 1897 die Freie Kirchlich-soziale Konferenz.

Obgleich sein Wirkungskreis seit 1896 zunehmende Einschränkungen erfahren hatte, trug St. trotz seines sozialpolitischen Wirkens aufgrund seiner antisemitischen und antimodernistischen Weltanschauung entscheidend zu der »verhängnisvollen Polarisierung der deutschen Gesellschaft vor und nach dem Ersten Weltkrieg« bei (G. Brakelmann)."

[Quelle: Uwe Puschner. -- http://www.bautz.de/bbkl/s/s4/stoecker_a.shtml. -- Zugriff am 2004-04-16]

2 Martin Luther zugeschriebener Ausspruch.


1887


SCHWARZE VÖGEL

Wenn weiß die Fluren schimmern
 in ihrem Winterkleid,
dann kommen mit Ächzen und Krächzen
die Raben von weit und breit.

Wo diese Schwarzen kreisen —
mein Freundchen, riechst du was? —,
da ist gewiss zu finden
nicht weit davon ein Aas!

Die Klöster sind wieder offen,
hell läuten die Glocken drein,
es ziehen in schwarzen Kutten
die Mönche wieder ein.

Wo diese Schwarzen wandeln,
ist Holland gewiss in Not,
da liegt gewiss, mein Freundchen,
die Freiheit mausetot.

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 48, 1887

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 54]


1888


Neues Bänkelsängerlied

Melodie: In der großen Seestadt Leipzig

Leute, höret die Geschichte,
die passiert ist in Berlin,
wo gottlob Zensurgerichte
noch in stiller Größe blühn.

Ganz besonders im Theater
kannst du finden ihre Spur,
denn dort sorgt gleich einem Vater
unsre herrliche Zensur.

Und auf allen seinen Schlichen
wird dem Bösen nachgespürt,
was da schlecht, wird ausgestrichen
oder gar nicht aufgeführt!

War da jüngst ein Diener Gottes,
mit dem Namen Trümpelmann,
der den Geifer seines Spottes
nicht für sich behalten kann.

Schrieb ein Festspiel über Luthern,
statt ein frommes Predigtbuch,
tat drin gegen Roma futern
und den Papst - das sagt genug.

Auch auf Tetzeln tat er schimpfen
wegen seinem Ablasskram,
tat die Nase freudig rümpfen,
weil man einst sein Geld ihm nahm.

Doch das ist noch nicht das Schlimmste,
hochverehrtes Publikum!
Spitz die Ohren, jetzt vernimmste,
was mich macht vor Schrecken stumm.

Denk dir nur: Zu Luthers Tagen
hat ein B e b e 1 schon gelebt,
der mit innigem Behagen
nach Humanität gestrebt.

Zwar hieß dieser Bebel H e i n r i c h ,
doch das ist wohl sonnenklar,
und es ist auch höchstwahrscheinlich,
dass er schlecht wie A u g u s t war.

Diesen Bebel auf die Bühne
wollte bringen Trümpelmann.
Wie ein Mensch nur solches kühne
Wagnis unternehmen kann.

Ach, was konnte nicht passieren,
wär der Name durchgerutscht!
Rote konnten applaudieren
oder hätten gar geputscht!

Publikum, o sei nicht bange:
die Zensur tat eine Tat -
aus dem B e b e 1 ward ein Lange:,
und gerettet war der Staat!

Und wen dies Ereignis wundert,
hat gelebt, doch nicht gedacht,
denn im neunzehnten Jahrhundert
hat man's herrlich weil gebracht.

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 55, 1888

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 28 - 32]

Erläuterungen:

"BEBEL, Heinrich,

Humanist, * 1472 als Sohn eines Bauern in Ingstetten bei Justingen auf der Schwäbischen Alb, † 1518 in Tübingen. - B. besuchte die Schule in Schelklingen bei Ulm und studierte in Krakau und Basel. Seit 1497 war er in Tübingen Professor für Beredsamkeit und Dichtkunst. Maximilian I. krönte ihn 1501 in Innsbruck mit dem Dichterlorbeer. B. war mit Johannes Reuchlin und Desiderius Erasmus von Rotterdam befreundet und stand auch mit Konrad Peutinger, Jakob Wimpfeling und anderen hervorragenden Humanisten in naher Beziehung. Zu seinen Schülern zählten u. a. Philipp Melanchthon und Johann Eck. B. galt als der gelehrtester Latinist seiner Zeit. Durch seine Lehrbücher und Kommentare hat er sich um die Erneuerung und Förderung des Studiums der lateinischen Sprache und Literatur verdient gemacht und durch seine zahlreichen Schüler, die an den Lateinschulen lehrten, der humanistischen Umgestaltung des Schulwesens den Weg bereitet. Seine umfangreichste Dichtung »Triumphus Veneris« ist eine Satire auf die zunehmende Sittenverderbnis aller Stände seiner Zeit. Auf Wanderungen und in Kneipen sammelte B. Schwänke, die er in ein elegantes Latein übersetzte und als »Facetiae« herausgab. Diese teilweise schmutzige Anekdotensammlung enthält die schärfsten Angriffe auf den Klerus und die Kirche. Beide genannten Werke sind für den Reformationshistoriker und als Quelle für die Kultur- und Sittengeschichte jener Zeit wertvoll. Von B.s Werken sei auch eine Sammlung von 600 deutschen Sprichwörtern erwähnt. "

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/b/bebel_h.shtml. -- Zugriff am 2004-06-07] 

"(Ferdinand) August Bebel

Geboren am 22.2.1840 in Deutz bei Köln; gestorben am 13.8.1913 in Passugg bei Chur.

Der Sohn eines Unteroffiziers begann nach dem Besuch der Volksschule eine Drechslerlehre. Seine Wanderjahre als Geselle führten ihn 1860 nach Leipzig, wo er eine eigene Werkstatt eröffnete. 1876 übernahm er mit einem Teilhaber eine kleine Fabrik, veräußerte die Anteile aber wieder im Jahre 1884, nachdem er während der Sozialistenverfolgung aus Leipzig ausgewiesen worden war. Ab 1890 lebte er als Politiker und Schriftsteller in Berlin, seit 1897 zeitweise in seiner Villa in Zürich.

Seit der Gründung 1861 war er Mitglied im Leipziger »Gewerblichen Bildungsverein«, 1865-72 Vorsitzender der Nachfolgeorganisation »Arbeiterbildungsverein«. 1867 wurde er Präsident des »Verbandes deutscher Arbeitervereine«, im gleichen Jahr Reichstagsabgeordneter der 1866 gegründeten »Sächsischen Volkspartei«, einer dezentral und demokratisch organisierten Partei mit antipreußischer Zielrichtung, die sich auch gegen den zentralistischen »Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein« Ferdinand Lassalles richtete. Unter zunehmendem Einfluss von Marx und Engels schloss er 1869 mit seinem Freund Wilhelm Liebknecht (dem Vater von Karl Liebknecht) den »Arbeiterbildungsverein« und die »Sächsische Volkspartei« zur »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« zusammen. Seit ihrer Vereinigung mit der Partei Lassalles zur »Sozialistischen Arbeiterpartei« 1875 in Gotha wurde Bebel zur vermittelnden Zentralfigur der deutschen Sozialdemokratie. Er bewahrte den Zusammenhalt der Partei unter den Bedingungen der Sozialistengesetze (1878-1890) und der internen Richtungskämpfe und blieb bis zu seinem Tod ihr unbestrittener Führer. "

[Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/autoren/bebel.htm. -- Zugriff am 2004-06-07]

TRÜMPELMANN, August Christian Friedrich Ernst Heinrich,

* 9.9. 1837 in Ilsenburg, + 28.3. 1915 in Magdeburg. Sein Vater August war Modelleur in den gräflich-stolbergischen Eisenwerken Ilsenburg und Musikmeister. Nach dem Besuch des Lyceums Wernigerode und der Landesschule Pforta studierte er von 1857-1860 in Halle Theologie und Philosophie. Am 19.6. 1862 legte er in Halle die erste theologische Prüfung ab und am 7.3. 1865 die zweite in Magdeburg. In der Zwischenzeit war er 1860 Pfarrvikar an der deutsch-evangelischen Gemeinde in Lyon, wohin er auf Tholucks Empfehlung vom Konsistorium in Paris, das in Straßburg seine Oberbehörde hatte, berufen worden war. Von 1862-1864 hatte er die Hauslehrerstelle bei Senator Hayn in Hamburg inne und war ab Michaelis 1864 Hilfslehrer am Gymnasium Wernigerode. Ab 29.9. 1865 ist er Pfarrer in Friedrichswerth (Gotha) und seit 1875 Pfarrer und Superintendent in Uelleben (Gotha). Im Jahr 1881 wird er Oberpfarrer und Superintendent in Torgau und 1892 dann 1. Pfarrer von St. Johannis in Magdeburg und Superintendent von Magdeburg. In allen Tätigkeitsbereichen war er offensichtlich auf verschiedene Weise parochial und volksbildnerisch tätig, was die Veröffentlichungen bekunden. Am 1.4. 1912 tritt er in den Ruhestand. In der Zeit seiner Pfarrtätigkeit in Friedrichswerth heiratete er am 7.7. 1870 Helene Leontine Nippold in Ufhoven bei Langensalza. Aus der Ehe gingen zwei Söhne, Max und Arno, hervor. Selber erhielt er als Auszeichnungen: 1896 Roter Adlerorden IV. Klasse, 1907 Kronenorden III. Klasse und 1912 Roter Adlerorden III. Klasse.

Werke: u.a. Luther und seine Zeit, Gotha 1869; 5. Aufl. 1899; Die an meinem Volksschauspiel »Luther und seine Zeit« geübte Censur, Barmen 1889"

[Quelle: Karl Mühlek. -- http://www.bautz.de/bbkl/t/truempelmann_a.shtml. -- Zugriff am 2004-06-07]



Abb.: Die neue Majorität. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 63, 1888

Wohl hat sie recht, die alte Norne,
Zu warnen uns vor diesem Bund,
Der zu des Kanzlers1 Schreck und Zorne
Schon spukt in nächt'ger Geisterstund'.

Er, der die Junker groß gezüchtet,
Der Windhorst2 populär gemacht,
Nun sieht er, was er angerichtet,
Denn die Gefahr kommt über Nacht.

Gelüste nach den Ketzerfeuern,
Der Knute und der Hörigkkeit,
Das hielte neben Zoll und Steuern
Der neue schwarze Bund bereit.

Beachte drum, du deutscher Michel
Die Warnung, welche zu dir drang.
Die Reaktion, sie wetzt die Säbel
Zu ihrem letzten Schnittergang.

Erläuterung: Richtet sich gegen ein Bündnis von Konservativen (Junkern) und katholisch-klerikaler Zentrumspartei

1 Kanzlers = Graf Otto von Bismarck, Reichskanzler von 1871 bis 1890

2 Ludwig Windthorst (1812 bis 1891), katholischer Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker


Die schwarzen Brüder

Zu der Katastrophe in Ostafrika

Man wollte nach Afrikas Osten
Verpflanzen deutsche Kultur,
Man dachte nicht an die Kosten,
Man dachte der Schätze nur,
Die massenhaft aufgespeichert
Im südlichen Sonnenland,
Man hätte gerne bereichert
Daran sich mit gieriger Hand.

Doch anders bestimmten die Parzen;
Nun hat man erst wohl entdeckt,
Wie wenig dorten die Schwarzen
Noch von der Kultur beleckt,
Wie oft auch von dorten gekommen
Gar wundersame Mär
Durch manch wohlbezahlten und frommen
Und eifrigen Missionär.

