Religionskritisches von Josef Victor Widmann

Die Predigt und die Philosophie von Messina (1909)

von

Josef Victor Widmann


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Die Predigt und die Philosophie von Messina.  -- 1909. -- Fassung vom 2005-02-05. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/widmann02.htm    

Erstmals publiziert: 2005-02-05

Überarbeitungen:

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals veröffentlicht in:

Der Bund : unabhängige liberale Tageszeitung Verlag. -- Bern : Der Bund. -- 1909. --  Nr. 71.

Wieder abgedruckt in:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Ausgewählte Feuilletons /  hrsg. von Max Widmann. -- Frauenfeld : Huber, 1913. -- XV, 267 S. ; 21 cm. -- S. 140 - 146. [Hier nach dieser Ausgabe wiedergegeben]


Zu Josef Victor Widmann siehe:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: "Die Sünden Gottes".  -- 1882. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/widmann01.htm

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zum Neobuddhismus.  --   Kapitel 14: Buddhismus in anderen Ländern. -- 1. Buddhismus in der Schweiz. -- URL: http://www.payer.de/neobuddhismus/neobud141.htm. -- Zugriff am 2005-02-03


Die Predigt und die Philosophie von Messina


Abb.: Zeitungsmeldung über das Erdbeben. -- 1909
[Bildquelle: http://www.rms-republic.com/gallery/Earthquake. -- Zugriff am 2005-02-04]

Klicken Sie hier, um Psalm 106 zu hören
Abb.: "Halleluja! Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Wer kann die großen Taten des HERRN ausreden und alle seine löblichen Werke preisen?" (Psalm 106)

Es war zu erwarten, dass die Prediger, die durch ihren Beruf darauf angewiesen sind, alles, was geschieht, als durch den Willen Gottes geschehen darzustellen, von der furchtbare Tatsache, dass die Katastrophe in Sizilien und Kalabrien in wenigen Sekunden gegen 200 000 Menschen zermalmte1, aufs tiefste würden betroffen werden und eine solche Betroffenheit als eine gefährliche Erschütterung des Glaubens bei ihren Gemeinden voraussetzen würden. Psalmstellen wie "Lobet den Herrn in seinen Taten" (Psalm 150) oder: "Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte wäret ewiglich" (Psalm 106) waren auch für den geübtesten Schönredner schwer zu vereinen mit dem entsetzlichen Massenuntergang in Süditalien. Aber gänzlich zu verstummen, von dem ungeheuren Ereignisse gar nichts zu sagen, ging im Hinblick auf den Eindruck, den diese Brutalität der Naturgewalten bei den Gläubigen machen konnte, nicht wohl an. Und so haben Prediger, die sich zutrauten, auch einem so furchtbaren Ereignisse gegenüber noch den Glauben an eine sittliche Weltregierung retten zu können, sich ein Herz gefasst und es versucht, sich mit dem Unbegreiflichen abzufinden. In Berlin hielt im Zirkus Busch vor etwa 8000 Zuhörern der süddeutsche Evangelist Samuel Keller2 eine große Predigt, die nun freilich eine freche Kapuzinade3 war. Zuerst suchte der Redner das Massenunglück durch den Hinweis abzuschwächen, dass in unsern Kliniken beständig mehr Menschen zugrunde gehen als jene etwa 150000 in Süditalien. In Berlin sei jeder zehnte Mann syphilitisch, und Trunksucht und Unzucht verbreiten viel größern Jammer als so ein Erdbeben. Es wäre ihm selbst, meinte er, angenehmer, rasch durch ein Erdbeben zu sterben als etwa langsam an Schwindsucht oder Krebs usw. Das war schnödes Auskneifen vor dem eigentlichen Thema. Denn die Messinesen und die Einwohner von Kalabrien sind eben nicht an ihrer Ausschweifung zugrunde gegangen, sondern ohne ihr Zutun hat die Natur sie nächtlicherweise plötzlich vernichtet.


