Karl Bernhard Seidenstücker (1876-1936) : Leben, Schaffen, Wirken

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Kapitel 9: Buddhismus in Deutschland nach 25 Jahren


von Ulrich Steinke

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Zitierweise / cite as:

Steinke, Ulrich: Karl Bernhard Seidenstücker (1876-1936) : Leben, Schaffen, Wirken. -- Kapitel 9: Buddhismus in Deutschland nach 25 Jahren. -- Fassung vom 28. Juni 1996. -- URL: http://www.payer.de/steinke/steink09.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung: 28. Juni 1996

Anlaß: Magisterarbeit, Universität Tübingen, 1989

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9.0. Übersicht



9.1. Ende der Zeitschrift für Buddhismus


[Zu Oskar Schloß (1881-1945) s. Hecker, Hellmuth: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- (... ; 5). -- S. 208-210].

Nachdem 1928 der achte Jahrgang der Zeitschrift für Buddhismus erschienen war, kamen die Veröffentlichungen zunächst zum Erliegen. 1929 verkaufte Oskar Schloß (Sohn jüdischer Eltern; 1881-1945) aus wirtschaftlichen Gründen seinen Verlag -- den er nach Markgraf's Tod im ersten Weltkrieg von dessen Erben übernommen hatte -- und zog um nach Locarno. Er hatte geplant, nach Ceylon zu gehen, doch als die Nazis 1933 sein Konto sperrten, gründete er in Basel ein Antiquariat. Er starb 1945. Schloß war selber Buddhist gewesen und hatte viel von seinem Vermögen beigesteuert, um die Veröffentlichung buddhistischer Schriften zu ermöglichen (und auch für Dahlke's buddhistisches Haus). Er hatte die Gesamtausgabe des Anguttara-Nikâya, Seidenstücker's Udâna herausgegeben sowie den Anfang des Samyutta-Nikâya. Ferner waren bei ihm mehrere Schriftenreihen erschienen, wie die Buddhistische Tascehbibliothek (5 Bde.], die Benares-Bücherei (Nr.1-10), die Buddhistische Volksbibliothek (Nr.1-26), Untersuchungen zur Geschichte des Buddhismus (Nr.1-23).

Ferdinand Schwab (1882-1976), Schatzmeister des 1929 von Brahmacari Govinda (1898-1985) (früher E L. Hoffmann, später Lama Anagârika Govinda) mit Nyânatiloka Mahâthera (1878-1957) als Präsidenten in Ceylon gegründeten Jatyantara Bauddha Samâgama (International Buddhist Union, -- nicht zu verwechseln mit der kurzlebigen Londoner Vereinigung von 1921/22, für die Seidenstücker Leipziger Vertreter gewesen war.), übernahm den Verlag am 20.2.1929 [vgl. Anmeldeschein beim gemeindeamt Unterbiberg]. und taufte ihn Benares-Verlag. [Notz irrt sich auf S. 45, wenn erschreibt, Schloß hätte den Benares-Verlag gegründet. Vielmehr hatte Schloß den Verlag nach sich benannt.] Allerdings hatte nicht nur der Verleger gewechselt, sondern stillschweigend auch der Schriftführer: Karl Seidenstücker war 1931 an der Herausgabe der sechs Hefte der Zeitschrift für Buddhismus maßgeblich beteiligt. In den beiden Artikeln "Frühbuddhismus" und "Zur Heilsweglehre im Frühbuddhismus" begann Seidenstücker, seine Lehrmeinung darzulegen, doch er wurde unterbrochen, denn nach dem vollendeten neunten Jahrgang erschienen keine weiteren Nummern der Zeitschrift für Buddhismus mehr. Ab dem dritten Heft wurde der Redaktionswechsel offensichtlich, weil als Leitartikel Grimm's Aufsatz "Das Glück, die Botschaft des Buddha", abgedruckt wurde.

F.Schwab löste Mitte der dreißiger Jahre den Benares-Verlag auf, um erfolgreich eine Gärtnerei zu gründen. Später trat er in Kontakt mit Karlfried Graf Dürckheim und begann, sich dem Zen-Buddhismus zuzuwenden.


9.2. Ende von Seidenstücker


Seidenstücker kehrte endgültig nach Leipzig zurück. Sein letztes Geld bekam er durch den Verkauf seiner Bibliothek, ein guter Teil davon ging an Curt Oelzner (1893-1966). Seine Kinder verdienten ihr erstes Geld und konnten so die Familie gerade über Wasser halten.

