Kulturen von Arbeit und Kapital

Teil 3: Kapitaleignerkulturen

8. Brasilien (Brasil): Weltmeister bei Sozialkontrasten


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 3: Kapitaleignerkulturen. -- 8. Brasilien (Brasil): Weltmeister bei Sozialkontrasten. -- Fassung vom 2005-12-26. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital0308.htm        

Erstmals publiziert: 2005-12-23

Überarbeitungen: 2005-12-26 [Ergänzungen]; 2005-12-24 [Ergänzungen]

Anlass: Lehrveranstaltung an der Hochschule der Medien Stuttgart, Wintersemester 2005/06

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República Federativa do Brasil


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0. Übersicht



1. Einleitung



Abb.: Verkäuferin, Amazonien / von Klaus Oppermann
[Bildquelle: www.ipicture.de. -- Zugriff am 2005-12-24] 

Brasilien : Weltmeister bei Sozialkontrasten
Elend wie in Haiti und Uganda
[von] Klaus Hart

„Sklavenarbeit und hochmoderner Flugzeugbau, Regionen wie in der Ersten und in der Dritten Welt, wie in Afrika und Mitteleuropa – Brasilien hat alles gleichzeitig“, betont Carlos Lopes, Chef der UNO-Mission in Brasilia. Kurz vor dem Weltsozialforum von Porto Alegre las er der Regierung des Tropenlandes, aber auch den Eliten der immerhin zwölftgrößten Wirtschaftsnation kräftig die Leviten. Wer in Rio de Janeiros Hauptbahnhof „Central do Brasil“ in den Zug steige, passiere Wohnviertel mit einem Lebensniveau wie in Belgien – und lande kurz darauf an der Slumperipherie, mit gravierenden Zuständen, einem Grad menschlicher Entwicklung so niedrig wie in Swasiland. „Gemäß unserer neuen Studie ist Brasilien tatsächlich Weltmeister in sozialer Ungleichheit“, so der 45-jährige, aus Guinea-Bissau stammende Lopes. Besonders beunruhigend sei, dass sich die Kontraste zwischen Reich und Arm erst nach der Militärdiktatur, in zwanzig Jahren Demokratie, verschärft hätten. „Demokratie darf doch keine Ungleichheit produzieren!“ Die UNO-Mission habe jetzt  dreizehn Misere-Regionen von der vierfachen Größe Deutschlands identifiziert, in denen sich Brasiliens Sozialprobleme konzentrierten. „Dort leben immerhin 26 Millionen Menschen.“ 


Abb.: Angepasstes Wohnen in Amazonien / von Klaus Oppermann
[Bildquelle: www.ipicture.de. -- Zugriff am 2005-12-24]

Extremes Elend sieht Lopes jedoch nicht nur in  stark  unterentwickelten  Zonen des Nordostens, die Sozialindikatoren wie in Haiti oder Uganda aufweisen. In der Stadt Manari beispielsweise, mit 13500 Bewohnern, können achtzig Prozent der Erwachsenen nicht lesen und schreiben, gehen die Leute keine drei Jahre zur Schule, liegt das mittlere „Einkommen“ der meist sehr kinderreichen Familien bei umgerechnet nur zwanzig Euro. Größtenteils stammt das Geld aus Hungerhilfen der Regierung, die jedoch lediglich an rund 1800 Familien gezahlt werden. Oft nur ein Almosen: Maria Leda da Silva hat neun Kinder – sie erhält monatlich achteinhalb Euro. Gerade in großen Städten, wirtschaftlich reichen Metropolen wie Rio de Janeiro und São Paulo, so der renommierte Brasilienexperte Lopes,  verschlimmere sich die Misere. Und weil dort viel mehr Menschen lebten als im Hinterland, seien die Sozialprobleme sogar größer.  Die UNO bestätigt damit Angaben der Bischofskonferenz. „Hunger und Misere“, so ihr Präsident, Kardinal Geraldo Majella Agnelo, „gab es immer in Brasilien – doch nie waren sie so sichtbar wie heute, sah man soviel Elend in den Strassen.“ Laut Majella trägt dafür die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung die Schuld – nötig seien „radikale Änderungen“.

Ebenso wie die Kirche weist UNO-Missionschef Lopes auf den ganzen Kontext sozioökonomischer Rechte. „Und da wird die Demokratie eben Opfer einer Situation, in der die Leute zwar votieren, an Wahlen teilnehmen, aber keinerlei Einfluss auf das politische System haben. Vertiefung der Demokratie muss in Brasilien heißen, stärker gegen gesellschaftliche, rassische Diskriminierung zu kämpfen.“ Schwarze und Mischlinge lebten in der größten Misere, würden am meisten benachteiligt. Siebzig Prozent der Verelendeten seien Schwarze. Nicht erst unter der Regierung von Luis Inacio Lula da Silva, sondern bereits unter seinem Vorgänger Fernando Henrique Cardoso wurden erstmals nennenswerte Programme zur Hunger- und Elendsbekämpfung gestartet. Der Brasilienexperte lobt sie ausdrücklich. „In den letzten Jahren hat man so hohe Mittel aufgewendet wie nie zuvor. Doch selbst wenn Brasilien insgesamt vorankommt, wird der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten nicht geringer, wächst die Ungleichheit sogar weiter.“ Denn leider seien die Sozialprogramme sehr uneffizient, bilde die hohe Korruption  einen großen Hemmschuh. „Andere Länder setzen viel weniger Prozent des Bruttosozialprodukts, viel weniger Mittel für Soziales ein – und erreichen dennoch viel bessere Resultate!“ Armut dürfe  indessen nicht nur am Einkommen gemessen werden, sondern bedeute auch, viel weniger Bürgerrechte zu haben. „Es fehlt ein echter Rechtsstaat, ein schnelleres, flexibleres Justizsystem.  In Brasilien kommt doch nur eine kleine Elite in den Genuss der Rechte. 

“All die Sozialkontraste haben laut UNO zu einer „Kultur der Gewalt“ geführt. „Allein durch Feuerwaffen“, so Lopes, “werden jährlich vierzigtausend Menschen getötet – das ist wie Krieg.“"

[2005-01-27]

[Quelle: Klaus Hart. -- http://www.ila-bonn.de/brasilientexte/UNOlopes.htm. -- Zugriff am 2005-12-17]


2. Brasilien (Brasil), landeskundliche Einführung



Abb.: Brasilien
(Bildquelle: Wikipedia)

"Brasilien (portugiesisch Brasil) ist der flächenmäßig gesehen fünftgrößte Staat der Erde und der bevölkerungsreichste Südamerikas. Er nimmt über die Hälfte des Kontinents ein und grenzt (von Nordosten gegen den Uhrzeigersinn gesehen) an Französisch-Guayana, Suriname, Guyana, Venezuela, Kolumbien, Peru, Bolivien, Paraguay, Argentinien, Uruguay und den südlichen Atlantik und hat so mit jedem südamerikanischen Land außer Chile und Ecuador eine gemeinsame Grenze.

Geographie

Brasiliens Landschaft ist geprägt von ausgedehnten Regenwäldern des Amazonas-Tieflands im Norden und Hochebenen, Hügeln und Gebirge im Süden. Während die landwirtschaftliche Basis des Landes in den Savannengebieten des Mittelwestens liegt, lebt der Großteil der Bevölkerung in der Nähe der Atlantikküste, wo sich auch fast alle Großstädte befinden.


Abb.: Geologie Brasiliens
[Bildquelle: http://www.portalbrasil.net/brasil_geologia.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Wichtige Städte 


Die 20-Millionen-Metropole São Paulo


Strand von Ipanema, Rio de Janeiro

Die größten Städte sind São Paulo mit ca. 19 Mio. Einwohnern, Rio de Janeiro mit ca. 6 Mio. Einwohnern, Salvador da Bahia mit ca. 2,7 Mio. Einwohnern, Belo Horizonte und Fortaleza mit je 2,3 Mio. Einwohnern und Brasília mit 2,2 Mio. Einwohnern. Die Einwohnerzahlen beziehen sich jeweils auf die Großräume.

São Paulo ist die größte Stadt Südamerikas und der wirtschaftliche Motor Brasiliens. Als industrielles Zentrum des Landes zieht die Stadt kontinuierlich Einwanderer an, so dass sich die Einwohnerzahl innerhalb von 40 Jahren verdoppelte. Dieser rapide Bevölkerungszuwachs brachte der Stadt eine vorrangige Stellung in Bezug auf Finanzen, Kultur und Wissenschaft ein, aber auch Verkehrsprobleme, Umweltverschmutzung und Kriminalität.

Rio de Janeiro war fast 200 Jahre lang Hauptstadt Brasiliens, bis im Jahre 1960 Brasília zur Kapitale ernannt wurde, und ist die wohl bekannteste Stadt des Landes. Bei Touristen ist sie beliebt wegen des Karnevals und der Strände, die zu den schönsten der Welt zählen. Der Tourismus hat in Rio einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert, aber auch produzierende Industrie ist in der Stadt beheimatet. Abseits der Urlaubszentren hat die Stadt mit den typischen Problemen einer Großstadt zu kämpfen, vorrangig mit Kriminalität und Armut großer Bevölkerungsteile.

Die Hauptstadt Brasília wurde in den 1960er Jahren innerhalb von drei Jahren erbaut. Es handelt sich um eine klassische Planhauptstadt. Sie wurde von Lúcio Costa im Auftrag des damaligen Präsidenten Kubitschek geplant, Oscar Niemeyer entwarf die Regierungsgebäude. Brasília sollte ursprünglich als glänzendes städtisches Vorbild dienen. Allerdings ging die Entwicklung in wichtigen Punkten nicht so voran, wie es die Pläne vorsahen, und so ist Brasília in den äußeren Bezirken mittlerweile ebenfalls von Favelas geprägt. Heute hat die Stadt knapp 200.000 Einwohner, die Metropolregion zählt etwa 2,2 Millionen Menschen.

