Einführung in den Theravâdabuddhismus der Gegenwart

Teil 3: Kultus und Ritus


von Alois Payer

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Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in den Theravâdabuddhismus der Gegenwart. --  Teil 3: Kultus und Ritusg. -- Fassung vom 11. März 1996. -- URL: http://www.payer.de/theravgegenw/therav04.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung: 11. März 1996

Anlass: Lehrveranstaltungen Einführung in den Theravâdabuddhismus der Gegenwart, Univ. Tübingen, SS 1982, SS 1991

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Übersicht


3. Kultus und Ritus


3.0. Allgemeines zu Kultus und Ritus


Nachdem wir uns im vorangehenden Kapitel etwas ausführlicher mit dem wohl wichtigsten Begriff des gelebten Buddhismus beschäftigt haben, dem Verdiensttun, werden wir uns dem Ritual zuwenden. Dafür ist es nützlich, sich folgende Unterscheidung der verschiedenen Aspekte des Buddhismus nochmals vor Augen zu halten:

Das Ritual und der Kult gehören vor allen zum kammischen und apotropäischen Aspekt des Buddhismus.

Die rituelle Seite des Theravadabuddhismus wird in den Darstellungen oft vernachlässigt, obwohl gerade auch der Ritus im Leben sowohl der Mönche als auch der Laien eine große Rolle spielt. Diese Vernachlässigung durch viele moderne, westliche Darstellungen mag ihren Grund in einer westlichen Sicht des Buddhismus haben, die im Buddhismus gerne ein rationales System sieht.

Als Literatur zu Kultus und Ritus kann ich empfehlen:

Wells, Kenneth E.: Thai Buddhism : its rites and activities. - 3. printing (updated). - Bangkok : Suriyabun, 1975. - 331 S. : Ill.

de Silva, L. A.: Buddhism : Beliefs and practices in Sri Lanka. - Colombo : [Selbstverlag], 1974. - 211 S. : Ill.

Zago, Marcel: Rites et ceremonies en milieu Bouddhiste Lao. - Roma : Universita Gregoriana, 1972

Will man die Riten und Zeremonien im Tharavadabuddhismus klassifizieren, kann man sie z.B. [mit Spiro, Melford E.: Buddhism and society : a great tradition and its Burmese vicissitudes. - London : Allen & Unwin, 1971. - S. 92]nach ihrem Zweck einteilen in:

Selbstverständlich enthalten konkrete Riten oft mehrere der eben genannten Ziele. Außerdem ist ausdrücklich das Verständnis, das der einzelne Gläubige von diesen Riten hat, abhängig von seinem eigenen geistlichen Fortschritt: so wird bei der Verehrung einer Buddhastatue die eine dieser Statue besondere Zauberkräfte zuschreiben, die andere sieht in der Verehrung nur einen Akt, mit dem sie ihren Respekt vor Buddha ausdrückt; einen Akt also der nur psychologisch wirksam ist, indem er einem neue Zuversicht gibt, auf dem Weg Buddhas weiter zu machen. Eine kleine Geschichte mag das illustrieren: als ich in Thailand Mönch war, wurden wir eines Tages von einer sehr frommen Dame eingeladen, um auf einem von ihr neu gekauften Baugrundstück zu rezitieren. Mit eingeladen war auch ein sehr gelehrter, damals, ich glaube, 87jähriger burmesischer Mönch, der schon über 60 Jahre dem Orden angehörte. Nach der Rezitationszeremonie unterhielt er sich mit mir: Er sagte: Viele Leute glauben, dadurch, dass wir heute Buddhas Worte rezitiert haben, haben wir die niederen Gottheiten erfreut, sodass sie nun das Grundstück beschützen: es gibt aber gar kein solche Gottheiten; andere glauben, dass die rezitierten Worte, weil sie wahre Buddhaworte sind, wie Zaubersprüche wirken : auch das ist falsch. Ja, warum haben wir dann heute früh rezitiert: Wir haben den Laienanhängern, die noch solchen Ansichten anhängen eine große Freude gemacht und das ist vom buddhistischen. Standpunkt aus gesehen etwas sehr Gutes. Es hat keinen Sinn, Leuten, die felsenfest an Götter oder Geister glauben, unbedingt beibringen zu wollen, dass es diese nicht gibt, sondern man hat Geduld zu haben mit ihrem geistlichen Fortschritt und sie allmählich in einer ihrem jeweiligen Fassungsvermögen angepassten Weise vorwärts zu bringen. (dass dieser birmanische Mönch heute in Birma für solche Ansichten exkommuniziert würde, werden wir noch sehen.)

