Religionskritik

Sacrae Romanae et Universalis Inquisitionis Decretum = "Neuer Syllabus" (1907)

von

Pius X.


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Pius <Papa, X.> <1835 - 1914>: Sacrae Romanae et Universalis Inquisitionis Decretum = "Neuer Syllabus" (1907-07-03). -- Fassung vom 2007-11-15. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/neuersyllabus.htm 

Erstmals publiziert: 2007-11-15

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Zur Einführung siehe:

Pius <Papa, X.> <1835 - 1914>: Iusiurandum contra errores modernismi = Antimodernisteneid (1910-09-01). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/antimodernisteneid.htm

Unverschämt lügen muss man können, wenn man Papst ist (oder ist es nur unglaubliche Dummheit und Unkenntnis?). So sagte der angeblich gelehrte Papst Benedikt XVI. und ehemalige Großinquisitor in seiner Rede an der Universität Regensburg: "Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt."  Dabei ist und bleibt katholische Theologie die absolute Absage an den Verstand. Wenn man seinen Verstand benutzt, kann man sich unmöglich mit dem identifizieren, die das Wesen des katholischen Glaubens und des größenwahnsinnigen Papsttums ausmacht.


Sacrae Romanae et Universalis Inquisitionis Decretum

Feria IV, die 3. Julii 1907.

DER HEILIGEN RÖMISCHEN UND ALLGEMEINEN INQUISITION ERLASS

vom Mittwoch, den 3. Juli 1907.

§.1 De falso novarum rerum studio.

LAMENTABILI SANE EXITU aetas nostra freni impatiens in rerum summis rationibus indagandis ita nova non raro sequitur ut, dimissa humani generis quasi haereditate, in errores incidat gravissimos. Qui errores longe erunt perniciosiores, si de disciplinis agitur sacris, si de Sacra Scriptura interpretanda, si de fidei praecipuis mysteriis. Dolendum autem vehementer inveniri etiam inter catholicos non ita paucos scriptores qui, praetergressi fines a Patribus ac ab ipsa Sancta Ecclesia statutes, altioris intelligentiae specie et historicae considerationis nomine, eum dogmatum progressum quaerunt qui, reipsa, eorum corruptela est. Ne vero huius generis errores, qui quotidie inter fideles sparguntur, in eorum animis radices figant ac fidei sinceritatem corrumpant, placuit SSmo D. N. Pio divina providentia Pp. X, ut per hoc Sacrae Romanae et Universalis Inquisitionis officium ii qui inter eos praecipui essent, notarentur et reprobarentur. Quare, institute diligentissimo examine, praehabitoque RR. DD. Consultorum voto, Emi ac Rmi Dni Cardinales, in rebus fidei et morum Inquisitores Generales propositiones quae sequuntur reprobandas esse iudicarunt, prouti hoc generali Decreto reprobantur ac proscribuntur :

Ein beklagenswertes Verhängnis ist es fürwahr, dass unsere jedes Zügels überdrüssige Zeit in ihrem Streben nach den Hohen der Erkenntnis nicht selten dem Neuen derart nachjagt, dass sie mit Preisgabe sozusagen des Geisteserbes der Menschheit in die schwersten Irrtümer verfallt. Solche Irrtümer müssen aber um so verderblicher sein, wenn es sich um die heiligen Wissenschaften handelt, um die Auslegung der Heiligen Schrift und um die Hauptgeheimnisse des Glaubens. Da ist es überaus betrübend, dass es auch unter den Katholiken gar nicht wenige Schriftsteller gibt, welche die von den Vätern und von der Kirche selbst gezogenen Grenzlinien überschreiten und unter dem Scheine eines tieferen Verständnisses sowie unter dem Vorwande historischer Betrachtungsweise einen solchen Fortschritt der Dogmen suchen, der in Wirklichkeit deren Zerstörung ist.

Damit nun derartige Irrtümer, wie sie tagtäglich unter den Gläubigen ausgestreut werden, nicht in ihren Seelen Wurzel schlagen und die Reinheit des Glaubens zerstören, hat Seine Heiligkeit unser Heiliger Vater Papst Pius X. bestimmt, dass durch die Behörde der heiligen römischen und allgemeinen Inquisition die hauptsächlichsten derselben gebrandmarkt und verworfen würden.