Abb.: The agony and paralysis of fear. -- 1909. -- In: Miller, James Martin <1859 - >: The complete story of the Italian earthquake horror. -- [Chicago?, c1909]. --  400 S. : Ill. ; 25 cm.  [Bildquelle: http://www.rms-republic.com/gallery/Earthquake. -- Zugriff am 2005-02-04]

Da Samuel Keller selbst fühlen mochte, wie wenig er mit solchem Argument ausrichtete, holte er den Teufel hervor. Der Teufel habe von Gott eine Art "Konzession" erhalten, die Menschen zu plagen. Wie etwa der Hund des Hirten mit dessen Einwilligung die zurückbleibenden Schafe beißen dürfe, so habe der Teufel die Erlaubnis, an der Menschheit hie und da sein Mütchen zu kühlen. So sei es zum Beispiel auch bei Lustmorden an unschuldigen armen Kindern und bei andern raffinierten Verbrechen; da wirke "des Teufels Konzession." In der unsichtbaren Welt sei eine große Wage aufgestellt. In die eine Schale lege Gott seine Guttaten an den Menschen, in die andere lege die Menschheit ihr Verhalten gegen Gott. Kontrolleur dieser Wagschalen sei der Teufel. Sehe er, dass die menschliche Schale zu viel Sünde enthalte, so habe er Erlaubnis, irgend eine die Menschen peinigende Teufelei anzurichten, was ohnehin seine größte Lust sei.


Abb.: Artist's conception of the tsunami (tidal wave) that engulfed the Messina waterfront immediately after the 1908 quake. -- 1909. -- In: Miller, James Martin <1859 - >: The complete story of the Italian earthquake horror. -- [Chicago?, c1909]. --  400 S. : Ill. ; 25 cm.  [Bildquelle: http://www.rms-republic.com/gallery/Earthquake. -- Zugriff am 2005-02-04]

Dass ein Zirkus Busch, in dem Clowns auftreten, für diese metaphysische Weltregimentsdeutung wohl der richtigste Ort war, dürften die meisten unserer Leser einsehen.

Zuletzt orakelte Samuel Keller noch, vor Weihnachten habe ein Weltkrieg vor der Tür gestanden, der durch die Erdbebenkatastrophe sei verhindert worden. Wir fragen: vom Teufel also? Dem müsste doch ein Weltkrieg noch mehr Spaß gemacht haben als ein Erdbeben. Oder von Gott? Ja hätte dem vorausgesetzt Allmächtigen wirklich kein etwas humaneres Mittel zu Gebote gestanden, als gleich auf einmal eine Armee von 150000 Männern, Frauen und Kindern abzuschlachten?

Man sieht: Unsinn über Unsinn!

Wesentlich feiner, edler und höher stehend ist die unserer Redaktion vom Verlag Vandenhoek & Ruprecht (Göttingen) eingesandte Neujahrspredigt, welche Lizentiat Hans Schmidt4 in der Pfarrkirche zu Breslau hielt. Als Schriftchen ist sie betitelt: Unser Glaube und das Erdbeben von Messina.5 (Preis 30 Pfennige.) Dieser ernst zu nehmende Geistliche stellt vor allen Dingen fest:

"Wir tun unrecht, wenn wir irgend ein schweres Unglück als eine Strafe Gottes ansehen."

(Beiläufig bemerkt: der evangelische Synodalrat6 des Kantons Bern steht noch nicht auf der Stufe des Breslauer Pastors; denn im Bettagsmandat des vorigen Jahres fand sich ein Hinweis auf den Schneefall vom 23. Mai7 und auf die Lötschbergkatastrophe8 im Sinne einer dem Schweizervolk von Gott verordneten Züchtigung.) Auch dagegen verwahrt sich Pfarrer Schmidt, dass Gott so ungeheuerlich sein könnte, nur um andern eine Warnung zu geben, irgendwo zehntausend oder hunderttausend Menschen zu zerschmettern. Eine solche scheußliche Prügelpädagogik gröbsten Stils lehnt Pfarrer Schmidt unbedingt ab, obwohl die Christenwelt das ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit eine so rohe Auffassung von Gottes erzieherischer Methode ruhig hinuntergeschluckt hat.

Anderseits hingegen ist Pfarrer Schmidt doch gottgläubig und kann sich etwa zu der Annahme verstehen,

"dass hier Naturgewalten vielleicht zu Gottes eigenem Leide ein blindes Spiel des Zufalls gespielt hätte."

