Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)
Zitierweise / cite as:
Lenin, Wladimir I. <1870 - 1924>: Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus. -- 1922. -- Fassung vom 2004-12-27. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/lenin01.htm
Erstmals publiziert: 2004-12-27
Überarbeitungen:
©opyright: Public Domain
Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik von Tüpfli's Global Village Library
Erstmals erschienen in:
Pod Snamenem Marxisma [Unter dem Banner des Marxismus]. -- Nr. 3, März 1922. -- Unterschrift: N. Lenin.
Kritische Ausgabe:
Lenin, Vladimir Il'ich <1870-1924>: [Werke] Sochineniia. -- [Moskva] : Gos. izd-vo polit. lit-ry, 1941 - . -- Bd. 33, S. 213—223.
Übersetzung nach:
Lenin, Vladimir Il'ic <1870 - 1924>: Ausgewählte Werke / W. I. Lenin. -- Moskau : Verlag Progress, 1987. -- 803 S. ; 22 cm. -- S. 663 - 671
Abb.: Lenin, der Feger
"Wladimir I. Lenin (1870 - 1924) [Quelel1870 22. April: Lenin wird als Wladimir Iljitsch Uljanow in Simbirsk (ab 1924: Uljanowsk; inzwischen zurückbenannt) als Sohn eines in den Adel aufgestiegenen Schulinspekteurs und einer Gutsbesitzertochter geboren.
1879-1887 Am Gymnasium in Simbirsk beschäftigt sich Lenin bereits mit marxistischen Schriften. Sein Bruder Alexander wird wegen eines geplanten Attentats auf den Zaren verhaftet und gehängt (1887). Nach dieser prägenden Erfahrung schließt Lenin sich der revolutionären Bewegung an.
1887-1891 Jura-Studium in Samara, wo er revolutionär aktiv ist.
1891-1893 Rechtsanwalt in Samara.
1893 Übersiedlung nach St. Petersburg, wo er neben seiner Anwaltstätigkeit in der revolutionären Bewegung mitarbeitet und Kontakt zu führenden Sozialdemokraten aufnimmt.
1895 Zusammen mit Julij Martow (1873-1923), dem späteren Menschewikenführer, gründet Lenin den "Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse", einen der Vorläufer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR).
1895-1900 Wegen politischer Agitation verbringt er zwei Jahre im Gefängnis und drei Jahre in sibirischer Verbannung. Auch dort verfaßt er weiterhin revolutionäre Propagandaschriften.
1900 Im Exil in Westeuropa beteiligt er sich an der Gründung der für Rußland bestimmten Zeitung "Iskra", in der er sein Konzept einer revolutionären Kaderpartei beschreibt. Er benutzt von nun an den Decknamen Lenin.
1903 Auf dem zweiten Parteikongreß der SDAPR in London kann Lenin seine Parteikonzeption durchsetzen. Die Partei spaltet sich daraufhin in die von ihm geführten Bolschewiken und die Menschewiken unter Martow, die eine Massenbasis anstreben.
1905 Während der revolutionären Streik- und Protestbewegung kehrt Lenin nach Rußland zurück und befürwortet einen bedingungslosen Kampf gegen den Zaren. Nach der Niederschlagung geht er erneut ins Exil.
1912 Nach der Bildung einer revolutionären Kadertruppe trennt Lenin die Bolschewiken als eigenständige Partei endgültig von der Sozialdemokratie ab. Er leitet die neugegründete Parteizeitung "Prawda" und beruft Josef W. Stalin in das Zentralkomitee.
1914-1917 Lenin lebt im Exil in der Schweiz. Auf den europäischen Kriegskonferenzen der linken Sozialisten kann er sich mit seiner Forderung einer "Umwandlung des Krieges in einen Bürgerkrieg" nicht durchsetzen.
1916 In seiner Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" entwickelt er die Lehre von der unvermeidlichen Selbstauflösung der westlichen Industriestaaten.
1917 April: Nach Ausbruch der Februarrevolution in Rußland reist Lenin nach St. Petersburg und propagiert den Kampf gegen die Übergangsregierung. Die deutsche Regierung organisiert seine Reise von der Schweiz durch Deutschland und unterstützt seine revolutionären Aktivitäten mit großen Geldzahlungen, weil sie so zur entscheidenden inneren Schwächung des Kriegsgegners Rußland beizutragen hofft.
In den "Aprilthesen" formuliert Lenin sein radikalrevolutionäres Programm, worin er den sofortigen Frieden, eine einschneidende Landreform und eine Räteregierung fordert. Juli: Der von den Bolschewiken mitgetragene Juliaufstand scheitert, Lenin flieht nach Finnland.
7. November: Der von Leo D. Trotzki organisierte Putsch bringt die Bolschewiken an die Macht, Lenin ruft daraufhin die Räterepublik aus.
1918 Aufbau eines diktatorischen Regierungssystems unter Führung der bolschewistischen Kaderpartei, oppositionelle Gruppen (auch die Menschewiken) werden radikal unterdrückt.
Gegen starke innerparteiliche Widerstände schließt Lenin den Friedensvertrag mit dem Deutschen Reich ( Brest-Litowsk).
August: Durch das Attentat einer nichtmarxistischen Sozialrevolutionärin wird er schwer verwundet.