Höchste Berge

Der höchste Gipfel Brasiliens ist der 3.014 m hohe Pico da Neblina, der 1965 zum ersten Mal bestiegen wurde. Wie auch der zweithöchste Berg, der Pico 31 de Março (2.992 m), liegt der Pico da Neblina im gleichnamigen Nationalpark nahe der Grenze zu Venezuela und Guyana. Der Pico da Bandeira (2.891 m) wurde früher für den höchsten Berg des Landes gehalten, da er nicht im lange Zeit nur wenig erforschten Regenwald, sondern im eher dicht besiedelten Südosten liegt. Er gilt durch seine Besiedlung als bestbesteigbarer Berg Brasiliens. Berühmter noch ist der Corcovado, der mit seinen 710 m einen spektakulären Blick über Rio de Janeiro bietet. Auf ihm steht die 30 m hohe Erlöser-Statue.

Gewässer

Der mit Abstand wichtigste Fluss Brasiliens ist der Amazonas, größter und längster Fluss der Erde (zwischen 6850 und 7250 km), mit seinen Nebenflüssen. Die bedeutendsten Zuflüsse sind der Río Purús, der Rio Negro und der Rio Tapajós. Der Paraná (3.998 km) ist vor allem wegen seiner eindrucksvollen Wasserfällen von Iguaçu bekannt.

Die Lagoa dos Patos bei Porto Alegre ist mit über 10.000 km² die größte Lagune Brasiliens und die zweitgrößte Südamerikas. Danach kommt die weniger als halb so große Lagoa Mirim, südlich der Stadt Rio Grande.

Inseln

Die etwa 800 km vor der brasilianischen Küste gelegenen Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen [Penedos de São Pedro e São Paulo], die nur mit einem Leuchtturm bebaut sind, gehören genauso zu Brasilien wie die ehemalige Sträflingskolonie Fernando de Noronha, die nicht weit von der Felsgruppe entfernt ist. Beide liegen auf dem mittelatlantischen Rücken. Die größte Insel Brasiliens aber liegt im Amazonas: Marajó ist etwa 48.000 km² groß (größer als die Schweiz), da aber große Teile in der Regenzeit überschwemmt sind, ist die Insel nur an einigen Orten besiedelt. Auch die Bananalinsel [Ilha do Bananal] gehört mit ihrer Fläche (20.000 km²) zu den größten Flussinseln der Welt. Sie liegt in einem Nationalpark im Bundesstaat Tocantins im Fluss Araguay und ist immer noch größer als beispielsweise Jamaika.

Klima


Abb.: Klimakarte Brasiliens
[Bildquelle: http://www.portalbrasil.net/brasil_clima.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Das Klima Brasiliens, das zwischen 5° nördlicher Breite und 34° südlicher Breite liegt, ist überwiegend tropisch mit geringen jahreszeitlichen Schwankungen der Temperaturen. Nur im subtropischen Süden herrscht ein gemäßigteres Klima. Besonders im feuchten Amazonasbecken gibt es reichhaltige Niederschläge, man findet jedoch auch relativ trockene Landstriche mit teilweise lang anhaltenden Dürrezeiten, besonders im Nordosten des Landes.

Im Süden befindet sich an der Grenze zu Bolivien und Paraguay ein ausgedehntes Feuchtgebiet, das Pantanal.


Abb.: Pantanal
[Bildquelle: pt.wikipedia]

Flora und Fauna


Abb.: Vegetationskarte Brasiliens
[Bildquelle: http://www.portalbrasil.net/brasil_vegetacao.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Noch vor Kolumbien, Mexiko und Indonesien ist Brasilien das artenreichste Land der Erde. Entdeckt wurden bislang rund 3.000 Wirbeltier-, 3.000 Süßwasserfisch-, 55.000 Blütenpflanzen-, 517 Amphibien- und 51 Primaten-Arten. Allein 207 dieser Tierarten sind vom Aussterben bedroht. Auch der Wald verkleinert sich stetig. Zu frühen Kolonialzeiten war noch etwa 60 % der Landesfläche mit Wald bedeckt, heute ist es nur noch 1/3.

Der immergrüne tropische Regenwald im Amazonasbecken ist das größte zusammenhängende Waldgebiet. Bislang wurden mehr als 2.500 Baumarten entdeckt. Fast alle dieser bis zu 60 m hohen Bäume finden sich im von Überschwemmungen verschonten Eté-Wald der Terra firme, die wiederum 98 % des Amazonasgebiets umfasst. Außerdem wachsen in diesem Gebiet u.a. der Gummibaum (caucho), verschiedene Farb- und Edelhölzer (z.B. Palisander), Fruchtbäume (z.B. Paranussbaum) und Heilpflanzen. Auffällig sind die circa 1.000 verschiedenen Farn- und Orchideenarten. Neben der terra firme gibt es die Várzea, die bei Hochwasser überschwemmt ist. Dort wachsen Jupati- und Miriti-Palmen. Das Igapó-Gebiet ist dagegen ständig überschwemmt. Als typische Pflanze in diesem Gebiet gilt die Açaí-Palme. Auf dem Amazonas, aber vor allem auf seinen Nebenflüssen, wachsen Seerosen, dessen Blüten 30 bis 40 cm groß werden können.


Abb.: Açaí-Palmen

Besonders bekannt sind im gesamten Amazonasgebiet vor allem Papageien, Tukane und Kolibris. Es sind etwa 1.500 Insekten- und Schmetterlingsarten bekannt. Größere Waldtiere sind der Tapir, das Wildschwein, der Jaguar und der Puma. Daneben bevölkern Wildkatzen, Affen, Faultiere, Gürteltiere und Ameisenbären den Regenwald. Auch zahlreiche Fischarten (ca. 1.500) sind im Amazonas beheimatet. Darunter der größte bekannte Süßwasserfisch der Welt: Der pirarucú ist 2 m lang und wiegt etwa 100 kg. Ein Zitteraal, der 800 Volt-Stromschläge austeilt, und der Piranha, gut 30 cm lang, sind ebenso spektakulär.

Der äußerste Nordosten Brasiliens, früher ebenso aus Regenwald bestehend, wird mittlerweile fast ausschließlich für Zuckerrohr-Plantagen genutzt. Vereinzelt lassen sich noch Mangroven- und Palmenhaine finden.


Abb.: Zuckerrohr
[Bildquelle: Wikipedia]

Das halbwüstenähnliche Bergland im Zentrum und Süden des Landes (Sertão) ist mit Baumsavanne bewachsen, der Nordosten dieser Region ist mit Laubbäumen durchsetzte Strauchsavanne. Ferner sind die Tiervorkommen in dieser Region klein. Nur wenigen Tieren wie dem Ameisenbär oder dem Gürteltier genügen die Bedingungen.

Das Pantanal weist dagegen eine große Tier- und Pflanzenvielfalt auf. Die Sumpfregion im Mittelwesten Brasiliens steht sieben Monate im Jahr unter Wasser. Höher gelegene Gebiete der Region sind überwiegend Savannen.

Im Südosten dominieren Kaffeeplantagen und Weiden für Rinder, daneben die besiedelten Gebiete. Die ursprüngliche Vegetation ist nur noch in einigen Nationalparks zu finden.


Abb.: Kaffeeplantage São João do Manhuaçu
[Bildquelle: pt.wikipedia]

Der Süden zeigt eine subtropische Vegetation, die ursprünglichen Araukarienwälder wurden für den Export zerstört. Diese Bäumen erreichen eine Höhe von bis zu 40 m und sind Lebensraum für Affen und Eichhörnchen. Heute sind Niedergrassteppen in dieser Region häufiger.

Bevölkerung


Abb.: Bevölkerungsdichte Brasiliens
[Bildquelle: http://www.portalbrasil.net/brasil_populacao.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Demographische Struktur und Entwicklung


Abb.. Brasiliens Zukunft / von Klaus Oppermann
[Bildquelle: www.ipicture.de. -- Zugriff am 2005-12-24] 

Die brasilianische Bevölkerung ist sehr jung. Es sind 26,6 % unter 15 Jahre alt, 67,6 % sind 15 bis 64 Jahre alt und nur 5,8 % über 65. Das mittlere Alter beträgt 27,4 Jahre, die mittlere Lebenserwartung liegt bei 71,4 Jahren. (Schätzungen für 2004)

81 % der Bevölkerung leben in den Städten, die sich durch rasantes Wachstum und Wildwuchs auszeichnen; in den Außenbezirken bilden sich Favelas genannte Armensiedlungen.


Abb.: Favela in Rio de Janeiro
[Bildquelle. Wikipedia]

Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist in kaum einem Land so groß wie in Brasilien. So erhalten 10 % der Brasilianer etwa 50 % des Einkommens, die ärmsten 50 % im Land müssen mit nur 10 % des Einkommens leben. Etwa 5 Millionen Familien gelten als landlos. Bis 1998 zum Beispiel waren 2,8 % der Bauern Großgrundbesitzer mit zusammen 57 % der gesamten Agrarfläche, wohingegen 90 % der Bauern sich 22 % der Nutzfläche teilen müssen. Den schwersten Stand haben dabei Afro-Brasilianer, bei denen Armut, Säuglingssterblichkeit und Diskriminierung wieder zunehmen. Nicht viel besser ergeht es den Indios. Ein Gleichstellungs- und Anti-Hunger-Programm gilt seit 2003.