Gewiss werde die Wissenschaft imstande sein, die rein natürlichen Ursachen des Erd- und Seebebens zu erklären. Aber der Christ, der da glaube, dass ohne Gottes Willen nichts geschehe, könne nicht annehmen, ein so gewaltiges Ereignis sei ohne Gottes Willen vor sich gegangen.

Und nun erklärt der ehrliche Mann einfach und fest: Wir haben keine Antwort auf die Frage nach Gottes Grund und Zweck bei dieser ungeheuren Katastrophe. — Darin liegt nun aber für uns das Zugeständnis, dass nach unserm menschlichen Ermessen in dem Vorgang keine Vernunft, keine Güte,  keine Liebe, keine Sittlichkeit steckt, also alles das nicht vorhanden ist, was wir, wenn überhaupt das Wort "göttlich" einen Sinn haben soll, als göttlich zu bezeichnen pflegen.

Pastor Schmidt zieht allerdings diese Konsequenz nicht. Dagegen gefällt uns, dass er mit aller Festigkeit an mehreren Beispielen nachweist, wie auch sonst alle Tage in zahllosen Unglücksfällen, welche zum Beispiel unschuldige kleine Kinder treffen, die Naturgesetze ohne jede Rücksicht auf den Menschen, auf unsere Liebe und auf unsere sittliche Forderung, also unvernünftig brutal sich vollziehen und der Mensch nicht erst das Erdbeben von Messina notwendig habe, um sich zu gestehen, Gott als Urheber solcher Untaten sei uns gänzlich unbegreiflich, weil wir in ihnen, wir mögen sie drehen, wie wir wollen, außer dem mechanisch sich vollziehenden Naturgesetz keine Spur von Vernunft entdecken können. Nicht nur Hiob9 habe auf die Frage, wie solche Geschehnisse mit der Vorstellung eines gütigen, allmächtigen und weisen Gottes vereinbar seine, keine andere Antwort gewusst als Schweigen ("Ich will meine Hand auf meinen Mund legen!"10), sondern auch Jesus habe den Leuten, mit denen er vor dem  Turm zu Siloah sprach, keine Antwort auf die Frage geben können, wie es mit seiner Botschaft von der Vatergüte Gottes vereinbar sei, dass jener Turm achtzehn unschuldige Menschen erschlug11.

Das sind, wie gesagt, aus dem Munde eines Kanzelredners Zugeständnisse, die uns den Mann als eine ernste, redliche Persönlichkeit schätzen lassen. Und da wollen wir ihm denn auch den kühnen Salto mortale nicht übel nehmen, mit dem er fortfährt:

"Gerade hierin scheint mir nun aber etwas Befreiendes zu liegen."

Nämlich darin,  dass zwar Jahrtausende hindurch die tiefsten, edelsten Menschen immer wieder die Frage erlebt haben: Wie konnte Gott etwas so Grausames geschehen lassen? Dass aber trotz dieser unbeantworteten Frage der Glaube an Gott sich erhalten habe. — Wir sehen zwar in dieser Tatsache wesentlich einen Mangel an konsequentem Denkermut bei der Mehrzahl der Menschen, dürfen es aber einem Prediger nicht zu sehr verübeln, wenn er diese Erfahrung anders deutet.

Am Schlusse seiner Predigt weist dann auch Pastor Schmidt darauf hin, wie aus Anlass der furchtbaren Katastrophe die menschliche Bruderliebe sich so großartig betätigt habe, wobei er aber nicht den von andern Predigern ausgesprochenen Gedanken zugrunde legt, Gott habe 150000 Menschen elendiglich umkommen lassen, um den andern Nationen diese schöne Übung der Barmherzigkeit zu verschaffen. Er sagt nur, dass in diesen Liebestaten eine göttliche Kraft lebendig wurde an der Stätte des Unglücks. Und damit kann auch der Freidenker übereinstimmen, insofern er der Überzeugung ist, dass das, was wir "göttlich" nennen, überhaupt nur durch den aufs Gute gerichteten menschlichen Geist der Liebe auf Erden vorhanden ist.

