Einführung in Formalien wissenschaftlicher Arbeiten

4. Gliederung und Inhaltsverzeichnis


von Alois Payer

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Zitierweise:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in Formalien wissenschaftlicher Arbeiten. -- 4. Gliederung und Inhaltsverzeichnis. -- Fassung vom 16. Juni 2000. -- URL: http://www.payer.de/wissarbeit/wissarb04.htm. -- [Stichwort].

Erstmals veröffentlicht: 16.6.2000

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung an der HBI Stuttgart im SS 2000

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0. ÜBERSICHT



1. Gliedern!


"Aber auch durch die [nach dem Auswählen] übriggebliebenen Tatsachen und Gedanken kann man den Leser nur hindurchführen, wenn man ihm einen Faden in die Hand gibt. Jede Darstellung bedarf eines Planes, einer Leitlinie.

»Wenige schreiben, wie ein Architekt baut, der zuvor seinen Plan entworfen und bis ins einzelne durchdacht hat; vielmehr die meisten nur so, wie man Domino spielt. Kaum dass sie ungefähr wissen, welche Gestalt im ganzen herauskommen wird, und wo das alles hinaus soll. Viele wissen selbst dies nicht, sondern schreiben, wie die Korallenpolypen bauen. Periode fügt sich an Periode, und es geht, wohin Gott will.« (Schopenhauer)

Wer einen klaren Plan hat, der hat auch eine Gliederung, eine 'Disposition'. Dieses Wort ist den meisten verdächtig -- von der Schule her. Wenn uns ein wohlmeinender Oberlehrer versichert: Schiller zerfällt auf den ersten Blick in drei Teile, so stimmt uns das heiter. Aber kein Missbrauch kann die Tatsache verrücken: ohne Gliederung keine Klarheit. Der Mensch kann nicht zwei Gedanken auf einmal aussprechen, also muss er sie hintereinander anordnen; die Art dieser Anordnung ist für ihr Verständnis entscheidend. Meist muss man mehrere Gliederungen durchproben, bis man die beste findet.

Die Gliederung eines Buches schlägt sich nieder im Inhaltsverzeichnis -- von ihm ist nachher die Rede. Die Gliederung einer Abhandlung oder eines Buchabschnittes wird oft am Beginn klar angekündigt:

»Dass Sie ein elender Gegner sind, will ich Ihnen, mein Herr Pastor, in dem ersten Teil meines Briefes erweisen. Der zweite Teil aber soll Ihnen dartun, dass Sie, noch außer Ihrer Unwissenheit, eine sehr nichtswürdige Art zu denken verraten haben, und mit einem Worte, dass Sie ein Verleumder sind. Den ersten Teil will ich wieder in zwei kleine absondern: anfangs will ich zeigen, dass Sie die von mir getadelten Stellen nicht gerettet haben, und dass sie nicht zu retten sind; zweitens werde ich mir das Vergnügen machen, Ihnen mit einer Anzahl neuer Fehler aufzuwarten .... Verzeihen Sie mir, dass ich in einem Briefe so ordentlich sein muss!

Ein Glas frisches Brunnenwasser wird Ihnen sehr dienlich sein, ehe wir zu der ersten Unterabteilung schreiten. Noch eines, Herr Pastor!... Nun lassen Sie uns anfangen.« (Lessing)

Ranke in der Einleitung seiner Darstellung der spanischen Monarchie:

»Die Absicht ist, den Kampf zwischen der höchsten Staatsgewalt und dem abgesonderten Interesse der einzelnen Landschaften in dem Umkreise der Monarchie vor Augen zu legen, zuerst Natur und Intentionen der Regierenden, sowohl der Könige als ihrer Räte, hierauf den Widerstand, den sie in den vornehmsten Provinzen finden, und wie sie ihn mehr oder minder besiegen, endlich die Staatswirtschaft, welche sie sich nunmehr einrichteten, und den Zustand, in welchen die Provinzen gesetzt wurden.«

Aber es genügt nicht, wenn die Gliederung im Inhaltsverzeichnis oder am Anfang des Textes steht. Sie muss auch im laufenden Text deutlich hervortreten. Die Gelenke der Darstellung sollen nicht von dem Fett allgemeiner Redensarten und kunstvoller Übergänge überwuchert sein, sondern sie sollen sich deutlich abzeichnen. Der Leser braucht ständig Wegtafeln.