1918-1920 Im russischen Bürgerkrieg setzt Lenin konsequent den neugegründeten Geheimdienst Tscheka und Militärgewalt zur Unterdrückung der gegenrevolutionären und separatistischen Kräfte ein.
1919 Mit der Gründung der "Kommunistischen Internationale" (Komintern) will er die Verbreitung der Revolution in Westeuropa fördern und schafft damit eine Zentralleitung der kommunistischen Bewegungen.
1921 Aufgrund der zunehmenden Notstände und Proteste ruft Lenin eine neue Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Versorgungslage und zur Anhebung des Lebensstandards aus.
1922 Zwei Schlaganfälle mindern seine Arbeitsfähigkeit. In einem Brief an die Partei warnt er vor innerparteilichen Nachfolgekämpfen und dem Machtehrgeiz Stalins.
1923 Nach einem weiteren Schlaganfall ist er kaum noch regierungsfähig. Die Ablösung des mittlerweile in zentraler Position agierenden Stalin kann er nicht mehr durchsetzen.
1924 21. Januar: Nach schwerem Hirnleiden stirbt Lenin in Gorki (bei Moskau).
Seine Leiche wird einbalsamiert und im Mausoleum auf dem Roten Platz aufgebahrt." Quelle: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/LeninWladimir/. -- Zugriff am 2004-12-27
ÜBER DIE BEDEUTUNG DES STREITBAREN MATERIALISMUS
Über die allgemeinen Aufgaben der Zeitschrift ,,Pod Snamenem Marxisma"1
hat Gen. Trotzki in Heft 1/2 schon alles Wesentliche gesagt und es ausgezeichnet
gesagt. Ich möchte auf einige Fragen eingehen, die Inhalt und Programm der
Arbeit näher bestimmen, welche sich die Redaktion der Zeitschrift in ihrem
Geleitwort zu Heft 1/2 zum Ziel gesetzt hat.
In diesem Geleitwort heißt es, nicht alle, die sich um die Zeitschrift ,,Pod
Snamenem Marxisma" vereinigt haben, seien Kommunisten, doch alle seien
konsequente Materialisten. Ich denke, dass dieses Bündnis von Kommunisten und
Nichtkommunisten unbedingt notwendig ist und die Aufgaben der Zeitschrift
richtig bestimmt. Einer der größten und gefährlichsten Fehler von Kommunisten
(wie überhaupt von Revolutionären, die erfolgreich den Anfang einer großen
Revolution vollbracht haben) ist die Vorstellung, dass eine Revolution von
Revolutionären allein durchgeführt werden könne. Umgekehrt, für den Erfolg jeder
ernsten revolutionären Arbeit ist es notwendig, zu begreifen und für die Praxis
als Richtschnur zu nehmen, dass Revolutionäre lediglich als Avantgarde einer
wirklich lebensfähigen und fortschrittlichen Klasse ihre Rolle spielen können.
Die Avantgarde erfüllt nur dann die Aufgaben einer Avantgarde, wenn sie es
versteht, sich von der unter ihrer Führung stehenden Masse nicht loszulösen,
sondern die ganze Masse wirklich vorwärtszuführen. Ohne ein Bündnis mit
Nichtkommunisten auf den verschiedenartigsten Tätigkeitsgebieten kann von einem
erfolgreichen kommunistischen Aufbau keine Rede sein.
Das bezieht sich auch auf die Arbeit, die sich die Zeitschrift ,,Pod Snamenem
Marxisma" zum Ziel gesetzt hat — auf die Verteidigung des Materialismus und
Marxismus. Die Hauptrichtungen des fortschrittlichen gesellschaftlichen Denkens
Russlands haben glücklicherweise eine wohlfundierte materialistische Tradition.
Von G. W. Plechanow2 ganz zu schweigen, genügt es, Tschernyschewski3
zu nennen, demgegenüber die Volkstümler unserer Zeit (die Volkssozialisten4,
Sozialrevolutionäre u. dgl. m.) nicht selten zurückgegangen sind, weil sie
reaktionären philosophischen Moderichtungen nachjagten und sich vom Flitterglanz
des angeblich ,,letzten Wortes" der europäischen Wissenschaft täuschen ließen,
unfähig, hinter diesem Flitterglanz die eine oder andere Spielart des
Lakaientums vor der Bourgeoisie und ihren Vorurteilen, vor dem reaktionären
Geist der Bourgeoisie zu erkennen.
Jedenfalls gibt es bei uns in Russland noch Materialisten aus dem Lager der
Nichtkommunisten — und es wird sie zweifellos noch ziemlich lange geben—, und
unsere unbedingte Pflicht ist es, alle Anhänger des konsequenten und streitbaren
Materialismus im Kampf gegen die philosophische Reaktion und gegen die
philosophischen Vorurteile der sogenannten ,,gebildeten Gesellschaft" zu
gemeinsamer Arbeit heranzuziehen. Dietzgen5 der Ältere, den man nicht
mit seinem Sohn, einem ebenso anmaßenden wie erfolglosen Literaten verwechseln
darf, brachte die Grundauffassung des Marxismus von den philosophischen
Richtungen, die in den bürgerlichen Ländern herrschen und unter ihren Gelehrten
und Publizisten Ansehen genießen, richtig, treffend und klar zum Ausdruck, als
er sagte, dass die Professoren der Philosophie in der modernen Gesellschaft in
der Mehrzahl der Fälle tatsächlich nichts anderes sind als ,,diplomierte Lakaien
der Pfafferei".