Denn das ist — nach der Predigt — nun die Philosophie des Unglücks von Messina, dass in der Schöpfung, in den sich vollziehenden Naturereignissen ein ethischer Wille gänzlich ausgeschlossen scheint. Hier geschieht alles ohne Rücksicht auf Gut und Böse, auf Liebe, auf heilige Familienbande usw. Ob die Natur Menschen oder einen Flug Maikäfer zerquetscht, ist ihr dasselbe. Hingegen hat sich, seit es eine Menschheit gibt, in unendlich langsamer aber stetiger Entwicklung in ihr allerdings ein sittlicher Gesamtwille nach und nach herausgearbeitet, der — im Gegensatz zur gleichgültigen Natur — auf Liebe, Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit gerichtet ist, auf hohe Dinge, die nur durch die Menschheit vorhanden, aber wirkliche Segenskräfte des Lebens sind und die man, im Gegensatz zu den niedern natürlichen Eigenschaften des Menschen, um sie auszuzeichnen, wohl "göttlich" nennen mag. Und zwar dies namentlich aus folgendem Grunde:

Wohl hat nur die Menschheit diesen auf das Gute gerichteten Gesamtwillen zustande gebracht. Aber die Menschheit steht ja nicht in der Luft, sondern hat zu ihrer Voraussetzung die Natur als den Ursprungs- und Nährboden ihres Wachstums. Und so ist auch an der Natur nicht ganz zu verzweifeln, indem in sie offenbar von allem Anfang an das Entwicklungsvermögen zu einer Art Naturgeschöpfe gelegt war, die aus sich heraus einen Willen zum Guten hervorbringen konnten und mussten. Die "Göttlichkeit" der Menschheit vergüldet oder vergöttlicht auch die Natur im Reflex, da ohne die Natur diese Menschengöttlichkeit nicht möglich gewesen wäre. Doch darf man das nicht sentimental nehmen, da die Natur fortfährt, die sittlichen Forderungen der Menschheit nicht im geringsten zu respektieren. Sie ist und bleibt gleichsam ein böses Pferd, das, wenn es wild wird, sich nicht darum sorgt, ob in dem Wagen, den es zertrümmert und in den Abgrund schleudert, ein Arzt saß, der zu einem Notfall gerufen wurde. Wir müssen schon zufrieden sein, dass immerhin auf diesem unberechenbaren Ungetüm Natur die Menschheit mit ihrem sittlichen Willen zur Güte möglich und Tatsache geworden ist und dass insofern der ethische Wille, der Wille zur Göttlichkeit, doch von Anfang an in der Natur latent gelegen haben muss.

Diese Anschauung, die man kaum als "atheistisch" bezeichnen darf, ist, obschon sie nicht alles erklären kann, doch auch nicht "mystisch", da sie aus dem vor jedermann offen liegenden Werdegang der Menschheit ihre Beweiskraft schöpft. Nur darf man nicht — wie Nietzsche, besonders in seinem "Ecce homo"12 — überhaupt den ethischen Willen zur Güte und alles, was damit zusammenhängt, als eine Torheit, als verrückte Idealität erklären. denn damit würde man auch innerhalb der Menschheit nur noch die brutale Natur zur entscheidenden Instanz machen und zwar damit eine Einheitlichkeit der Lebensdeutung, aber eine völlig trostlose gewinnen, die konsequenterweise alles Nachdenken über die Rätsel des Lebens ausschlösse und nur noch ein dumpfes Genießen der jedem beschiedenen Einzelexistenz übrig ließe. Aber Nietzsche hat ja seine Verhöhnung der Ideale durch die Tatsache seines eigenen, ganz nur den Idealen der Erkenntnis hingeopferten Lebens widerlegt und ist so selbst ein Zeuge der aus der Natur sich heraus arbeitenden Göttlichkeit des Menschengeistes geworden.


Abb.: " dass das, was wir 'göttlich' nennen, überhaupt nur durch den aufs Gute gerichteten menschlichen Geist der Liebe auf Erden vorhanden ist": Buddha, der Religionsstifter, der nicht Gott sondern das Leiden der Wesen in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stellte.


Erläuterungen:

1 Am 28. Dezember 1908 zerstört ein Erdbeben bzw. ein Tsunami die Städte Messina und  Reggio di Calabria fast völlig. Was von Beben und Tsunami verschont wird, fällt dem Feuer zum Opfer, das durch geborstene Gasleitungen ausbrach. Die Zahl der Todesopfer wird auf über 100 000 geschätzt. Aus allen Ländern Europas kommen Ärzte, Pflegepersonal und materielle Hilfe.