Wie wirken Riten nach der buddhistischen Ideologie:

  1. es ist klar und auch ziemlich allgemein akzeptiert, dass man durch Riten nicht zur Erlösung kommen kann
  2. Riten (z.B. die dreifache Zufluchtsformel, Verehrung von Reliquien, Wallfahrten usw.) wirken auf alle Fälle über die dabei zutage tretende Gesinnung im Bereich der Tatreifung: die Gesinnung des Vertrauens, wie sie z.B. in der dreifachen Zufluchtsformel ausgedrückt wird, ist karmisch fruchtbar und bringt in diesem und in künftigen Leben gute Früchte.
  3. Buddha existiert nicht mehr in einer Weise, dass er Gebete, die an ihn gerichtet werden, erhören kann.

    Gegen Punkt 3 steht nun die Praxis von Kindern, aber auch von Erwachsenen, die in Theravadaländern ihre Gebete an Buddha zu richten: "Herr Buddha, hilf mir, dass ich ...".

    Für Burma hat Spiro die Entwicklung dieser Haltung vom Kind zum Erwachsenen untersucht [Spiro, S. 198]. Er kam zum Ergebnis, dass die Entwicklung so verläuft: bis zum Alter von 11 Jahren glaubt man, dass Buddha persönlich die Gebete erfüllen wird, dann glaubt man, dass entweder Buddha oder eine Gottheit die Gebete erhört, nach dem Alter von 12 Jahren glaubt man, dass das Ritual automatisch Verdienst bewirkt, welches den erwünschten Erfolg bringt.

    Das mag auch für andere Theravadaländer zutreffen, doch gibt es überall - wahrscheinlich auch in Burma - Erwachsene (auch sonst Gebildete), die zum Buddha persönlich beten

  4. Wichtig ist der Glaube an die Zaubermacht wahrer Worte, der sich auch im alten Buddhismus findet, und der vielen Vorstellungen von de Notwendigkeit des Rezitierens heiliger Texte zugrunde liegt: die Texte, die man als Worte Buddhas ansieht, sind Formulierungen von ewigen Wahrheiten und als solche zaubermächtig.

Nun einiges zu einzelnen Formen buddhistischer Verehrung.


3.1. Opfergaben (Verehrungsgaben)


Bei sehr vielen Ritualen spielen Opfergaben (Verehrungsgaben) eine Rolle: Die üblichen Verehrungsgaben sind:

. Ihnen wird oft folgende Symbolik zugeschrieben: [Khantipâlo <Bhikkhu>: Lay Buddhist practice. - Kandy : Buddhist Publication Society, 1974. - (The Wheel ; 206/207). - S.10 ; de Silva, S.65ff.]:

(Wie bei allen Symbolismen, sind sie natürlich vielen nicht bekannt; und es gibt auch verschiedenste symbolische Auslegungen. [S. dazu z.B. Spiro S. 199f.])

Daneben gibt es auch noch andere Opfergaben / Verehrungsgaben bei bestimmten Gelegenheiten, auf die ich hier nicht eingehen kann.


3.2. Körperhaltung


Die Körperhaltung bei der Verehrung ist in den einzelnen Ländern etwas verschieden. Im Wesentlichen handelt es sich aber um verschiedene Formen der Prostration, des anständigen Sitzens bzw. Hockens (Birma), der Händefaltung.


3.3. Rezitation


Ganz wichtig bei den verschiedenen buddhistischen Zeremonien und Riten ist die Rezitation. Obwohl es oft mit "Gebet" übersetzt wird, sollte man diesen Ausdruck nicht dafür gebrauchen, da man nach der strengen Ideologie ja meist zu niemandem betet. Auch, wenn man Götter oder Geister gewinnen will, betet man meist nicht zu ihnen, sondern sucht sie z.B. geneigt zu machen, indem man sie Buddhas Worte hören lässt oder dergleichen. Rezitation kann von Laien vorgenommen werden, und die Formeln des Namo tassa... und andere werden häufig rezitiert. Rezitation ist aber auch ganz spezielle Aufgabe der Mönche, die sie auf Einladung der Laien vornehmen.

