Materialien zur ´Saivâgamaparibhâ.sâmañjarî:

1. Einserreihen


von Alois Payer

mailto:payer@payer.de 


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zur ´Saivâgamaparibhâ.sâmañjarî. -- 1. Einserreihen. -- Fassung vom 2004-05-18. -- URL: http://www.payer.de/saivagama/saiv01.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 1995-11-11

Überarbeitungen: 2004-05-18 [Ergänzungen]; 2004-05-10 [Ergänzungen]

Anlass: Lehrveranstaltung SS 2004; Lehrveranstaltung Proseminar Indologie WS 1995/96

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Übersicht



Vers 1.1 - 1.3b: ´Siva, der Transzendente


"Gemäß der ´sivaitischen Tradition ist ´Siva:

  1. frei von Anfang, Mitte und Ende
  2. von Natur aus ohne Kruste (mala)
  3. mächtiger Herrscher (prabhu)
  4. allwissend (sarva-jña)
  5. vollendet (paripûr.na)"

(Ajitâgama,, Ausgabe siehe unten)

"Das Wesen ´Sivas (´siva-tattva), das völlig über allen Wegen (adhvan) ist, ist

(Svâyambhuvâgama, Ausgabe siehe unten)


Ausgabe des Ajitâgama:

Ajitâgama  édition critique par N. R. (Niddodi Ramacandra) <1920 - >. -- Pondichéry : Institut français d'indologie : [Paris] : [diffusion J. Maisonneuve]. -- (Publications de l'Institut français d'indologie ; ...)
Vol. I. -- 1964. -- 425 S. : Ill. -- (Publications de l'Institut français d'indologie ; 24)
Vol. II. -- 1967. -- 271 S. -- (Publications de l'Institut français d'indologie. 24.II)

Ausgabe des Svayambhuvâgama:

Svayambhuvasutrasangrahah : vidyapadah = The tantra of Svayambhu with the commentary of Sadyojyoti / Sadyojyotikrtatikasahitah. Indira Gandhi National Centre for the Arts. Ed. and transl. by Pierre-Sylvain Filliozat. - 1. ed.. - New Delhi, 1994. - XXXVIII, 144 S. --  (Kalamulasastra granthamala ; 13). -- ISBN 81-208-1125-9. -- Originaltitel: Svayambhuva-agama


"von Natur aus ohne Kruste (mala)"

zur Kruste s. unten: ´Saivâgamaparibhâ.sâmañjarî 1.6

"Wesen ´Sivas (´siva-tattva)"
hier ist tattva in der allgemeinen Bedeutung von "Wesen" verwendet, nicht im technischen Sinne von "Konstituentien der Wirklichkeit." Diese bilden ja einen der adhvan-s, über denen ´Siva steht.

"völlig über allen Wegen (adhvan)"
zu den "Wegen" s. ´´Saivâgamaparibhâ.sâmañjarî 3.16 (aus dem Pau.skarâgama):

"Auf Seiten der lautlichen Wirklichkeit (´sabda) gibt es:

Auf Seiten der durch Laute bezeichneten Wirklichkeit (artha) gibt es:

adhvan ist die Gesamtheit der Produkte der Mâyâ (der feinstofflichen und der grobstofflichen).


"nicht beweisbar (a-prameya)"
der transzendente ´Siva steht jenseits von allem, was mittelbar durch Erkenntnismittel (pramâ.na n.) erkannt werden kann. Zu diesen Erkenntnismitteln gehört auch die Offenbarung. Alle Erkenntnismittel können nur niedere Erkenntnis vermitteln. Höchste Erkenntnis (para-jñâna n.) muss un-mittelbar (aparok.sa) sein. Erkenntnismittel können nur subsidiär zur unmittelbaren Intuition Gottes sein.

"unvergleichlich (an-aupamya)"
deshalb ist der transzendente ´Siva im strengen Sinn auch nicht durch die Analogie (anumâna n.) des "klassischen" Gottesbeweises Topf Töpfer aufweisbar.

Vers 1.3c - 1.5: ´Sakti - die Bedingung der Möglichkeit für das Wirken ´Sivas


"Es gibt nur eine einzige ´Sakti (Kraft, Potenz) ´Sivas, die Bewusstsein ist (cid-´sakti). Sie steht zu ´Siva in einer nichtsymmetrischen, ständigen, wesenhaften Relation der Abhängigkeit, vergleichbar der Inhärenz (samavâya). Diese Gestalt (mûrti) wird aufgrund der Unterscheidung der Tätigkeit als Körper des Sadâ´siva betrachtet."

(´Srîka.n.tha: Ratnatraya, Ausgabe siehe unten)

"Durch sie, die einzige, vielgestaltige, wird die ganze Welt gehalten."

(Sarvajñânottarâgama, nur handschriftlich überliefert)

"´Siva ist nur ein einziger, ebenso ist seine unveränderliche ´Sakti nur eine einzige. Beide haben die Gestalt von reinem Bewusstsein (cid) bei Auflösung, Genuss und Handlung."

(´Srîka.n.tha: Ratnatraya)


Ausgabe von ´Srîka.n.tha: Ratnatraya:

Astaprakaranam : tattvaprakasa-tattvasamgraha-tattvatrayanirnaya-ratnatraya-bhogakarika-nadakarika-moksakarika-paramoksanirasakarika-khya-siddhantasaiviyastagranthanam satikanam samaharah / sampadakah Vrajavallabhadvivedah. - Varanasi : Sampurnanandasamskrtavisvavidyalaya, 1988. - 58, 399 S. -- (Yogatantra-granthamala / Sampurnananda-Samskrta-Visvavidyalaya ; 12)
Enthält:

  1. Tattvaprakasa / Bhoja.
  2. Tattvasangraha / Sadyojyoti.
  3. Tattvatrayanirnaya / Sadyojyoti.
  4. Ratnatraya / Srikanthasuri.
  5. Bhogakarika / Sadyojyoti.
  6. Nadakarika / Bhatta-Ramakantha.
  7. Moksakarika / Bhattaramakantha.
  8. Paramoksanirasakarika / Sadyojyoti

"die Bewusstsein ist (cid-´sakti)"
Eine Grund-Dualität ist die zwischen:

Aghora'siva definiert im Tattvaprakâ'sa cid folgendermaßen:

cich-chabdenâtra jñâna-kriye vak.syete. tad ukta.m `srîman-mrgendre — "caitanya.m d.rk-kriyârûpam".