Abb.: Lage von Messina und Reggio di Calbria (©MS Encarta)

2 Samuel Keller

"KELLER, Samuel D. (1856-1924), Pfarrer und Evangelist, geb. in Petersburg als Sohn eines Schweizer Lehrers. Als Pfarrer bei den deutschen Bauern in der russischen Steppe und auf der Krim erlebte er seit 1881 tiefgehende Erweckungen. Er flüchtete 1890 als politisch Verdächtiger nach Deutschland, wurde Generalsekretär der deutschen Sittlichkeitsvereine, 1892 Pfarrer in Düsseldorf und dann 1898 freier Evangelist. Er verstand es, das erweckliche, zur Entscheidung rufende Evangelium den Gebildeten, auch den Kirchenfremden, in eigner Sprachgestalt zu sagen. In 25 Jahren redete er in über 6000 öffentlichen Vorträgen vor mehr als 6 Mill. Menschen. In seinen seelsorgerlichen Sprechstunden waren über 24.000 Besucher. Er schrieb über 70.000 Briefe. Neben Elias Schrenk war er der bekannteste deutsche Evangelist. Er gehörte nicht zum Gnadauer Verband, sondern mit Lepsius zusammen, zum »Eisenacher Verband für kirchliche Evangelisation und für Pflege kirchlicher Gemeinschaft und evangelischen Lebens«, der 1904 gegründet war. Leider gelang es diesem Bund nicht, eine Annäherung zwischen kirchlicher Theologie und Gemeinschaftsbewegung herbeizuführen. Mit den hohen Kollekten seiner gut besuchten Versammlungen finanzierte Keller Missionsstationen."

[Quelle: Burkard Krug. -- http://www.bautz.de/bbkl/k/Keller_s.shtml. -- Zugriff am 2005-02-04] 

3  Kapuzinade: possenhafte, derbe Strafpredigt nach Art der Kapuziner

4 Hans Schmidt

""SCHMIDT, Hans, Professor für Altes Testament, * 10.5. 1877 in Wolmirstedt (bei Magdeburg), + 20.1. 1953 in Halle. - Nach dem Studium der Theologie war Schmidt von 1904 bis 1907 zunächst in Schlesien Studieninspektor am Predigerseminar in Naumburg am Queis. Hier legte er den Grund für seine Beschäftigung mit dem Alten Testament, indem er 1905 als Beilage zum 13. Bericht des Verbandes ehemaliger Mitglieder des Klosters Naumburg a. Queis eine erste wissenschaftliche Veröffentlichung schrieb: »Zur rhythmischen Übersetzung hebräischer Poesie«. Danach wirkte er von 1907 bis 1914 als Pfarrer in Breslau. In dieser Zeit habilitierte er sich 1909 an der Universität Breslau für Alttestamentliche Wissenschaft. Er hielt als Privatdozent Vorlesungen und assistierte 1910/11 Gustav Dalman durch seine Tätigkeit am Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem. 1914 ging er als a.o. Professor nach Tübingen. Im ersten Weltkrieg lehrte er auch an der Kriegsgefangenenlager-Hochschule in Wakefield/ England. 1921 wurde er als o. Professor nach Giessen und 1928 in gleicher Stellung nach Halle berufen, wo er 1945 emeritiert wurde und bis zu seinem Tode weiterhin dort verblieb.

Schmidt vertrat in Forschung und Lehre die Alttestamentliche Wissenschaft als Schüler von Hermann Gunkel im Sinne der von diesem begründeten Gattungsgeschichte. Seine Bedeutung liegt in der strikten Hinwendung zu den literarischen Zeugnissen der israelitischen Religion, die er in ihrer Form, in ihrer geschichtlichen Gebundenheit und in ihrer inhaltlichen Aussage ernst nimmt und erklärt. Er baut auf den Erkenntnissen der religionsgeschichtlichen Schule auf, deren Ergebnisse eine große Ausweitung der alttestamentlichen Forschung mit sich gebracht hatten. Gleichzeitig versucht er, den wesentlichen Aussage-Inhalt der alttestamentlichen Schriften in einer Weise darzustellen, dass auch der Leser seiner Zeit, den er als Christ in dessen christlicher Existenz anspricht, den religiösen Inhalt für sich erfassen und bejahen kann.