Demzufolge haben die General-Inquisitoren in Sachen des Glaubens und der Sitten, Ihre Eminenzen die hochwürdigsten Herren Kardinäle, nach sehr sorgfältiger Untersuchung und nach Anhörung der hochwürdigsten Herren Konsultoren ihr Urteil dahin abgegeben, dass die folgenden Sätze zu verwerfen und zu verurteilen seien, wie sie in vorliegendem Erlass verworfen und verurteilt werden.

§ 2. De magisterii authentici auctoritate.

§ 2. Irrtümer über die Autorität des kirchlichen Lehramtes

1. Ecclesiastica lex quae praescribit subiicere praeviae censurae libros Divinas respicientes Scripturas, ad cultores critices aut exegeseos scientificae librorum Veteris et Novi Testamenti non extenditur.

1. Das kirchliche Gesetz, welches vorschreibt, Bücher über die Heilige Schrift einer vorausgehenden Zensur zu unterbreiten, erstreckt sich nicht auf die Vertreter der Bibelkritik und der wissenschaftlichen Exegese der Bücher des Alten und Neuen Testamentes.

2. Ecclesiae interpretatio sacrorum Librorum non est quidem spernenda, subiacet tamen accuratiori exegetarum iudicio et correctioni.

2. Die Auslegung, welche die Kirche der Heiligen Schrift gibt, ist zwar nicht zu verachten, unterliegt jedoch der genaueren Beurteilung und Berichtigung von Seite der Exegeten.

3. Ex iudiciis et censuris ecclesiasticis contra liberam et cultiorem exegesim latis colligi potest fidem ab Ecclesia propositam contradicere historiae, et dogmata catholica cum verioribus christianae religionis originibus componi reipsa non posse.

3. Aus den kirchlichen Verurteilungen und Zensuren gegen die freie und höhere Exegese lasst sich schließen, dass der von der Kirche vorgestellte Glaube der Geschichte widerspricht und dass die katholischen Dogmen mit dem wahren Ursprung der christlichen Religion tatsachlich nicht zu vereinbaren sind.

4. Magisterium Ecclesiae ne per dogmaticas quidem definitiones genuinum Sacrarum Scripturarum sensum determinare potest.

4. Das Lehramt der Kirche vermag den wahren Sinn der Heiligen Schrift nicht einmal durch dogmatische Entscheidungen festzustellen.

5. Quum in deposito fidei veritates tantum revelatae contineantur, nullo sub respectu ad Ecclesiam pertinet iudicium ferre de assertionibus disciplinarum humanarum.

5. Da in der Hinterlage des Glaubens nur geoffenbarte Wahrheiteii enthalten sind, so steht es der Kirche in keiner Hinsicht zu, über Behauptungen der menschlichen Wissenschaften ein Urteil abzugeben.

6. In definiendis veritatibus ita collaborant discens et docens Ecclesia, ut docenti Ecclesiae nihil supersit nisi communes discentis opinationes sancire.

6. Bei der Entscheidung von Wahrheiten wirken die lernende und lehrende Kirche so zusammen, dass der lehrenden Kirche nichts weiter zusteht, als die allgemein herrschenden Meinungen der lernenden gutzuheißen.

7. Ecclesia, cum proscribit errores, nequit a fidelibus  exigere ullum internum assensum, quo iudicia a se edita complectantur.

7. Die Kirche kann, wenn sie Irrtümer verwirft, von den Gläubigen nicht eine innere Zustimmung zu diesem ihren Urteil verlangen.

8. Ab omni culpa immunes existimandi sunt qui reprobationes a Sacra Congregatione Indicis aliisve Sacris Romanis Congregationibus latas nihili pendant.

8. Von aller Schuld frei sind jene zu erachten, welche über die Verurteilungen der heiligen Kongregation des Index oder der anderen heiligen römischen Kongregationen sich hinwegsetzen.

§ 3. De sacrae Scripturae inspiratione et veritate. § 3. Irrtümer über die Inspiration und Wahrheit der Heiligen Schrift.

9. Nimiam simplicitatem aut ignorantiam prae se ferunt qui Deum credunt vere esse Scripturae Sacrae auctorem.

9. Allzu große Einfalt oder Unwissenheit verraten jene, welche glauben, dass wirklich Gott der Urheber der Heiligen Schrift sei.