"Mit dem Wort chid sollen hier Erkennen und Handeln ausgedrückt werden. Im ehrwürdigen Mrgendrâgama heißt es. "Gesit besteht aus Erkennen und Handeln."

[Siehe: Gengnagel, Jörg <1960 - >: Mâyâ, Puru.sa und ´Siva : Die dualistische Tradition des ´Sivaismus nach Aghorâ´sivâcâryas Tattvaprakâ´sav.rtti. -- Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. -- XII, 186 S.. -- (Beiträge zur Kenntnis südasiatischer Sprachen und Literaturen ; 3). -- Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994. -- ISBN: 3-447-03832-2. -- S. 83]

Zugrunde liegt diesem Dualismus (der im südindischen 'Sivaismus eher ein Pluralismus ist) die grundlegende Erfahrung zwischen Innensicht ("Bewusstsein") und Außensicht der Wirklichkeit ("Materie"). Dieser ursprüngliche Dualismus wird in verschiedenen Weltanschauungen verschieden interpretiert, erklärt oder auch auf einen Monismus reduziert. Auch wird die unmittelbare Grundunterscheidung zugunsten anderer Trennlinien verschoben (Geist im engeren Sinn, Spirituelles und Ähnliches.)

Gengnagel fasst die Auffassung Aghora'sivas so zusammen:

"Aghoras Auslegung des Tattvaprakâ'sa ist durch die Vorgabe einer grundlegenden Dichotomie zwischen Geistigem (cit) und Nicht-Geistigem (acit) geprägt. Erkennen und Handeln sind hierbei die zwei Attribute, mit denen Aghora'siva das Geistige definiert:

„Mit dem Wort Geist (cit) sollen hier Erkennen und Handeln ausgedrückt werden. Im ehrwürdigen Mrgendra heißt es: ,Das Geistige besteht aus Erkennen (d.r's) und Handeln.' (VP 2.5a)"

Im Rahmen eines dualistischen Monotheismus ist der Bereich des Geistigen deutlich abgegrenzt. Nur der höchste Herr 'Siva, dessen eigenes Wesen Erkennen und Handeln ist, die ihm inhärierende 'Sakti - im vorliegenden System keine unabhängige Göttin - und eine Vielzahl an Seelen sind geistig.

Diesem geistigen Bereich stehen ungeistige Materialursachen und deren Produkte gegenüber, die ohne Erkennen und Handeln sind. 'Siva als Schöpfer der Welt wirkt auf die ungeistigen Materialursachen ein, die dadurch zur Entfaltung veranlaßt werden. Diese ungeistigen materiellen Ursachen und ihre ungeistigen Evolute bilden die notwendige Voraussetzung für die Verkörperung der zwar geistigen, aber noch nicht von ihren Fesseln befreiten Seelen. Denn die ungeistigen Materialursachen sind es, die die Grundlagen für deren Verkörperung, wie die tattvas und die zahlreichen Welten, hervorbringen. Erst wenn durch die tattvas die verhüllte Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit der noch nicht befreiten Seelen teilweise zum Vorschein gebracht wird und die Seele mit den inneren und äußeren Organen verbunden ist, kann die individuelle Seele die real existierende Welt erleben. Dieses Erleben bedeutet ein Erfahren der Früchte früherer Taten und ist somit unentbehrlich für die Erlösung der verkörperten Seelen.

Im Prozeß der Emanation und Resorption der Welt ist eine Umwandlung (pari.nâma) oder Veränderung (vikârä) des Geistigen ausgeschlossen. Aghora'siva zitiert dazu folgende Maxime: „Nur Ungeistiges ist veränderlich, Geistiges nicht."14 Der Kontakt zwischen 'Siva, den Seelen und der materiellen Grundlage der Welt kann folglich nur vermittelt sein. Eine Rolle als Bindeglied zwischen cit und acit, Einheit und Vielheit kommt 'Sivas 'Sakti zu. Die geistige und 'Siva inhärierende 'Sakti wirkt - veranlaßt von 'Siva - auf die nicht-geistigen Formen der 'sakti ein. Diese 'saktis wirken in den verschiedenen Bereichen der emanierten Welt, veranlaßt durch Impulse der geistigen 'Sakti.

Im Rahmen dieser Gegenüberstellung von Geistigem und Nicht-Geistigem ist das Verhältnis von Einheit (ekatva) und Vielheit (anekatva) ein bei Aghora immer wieder verwendetes Kriterium der Darstellung. Es gilt das Axiom, daß Vielheit immer auf ein einheitliches Prinzip zurückführbar sein muß. Im Bereich des Ungeistigen gibt es unvergängliche Dinge nur, wenn sie nicht in Mehrzahl vorkommen. Etwas ungeistiges, nicht in Einzahl Vorhandenes, ist somit ein vergängliches Produkt, das aus einer unvergänglichen, einfachen Ursache hervorgegangen ist. So heißt es z.B. über das 'sivatattva:

„Und dieses ['sivatattva] ist einzig, da es Letztursache ist Es heißt: ,Denn als Unbeseeltes (ja.da), das nicht als etwas Einziges vorkommt, müßte es wie z.B. ein Krug in seiner Vielzahl ein Produkt sein.' "