Die wohl wichtigste Form der Rezitation in allen Theravadaländern ist das sog. Paritta ("Schutz"). [Waldschmidt, Ernst: Das Paritta : eine magische Zeremonie der buddhistischen Priester auf Ceylon. Urspr. in: Baessler-Archiv 17 (1934). - S. 139-150 Abgedr. in: Waldschmidt, Ernst: Von Ceylon bis Turfan. - Göttingen, 1967. S. 479-487] Die Rezitation von diesen oder zumindest einiger dieser Schutztexten gehört zu jedem größeren Ritual, an dem Mönche beteiligt sind. Die Anzahl der Parittatexte ist 7, 11 oder 12 je nach Sammlung [s. für Thailand: Wells, S. 276ff; für Birma: Eleven holy discurses of protection. - Rangoon, 1981; für Sri Lanka z.B. de Silva, S. 80ff. u.a.]. Während der Rezitation des Paritta geht eine Schnur (in Thailand: sai sin; in Ceylon: Pirit Nûla) durch die Hände der rezitierenden Mönche: diese Schnur kann nachher zerschnitten werden und als Amulett um das Handgelenk oder den Hals von Laien gebunden werden. Auch beim Ausspritzen von Weihwasser werden Parittatexte rezitiert.

Ich will nun einige nähere Informationen über Paritta (pirit) in Sri Öanka geben . Nach de Silva sind die Parittatexte in Ceylon die bekanntesten buddhistischen Texte. Die meisten Singhalesen kennen einen Teil davon in Pali auswendig. Jedes Kind wird angehalten einen Teil davon täglich beim Aufstehen und beim Zubettgehen zu rezitieren. Jeden Morgen wurde (wird ?) vor Sendebeginn im Radio Pirit übertragen (1975, als ich in Ceylon war, wurde in den Nächten von Uposathatagen die ganze Nacht Pirit übertragen). Da man sich die Wirkung der parittas in der Form von Zauberformeln vorstellt, ist es wichtig dass sie in Pali übertragen werden, unabhängig davon, ob der Rezitierende oder der Zuhörer den Inhalt versteht oder nicht. Pirit wird in Tempeln rezitiert, in den Häusern von Laien oder auch in speziellen Piritpavillons. Die Dauer geht von einer Stunde bis zu einem Tag, ja bei speziellen Anlässen eine Woche und länger. Pirit wird rezitiert, um Übel abzuwehren. So wird es auch rezitiert bei Hauseinweihungen, Geschäftseröffnungen usw. Als 1935 in Ceylon eine Malariaepidemie wütete, wurde Mönche auf extra dafür hergerichteten Wagen durch die betroffenen Gebiete gekarrt und rezitierten Pirit und spritzten Weihwasser. In Ceylon gibt es bestimmte Bedingungen für Piritrezitation: wenn das Pirit eine kurze Zeit dauert, muss eine ungerade Anzahl von Mönchen anwesend sein (nicht weniger als 3), beim Mahâpirit (vom Abend bis zum Morgen eines der kommenden Tage) müssen 8, 10, 12 usw. Mönche anwesend sein. Zu Beginn der Zeremonie müssen die Mönche, wie bei jeder Zeremonie, von den Laien eingeladen werden, Pirit zu rezitieren. Wichtig beim Pirit ist, dass es nie unterbrochen wird: so gibt es eigene Vorkehrungen, dass beim Schichtwechsel das Pirit nicht unterbrochen wird. Nach Ceylonesischer Sicht gibt es fünf Faktoren, die das Paritta mächtig machen:

Soviel andeutungsweise zu Rezitation und insbes. Paritta.


