Religionskritisches von Josef Victor Widmann

Aus meiner theologischen Zeit <Auszug> (1891)

von

Josef Victor Widmann


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Aus meiner theologischen Zeit <Auszug>.  -- 1891. -- Fassung vom 2005-02-22. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/widmann03.htm    

Erstmals publiziert: 2005-02-22

Überarbeitungen:

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals veröffentlicht in:

Der Bund : unabhängige liberale Tageszeitung Verlag. -- Bern : Der Bund. -- 1891. --  Nr. 319-322.

Wieder abgedruckt in:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Josef Viktor Widmann : "ein Journalist aus Temperament" : ausgewählte Feuilletons / hrsg. von Elsbeth Pulver und Rudolf Käser. -- Gümligen : Zytglogge-Verlag Bern, ©1992.  -- 304 S. : Ill. ; 21 cm. -- ISBN 3-7296-0426-0. -- S. 18 [Hier nach dieser Ausgabe wiedergegeben]


Zu Josef Victor Widmann siehe:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: "Die Sünden Gottes".  -- 1882. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/widmann01.htm

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zum Neobuddhismus.  --   Kapitel 14: Buddhismus in anderen Ländern. -- 1. Buddhismus in der Schweiz. -- URL: http://www.payer.de/neobuddhismus/neobud141.htm. -- Zugriff am 2005-02-03



Abb.: Homiletik [Predigtlehre] / aus Widmanns Kollegheft

[Bildquelle: Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Josef Viktor Widmann : "ein Journalist aus Temperament" : ausgewählte Feuilletons / hrsg. von Elsbeth Pulver und Rudolf Käser. -- Gümligen : Zytglogge-Verlag Bern, ©1992.  -- 304 S. : Ill. ; 21 cm. -- ISBN 3-7296-0426-0. -- S. 16]

Als Pfarrhelfer

Man sieht, ich war vergnügt in meiner Pfarrhelferstelle. Aber dieses Vergnügen erstreckte sich mehr auf die Allotria, die mit ihr verbunden waren. Die Hauptsache machte mir innerlich mehr zu schaffen, als ich es selbst meinen Nächsten offenbaren mochte. Da war nun erstlich das Predigen. (...) Es hat mir noch niemand nachgesagt, dass es meinem Geiste an Beweglichkeit mangle. Aber für diese am geweihten Orte zu sprechenden Reden, welche schlichte Zuhörer erbauen, im Glauben befestigen und zugleich doch nicht verraten sollten, dass dem Prediger selbst ein persönlicher Gott, das Jenseits und die anderen Dogmen mindestens sehr zweifelhafte Dinge seien, ließ mich mein sonstiges Anpassungsvermögen im Stich. Das heißt, ich brachte schließlich eine Anzahl Kirchenreden zustande, von denen ich meinte, dass ich zu ihrem Inhalte stehen könne und die dabei erbaulich klangen. Diese hielt ich denn gleich ein paarmal und immer öfter dieselbe, gut bewährte Predigt, um nicht etwa eine neue erfinden zu müssen, in der ich mich vielleicht an der Wahrheit vorbeidrücken würde. Doch siehe da! auch die zuverlässigsten, gewissenhaftesten Predigten - es waren zuletzt nur noch ihrer drei, auf die ich mich zurückkonzentrierte, und die ich immer wieder hielt - auch sie schwanden mir jämmerlich unter den Händen dahin, indem ich bei jeder neuen Wiederholung immer wieder erkannte, da sei noch ein Rest einer Phrase, die irgend etwas verschleiern müsse und dort ein Ausspruch, zu dessen Wahrheit ich doch im innersten Herzen nicht stehen könne. Also hinaus damit! Doch auch das nächstemal wieder errötete ich, wenigstens innerlich, über irgend einen Gedanken, den ich da auf der Kanzel aussprach und für nicht mehr berechtigt - für in meinem Munde wenigstens nicht mehr berechtigt - erkannte. Also fort auch mit ihm! Da wurden denn meine drei Predigten immer dünner wie eine Katze, der die Haare ausgehen. Es war ein Elend! Die dickste von ihnen, die sonst ganze dreißig Minuten gedauert hatte, dauerte zuletzt nur noch knapp eine Viertelstunde; da musste ich sie, als an Auszehrung verstorben, begraben.


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