10. Inspiratio librorum Veteris Testament! in eo constiti, quod scriptores israelitae religiosas doctrinas sub peculiari quodam aspectu, gentibus parum noto aut ignoto, tradiderunt.

10. Die Inspiration der Bücher des Alten Testamentes bestand darin, dass israelitische Verfasser religiöse Lehren in einer besonderen, den Heiden wenig oder gar nicht bekannten Auffassung überliefert haben.

11. Inspiratio divina non ita ad totam Scripturam Sacram extenditur, ut omnes et singulas eius paries ab omni errore praemuniat.

11. Die göttliche Inspiration erstreckt sich nicht so über die ganze Heilige Schrift, dass sie alle ihre einzelnen Teile vor jedem Irrtum bewahrt.

12. Exegeta, si velit utiliter studiis biblicis incumbere, in primis quamlibet praeconceptam opinionem de supernaturali origine Scripturae Sacrae seponere debet, eamque non aliter interpretari quam cetera documenta mere humana.

12. Der Exeget muss,  wenn er den biblischen Studien mit Nutzen obliegen will, vor allem jede vorgefasste Meinung von einem übernatürlichen Ursprung der Heiligen Schrift beiseite lassen und diese nicht anders auslegen, als wie die übrigen rein menschlichen Urkunden.

13. Parabolas evangelicas ipsimet Evangelistae ac christiani secundae et tertiae generationis artificiose digesserunt, atque ita rationem dederunt exigui fructus praedicationis Christi apud iudaeos.

13. Die Parabeln des Evangeliums haben die Evangelisten selbst und die Christen der zweiten und dritten Generation kunstvoll weitergebildet und so die geringe Frucht der Predigt Christi bei den Juden veranlasst.

14. In pluribus narrationibus non tam quae vera sunt Evangelistae retulerunt, quam quae lectoribus, etsi falsa, censuerunt magis proficua.

14. Bei mehreren Erzahlungen gaben die Evangelisten nicht so sehr die Wahrheit wieder, als vielmehr das, was sie, trotzdem es falsch war, als nützlicher für die Leser hielten.

15. Evangelia usque ad definitum constitutumque canonem continuis additionibus et correctionibus aucta fuerunt; in ipsis proinde doctrinae Christi non remansit nisi tenue et incertum vestigium.

15. Die Evangelien sind bis zur endgültigen Feststellung des Kanons beständig durch Zusätze und Korrekturen vermehrt worden; deshalb ist in ihnen von der Lehre Christi bloß eine schwache und unsichere Spur verblieben.

16. Narrationes loannis non sunt proprie historia, sed mystica Evangelii contemplatio ; sermones in eius evangelio contenti, sunt meditationes theologicae circa mysterium salutis historica veritate destitutae.

16. Die Erzählungen des Johannes sind nicht eigentlich Geschichte, sondern eine mystische Beschauung des Evangeliums; die in seinem Evangelium enthaltenen Reden sind theologische Betrachtungen über das Geheimnis des Heiles, ohne jede geschichtliche Wahrheit.

17. Quartum Evangelium miracula exaggeravit non tantum ut extraordinaria magis apparerent, sed etiam ut aptiora fierent ad significandum opus et gloriam Verbi Incarnati.

17. Das vierte Evangelium hat die Wunder aufgebauscht, nicht nur damit sie mehr außerordentlich erscheinen, sondern auch damit sie geeigneter würden, das Werk und die Herrlichkeit des fleischgewordenen Wortes zu veranschaulichen.

18. loannes sibi vindicat quidem rationem testis de Christo ; re tamen vera non est nisi eximius testis vitae cnristianae, seu vitae Christi in Ecclesia, exeunte primo saeculo.

18. Johannes legt sich zwar den Charakter eines Zeugen für Christus bei; in Wahrheit ist er aber nicht mehr als ein hervorragender Zeuge des christlichen Lebens oder des Lebens Christ! in der Kirche am Ausgange des ersten Jahrhunderts.

19. Heterodoxi exegetae fidelius expresserunt sensum verum Scripturarum quam exegetae catholici.

19. Die nichtkatholischen Exegeten haben den wahren Sinn der Heiligen Schrift treuer wiedergegeben als die katholischen Exegeten.