Unsere russischen Intellektuellen, die sich — wie übrigens auch ihre Kollegen in
allen übrigen Ländern — sehr gern für fortschrittliche Leute halten, lieben es
durchaus nicht, wenn die Behandlung der Frage in die durch Dietzgens Urteil
angegebene Richtung gelenkt wird. Und zwar lieben sie es deshalb nicht, weil
ihnen die Wahrheit ein Dorn im Auge ist. Es genügt, ein wenig über die
staatliche, ferner die allgemein-ökonomische, die soziale und jeder Art sonstige
Abhängigkeit der Gebildeten unserer Zeit von der herrschenden Bourgeoisie
nachzudenken, um die absolute Richtigkeit der scharfen Charakteristik Dietzgens
zu begreifen. Man braucht sich nur an die übergroße Mehrzahl der in den
europäischen Ländern so häufig auftauchenden philosophischen Moderichtungen zu
erinnern, angefangen beispielsweise mit denen, die an die Entdeckung des Radiums
anknüpften, bis zu denen, die sich heute an Einstein zu klammern suchen, um eine
Vorstellung von dem Zusammenhang zu bekommen, der zwischen den Klasseninteressen
und der Klassenstellung der Bourgeoisie sowie der Unterstützung, die sie
jeglichen Formen der Religion gewährt, und dem Ideeninhalt der philosophischen
Moderichtungen besteht.
Aus dem Gesagten ist ersichtlich, dass eine Zeitschrift, die ein Organ des
streitbaren Materialismus sein will, erstens ein Kampforgan im Sinne der
unentwegten Entlarvung und Verfolgung aller modernen ,,diplomierten Lakaien der
Pfafferei" sein muss, einerlei, ob diese als Repräsentanten der offiziellen
Wissenschaft oder als Freischärler auftreten, die sich ,,demokratisch-radikale
oder idealsozialistische" Publizisten nennen.
Eine solche Zeitschrift muss zweitens ein Organ des streitbaren Atheismus sein.
Wir haben Behörden oder zumindest staatliche Einrichtungen, die für diese Arbeit
zuständig sind. Sie wird jedoch äußerst träge, äußerst unbefriedigend geleistet,
da sich offenbar der Druck der allgemeinen Verhältnisse unseres echt russischen
(obzwar sowjetischen) Bürokratismus auf sie auswirkt. Es ist daher
außerordentlich wichtig, dass in Ergänzung der von den entsprechenden
staatlichen Einrichtungen geleisteten Arbeit, zur Korrektur und Belebung dieser
Arbeit eine Zeitschrift, die ein Organ des streitbaren Materialismus werden
will, unermüdlich atheistische Propaganda treibt und für den Atheismus kämpft.
Die gesamte einschlägige Literatur in allen Sprachen muss aufmerksam verfolgt
und alles, was auf diesem Gebiet von irgendwelchem Wert ist, übersetzt oder
mindestens besprochen werden.
Engels hat den Führern des modernen Proletariats schon vor langer Zeit den Rat
gegeben, die kämpferische atheistische Literatur vom Ende des 18. Jahrhunderts
zur Massenverbreitung unter dem Volk zu übersetzen.6 Zu unserer
Schande haben wir dies bisher noch nicht getan (einer von den zahlreichen
Beweisen dafür, dass es viel leichter ist, in einer revolutionären Epoche die
Macht zu erobern, als diese Macht richtig zu gebrauchen). Zuweilen will man
diese unsere Trägheit, Untätigkeit und Ungeschicktheit mit allerhand
„tiefgründigen" Erwägungen rechtfertigen, zum Beispiel damit, dass die alte
atheistische Literatur des 18. Jahrhunderts veraltet, unwissenschaftlich, naiv
usw. sei. Es gibt nichts Schlimmeres als dergleichen pseudowissenschaftliche
Sophismen, hinter denen sich entweder Pedanterie oder ein vollkommenes
Unverständnis für den Marxismus verbirgt. Natürlich finden sich in den
atheistischen Schriften der Revolutionäre des 18. Jahrhunderts nicht wenig
unwissenschaftliche und naive Dinge. Aber niemand hindert die Herausgeber dieser
Schriften daran, sie zu kürzen und ihnen kurze Nachworte beizugeben, in denen
auf den Fortschritt, den die Menschheit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in
der wissenschaftlichen Kritik der Religion gemacht hat, auf die entsprechenden
neuesten Werke usw. hingewiesen wird. Es wäre der größte und schlimmste Fehler,
den ein Marxist begehen kann, zu glauben, die Millionenmassen des Volkes
(besonders der Bauern und Handwerker), die von der ganzen modernen Gesellschaft
zu geistiger Finsternis, Unwissenheit und Befangenheit in Vorurteilen verdammt
sind, könnten aus dieser Finsternis nur auf dem geraden Weg rein marxistischer
Aufklärung herauskommen. Diese Massen muss man in der atheistischen Propaganda
die mannigfaltigsten Kenntnisse vermitteln, man muss sie mit Tatsachen aus den
allerverschiedensten Lebensgebieten bekannt machen, muss bald so, bald anders an
sie herantreten, um ihr Interesse wachzurufen, muss sie aus dem religiösen
Schlaf erwecken, sie von den verschiedensten Seiten her, mit den verschiedensten
Methoden aufrütteln u. dgl. m.