Auch im geistigen Bereich tritt Einheit und Vielheit auf. 'Siva und seine 'Sakti sind einfach. Treten sie in Mehrzahl auf, kann dies nur durch die ihnen zugeschriebenen Attribute erfolgen. Diese Attribute wiederum ergeben sich aus den verschiedenen Betätigungen der beiden. Letztendlich bleibt aber deren Einheitlichkeit immer erhalten, denn eine wirkliche Vielheit kann es im Bereich des Geistigen nicht geben. Deshalb sagt Aghora beispielsweise über die 'Sakti:

„Die Eine - so zeigt er, daß die Aufteilung [der 'Sakti] in icchâ [sowie jnâna und kriyâ] und Vâmâ [sowie Jye.s.thâ und Raudrî], indem man ihr die verschiedenen Objekte z.B. des Erkennens und Handelns zuordnet (upâdhi), im übertragenen (upacâra), nicht aber im eigentlichen Sinne geschieht."17

 Aghora'sivas hier skizzierten dogmatischen Voraussetzungen führen zu einer Auslegung des TatPk im Sinne eines strikt dualistischen 'sivaitischen Monotheismus, die ihn nicht nur von Formen des nicht-dualistischen 'Sivaismus abgrenzt, sondern sich auch von einer ebenfalls dualistischen Exegese wie beispielsweise in 'Srîkumâras Tâtparyadîpikâ unterscheidet. Wesentlich für diese Unterschiede innerhalb des dualistischen Erklärungsmodells ist Aghoras auf der strikten Trennung von cit und acit basierende Vorgabe einer Unterscheidung zwischen dem höchsten Gott 'Siva und dem tattva ,'siva", denn 'Siva befindet sich ebenso wie die ihm inhärierende 'Sakti jenseits der tattvas (tattvâtîta). Während also in anderen Ansätzen des dualistischen 'Sivaismus das 'sivatattva 'Siva selbst ist und im Rahmen der 36 tattvas alle Erscheinungen enthalten sind18, verlegt Aghorasiva die Sphäre des Geistigen außerhalb des Bereiches der tattvas. Das 'sivatattva wird zu der reinen materiellen Ursache mahâmâyâ, die eine ungeistige 'sakti ist. Bei Aghoras strikter Auslegung des Titels „Tattvaprakâ'sa" kann dieses Werk folglich keine Beschreibung von 'Siva und seiner inhärenten geistigen 'Sakti umfassen, da sich beide ja jenseits der tattvas befinden. Er führt anläßlich Bhojas Darstellung des 'sivatattva aus:

„Diese Âryâ [d.h. TatPk 25] darf aber nicht so kommentiert werden, als bezöge sie sich auf den höchsten 'Siva, beziehungsweise auf seine 'Sakti. Denn hier [im Tattvaprakâ'sa] wurden die tattvas vom siva[tattva] bis zum Erd[-tattva] erwähnt, nicht dagegen jene beiden, die über den tattvas stehen. Wenn man diese beiden aber als materielle Ursache des reinen Bereiches versteht, folgt, daß sie veränderlich und somit ungeistig usw. sind. Das wäre ein schwerer Fehler."19

Dieser Auslegungsansatz Aghora'sivas fuhrt nicht nur zu einer Umdeutung der Struktur der 36 tattvas, sondern hat durch die Verschiebung der Schnittstelle zwischen Geistigem und Ungeistigen auch Konsequenzen für die Konzeption der 'Sakti, die als Mittler zwischen Einheit und Vielheit, Geistigem und Ungeistigem fungiert. Auch Bhojas Grundtext enthält zwar eindeutig dualistische Aussagen, es finden sich aber keine Hinweise, die Aghoras „modifizierten Dualismus" unterstützen würden. Vielmehr liegen Verse vor, die den dogmatischen Grundlagen Aghoras deutlich widersprechen. Paradoxerweise interpretiert so der orthodoxere Kommentator Aghora'siva - er verwendet beispielsweise fast ausschließlich Âgama-Zitate - an mehreren Stellen den Grundtext um oder lehnt gar Aussagen als Interpolationen ab, während 'Srîkumâra als der Kommentator, dessen Kommentarstil und Breite der verwendeten Texte keine bestimmte Schulzugehörigkeit nahelegt, dem Grundtext nie explizit widerspricht
Im Folgenden soll versucht werden, die zentralen Punkte des für Aghora spezifischen Auslegungsansatzes herauszuarbeiten. Ausgangspunkt sind hierbei seine Ausführungen zu den die gesamte resorbierte Welt beinhaltenden Grundlagen des Weltgeschehens."

[Quelle: Gengnagel, Jörg <1960 - >: Mâyâ, Puru.sa und ´Siva : Die dualistische Tradition des ´Sivaismus nach Aghorâ´sivâcâryas Tattvaprakâ´sav.rtti. -- Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. -- XII, 186 S.. -- (Beiträge zur Kenntnis südasiatischer Sprachen und Literaturen ; 3). -- Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994. -- ISBN: 3-447-03832-2. -- S. 43 - 46]

Ein Grundproblem für ´sivaitische Theologie ist die Vermittlung zwischen beidem, sodass der absolut transzendente, rein geistige ´Siva schöpfend und erlösend tätig sein kann. Dafür "postuliert" man die cid-´sakti als Bedingung der Möglichkeit des Wirkens ´Sivas.