Jaja, die schwarzen Brüder,
Die werden uns recht fatal;
Man sang umsonst ihnen Lieder
Christlich und deutschnational.
Sie wollten für andre nicht schwitzen,
Die Last deucht' ihnen enorm;
Sie trugen nicht gern in der Hitzen
Die preußische Uniform.

Sie haben kein Staatsrecht studieret,
Sind nicht von politischem Schliff,,
Doch, wenn auch nicht kultivieret,
Sind sie doch von klarem Begriff.
Das Land, das sie immer besessen,
Dess' Frucht haben sie mit Verstand
Sich selber auch zugemessen
Und haben's ihr Eigen genannt.

Da kam, um sie schwer zu kränken,
Von Sansibar der Despot,
Der wollt' ihr Land so verschenken
Durch einfaches Machtgebot.
Das haben sie nicht gelitten,
Das Land war nicht sein Gut;
Sie haben wild drum gestritten,
Geflossen ist deutsches Blut.

Ermordet sind deutsche Söhne!
Kolonialphilister verstockt —
Ihr habt wieder eine schöne
Supp' uns da eingebrockt!
Nun weint ihr wie Krokodile,
Die ihr einheimsen gewollt;
Bezwingt lieber eure Gefühle
Und seid nicht so gierig nach Gold!

Die Sach' ist zu ernst zum Spotte,
Doch liegt die Verführung nah:
Nun wollt ihr, dass eine Flotte
Bald segelt nach Ostafrika;
Die soll dort die schwarzen Brüder
Beschießen mit ihrem Geschütz,
Und wir sollen's zahlen wieder -
Das ist stets der alte Witz!

In: Der wahre Jacob 1888, S. 481

Erläuterung: 1887-03-29 erhält die von Carl Peters gegründete Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft einen Schutzbrief des Deutschen Reichs und bekommt vom Sultan von Sansibar einen Teil der Küste zur Verwaltung übertragen. Die Durchsetzung des damit gewährten Rechts auf Zollerhebung führt ab 1888-08-17 zum Widerstand der Bevölkerung. Der Aufstand wird mit massivem militärischen Einsatz 1890-05 niedergeschlagen

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 17f.] 


1889



Abb.: Sieg der Wissenschaft: Giordano Bruno: wurde im Jahr 1600 in Rom wegen Ketzerei auf öffentlichem Platze verbrannt — und im Jahre 1889 errichtete ihm das italienische Volk in derselben Stadt ein Denkmal. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 77, 1889

"Bruno, Giordano, geb. 1548 in Nola (Campanien), lernte in Neapel Logik und Dialektik, wurde 1563 Mönch, beschäftigte sich als solcher mit den Schriften antiker und mittelalterlicher Philosophen, aber auch mit der Lehre des Kopernikus, Nicolaus von Cusa, Cardanus, Telesius u. a. Er mußte wegen seiner freien Anschauungen das Kloster verlassen, ging 1576 nach Genua, dann nach Venedig, Mailand u. a. Städten, lebte eine Zeitlang in Genf, Toulouse seit 1579 in Paris als Lehrer an der Sorbonne und als Dichter (Drama »Il candelajo«) und mit der »Lull'schen Kunst« beschäftigt. 1583 ging B. nach London, weitere Schriften ausarbeitend. 1584 schrieb er die Satire »Spaccio della bestia trionfante« (Austreibung der menschlichen Gemeinheit), dann die »Cabala del cavallo Pegaseo con l'aggiunta del' asino Cillenico« (Ränke des Pegaseischen Rosses) sowie die halb poetische, halb Prosa-Schrift »Degli eroici furori« (Über die heroische Raserei, d.h. den Enthusiasmus für das göttliche Unendliche, für das der Philosoph in Liebe und Bewunderung erglüht). Die Schrift »La cena delle ceneri« (Aschermittwochsmahl) enthält Gespräche über die Weltanschauung des Nicol. Cusanus. Von England ging B. über Wittenberg, Prag, Helmstedt, wo er Vorlesungen hielt, nach Venedig, wo er am 23. Mai 1592 infolge der Denunziation eines Edelmannes, Mocenigo, von der Inquisitionsbehörde verhaftet wurde. Vor allem verübelte man ihm seine heliozentrische Weltauffassung. Er wurde 1593 nach Rom gebracht, sieben Jahre im Kerker gehalten, 1600 zum Tode verurteilt und am 17. Februar auf dem Campofiore in Rom als Ketzer verbrannt, ohne widerrufen zu haben. Im 19. Jahrh. wurde ihm eine Statue in Neapel, dann auch in Rom errichtet. Im Jahre 1900 wurde der dreihundertste Todestag B.s glänzend gefeiert, und es erschienen viele Publikationen über ihn. In Deutschland wurde sogar ein »Giordano Bruno- Bund« (mit Flugschriften) gegründet (Kuhlenbeck u. a.)."

[Quelle: Eisler, Rudolf <1873-1926>: Philosophen-Lexikon : Leben, Werke und Lehren der Denker. -- Berlin : Mittler, 1912. -- 889 S. -- S. 79.]


Stimme aus dem Elysium

Der Scheiterhaufen tötet nicht. Denn da mich die römischen Priester schier drei Jahrhunderte nach meinem angeblichen Tode immer noch verfolgen, so muss ich selber glauben, dass ich noch lebendig bin.

Giordano Bruno

In: der wahre Jacob. -- 1889, S. 670

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 12]


"Nach dem Heiligenschein streben am meisten die Scheinheiligen."

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 80, 1889

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 55]



Abb.: Galantara, Gabriele (Rata Langa) <1865 bis1937>: Einst und jetzt. -- In: Der wahre Jacob. -- 1889

"Ein Unsterblicher kam nach 1900 Jahren wieder auf die Welt, um die Wirkungen seiner Lehre zu erforschen.

Die Polizei verhaftete ihn wegen Legitimationslosigkeit und Störung des allgemeinen Friedens.

Als er sah, wie es auf der Erde zuging, begann er dem Volke aufs Neue das Evangelium zu predigen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit.

Unter Aufwendung einer starken Staatsgewalt bringen sie den gefährlichen Mann ins Gefängnis.

Vor die Richter geführt, nennt er seinen wahren Namen, worauf er wegen groben Unfugs und staatsgefährlicher Umtriebe zu einer jahrelangen Gefängnisstrafe verurteilt wird.

Im Gefämngnis kommt er zu der Überzeugung, dass sich nach Verlauf von 1900 Jahren in der Welt nichts geändert hat."

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 74.]


1890



Abb.: Die große Parade. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 95, 1890

Der Bauer mit dem Hetzkaplan gepaart,
So steht die schwarze Gardee dicht geschaart.
Der Feldherr salutiert — nun gibt's gewiss
Im Reiche bald ägypt'sche Finsternis!:

Erläuterung: Auf dem Pferde reitet der katholische Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst (1812 bis 1891)



Abb.: Windthorst bei den Sozialdemokraten. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 101, 1890

Guten Morgen, ihr armen verlorenen Seelen,
Ich muss ein wenig mit euch krakeelen.
Dieweil ihr vergessen habt Kirche und Bibel
Und glaubt nicht, dass der Papst infallibel1.

Ihr wär't sonst nicht übel, ihr Sozialisten,
Wäret ihr nur gute katholische Christen.
Drum komm ich, Singer2, Vollmar3 und Bebel4,
Als Missionar zu euch mit Flinte und Säbel.

Bekehret euch von Marx und Lasalle5,
Sonst packt euch der Teufel mit seiner Kralle.
Das Fegfeuer ist noch schlimmer und ärger
Als das Sozialistengesetz, o Grillenberger6.

Die Kirche besiegt die soziale Not
Und schafft allen Menschen Braten und Brot.
Nach Spanien und nach dem Kirchenstaat schaut,
So ihr meinen Worten nicht traut.

Bekehrt euch, dann werdet ihr absolviert
Und Liebknecht7 vielleicht noch kanonisiert.
Ich biet euch an den apostolischen Segen,
Jedoch nicht ohne Flinte und Degen.

Erläuterung:

1 infallibel = unfehlbar

2 Paul Singer (1844 - 1911): Mitbegründer des "Demokratischen Arbeitervereins".

3 Georg von Vollmar (1850 - 1922) erster Landesvorsitzender der bayerischen Sozialdemokratie (1892 - 1918)

4 August Bebel (1840 - 1913): Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei

5 Ferdinand Lasalle (1825-1864): Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins

6 Karl Grillenberger (1848–1897): sozialdemokratischer Reichstagsabgfeordneter

7 Wilhelm Liebknecht (1826 - 1900): Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei


1892



Abb.: Der Sozialdemokrat kommt!!!. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 162, 1892. -- S. 1364

Die Sturmglock' heult, der Pfarrer ruft
Und rings im Land ist schwül die Luft:
"So rett' sich, wer sich retten kann,
Der böse Geist will Opfer ha'n!"

Doch seit dem ersten Sündenfall
Plagt sich der Mensch mit seiner Qual;
So herrscht die Unzufriedenheit
In Stadt und Land auf Erden weit.

Wie schlecht es geht dem Bauersmann,
Zeigt ihm der rote Hans jetzt an —
Das ganze Dorf ihm Beifall spendet,
Der Tag mit frohem Feste endet.

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- Abb. 1]


1895


UMSTURZGESETZ UND DENKFREIHEIT

Wer vor der Kirche Allmacht nicht
Acosta gleich zu Kreuze kroch,
wer einem Dogma widerspricht,
der kommt ins Loch.

Wer dünkelhaften Wissens voll,
wer auf Naturgesetze pocht,
wenn er an Wunder glauben soll,
wird eingelocht.

Und wer des Denkens Freiheit  nicht
geknebelt spannt ins Rückschrittsjoch,
auch den erreicht das Strafgericht,
er kommt ins Loch.

Wer gleich dem Galilei heut
behauptet: „Sie bewegt sich doch!"
 und ruchlos sich der Einsicht freut,
spaziert ins Loch.

Wer wie Kolumbus unerschreckt
 für seine Überzeugung focht,
bis er die Neue Welt entdeckt,
wird eingelocht.

Wer nicht mit allen Fasern klebt
im Mittelalter heute noch,
aus Knechtschaft nach Erlösung strebt,
der kommt ins Loch.

Wer mit erfinderischer Kraft
ans Tiegeln und Retorten kocht
das Neue, welches Segen schafft,
wird eingelocht.

Und wer hinaus zur frischen Luft
 des Wissens drängte, wenn er roch
 des Aberglaubens Moderduft,
 der muss ins Loch.

Wer jemals mit dem Lorbeerkranz
der großen Geister Stirn umflocht,
statt zu verdunkeln ihren Glanz,
der kommt ins Loch, wird eingelocht!

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 229, 1895

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 76ff.]


1896


BIBELWORTE

"Seht die Lilien auf dem Feld!"
keine Arbeit tun sie,
aber gegen Sorgen sind
immerdar immun sie.

Auch der Herr Kommerzienrat
gleichet ganz der Lilie,
schaffet nichts, doch sorgenlos
lebt er mit Familie.

Und so hat die Obrigkeit
Lilien nie verboten,
und der Herr Kommerzienrat
zählt nicht zu den Roten.

*

„Liebet eure Feinde!"
spricht eine Bibelstelle.
Eigentlich auch soll man nicht
morden im Duelle.

Doch nicht für die Großen
ist dieses Wort geschrieben;
nur der Arme soll als Christ
seine Feinde lieben.

*

„Wuchre stets mit deinem Pfund",
nötgenfalls verletze,
was zum Arbeitsschutz tun kund
die Sozialgesetze.

Wuchre stets mit deinem Pfund,
 du Betriebsdirektor,
denn es hält zumeist den Mund
der Fabrikinspektor.

*

„Stell untern Scheffel nicht dein Licht",
Redakteur der Zeitung.
Aber, aber - tadle nicht
unsres Staates Leitung.