Max Hoppe blickt zurück in Yâna 9.Jg.1956 S.209:

"In den letzten Jahren seines Lebens, von 1933 bis 1936, litt Karl Seidenstücker nach den Mitteilungen seiner Tochter Annemarie sehr unter der Verständnislosigkeit, ja Feindseligkeit des nationalsozialistischen Regimes gegenüber jeder echten religiösen Haltung [also auch der katholischen! Anm. d. Verf.]. Alle Bestrebungen, denen er ein Leben lang gedient hatte, sah er zum Untergang verurteilt."

Nicht nur die Umwelt, auch sein Körper machte Seidenstücker zu schaffen. Am 4.Juni 1934 erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nie mehr ganz erholte. Fast ein Jahr später, am 15.April 1935, bat er Ferdinand Schwab in einem Brief um Arbeit und führte weiter aus:

"Seit Januar versuche ich nun, wirtschaftlich auf eigenen Füssen zu stehen. Die staatliche Unterstützung war mir unerträglich geworden. Aber es ist unsagbar schwer, hier erst mal festen Fuss zu fassen. Und gegenwärtig ist es besonders schwer. So kommen Wochen, wo ich so gut wie nichts zu essen habe. Belletristik im allgemeinen liegt mir nicht; höchstens kulturgeschichtliche und kunstgeschichtliche Skizzen u. dergl. Aber wer nimmt mir das ab? Meine starke Seite sind immer noch rein wissenschaftliche Untersuchung[en]. Aber für diese ist gegenwärtig erst recht niemand zu haben. Vielleicht interessiert Sie die Mitteilung, dass ich -- nebenher -- am Suttanipâta arbeite. Ob ich es noch werde zum Abschluss bringen können, ist sehr ungewiss."
[Nachlaß Schwab. -- Brief vom 15. 4. 1935].

Zwei Monate später, Seidenstücker hatte wieder einen leichten Schlaganfall erlitten, schrieb er wieder an Schwab:

"Betreffs Pâli-Buddhismus stehe ich jetzt mit dem früheren Reichsfinanzminister Dr. Peter Reinhold, den ich persönlich gut kenne, in Unterhandlungen, weiss aber noch nicht, ob sich alles gut abwickeln wird. Dieser Herr ist Hauptaktionär der Kurt Wolff Verlages und Besitzer des »Neuer Geist« Verlages. Ich habe das Buch nochmals durchgearbeitet, den Inhalt um einen längeren sehr wichtigen Text vermehrt und in den Übersetzungen und Erläuterungen sehr vieles abgeändert und verbessert. Ich glaube, dass dieses Quellenwerk nunmehr allen Ansprüchen genügen wird. Für Udâna ist es schon schwerer, einen Verleger zu finden. Ich möchte dieses Buch auch nicht gerade einem nicht in günstigem Ruf stehenden Verlage, wie z.B. Max Altmann, geben. Könnten Sie mir vielleicht einen Hinweis geben? Meine Arbeit über die vier Himmelskönige (mit Bildbeilagen), von der ich Ihnen früher einmal geschrieben habe, ist im Rohbau fertig. Wer wird sich ihrer erbarmen? Unter der Feder habe ich jetzt eine Arbeit, die ich persönlich für sehr wichtig halte: »Die Erlösungs-Idee in der Lehre Buddhas.« Von ihr verspreche ich mir auch hinsichtlich ihres Absatzes allerhand. Aber da werde ich auch erst einen Verleger suchen müssen. Vielleicht interessiert sich der sehr vielseitig gebildete Dr.Reinhold dafür. -- Ich hatte an Herrn Dr. Hübscher von den MNN einen Artikel eingesandt, betitelt: »Buddhistische Einflüsse auf das neue Testament«? Herr Dr.H. hat mir die Arbeit zurückgesandt mit dem Bemerken: »Ihr Aufsatz hat mich lebhaft interessiert, aber ich kann ihn nicht abdrucken, weil die Zeitung sich ganz den politischen und kulturellen Gegenwartsaufgaben widmen muss.« Was soll man dazu sagen?"
[Nachlaß Schwab. -- Brief vom 26. 5. 1935].

Seidenstücker starb am 23.März des folgenden Jahres und erhielt sein Requiem in der Gohlitzer Kirche von Pfarrer Beyer.