Werke: Jona. Eine Untersuchung zur vergleichenden Religionsgeschichte, Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 9, Göttingen 1907; Unser Glaube und das Erdbeben von Messina, Göttingen 1909;  .... "

[Quelle: Georg Sauer. --  http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/schmidt_ha.shtml. -- Zugriff am 2005-01-04]

5 Schmidt, Hans <1877 - 1953>Unser Glaube und das Erdbeben von Messina : Neujahrspredigt gehalten ... 1909 in Breslau. -- Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1909. -- 14 S. ; 8°

6 "Der Synodalrat ist oberstes Vollzugs-, Aufsichts- und Verwaltungsorgan der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Er besteht aus sieben Mitgliedern; 1 Vollamt, sechs nebenamtlich. Der Synodalrat tagt zweiwöchentlich. Die Synodalräte werden je für eine Amtsdauer von vier Jahren von der Synode gewählt." [Quelle: http://www.refkirchenbeju.ch/content/default.htm. -- Zugriff am 2005-02-04]

7 "Einen besonders interessanten Wintereinbruch mit starken Schneefällen erlebte die Nordschweiz am 23./24. Mai 1908. Ab 18.15 Uhr fiel in Zürich  heftiger Schneefall, in Bern lagen am späten Abend bereits 10 cm, in Zürich maß man am 24. morgens 8 bis 12 cm und auch in Feldkirch in Vorarlberg lag drei Tage lang eine Schneedecke. " [Quelle: http://www.vda-klima.de/daxstein/berichte/be0405.htm. -- Zugriff am 2005-02-04]

8 Am 24. Juli 1908 stieß der Vortriebstollen für den Lötschbergtunnel unter dem Gasterntal ins alte Gletscherbett. Schlamm und Schotter quollen aus dem Berg; 25 Arbeiter und 6 Pferde verloren das Leben.

9 Hiob

"Hiob (Job) ist Held des nach ihm benannten Lehrgedichts im Alten Testament. Er wird als Herdenbesitzer im Land Uz geschildert, ist in Wahrheit entweder eine Gestalt der alten, nicht einmal spezifisch hebräischen Sagenwelt (vgl. Hesek. 14,14 u. 20) oder geradezu (schon der symbolische Name, soviel wie Angefeindeter, lässt dies vermuten) eine zum Zweck der Veranschaulichung einer Idee fingierte Person. Das Buch Hiob erörtert das Problem, wie sich das Leiden des Frommen mit der göttlichen Gerechtigkeit vertrage, von einem Standpunkt aus, der von einem künftigen Ausgleich nichts weiß, sondern eine Lösung im Diesseits anstrebt. Zu unterscheiden sind der epische Prolog (1 und 2) und Epilog (42,7-17) und die Hauptmasse der Reden, die zwischen Hiob und seinen Freunden in drei Gängen (4-14,15-21,22-31) gewechselt werden; die Reden Elihus (32-37) sind vielleicht spätere Einschaltung. Das Ganze ist im besten Hebräisch geschrieben und könnte der Blütezeit der hebräischen Literatur angehören, doch weisen Thema, Gedankengang und Vorstellungen wie die Anschauung von den Engeln in die nachexilische Zeit (4. Jahrh.). Der Text ist oft stark verderbt. Die Bilder sind mannigfaltig, frisch und blühend, die Naturbeschreibungen nicht selten erhaben; die Gedanken zeugen von einem hohen Geist, der viel in sich zerarbeitet und an sich gearbeitet hat. Dagegen weiß er die Dämonen des Zweifels, die er heraufbeschwört, nicht eigentlich zu bewältigen. Das einzig praktische Resultat so vieler Streitreden besteht in dem Bekenntnis, dass der Mensch unfähig sei, das Rätsel des Geschickes mit dem Gottesgedanken zu versöhnen, und ihm deshalb nur unbedingte Unterwerfung übrigbleibe."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

10 Hiob 39, 34:

33Hiob aber antwortete dem HERRN und sprach:
34Siehe, ich bin zu leichtfertig gewesen; was soll ich verantworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen.
35Ich habe einmal geredet, und will nicht antworten; zum andernmal will ich's nicht mehr tun.