§ 4. De revelatione et fide. § 4. Irrtümer über die Offenbarung und den Glauben.

20. Revelatio nihil aliud esse potuit quam acquisita ab homine suae ad Deum relationis conscientia.

20. Die Offenbarung konnte nichts anderes sein, als das vom Menschen erworbene Bewusstsein über seine Beziehungen zu Gott.

21. Revelatio, obiectum fidei catholicae constituens, non fuit cum Apostolis completa.

21. Die Offenbarung, die den Gegenstand des katholischen Glaubens bildet, war mit den Aposteln nicht abgeschlossen.

22. Dogmata quae Ecclesia perhibet tamquam revelata, non sunt veritates e coelo delapsae, sed sunt interpretatio quaedam factorum religiosorum quam humana mens laborioso conatu sibi comparavit.

22. Die von der Kirche als geoffenbart angesehenen Dogmen sind nicht vom Himmel gefallene Wahrheiten, sondern eine Auslegung religiöser Erlebnisse, die der menschliche Geist durch mühsame Anstrengung sich errungen hat.

23. Exsistere potest et reipsa exsistit oppositio inter facta quae in Sacra Scriptura narrantur eisque innixa Ecclesiae dogmata; ita ut criticus tamquam falsa reiicere possit facta quae Ecclesia tamquam certissima credit.

23. Zwischen den in der Heiligen Schrift erzählten Tatsachen und den auf ihnen beruhenden Dogmen der Kirche kann ein Gegensatz bestehen und besteht tatsachlich ein solcher; darum kann der Kritiker solche Tatsachen als falsch verwerfen, welche die Kircbe als völlig sicher ansieht.

24. Reprobandus non est exegeta qui praemissas adstruit, ex quibus sequitur dogmata historice falsa aut dubia esse, durnmodo dogmata ipsa directe non neget.

24. Ein Exeget, der Prämissen aufstellt, aus denen sich ergibt, dass Dogmen geschichtlich falsch oder zweifelhaft seien, ist nicht zu tadeln, wenn er nur die Dogmen selbst nicht direkt leugnet.

25. Assensus fidei ultimo innititur in congerie probabilitatum.

25. Die Glaubenszustimmung stützt sich schließlich und endlich auf eine Reihe von Wahrscheinlichkeiten.

26. Dogmata fidei retinenda sunt tantummodo iuxta sensum practicum, idest tanquam norma praeceptiva agendi, non vero tanquam norma credendi.

26. Die Dogmen des Glaubens sind bloß nach ihrer praktischen Bedeutung festzuhalten, das heißt, als verpflichtende Norm des Handelns, nicht aber als Norm des Fürwahrhaltens.

§ 5. De Christi persona et opere. § 5. Irrtümer über Person und Werk Christi

27. Divinitas Jesu Christi ex Evangeliis non probatur; sed est dogma quod conscientia Christiana e notione Messiae deduxit.

27. Die Gottheit Christi lasst sich aus den Evangelien nicht beweisen; sondern sie ist ein Dogma, welches das christliche Bewusstsein aus der Messiasidee abgeleitet hat.

28. Jesus, quum ministerium suum exercebat, non in eum finem loquebatur ut doceret se esse Messiam, neque eius miracula eo spectabant ut id demonstraret.

28. Jesus hat bei Ausübung seines Amtes nicht in der Absicht gesprochen, um von sich zu lehren, dass er der Messias sei, noch bezweckten seine Wunder diesen Nachweis.

29. Concedere licet Christum quern exhibet historia, multo inferiorem esse Christo qui est obiectum fidei.

29. Man kann zugeben, dass de Christus der Geschichte weit unter dem Christus des Glaubens stehe.

30. In omnibus textibus evangelicis nomen Filius Dei aequivalet tantum nomini Messias, minime vero significat Christum esse verum et naturalem Dei Filium.

30. In allen evangelischen Texten ist der Ausdruck "Sohn Gottes" lediglich gleichbedeutend mit "Messias", bedeutet aber keineswegs, dass Christus der wahre und wirkliche Sohn Gottes ist.