3.4. Tägliche Riten


Nun wollen wir endlich zu den konkreten Ritualen übergehen: Zunächst die täglichen Riten: Fromme Buddhisten beginnen ihren Tag und beenden ihn vor einem kleinen Schrein, der aber nicht unbedingt ein Buddhabildnis enthalten muss. Im Gegenteil: mancherorts fürchtet man, dass man, wenn man ein Buddhabildnis im Hause hat, man ungewollt unehrerbietig gegenüber diesem Bildnis sein könnte, was ganz verheerende Folgen haben könnte, wenn man diesem Bildnis magische Kräfte zuschreibt, wie man es oft bei geweihten Buddhastatuen tut. (Dies ist auch ein Motiv für das thailändische Ausfuhrverbot für Buddhastatuen). Die bei der täglichen Verehrung von frommen Buddhisten verwendeten Texte unterscheiden sich, soweit ich sehe, in den verschiedenen Ländern sehr, sodass ich hier aus Zeitmangel nicht darauf eingehen möchte.


3.5. Wöchentlicher und monatlicher ritueller Zyklus


Der wöchentliche und monatliche rituelle Zyklus ist vor allem durch die so genannten Uposatha-Tage gekennzeichnet, die dem Mondzyklus folgen: Neumond und Vollmondtag sowie jeweils der achte Tag danach. Diese Uposathatage dienen besonders dem Verdiensttun: an ihnen sind z.B. in Thailand die Leute, die den Mönchen beim Almosengang geben wollen, besonders zahlreich. Fromme Laien bleiben gern den ganzen oder wenigstens einen Teil des Uposathatages im Bereich des Tempels, nehmen die acht oder zehn Gebote auf sich, hören auf Predigten usw. Wichtig ist, dass die Beobachtung der Uposathatage zwar großes Verdienst bringt, ihre Nichteinhaltung aber keine bösen Folgen hat (wie etwa die Verletzung des Sonntagsgebotes: es gibt kein Uposathataggebot). Beobachter der Uposathatage sind in allen Theravadaländern vor allem Frauen (wie überhaupt die Frauen frömmer zu sein scheinen als die Männer: deshalb glauben die Burmesen, dass auf einen männlichen Gott fünfhundert weibliche Götter kommen [Spiro, S. 218], sodass die frommen Männer auch noch den Vorteil haben von der geringeren Frömmigkeit der meisten Männer !).


3.6. Jährlicher ritueller Zyklus


Der jährliche Zyklus: folgende Übersicht gibt nur die wichtigsten Feste des Jahrefestkreises in Sri Lanka, Burma und Thailand wieder.

Wichtigste Feste im Jahreszyklus in Sri Lanka / Birma / Thailand

In Sri Lanka z.B. kommen noch verschiedene Feste hinzu, die jeweils mit großen Prozessionen (Perahera) gefeiert werden: das wichtigste Fest dieser Art ist das Fest zu Ehren des Zahnes Buddhas in Kandy.


3.7. Mit Lebenszyklus verbundene Riten


Mit dem Lebenszyklus verbunden sind nur sehr wenige buddhistische Feste: Geburt, Heirat usw. werden nicht als buddhistische Feste gefeiert. Als Lebenszyklusfest könnte man eventuell den Eintritt des Knaben als Novize in den Orden in Burma bzw. den Eintritt in den Mönchsorden vor dem 25. Lebensjahr in Thailand, Kambodscha und Laos bezeichnen. Damit haben wir uns im nächsten des Seminars ausführlich beschäftigen.

Das wichtigste Fest im Leben eins Buddhisten ist seine Bestattung, die in den Theravadaländern dazu benutzt wird, um auf den Verstorbenen nochmals Verdienst zu übertragen.


3.8. Exorzismen, Herstellung von Amuletten, Schutz- und Abwehrriten u.s.w.


Im Bereich des Rituals sind sehr wichtig: Exorzismen, Herstellung von Amuletten durch als besonders heilig angesehene Mönche und ähnliche Schutz- und Abwehrriten und Abwehrgegenstände (auch Zauberformeln) - in Burma z.B. Rosenkranz (108 Perlen symbolisieren die 108 Kennzeichen des Fußabdrucks des Buddha oder 108 Geburten des Buddha; zu den einzelnen Perlen sagt man: dukkha, anattâ, anicca oder Buddha, Dhamma, Sangha od. dgl.)


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