In der Totenliste der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft wurde folgendes vermerkt:

"Karl Seidenstücker (Pâli-Buddhismus), Dr.phil., Privatgelehrter (*23.März 1876 Gerbstedt +29.Okt.1936 Leipzig)".
[Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 90 (N.F. 15). -- S. 735].

Ansonsten blieb sein Tod unbemerkt. Seine Grabreihe im Nordfriedhof wurde 1946 aus völlig unerklärlichen Gründen und gegen den enegischen Protest seiner Kinder durch einen Verwaltungsbeschluß aufgelöst und ist seitdem Brachland.


9.3. Andere buddhistische Versuche


Es gab sicherlich auch ein paar deutsche Buddhisten, die nicht oder nur kurz öffentlich auftraten, oder deren Versuche fehlschlugen, wie beispielsweise 1928 Max Wallesers Heidelberger Gruppe. Auf drei Personen soll noch kurz eingegangen werden: Martin Steinke, weil seine Gruppe als einzige länger währte. Schumacher, weil er versuchte, im nationalsozialistischen Strom mitzuschwimmen und Köbel, weil dieser den einzigen (allerdings gründlich mißverstandenen) zenbuddhistischen Versuch darstellte.


9.3.1. Martin Steinke


[Zu Martin Steinke s. Hecker, Hellmuth: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). -- S. 144-155 (mit ausführlichen Literaturangaben)]

Der Berliner Bankier Martin Steinke (1882-1966) hatte bereits 1922 in Berlin eine Gemeinde um Buddha e.V. gegründet, später gründete er weitere Vereine und gestaltete Ferienlager. Von 1928-1933 gab er fünf Jahrgänge heraus von Der Buddhaweg und wir Buddhisten, zunächst als Brieffolge, dann als Hefte. 1936/37 veröffentlichte er noch einmal vier vierteljährliche Hefte Die Lehre von der Befreiung. Am 1.Nov.1933 hatte er bei Nanking die Ordensweihe in einem Mahâyâna-Kloster erhalten und führte fortan den Doppelnamen Steinke -- Tao Chün. Am 23. und 24.Sept.1934 war er Präsident des buddhistischen Weltkongresses, der von der britischen Mahâbodhigesellschaft im London Buddhist Vihâra veranstaltet wurde. [Russel Webb in: Courier VI, 11 (Juli 1985)].

Auf diesem Kongress wurde die Errichtung eines Sangha im Westen und die Schaffung eines mehrsprachigen buddhistischen Presseorgans beschlossen, jedoch nicht verwirklicht. Steinke gründete weitere buddhistische Vereine im Berliner Raum bis ihn die Nazis im Juni 1941 einige Wochen verhafteten und ihm weitere öffentliche Auftritte verboten. Trotzdem konnte Steinke weiterhin kleinere Schriften veröffentlichen. Er versuchte, jenseits von Hîna- oder Mahâyâna einen europäischen Zugang zur Lehre zu schaffen. Er hielt die Lehre für streng naturwissenschaftlich und stand so Dahlke nahe.

Obwohl Steinke stetig wirkte, sind Einflüsse oder Querverbindungen zu den Leipziger oder Münchener Gruppen nicht offensichtlich, mit Ausnahme von zwei Artikeln in den letzten Heften von Der Buddhaweg und wir Buddhisten (1933) (siehe unten).


9.3.2. Wolfgang Schumacher


[Zu Wolfgang Schumacher (1908-1961) s. Hecker, Hellmuth: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- (... ; 5). -- S. 219-224 (mit ausführlichen literaturangaben)].