Lass auf keinen Übelstand
deine Leuchte blitzen,
hinter einer Kerkerwand
wirst du bald sonst sitzen

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 256, 1896

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 69ff.]


1897


NOCH EINS!

Beim Leibe des Brots und beim Blute des Weins!
Merkt auf, ihr Herren im Frack!
Ihr hohen Herrn! denn ich pfeif euch noch Eins,
Noch Eins auf dem Dudelsack!
Und ob ihr auch flucht und mich niederschreit,
Mir Alles einerlei!
Die Porzellan- und Reifrockzeit
Ist, Gott sei Dank, vorbei!

Vor dem Drei-Stern, den unsere Zeit gebar,
Verschließt St Peter die Tür:
Garibaldi heißt er und Bolivar
Und Toussaint L'Ouverture.
Es wandelt der neue Jesus Christ
Still durch die Völker schon:
O glaubt mir, unser Jahrhundert ist
Das Jahrhundert der Revolution!

Schaut hin, schon hat's an den Nagel gehängt
Purpur und Hermelin
Und sitzt am Studiertisch tief versenkt
In die heilige Schrift des Darwin.
Ja, die biblische Spottgeburt aus Lehm
Besann sich auf ihre Kraft,
Und die Wahrheit entschleiert ihr Weltsystem
Vor der Köngin der Wissenschaft!

Ihr aber tut, als wäre die Welt
Noch die Welt, die sie ehmals war;
Ihr bucht eure Titel und zählt euer Geld
Und faselt von Thron und Altar!
Ihr faselt im Wachen, ihr faselt im Traum,
Und im Frühling geniert euch der Wind,
Und keiner merkt, wie im Freiheitsbaum
Schon die Knospen gesprungen sind!

Ihr spreizt euch und bläht euch und nörgelt und mault
Trotz Hunger und Dynamit
Und seid doch an Körper und Geist verfault,
Verfault bis ins hundertste Glied!
Ihr hasst das Licht wie die Pestilenz,
Und der Schuftigste brüllt: Ich riskier's!
Und schneuzt sich und schwört auf die Intelligenz
Der hinterpommerschen Peers!

Doch ein braver Fluch ist auch ein Gebet
Und die Marseillaise ein Lied,
Drum wenn das noch lange so weitergeht,
Dann weiß ich, was geschieht!
Dann ruft das Volk: Vermaledeit!
He, Pulver her und Blei!
Die Porzellan- und Reifrockzeit
Ist. Gott sei Dank. vorbei!

Gedicht von Arno Holz (1863-1929). -- In: der wahre Jacob. -- Nr 297, 1897

[Hinweis: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 101ff.]


DER GOLDNE ZEITGÖTZE

Alter Götter Macht and Größe
 ist versanken und verblichen,
ihre Tempel sind gefallen,
ihre Namen sind verklungen;
ja, sogar der Christen Kirchen,
die noch stolz und mächtig ragen,
bilden nicht die Zuflucht derer,
die bedrückt and schmerzbeladen,
denn die Tröstung, die sie spenden,
weist ins rätselhafte, dunkle,
weist ins unbekannte Jenseits.
 

Erste Strophe dieses Gedichts. --  In: Der wahre Jacob. -- Nr. 278, 1897

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 103.]


1898



Abb.: Von hinten ... von vorn. -- In: Der wahre Jacob. -- 1898

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 120.]


Aus: Eherne Maiglocken / von Rudolf Lavant <1844 - 1915>

Ein Bild des Wahnsinns bietet sich uns jetzt:
Ein Volk aufs andere rücksichtslos gehetzt,
Erdteil auf Erdteil, Rasse wider Rasse.
Vergessen ist, was einigt und versöhnt,
und an der Wende des Jahrhunderts frönt
der Herrschsucht man, der Habgier und dem Hasse.

Und dabei rufen sie - es klingt wie Spott! -
Allah und Wischnu und den Christengott
inbrünstig an mit jedem Tag der Weihe,
dass er entsende seiner Engel Schwarm,
dass er den starken, den Zersdimettrerarm
dem blutgen Siege und der Plündrung leihe!

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 307, 1898

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 110.]


Aus: Der unentschlossene Wähler. Ein Märchen

Es war Mitternacht, und am nächsten Tage sollten die Reichstagswahlen vor sich gehen. Der Wähler, ein schlichter Mann aus dem Volke, war noch wach und grübelte über die verschiedenen Versprechungen, welche ihm die Parteien gemacht hatten. Alle wollten sein Bestes, wie sie behaupten — wem sollte er glauben, für wen sich entscheiden?

Da klopfte es an die Tür. Der Herr Baron trat ein. Er grüßte höflich, fast untertänig — er, der den armen Wähler sonst keines Blickes würdigte.
„Mein Lieber", sagte er ganz demütig, „ich bitte ergebenst um Ihre schätzbare Stimme."
Ganz recht", sagte der Wähler. „Aber was habe ich davon?"'
Der Herr Baron hüstelte. „Sie? - Sie haben die Ehre, einen stolzen Adelsstand, ein glänzendes Offizierskorps an der Spitze der Gesellschaft zu sehen."
„Und mich von diesen hohen Herrn ausbeuten zu lassen'', ergänzte der Wähler. „Hinaus!"

Der Baron verschwand. Es erschien an seiner Stelle ein schwarz gekleideter Mann, der demütig um eine Stimme für den hohen Klerus bat.
„Was bietet mir der Klerus? Ist er gegen indirekte Steuern, gegen Militärlast, ist er für Freiheit, Bildung, Arbeiterschutz?" fragte der Wähler.
Der Schwarze zuckte die Achseln. „Das alles sind weltliche Güter — im Jenseits wird der Anhänger des Klerus seinen Lohn empfangen."
„Hören Sie", rief nun der Wähler, „ich brauche einen Vertreter in Berlin, nicht im Jenseits. Wenn ich tot bin, sollen Sie; meine Stimme bekommen — heute nicht.'""

In: Der wahre Jacob. -- Nr. 310, 1898

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 106.]


1899


DER ARBEITSWILLIGE
Unternehmerhymnus auf den Liebling des Tages

Heil ihm, dem wackern Mann,
der sich noch rackern kann,
der keine Klagen murrt,
wenn ihm der Magen knurrt,
Heil dem still brütenden,
niemals laut wütenden,
nie agitierenden,
nie demonstrierenden,
zwölf Stunden fronenden,
leicht zu entlohnenden,
aus der Hand fressenden,
selbst sich auspressenden,
strenge katholischen,
nie diabolischen
Ratschlägen lauschenden,
unschuldig plauschenden,
Kreisblatt verschlingenden,
Lieder nie singenden,
willig sich duckenden,
niemals sich muckenden,
Wünsche nie stammelnden,
nie sich versammelnden,
der seine Bürde trägt
und nicht nach Würde fragt;
Heil dem bescheidenen,
sänftlichen, seidenen,
geistig verschimmelnden,
Stamm-Krupp verhimmelnden,
Schweine beneidenden,
aber still leidenden,
Lammfrommgeduldigen —
lasst uns ihm huldigen!

Lasst uns verherrlichen
den nie begehrlichen.
vorwärts nie strebenden,
Scholle anklebenden,
Gott sich empfehlenden,
königstreu wählenden,
immer zufriedenen,
Sozigemiedenen,
Heil ihm, dem billigen
stets Arbeitswilligen!

Gedicht von M. E. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 341, 1899

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 76ff.]



Abb.: Der Militarismus auf der Anklagebank: Bei solchen Verteidigern wird der Angeklagte glänzend freigesprochen werden. -- Karikatur von Gabriele Galantara (Rata Langa)  (1865 bis1937). -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 346, 1899


1900



Abb.: Das neue Jahrhundert gehört uns: Chor der Alten: "Scheint die Sonne noch so schön, — einmal muss sie untergehn!" -- Titelblatt, Neujahrsnummer 1900.  -- Der wahre Jacob. -- Nr. 351. -- 1900-01-02

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- Abb. 3]


Literarische Aufgabe

Pastor Hillmann1 in Hamburg hat seine Kündigung vom Presbyterium erhalten, weil er wiederholt in seinen Predigten soziale Fragen berührt hat.

Recht so! Aber dabei sollte man es nicht bewenden lassen. Nicht nur die Pastoren, nein, auch die ganze Bibel muss rektifiziert werden. Es finden sich fast auf jeder Seite Stellen, in denen soziale Fragen behandelt werden, und - leider - nicht immer in staatserhaltendem Sinne. Hier bietet sich dem Hamburger Presbyterium eine dankbare Aufgabe, deren Lösung ihm einen Ruf sichern wird, wie er bis heute nur erst dem Herrn Hauptpastor Goeze2 zu Hamburg, Lessingschen Angedenkens, zuteil wurde.

In: der wahre Jacob. -- 1900, S. 3195

Erläuterung:

1Pastor Hillmann: kann von mir nicht identifiziert werden

2 Hauptpastor Goeze

"GOEZE, Johann Melchior, luth. Theologe, * 16.10. 1717 als Pfarrerssohn in Halberstadt, † 19.5. 1786 in Hamburg. - Nach dem Besuch der Schule in Halberstadt und später in Aschersleben, wohin sein Vater versetzt worden war, studierte G. in Jena und Halle/Saale und wurde in Aschersleben 1741 Adjunctus ministerii und 1744 Diakonus, 1750 Pastor in Magdeburg und 1760 Hauptpastor an der Katharinenkirche in Hamburg. 1760-70 war er auch Senior des Geistlichen Ministeriums. - Bekannt ist G. als Verfechter der lutherischen Orthodoxie gegen die verschiedensten Richtungen der theologischen Aufklärung. Er befehdete heftig Johann Bernhard Basedow (s. d.), den Hauptvertreter der Aufklärungspädagogik, wegen seiner Erziehungsgrundsätze. Gegen Johann Salomo Semler (s. d.) verteidigte G. die komplutensische Polyglottenbibel. In dem »zweiten Hamburger Theaterstreit« mit dem Bergedorfer Pfarrer Johann Ludwig Schlosser eiferte er gegen die Unsittlichkeit der Schaubühne. Eine im wesentlichen berechtigte Kritik übte G. an der Übersetzung des Neuen Testaments von Karl Friedrich Bahrdt (s. d.), der »die Aufklärungsperiode in ihrer schlechtesten und frivolsten Gestalt« darstellt. Sein Hauptgegner war Gotthold Ephraim Lessing (s. d.), der 1774-77 »Wolfenbüttelsche Fragmente eines Ungenannten« veröffentlichte, Auszüge aus der Schrift »Die Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes«, die Hermann Samuel Reimarus (s. d.) hinterlassen hatte. - G. hat sich der immer mehr um sich greifenden Aufklärung widersetzt und darum Hohn und Spott erdulden müssen. Er hatte fast ununterbrochen literarische Fehden; aber manche seiner Streitschriften hätten ungeschrieben bleiben können. Doch G. hat nicht als streitlustiger Theologe und nicht als der Typus einer fanatischen Orthodoxie geredet und geschrieben, sondern als überzeugter Lutheraner in der Verantwortung seines Amtes."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/g/goeze_j_m.shtml. -- Zugriff am 2004-09-30]

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 26]



Abb.: "Gut erzogen". -- Karikatur von Hans Gabriel Jentzsch (1862 - ). -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 365. -- 1900. -- S. 3289

Baronin: "Ihr Pfarrer, Frau Gräfin, hat aber eine gute Art, dem Volke das christliche Dulden zu predigen." — Gräfin: ""Nur die Folge einer guten Erziehung, meine Liebe. Ich habe ihn, als er noch Hauslehrer bei uns war, immer bei den Bedienten schlafen lassen."