Die schlagfertige, lebendige, talentvolle, geistreich und offen die herrschende
Pfafferei attackierende Publizistik der alten Atheisten des 18. Jahrhunderts
wird zur Aufrüttelung der Menschen aus ihrem religiösen Schlaf fast durchweg
tausendmal geeigneter sein als die langweiligen, trockenen, fast niemals durch
geschickt ausgewählte Tatsachen erläuterten Wiedergaben des Marxismus, die in
unserer Literatur überwiegen und (sagen wir es offen) den Marxismus häufig
entstellen. Alle größeren Werke von Marx und Engels liegen bei uns in
Übersetzungen vor. Es gibt nicht den geringsten Grund zu der Befürchtung, dass
der alte Atheismus und der alte Materialismus bei uns unergänzt bleiben könnten
durch die Korrekturen, die Marx und Engels vorgenommen haben. Die Hauptsache —
das gerade vergessen unsere vermeintlich marxistischen, in Wirklichkeit aber den
Marxismus verunstaltenden Kommunisten zumeist — besteht darin, dass man es
verstehen muss, die noch ganz unentwickelten Massen für eine bewusste
Einstellung zu den religiösen Fragen und für eine bewusste Kritik an den
Religionen zu interessieren.
Anderseits betrachte man die Vertreter der modernen wissenschaftlichen
Religionskritik. Fast stets ,,ergänzen" diese Vertreter der gebildeten
Bourgeoisie ihre eigene Widerlegung der religiösen Vorurteile durch Argumente,
die sie sogleich als ideelle Sklaven der Bourgeoisie, als ,,diplomierte Lakaien
der Pfafferei" entlarven.
Zwei Beispiele: Professor R. J. Wipper gab 1918 ein Büchlein „Der Ursprung des
Christentums" (Verlag ,,Pharos", Moskau)7 heraus. Der Verfasser
berichtet zwar über die wichtigsten Erkenntnisse der modernen Wissenschaft,
führt jedoch nicht nur keinen Kampf gegen die Vorurteile und den Betrug, diese
Waffen, deren sich die Kirche als politische Organisation bedient, er macht
nicht nur einen Bogen um diese Fragen, sondern erhebt auch noch den geradezu
lächerlichen und im höchsten Grade reaktionären Anspruch, über den beiden
„Extremen", dem idealistischen wie dem materialistischen, zu stehen. Das ist
Liebedienerei vor der herrschenden Bourgeoisie, die in der ganzen Welt Hunderte
Millionen Rubel von dem den Werktätigen abgepressten Profit zur Unterstützung
der Religion verwendet.
Der bekannte deutsche Gelehrte Arthur Drews8 widerlegt in seinem Buch
,,Die Christusmythe"9 die religiösen Vorurteile und Märchen, er
beweist, dass es einen Christus niemals gegeben hat, spricht sich aber am
Schluss des Buches für die Religion aus, freilich für eine erneuerte, frisch
aufgeputzte, schlau zurechtgemachte Religion, die fähig wäre, ,,der täglich
immer mächtiger anschwellenden naturalistischen Flutwelle" zu widerstehen (S.
238 der 4. deutschen Auflage, 1910). Hier haben wir es mit einem direkten,
bewussten Reaktionär zu tun, der den Ausbeutern unverhüllt hilft, die alten und
verfaulten religiösen Vorurteile durch funkelnagelneue, noch widerlichere und
niederträchtigere Vorurteile zu ersetzen.
Das bedeutet nicht, dass man Drews nicht übersetzen sollte. Das bedeutet, dass
die Kommunisten und alle konsequenten Materialisten, wenn sie bis zu einem
gewissen Grade ihr Bündnis mit dem progressiven Teil der Bourgeoisie
verwirklichen, diese unentwegt entlarven müssen, sobald sie ins Reaktionäre
verfällt. Das bedeutet, dass es Verrat am Marxismus und Materialismus wäre, wenn
man ein Bündnis mit den Vertretern der Bourgeoisie des 18. Jahrhunderts, d. h.
der Epoche, da diese revolutionär war, verschmähen wollte, denn im Kampf gegen
die herrschenden religiösen Dunkelmänner ist es unsere Pflicht, mit den Drews
ein „Bündnis" in dieser oder jener Form, in diesem oder jenem Grade einzugehen.
Die Zeitschrift „Pod Snamenem Marxisma", die ein Organ des streitbaren
Materialismus sein will, muss der atheistischen Propaganda, der
Berichterstattung über die entsprechende Literatur und der Behebung der
gewaltigen Mängel unserer staatlichen Tätigkeit auf diesem Gebiet viel Platz
einräumen. Besonders wichtig ist es, die Bücher und Broschüren auszuwerten, die
viele konkrete Tatsachen und Gegenüberstellungen enthalten, aus denen der
Zusammenhang der Klasseninteressen und Klassenorganisationen der modernen
Bourgeoisie mit den Organisationen der religiösen Institutionen und der
religiösen Propaganda sichtbar wird.