Ethnien

Ursprünglich vier Bevölkerungsgruppen bilden die brasilianische Bevölkerung. Sie sind heute jedoch so umfassend vermischt, dass eine klare Zuordnung oft nicht mehr möglich ist. Diese Gruppen sind:

  • die Portugiesen, die ursprünglichen Kolonialisten
  • die Afrikaner, die als Sklaven nach Brasilien verschleppt wurden
  • verschiedene Immigrantengruppen, hauptsächlich aus Europa, dem Nahen Osten und Asien, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Brasilien angesiedelt haben. Seit 1818 sind über 300.000 Deutsche eingewandert (siehe auch Deutschbrasilianer). Eine große japanische Bevölkerungsgruppe lebt in Brasilien, außerdem viele Polen, vorwiegend in Paraná.
  • einheimische Volksgruppen der Tupi- und Guarani-Sprachfamilien (200 ethnische Gruppen mit insgesamt etwa 250.000 Mitgliedern). Etwa 10 % der Fläche Brasiliens ist für Indianer reserviert.


Abb.: Kind, Amazonien / von Klaus Oppermann
[Bildquelle: www.ipicture.de. -- Zugriff am 2005-12-24]

In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts wurden die Indianer noch mit Respekt behandelt, viele Europäer waren sogar von ihnen beeindruckt und lobten ihre reinen und kräftigen Körper. Die Stämme aus Küstengegenden halfen den Portugiesen sogar beim Beladen der Schiffe mit Brasilholz. Doch schon bald hatten die Indianer genug Lohn erhalten, so suchte die Kolonialmacht einen Vorwand, die Einheimischen versklaven zu können. Als dann ein Tupi-Volk einen schiffbrüchigen, portugiesischen Bischof gegessen hatte, nahmen sie die ersten Indianer als Sklaven, obwohl der Papst es verboten hatte. Damals gab es nach heutigen Schätzungen 2,5 bis 6 Millionen Indianer. Missionare machten die Indianer, die zuvor durch den Regenwald streiften, sesshaft und bekehrten sie zum Christentum. Außerdem wollten die Geistlichen die Indianer schützen, so dass auf deren Druck 1609 die Sklaverei verboten wurde. Zwei Jahre später, auf Grund der wirtschaftlichen Probleme im Land, wurde sie aber wieder eingeführt. In den Siedlungen, die mehr und mehr überfüllten, kam es zu meist tödlichen Krankheitsepidemien. Aber schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts waren ganze Landstriche am Amazonas entvölkert. 1755 wurde die Sklaverei zwar erneut verboten, doch weil die Jesuiten, die die Indianer bis zuletzt schützen wollten, gleichzeitig ausgewiesen wurden, mussten weiterhin viele Ureinwohner unter Zwangsarbeit leiden. 1808 wurde im Süden des Landes die Sklaverei wieder erlaubt. Schon bald existierte bei den Kolonisten das Bild, alle Indianer seien alkoholabhängig und faul. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sank die Zahl der indigenen Bevölkerung Brasiliens erstmals unter 1 Million. Nur noch etwa 300.000 Indianer leben heute in Brasilien. Es gibt circa 200 Volksgruppen, die verschiedene Sprachen sprechen. Durch die Rodung des Regenwaldes wird der Lebensraum dieser Volksgruppen immer mehr verkleinert. Aber die Brandrodung des Regenwaldes zeigt sich auch für Krankheitsepidemien, Umsiedlung und das Zerstören ihrer Kultur verantwortlich. Ihre Rechte sind zwar durch Gesetze geregelt, doch viele missachten sie einfach. Zum Schutz der Volksgruppen, viele sind in den letzten 50 Jahren ausgestorben, wurde die Behörde FUNAI gegründet, die aber auch nicht allein für den Schutz sorgen kann und deshalb oft kritisiert wird.

Verbindungen (zumeist ohne offizielle Ehe) zwischen Portugiesen und Einheimischen oder Sklaven waren nicht ungewöhnlich und so begann schon früh in der Geschichte eine Verschmelzung der Ethnien und Kulturen.

Sprachen

Brasilien ist das einzige portugiesischsprachige Land Amerikas. Das brasilianische Portugiesisch hat einen eigenen Charakter. Es unterscheidet sich in der Aussprache und durch eine leicht abgewandelte Orthografie und Grammatik von der europäischen Variante. Das (brasilianische) Portugiesisch ist alleinige Amtssprache und für mindestens 97 % der Bevölkerung Muttersprache. Die Indianersprachen werden nur noch von etwa 0,1 % der Bevölkerung gesprochen. Am verbreitetsten sind Guaraní (Sprache), Tupí und Gês, wobei die letzten beiden vorrangig im Amazonasgebiet verbreitet sind, wo der Einfluss der Europäer gering blieb. In den Küstengegenden sind die Indianersprachen praktisch vollständig verdrängt worden. Guaraní hatte zu Kolonialzeiten eine größere Bedeutung und ist nur knapp daran gescheitert Amtssprache des Landes zu werden.

Aufgrund der Einwanderung gibt es in Brasilien zahlreiche Minderheitensprachen. Etwa 1,5 Millionen Brasilianer sprechen Deutsch als Muttersprache, 500.000 Italienisch, 380.000 Japanisch und 37.000 Koreanisch. Dabei muss berücksichtigt werden, dass bei den Sprachminderheiten die Zahl der Sprecher sehr optimistisch berechnet ist. Diese Volksgruppen gehörten teilweise zu den ersten Siedlern und ihre Nachfahren verstehen fast nur noch Portugiesisch. Bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es besonders im Süden ganze Gemeinden, in denen ausschließlich Deutsch oder Italienisch gesprochen wurde. Während des Zweiten Weltkriegs wurden dann deutsche und italienische Schulen geschlossen und diese Sprachen verboten, woraufhin das Portugiesische auch in diesen Ortschaften Einzug hielt. In den Ortschaften, die als Zentren für Einwanderer aus bestimmten Nationen galten, entstanden manchmal brasilianische Dialekte der Einwanderersprache. Ein Beispiel ist das Riograndenser Hunsrückisch.

Englisch ist als Fremdsprache noch nicht so etabliert wie in europäischen Ländern. Obwohl sie normalerweise in den Schulen unterrichtet wird, fasst die Sprache nur langsam Fuß in Brasilien. Auch in den Großstädten ist es nicht selbstverständlich, dass die Leute Englisch sprechen oder verstehen. Für gewöhnlich verstehen die Brasilianer aber zumindest ansatzweise Spanisch, auch wenn sie die Sprache selbst nicht sprechen. In den den Grenzgebieten zu anderen südamerikanischen Ländern bildete sich das sogenannte Portunhol heraus, eine Mischsprache aus Portugiesisch und Spanisch, das die Verständigung erleichtert.

Religion


Abb.: Ein Teil der katholischen Kirche ist heute zwar sozial, aber die Kirche besitzt viel, an dem das Blut der Ausgebeuteten klebt:
Kirche in Rio de Janeiro / von Klaus Oppermann
[Bildquelle: www.ipicture.de. -- Zugriff am 2005-12-24]

Ungefähr 75 % der Bevölkerung sind römisch-katholischer Konfession. Damit ist die Landeskirche mit circa 135 Millionen Gläubigen die größte der Welt. Die übrigen Brasilianer sind größtenteils protestantischen Glaubens (starke Zunahme evangelikaler Freikirchen) oder Anhänger von Kulten, die aus afrikanischen Religionen entstanden sind (Candomblé, Umbanda und andere). 1960 betrug die Zahl der Katholiken noch 91,6 % an der Gesamtbevölkerung bis 1985 nahm sie auf 83,2 % ab und heute geht man von ca. 75 % aus. Trotzdem ist Brasilien ein konservativ-katholisch geprägtes Land. Über 78 % der Katholiken praktizieren ihren Glauben.

Geschichte

Brasilien war schon mindestens 10.000 Jahre vor der Entdeckung durch die Europäer besiedelt. Vor allem Höhlen im Amazonas-Gebiet waren bewohnt, große Stätten wie die der Inkas oder

Mayas sind aber nicht bekannt. Das Land wurde nach dem in Europa sehr beliebten Brasilholz [Caesalpinia echinata], einem roten Edelholz, das heute nur noch höchst selten ist, benannt.


Abb.: Brasilholz
[Bildquelle: http://www.plantarum.com.br/pau-brasill.html. -- Zugriff am 2005-12-17]

Die Kolonialzeit


Abb.: Alexander VI.
[Bildquelle: Wikipedia]

Der Portugiese Pedro Alvares Cabral war der erste Europäer, der Brasilien am 22. April 1500 betrat. Nach französischen Angaben stieß Jean Cousin schon 1488 auf die brasilianischen Küste, tatsächlich war in Portugal die Existenz einer großen Landmasse westlich des Atlantik bereits seit 1325 bekannt. 1494 beschlossen die großen Seemächte Portugal und Spanien die Aufteilung Südamerikas. Auf Anliegen des damaligen Papstes Alexander VI. wurde im Vertrag von Tordesilhas festgeschrieben, dass die gesamte Westküste spanische, und die Küstenabschnitte des heutigen Brasiliens portugiesische Kolonie würden. Bis 1580 brachten die Portugiesen das ganze Land unter Kontrolle. 1549 wurde das heutige Salvador da Bahia (São Salvador da Bahía de Todos os Santos) zur Hauptstadt ernannt. Schon zu dieser Zeit wurden Indios aus dem Landesinnern an die Küste gebracht, die die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen im Nordosten verrichten mussten. Wegen harter Arbeit, Verfolgung und Anfälligkeit der Indios für europäische Krankheiten starben viele von ihnen. Die Kolonialherren versuchten daraufhin, die verlorengegangene Arbeitskraft mit Sklaven aus Afrika zu ersetzen. 1629 hatten sich die Niederländer in der Nähe des heutigen Recife niedergelassen und 1637 unter Führung von Johann Moritz von Nassau-Siegen diese Anbaugebiete, die daraufhin nochmals kurz aufblühten, erobert. Bis 1654 stand der Nordosten, v.a. das Gebiet um Pernambuco, unter niederländischer Kontrolle. In der Schlacht von Guararapes wurden die niederländischen Truppen 1654 wieder vertrieben.