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- S. 61]


CHINESISCHES

Jetzt wird gestritten um ein altes Reich
an Asiens weltentlegnem Küstenstrande.
Der ganze Westen wappnet sich zugleich,
schon donnern die Kanonen in die Lande.

Hipp, hipp, hurra! Vereint wird's besser gehn,
bedroht ist ja die Ehre der Nationen!
Es kann der Europäer nicht verstehn,
dass in dem China nur Chinesen wohnen.

Hie Christentum und Priesterherrlichkeit!
Wir wollen euch Chinesen schon bekehren,
wie kommt ihr nur zu der Vermessenheit:
seit lange schon euch eurer Haut zu wehren?!

Wir brauchen Land! Ihr habt genug davon.
Wozu denn hätten wir die starke Flotte?
Nur her damit, bezopfter „Himmelssohn"!
Sonst droht Gefahr der ganzen gelben Rotte.

Wie klingt dein Machtruf, eitler Westen, du!
Die Flammen schürtest du zum Riesenbrande.
Stör nicht ein friedlich Volk in seiner Ruh,
bekämpf den „Zopf" in deinem eignen Lande!

Gedicht von G.A.M. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr.366, 1900

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 154.]


TOD DEN CHINESEN
Von Bonifaz Quatschkopp

Die Chinesen sind eine ganz miserable Nation, die ohne jede amtlich nachweisbare Berechtigung die Landkarte von Asien verunziert. Sie tragen heuchlerisch Zöpfe, um uns glauben zu machen, sie seien Anhänger der preußischen Bürokratie, und dabei lassen sie sich nicht einmal von unseren Diplomaten kommandieren und vergreifen sich sogar an unseren Gesandten! Sie bilden sich in ihrer Dummheit ein, weil in Deutschland manchmal Volksvertreter ins Gefängnis gesperrt werden, seien auch die Personen der Regierungsvertreter nicht unantastbar.

Die Chinesen haben kein Christentum, ja selbst das Eigentum achten sie nicht, sie tasten das Heiligste an: sie vernichten die Dividende, denn sie zerstören Eisenbahnen, welche europäische Aktionäre im Schweiße ihres Angesichts bauen ließen, um China zu beglücken und nutzbringende Börsenpapiere zu schaffen. Die Chinesen verhalten sich feindselig gegen unsere Missionare und weisen sie aus! Dadurch allein schon kennzeichnen sie sich als Barbaren, denn in einem Kulturstaate ist die kleinliche und gewalttätige Maßregel der usweisung unbekannt.

Die Chinesen sind auch ein halsstarriges und undankbares Volk. Sie wissen die Ehre nicht zu würdigen, die wir ihnen durch die Pachtung von Kiautschou erwiesen haben. Sie haben die närrische Idee, in ihrem eigenen Lande die Herren sein zu wollen, sie möchten uns wohl gar Kiautschou wieder wegnehmen. Durch diese Gelüste beweisen sie, dass sie trotz ihrer tausendjährigen sogenannten Kultur gar keine Geschichtskenntnisse besitzen; denn sie müssten sonst wissen, dass die Preußen niemals etwas wieder herausgeben, was sie „gepachtet" haben.

Kurz, die Chinesen sind eine Nation, mit der wir nicht auskommen können und die folglich keine Existenzberechtigung hat. Darum der Schlachtruf:

„Tod den Chinesen!"

In: Der wahre Jacob. -- Nr.367, 1900

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 155.]



Abb.: Die Lex Heinze in ihrer praktischen Anwendung. -- In: Der wahre Jacob. -- 1900

Erläuterung:

"Lex Heinze heißt die auf Anregung des Kaisers aus Anlass der Berliner Gerichtsverhandlung gegen den Zuhälter Heinze und dessen der Prostitution ergebenen Ehefrau entstandene Novelle vom 25. Juni 1900 zum deutschen Strafgesetzbuch, welche die Strafvorschriften über Sittlichkeitsverbrechen (s. d.), insbes. Kuppelei (s. d.) und Zuhältertum (s. d.), erweitert und ergänzt. Der erste Entwurf vom 29. Febr. 1892 kam im Reichstag nicht einmal zur ersten Lesung. Im Winter 1892/93 ging der Entwurf dem Reichstag in gleicher Gestalt wieder zu. Er wurde von einer Kommission eingehend beraten. Mit 15 gegen 6 Stimmen lehnte sie den Teil des Entwurfs ab, der die Prostitution kasernieren, also die Wiederzulassung öffentlicher Häuser ermöglichen sollte. Dagegen fügte sie außer andern Zusätzen und Verschärfungen den sogen. Arbeitgeberparagraphen ein, der die Arbeitgeber oder Dienstherren mit Strafe bedrohte, die unter Missbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses ihre Arbeiterinnen zur Duldung oder Verübung unsittlicher Handlungen bestimmen, ferner einen Paragraphen, der Ansteckung durch Geschlechtskrankheit mit Strafe bedroht. Indes kam der Entwurf über die Kommissionsberatung nicht hinaus. In den folgenden Sitzungsperioden brachte das Zentrum den Kommissionsentwurf als eignen Antrag ein. In der Session 1899/1900 kam auch die Regierung wieder mit einem neuen Entwurf vor den Reichstag. Eine Kommission verband ihn mit dem Zentrumsantrag. Über die auf Kuppelei und Zuhältertum bezüglichen Bestimmungen herrschte Einverständnis. Die Regierung erklärte aber den Arbeitgeberparagraphen für unannehmbar, da er zu unbegründeten Strafanträgen seitens eines eifer- und rachsüchtigen Personals führen könnte, ebenso für unannehmbar, dass die Altersgrenze für die strafbare Verführung eines unbescholtenen Mädchens von 16 auf 18 Jahre hinausgesetzt werde. Anderseits wurde der Antrag der Regierung abgelehnt, wonach die Vorschriften über Kuppelei und Zuhältertum keine Anwendung finden sollen auf die Vermietung von Wohnungen an Frauenspersonen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, sofern damit nicht eine Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes der Mieterin verbunden ist. Ende Februar 1900 erhob sich eine lebhafte öffentliche Bewegung gegen die sogen. Kunst- und den Theaterparagraphen, auf die sich Regierung und Reichstagskommission geeinigt hatten. Der eine Paragraph verbietet, Schriften und Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, zu geschäftlichen Zwecken in Ärgernis erregender Weise öffentlich (z. B. in Schaufenstern) auszustellen oder anzuschlagen. Der andre Paragraph wendet sich gegen öffentliche Aufführungen, die durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Die Agitation, an deren Spitze sich der Goethe- Bund (s. d.) stellte, hatte Erfolg. Die aus Zentrum und Konservativen gebildete Reichstagsmajorität verzichtete auf beide Paragraphen. Als Rest blieb nur eine Bestimmung, die unter Strafe verbietet, Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt zu überlassen oder anzubieten (Strafgesetzbuch, § 184 a). In einem neuen Paragraphen, dem sogen. Gerichtsberichtparagraphen (§ 184 b), wird bei Strafe verboten, aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, öffentliche Mitteilungen zu machen, die geignet sind, Ärgernis zu erregen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


1901


ARBEITE UND BETE!
Eine chinesische Legende

Ein Missionar, der unverhohlen
geraubt, geplündert und gestohlen,
traf einen zweiten Ordensmann,
 vor einem Kreuze kniend an.
„Jetzt", ruft er, „ist nicht Zeit zum Beten,
 jetzt schaff dir, Freundeten, doch Moneten,
kostbare Seidenkleider, Schmuck,
Gelegenheit macht mit 'nem Ruck
uns beide zu schwerreichen Leuten!"
 Da spricht der andre mit Bedeuten:
„Das, lieber Bruder, tat ich schon,
nun fleh ich — um Absolution!"

Gedicht von M. E. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 402, 1901

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 156.]



Abb.: Hispania und ihre Liebhaber. --  Karikatur von Gabriele Galantara (Rata Langa) (1865 bis1937). --  In: Der wahre Jacob. -- Nr. 1901

Erläuterung: Die Dame Hispania (Spanien), d.h. Königin Maria Christina mit ihrem noch minderjährigen Sohn Alfons XIII.(1886 - 1941, regierte bis 1931), für den sie bis 1902 die Regentschaft führt, und mit ihren Liebhabern Klerus und Kapital. Ihr tritt selbstbewusst der Landarbeiter gegenüber.

[Bildquelle: Chronik 1901 / Norbert Fischer ; Klaus Gille ; Wolfgang Jung. -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1991. -- 232 S. : zahlr. Ill. . -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-611-00153-8. -- S. 116]


PAPST LEOS JAHRHUNDERT
Ode

Wie, hört ich recht? Du Greis auf Petri Sitz
schiltst uns die Wahrheit Wahn und Aberwitz?

Das neunzehnte Jahrhundert klagst du an,
weil die Vernunft es nicht in Bann getan?

Du wagst's, zu schmähn den freien Menschengeist,
der dir nicht glaubt, dass du unfehlbar seist?

Was edler Forscher heißem Sehnsuchtsdrang
nach langem Ringen endlich doch gelang,

was aufgehellt uns ihres Geistes Blitz,
das nennst du Wahn, gelehrter Aberwitz?

Doch zetre nur, ohnmächtgen Hass im Blick,
das Rad der Zeit, du drehst es nicht zurück.

Du zwingst nicht wieder in der Kirche Bann,
was deiner Priester dumpfem Zwang entrann.

Wer einmal trank der Freiheit goldnes Licht,
sehnt nach des Kerkers Nacht zurück sich nicht.

Fluch oder bete, Leo, auch dein Flehn
wird unerhört im Winde doch verwehn.

Schon manche Krone ward der Zeiten Raub,
auch die Tiara fällt dereinst in Staub.

Doch wenn verwest des letzten Papsts Gebein,
dahin des letzten blasser Heilgenschein,

ein heller Stern — der freie Menschengeist
dann noch der Welt des Lebens Pfade weist.

Gedicht von Dr. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 383, 1901

[Quelle: Der wahre Jacob : Lyrik und Prosa 1884 - 1905 / ausgewählt und eingeleitet von  Manfred Häckel. -- Berlin : Rütten & Loening, 1959. -- 183 S.  : Ill. -- S. 159.]

"Leo XIII.


Abb.: Leo XIII. -- In: Vanity Fair. -- 1878

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Papst Leo XIII. - bürgerlicher Name Gioacchino Vincenzo Raffaele Luigi - wurde am 2. März 1810 in Carpineto geboren. Am 20. Februar 1878 wurde er als Nachfolger des seligen Pius IX. gewählt.

Berühmt geworden ist er durch sozialen Bemühungen, die in der Sozial-Enzyklika Rerum Novarum mündeten. Diese Enzyklika legte den Grundstein der katholischen Soziallehre. Auch zum Rosenkranz veröffentlichte er sieben Enzykliken.

Am 20. Juli 1903 verstarb er in Rom. Sein Nachfolger war der heilige Pius X."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Leo_XIII.. -- Zugriff am 2004-04-21]


1902



Abb.: Beim Stellenwechsel: "Die Strumpfhalter und das Korsett kannst nur gleich wieder wegtun. Unser Pfarrer ist kein Freund neuer Erfindungen.". -- In: Der wahre Jacob. --n Nr. 420, 1902. -- S. 3836

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- S. 67]


1903


EIN SCHWABENSTREICH


Abb.: Lage von Oberstetten und Bernloch (©MS Encarta)

Die katholische Gemeinde Oberstetten (Württemberg) ließ im protestantischen Nachbarort Bernloch bekannt geben, dass von jetzt ab die Bernlocher Kühe von dem Bullen von Oberstetten nicht mehr besprungen würden. Bernloch hat bei der Landtagsersatzwahl demokratisch gewählt.