Außerordentlich wichtig sind alle Materialien, die sich auf die Vereinigten
Staaten von Nordamerika beziehen, wo der offizielle, amtliche, staatliche
Zusammenhang zwischen Religion und Kapital weniger in Erscheinung tritt. Dafür
sehen wir dort um so klarer, dass die sogenannte „moderne Demokratie" (die die
Menschewiki, die Sozialrevolutionäre und zum Teil auch die Anarchisten usw. so
unvernünftig verherrlichen) nichts anderes darstellt als die Freiheit, das zu
predigen, was für die Bourgeoisie vorteilhaft ist, vorteilhaft ist es für sie
aber, wenn die reaktionärsten Ideen, die Religion, der Obskurantismus, die
Verteidigung der Ausbeuter u. dg\. m. gepredigt werden.
Man darf wohl erwarten, dass die Zeitschrift, die ein Organ des streitbaren
Materialismus sein will, unserem Leserpublikum einen Überblick über die
atheistische Literatur bieten wird, versehen mit Hinweisen, für welchen
Leserkreis und in welcher Hinsicht diese oder jene Schriften geeignet sein
könnten, und mit Angabe, was bei uns schon erschienen ist (als bereits
erschienen können nur brauchbare Übersetzungen, deren es nicht allzu viele gibt,
betrachtet werden) und was noch herausgegeben werden muss.
Nicht minder wichtig, wenn nicht gar noch wichtiger, als das Bündnis mit den
konsequenten Materialisten, die nicht der Partei der Kommunisten angehören, ist
für die vom streitbaren Materialismus zu leistende Arbeit das Bündnis mit den
Vertretern der modernen Naturwissenschaft, die dem Materialismus zuneigen und
sich nicht scheuen, ihn entgegen den in der sogenannten „gebildeten
Gesellschaft" herrschenden philosophischen Modeschwankungen zum Idealismus und
Skeptizismus zu verfechten und zu propagieren.
Der in Heft 1/2 der Zeitschrift „Pod Snamenem Marxisma" erschienene Artikel A.
Timirjasews über die Relativitätstheorie Einsteins lässt uns hoffen, dass es der
Zeitschrift gelingen wird, auch dieses zweite Bündnis zu verwirklichen. Man muss
ihm größere Aufmerksamkeit zuwenden. Man muss bedenken, dass gerade aus dem
jähen Umbruch, den die moderne Naturwissenschaft durchmacht, unausgesetzt
reaktionäre philosophische Schulen und Richtungen, große wie kleine,
emporsprießen. Die Fragen, welche die jüngste Revolution auf dem Gebiet der
Naturwissenschaft auf wirft, aufmerksam zu verfolgen und hierzu Naturforscher
für die Mitarbeit an der philosophischen Zeitschrift zu gewinnen, ist daher eine
Aufgabe, ohne deren Lösung der streitbare Materialismus schlechthin weder
streitbar noch materialistisch sein kann. Wenn Timirjasew im ersten Heft der
Zeitschrift hervorheben musste, dass schon eine Unzahl Vertreter der
bürgerlichen Intelligenz in allen Ländern die Theorie Einsteins, der nach
Timirjasews Worten persönlich keinerlei aktiven Feldzug gegen die Grundlagen des
Materialismus führt, auszuschlachten versucht, so gilt das nicht nur für
Einstein allein, sondern für eine ganze Reihe, wenn nicht die Mehrzahl aller
großen Neuerer in der Naturwissenschaft seit dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Und um einer solchen Erscheinung nicht ratlos gegenüberzustehen, müssen wir
begreifen, dass sich ohne eine gediegene philosophische Grundlage keine
Naturwissenschaft, kein Materialismus im Kampf gegen den Ansturm der
bürgerlichen Ideen und gegen die Wiederherstellung der bürgerlichen
Weltanschauung behaupten kann. Um diesen Kampf bestehen und mit vollem Erfolg zu
Ende führen zu können, muss der Naturforscher moderner Materialist, bewusster
Anhänger des von Marx vertretenen Materialismus sein, das heißt, er muss
dialektischer Materialist sein. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die
Mitarbeiter der Zeitschrift ,,Pod Snamenem Marxisma" das systematische Studium
der Dialektik Hegels vom materialistischen Standpunkt aus organisieren, d. h.
jener Dialektik, die Marx sowohl in seinem ,,Kapital" wie auch in seinen
historischen und politischen Schriften praktisch angewandt hat, und zwar mit so
viel Erfolg, dass jetzt jeder Tag, da im Osten (Japan, Indien, China) neue
Klassen zum Leben und zum Kampf erwachen — d. h. jene Hunderte Millionen der
Menschheit, die den größeren Teil der Erdbevölkerung ausmachen und die durch
ihre geschichtliche Untätigkeit und ihren geschichtlichen Schlaf bisher den
Stillstand und die Fäulnis in vielen fortgeschrittenen Staaten Europas bedingt
haben—, dass jeder Tag, da neue Völker und neue Klassen zum Leben erwachen, den
Marxismus immer mehr bekräftigt.