Reiche Barockstädte entwickelten sich im 17. Jahrhundert, als Bandeirantes-Expeditionen das Hinterland erkundeten und neben anderen Bodenschätzen auch Gold und Diamanten entdeckten. Im selben Jahrhundert bauten entflohene Sklaven einfache Siedlungen, sogenannte Quilombos, auf. Als in den Quilombos Aufstände gegen die Unterdrückung der Schwarzen ausbrachen, zerstörte man bis 1699 alle Siedlungen wieder. 1763 wurde Rio de Janeiro zur Hauptstadt ernannt, weil sich das wirtschaftliche Zentrum des Landes auf den Süden verlagerte. 25 Jahre später führte Tiradentes einen Aufstand an, der aber scheiterte. 1792 wurde der heutige Nationalheld Brasiliens hingerichtet. Gleichzeitig begann ein Konflikt mit Spanien, weil die Bandeirantes-Expeditionen die Westgrenze Brasiliens entgegen der Vereinbarungen verschoben.

König- und Kaiserreich

1807 brachen die französischen Truppen von Napoleon Bonaparte nach Portugal ein, woraufhin der portugiesische König João VI. von einer britischen Eskorte geschützt nach Brasilien (erst Bahia, später Rio de Janeiro) flüchtete und dort erstmals in der Geschichte Auslandshandel erlaubte. Mit der Übersiedlung des Königs und des gesamten Hofstaates bekam Brasilien den Status eines gleichberechtigten Mitglieds des Mutterlandes. 1815, auf dem Wiener Kongress wird Brasilien mit Portugal gleichgestellt. 1821 konnte João wieder nach Portugal zurückkehren. Er überließ die Herrschaft über Brasilien seinem Sohn Pedro. Pedro I. erklärte am 7. September 1822 die Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal und machte sich am 22. September zum ersten brasilianischen Kaiser. 1828, nach drei Kriegsjahren gegen Argentinien, löst sich die Provinz Uruguay und erklärt ihre Unabhängigkeit. Drei Jahre später kam es zu einem Militäraufstand wegen dessen König Pedro I. abtrat und die Herrschaft auf seinen fünfjährigen Sohn Pedro II. übertrug.

Regentenzeit

Ein Zusatzpunkt der 1822 geschaffenen Verfassung ermöglicht noch am Tag der Abdankung Pedro I. einige Reformen, so wurde die Einsetzung eines einzigen Regenten beschlossen. 1835 spaltete sich erneut eine Provinz, nämlich Rio Grande, ab. Zu der Zeit gab es eine Reihe von Aufständen, die vor allem vielen Armen das Leben kostete. Rio Grande konnte nur zehn Jahre eigenständig bleiben.

Zweites Kaiserreich

1840, also noch vor der Volljährigkeit, wurde Pedro II. zum Kaiser gekrönt. Ab 1865 besiegten Brasilien, Uruguay und Argentinien innerhalb von fünf Jahren Paraguay. Zu der Zeit war Kautschuk das Rückgrat der Wirtschaft. Brasilien besaß das Monopol auf Kautschuk und konnte deshalb durch dessen Export große Einnahmen erzielen. Die Sklaverei wurde 1888 von Pedro II. offiziell abgeschafft. Obwohl Sklaverei bereits seit 1853 geächtet wurde, führte das Verbot zu Aufständen von Großgrundbesitzern und der Armee. Am 15. November 1889 ging der Kaiser wegen eines Militärputsches ins Pariser Exil.


Abb.: Kautschukgewinnung in Brasilien (hier von der Ficus elastica, einem der Kautschukbäume). - Liebigs Sammelbilder, 1905

Republik und die Zeit der Weltkriege

Die erste brasilianische Republik mit föderativer Verfassung (am 24. Februar wurde von Manuel Deodoro da Fonseca als Vereinigte Staaten von Brasilien (República dos Estados Unidos do Brasil) ausgerufen. Der Wohlstand war durch die große Kaffee-Nachfrage gesichert und die Wirtschaft konzentrierte sich auf diesen Zweig. In den Ersten Weltkrieg trat Brasilien offiziell auf Seite der Alliierten gegen Deutschland ein, beteiligte sich aber nicht aktiv. In den Kriegsjahren ging die Nachfrage nach Kaffee stark zurück. In den 1920er Jahren forderten große Teile der Bevölkerung ein Ende der Oligarchie. Als dann 1930 die Kaffee-Preise nochmals einbrachen, führte Getúlio Vargas, der "Vater der Armen", einen Aufstand an und wurde so Präsident. In den ersten Monaten seiner Regierungszeit wuchs die Wirtschaft Brasiliens spürbar. 1937 wurde die Herrschaft Vargas als "wohlwollender Diktator" festgeschrieben, 1942 erklärte er auf Druck der USA den Krieg gegen die Achsenmächte. Er entsandte eine 25000 Mann starke Division nach Italien. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Vargas von der Armee abgesetzt.

Zurück zur Demokratie

Schon fünf Jahre später wählte ihn das Volk erneut zum Präsidenten. Weil sich die USA gegen die sozialistische Politik Brasiliens stellte und daraufhin Rechte und die Armee Vargas' Rücktritt forderten, beging er 1954 Selbstmord. Vargas' Nachfolger Juscelino Kubitschek sorgte mit Hilfe der Partido Trabalhista Brasiliero (PTB) für neue, ausländische Investoren, die die brasilianische Wirtschaft in den späten 1950er Jahren ankurbelten. 1960 wurde dann Jânio da Silva Quadros zum Präsidenten gewählt. Nach seinem Amtsantritt 1961 versuchte er die Abhängigkeit zu den USA zu lösen und den desaströsen Staatshaushalt zu sanieren. Nach nur wenigen Monaten im Amt trat er wieder zurück, sein Nachfolger wurde der bisherige Vize-Präsident João Goulart, kurz nachdem die neue Hauptstadt Brasília nach drei Jahren Bauzeit eingeweiht wurde. Auch Goulart war in der Bevölkerung nicht unumstritten, weshalb seine Befugnisse in den ersten drei Präsidentschaftswahlen nur eingeschränkt waren.

Militärdiktatur

1964 schlug ein Militärputsch unter Humberto Castelo Branco fehl, doch im Folgejahr wurde Branco doch Diktator und verbot alle Parteien. Er selbst gründete zwei neue. Mehrere weitere Militärgrößen setzte er an wichtige Stellen im Staat. In den nächsten Jahr konnte zwar ein Wirtschaftswunder beobachtet werden, linke Aktivisten wurden aber gnadenlos unterdrückt. Durch die Ölkrise in den 1970ern endete der Wirtschaftsboom, 1974 ist Brasilien gar das Land mit den meisten Auslandsschulden. 1979 werden Parteien wieder zugelassen. Ab 1985 gibt es in Brasilien wieder eine Demokratie.

1980er und 90er Jahre


Abb.: Chico Mendes auf einem Wahlplakat

Der Wahlsieger Tancredo Neves verstarb 1985 noch vor seinem Amtsantritt. Im selben Jahr wurde das Wahlrecht für Analphabeten eingeführt. 1987 fand man auf Yanomami-Land im Bundesstaat Roraima Gold, was viele illegale Goldgräber hervorrief. Im Jahr 1988 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die zwar vorsah die Sozialausgaben zu erhöhen, aber keine Landreform zum Schutz der Indios enthielt. Auch 1988 wird der Gewerkschafter und Umweltschützer Chico Mendes ermordet. 1989 wurde dann ein erster Umweltschutzplan beschlossen. Die Inflation lag in diesen Jahren bei bis zu 1000 %. Am 26. April 1991 wurde Mercosur (portugiesisch Mercosul) gegründet. Dieser Gemeinsame Markt des Südens, den die Staaten Argentinien, Paraguay und Uruguay gemeinsam mit Brasilien gründeten, ist ein Binnenmarkt mit mehr als 200 Millionen Einwohnern, der die Wirtschaft der Mitgliedsländer und dadurch die Stellung Lateinamerikas in der Welt stärken soll. 1992 fand der UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro statt. Außerdem trat Präsident Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen von seinem Amt zurück. 1993 konnte die Bevölkerung Brasiliens in einem Referendum über die Staatsform entscheiden. Die Wahl fiel dabei eindeutig auf die Republik. 1994 wurde eine umfassende Währungsreform beschlossen. Durch die neue Währung ("Plan Real") endet die Hyperinflation vorerst. Zur weiteren Sanierung des Haushalts beschließt das Parlament zwar die Privatisierung von Staatsmonopolen, lehnt eine Verfassungsänderung allerdings ab. 1999 wird Fernando Henrique Cardoso erneut zum Präsidenten gewählt, obwohl das Land in einer wirtschaftlichen Krise steckte, auch der Real wurde wieder abgewertet.

Das neue Jahrtausend

In den nächsten beiden Jahren konnte sich die Wirtschaft wieder erholen. Seit 2003 ist Luiz Inácio Lula da Silva Präsident Brasiliens. Er hat vor allem mit Korruption zu kämpfen. 2004 führte Brasilien erstmals in seiner Geschichte UN-Friedenstruppen an, das Militär entsandte 1.470 Soldaten nach Haiti.

Politik

Brasilien wurde 1964 bis 1985 vom Militär regiert. In dieser Zeit litten vor allem die Indios unter Menschenrechtsverletzungen, die Wirtschaft wurde nicht gut genug unterstützt und aufgebaut. Zurück blieben Schulden (zwischenzeitlich hatte Brasilien höhere Auslandsschulden als alle anderen Staaten der Welt) und Staatsbetriebe, die finanziell am Ende waren.

Die Verfassung aus dem Jahr 1988 gewährt der Bundesregierung weitgehende Befugnisse. Der Präsident wird für eine Amtsperiode von vier Jahren direkt vom Volk gewählt. Seit 1998 kann er einmal wiedergewählt werden. Er besitzt eine weit reichende exekutive Gewalt, ist Staatsoberhaupt und Regierungschef und stellt das Kabinett zusammen.