31. Doctrina de Christo quam tradunt Paulus, loannes et Concilia Nicaenum, Ephesinum, Chalcedonense, non est ea quam Jesus docuit, sed quam de Jesu concepit conscientia Christiana.

31. Die Lehre von Christus, wie sie Paulus, Johannes und die Konzilien von Nicäa, Ephesus und Chalcedon darbieten, ist nicht die, welche Jesus gelehrt hat, sondern , die, welche das christliche Bewusstsein von Jesus sich gebildet hat.

32. Conciliari nequit sensus naturalis textuum evangelicorum cum eo quod nostri theologi docent de conscientia et scientia infallibili Jesu Christi.

32. Der natürliche Sinn der evangelischen Texte lasst sich mit dem, was unsere Theologen über das Bewusstsein und das unfehlbare Wissen Jesu Christi lehren, nicht in Einklang bringen.

33. Evidens est cuique qui praeconceptis non ducitur opinionibus, Jesum aut errorem de proximo messianico adventu fuisse professum, aut maiorem partem ipsius doctrinae in Evangeliis Synopticis contentae authenticitate carere.

33. Für jeden Voraussetzungslosen ist es klar, dass entweder Jesus über die nächst bevorstehende Ankunft des Messias einen Irrtum ausgesprochen hat oder dass der größere Teil seiner in den synoptischen Evangelien enthaltenen Lehre unecht ist.

34. Criticus nequit asserere Christo scientiam nullo circumscriptam limite nisi facta hypothesi, quae historice haud concipi potest quaeque sensui morali repugnat, nempe Christum uti hominem habuisse scientiam Dei et nihilominus noluisse notitiam tot rerum communicare cum discipulis ac posteritate.

34. Der Kritiker kann Christo ein schrankenloses Wissen nicht zuschreiben, außer unter der geschichtlich undenkbaren und dem sittlichen Empfinden widerstrebenden Voraussetzung, Christus habe zwar als Mensch das Wissen Gottes gehabt, nichtsdestoweniger aber die Kenntnis so vieler Dinge seinen Jüngern und der Nachwelt vorenthalten wollen.

35. Christus non semper habuit conscientiam suae dignitatis messianicae.

35. Christus besaß nicht immer das Bewusstsein seiner messianischen Würde.

36. Resurrectio Salvatoris non est proprie factum ordinis historici, sed factum ordinis mere supernaturalis, nec demonstratum nec demonstrabile, quod conscientia Christiana sensim ex aliis derivavit.

36. Die Auferstehung Christi ist nicht eigentlich ein Ereignis geschichtlicher Ordnung, sondern ein weder bewiesenes noch beweisbares Ereignis rein übernatürlicher Ordnung, welches das christliche Bewusstsein allmählich aus anderen abgeleitet hat.

37. Fides in resurrectionem Christi ab initio fuit non tarn de facto ipso resurrectionis, quam de vita Christi immortali apud Deum.

37. Der Glaube an die Auferstehung Christi galt anfangs nicht so sehr der Tatsache der Auferstehung, als vielmehr dem unsterblichen Leben Christi bei Gott.

38. Doctrina de morte piaculari Christi non est evangelica sed tantum paulina.

38. Die Lehre vom Versöhnungstode Christi ist nicht evangelisch, sondern nur paulinisch.

§ 6. De sacramentis in genere et in specie. § 6. Irrtümer über die Sakramente im Allgemeinen und im Besonderen.

39. Opiniones de origine sacramentorum, quibus Patres Tridentini imbuti erant quaeque in eorum canones dogmaticos procul dubio influxum habuerunt, longe distant ab iis quae nunc penes historicos rei christianae indagatores merito obtinent.

39. Die Meinungen über den Ursprung der Sakramente, von denen die tridentinischen Väter durchdrungen waren und welche auf ihre dogmatischen Kanones zweifellos eingewirkt haben, sind weit verschieden von denen, welche heute bei den Erforschern der christlichen Geschichte mit Recht Platz gegriffen haben.

40. Sacramenta ortum habuerunt ex eo quod Apostoli eorumque successores ideam aliquam et intentionem Christi, suadentibus et moventibus circumstantiis et eventibus, interpretati sunt.

40. Die Sakramente haben ihren Ursprung daher, dass die Apostel und ihre Nachfolger eine Idee und Absicht Christi, als es die Umstände und Ereignisse nahelegten und anregten, ausgelegt haben.