"nichtsymetrischen, ständigen, wesenhaften Relation der Abhängigkeit vergleichbar der Inhärenz (samavâya)"
zu samavâya m. "Inhärenz" s. ´´Saivâgamaparibhâ.sâmañjarî 3.229d "wie die Wärme im Feuer".

s. dazu die Darstellung aus der Sicht Aghora´siva´s in der sehr empfehlenswerten Arbeit von:

Gengnagel, Jörg <1960 - >: Mâyâ, Puru.sa und ´Siva : Die dualistische Tradition des ´Sivaismus nach Aghorâ´sivâcâryas Tattvaprakâ´sav.rtti. -- Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. -- XII, 186 S.. -- (Beiträge zur Kenntnis südasiatischer Sprachen und Literaturen ; 3). -- Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994. -- ISBN: 3-447-03832-2

"'Sivas 'Sakti und die 'saktis

Die 'Sakti ist nicht als wie auch immer geartete weibliche Gottheit vorzustellen. Aghoras System ist streng monotheistisch. Neben dem über den tattvas befindlichen 'Siva gibt es keine Göttin „'Sakti" als unabhängige Partnerin 'Sivas. Die 'Siva inhärente geistige 'Sakti (samaveta'sakti) stellt vielmehr das Bindeglied zwischen seiner Einheit und der Vielheit der Welt dar. Auch wenn 'Siva in Bezug auf seine Schöpfungstätigkeit durch seine 'Sakti erst das dafür nötige Instrument erhält, liegt dennoch zwischen beiden keine gleichberechtigte Beziehung vor. Die Inhärenz (samavâya) der 'Sakti in 'Siva bezeichnet vielmehr eine ständige asymmetrische Verbindung der beiden. Wendet sich 'Siva der Erzeugung der Welt zu, ist die ihm inhalierende 'Sakti sein höchstes Instrument (kara.na) mit dem er das 'sivatattva, d.h. die feine Materialursache, anstößt:

.Allein mit Hilfe des Instrumentes der 'Sakti wird 'Siva fähig - er kommt in die Lage, die fünf Handlungen auszuführen, um Erleben und Befreiung der Seelen zu bewerkstelligen. Außer ihr hat er kein anderes Instrument."

In einer wesentlichen Zweiteilung ist zwischen der hier beschriebenen 'Siva inhärierenden 'Sakti und der 'sakti außerhalb 'Sivas, die als „angenommene 'sakti" (parigraha'sakti) bezeichnet wird, zu unterscheiden. Die beiden Materialursachen mahâmâyâ und mâyâ bezeichnet Aghora als von 'Siva angenommene 'saktis:

„Die Erste bedeutet ,die Hauptsächliche, ,die Innewohnende' (samaveta). Damit deutet er an, dass ['Siva] speziell noch zwei äußerliche 'saktis, die aus bindu und mâyâ bestehen, annimmt (parigraha). Denn ohne eine materielle Ursache kann die Welt nicht entstehen."

Diese geistige 'Sakti und die ungeistigen 'saktis bilden die Nahtstelle zwischen Einheit und Vielheit, cit und acit. Wichtig ist die Abgrenzung der einen, geistigen und 'Siva inhärierenden Sakti von der Vielheit, die sich aus den ungeistigen 'saktis entfaltet. Hier liegt ein neuralgischer Punkt innerhalb des dualistischen Erklärungsmodells Aghoras vor. Die geistige 'Sakti muss auf die beiden ungeistigen 'saktis, die mahâmâyâ- und die mâyâ'sakti, einwirken, um den Prozess der Emanation einzuleiten. Denn die ungeistigen 'saktis sind ohne eine geistige Grundlage nicht handlungsfähig. Würde sich die geistige 'Sakti im Kontakt mit den materiellen Ursachen und bei der Erzeugung von Vielheit aus der Einheit aber verändern, wäre sie nicht mehr geistig. Aghora zitiert folgende Verse, die das Zusammentreffen von Vielheit und Einheit der ungeistigen 'sakti Ku.n.dalinî zuordnen:

„Die 'Sakti ist hier nicht materielle Ursache, da sie wie 'Siva aus Geist besteht. (...) Selbst die mâyâ ist hier [im reinen Bereich] nicht die materielle Ursache, da sie mit ihrer eigenen Kraft (svatejas) verwirrt. Die Ku.n.dalinî aber, die 'sakti 'Sambhus, ist rein und unbelebt (ja.da). Da sie so beschaffen ist, ist sie nicht beständig (sthita), sondern verändert sich an der Seite 'Sivas, der sie für seine Handlungen annimmt (parigraha). Weil sie so beschaffen ist, ist diese Ku.n.dalinî nicht beständig. Sie ist aus diesem Grund vielmehr die materielle Ursache, wie der Ton im Falles des Töpfers."

Zur Lösung des Problems des Kontaktes zwischen Einheit und Vielheit wiederholt Aghora mehrmals die Aussage, dass die Einheit der höchsten und geistigen 'Sakti erhalten bleibt, da die Unterteilung in die zahlreichen 'Saktis icchâ, jnâna, kriyâ usw. keine absolute Realität beschreibt, sondern lediglich als ihr zugeschriebene Attribute zu verstehen ist. Auch Einteilungen 'Sivas basieren so letztlich auf der Inhärenz der geistigen 'Sakti, die als metaphorische Attribute ihre durch unterschiedliche Funktionen erzeugten Unterteilungen besitzt:

„Und außerdem verfügt [das höchste „tattva" namens 'Siva] über unendlich viele 'Saktis. Die 'Sakti hat unendlich viele Objekte des Erkennens und Handelns, so ist gemeint, dass [diesem tattva] die 'Sakti, eingeteilt durch ihre unendlich vielen Attribute (aupâdhika), inhäriert. Und deswegen ist seine Unterteilung in Sadâ'siva usw. entsprechend den Funktionen der 'Saktis nur angenommen und besteht nicht etwa in Wirklichkeit. Also ist es auch richtig, dass bindu, auf den ['Siva] sich stützt (adhi.s.theya), an verschiedenen Stellen (avasthâ, d.h. im 'sivatattva und den anderen [reinen tattvas] vorkommt."