Der Pfarrer von Oberstetten
Ist ein gar frommer Mann,
Wer nicht katholisch wählet,
Der kommt in Acht und Bann.

Der Pfarrer straft die Menschen,
Doch straft er auch das Vieh,
Es trauern in ganz Bernloch
die protetstant'schen Küh.

Sie trauern um einen Bullen,
Der fern von ihnen steht,
Sie träumen von seiner Schönheit
Von früh bis abends spät.

Sie werden zusammen nicht kommen,
Brüll'n sie auch noch so dumpf —
So macht man jedem Rindvieh
Es klar, dass Zentrum Trumpf.

[Gedicht von J. W. -- In: der wahre Jacob. -- Nr. 436, 1903. -- S. 4003]

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- S. 71]


1904



Abb.: Der Pfaffenschrecken. -- In: der wahre Jacob. -- Nr. 481, 1904

Erläuterung: die Automobile stellen die deutschen satirischen Zeitschriften dar

  1. Der wahre Jacob

  2. Simplicissimus

  3. Jugend

  4. Kladderadatsch

  5. Lustige Blätter

  6. Ulk

  7. Fliegende Blätter



Abb.: Der neue Kurs. -- In: der wahre Jacob. -- 1904

"Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wo, wie's oben steht im Bilde,
Alles fest zusammenhält.

Richter, Pfaffen, Polizisten,
Und der Junker, hochgestellt.
Deutschland, Deutschland, merk' es endlich,
Dich verhöhnt die ganze Welt!"

Erläuterung: in der Mitte (klein):  Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow (1849 - 1929) von 1900 bis 1909 Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs.

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 95.]

Melodie des Deutschlandlieds

[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/deutsch3.mid. -- Zugriff am 2010-06-21]



Abb.: Was wird die Wahl bringen? — Hilfe! Sozialisten!!. -- Karikatur von R. H. -- In: Der wahre Jacob. -- 1904

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 118.]



Abb.: "Früher fraß er besser — er wird doch nicht eingehen?". -- Karikatur von R. H.. -- In: Der wahre Jacob. -- 1904

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 132.]


1905



Abb.: Aus Russland: Ein unzerreißbares Band treuer Liebe und Anhänglichkeit verbindet Russlands Herrscher mit seinem Volke. -- Karikatur von Willi Lehmann -- In: der wahre Jacob. -- Nr. 485, 1905


Legende


Abb.: Fischpredigt [in diesem Fall des Hl. Antonius, kommt aber auf das Gleiche hinaus]  [Bildquelle: http://www.dioezese-linz.at/pfarren/steyr-tabor/Infoblatt/pb0102/Thema_des_Monats1.htm. -- Zugriff am 2004-09-30]

An der Küste des Meeres stand der heilige Franziskus von Assisi1 und predigte mit lauter Stimme, die das Donnern der Brandung übertönte, von Himmel und Hölle. Da tauchten aus den flutenden Wogen die Fische in unabsehbaren Mengen auf und lauschten, wie gebannt, den mächtigen Worten. Hinter einer Düne lagen zwei arge Kinder der Welt, Morganus2 und Carnegius2, und folgten mit gespannter Aufmerksamkeit dem unerhörten Vorgang. Aber sie blieben ungerührt von der Predigt des Heiligen, die doch selbst die Herzen der unvernünftigen Kreaturen erschütterte, und der eine sprach zum andern: „Komm, lass uns diesen außergewöhnlichen Redner fangen und auf unser Schiff bringen. Die ganz an seinem Munde hängenden Tiere des Meeres werden dann unser nicht gewahr werden und unseren Netzen eine leichte Beute sein."

Doch der Ältere erwiderte: „Dein Rat ist wohl gut, aber ich weiß einen besseren: Lass ihn frei seiner Wege gehen. Den Menschen Entsagung predigend, wird er uns von viel größerem Nutzen sein."

In: Der wahre Jacob. -- 1905, S. 4646.

Erläuterungen:

1 Franziskus von Assisi: Stifter des Franziskanerordens, Heiliger (1181/1182 - 1226). Soll Tieren gepredigt haben.

2 Morganus: John Pierpont Morgan (1837 - 1913)


Abb.: JP Morgan [Bildquelle: http://www.anglocatholicsocialism.org/morgan.html. -- Zugriff am 2004-09-30]

"John Pierpont Morgan (* 17. April 1837 in Hartford, Connecticut; † 31. März 1913 in Rom, Italien) war ein US-amerikanischer Unternehmer und Bankier.

Der Sohn eines Bankiers studiert in Göttingen und war seit 1857 im Bankgewerbe tätig. Seit 1860 arbeiete er bei Drexler, Morgan & Co in New York City. Seit 1871 war er selbstständig durch die Gründung eines nach ihm selbst benannten, ab 1895 als J. P. Morgan & Co firmierenden Bankhauses, das vor allem marode Eisenbahnlinien erwarb und sanierte. 1900 gründete Morgan dann den Stahltrust United States Steel Corp., den zu stützen 1902 noch ein auch englische Linien akquirierender Schiffahrtstrust, die International Mercantile Marine Comp. unter Beteiligung deutscher Reedereien begründet wurde."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/John_Pierpont_Morgan. -- Zugriff am 2004-09-30]

3 Carnegius: Andrew Carnegie (1835 - 1919)


Abb.: "Forty-Millionaire Carnegie in his Great Double Role. As the tight-fisted employer he reduces wages that he may play philanthropist and give away libraries, etc."  -- In: The Saturday Globe.  -- Utica, New York. -- 1892-07-09. -- Bildquelle: http://www.bgsu.edu/departments/acs/1890s/carnegie/cartoon2.html. -- Zugriff am 2004-09-30]

"Der Industrielle und Stahlmagnat Andrew Carnegie wurde am 25. November 1835 in Dunfermline (Schottland) als Sohn eines Webers geboren. Er wurde zum reichsten Menschen seiner Zeit, bevor er am 11. August 1919 in Lenox (USA, Bundesstatt Massachusetts) starb. Andrew Carnegie war berühmt als Philanthrop. Er spendete insgesamt mehr als $350 Mio.

Nach Kriegsende [des amerikanischen Bürgerkriegs] beerbte Andrew Carnegie Thomas A. Scott als Leiter der Western Division der Pennsylvania Railroad. Geschickt investierte Carnegie in mehrere Unternehmen, darunter mehrere Eisenhütten und Eisenwerken. Die wichtigste Investition davon war ein 20%iger Anteil an Keystone Bridge. Bei regelmäßigen Besuchen in Großbritannien bemerkte er die schnelle Entwicklung in der Eisenindustrie. Beeindruckt wurde er vom Henry Bessemers Umwandler von Eisen nach Stahl. Ihm wurde klar, dass Stahl Eisen in der Produktion schwerer Güter ersetzen würde und errichtete 1870 seinen ersten Hochofen, wo die von Bessemers entwickelten Ideen nutzte. Obwohl er mehrere Partner in sein Unternehmen brachte, bestand er immer darauf, die Mehrheit an seinen Unternehmen zu halten.

Als Carnegie sich 1901 zur Ruhe setzte, konnte er sein Unternehmen für $250 Millionen verkaufen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Andrew_Carnegie. -- Zugriff am 2004-09-30]

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Prosa / hrsg. von Norbert Rothe. -- Berlin : Akademie-Verlag, 1981. -- 202 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 22). -- S. 37f.]



Abb.: "Das gestörte soziale Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit wird durch den Druck von Pfaffen und Polizisten zugunsten der Enterbten wieder hergestellt.". -- Karikatur von Gabriele Galantara (Rata Langa)  (1865 -1937). -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 503. -- 1905-10-31

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- Abb. 7]



Abb.: Inspektor, die Klasse betretend: "Um Gottes willen, was machen Sie denn?" — Religionslehrer: "Ich bereite den Boden für die Aufnahme von Gottes Wort!". -- In: Der wahre Jacob. -- 1905

[Quelle: Ein Bilder-Lese-Buch über Schule und Alltag : Berliner Arbeiterkinder, von d. Armenschule zur Gesamtschule, 1827 bis heute ; [Ausstellung vom 13. September - 13. Dezember 1981 in Räumen d. Schule Klixstr. 6 - 7, Berlin (Schöneberg)] / hrsg. von d. Arbeitsgruppe Pädag. Museum durch Georg Rückriem ... Bildred. u. Gestaltung Gesine Asmus. [Buch zur Ausstellung, Red. u. Bildkommentare: Georg M. Rückriem ...]. -- Berlin West : Elefanten Press, 1981. -- 304 S. : zahlr. Ill., graph. Darst., Kt. ; 28 cm. -- (EP ; 65). -- ISBN 3-88520-065-1. -- S. 89]


1906


Abb.: Vom politischen Marionettentheater. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 514. -- 1906

Die ihr ein Spielzeug in der Hand
Des Riesen Schicksal seid —
Ihr, Kutte, Kron' und Ordensband —
Genießet eure Zeit!

Bedenkt: einst wendet sich das Blatt,
Das Glücksschiff kriegt ein Leck,
Der Riese hat sein Spielzeug satt
Und wirft euch in den Dreck.

Drum tummelt euch im Flitterstaat,
So lang das Lämpchen brennt —
Wenn einst der große Kehraus naht,
Ist euer Tanz zu End'!

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- Abb. 8] 


Vision eines braven Soldaten

Komm Pfaffe, sag dein Sprüchlein her
Und segne Waffen und Gewehr!
Wir müssen auf Vater und Mutter schießen1
Und rotes Bruderblut vergießen.

Komm Pfaffe, sag dein Sprüchlein her.
Mein Gott, mir wird das Herz so schwer —
Du sollst nicht töten, steht im Gebote,
Und vor mir seh' ich nichts als Tote.

Wir sollten schützen Altar und Thron.
Und sie - sie wollten nur bessren Lohn ;
Sie wollten nur satt zu essen haben —
Nun werden sie meinen Bruder begraben!

Ach, Brüder, Brüder, welche Pein —
So schlagt mir doch den Schädel ein!
Denn müsst' ich weiter leben auf Erden,
So könnt' ich nur Schutzmann in Breslau2 werden.

Erläuterungen:

1 Wir müssen auf Vater und Mutter schießen: "Wilhelm II. hatte 1891 in einer Rede vor Rekruten der Garde gesagt: „Ihr habt Mir Treue geschworen, das heißt Ihr seid jetzt Meine Soldaten, Ihr habt Euch Mir mit Leib und Seele ergeben. Es gibt für Euch nur einen Feind, und der ist Mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich Euch befehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen. Aber auch dann müsst Ihr Meinen Befehl ohne Murren befolge»." (Zitiert nach: Karl Liebknecht)"

2 Schutzmann in Breslau: "In einem Artikel mit dem Titel „Ein Blutbad unter der Breslauer Arbeiterschaft" berichtete der „Vorwärts" am 22. 4. 1906 über eine mit äußerster Brutalität durchgeführte, von Achtgroschenjungen provozierte Aktion der Polizei gegen Breslauer Arbeiter, bei der viele Menschen verletzt wurden — allein 44 mussten in ein Hospital aufgenommen werden — und bei der einem Arbeiter von einem Polizisten die Hand „glatt weggehackt" worden sein soll."

In: Der wahre Jacob. -- 1906, S. 5056

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 163f.] 



Abb.: Wenn's Mailüfterl in Sachsen weht: "Nee, heernse, mei Gudester, in Sachsen sein mer bei Pressvergehn allemal liberal. Passense mal uff, eens, zwee — drei! jetzt hammses abgebüßt!" --  In: Der wahre Jacob. -- Nr. 516. -- 1906


1907



Abb.: Nach der Wahl1. -- In: Der wahre Jacob. -- 1907

"Der schwarze August: Dank der Dummheit der Andern sind wir immer wieder obenauf!"