[Luther-Bibel 1912]

11 Lukasevangelium 13, 4

4Oder meinet ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug sie, seien schuldig gewesen vor allen Menschen, die zu Jerusalem wohnen?
5Ich sage: Nein; sondern so ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle auch also umkommen.

[Luther-Bibel 1912]

12 Ecce Homo

ECCE HOMO. Wie man wird, was man ist

Philosophische Autobiographie von Friedrich Nietzsche, entstanden 1888, postum erschienen 1908.

Schon in früher Jugend pflegte Nietzsche für sich selbst den eigenen Lebenslauf zu rekapitulieren. In seinen ersten autobiographischen Aufzeichnungen (wie Aus meinem Leben, 1858) hatte der Knabe den christlich inspirierten Versuch unternommen, die graduelle Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften unter der allmächtigen Führung der göttlichen Vorsehung darzustellen und somit den eigenen Lebenslauf als sinnvolle und notwendige Entwicklung zu verstehen, um dadurch zugleich einen Ausblick auf die eigene Zukunft zu gewinnen. Durch den Glauben an die Allmacht der göttlichen Vorsehung versuchte er außerdem, sich mit den früh erlittenen Trauererlebnissen (vor allem dem Tod des Vaters und des kleinen Bruders) christlich zu versöhnen. Allerdings wurde die christliche Gestalt dieser Haltung schon in kurz darauffolgenden autobiographischen Aufzeichnungen durch einen vor allem von R. W. Emerson inspirierten Fatalismus abgelöst.

...

Nietzsche, der unter der Erfolglosigkeit seiner Schriften – vor allem des in Ecce homo über alle Maßen gelobten Also sprach Zarathustra – litt, beabsichtigte damit, eine für die Verbreitung des Hauptwerks förderliche gespannte Erwartung zu provozieren und dadurch die befürchtete Intervention der Zensur abzuwehren (seine Schriften waren in Russland gerade verboten worden). Mit dem geplanten Hauptwerk verfolgte er einen wirklichkeitsfremden Plan: die gleichzeitige Veröffentlichung der Umwertung aller Werte in verschiedenen Sprachen sollte einen abrupten Umsturz der bestehenden Institutionen bewirken. Solche revolutionären Auswirkungen sollte die in dieser Schrift entwickelte radikale Kritik des Christentums auslösen:

»Die Entdeckung der christlichen Moral ist ein Ereignis, das nicht seines Gleichen hat, eine wirkliche Katastrophe. Wer über sie aufklärt, ist eine force majeure, ein Schicksal, – er bricht die Geschichte der Menschheit in zwei Stücke.«

Die im letzten Kapitel des Ecce homo (Warum ich ein Schicksal bin) angekündigte »große Politik« sollte alle politischen und sozialen Gebilde und Konflikte in einen bis dahin noch nicht dagewesenen »Geisterkrieg« auflösen, in dem nicht mehr Völker, Staaten oder soziale Schichten, sondern psychologische Typen – die schwachen décadents einerseits und die wohlgeratenen Starken andererseits – mit ihren jeweiligen Weltanschauungen um die Erdregierung kämpften. Diese »große Politik« vorzubereiten war also die Aufgabe des Ecce homo. Um Missverständnissen vorzubeugen, die die Wirkung des Hauptwerks beeinträchtigen könnten, wollte sich Nietzsche zuerst möglichst eindeutig vorstellen. Am Anfang des dritten Kapitels Warum ich so gute Bücher schreibe persifliert er die Oberflächlichkeit seiner Rezensenten und hebt die Schwerverständlichkeit der eigenen Schriften hervor, um vor Leichtfertigkeit im Umgang mit diesen zu warnen. Mit plakativen Äußerungen versucht er, jeden Missbrauch seiner Philosophie im reichsdeutschen-nationalistischen Sinn und vor allem jedes Missverständnis seiner Gestalt als der eines »Heiligen« im Sinne der religiös-moralischen Tradition zu verhindern – die Selbstdarstellung als »Hanswurst« hat nur diese Funktion; es wäre unangebracht, in ihr ein echtes Zeichen von Selbstrelativierung sehen zu wollen.