Es ergibt sich damit folgendes Bild: Die 'Siva inhärierende geistige 'Sakti wirkt als Instrument 'Sivas auf die beiden Materialursachen ein. Diese materiellen Ursachen sind für Aghora die von 'Siva angenommenen 'saktis. Sie sind ungeistig und erst in ihnen vollzieht sich der Schritt zu einer realen Vielfalt. Unterteilungen 'Sivas und seiner 'Sakti sind nur als auf konventionellem Sprachgebrauch beruhende Attribute anzusehen. Zu klären ist nun aber die Rolle, die den bereits erwähnten 'Saktis icchâ, jnâna und kriyâ zukommt. Aghora führt zu diesen aus:

„'Sivas 'Saktis sind icchâ und die anderen. Sie lassen sich zuerst in diesem -in der materiellen Ursache nieder. Auf dieses gegründet fuhren sie ihre jeweilige Funktion aus, also die Gnade gegenüber dem, was der Gnade bedarf; und im übrigen die Schöpfung und die anderen [Handlungen]. Deshalb wird [das 'sivatattva] eben auf diese Weise allen Gnade erweisend genannt, weil es der Reihe nach allen Gnade erweist. Es handelt jedoch nicht ohne die 'Sakti als seine Grundlage vorauszusetzen, denn es ist nicht unabhängig. Denn ohne eine Grundlage des Ungeistigen im Geistigen, könnten keine Produkte entstehen."

Die drei 'Saktis icchâ, jnâna und kriyâ sind, obwohl sie im Bereich der tattvas wirken, als geistig anzusehen. Denn sie sind letztlich Unterteilungen der einen geistigen 'Sakti und somit beruhen die unterschiedlichen Namen der einen 'Sakti nur auf den von ihren Tätigkeiten ausgehenden und ihnen zugeschriebenen Attributen. Diese Tätigkeiten sind die fünf Handlungen, die sie veranlasst und beaufsichtigt von 'Siva ausführen. Sowohl 'Sivas Fähigkeit, die Erkenntnis und Handlung der Seelen zu verdunkeln (tirodhâna- bzw. rodha'sakti) als auch seine Fähigkeit Gnade zu spenden (anugraha'sakti), sind somit in diesen von den 'Saktis ausgeführten fünf Handlungen enthalten.

Im Rahmen einer materiellen Entfaltung der ersten fünf tattvas erlangt die kriyâ'sakti im î'svaratattva das Übergewicht, die jnâna'sakti dominiert im 'suddha-vidyätattva. Wie können diese geistigen 'Saktis im Rahmen einer materiellen Manifestation Erkenntnis hervorbringen? Aghora löst dieses Problem, indem er auf die Verkörperung bestimmter Seelen verweist, die den reinen tattvas zugeordnet sind. Die materielle Grundlage für die Verkörperung dieser Seelen entfaltet sich im Rahmen der Emanation der reinen tattvas, deren jeweilige Welten von diesen geistigen Seelen und damit auch den Trägern von Erkenntnis bewohnt werden. Aghora führt zu dem Erscheinen von Erkenntnis anlässlich der Beschreibung des vidyâtattva aus:

„Wenn unterhalb des î'svaratattva in dem tattva, das eine Umwandlung von bindu ist, die Fähigkeit zu erkennen überwiegt, da es sich auf die 70 Millionen Mahâmantras stützt, dann heißt dies vidyâtattva. Weil die in diesem tattva wohnenden aus Erkennen bestehen, es also das Erscheinen von Allwissenheit bewirkt, ist es klärend."

Diese Aussage ist so zu interpretieren, dass nicht das tattva selbst, sondern die ihm zugeordneten verkörperten Seelen Träger der Entfaltung der Erkenntnis- oder Handlungsfähigkeit sind."

[Quelle: Gengnagel, Jörg <1960 - >: Mâyâ, Puru.sa und ´Siva : Die dualistische Tradition des ´Sivaismus nach Aghorâ´sivâcâryas Tattvaprakâ´sav.rtti. -- Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. -- XII, 186 S.. -- (Beiträge zur Kenntnis südasiatischer Sprachen und Literaturen ; 3). -- Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994. -- ISBN: 3-447-03832-2. -- S. 65 - 69]


"Sadâ´siva"

ein tattva (!), eines des reinen Produkte der reinen Materialursache.

Safâ'siva wird auch bildlich dargestellt. Die ikonographischen Vorschriften sind folgende:


Abb.: Sadâ'siva [Bildquelle: http://users.telenet.be/yoga/sadasiva.html. -- Zugriff am 2004-05-10]

"The Uttara-kâmikâgama states that the colour of the Sadâ'sivamûrti should be of white colour and be standing upon a padmâsana. There should be five faces and the heads should be adorned with jatâmakutas, whose jatâs are required to be of brown colour. Sadâ'siva should have ten arms; in the five right hands there should be the 'sakti, 'sûla, khatvânga, abhaya and prasâda {?) and in the five left ones, the bhujanga (a snake), akshamâlâ, damaru, nîlotpâla and a fruit of the mâtulunga.

 Or, Sadâ'siva may be conceived as having only one face set with three eyes which represent the Icchâ'sakti, the Jnâna'sakti and the Kriyâ'sakti; with the Chandra-kalâ (the orescent moon), which stands as a symbol of jnâna (wisdom), tucked up in the jâtamakuta and adorned with all ornaments such as the yajnopavîta. Manonmanî, the Supreme goddess, should be standing by his side.

Figs. 1 and 2, PL CXIII and PI. CX V illustrate the description of Sadâ'sivamurti.


Abb.: Sadâ'sivamûrti

The seated figure has five heads eaoh of which is adorned with a jatâ-makuta; it has ten arms; one of the right hands is held in the abhaya pose and a corresponding left one in the vârada pose. The other hands carry the akshamâlâ, pâ'sa, khadga, takka (or para'su), kamandalu and other objects not quite clear in the photograph.