Gewiss ist ein solches Studium, eine solche Auslegung und eine solche Propaganda
der Hegelschen Dialektik außerordentlich schwierig, und die ersten Versuche in
dieser Richtung werden zweifellos mit Fehlern behaftet sein. Aber nur der macht
keine Fehler, der nichts tut. Gestützt auf die Marxsche Anwendung der
materialistisch aufgefassten Dialektik Hegels, können und müssen wir diese
Dialektik nach allen Seiten hin ausarbeiten, in der Zeitschrift Auszüge aus den
Hauptwerken Hegels veröffentlichen und sie materialistisch auslegen, indem wir
sie durch Musterbeispiele der Anwendung der Dialektik bei Marx kommentieren,
ebenso aber auch durch Musterbeispiele der Dialektik auf dem Gebiet der
ökonomischen und politischen Verhältnisse, wie sie uns die neueste Geschichte,
besonders der moderne imperialistische Krieg und die Revolution, in so
ungewöhnlich großer Anzahl bieten. Die Gruppe der Redakteure und Mitarbeiter der
Zeitschrift ,,Pod Snamenem Marxisma" sollte nach meiner Meinung eine Art
„Gesellschaft materialistischer Freunde der Hegelschen Dialektik" sein. Die
modernen Naturforscher werden (wenn sie es verstehen, danach zu suchen, und wir
es lernen, ihnen dabei zu helfen) in der materialistisch gedeuteten Dialektik
Hegels eine Reihe von Antworten auf die philosophischen Fragen finden, die durch
die Revolution in der Naturwissenschaft aufgeworfen werden und bei denen die
intellektuellen Anbeter der bürgerlichen Mode zur Reaktion ,,abgleiten".
Stellt man sich eine solche Aufgabe nicht und arbeitet man nicht systematisch an
ihrer Lösung, so kann der Materialismus kein streitbarer Materialismus sein. Er
wird, um einen Ausdruck Stschedrins zu gebrauchen, sich nicht so sehr schlagen
als vielmehr geschlagen werden.10 Ohne eine solche Aufgabenstellung
werden die großen Naturforscher auch künftig ebenso häufig wie bisher in ihren
philosophischen Schlussfolgerungen und Verallgemeinerungen hilflos sein. Denn
die Naturwissenschaft schreitet so schnell voran, macht eine Periode so
tiefgehenden revolutionären Umbruchs auf allen Gebieten durch, dass sie ohne
philosophische Schlussfolgerungen unter keinen Umständen auskommen kann.
Zum Schluss möchte ich noch ein Beispiel anführen, das zwar nicht das Gebiet der
Philosophie, aber doch jedenfalls das Gebiet der gesellschaftlichen Fragen
betrifft, denen die Zeitschrift ,,Pod Snamenem Marxisma" ebenfalls Beachtung
schenken will.
Es ist eines von den Beispielen dafür, wie die moderne Quasi-Wissenschaft in
Wirklichkeit als Schrittmacher der krassesten und niederträchtigsten
reaktionären Anschauungen dient.
Unlängst erhielt ich die Zeitschrift „Ekonomist"11 Nr. 1
(1922) zugesandt, die von der XI. Abteilung der „Russischen Technischen
Gesellschaft" herausgeben wird. Der junge Kommunist, der mir diese Zeitschrift
zusandte (und der wahrscheinlich keine Zeit hatte, sich mit ihrem Inhalt bekannt
zu machen), sprach sich über die Zeitschrift unvorsichtigerweise außerordentlich
lobend aus. In Wirklichkeit stellt diese Zeitschrift — ich weiß nicht, inwieweit
bewusst — ein Organ moderner Anhänger der Leibeigenschaft dar, die sich
natürlich in die Toga der Wissenschaftlichkeit, des Demokratismus u. dgl. m.
hüllen.
Ein gewisser Herr P. A. Sorokin12 veröffentlicht in dieser
Zeitschrift weitschweifige, angeblich „soziologische" Untersuchungen „Über den
Einfluss des Krieges". Der gelehrte Artikel strotzt von gelehrten Hinweisen auf
die „soziologischen" Werke des Verfassers und seiner zahlreichen ausländischen
Lehrer und Kollegen. Seine Gelehrtheit sieht so aus:
Auf Seite 83 lese ich:
,,Auf 10 000 Ehen in Petrograd kommen gegenwärtig 92,2 Ehescheidungen — eine phantastische Zahl, wobei von 100 geschiedenen Ehen 51,1 weniger als ein Jahr dauerten, 11 Prozent hatten eine Dauer von nicht einmal einem Monat, 22 Prozent von weniger als zwei Monaten, 41 Prozent von weniger als drei bis sechs Monaten und nur 26 Prozent von über sechs Monaten. Diese Zahlen besagen, dass die moderne gesetzliche Ehe die Form ist, die dem Wesen nach außereheliche geschlechtliche Beziehungen verbirgt und Liebhabern ,galanter Abenteuer' die Möglichkeit gibt, mit gesetzlichem' Segen ihren Gelüsten zu frönen." (,,Ekonomist" Nr. 1, S. 83.)
Sicher rechnen sich sowohl dieser Herr als selbst auch die „Russische
Technische Gesellschaft", die die Zeitschrift herausgibt und derartige
Betrachtungen veröffentlicht, zu den Verfechtern der Demokratie und betrachten
es als schwere Beleidigung, wenn man sie als das bezeichnet, was sie in
Wirklichkeit sind, nämlich als Anhänger der Leibeigenschaft, als Reaktionäre,
als ,,diplomierte Lakaien der Pfafferei".
Die oberflächlichste Bekanntschaft mit der Gesetzgebung der bürgerlichen Länder
über Ehe, Scheidung und uneheliche Kinder wie auch mit der wahren Lage der Dinge
in dieser Hinsicht zeigt jedem, der sich für diese Frage interessiert, dass sich
die moderne bürgerliche Demokratie selbst in den demokratischsten bürgerlichen
Republiken in dieser Beziehung gerade als Fürsprecherin der Leibeigenschaft
gegenüber der Frau und den unehelichen Kindern erweist.