Nach einer Übergangsbestimmung wurde 1993 ein Referendum über die Staats- (Monarchie oder Republik) und Regierungsform (Präsidial- oder parlamentarisches System) abgehalten. Die Bevölkerung entschied mit jeweils großer Mehrheit (87 % bzw. 69 %) für die Republik und ein Präsidialsystem. Im vierten Versuch wurde Luiz Inácio Lula da Silva, genannt Lula, 2002 zum Präsidenten gewählt.


Abb.: Luiz Inácio Lula da Silva, geb. 1945

Politische Probleme Brasiliens sind schwache Parteien ohne ideologisch begründete Programme. Diese bilden Koalitionen, die nie lange halten, somit müssen Gesetze meist durch Absprachen verabschiedet werden. Viele kleine Parteien und Korruption (1992 wurde der damalige Präsident Fernando Collor de Mello aus diesem Grund des Amtes enthoben) führen zu einer politisch sehr unstabilen Lage und zu einer nahezu zur Untätigkeit verdammten öffentlichen Verwaltung. Auch der vor allem beim einfachen Volk beliebte Präsident Lula da Silva musste sich mit seiner Parteiführung unlängst Korruptionsvorwürfen stellen, die nicht ausgeräumt wurden.

Brasilien empfängt jährlich etwa 376 Millionen US-Dollar Entwicklungshilfe, den Großteil stellen Japan [日本] und die EU-Länder zur Verfügung.

Das brasilianische Parlament, der Nationalkongress oder Congresso Nacional, besteht aus zwei Kammern:

  • Der föderative Senat oder Senado Federal setzt sich aus 81 Abgeordneten zusammen, von denen jeweils drei aus jedem der Bundesstaaten entsendet werden.
Die Senatsabgeordneten werden nach dem Mehrheitswahlrecht für Amtsperioden von acht Jahren bestimmt.
  • Neben dem Senat gibt es die Abgeordnetenkammer oder Câmara dos Deputados mit 513 Sitzen, deren Mitglieder nach dem Verhältniswahlrecht für Amtsperioden von vier Jahren gewählt werden.

Nach den Wahlen von 2002 haben sechs Parteien den Einzug in die Abgeordnetenkammer geschafft, stärkste Kraft ist die Partido dos Trabalhadores mit 18 %. Im Senat sind neben vier großen Parteien ebenso eine Reihe kleiner Gruppen vertreten. Die meisten Senatsabgeordneten (jeweils 23 %) gehören der Partido do Movimento Progressista und der Partido da Frente Liberal an.

Aktuelle Politik

Die Wahl 2002, die in einem klaren Sieg der sozialistischen Arbeiterpartei PT endete, hatte einen hohen Stellenwert für die Entwicklung der noch jungen Demokratie, denn erstmals wurde ein größerer Machtwechsel vollzogen. Im ersten Jahr der Regierung gelang eine wirtschaftliche Stabilisierung, der wieder einsetzenden Inflation und anderen Problemen wurde konsequent gegen gewirkt. Auch eine Rentenreform wurde gegen Protest aus den eigenen Reihen beschlossen. Der Kampf gegen die Armut wird derzeit mit verschiedenen Programmen angegangen. Antiamerikanismus ist in weiten Bevölkerungsteilen stark ausgeprägt. Viele Brasilianer betrachten die US-Politik als „neoimperialistisch“ oder zumindest „hegemoniell“ und befürchten eine zu starke Einflussnahme der USA auf Lateinamerika. Besonders kritisch werden daher auch die amerikanischen Versuche betrachtet, eine gesamtamerikanische Freihandelszone zu errichten. Lula setzt sich seinerseits für ein starkes Lateinamerika ein und geht auf vorsichtige Distanz zur amerikanischen Politik. In der bisherigen Außenpolitik wurde ein offener Streit mit den USA aber vermieden. Gleichzeitig distanziert sich Lula auch vom stark linksgerichteten Kurs des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez.

Die schwerste Krise der Legislaturperiode durchlebte die Regierung Lulas im Sommer 2005. Der PTB, Koalitionspartei in der Regierung, wurde Korruption vorgeworfen, was deren Vorsitzender Roberto Jefferson massiv bestritt und ähnliche Vorwürfe gegen zwei andere Regierungsparteien richtete. Sie würden ein Monatsgeld erhalten und dann den Gesetzesvorschlägen kollektiv zustimmen. Finanziert werde das angeblich durch Spenden großer Unternehmen, die dafür Staatsaufträge bekommen hätten. Daraufhin nahmen die Polizei und Untersuchungsausschüsse des Kongresses Ermittlungen auf, die immer mehr finanzielle Nebengeschäfte der Politiker aufdecken konnten. Dutzende Politiker legten ihr Mandat im Kongress nieder. Auch wenn er nicht persönlich verwickelt war, litt das Ansehen des Präsidenten stark unter den Vorwürfen. Reformen zum Wahl- und Parteifinanzierungssystem wurden in Angriff genommen, aber noch nicht beschlossen.

Parteien


Abb.: Symbol der Partido dos Trabalhadores

Im Senat sind unter anderem folgende Parteien vertreten:

  • Partido do Movimento Progressista (PMDB): zentralistische Ausrichtung, Gründung: 1979
  • Partido da Frente Liberal (PFL): liberale Ausrichtung, Gründung: 1984
  • Partido dos Trabalhadores (PT): Arbeiterpartei, Gründung: 1980
  • Partido da Social Democracia Brasilieiro (PSDB): sozialdemokratische Ausrichtung, Gründung: 1988

In der Abgeordnetenkammer sind diese sieben Parteien, neben einer Reihe kleiner Gruppen, vertreten: PT, PFL, PMDB, PSDB, Partido Progressista Brasilieiro (PPB), Partido Trabalhista Brasiliero (PTB) und Partido Liberal (PL).

Wichtige Parteien des letzten Jahrhunderts, die mittlerweile aufgelöst sind:

  • Partido Comunista Brasil (PCB): kommunistische Ausrichtung, Gründung: 1922, Auflösung: Ende der 1980er Jahre
  • União Democrático Nacional (UDN): gemässigt konservative Ausrichtung, Gründung: 1945, Auflösung: 1965
  • Aliança Renovadora Nacional (ARENA): vom Militär kontrollierte Partei, Gründung: 1966, Auflösung: 1979
  • Movimento Democrático Brasileiro (MDB): gegen die Militärregierung gerichtet, Gründung: 1966, Auflösung: 1979
Militär 


Stolz der brasilianischen Marine: der Flugzeugträger NAe São Paulo

Nach den Jahrzehnten der Militärdiktatur herrscht in Politik und Bevölkerung eine gewisse Vorsicht gegenüber den Streitkräften. Daher ist die Truppenstärke eher gering, wenn man die Einwohnerzahl und die Größe Brasiliens betrachtet. Darüberhinaus sieht sich das Land keiner wirklichen äußeren Bedrohung gegenüber. Die lateinamerikanischen Staaten sind untereinander militärisch verbündet, was Sicherheit und Stabilität in der Region festigt. Insbesondere steht Brasilien mit allen Nachbarstaaten in einem freundschaftlichen Verhältnis. Auch auf internationaler Ebene unterhält das Land gute Beziehungen mit den meisten anderen Staaten in der Welt. Das macht ein überaus starkes Militär zur Zeit nicht erforderlich.

Es besteht eine allgemeine Wehrpflicht für wehrfähige Männer über 18 Jahren. Der Etat des Verteidigungsministeriums liegt bei über 9,5 Milliarden US-Dollar.

Mit etwa 190.000 Mann ist das Heer die bei weitem größte Teilstreitkraft Brasiliens. Während die Infanterie gut ausgerüstet ist, mangelt es aber an Maschinerie. Mit etwa 500 Kampfpanzern und 1500 gepanzerten Fahrzeugen wäre das Land im Ernstfall kaum in der Lage, das weite und schwer zugängliche Hinterland zu sichern. In Friedenszeiten wird die Armee auch zum Katastrophenschutz und Rettungsdienst, sowie für wissenschaftliche Dienste (auf der Antarktis-Forschungsstation Base Comandante Ferraz) eingesetzt. Innerstaatliche Bedrohungen, wie Kriminalität oder Terrorismus sind in Brasilien ausschließlich Sache der Polizeikräfte; das Heer wird für solche Aufgaben nicht herangezogen.

Die Luftwaffe beschäftigt 73500 Personen (2005) und ist damit die größte in Lateinamerika. Ihr kommt in Brasilien eine hohe Bedeutung zu, da sie sowohl für die riesigen Landflächen als auch für weite Seegebiete am Besten geeignet ist. Daher ist die Luftwaffe sehr modern ausgestattet. Flugzeuge und Helikopter stammten zumeist aus den USA oder aus Europa; neuere Anschaffungen kommen vermehrt vom brasilianischen Flugzeugbauer Embraer. Dem liegt auch das Bestreben zugrunde, das Militär unabhängig von ausländischen Importen zu machen.


Abb.: EMB 145 AEW&C
(Pressefoto Embraer)

Auch die Marine ist modern und gut ausgerüstet. Das liegt mitunter an den weiten Flusssystemen, die das ganze Land durchziehen. Die Marine besitzt daher viele Patrouillenboote und leichte Kampfschiffe, die die Binnengewässer sichern. In dieser Funktion unterstützt die Marine auch das brasilianische Heer und besitzt Amphibienfahrzeuge und sogar Kampfpanzer.

Die Waffenindustrie ist gut entwickelt. Brasilien ist der fünftgrößte Rüstungsexporteur der Welt.

Während der Militärdiktatur bestand ein langjähriges Kernwaffenprojekt. Mit dem Übergang in die Demokratie hat Brasilien auch das Vorhaben aufgegeben, Kernenergie für militärische Zwecke zu nutzen. Die offizielle Aufgabe des Atomwaffenprogramms erfolgt 1998 mit der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags.