Abb.: Sadâ'sivamûrti

The standing figure (fig. 2, Fl. CXII), also possesses five heads of which the topmost has tongues of flames playing round it; some of the faces have side-tusks and the figure is nude; all these are characteristic features of a terrific (or ugra) aspect of the deity. There are eighteen arms, the hands of which are seen to carry such objects as the 'sûla, pâ'sa, khadga, khetaka, musala, para'su, ghanta, kapâla and others. The figure is adorned with various necklaces of which one is long enough to descend as far as the ankle and is composed of tiny bells.

Both these images appear to be modern.

The beautiful figure of Sada'sivamûrti reproduced on PI. CXV is said to have been discovered in Elephanta and is badly damaged. Like all other pieces in the caves at Elephanta this one also is carved splendidly. The very well executed jâta-makutas adorned with finely wrought discs, the row of small curls of hair fringing the forehead (ushnîsha), the necklaces, the yajnopavîta, the girdle round the loins are all very nicely worked out. The figure has four faces and, since all its arms are broken, it is not possible to say how many it originally possessed.

Mahâsadâ'sivamûrti is conceived as having twenty-five heads and fifty arms bearing as many objects in their hands. The five heads of Sadâ'sivamûrti which represent the five aspects of 'Siva (the Panchabrahmâs), who are the lords of creation, protection, etc., are each substituted by five heads, making on the whole twenty-five; which stand for twenty-five tattvas of philosophy.

The Mânasara states that Mahâsadâ'siva should be represented with twenty-five faces, having on the whole seventy-five eyes and fifty arms. The heads should be adorned with jâta-makutas and the ears with kundalas, and there should be a number of snake ornaments (sarpâlankâra). One of the hands should be held in the abhaya and another in the varada pose respectively.

A representation such as this is rarely found portrayed in sculpture; one instance is found in Vaittî'svarankoyil (Tanjore District) made of brick in mortar. In this, one other peculiarity is also observable, namely the heads are arranged in tiers in arithmetical progression. The topmost tier has only one head, the next one below has three, the next five and so on till the last tier has nine heads. Only those heads which are on the borders of this triangle of heads could be adorned with jâtamakutas and they alone are actually ornamented with these in the sculpture. Surrounding the image are two flower garlands so put on as to represent a sort of prabhâvali. Out of the large number of hands, one is held in the abhaya and another in the varada poses."

[Quelle: Gopinatha Rao, T. A. <1872-1919>: Elements of Hindu iconography. -- Madras :  Law Printing House, 1914 - 1916. -- 2 Bde in 4 : Ill. -- Bd. II, 2. -- S. 371 - 374]


"Auflösung, Genuss und Handlung"
die dreifachen avasthâ-s, die Gott als Herr der kosmischen Funktionen frei übernimmt. Auflösung entspricht der kosmischen Einholung (sa.mhâra m.) , Genuss der Erhaltung (sthiti f.), Handlung der Schöpfung (s.r.s.ti f.).

Wenn der bindu bereit ist für den göttlichen Anstoß (k.sobha m.), dann ist es Genuss (bhoga m.) für den göttlichen Willen, wenn der bindu angestoßen ist und ein Produkt hervorbringt, dann ist es Handlung (adhikâra), wenn der bindu ohne jegliche Kausalität ist, dann ist es Auflösung (laya m.).

In Identitäts-Differnz-Sicht entspricht laya der Identität, bhoga der Nicht-Differenz, adhikâra der Differenz.

Vers 1.6: mala - die Kruste


"Die Kruste bedeckt Erkenntnis und die Handlung der gebundenen Seelen. Die Kruste ist nur eine einzige, sie hat aber vielerlei Kraft. Die Kruste ist vergleichbar mit der Spreu und der Hülse von Körnern oder mit der Patina, die Kupfer anhaftet."

(Bhoja: Tattvaprakâ´sa, Ausgabe siehe unten)


Ausgabe von Bhoja: Tattvaprakâ´sa:

Astaprakaranam : tattvaprakasa-tattvasamgraha-tattvatrayanirnaya-ratnatraya-bhogakarika-nadakarika-moksakarika-paramoksanirasakarika-khya-siddhantasaiviyastagranthanam satikanam samaharah / sampadakah Vrajavallabhadvivedah. - Varanasi : Sampurnanandasamskrtavisvavidyalaya, 1988. - 58, 399 S. -- (Yogatantra-granthamala / Sampurnananda-Samskrta-Visvavidyalaya ; 12)
Enthält:

  1. Tattvaprakasa / Bhoja.
  2. Tattvasangraha / Sadyojyoti.
  3. Tattvatrayanirnaya / Sadyojyoti.
  4. Ratnatraya / Srikanthasuri.
  5. Bhogakarika / Sadyojyoti.
  6. Nadakarika / Bhatta-Ramakantha.
  7. Moksakarika / Bhattaramakantha.
  8. Paramoksanirasakarika / Sadyojyoti

Erklärung dieses Verses durch Aghora´siva: Tattvaprakâ´sav.rtti:

"Es gibt nur eine einzige Kruste, da sie, obwohl sie unbelebt ist, ewig sein muss. Denn die vielen unbelebten [Dinge] wie z.B. Krüge sind nicht ewig.

[Einwand:] Wenn das so ist, dann würden ja, wenn sie für die Erlösung eines [Menschen] verschwindet, alle erlöst, weil sie nur eine ist.

[Antwort auf den Einwand:] Deshalb sagt er mit zahlreichen Fähigkeiten - sie ist versehen mit zahlreichen Fähigkeiten, die die zahlreichen Seelen umhüllen. Wenn das Verhüllen der einen ´sakti vollständig zur Reifung kommt, wird also nur der von ihr Verhüllte befreit.