1 Bei der Reichstagswahl am 1907-01-25 verringerte sich die Zahl der SPD-Abgeordneten bei 28,9% von 81 auf 43, das Zentrum dagegen erhielt bei 19,4% der Stimmen 105 Abgeordnete (absolutes Mehrheitswahlrecht!).

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 113.]



Abb.: Mit Volldampf voraus! -- In: Der wahre Jacob. -- 1907

"Das Zentrum hat bei der bevorstehenden Flottenvermehrung1 die Führung übernommen. Zur Belohnung dafür ist Herr Peter Spahn zum Kommandeur des Flaggschiffs ernannt worden."

1 Das Zentrum stimmte der Dritten deutsche Flottenvorlage im Juni 1906 bedingungslos zu.

2 Peter Spahn (1846 - 1925): gehörte für das Zentrum gehörte 1882 - 1888, 1891 - 1898 und 1904 -1908 dem preußischen Abgeordnetenhaus und 1884-1917 dem Deutschen Reichstag, ab 1912 Fraktionsführer. 1917/18 preußischer Justizminister, 1919 Mitglied der Nationalversammlung und 1920 des Reichstags.

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 112.]


1908



Abb.: Die Opfer des Antimodernismus. --  In: Der wahre Jacob. -- 1908

Erläuterungen: In der Folge der Enzyklika Pascendi von Papst Pius X. aus dem Jahre 1907 erfolgt in Deutschland eine "Säuberung" unter Theologieprofessoren und Geistlichen. In der Karikatur werden namentlich genannt die Professoren Schnitzer1 und Ehrhard2 sowie der Pfarrer Grandinger3:

1 Schnitzer

"SCHNITZER, Joseph, katholischer Dogmen-, Kirchen- und Religionshistoriker, * 15.6. 1859 in Lauingen/Donau als Sohn des Schäfflermeisters Christoph Schnitzer, † 1.12. 1939 in München.

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Dillingen trat Schnitzer 1880 seine philosophisch-theologischen Studien am Königlichen Lyzeum St. Stephan in Augsburg an, um diese schon ein Jahr später als Konviktor des Herzoglichen Georgianums an der Universität München fortzusetzen und 1884 abzuschließen. Seine Priesterweihe empfing er am 31.7. 1884. Danach wirkte Schnitzer zunächst als Seelsorger; innerhalb von fünf Jahren leistete er an vier verschiedenen Orten des Bistums Augsburg pastorale Dienste. Erst am 12.11. 1889 erlangte Schnitzer die Freistellung von der Seelsorge und ergriff nun die Gelegenheit, seine theologischen Studien an den Universitäten München und Wien fortzusetzen. Aufgrund seiner schon während der Kaplansjahre 1886 bis 1888 in Moorenweis bei Fürstenfeldbruck erarbeiteten Untersuchung »Berengar von Tours, sein Leben und seine Lehre. Ein Beitrag zur Abendmahlslehre des beginnenden Mittelalters« wurde Schnitzer am 26.7. 1890 an der Universität München zum Doktor der Theologie promoviert; als erster Gutachter seiner Dissertation fungierte der Dogmenhistoriker Joseph von Bach, als zweiter der Apologetiker und Dogmatiker Alois von Schmid. Bei seiner 1892 erschienenen zweiten Buchpublikation über »Die Gesta Romanae Ecclesiae des Kardinals Beno und andere Streitschriften der schismatischen Kardinäle wider Gregor VII.« handelt es sich offenbar um seine Habilitationsschrift. Am 11.10. 1892 wurde Schnitzer eine Dozentur und am 23.2. 1893 eine außerordentliche Professur für Kirchenrecht und Kirchengeschichte am Lyzeum in Dillingen übertragen. Als Frucht seiner kirchenrechtlichen Lehre und Forschung konnte er 1898 sein »Katholisches Eherecht« erscheinen lassen, das in der Fachwelt überwiegend positive Aufnahme fand. An den Rand des Konflikts mit der kirchlichen Hierarchie geriet Schnitzer erstmals mit seiner 1898 in den »Historisch-politischen Blättern« veröffentlichten fünfteiligen Studie über »Savonarola im Lichte der neuesten Literatur«, in welcher er in Abwendung von der Darstellung des Papsthistorikers Ludwig von Pastor eine deutliche Aufwertung des wegen Ketzerei von der Inquisition verurteilten und am 23.5. 1498 in Florenz hingerichteten Dominikaners Hieronymus Savonarola vornahm und zugleich dessen kirchliche Richter, insbesondere aber den Medici-Papst Alexander VI. einer heftigen Kritik unterzog. Obgleich der Dominikanerorden in Sympathie gegenüber ihrem Ordensmitglied Savonarola eine Indizierung von Schnitzer's Abhandlung zu verhindern wusste, war an der päpstlichen Kurie das Misstrauen gegen Schnitzer geweckt. Am 12.1. 1902 folgte Schnitzer dem Ruf als ordentlicher Professor für Dogmengeschichte, Symbolik und Pädagogik an die Universität München. Das Studium der Bibelkritik und der Geschichte des Urchristentums brachte Schnitzer schon bald in die Nähe der liberalen protestantischen Theologie eines Adolf von Harnack, eines Friedrich Loof und eines Heinrich Weinel. Sein Engagement in der reformkatholischen Bewegung, an deren programmatischer Versammlung in der Münchener »Isarlust« am 20.10. 1902 er zusammen mit einem engeren Schülerkreis teilnahm, ist davon deutlich geprägt. Eine zunehmende Distanz Schnitzer's gegenüber Kirche und Dogma weisen mehrere von 1905 bis 1907 in dem reformkatholischen Organ »Das zwanzigste Jahrhundert« sowie in den »Süddeutschen Monatsheften« pseudonym veröffentlichte Beiträge auf. Zum offenen Konflikt zwischen Schnitzer und der kirchlichen Hierarchie kam es allerdings erst im Gefolge der am 8. September 1907 veröffentlichten antimodernistischen Enzyklika »Pascendi« Papst Pius X. und Schnitzer's kritischer Auseinandersetzung mit dieser, die unter Angabe von Schnitzer's Namen am 1.2. 1908 unter dem Titel »Die Enzyklika Pascendi und die katholische Theologie« in der »Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik« erschien. In der Verurteilung des Modernismus breche die Enzyklika mit den grundlegendsten Idealen des modernen Zeitalters, mit Glaubensfreiheit, Lehrfreiheit, Pressefreiheit, mit der modernen nicht-scholastischen Philosophie sowie mit historischer Kritik und Methode. Etwa gleichzeitig mit dieser papst- und kurienkritischen Abhandlung veröffentlichte Schnitzer in den »Süddeutschen Monatsheften« ebenfalls unter Angabe seines vollen Namens einen sich als Rezension zu Heinrich Günthers »Legendenstudien« (Köln 1906) verstehenden Aufsatz mit dem Titel »Legenden-Studien«, in welchem Schnitzer feststellt, dass sich nicht nur bei Heiligenviten, sondern auch in den Evangelien, insbesondere was das dort gezeichnete Lebensbild Jesu anbetrifft, legendäre Züge finden. Schon wenige Tage nach dem Erscheinen der genannten beiden Abhandlungen am 6.2. 1908 erfolgte auf telegraphischem Wege Schnitzer's suspensio a divinis und die interdictio quoad usum sacramentorum, und bereits am folgenden Tag hielt Schnitzer seine letzte dogmengeschichtliche, am 11.2. 1908 seine letzte pädagogische Vorlesung. Ein ihm infolge seiner Suspension von Seiten der bayerischen Regierung gewährter Urlaub führte Schnitzer von 17.5. bis 9.10. 1908 auf eine schon länger geplante Reise nach China und Japan, auf der er persönliche Einblicke in fernöstliche Religionen gewann. Versuche des zuständigen bayerischen Ministeriums, Schnitzer in die philosophische Fakultät einzugliedern, scheiterten zunächst an der Weigerung einiger Professoren der philosophischen Fakultät, vor allem aber auch an wiederholten Interventionen der kirchlichen Behörden: Schon wenige Tage nach der Rückkehr Schnitzer's von seiner Ostasienreise, am 28.10. 1908, wurde ihm kirchlicherseits unter Androhung der Exkommunikation jegliche Lehrtätigkeit in irgendeinem Fach an irgendeiner Lehranstalt, jegliche schriftstellerische und jegliche Vortragstätigkeit untersagt. Eine weitere unbefristet gewährte Beurlaubung zur Fortführung seiner Savonarola-Studien nutzte Schnitzer zuerst dazu, um aufgrund seiner bis dahin vorliegenden ersten drei Bände der »Quellen und Forschungen zur Geschichte Savonarolas« am 5.2. 1909 an der Universität Tübingen zum Doktor der Philosophie zu promovieren. Während er sich bis 1913 konsequent an das kirchliche Verbot der Abhaltung von Vorlesungen hielt, nahm er schon seit März 1909 die ihm ebenfalls untersagte schriftstellerische Arbeit wieder auf: So veröffentlichte er nicht nur vereinzelte Rezensionen und setzte er seine Forschungen zu Savonarola fort, vielmehr befasste er sich erneut mit einer dogmengeschichtlichen Fragestellung: Seine ekklesiologische Abhandlung mit dem Titel »Hat Jesus das Papsttum gestiftet?« (1910) ist vor dem Hintergrund jener »konsequenten Eschatologie« zu lesen, die u.a. mit dem Namen seines protestantischen Zeitgenossen Albert Schweitzer verbunden ist: Da Jesus die unmittelbare Nähe des Gottesreiches erwartete und verkündete, dachte er gar nicht daran, eine Institution Kirche zu stiften. Dass Jesus gemäß Mt 16,18 f. das Papsttum eingesetzt haben soll, steht in einem krassen Widerspruch zu seiner Naherwartung. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit hielt Schnitzer ihm ebenfalls kirchlich untersagte Vorträge; so sprach er beispielsweise am 21.2. 1910 vor dem »Antiultramontanen Reichsverband« in Berlin über »Borromäus-Enzyklika und Modernismus«, am 10.11. 1911 in Bernkastel über »Katholizismus und Modernismus« sowie im Juli 1913 auf dem Pariser Religionskongress, auf dem er mit französischen Modernisten zusammentraf, über »Religiöse Freiheit und Kirche«. Obzwar Schnitzer das ihm im Oktober 1908 auferlegte umfassende Schweigegebot wiederholt brach und obwohl es in den kirchlichen Behörden an Stimmen nicht mangelte, die die angedrohte Exkommunikation endlich vollzogen wissen wollten, blieb diese letzte Strafmaßnahme der Kirche aus. Selbst als Schnitzer auf sein Gesuch hin vom zuständigen bayerischen Ministerium nach Absprache mit dem Münchener Nuntius Andreas Frühwirth am 30.6. 1913 pensioniert und aus der theologischen Fakultät ausgegliedert wurde, um im Gegenzug am 4.7. 1913 an der philosophischen Fakultät eine Honorarprofessur ohne bestimmtes Lehrgebiet (erst 1923 wurde Schnitzer der Lehrgegenstand Religionsgeschichte offiziell zugewiesen) angeboten zu bekommen, in welcher Funktion er seit Wintersemester 1913/14 Vorlesungen über Religionsgeschichte hielt, fehlte es zwar nicht an diplomatischen Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen kirchlichen und staatlichen Behörden, doch blieb auch diesmal - nicht zuletzt aufgrund der Besonnenheit des Nuntius und der bayerischen Regierung - die Exkommunikation aus. Noch als über Siebzigjähriger publizierte Schnitzer eine dogmengeschichtliche Studie, die er der Entwicklung der Erbsündenlehre widmete: Die von Augustinus formulierte Erbsündenlehre verdankt ihre ersten Anklänge zwar dem nachexilischen Judentum, die letzten Wurzeln der Erbsündenlehre aber liegen in einem schwer zu überwindenden vorreligiös-magischen Denken der Menschheit. Sechs Jahre nach seiner Versetzung in den dauernden Ruhestand am 31.10. 1933 erlag Schnitzer innerlich der katholischen Kirche verbunden, aber im päpstlichen Interdikt, am 1.12. 1939 in seiner Münchener Wahlheimat einem Krebsleiden. Seinem testamentarischen Wunsch entsprechend wurde sein Leichnam verbrannt. - Schnitzer ist als ein katholischer Dogmenhistoriker in die Geschichte eingegangen, der sich nicht nur selbst als Modernist begriff, sondern der heute als einziger deutscher Modernist von wissenschaftlichem Rang und menschlichem Format bezeichnet wird (Trippen). Modernist wurde Schnitzer, indem er in Anlehnung an Adolf von Harnack und andere liberale protestantische Theologen die in der damaligen katholischen Theologie kaum beheimatete historisch-kritische Forschung rezipierte und dabei zu aus heutiger Sicht etwas undifferenzierten Ergebnissen gelangte. Zugleich sind manche seiner Erkenntnisse mittlerweile als Allgemeingut Katholischer Theologie zu betrachten.