Im Jahr 2004 übernahm das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine größere Verantwortung und Rolle im Rahmen einer UN-Friedensmission in Haiti. 1.470 Soldaten sind in dem Karibikstaat stationiert und Brasilien hat im Juli 2004 die Führung der internationalen Truppen übernommen.

Bildungswesen

Die Alphabetisierungsrate des Landes liegt bei 87 %, das Schulabgangsalter bei 14 Jahren. Damit ist die Schulausbildung im Vergleich zu anderen südamerikanischen Staaten kürzer. In die Bildung fließt ein ähnlich großer Teil des Bruttosozialprodukts wie in Europa; in absoluten Zahlen ist das brasilianische Bildungsbudget etwa so groß wie das deutsche (2004). In Brasilien teilt sich das Geld jedoch auf eine mehr als doppelt so große Bevölkerung auf und es wird weniger gut eingesetzt. Die schulische Grundausbildung ist deswegen eher schlecht.

In 150 Universitäten werden fast 2,8 Millionen Studenten unterrichtet. Etwas mehr als die Hälfte der Hochschulen sind staatlich. Sie sind für alle Menschen mit qualifizierendem Schulabschluss nach einer Aufnahmeprüfung frei zugänglich und gebührenfrei. Die privaten Hochschulen finanzieren sich über Studiengebühren, genießen dafür aber einen guten Ruf. Zweimal jährlich werden einheitliche und offizielle Aufnahmeprüfungen, sogenannte vestibulares, durchgeführt.

Außenpolitik

Brasilien ist Mitglied u.a. folgender internationaler Organisationen:

  • Vereinte Nationen (seit 1945)
  • Organisation Amerikanischer Staaten (port. Organização dos Estados Americanos, OEA)
  • Mercosur (port. Mercosul)
  • Gruppe der Zwanzig
  • Gruppe der Zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer
  • Bewegung der blockfreien Staaten
  • Iberoamerika-Gipfel
  • Gemeinschaft der Portugiesischsprachigen Länder
  • Rio-Gruppe
  • Südamerikanische Staatengemeinschaft (hervorgegangen aus dem Südamerika-Gipfel)

Neben einer Verbesserung der Verhältnisse zu Mexiko, Konkurrent im Kampf um die Vorherrschaft in Lateinamerika, erreichte Präsident Lula in seiner Amtszeit eine gute Partnerschaft mit Venezuela. Unter anderem bot er Vermittlung im Streit mit Kolumbien an.

Innere Sicherheit

Die Kriminalitätsrate Brasiliens ist im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt relativ hoch. Die Polizei hat vor allem in den Städten mit Entführungen, Raubüberfällen und Drogendelikten zu kämpfen. Das Polizistengehalt ist niedrig, weshalb vermehrt der Vorwurf nach Erpressung und Mord aufkam, Korruption innerhalb von Justiz und Polizei sind üblich. Auch Gefängnisaufstände sind durch schlechte Haftbedingungen in überfüllten Haftanstalten fast an der Tagesordnung. Das Leben der Kleinbauern und Indios auf dem Land ist wegen Auftragsmorden für Großgrundbesitzer gefährlich. In den letzten Jahren wurden vermehrt auch Fußballer und ihre Familienmitglieder entführt. Berühmte Beispiele sind Robinhos Mutter Marina de Souza und der Vater des Weltfußballers 1994 Romario. Um die Kriminalität zu verringern wurde im Januar 2004 ein Gesetz vorgeschlagen, das den privaten Waffenbesitz verbieten sollte. Dieses Gesetz ist per Volksreferendum nicht angenommen worden und wurde ausgesetzt.

Administrative Gliederung


Abb.: Verwaltungsgliederung
[Bildquelle: pt.wikipedia]

Brasilien ist in 26 Bundesstaaten und einen Bundesdistrikt (Distrito Federal) gegliedert. Diese sind administrativ in fünf Regionen aufgeteilt:

  • Norden (Região Norte):
Acre, Amapá, Amazonas, Pará, Rondônia, Roraima, Tocantins
Der Norden macht 45,27% der Fläche Brasiliens aus. Gleichzeitig ist es die Region mit den wenigsten Einwohnern. Der Nordosten ist industriell vergleichsweise wenig entwickelt und nicht sehr gut erschlossen. Dafür beherbergt er mit dem Amazonasbecken das größte Ökosystem der Erde.
  • Nordosten (Região Nordeste):
Alagoas, Bahia, Ceará, Maranhão, Paraíba, Pernambuco, Piauí, Rio Grande do Norte, Sergipe
Knapp ein Drittel der Brasilianer leben im Nordosten. Die Region ist kulturell sehr vielseitig. Sie ist geprägt von der portugiesischen Kolonialherrschaft, von der afrikanischen Kultur der ehemaligen Sklaven und nicht zuletzt von indianischen Einflüssen.
  • Mittelwesten (Região Centro-Oeste):
Goiás, Mato Grosso, Mato Grosso do Sul, Distrito Federal Brasília
Die Region verdankt ihre Bedeutung vor allem ihrem Reichtum an Rohstoffen. Dennoch ist der Mittelwesten nicht besonders gut erschlossen. Es werden aber intensive Bemühungen unternommen, die Region zu stärken, u.a durch die Verlegung der Hauptstadt nach Brasília.
  • Südosten (Região Sudeste):
Espírito Santo, Minas Gerais, Rio de Janeiro, São Paulo
Im Südwesten leben mehr Menschen als in jedem anderen südamerikanischen Land. Mit den Ballungsräumen São Paulo und Rio de Janeiro ist diese Region der wirtschaftliche Motor des Landes.
  • Süden (Região Sul):
Paraná, Santa Catarina, Rio Grande do Sul
Der Süden ist die kleinste Region Brasiliens. Die klimatischen Verhältnisse entsprechen etwa denen Mitteleuropas. Die Region zeigt deutliche kulturelle Einflüsse von deutschen und italienischen Einwanderern, die sich bevorzugt in diesem Gebiet niederließen.
Bundesdistrikt

Während des brasilianischen Kaiserreichs war Rio de Janeiro Hauptstadt Brasiliens und hatte den Status Município Neutro (Neutrale Stadt), was in etwa einem Hauptstadtdistrikt gleichzusetzen ist. Mit der Schaffung des Bundesstaats und der einhergehenden Umwandlung der Provinzen in Bundesstaaten wurde 1889 aus dem Município Neutro ein Distrito Federal (Bundesdistrikt). 1960 wurde die Hauptstadt nach Brasília verlegt, ebenso der Distrito Federal. Der Sonderdistrikt um Rio de Janeiro war zeitweilig in den Bundesstaat Guanabara umgewandelt, bis Guanabara 1975 in den Bundesstaat Rio de Janeiro eingegliedert wurde.

Der Distrito Federal hat eine besondere Bedeutung. Er ist in der Verfassung festgeschrieben und ist direkt der brasilianischen Regierung unterstellt.

Infrastruktur

Verkehrsnetze

Straßenverkehr


Abb.: Brasilen - Straßennnetz
[Bildquelle: http://www.portalbrasil.net/brasil_transportes.htm#reo. -- Zugriff am 2005-12-20]

Das Autobahnnetz Brasiliens ist mit etwa 2 Millionen km das zweitlängste der Welt, annähernd 200.000 km sind gepflastert. Der brasilianische Name für Autobahn ist Rodovia. Annahmen zu Folge nehmen jährlich mehr als 1,2 Milliarden Reisende den Weg über die Fernstrassen, nur 80 Millionen fliegen. Es herrscht Rechtsverkehr. Der Name der Autobahnen führt zurück auf den Bundesstaat, wo sie liegen, und die Richtung, in die sie verlaufen. Ein Sonderfall sind Autobahnen, die nach Brasília führen:

  • Autobahnen mit den Nummern 000-099 führen nach Brasília
  • Autobahnen mit den Nummern 100-199 verlaufen von Norden nach Süden
  • Autobahnen mit den Nummern 200-299 verlaufen von Westen nach Osten
  • Autobahnen mit den Nummern 300-399 verlaufen diagonal (von Nordwest nach Südost oder von Nordost nach Südwest)
  • Autobahnen mit den Nummern 400-499 sind unwichtigere Autobahnen. Sie verbinden meist nur eine Stadt mit einer größeren Autobahnen in der Nähe.

So liegt zum Beispiel die Autobahn SP-280 im Bundesstaat São Paulo und verläuft von West nach Ost. Neben ihrem offiziellen Namen sind einige Autobahnen auch noch nach berühmten Persönlichkeiten benannt.

Schienenverkehr

Die Bahnverbindungen wurden ausgedünnt, dennoch besteht noch ein Schienennetz von fast 30.000 km Länge.

Flugverkehr

Wegen der großen Entfernungen werden innerhalb Brasiliens Flugreisen immer wichtiger. Allerdings sind die Kosten für die meisten Brasilianer zu hoch, so dass sie auch lange Reisen mit dem Bus unternehmen müssen. Es etablieren sich aber immer mehr Fluggesellschaften, die nach Vorbild europäischer Billigfluglinien erschwingliche Flüge innerhalb des Landes anbieten. Der größte Flughafen des Landes ist Guarulhos International [Aeroporto Internacional de São Paulo-Guarulhos] in São Paulo mit jährlich fast 13 Millionen Passagieren.

Schiffsverkehr


Abb.: Personenverkehr auf dem Amazonas / von Peter Jurgilewitsch, 2005
[Bildquelle: www.ipicture.de. -- Zugriff am 2005-12-24]

Die Binnenschifffahrtswege haben insgesamt eine Länge von rund 50.000 km. Die Handels- und Frachtflotte besteht aus etwa 475 Schiffe. Die größten brasilianischen Häfen liegen in Belém, Fortaleza, Ilheus, Imbituba, Manaus, Paranagua, Porto Alegre, Recife, Rio de Janeiro, Rio Grande, Salvador, Santos und Vitória.