Als Wegtafeln dienen zunächst die Namen der Kapitel. Sind die Kapitel sehr lang, so müssen die Abschnitte, aus denen sie bestehen, gekennzeichnet werden. Wenn diese Abschnitte gleichfalls Namen haben, so wird der Leser dankbar sein; er weiß dann gleich, was Gegenstand der folgenden Zeilen ist. Diese Namen kann man an den Rand, über die Seiten oder auch mit abweichendem Druck in den Text setzen. Randtitel, wie in diesem Buch angewandt, wirken am gefälligsten. Es genügt nicht, dass die Abschnittsüberschriften im Inhaltsverzeichnis stehen; der Leser kann nicht dauernd hin und her blättern, um festzustellen, ob er jetzt in diesem oder jenem Abschnitt steckt. Er will ständig darüber unterrichtet sein, wo die Untersuchung steht. Ein Meister in dieser Kunst war Lessing: Ich will geschwind den Weg links und den Weg rechts ein wenig vorauslaufen, um zu sehen, wohin sie beide führen.

Luther pflegte seine Schriften mit zum ersten, zum zweiten und so weiter zu gliedern; in der Freiheit eines Christenmenschen bis zum Dreißigsten. Andere klare Darsteller, wie Harnack, sind ihm hier gefolgt. Dies Verfahren erspart alle künstlichen Übergänge von Absatz zu Absatz, lässt die Abschnitte klar hervortreten und ist dort zweckmäßig, wo eine Reihe nebeneinander geordneter Gedanken oder Tatsachen rein sachlich vorgetragen wird.

Aber die Gliederung besteht nur selten aus solchen gleichgeordneten Teilen (Reihung), meist ist sie geschichtet: übergeordnete und untergeordnete Gedanken wechseln ab. ...

Meist geht so die Darstellung vom Allgemeinen zum Besonderen, bringt individuelle Beispiele, schweift ab zu Nachbarthemen, geht von Behauptungen zu Beweisen und vom Beweis zu neuen Behauptungen, kehrt zurück zu allgemeineren Gegenständen, die sich dann von neuem verzweigen, und so fort. Bei solcher Schichtung ist es sehr schwer, den Übergang von einem zum anderen Abschnitt in den Text hineinzuflechten; allzuviel derartige Hinweise wirken leicht aufdringlich und unkünstlerisch. Namentlich für die Rückkehr vom Besonderen zu der nächsten allgemeineren Behauptung fehlt uns eine übliche Wendung. Gerade deshalb ist es klug, die Darstellung durch äußere Hilfsmittel, also durch Kapitel, Absätze, Paragraphen oder Randtitel klar aufzugliedern. Wer diese Mittel als starr und trocken empfindet und verschmäht, der muss die Kunst beherrschen, die Gliederung durch den Text hindurchleuchten zu lassen.

Unsere übliche Texteinteilung hat eine Schwäche: es fehlt an Raum, um zu den Obertiteln etwas zu sagen. ... Wer eine Gliederung entwirft, gerät unfehlbar über eine Tatsache in Verzweiflung: alle Kapitel überschneiden sich; jedes Problem gehört sachlich in mehrere Kapitel. Man kann die Kapitel abgrenzen wie man will: niemals enthält die Sache selbst eine reinliche Trennung.

Schlimmer noch: man kann das erste Kapitel nicht verstehen, wenn man nicht das zweite kennt. Noch weniger kann man aber das zweite voranstellen, denn es setzt unbedingt die Kenntnis des ersten voraus. Manche Darlegung wird erst richtig verständlich aus ihren Folgerungen. Schopenhauer hat im Vorwort zu seinem Hauptwerk hieraus den Schluss gezogen, es sei kein anderer Rat als das Buch zweimal zu lesen, und zwar das erste Mal mit vieler Geduld, welche allein zu schöpfen ist aus dem freiwillig geschenkten Glauben, dass der Anfang das Ende beinahe so sehr voraussetze als das Ende den Anfang.
Aber nicht jeder kann das von seinem Leser verlangen. Er muss sich dann helfen durch Verzahnungen. Von ihnen ist später die Rede.

Jede Gliederung birgt eine Gefahr: wenn sie nicht vom Stoff ausgeht, sondern von einem vorher ausgesonnenen Schema, so vergewaltigt sie oft die Wirklichkeit. Sie presst den Stoff in das Netz des Schemas; was nicht hineinpasst, ist nicht auf der Welt. Hegel soll - als man ihn auf eine Tatsache hinwies, die nicht in sein Geschichtssystem passte - geantwortet haben: Um so schlimmer für die Tatsache. Nicht jeder hat den Mut, so etwas auszusprechen, aber viele haben den Mut, so zu handeln. Sie lassen nicht nur weg, sondern erfinden auch hinzu, was fehlt. Bei Hegel rühren manche Kapitel nur davon her, dass ein Platz in dem Schema ausgefüllt werden sollte. Auch von Kant hat Schopenhauer behauptet, seine Liebe zur architektonischen Symmetrie führe an das Komische heran, ja, die ganze Kritik der praktischen Vernunft sei so entstanden; denn gemäß der Liebe zur architektonischen Symmetrie musste die theoretische Vernunft auch ein Pendant haben.