[Quelle: Raimund Lachner. -- http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/schnitzer_j.shtml. -- Zugriff am 2005-02-05] 

2 Ehrhard

"EHRHARD, Albert, kath. Kirchenhistoriker, Patrologe und Byzantinist, * 14.3. 1862 in Herbitzheim (Unterelsaß) als Sohn eines Lehrers, † 23.9. 1940 in Bonn.

Ehrhard wurde 1889 Professor am Priesterseminar in Straßburg, 1892 o. Professor der Kirchengeschichte an der Universität in Würzburg, 1898 in Wien, 1902 in Freiburg (Breisgau) und 1903 in Straßburg, lebte von 1918 an in München und lehrte 1920-27 an der Universität Bonn Kirchengeschichte.

Ehrhard war ein hervorragender Kenner der Patristik und Dogmengeschichte. Als Vertreter eines kulturfreundlichen Katholizismus wandte er sich gegen alle einseitige Bindung des Katholizismus an die mittelalterliche Geisteskultur und forderte Raum für die Entfaltung der Individualität im Leben der einzelnen Katholiken wie der katholischen Nation. Obwohl er nicht zu den Modernisten zählte, äußerte Ehrhard doch vom Standpunkt der katholischen Wissenschaft aus berechtigte Bedenken gegen den Syllabus »Lamentabili sane exitu« vom 3.7. 1907, ein Verzeichnis von 65 zu verwerfenden bibelkritischen und dogmengeschichtlichen Thesen, und die Enzyklika »Pascendi dominici gregis« vom 8.9. 1907, in der der Modernismus als das »Sammelbecken aller Häresien« verdammt und seine Ausrottung angeordnet wurde. Auf seine Kritik an der Enzyklika reagierte die römische Kurie mit Aberkennung des Prälatentitels (1908-22), sah aber von einer Zensur ab, weil Ehrhard eine Loyalitätserklärung abgegeben hatte. Seit 1922 war Ehrhard Vorsitzender der Gesellschaft für Herausgabe des Corpus Catholicorum."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/e/ehrhard_a.shtml. -- Zugriff am 2005-02-05] 

3 Pfarrer Johannes Grandinger (1869-1941):

"Die Karikatur in der Zeitschrift »Der wahre Jacob« zeigt die Opfer des Modernismus in Deutschland. Außer den Köpfen der Professoren Schnitzer und Ehrhard »verspeist« Papst Pius X. auch den des Pfarrers Grandinger aus München. Ihm wirft der Erzbischof von Bamberg, am 14. Februar vor, trotz seines Versprechens, der liberalen Partei nicht beizutreten, jetzt als »Reiseprediger des Liberalismus« durchs Land zu ziehen. Der Bischof verbietet Grandinger, »in der Schulfrage mit der liberalen Partei gemeinsame Sache zu machen«, und untersagt ihm, einen angekündigten Vortrag im Jungliberalen Verein in Nürnberg zu halten. Grandinger weist die Forderung als »nichtkirchlichen Befehl« zurück."

[Quelle: Chronik 1908 / Richard Miklin. [Red.: Manfred Brocks (Text) ; Cäcilia Tiemann (Bild). Fachautoren: Jutta Köhler ...]. -- Gütersloh : Chronik-Verl., 1995. -- 240 S. : Ill. -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). -- ISBN 3-577-14008-9. -- S. 39.]


1910



Abb.: "Im Namen Gottes, schlag' zu, Theobald1, sonst richtet das Luder uns noch zugrunde!" --  In: Der wahre Jacob. -- Nr. 619. -- 1910

Erläuterung: Auf dem Hackbock liegt das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht.

1 Theobald von Bethmann Hollweg (1856 - 1921), Reichskanzler 1909 - 1917



Abb.: A Mr: Geistliche Schulaufsicht. -- In: Der wahre Jacob. -- 1910

"Sie sorgt und wacht, indem sie schützend
Um euch die schwarzen Flügel schlingt,
Dass von der Wahrheit Himmelslichte
Kein Strahl in eure Seelen dringt.

Frohlocket, deutsche Kinderseelen!
Verderbt und sündhaft ist die Zeit,
Doch ihr, Hosianna, seid geborgen:
Euch hegt und schützt die Geistlichkeit!

Die Kirche nimmt euch in die Arme,
Sie wacht und sorget früh und spät,
Dass aus der Freiheit lichten Welten
Kein Hauch durch eure Herzen weht.

Nur euer Bestes will die Kirche,
Sie sinnt darauf und müht sich brav,
Dass aus dem Lämmlein, das sie hütet,
In Zukunft wird ein frommes Schaf.

Das liebt und ehret seine Hirten,
Die Kirche und die Obrigkeit,
Das stets zufrieden ist und freudig
Sich scheren lässt zu jeder Zeit."

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 111.]



Abb.: Otto Delling: Parade im Kloster Beuron1. -- In: Der wahre Jacob. -- 1910

"Das neuformierte Regiment des heiligen Benedikt wird vom obersten Kriegsherrn persönlich gegen den Geist der Zeit ins Treffen geführt."

Erklärung:

1 Kaiser Wilhelm II. hatte am 13. November 1910 das Benediktinerkloster Beuron besucht. Dort sagte er, dass Thron und Altar zusammengehören und dass die Bekämpfung gewisser Bestrebungen nur mit Hilfe von Religion und Unterstützung des Himmels durchzuführen sei.

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 12.]


1911



Abb.: Der boshafte Spiegel1 : Aus einem modernen Märchen2. -- In: Der wahre Jacob. -- 1911

"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist der Herrscher im ganzen Land?"

1 Der Geistliche hält in der Hand das Motu proprio "Sacrorum antistites", mit dem Papst Pius X. am 1. September 1910 hat Pfür alle Priester, Bischöfe und Theologieprofessoren (auch an staatlichen Lehranstalten) den Antimodernisteneid vorgeschrieben hat. Bis 1967 mussten diesen alle Angehörigen der genannten Gruppen ablegen. Siehe:

Pius <Papa, X.> <1835 - 1914>: Iusiurandum contra errores modernismi = Antimodernisteneid (1910-09-01). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/antimodernisteneid.htm

2 Nach dem Märchen "Schneewittchen" (Nr. 53 der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm):

„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“


Abb.: "Spiegelein, Spiegelein ...". -- Liebig's Sammelbilder, 1895.



Abb.: R. Grieß: Bayerische Lehrergehaltsaufbesserung. -- In: Der wahre Jacob. -- 1911

"So ist's recht, Herr Minister, immer zeigen, aber nie geben! Dann werden wir den Kerl schon kirre kriegen!"

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 136.]



Abb.: "Das Wunder von Regensburg". -- Karikatur von Emil Erk. -- In: Der Wahre Jacob. -- 1911

"Es begab sich, als das Zentrumsbanner gesegnet werden sollte,
dass ein Wunder vom Himmel geschah, und eine Stimme sprach:
In diesem Zeichen sollt ihr siegen!"

[Quelle: Humor aus zwei Jahrhunderten : das Beste aus illustrierten Blättern für Satire, Witz und Humor / hrsg. u. eingeleitet von Petra Eisele. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1977. -- 208 S. : Ill. -- ISBN: 3-502-30017-8. -- S. 139]



Abb.: Preußische Kirchenreform. -- Karikatur von Ernst Moritz Engert (1892 - 1986). -- In: Der Wahre Jacob. -- Nr. 655. -- 1911



Abb.: Zum Reichstagswahlkampf: 1912 Die Heiligen: Der Zentrums-Pfaffe zu Verrat, Lüge, Verleumdung: "So ziehet denn hinaus in den Wahlkampf für Wahrheit, Freiheit und Recht!". -- Karikatur von M. Vanselow --  In: Der wahre Jacob. -- 1911-12


1912



Abb.: Seelenhandel im Ruhrrevier: "Für jede christliche Bergmannsseele, die nicht gestreikt hat, schenke ich Ihrer Kirche zwei." — "Fünf, Herr Kommerzienrat! Geben Sie fünf! Das haben Sie ja in einer Woche von unseren Arbeitern wieder herausgeholt." -- Karikatur von R. Grosse. -- In: Der wahre Jacob. -- Nr. 672, 1912. -- S. 7471

[Quelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz. -- Bonn- Bad Godesberg : Dietz, 1977. -- 235 S. : zahlr. Ill. -- (Das Vorwärts-Buch). -- ISBN 3-8012-0025-6. -- S. 103]



Abb.: Jentsch, Hans Gabriel <1862 - >: Der Kampf um die Jugend. -- In: Der Wahre Jacob. -- 1912

"Deine Seele gehöre Gott allein,
Dem König musst Treue du schwören,
Dein Leib sei, so lange du atmest mein, -
Mein Herz soll dir nur gehören!"

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 139.] 


1913



Abb.: Wolf, Rudolf: Die Philosophie an den bayerischen Universitäten1. -- In: Der Wahre Jacob. -- 1912

"Euch wird's an unsrerWeisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten."

Nach Goethe's "Faust"2.

1 Bezieht sich auf die kirchenvertraglich zugesicherten Philosophielehrstühle an bayerischen Universitäten, bei deren Besetzung die katholische Kirche ein Einspruchrecht hat (heute: Konkordatslehrstühle).

In Bayern gilt heute das Konkordat von 1924, das bestimmt:

"(§ 5 Art. 3): Der Staat unterhält an den Universitäten Augsburg, Erlangen-Nürnberg, München (Ludwig-Maximilians-Universität), Passau, Regensburg und Würzburg sowie an der Gesamthochschule Bamberg in einem für das erziehungswissenschaftliche Studium zuständigen Fachbereich je einen Lehrstuhl für Philosophie, für Gesellschaftswissenschaften und für Pädagogik, gegen deren Inhaber hinsichtlich ihres katholisch-kirchlichen Standpunktes keine Erinnerung zu erheben ist. Bei der Besetzung gilt § 2 entsprechend.“

"(§ 2 Art. 5): “An den in § 1 genannten theologischen Fachbereichen werden Professoren und andere Personen, die zu selbständiger Lehre berechtigt sind, vom Staate erst ernannt, wenn gegen die in Aussicht genommenen Kandidaten von dem zuständigen Diözesanbischof keine Erinnerung erhoben worden ist.”

2 Faust I, Studierzimmer:

"MEPHISTOPHELES.

Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
Nicht gleich im Anfang willig an,
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird's Euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten."

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 142.]