Nietzsche will das Buch allerdings weniger für das Publikum als für sich selbst geschrieben haben; in der nach außen gewandten radikal verneinenden und zerstörerischen Haltung der »großen Politik« sieht er nur die notwendige Kehrseite einer unbedingten dionysischen Lebensbejahung:

»Ich kenne die Lust am Vernichten in einem Grade, die meiner Kraft zum Vernichten gemäß ist, – in Beidem gehorche ich meiner dionysischen Natur, welche das Neintun nicht vom Jasagen zu trennen weiß.«

Die Formel, die das Buch abschließt, ist »Dionysos gegen den Gekreuzigten«; das dem Christentum entgegengesetzte dionysische Jasagen, aus dem die Selbstdarstellung abgefasst wird, ist der amor fati, die uneingeschränkte Bejahung des eigenen Schicksals jenseits jeder nur passiven Annahme oder Resignation:

»Meine Formel für die Größe am Menschen ist amor fati: dass man Nichts anders haben will, vorwärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht.«

In der Autobiographie nimmt eine solche vorbehaltlose Selbstbejahung die Gestalt einer unbedingten Rechtfertigung der eigenen Person und des eigenen Lebenslaufs an. Nietzsches Schicksalsliebe äußert sich in dieser Schrift vor allem als Dankbarkeit für die eigenen Werke. Nicht zufällig ersetzt Nietzsche in Ecce homo, wie in den oben erwähnten Vorreden, die direkte Darstellung des eigenen Lebenslaufs durch einen Kommentar zu den eigenen Schriften. Zehn Abschnitte behandeln die einzelnen Veröffentlichungen in chronologischer Ordnung vom Jugendwerk Die Geburt der Tragödie bis hin zur Götzendämmerung – diese wird allerdings vor dem bereits vorher erschienenen Der Fall Wagner besprochen. Wie in den Vorreden wird die Notwendigkeit der Entwicklung Nietzsches auf eine lange unbewusst gebliebene dominierende Leidenschaft zurückgeführt, die zur Selbstverwirklichung drängt und Nietzsches Leben von Anfang an bestimmt – dies ist der Sinn des aus Pindar entlehnten Untertitels von Ecce homo: Wie man wird, was man ist. Nietzsches subjektiver Haltung des amor fati entspricht also nach Ecce homo eine seinem Leben eigene Schicksalhaftigkeit.

....

Die schon in den Vorreden ausführlich behandelte »Loslösung« durch die Krankheit wird in Ecce homo vor allem als Befreiung von jenem »Idealismus« aufgefasst, den Nietzsche in dieser Schrift als das eigentliche Verhängnis seines Lebens ansieht. In dieser antiidealistischen Haltung liegt Nietzsche zufolge ein weiterer Grund seiner philosophischen Überlegenheit. Warum ich so klug bin erklärt nämlich das so überschriebene zweite Kapitel aus Nietzsches Vorliebe für reale Fragen, die die sogenannten alltäglichen »kleinen Dinge« betreffen, und aus seinem Desinteresse für religiöse oder metaphysische Probleme; wir finden hier dementsprechend zahlreiche Ausführungen über »Ernährung, Ort, Klima, Erholung, die ganze Kasuistik der Selbstsucht«.

Aus den verschiedenen Funktionen dieser Schrift lassen sich Nietzsches zahlreiche Fälschungen bzw. Zurechtlegungen erklären, handle es sich nun um die zitierte Konstruktion über die eigene Gesundheit, die Selbstmythisierung durch die Legende der Abstammung von polnischen Edelleuten, oder um die manchmal gewaltsamen Uminterpretationen früherer Werke (z. B. der letzten Unzeitgemäßen Betrachtung).

In größerem Maß als die Wirkungsgeschichte von Nietzsches sonstigen Schriften ist die des Ecce homo von der Diskussion durchzogen, ob bzw. inwiefern dieses Werk schon Ausdruck des ausbrechenden Wahnsinns ist. Man sollte der Versuchung widerstehen, Ecce homo bloß durch den Hinweis auf den psychischen Zustand des Verfassers abzufertigen. Man sollte sich aber auch davor hüten, Abschluss und Vollendung einfach gleichzusetzen und diese letzte Schrift Nietzsches als den Gipfel seiner philosophischen Produktion hinzustellen."

[Quelle: Marco Brusotti. -- In: Kindlers Neues Literaturlexikon. -- München : Kindler, ©1996. -- s.v.]


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