1933 gründete der Arzt Wolfgang Schumacher (1908-1961) in Berlin die Zeitschrift Wiedergeburt und Wirken, Zeitschrift für Erneuerung von Kultur und Geistesleben, jedoch nach vier 24-seitigen Heften stellte er die Veröffentlichung ein. Während der Bund für buddhistisches Leben sich bereits im Spätsommer 1920 von den Nazis abgrenzte [Zeitschrift für Buddhismus 2 (1920). -- S. 242], und auch das bis dahin benutzte Swastika-Kreuz nicht länger verwendete, stellte Schumacher den Vegetarismus Hitler's der Jagdlust des Kaiser's gegenüber [Wiedergeburt und Wirken 3 (1933). -- S. 18] und begrüßte Hitler's Versprechen über Religionsfreiheit [Wiedergeburt und Wirken 4 (1933). -- S. 20f.]. In Heft drei veröfffentlichte er seinen Artikel "Arische Religion", in dem er Reichsbischoff Müller's Glaubensbewegung Deutsche Christen als "Versuch am unrichtigen Objekt" kritisierte und den Buddhismus als ideale Religion empfahl "zur Vergeistigung der Kräfte des Blutes ... der heutigen arischen Menschheit..." [Wiedergeburt und Wirken 3 (1933). -- S. 4 und 9]. Er pries den Artikel als das beste und billigste Werbemittel für den Buddhismus und bot ihn en gros als Sonderdruck an. Schumacher organisierte am 23. und 24. September 1933 einen buddhistischen Kongress im Buddhistischen Haus. Anwesend waren Ânanda Kausalyayana von der Buddhist Mission of London, Miß Grace Lounsbery von den französischen Amies du Bouddhisme, Dr .Prochazka aus der Tschechoslowakei, E. W. Atukorala aus Ceylon, Sakakibara aus Japan und Dr. Max Bruno (1895-1951) und Guido Auster. Weitere deutsche Teilnehmer blieben unerwähnt. Junji Sakakibara, japanischer Shin-Priester, stellte klar:

"Man könnte denken, daß der Buddhismus nur eine Volksreligion des indo-arischen Volkes sei. Aber die Indo-Arier haben noch eine andere Religion, nämlich den Brahmanismus, und während dieser tatsächlich nur diesem Volke angehört, ist der Buddhismus eine Weltreligion."
[Wiedergeburt und Wirken 4 (1933). -- S. 17f.].

Schumacher kam aus dem Dahlke-Kreis, zog sich nach 1933 zurück und wandte sich später dem Mahâyâna zu.


9.3.3. Eberhard Köbel


[Zu Köbel s.: Holler, Eckhard: Ästhetik des Widerstands und politisches Engagement in der bündischen Jugend.
In: Kunst und Therapie. -- Münster : LIT-Verlag, 1984. -- Band 6 -- S. 74-98].

Nicht recht einordnen läßt sich Die Kiefer, ein kleines Blättchen, das 1933 in Berlin erschien.

[Die Kiefer : Monatsschrift für eine junge Gesinnung / hrsg. vom Spreekreis. -- Berlin : Bank-, Handels- u. Industriedruckerei. -- Monatlich von April 1933 bis Januar 1934].

Ihr Herausgeber Köbel (genannt "tusk"), der aus der bündischen Jugend und der KPD kam, hatte das Buch von Ohasama und Faust "Zen -- der lebendige Buddhismus", (Stuttgart 1925), gelesen und im Rinzai-Zen der Samurai die Kraftquelle entdeckt, mit der er hoffte, den schwierigen Zeiten entgegentreten zu können.

"Ob wir zustimmen oder nicht, wollen oder nicht, wir treten in eine kriegerische Epoche ein. Die Entwertung des Menschenlebens ist in vollem Gang. Ist Zen nicht die geistige Kost, die uns für diese Wirklichkeit wappnet?"
[Die Kiefer. -- April 1933. -- S. 8].

Köbel pickte sich passende Auszüge heraus aus denihm zugänglichen Büchern über Zen, wobei er neben Ohasama-Faust vor allem aus D. T. Suzuki schöpfte. Köbel hoffte, durch die Zen-Philosophie eine Stärkung des Willens herbeizuführen. Seine Gruppe wurde bald verboten, er selber floh nach London ins Exil. Er stand in keinerlei Beziehung zu anderen buddhistischen Gruppen.


9.3.4. Buddhismus im Dritten Reich


Weder im Bundesarchiv in Koblenz noch in der umfangreichen Kartei des Instituts für Zeitgeschichte in München gibt es Hinweise darauf, daß die Buddhisten in die Verfolgung von Sekten miteinbezogen wurden, dies versicherte mir Dr. Eckhard Riehm. Die Buddhisten mußten lediglich durch die Papierrationierung Nachteile in Kauf nehmen.

Seidenstücker's Töchter erinnern sich, daß Anfang der Dreißigerjahre auf einen der gelegentlich von ihm erscheinenden Artikel in der Lokalpresse, wahrscheinlich in der Wochenzeitung Grüne Post, ein Artikel folgte, in dem ein Brauner den "Hebräer Seydenstücker" verunglimpfte. Seidenstücker reagierte mit einer Erwiderung, worauf nichts mehr folgte.


Zu Kapitel 10: Das Schaffen