Das hindert die Menschewiki, die Sozialrevolutionäre und einen Teil der
Anarchisten sowie alle entsprechenden Parteien des Westens natürlich nicht, mit
ihrem Geschrei über die Demokratie und deren Verletzung durch die Bolschewiki
fortzufahren. In Wirklichkeit stellt gerade die bolschewistische Revolution in
Fragen wie der Ehe, der Ehescheidung und der Lage der unehelichen Kinder die
einzige konsequent demokratische Revolution dar. Das ist aber eine Frage, die
unmittelbar die Interessen der größeren Bevölkerungshälfte in jedem Lande
berührt. Erst die bolschewistische Revolution hat, trotz der großen Zahl der
vorangegangenen und sich demokratisch nennenden bürgerlichen Revolutionen, in
dieser Beziehung zum erstenmal einen entschiedenen Kampf geführt, und zwar
sowohl gegen die reaktionären und leibeigenschaftlichen Zustände als auch gegen
die übliche Heuchelei der herrschenden und besitzenden Klassen.
Wenn dem Herrn Sorokin 92 Ehescheidungen auf 10 000 Ehen eine phantastische Zahl
zu sein scheinen, so bleibt uns nur die Annahme übrig, dass der Verfasser
entweder in einem vom Leben so abgeschlossenen Kloster gelebt hat und erzogen
worden ist, dass wohl kaum jemand an die Existenz eines solchen Klosters glauben
wird, oder dass dieser Verfasser die Wahrheit zugunsten der Reaktion und der
Bourgeoisie verfälscht. Wer auch nur einigermaßen mit den gesellschaftlichen
Verhältnissen in den bürgerlichen Ländern vertraut ist, der weiß, dass die
faktische Zahl der faktischen (natürlich nicht von der Kirche und dem Gesetz
sanktionierten) Ehescheidungen überall unvergleichlich höher ist. Russland
unterscheidet sich in dieser Hinsicht von den anderen Ländern lediglich dadurch,
dass seine Gesetze die Heuchelei und die rechtlose Lage der Frau und ihres
Kindes nicht sanktionieren, sondern offen und im Namen der Staatsmacht jeder
Heuchelei und jeder Rechtlosigkeit den systematischen Krieg erklären.
Eine marxistische Zeitschrift wird auch gegen die modernen ,,gebildeten"
Anhänger der Leibeigenschaft dieser Sorte Krieg führen müssen. Wahrscheinlich
bezieht bei uns ein nicht geringer Teil dieser Leute sogar Staatsgelder und
steht im Staatsdienst, um die Jugend aufzuklären, obwohl sie dazu nicht mehr
taugen, als notorische Kinderschänder in der Rolle von Erziehern an Schulen für
die unterste Altersstufe taugen würden.
Die Arbeiterklasse Russlands hat es vermocht, die Macht zu erobern, aber es noch
nicht gelernt, sie zu gebrauchen, denn sonst hätte sie derartige Lehrer und
Mitglieder gelehrter Gesellschaften schon längst aufs höflichste in die Länder
der bürgerlichen „Demokratie" hinauskomplimentiert. Dort ist für solche
Leibeigenschaftsapostel gerade der richtige Platz.
Sie wird es lernen, wenn sie nur will.
12.III.1922
Erläuterungen:
1 Pod Snamenem Marxisma [Unter dem Banner des Marxismus], eine philosophische und ökonomische Monatszeitschrift, erschien in Moskau von Januar 1922 bis Juni 1944.
2 Plechanow
"Georgi Walentinowitsch Plechanow (russisch Георгий Валентинович Плеханов, wiss. Transliteration Georgij Valentinovič Plechanov ) * 1856 in Gudalowka (Gouvernment Tambow); 30. Mai 1918 in Terijoki, damals zu Finnland gehörend, heute Selenogorsk bei Sankt Petersburg)) war ein russischer Journalist und Philosoph, der die Erfahrungen des Scheiterns der russischen volksschwärmerischen und anarchistisch-terroristischen Bewegung, der Volkstümler (Narodniki), und den westeuropäischen Marxismus verband.
Er wurde der geistige Vater und erste Parteiführer der russischen Sozialdemokratie und wurde durch seine Arbeiten zum historischen Materialismus auch international bekannt und geachtet.
Er war namentlich für Lenin theoretische Vater- und Freund-Figur, bis beide auch persönlich die Spaltung in gemäßigte, politisch reformistische Menschewiki und radikale Bolschewiki (später Kommunisten) vollzogen.
Die russische Revolution von 1905 bis 1907, die folgende konterrevolutionäre Ära und der erste Weltkrieg spitzten die politische Situation und die theoretischen Fragen so zu, dass Plechanow bei den revolutionär-sozialdemokratischen Massen 1917 unbekannt und politisch einflusslos war.
Selbst im Leninismus galt Plechanow trotz der politischen Diskriminierung aber weiter als Autorität."[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Georgij_Plechanow. -- Zugriff am 2004-12-27]
3 Nikolaj Gawrilowitsch Tschernyschewski (1828-89) russischer materialistischer Philosoph
4 Volksozialisten: Mitglieder der "kleinbürgerlichen" Partei der Volkssozialisten, die 1906 aus dem rechten Flügel der Partei der Sozialrevolutionäre hervorging.