41. Sacramenta eo tantum spectant ut in mentem hominis revocent praesentiam Creatoris semper beneficam.

41. Die Sakramente bezwecken bloß, den menschlichen Geist an die stets heilsame Gegenwart seines Schöpfers zu erinnern.

42. Communitas Christiana necessitatem baptismi induxit, adoptans ilium tamquam ritum necessarium, eique professionis christianae obligation es adnectens.

42. Die christliche Gemeinde hat die Notwendigkeit der Taufe eingeführt, indem sie dieselbe als unerlässlichen Ritus annahm und mit ihm die Verpflichtungen des christlichen Bekenntnisses verband.

43. Usus conferendi baptismum infantibus evolutio fuit disciplinaris, quae una ex causis exstitit ut sacramentum resolveretur in duo, in baptismum scilicet et poenitentiam.

43. Der Brauch der Spendung der Kindertaufe war eine Entwicklung der Disziplin und eine Mitursache, dass dieses Sakrament in zwei sich spaltete, nämlich in Taufe und Buße.

44. Nihil probat ritum sacramenti confirmationis usurpatum fuisse ab Apostolis; formalis autem distinctio duorum sacramentorum, baptismi scilicet et confirmationis, haud spectat ad historiam christianismi primitivi.

44. Nichts beweist, dass der Ritus des Sakramentes der Firmung (schon) von den Aposteln angewendet wurde; die förmliche Scheidung aber der beiden Sakramente, Taufe nämlich und Firmung, gehört nicht der Geschichte des Urchristentums an.

45. Non omnia, qui narrat Paulus de institutione Eucharistiae (1. Cor. XI, 23 25), historice sunt sumenda.

45. Nicht alles, was Paulus von der Einsetzung der Eucharistie (1. Kor. 11, 28 25) berichtet, ist geschichtlich zu nehmen.

46. Non adfuit in primitiva Ecclesia conceptus de christiano peccatore auctoritate Ecclesiae reconciliato, sed Ecclesia nonnisi admodum lente huiusmodi conceptui assuevit. Immo etiam postquam poenitentia tanquam Ecclesiae institutio agnita fuit, non appellabatur sacramenti nomine, eo quod haberetur uti sacramentum probrosum.

46. Die Urkirche hatte keinen Begriff von der Wiederversöhnung des sündigen Christen durch die Autorität der Kirche, sondern die Kirche hat sich nur sehr langsam an diesen Begriff gewöhnt. Selbst nachdem die Busse als kirchliche Einrichtung anerkannt war, wurde sie nicht "Sakrament" genannt, da sie als Sakrament der Scham galt.

47. Verba Domini: Accipite Spiritum Sanctum; quorum remiseritis peccata, remittuntur eis, et quorum retinueritis, retenta sunt (loan. XX, 22 et 23) minime referuntur ad sacramentum poenitentiae, quidquid Patribus Tridentinis asserere placuit.

47. Die Worte des Herrn : "Empfanget den Heiligen Geist; welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen, und welchen ihr sie behalten werdet, denen sind sie behalten" (Jh. 20, 22. 23), beziehen sich gar nicht auf das Sakrament der Busse, mögen die tridentinischen Väter was immer (darüber) behauptet haben.

48. lacobus in sua epistola (V, 14 et 15) non intendit promulgare aliquod sacramentum Christi, sed commendare pium aliquem morem, et si in hoc more forte cernit medium aliquod gratiae, id non accipit eo rigore, quo acceperunt theologi qui notionem et numerum sacramentorum statuerunt.

48. Jakobus beabsichtigt in seinem Brief (5, 14. 15) nicht, ein Sakrament Christi zu verkünden, sondern nur einen frommen Brauch zu empfehlen; und wenn er in diesem Brauche vielleicht ein Gnadenmittel sieht, so nimmt er dies nicht in dem strengen Sinn der Theologen, welche den Begriff und die Zahl der Sakramente festgestellt haben.

49. Coena Christiana paullatim indolem actionis liturgicae assumente, hi, qui Coenae praeesse consueverant, characterem sacerdotalem acquisiverunt.