Vergleichbar mit der Spreu und der Hülse von Körnern - Reiskörner und Kupfer werden von Anfang an verhüllt, die Spreu usw. oder die Schwärze entstehen also gleichzeitig mit ihnen. Wie nach dem Kochen bzw. durch die Fähigkeit bestimmter Flüssigkeiten diese Hüllen verschwinden, so verschwindet kraft der Reifung durch die Initiation (dîk.sâ) auch die Kruste, die die Seele von Anfang an verhüllt.

Oder aber: Wie beim Reis und anderem die Spreu das Entstehen des Sprösslings usw. bewirkt, so lässt auch die Kruste der Seele den Körper und anderes entstehen.

Oder: Wie beim Kupfer die Schwärze durch die Fähigkeit bestimmter Flüssigkeiten verschwindet, so verschwindet die Kruste durch die ´sakti ´sivas.

Soweit kann man das Beispiel auf die Seele anwenden, aber es stimmt nicht in allen Punkten überein."

[Übersetzung mit leichten Veränderungen aus: Gengnagel, Jörg <1960 - >: Mâyâ, Puru.sa und ´Siva : Die dualistische Tradition des ´Sivaismus nach Aghorâ´sivâcâryas Tattvaprakâ´sav.rtti. -- Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. -- XII, 186 S.. -- (Beiträge zur Kenntnis südasiatischer Sprachen und Literaturen ; 3). -- Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994. -- ISBN: 3-447-03832-2. --  S.114.]

Gengnagel zu mala (Kruste):

"Der die Seele umgebenden Kruste (mala) kommt als anfangslose Fessel der Seele eine zentrale Stellung im vorliegenden System zu. Sie stellt geradezu das Wesen einer gebundenen Seele (pa'sutva) dar. Erst wenn die Kruste von ihr entfernt ist, werden die Seelen zu „'sivas", das heißt sie werden entweder zu befreiten Seelen (muktâtman) oder zu mit bestimmten Ämtern (adhikâra) betrauten, noch nicht endgültig befreiten Seelen. Es besteht folglich eine anfangslose, aber nicht ewige Verbindung der Seele mit ihrer Kruste. Diese Kruste ist zwar einfach, aber mit zahlreichen Fähigkeiten versehen.37 Eben diese Pluralität der Fähigkeiten der die Seele bedeckenden Kruste (mala'sakti) macht es möglich, daß die Fähigkeit zu Erkenntnis und Handlung der zahlreichen Seelen verdeckt wird. Denn die Kruste ist eine substantielle Hülle, die von Anfang an die einzelnen Seelen umgibt: ... [Zitat aus dem eben zitierten Text] ...

Die anfangslose Umhüllung der Seele durch die als Substanz (dravya) vor gestellte Kruste ist als ein grundlegendes Axiom der beschriebenen dualistischen Schule anzusehen. Eine befreite Seele ohne eine Kruste ist schon Ergebnis eine: Prozesses, der zur Entfernung der Verkrustung der Seele geführt hat."

[Quelle: Gengnagel, Jörg <1960 - >: Mâyâ, Puru.sa und ´Siva : Die dualistische Tradition des ´Sivaismus nach Aghorâ´sivâcâryas Tattvaprakâ´sav.rtti. -- Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. -- XII, 186 S.. -- (Beiträge zur Kenntnis südasiatischer Sprachen und Literaturen ; 3). -- Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994. -- ISBN: 3-447-03832-2. --  S.51f.]


Vers 1.7 - 1.11: Kriyâ - rituelle Handlungen


(Quelle nicht nachgewiesen)

"Innerhalb eines Rituals darf man nur ein einziges Mal vollziehen:

All dies - mit Ausnahme des mûrti-homa - darf nur von einem einzigen âcârya durchgeführt werden. Wenn ein Ritual von einem vollzogen wird und es von einem anderen zu Ende geführt wird, dann ist dies eine Vermischung von âcârya´s. Wenn aber wegen einer Unpässlichkeit des Offizianten das Ritual abgebrochen wird, dann muss das Ritual von seinem Schüler gemäß dem Lehrwerk vollzogen werden. Tut dies jemand anderes als sein Schüler, dann geht der Täter zweifellos zugrunde."

(Quelle nicht nachgewiesen)


"ankura - das Schößlingsopfer"

ankurârpa.na = das Pflanzen von Schösslingen bei der Gründung eines Tempels:

"Tilling: When the ground is tilled and ploughed, the past ceases to count; new life is entrusted to the soil and another cycle of production begins, an assurance that the rhythm of nature has not been interfered with. Before laying of the actual foundation, the Earth Goddess herself is impregnated in a symbolic process known as ankura-arpana, ankura meaning seed and arpana signifying offering. In this process, a seed is planted at the selected site on an auspicious day and its germination is observed after a few days. If the growth is satisfactory, the land is deemed suitable for the temple. The germination of the seed is a metaphor for the fulfilment of the inherent potentialities which lie hidden in Mother Earth, and which by extension are now transferred to the sacred structure destined to come over it. "

[Quelle: http://www.exoticindiaart.com/read/temple.htm. -- Zugriff am 2004-05-10].


Abb.: ankura

Bildquelle: Soma´sambhu: Soma´sambhupaddhati : Le rituel quitidien dans la tradition ´sivaïte de l´Inde du Sud selon Soma´sambhu / text, traduction et notes par Héléne Brunner-Lachaux. -- Pondichéry : Institut Français d´Indologie. -- (Publications de l´nstitut Français d´Indologie ; No. ...). -- Tom. 2. Rituels occasionels dans la tradition sivaïte de l'Inde du Sud selon Somasambhu 1: Pavitrarohana, Damanapuja et Prayascitta. -- 1968. -- XXII, 389 S. ; Ill. --  (Publications de l´nstitut Français d´Indologie ; No. 25.II). -- Planche V.