Es gibt auch einige wenige Lehrstücke, die ohne jede wirkliche Gliederung, in der Form einer Plauderei, anscheinend ohne jede Ordnung, geschrieben sind. Dies Verfahren gehört in den stilistischen Giftschrank, zu dem nur bewährte Meister Zutritt haben."

[Reiners, Ludwig <1896 - 1967>: Stilkunst : ein Lehrbuch deutscher Prosa. -- Sonderausgabe. -- München : Beck, 1991 (©1943). -- ISBN 3406349854. -- S. 504 - 508. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen]


2. Inhaltsverzeichnis


"Carlyle hat vorgeschlagen, alle Leute zu hängen, die Bücher ohne Inhaltsverzeichnis schreiben. Der Vorschlag ist gut, aber zu milde. Man sollte die Strafe auch auf Leute ausdehnen, die das Inhaltsverzeichnis nicht an den Anfang setzen. An den Anfang gehört es, nicht -- nach ausländischer Gewohnheit -- an den Schluss; denn vor Beginn des Lesens muss man einen Überblick über den Inhalt haben.

Wer sich eine klare Gliederung gemacht hat, dem fällt es auch nicht schwer, ein ausführliches Inhaltsverzeichnis zu schreiben. Jeder Band von Kuno Fischers Geschichte der Philosophie, einem Meisterwerk kristallklarer Darstellung, enthält ein ausführliches Inhaltsverzeichnis: fast für jede Seite wird eine Abschnittsüberschrift genannt. In Ostwalds Lebenslinien nennt das Inhaltsverzeichnis 140 Kapitel für nur 270 Seiten.

Wird das Inhaltsverzeichnis sehr umfangreich, so soll man es durch Verwendung verschiedener Druckarten übersichtlich machen. Man kann es auch in zwei Teile zerlegen: eine Inhaltsübersicht, welche nur die Kapitel nennt, und ein Inhaltsverzeichnis, das die Aufgliederung in kleine Abschnitte enthält. Ein gutes Inhaltsverzeichnis ist der Schlüssel zum Buche. Aber die wenigsten sind gewohnt, mit seiner Hilfe den Inhalt zu erschließen. Ebenso nötig wie das Inhaltsverzeichnis am Anfang ist das Register am Schluss. Ein Register ohne Buch hat mir manchmal genützt, ein Buch ohne Register nie. (Carlyle)"

[Reiners, Ludwig <1896 - 1967>: Stilkunst : ein Lehrbuch deutscher Prosa. -- Sonderausgabe. -- München : Beck, 1991 (©1943). -- ISBN 3406349854. -- S. 508 - 509. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen]


3. Abschnittsbenummerung


Für die Nummerierung (DIN: "Benummerung") der Abschnitte im Text und im Inhaltsverzeichnis sollte man sich halten an

DIN 1421 ("Gliederung und Benummerung in Texten; Abschnitte, Absätze, Aufzählungen") (entspricht ISO 2145: "Documentation; Numbering of divisions and subdivisions in written documents")

Nach DIN 1421 werden für die Benummerung der Abschnitte arabische Ziffern verwendet. Die Hauptabschnitte (1. Stufe) werden von 1 (nicht 0) an fortlaufend benummert. Jeder Hauptabschnitt kann in beliebig viele Unterabschnitte (2.Stufe) unterteilt werden, die ebenso fortlaufend benummert werden. Unterabschnitte können in gleicher Weise in Unterabschnitte (3. und weitere Stufen) unterteilt werden, die entsprechend benummert werden.

Die Benummerungen der einzelnen Stufen werden durch Punkt voneinander getrennt. Hat ein Abschnitt keine weiteren benummerten Unterabschnitte, so folgt auf ihn kein Punkt (die Benummerung hat also nach DIN keinen Schlusspunkt).

Folgendes Schema macht die DIN-Vorschriften deutlich:

1. Stufe 2. Stufe 3.
Stufe
1
2
3
4
5
...

10
11
12

2.1
2.2
2.3
2.4
....
2.10
2.11
2.11.1
2.11.2
2.11.3
2.11.4
...
2.11.10
2.11.11

Zu Kapitel 5: Abfassung von Inhaltsangaben