49. Als das christliche Abendmahl allmählich den Charakter einer liturgischen Handlung annahm, erlangten die, welche dem Abendmahl vorzustehen pflegten, den priesterlichen Charakter.

50. Seniores qui in christianorum coetibus invigilandi munere fungebantur, instituti sunt ab Apostolis presbyteri aut episcopi ad providendum necessariae crescentium communitatum ordinationi, non proprie ad perpetuandam missionem et potestatem Apostolicam.

50. Die Ältesten, welche in den Christenversammlungen das Aufseheramt versahen, wurden von den Aposteln als Priester oder Bischöfe aufgestellt, um in den anwachsenden Gemeinden für die nötige Ordnung zu sorgen, aber nicht eigentlich, um die apostolische Sendung und Gewalt fortzusetzen.

51. Matrimonium non potuit evadere sacramentum novae legis nisi serius in Ecclesia; siquidem ut matrimonium pro Sacramento haberetur necesse erat ut praecederet plena doctrinae de gratia et sacramentis theologica explicatio.

51. Erst spät konnte die Ehe in der Kirche ein Sakrament des Neuen Bundes werden ; denn der Auffassung der Ehe als Sakrament musste die vollständige theologische Entwicklung der Gnaden- und Sakramentenlehre vorausgehen.

§ 7. De Ecclesiae constitutione et evolutione. § 7. Irrtümer über die Gründung und Entwicklung der Kirche.

52. Alienum fuit a mente Christi Ecclesiam constituere veluti societatem super terram per longam saeculorum seriem duraturam: quin immo in mente Christi regnum coeli una cum fine mundi iamiam adventurum erat.

52. Es lag nicht in der Absicht Christi, die Kirche als eine Gesellschaft zu begründen, die auf Erden durch eine lange Reihe von Jahrhunderten bestehen sollte; vielmehr stand nach Christi Auffassung das Himmelreich zugleich mit dem Weltende unmittelbar bevor.

53. Constitutio organica Ecclesiae non est immutabilis ; sed societas Christiana perpetuae evolutioni aeque ac societas humana est obnoxia.

53. Die organische Verfassung der Kirche ist nicht unveränderlich, sondern die christliche Gesellschaft ist ebenso wie die menschliche Gesellschaft einer steten Entwicklung unterworfen.

54. Dogmata, sacramenta, hierarchia, tum quod ad notionem tum quod ad realitatem attinet, non sunt nisi intelligentiae christianae interpretationes eyolutionesque quae exiguum germen in Evangelio latens externis incrementis auxerunt perfeceruntque.

54. Die Dogmen, Sakramente und die Hierarchie sind sowohl dem Begriffe als der Wirklichkeit nach nur Erläuterungen und Entwicklungen des christlichen Geistes, welche deren spärlichen im Evangelium verborgenen Keim durch äußeren Zuwachs vermehrt und vervollkommnet haben.

55. Simon Petrus ne suspicatus quidem unquam est sibi a Christo demandatum esse primatum in Ecclesia.

55. Simon Petrus hatte niemals auch nur eine Ahnung davon, dass ihm von Christus der Primat in der Kirche übertragen worden sei.

56. Ecclesia Romana non ex divinae providentiae ordinatione, sed ex mere politicis conditionibus caput omnium Ecclesiarum effecta est.

56. Die römische Kirche ist nicht durch Anordnung der göttlichen Vorsehung, sondern durch rein politische Verhältnisse zum Haupte aller Kirchen geworden.

§ 8. De doctrinae christianae immutabilitate et progressu. § 8. Irrtümer über die Unveränderlichkeit und den Fortschritt der christlichen Lehre

57. Ecclesia sese praebet scientiarum naturalium et theologicarum progressibus infensam.

57. Die Kirche stellt sich dem Fortschritt der natürlichen und theologischen Wissenschaften feindlich entgegen.

58. Veritas non est immutabilis plusquam ipse homo, quippe quae cum ipso, in ipso et per ipsum evolvitur.

58. Die Wahrheit ist nicht mehr unveränderlich als der Mensch selbst, da sie ja mit ihm, in ihm und durch ihn sich entwickelt.

59. Christus determinatum doctrinae corpus omnibus temporibus cunctisque hominibus applicable non docuit, sed potius inchoavit motum quemdam religiosum diversis temporibus ac locis adaptatum vel adaptandum.