"pra.nîtâ - leere Schale für Homa´s"
s. Soma´sambhu: Soma´sambhupaddhati : Le rituel quitidien dans la tradition ´sivaïte de l´Inde du Sud selon Soma´sambhu / text, traduction et notes par Héléne Brunner-Lachaux. - Pondichéry : Institut Français d´Indologie. -- Tom. III. -- 1977. -- S. 204, Anm. 91:

 "Récipient dont on sert habituellement pour les homa: on y met le beurre clarifié destiné aux oblations."


"mûrti-homa"
tägliches Ritual vor Götterbild (16 upacâra-s). Kann von einem pûjârî durchgeführt werden, nicht nur von einem âcârya.

"Darbhagras"

Darbhagras = Ku'sagras= Desmotachya bipinnata = Eragrostis cynosuroides = Poa cynosuroides = "halfa grass"


Abb.: Darbhagras = Desmotachya bipinnata

[Bildquelle: Häfliger, Ernst ; Scholz, Hildemar: Grass weeds. -- Basel : Ciba-Geigy. -- ( Documenta / Ciba-Geigy). -- Bd. 2. -- ©1981. --  S. 59]


Grundlegend zur Beschäftigung mit ´sivaitischem Ritual ist:

Soma´sambhu: Soma´sambhupaddhati : Le rituel quitidien dans la tradition ´sivaïte de l´Inde du Sud selon Soma´sambhu / text, traduction et notes par Héléne Brunner-Lachaux. -- Pondichéry : Institut Français d´Indologie. -- (Publications de l´nstitut Français d´Indologie ; No. ...)
1. Le rituel quotidien dans la tradition sivaïte de l'Inde du Sud selon Somasambhu. --  1963. -- XLVII, 372 S.,  Ill.  -- (Publications de l´nstitut Français d´Indologie ; No. 25)
2. Rituels occasionels dans la tradition sivaïte de l'Inde du Sud selon Somasambhu 1: Pavitrarohana, Damanapuja et Prayascitta. -- 1968. -- XXII, 389 S. ; Ill. --  (Publications de l´nstitut Français d´Indologie ; No. 25.II)
3. Rituels occasionels dans la tradition sivaïte de l'Inde du Sud selon Somasambhu 2: diksa, abhiseka, vratoddhara, antyesti, sraddha. -- 1977. -- LVI, 744 S.. : Ill. -- (Publications de l´nstitut Français d´Indologie ; No. 25.III)
4. Rituels optionnels : pratistha -- 1998. -- LXV, 503 S. : Ill.. -- (Publications de l´nstitut Français d´Indologie ; 25,IV)

(Besonders die Bde. 3 und 4 sind eine Schatztruhe!)


Vers 1.12 - 1.13: prati.s.thâ - Weihe eines Kultbildes


(Quelle nicht nachgewiesen)

"Nun wird berichtet über die Schritte bei der Weihe von Kultbildern in darstellender Form (sakala) usw.: Im Falle der Weihe eines Kultbildes einer Gottheit mit Gefolge (parivâra-devatâ) muss sie ein einziger de´sika durchführen. Von einem einzigen âcârya lasse man die Riten vollziehen, die mit dem ankura beginnen und der eigentlichen Weihe enden. Geschieht aber, was nicht getan werden darf, dann geht König und Reich zugrunde"

(Quelle nicht nachgewiesen)


"Kultbildern in darstellender Form (sakala) usw."

s. ´´Saivâgamaparibhâ.sâmañjarî 3.129.

Vgl Mayamata XXXIII,1f.:

ni.skala.m sakala.m mi´sra.m
linga.m ceti tridhâ matam.
ni.skala.m lingam ity ukta.m
sakala.m beram ucyate
mukha-linga.m tayor mi´sra.m
lingoccâk.rti-sannibham.

"Es gibt dreierlei Lingams: ni.skala, sakala, mi´sra
nis.kala ist das (bloße) Lingam
sakala ist ein Bildnis
ein Mukha-Lingam (ein Lingam mit einem oder mehreren Gesichtern) ist eine Mischung (mi´sra) aus den beiden eben Genannten, einem Linga an Höhe und Form gleichend."

Ausgabe des Mayamata:

Mayamatam : treatise of housing, architecture and iconography / [Mayamuni]. Sanskrit text ed. and transl. by Bruno Dagens. -- New Delhi : Indira Gandhi National Centre for Arts, 1994. -- 2 Bde : 978 S. -- (Kalamulasastra granthamala ; 14, 15.). -- ISBN 81-208-1224-1f

oder: δsâna´sivagurudevapaddhati (zit. in Brunner, Héléne: Toujours le ni.skala-linga. -- In:  Journal asiatique. --  CCLVI (1968). --  S. 447):

ni.skala.m kevala.m linga.m
sakala.m pratimâ sm.rtâ
mi´srâkhya.m mukha-linga.m

ni.skala ist das bloße Lingam
sakala ist ein Bildnis
mi´sra genannt wird das Mukha-Lingam


Abb.: Ni.skala: Lingams


Abb.: Sakala: Sitzender 'Siva, Bronze, Südindien, 14./15. Jhdt. [Quelle: http://www.museum.cornell.edu/HFJ/handbook/hb83.htm. -- Zugriff am 2004-05-11]


Abb.: Mi'sra: Mukha-Lingam

[Quelle der Abb. für ni.skala und mi'sra: [Quelle: Gopinatha Rao, T. A. <1872-1919>: Elements of Hindu iconography. -- Madras :  Law Printing House, 1914 - 1916. -- 2 Bde in 4 : Ill. -- Bd. II, 1. -- Plate VI, VII]


"mit Gefolge (parivâra-devatâ)"
z.B. Nandin (Stier ´Sivas)


Abb.: Mit Gefolge: Heilige Familie mit Nandin [Bildquelle: http://www.galenfrysinger.com/tombs_and_temples_india.htm. -- Zugriff am 2004-05-22]


"ankura"

Siehe oben zu Vers 7-11


Zu  Kapitel 2.1: Zweierreihen, Vers 2.1 bis 2.14