1914


Pan: Der Krieg

„ . . . Darum ist der Krieg die hehrste und heiligste Äußerung menschlichen Handelns . . . Der Krieg ist schön."
Aus der „Jungdeutschlandpost"1

So also sollt ihr zu der Jugend sprechen:
Übt zeitig euch im Hauen, Schießen, Stechen!
Denn diese Erde, hoffnungsvoller Sohn,
Gehört der muskulösesten Nation.
Kultur ist Quatsch. Und nur die alten Weiber
In Männerhosen lieben nicht den Speer,
Den du starkfäustig jagst in andre Leiber —
Der Krieg ist hehr!

Zwar lehrt die Bibel dich: Du sollst nicht töten!
Gott selber sprach's am Berge Sinai;
Indessen: es genügt, zu ihm zu beten
Im Schlachtendonner deiner Batterie.
Als Ideal magst du den Spruch erhalten;
Vergiss jedoch die Theorie zeitweilig,
Bis alle Feindesschädel sind zerspalten —
Der Krieg ist heilig!

Sieh dort die Ebene vom Blute dampfen!
Horch: die Blessierten brüllen laut vor Schmerz;
Sieh ihre Faust sich in den Boden krampfen —
Dies, junger Freund - nicht wahr? — erhebt das Herz.
Wenn tausend Augen wild zum Himmel stieren
Und rote Nacht um dich, Tod und Gestöhn,
Dann wirst du es, Germanensprosse, spüren:
Der Krieg ist schön!

Die Weiber weinen, und die Kinder betteln.
Der Invalide hinkt auf einem Bein.
Pah, schieß die Feinde lachend aus den Sätteln
Und haue mit dem Kolben fröhlich drein!
Zwar Mord ist Mord und einzeln ein Verbrechen,
Doch kann er möglichst massenhaft geschehn,
Ist er als edelmenschlich anzusprechen:
Als heilig, wie gesagt, als hehr und schön!

In: Der wahre Jacob. -- 1914, S. 8426.

Erläuterung:

1 Jungdeutschlandpost: Zeitschrift des 1911 gegründeten Jungdeutschlandbundes, einer Dachorganisation nationaler Jugendorganisationen, die vormilitärischer Ausbildung und patriotischer Beeinflussung diente

[Quelle: Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften "Der wahre Jakob" und "Süddeutscher Postillon" / hrsg. von Norbert Rothe. --Berlin : Akademie-Verlag, 1977. -- 239 S. -- (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland ; Bd. 19). -- S. 205f.] 


1918



Abb.: Sigwart, A.: Die Betverordnung in den Vereinigten Staaten. -- In: Der wahre Jacob. -- 1918

"Der Präsident der Vereinigten Staaten führt die Verordnung aus, nach der die Amerikaner jeden Mittag eine Minute lang den lieben Gott  um den Sieg der amerikanischen Waffen anflehen sollen."

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 167.]


1923



Abb.: Die Verfassung des Deutschen Reichs / Referenten-Entwurf von Hans Bauer. -- In: Der wahre Jacob. -- 1923

"Abschnitt G. Religion

Artikel 16.

Die Freidenkerorganisationen werden aufgehoben. Ihre Mitglieder werden den bestehenden Religionsgesellschaften eingegliedert.

Die Anstellung der Lehrer an den Volks- und höheren Schulen erfolgt von den Konsistorien und Episkopaten. Bei Anstellung des des Turnlehrers ha der örtliche Ausschuss für bessere Olympia-Erfolge beratende Stimme.

Abschnitt H. Bildung und Schule.

Artikel 17.

Die Kunst, Wissenschaft und Lehre sind frei von Kulturbolschewismus. Kulturbolschewismus umfasst Nacktbaden, Jazzmusik, Psychoanalyse, Bauhäuser1, Magazine (mit Ausnahme der Scherlschen2 und der Pulvermagazine), die Relativitätstheorie sowie jede Art von Literatur, bei der es sich nicht um deutsches Schrifttum handelt."

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 181.] 

1 Anspielung auf das 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete Staatliche Bauhaus und die daraus entstandene Bauhaus-Bewegung

2 Scherl, August (Hugo Friedrich), Verleger, (1849 - 1921):
 

"August Hugo Friedrich Scherl gründete am 1. Oktober 1883 einen Presse- und Buchverlag, der seit 1900 den Namen August Scherl Verlag trug. Seit dem 3. November 1883 gab er als ersten deutschen Generalanzeiger den Berliner Lokal-Anzeiger heraus, seit 1899 erschien in seinem Verlag das illustrierte Wochenblatt „Die Woche“.

Er besaß zeitweise die auflagenstärksten Zeitungen in Deutschland und war Konkurrent von Leopold Ullstein und Rudolf Mosse.

Scherl beschäftigte sich auch mit der Theaterorganisation, mit Lotterie-Systemen und der Einschienenbahn. Diese kostspieligen Projekte waren wirtschaftlich nicht erfolgreich, so dass er sein Presse-Unternehmen an den „Deutschen Verlagsverein“ verkaufte und 1914 ausschied. Sein rechts-nationales Zeitungsimperium wurde im Jahre 1916 von Alfred Hugenberg und später von Max Amann (Franz-Eher-Verlag) übernommen.

...

Periodika, Zeitungen und Zeitschriften aus dem Scherl-Verlag
  • 1883 Berliner Lokal-Anzeiger gegründet. Der Zeitung wird vorauseilende Nähe zu Wilhelm II nachgesagt.
  • ab 1889 die Berliner Abendzeitung
  • 1894 Neueste Berliner Handels- und Börsennachrichten
  • 1899 die Illustrierte Die Woche (Scherl)
  • 1900 die Tageszeitung Der Tag
  • 1904 Die Gartenlaube gekauft
  • 1905 Praktischer Wegweiser, später erfolgreich als Allgemeiner Wegweiser
  • 1928 Denken und Raten
  • Berliner Illustrierte Nachtausgabe
  • Scherl Magazin
  • Silberspiegel
  • Sport im Bild
  • Scherls-Wohnungs-Zeitung
  • Filmwelt
  • Das Grundeigentum
  • Der Kinematograph
  • Echo (Zeitschrift)
  • Deutsche technische Auslandszeitschrift
  • Berliner Adressbuch 1896 - 1943, unter Benutzung amtlicher Quellen"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Scherl. -- Zugriff am 2010-06-22.]


1927



Abb.: Karl Holtz (1899 - 1978): Vom Sinn des Reichsschulgesetzes: "Sieh da, der Jesus, was machen Sie denn da?" — "Ich lehre die Kinder Menschenliebe und Brüderlichkeit!"  — "Ach Quatsch! Merken Sie sich: für die Katz ist jeder Religionsunterricht, der nicht aus Gören zuverlässige Zentrumswähler macht!". -- In: Der wahre Jacob. -- 1927

Erläuterung: Am 7. April 1927werden im Reichsinnenministerium werden zur Vorbereitung der Arbeit an dem geplanten Reichsschulgesetz die Schlüsselpositionen in der Abt. I (Kultur) und III (Verfassung) durch einen Beamten des Zentrums (Pellengahr) und der Deutschnationalen Volkspartei (v. Kameke) besetzt. Weichen muss u.a. »die letzte Größe der Sozialdemokratie innerhalb der Reichsverwaltung«, Staatssekretär Schulz.

[Bildquelle: Frau Republik geht pleite : deutsche Karikaturen der zwanziger Jahre / Klaus Haese ; Wolfgang U. Schütte. -- Kiel : Neuer Malik-Verl., 1990. -- 144 S. : 205 Ill. ; 28 cm. -- Lizenzaug. d. Ed. Leipzig, Leipzig. - Ausg. für d. Bundesrepublik Deutschland, Berlin (West), Österreich u.d. Schweiz. -- ISBN 3-89029-047-7. -- S. 61]



Abb.: Belsen, Jacobus <1870 - >: An den Ufern der Wolga. In: Der wahre Jacob. -- 1927

"Hab Erbarmen und mach' das Schweinchen gesund! Eine Wachskerze, wenn's der Kommissar auch nicht gern sieht, geloben wir dir!"

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 199.]


1932



Abb.: In: Der wahre Jacob. -- Nr. 17. -- 1927-06

[Bildquelle: Der wahre Jacob : ein halbes Jahrhundert in Faksimiles / hrsg. und eingeleitet von Udo Achten. -- Bonn : Dietz, 1994. -- 264 S. : Ill. ; 32 cm. -- ISBN 3-8012-0219-4. -- S. 15.]

"Am 28. Juli 1932 wurde der „Wahre Jacob" durch den Berliner Polizeipräsidenten Melcher auf die Dauer von acht Wochen verboten. Das Reichsgericht, eingelegter Beschwerde stattgebend, kürzte das Verbot auf vier Wochen ab. Mit vorliegender Nummer ziehen wir wieder blank.

Einige Worte zu den Untaten, deren wir uns in Nr. 17 schuldig gemacht haben sollen, sind wir unseren Lesern und den Annalen neudeutscher Geschichte schuldig.

Das Titelblatt der Nr. 17 soll kirchliche Einrichtungen und Gebräuche beschimpft haben, weil es eine Hakenkreuz-Guillotine in der Form eines monstranzähnlichen Gerätes zeigte; die Karikatur auf Seite 3 der gleichen Nummer soll dem Herrn Reichskanzler eine „sklavenhafte" Abhängigkeit von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vorgeworfen und ihn dadurch gröblich beschimpft haben.

Was jenes Titelblatt angeht, so stellen wir fest, daß außer den Herren, die uns den Maulkorb umzuhängen beliebten, kein Mensch in Deutschland das behauptete Delikt hat erkennen können. Keine kirchenoffizielle Stelle, keine der zahlreichen konfessionellen Pressekontrollstellen, kein Geistlicher und kein Laie, kein katholisches Blatt hat in der Zeichnung eine Beschimpfung der Monstranz finden können. Wohl aber hat man überall die Karikatur und ihren Text so verstanden, wie sie einzig und allein nur verstanden werden konnten: als leidenschaftlich-bitteren Hohn über die Tartüfferie der Hakenkreuz-Bekenner, die, sich Christen nennend, die Massen-Abschlachtung politischer Gegner für wünschenswert erklärt und inzwischen probeweise versucht haben.

In Sachen der Popen-Karikatur bedauern wir, dem Herrn Polizeipräsidenten von Berlin einige Verlegenheiten bereiten zu müssen. Aus welchen Gründen ist es für ihn in so hohem Maße opportun, eine Abhängigkeit des Herrn Reichskanzlers von der NSDAP, zu bestreiten? Hat der Herr Reichskanzler selber nicht mehrfach seiner Sympathie für die Bewegung des Herrn Hitler Ausdruck gegeben? Ist der Herr Polizeipräsident von Berlin ein so entschiedener Gegner der Nationalsozialisten, daß er, wenn jemand die Abhängigkeit eines hohen politischen Beamten des Reichs von der NSDAP, behauptet, darin ohne weiteres eine grobe Beschimpfung des Beamten erblickt? — ein Standpunkt, den wir hinsichtlich seiner Moral uns ohne Einschränkung zwar zu eigen machen, hinsichtlich seiner juristischen Konsequenzen aber doch lieber nur mit Vorsicht beziehen möchten.

Unseren Lesern, die uns in den Tagen des Verbots durch so zahlreiche kernige Zuschriften erfreut haben, danken wir an dieser Stelle herzlichst dafür. Wir wissen uns einig mit ihnen: wenn die Gegner wollen, dass Deutschland nichts zu lachen haben soll, so sollen sie sich täuschen!


Freiheit!

Die Redaktion des „Wahren Jacob""

[Quelle: Der wahre Jacob. -- Nr. 21, 1932. -- S. 2]


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren XI: Der Floh (1869 - 1939)

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