Telekommunikation

In Brasilien gab es 2005 39 Millionen Telefone, was einen Anstieg um 20 Millionen Anlagen im Vergleich zu 1997 bedeutet. Außerdem sind etwa 80 Millionen Mobiltelefone im Umlauf. Auch hier ist der Anstieg zu 1997 (4 Millionen Mobiltelefone) deutlich. Das Telefonsystem funktioniert gut. Ortsgespräche sind teilweise kostenlos. Es existieren drei Koaxial-Tiefsee-Kabel, national ist das Funk-Relais-System gut ausgebaut, auch das Satellitensystem funktioniert gut.

Energie

Pipelines mit reinem Erdöl haben in Brasilien eine Länge von knapp 3.000 km, Erdöl-Produkte werden in einem Pipeline-Netz mit einer Länge von knapp 5.000 km transportiert und die Erdgasleitungen haben insgesamt eine Länge von etwa 4.250 km.

Wirtschaft


Abb.: Straßenladen, Salvador da Bahia / von Peter Jurgilewitsch, 2005
[Bildquelle: www.ipicture.de. -- Zugriff am 2005-12-24]

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Brasiliens ist das größte aller Länder in Amerika, ausgenommen der USA. Damit liegt Brasilien selbst vor dem Industriestaat Kanada. Diese Zahlen sind vor allem der großen Bevölkerung zu verdanken. Rechnet man aber das BIP auf die Einwohnerzahl um, erhält man einen geringeren Rang. Etwa 40% des BIP wird von der Industrie erwirtschaftet, knapp die Hälfte vom Dienstleistungssektor. Die Landwirtschaft trägt nur noch zu etwa einem Zehntel bei. Die wichtigsten Exportartikel sind Maschinen (darunter Autos und Flugzeuge), Stahl, Aluminium und Zinn, sowie Kaffee, Zucker und Fleisch.

Brasilien wird im allgemeinen ein großes ökonomisches Potential zugeschrieben. Das liegt unter anderem an der fortgeschrittenen Industrialisierung, politischer Stabilität und an der großen Menge an Rohstoffen, insbesondere gewaltiger Vorkommen an Eisen. Ebenso stärkt die südamerikanische Zollunion Mercosul den Markt in Lateinamerika und eröffnet auch der brasilianischen Wirtschaft weitreichende Möglichkeiten. Neben den lateinamerikanischen Staaten sind die USA und die Europäische Union die wichtigsten Handelspartner. Im Außenhandel gewinnt aber auch die Volksrepublik China [中华人民共和国] zunehmend an Bedeutung.

Wirtschaftliche Entwicklung

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lebte die Bevölkerung vor allem vom Export von Agrarprodukten. Dann gab es aufgrund der beginnenden Industrialisierung des Landes einen zunehmenden Mangel an Arbeitskräften, der nach der Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1888 noch weiter verschärft worden war. Dies lockte eine große Zahl von Einwanderern an, die größten Gruppen unter ihnen waren neben Portugiesen und Spaniern, Deutsche, Italiener, Polen und Japaner.

Während des ersten Weltkriegs geriet das Land, weil die wichtigsten Export-Artikel (Kaffee, Zucker, etc.) von einem enormen Preisverfall betroffen waren, in eine wirtschaftliche Krise. Hilfe kam mit Kapital und Immigranten aus Großbritannien. Mit Ausnahme des ersten Weltkriegs konnte die Wirtschaft und auch das Verkehrsnetz in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhundert stetig wachsen.

1917 kam es zu ersten großen Streikwellen in São Paulo und Rio de Janeiro, auf die die Regierung mit Unterdrückung reagierte. In den 1920er Jahren bildeten sich Arbeiterparteien und Gewerkschaften, doch dies führte nicht zu einer stärkeren Stellung im Staat, da sie keine Vertretung in oberen Schichten hatten. Auch die Leutnantbewegung Tenentismo ab 1922 konnte daran nichts ändern, da Versuche einer Revolution scheiterten.

Ein aktuelles Problem der brasilianischen Wirtschaft ist die steigende Urbanisierung und Zuwanderung der Landbevölkerung in die Städte. Allein in Brasilia steigt sie pro Jahr um 3 %, was in den Armenvierteln katastrophale Auswirkungen hat.

Mit großen, gut entwickelten Landwirtschafts-, Bergbau-, Produktions-, und Dienstleistungssektoren auf der einen Seite und einem großen Vorrat an Arbeitskräften auf der anderen ist die brasilianische Wirtschaft heute die kräftigste Südamerikas und gewinnt auf dem Weltmarkt an Bedeutung. Die wichtigsten Exportprodukte sind Kaffee, Kakao, tropische Früchte, Sojabohnen und Eisenerz. 40 % der brasilianischen Agrarausfuhren gehen in die EU, 17 % in die USA.

Auf den meist von „Zuckerbaronen“ beherrschten Zuckerrohrplantagen herrschen äußerst schlechte Bedingungen. Menschen arbeiten teilweise in sklavenähnlichen Verhältnissen in riesigen Monokulturen.


Abb.: MST-Mitglieder marschieren nach Brasilia (Photo:Valter Campanato/ABr. 2. Mai 2005)

Zu den größten Herausforderungen für die brasilianische Wirtschaft zählen nach wie vor die Inflation und die Kluft zwischen einer wohlhabenden, gut ausgebildeten Bevölkerungsminderheit und der schlecht ausgebildeten Mehrheit, die größtenteils am Rande des Existenzminimums lebt. Es gibt eine große Bewegung von Landlosen, die Movimento dos sem terra (MST), die für eine Landreform kämpfen.


Abb.: ®Logo


Abb.: 60 Jahre Odebrecht

Wichtige brasilianische Unternehmen sind: Petrobras (Erdöl), Companhia Vale do Rio Doce (Bergbau), Gerdau (Metallverarbeitung), AmBev (Getränke), Embraer (Flugzeugbau), Norberto Odebrecht (Baugewerbe), Sadia (Lebensmittel).


Abb.: Sadia für muslimische Länder
[Bildquelle: http://www.sadia.com.br/br/mercadosinternacionais/mercadosinternacionais.asp. -- Zugriff am 2005-12-17]


Abb.: Gerdau ZEBU-Stacheldraht


Abb.: AmBev-Produkte

 

Bodenschätze


Abb.: Eisenerzabbau, Companhia Vale do Rio Doce, Carajás (PA)
(Pressefoto Companhia Vale do Rio Doce)

Folgende Rohstoffe werden in Brasilien abgebaut: Eisen, Mangan, Kohle, Bauxit, Nickel, Erdöl, Zinn, Silber, Diamanten, Gold, Erdgas, Uran. Täglich werden 1,5 Millionen Barrel Erdöl gefördert, Uran ist im Landesinnern vorhanden, der Bauxit-Tagebau verschmutzt die Flüsse und gefährdet so die Umwelt.

Tourismus


Abb.: Wasserfälle des Iguaçu (Cataratas do Iguaçu)
[Bildquelle: pt.wikipedia]

Der Tourismus ist in Brasilien noch nicht sehr bedeutend und macht nur etwa 0,5 % des Bruttosozialprodukts aus, der weltweite Durchschnitt liegt bei 10 %. Die jährliche Besucherzahl liegt bei etwa 4,8 Millionen. Beliebt sind vor allem die Strände und der Karneval von Rio de Janeiro, die Hauptstadt Brasília, das Amazonasbecken und die Wasserfälle von Iguaçu. Die relativ geringe Anzahl an Touristen (auf einen Besucher kommen in Brasilien 37 Einheimische, in Deutschland nur etwa 4,6) ist mit hohen Preisen für schlechteren Service als zum Beispiel in den USA begründbar. Inlandflüge sind teuer, da es im ganzen Land keine Charterflüge gibt.


Abb.: Carnaval no Rio de Janeiro
[Bildquelle: de.wikipedia]

Umwelt


Abb.: Briefmarke "Transamazonica"

Der tropische Regenwald im Amazonasgebiet ist der größte unberührte Wald der Welt. Doch neue Strassen, zum Beispiel die Transamazonica und die Perimetral Norte, zerstören diese Unberührtheit. Experten warnen schon jetzt, dass bis 2020 alleine wegen Strassen- und Dammprojekten nur noch 28 % des Waldgebiets unberührt seien. Teilweise entstanden die Schäden auch im Zusammenhang mit den Goldgräbern Brasiliens, den so genannten garimpeiros. Zum Auswaschen des Goldes verwendeten sie Quecksilber in verhältnismäßig hohen Mengen. Diese gelangten schließlich in die Böden bzw. das Grundwasser und führten zu einer Verseuchung des Amazonasgebiets. Durch Strassen erschlossene Gebiete des Regenwaldes werden oft abgeholzt und gerodet, um Platz für Landwirtschaft zu schaffen. Die größte Gefahr ist die profitbringende Holzgewinnung. In Brasilien gibt es rund 2.500 Unternehmen, die mit tropischem Hartholz handeln. Die meisten von ihnen sind aber ausländische Großunternehmen. Zwar ist Mahagoni mittlerweile gesetzlich geschützt, illegal geht der Handel aber weiter. Selbst Behörden schätzen, dass 80 % des gewonnenen Holzes Mahagoni ist.