5 Josef Dietzgen
"Dietzgen, Josef, [geb. 1828] gest. 1888. = Sozialistischer Denker, Vertreter eines »dialektisch« begründeten Monismus. Das Universum ist ein unendlicher, ewiger Prozess, es ist dialektisch tätig, entwickelt sich selbst, es ist das Ding an sich, die Totalität der Erscheinungen; welche wir zu erkennen, zu berechnen vermögen. Das menschliche Denken ist ein Teil des Universums; das Sein schafft das Denken, bildet einen Teil desselben. Die Materie ist die sinnliche Wirklichkeit. Die Natur ist die Summe der materiellen und geistigen Erscheinungen; auch die geistigen Vorgänge sind ein Stück der Wirklichkeit. Die Materie kann denken, und das Denken materialisiert sich beständig. Die Seele ist eine Wahrnehmung, wird als Prozess gefühlt, ist eine Naturerscheinung. Das Ganze, Eine ist in allem enthalten. Die Wahrheit, die »universale Natur« geht nicht völlig in unser Denken ein, das nur ein mehr oder weniger treffendes Bild von ihr erreicht. - Das Denken ist eine unmittelbare, aposteriorische Gehirntätigkeit, deren Material das sinnlich Wahrnehmbare ist. Denken ist ein »Generalsinn, welcher die Botschaften der Spezialsinne registriert, gruppiert und systematisiert«. Es entwickelt aus dem sinnlich Gegebenen das allgemeine und einheitliche Vorstellungs- und Begriffsbild. In letzter Linie ist es der Weltzusammenhang, welcher mittels des Menschen denkt. Es besteht eine Weltdialektik, nach der alle Gegensätze zugleich koordinierte Elemente der Wirklichkeit sind, in der sie zusammengefasst werden.
Schriften: Das Wesen d. menschl. Kopfarbeit. Kleinere philos. Schriften. Das Akquisit der Philosophie u. Briefe über Logik. Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet d. Erkenntnistheorie. Erkenntnis u. Wahrheit, 1908, u. a."[Quelle: Eisler, Rudolf <1873-1926>: Philosophen-Lexikon : Leben, Werke und Lehren der Denker. -- Berlin : Mittler, 1912. -- 889 S. -- S. 869f.]
6 Siehe: Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Programm der blanquistischen Kommuneflüchtlinge <Auszug>. -- (Flüchtlingsliteratur ; II). -- 1874. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/engels02.htm. -- Zugriff am 2004-12-27
7 von mir bibliographisch nicht nachweisbar
8 Arthur Drews
"Drews, (Christian Heinrich) Arthur, Philosoph, geb. 1.11.1865 Uetersen (Holstein), gest. 19.7.1935 Illenau bei Brühl (Baden) Drews studierte zunächst Sprach- und Literaturwissenschaften, später Philosophie an den Universitäten München, Berlin, Heidelberg und Halle (Promotion 1889, Die Lehre von Raum und Zeit in der nachkantischen Philosophie), habilitierte sich 1896 an der TH Karlsruhe für Philosophie und war dort seit 1898 a.o. Professor. Beeinflusst vor allem von Eduard von Hartmann und seinem Begriff des Unbewussten, entwickelte Drews einen "konkreten Monismus" im Sinn einer pantheistischen Metaphysik und lehrte als einer der ersten die Philosophie Schopenhauers, Nietzsches und Hartmanns an der Hochschule. Drews verneinte die historische Existenz Jesu und erklärte die christliche Überlieferung als "Christusmythe". Um 1909/10 wurde er vorübergehend zum Mittelpunkt einer sektiererischen Massenbewegung. Eine angestrebte Verbindung zum sozialistisch-materialistischen Freidenkertum scheiterte an Drews’ idealistischen Tendenzen.
Zu seinen Hauptwerken gehören Die deutsche Spekulation seit Kant (2 Bde., 1893, (3)1925), Die Religion als Selbst-Bewußtsein Gottes. Eine philosophische Untersuchung über das Wesen der Religion (1906, (2)1925), Die Christusmythe (2 Bde., 1909-11), Die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu (1926), Die Petruslegende (1910) und Die Marienmythe (1928)."
[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]
9 Drews, Arthur <1865-1935>: Die Christusmythe. -- Jena : Diederichs, 199-1911. -- 2Bde. ; 22cm. . -- Bd.2 Spezialtitel: Die Zeugnisse für die Geschichtlichkeit Jesu.
10 Michail Jewgrafowitsch Saltykow-Stschedrin (1826 - 1889): Die Geschichte einer Stadt (1869)
11 Ekonomist: Zeitschrift der Industrie- und Wirtschaftsabteilung der Russischen Technischen Gesellschaft (sowjetfeindlich). Erscheint in Petrograd von Dezember 1921 bis Juni 1922
12 Pitirim Alexandrovitch Sorokin (1889–1968): amerikanischer Soziologe russischer Herkunft, neben journalistischer und politischer Tätigkeit (in der Regierung Kerenskij) Professor in Petrograd, nach der Emigration (1922) an der University of Minnesota (1924 - 1930) und ab 1930 an der Harvard University.
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