59. Christus hat keinen festbegrenzten Lehrinhalt gelehrt, der zu allen Zeiten und für alle Menschen anwendbar wäre, sondern vielmehr eine religiöse Bewegung eingeleitet, die den verschiedenen Zeiten und Orten sich anpasste oder angepasst werden sollte.

60. Doctrina Christiana in suis exordiis fuit iudaica, sed facta est per succesivas evolutiones primum paulina, tum ioannica demum hellenica et universalis.

60. Die christliche Lehre war in ihren Anfangen jüdisch, wurde aber durch allmähliche Entwicklungen erst paulinisch, dann johanneisch, zuletzt hellenisch und uniiversell.

61. Dici potest absque paradoxo nullum Scripturae caput, a primo Genesis ad postremum Apocalypsis, continere doctrinam prorsus identicam illi quam super eadem re tradit Ecclesia, et idcirco nullum Scripturae caput habere eumdem sensum pro critico ac pro theologo.

61. Ohne Widersinn kann behauptet werden, dass kein Kapitel der Heiligen Schrift, vom ersten der Genesis bis zum letzten der Apokalypse, eine Lehre völlig gleichförmig mit der enthalte, welche die Kirche über den gleichen Gegenstand vortragt, und dass daher kein Kapitel der Schrift den nämlichen Sinn für den Kritiker habe wie für den Theologen.

62. Praecipui articuli Symboli Apostolici non eamdem pro christianis primorum temporum significationem habebant quam habent pro christianis nostri temporis.

62. Die Hauptartikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses hatten für die Christen der ersten Zeiten nicht den nämlichen Sinn wie für die Christen unserer Zeit.

63. Ecclesia sese praebet imparem ethicae evangelicae efficaciter tuendae, quia obstinate adhaeret immutabilibus doctrinis quae cum hodiernis progressibus componi nequeunt.

63. Die Kirche erweist sich unfähig, die Ethik des Evangeliums wirksam zu schützen, weil sie hartnackig Lehren als unveränderlich festhält, die sich mit den modernen Fortschritten nicht vertragen.

64. Progressus scientiarum postulat ut reformentur conceptus doctrinae christianae de Deo, de Creatione, de Revelatione, de Persona Verbi Incarnati, de Redemptione.

64. Der wissenschaftliche Fortschritt verlangt, dass die Begriffe der christlichen Lehre von Gott, Schöpfung, Offenbarung, der Person des fleischgewordenen Wortes und der Erlösung reformiert werden.

65. Catholicismus hodiernus cum vera scientia componi nequit nisi transformetur in quemdam christianismum non dogmaticum, id est in protestantismum latum et liberalem.

65. Der heutige Katholizismus vertragt sich nicht mit der wahren Wissenschaft, wenn er nicht umgestaltet wird in ein undogmatisches Christentum, d. h. in einen weitgehenden und freisinnigen Protestantismus.

Sequenti vero feria V die 4 eiusdem mensis et anni, facta de his omnibus SSmo D. N. Pio Pp. X accurata relatione, Sanctitas Sua Decretum Em. Patrum adprobavit et confirmavit, ac omnes et singulas supra recensitas propositiones ceu reprobatas ac proscriptas ab omnibus haberi mandavit.

Petrus Palombelli, S. R. U. I. Notarius.

Am folgenden Donnerstag aber, den 4. Juli 1907, hat Seine Heiligkeit Papst Pius X., nach genauer Berichterstattung über alles dieses an ihn, den Erlass der Kardinäle gutgeheißen, bestätigt und hat befohlen, dass alle und jeder der oben angeführten Satze von allen als verworfen und verboten zu betrachten seien.

Petrus Palombelli, S. R. U. I. Notarius.

Quelle von Text und Übersetzung:

Michelitsch, Anton <1865 - 1958>: Der biblisch-dogmatische "Syllabus" Pius X. samt der Enzyklika gegen den Modernismus und dem Motu proprio vom 18. November 1907 / erklärt von Anton Michelisch. -- Granz [u.a.] : Styria, 1908. -- 407 S. -- S. 130 ff. passim. -- Online: http://www.archive.org/details/MN5173ucmf_8. -- Zugriff am 2007-11-15.