Abb.: Amerikanisches Mahagoni: Swietenia sp.
[Bildquelle: Wikipedia]

Da Regenwaldboden nährstoffarm ist, ist er auf die Wiederverwertung der Mineralstoffe im Laub angewiesen. Bei solch feuchtem Klima zersetzen Mikroorganismen das Laub in Recht kurzer Zeit. Wenn aber kein Wald und damit auch kein Laub mehr auf dem Boden liegen, trocknet er aus und es kommt zu Erosion. Sind die gerodeten Flächen nun größer, kann sich der Wald dort nicht regenerieren. Bäume binden Kohlendioxid, das den Treibhauseffekt auslöst. So sind an den Treibhausabgasausstößen des Landes Brandrodungen mit 75 % beteiligt, während die Verbrennung fossiler Brennstoffe nicht einmal ein Viertel ausmachen. Im Amazonasgebiet leben viele Tier- und Pflanzenarten. Der Wert ihres Genbestandes für Medizin und Landwirtschaft lag 2001 bei etwa 2 Billionen US-$. Diese Arten können ohne Regenwald nicht überleben. Aber alleine von August 2003 bis August 2004 wurden in Brasilien 26.130 km² Regenwald vernichtet. Das entspricht fast der Fläche Brandenburgs. Die Behörden zum Schutz des Regenwaldes haben unter Geld- und Personalmangel, sowie Korruption zu kämpfen. Dennoch konnte 2002 das weltweit größte Schutzgebiet eines tropischen Regenwalds im Norden Brasiliens gegründet werden.

Ein weiteres Umweltproblem ist der Bauxit-Tagebau, der die Flüsse verschmutzt und die Indios gefährdet. 2000 erlitt zum Beispiel der Fluss Iguacu eine Ölpest. Ein Jahr später sank vor der brasilianischen Küste die größte Ölplattform der Welt und bedrohte das dortige Ökosystem. In den Städten hat man mit Luftverschmutzung und Abwässer zu kämpfen.

Brasilien hat sich an diesen Umweltabkommen beteiligt: Ramsar-Konvention (1971), Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES (1973), Konvention über die biologische Vielfalt (1992), Basler Konvention (1989), Rahmenübereinkommen über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen (1992), Kyoto-Protokoll (1991).

Kultur

Medien

Im Jahre 2002 wurde die Verfassung in der Hinsicht verändert, dass die Anteile ausländischer Unternehmen an den nationalen Medien nicht größer als 30 % sein dürfen.

Printmedien


Abb.: O Globo, 2004-08-07

In Brasilien gibt es etwa 380 Tageszeitungen. Die bekanntesten von ihnen sind Folha de São Paulo, O Día und O Globo. Letztere gehört zur Globo-Gruppe, die die brasilianische Medienlandschaft beherrscht. Ihre jetzige Stellung wird aber von internationalen Konzernen und dem Internet bedroht.

Radio und Fernsehen

Es gibt einen staatlichen Radiosender neben über 2.900 privaten Stationen. In ganz Brasilien gab es 1997 etwa 70 Millionen Radiogeräte. Darüber hinaus gibt es 19 staatliche und etwa 250 private Fernsehsender. Die Reichweite des Mediums Fernsehen ist in Brasilien relativ groß: 90,3 % der Haushalte hatten 2003 einen Fernseher.

Internet

Im Jahre 1999 gab es 200 Internetdienstanbieter. Fünf Jahre später (2004) galten gut 19,3 Millionen Brasilianer als Internet-User. Eine Zensur des Online-Angebots gibt es nicht.


Abb.: Internet in Brasilien, Mai 2005
[Bildquelle: http://www1.folha.uol.com.br/folha/informatica/ult124u18521.shtml. -- Zugriff am 2005-12-16]

[...]

Sport


Abb.: Brasilianische Fußballnationalmannschaft (gelbe Trikots)

National- und auch Volkssport des Landes ist Fußball. Die Brasilianische Fußballnationalmannschaft ist fünfmaliger Weltmeister und damit die erfolgreichste Nationalmannschaft der Welt. Darüber hinaus gewann Brasilien sieben Mal die Copa América, die Südamerika-Meisterschaft. Sie haben Stars wie Ronaldinho, Ronaldo, Adriano, Roberto Carlos, Kaka, Emerson und Pele. Ein Großteil der Bevölkerung spielt aber Fußball mit einfacheren Verhältnissen wie selbst gemachten Bällen auf Schotterplätzen. Viele Kinder und Jugendliche wollen Fußballprofi werden, weil es eine der wenigen Möglichkeiten ist, der Armut zu entgehen.

Sehr beliebt ist auch Volleyball in Brasilien. Besonders für Beachvolleyball ist das südamerikanische Land bekannt. Zudem wurde Footvolley, eine Mischung aus Fuß- und Volleyball, in Brasilien erfunden

Des Weiteren ist Brasilien der Gastgeber des letzten im Formel-1-Rennkalender verbliebenen lateinamerikanischen Grand Prix, des Großen Preises von Brasilien, und hat bedeutende Rennfahrer hervorgebracht wie Emerson Fittipaldi, Nelson Piquet, Ayrton Senna und Rubens Barrichello.

Bekanntester Tennisspieler Brasiliens ist Gustavo Kuerten.

Als typisch brasilianisch kann Capoeira bezeichnet werden, was besser mit dem Begriff Kampftanz denn mit Kampfsportart kategorisiert wird. Capoeira wurde von der schwarzen Bevölkerung praktiziert. Da es den Sklaven nicht erlaubt war, irgendeine Art von Waffen zu tragen, entwickelten sie Capoeira als Form der Selbstverteidigung: Sie verbindet kämpferische Elemente mit Akrobatik, Spielerei und Tanz. In den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich eine gewisse Mode um Capoeira. Sie ist mittlerweile in der ganzen brasilianischen Bevölkerung verbreitet und findet auch im Ausland Beliebtheit.

Feiertage


Abb.: Nossa Senhora da Conceição Aparecida, die Gottesmutter Maria, Schutzpatronin Brasiliens

 

gesetzliche Feiertage
Datum Name Deutscher Name Anmerkungen
1. Januar Confraternização Universal Neujahr  
20. Januar São Sebastião Sankt Sebastian nur in Rio de Janeiro
25. Januar Aniversário de São Paulo Gründung der Stadt São Paulo nur in São Paulo
beweglich Carnaval Karneval zweitägig
beweglich Quarta-feira de Cinzas Aschermittwoch nur morgens
beweglich Sexta-Feira da Paixão Karfreitag  
beweglich Páscoa Ostern (Ostersonntag)  
21. April Tiradentes Gedenken an Joaquim José da Silva Xavier genannt Tiradentes
Nationalheld Brasiliens
 
23. April São Jorge Sankt Georg nur in Rio de Janeiro
1. Mai Dia do Trabalho Tag der Arbeit/ Maifeiertag  
beweglich Corpus Christi Fronleichnam  
9. Juli Revolução Constitucionalista konstitutionelle Revolution nur im Bundesstaat São Paulo
7. September Independência do Brasil Unabhängigkeitstag Brasiliens  
12. Oktober Nossa Senhora Aparecida Erscheinung der Gottesmutter Maria (Schutzpatronin Brasiliens) auch als Kindertag gefeiert
2. November Finados Allerseelen  
15. November Proclamação da República Nationalfeiertag (Ausrufung der Republik)  
20. November Zumbi dos Palmares, Dia da Consciência Negra Zumbi von Palmares,
Gedenktag an Schwarze
nur in Rio de Janeiro
25. Dezember Natal Weihnachten (1. Weihnachtsfeiertag)  


Abb.: Zeitschrifteneinbandtitel
[Bildquelle: http://www.ileaiye.com.br/biblioteca.htm. -- Zugriff am 2005-12-17]

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Brasilien. -- Zugriff am 2005-12-17]


3. Räumliche Trennung der Gesellschaftsschichten


"Trotz Job auf der Strasse schlafen : neue soziale Phänomene durch Reallohnverlust und Rekordarbeitslosigkeit in Brasilien

von Klaus Hart

Im Nationalkongress von Brasilia droht im März ein verzweifelter Arbeitsloser damit, sich von der hohen Zuschauer-Brüstung in den Senatssaal zu stürzen – die Parlamentarier unten springen aus den bequemen Ledersesseln, flehen ihn an, es nicht zu tun, sammeln in Windeseile Geld, versprechen ihm einen Job. Schließlich lässt er von seinem Vorhaben.

Der Mann macht genauso Schlagzeilen wie die beinahe täglichen Zusatz-Verkehrsstaus in den Millionenstädten wegen riesiger  Schlangen von Arbeitssuchenden. In der Amazonas-Hauptstadt Manaus braucht ein Supermarkt einige Aushilfskräfte – über zwölftausend stellen sich an. In São Paulo bietet die U-Bahn dreißig Stellen – tagelang stehen sich deshalb über einhundertdreißigtausend Menschen die Beine in den Bauch. Das lockende „Traumsalär“ – umgerechnet keine zweihundertfünfzig Euro monatlich.

Für Hochqualifizierte, mit Uni-Abschluss, die gleiche Situation: Private, staatliche Unternehmen haben oft nur zwei, drei, fünf Stellen frei, unterziehen dafür aber gleich Tausende von Bewerbern sonnabends und sonntags jeweils sechsstündigen schriftlichen Prüfungen, mieten dafür Gymnasien, Fakultäten an. Unter den Akademikern São Paulos ist derzeit die Arbeitslosenrate höher als unter den  Analphabeten -  mehr Bildung  vergrößert keineswegs mehr – wie früher – die Beschäftigungschancen. Unvergessen ist, wie letztes Jahr  in Rio sogar Anwälte, Ärzte, Lehrer und Buchhalter mit über hunderttausend weit weniger Qualifizierten nur um die Anwartschaft auf eine Stelle als „Gari“, Straßenfeger konkurrierten –  alle wurden ausgerechnet im Sambodrome, dem weltberühmten Schauplatz der prächtigen Karnevalsparaden, in provisorischen Präfekturbüros registriert. 


Abb.: São Paulo, Hauptverkehrswege
[Bildquelle: http://www.reed.edu/~reyn/transport.html. -- Zugriff am 2005-12-18]

Der neue Staatschef Lula war vor allem wegen seiner Versprechen gewählt worden,  Erwerbslosigkeit und Armut rasch und wirksam zu bekämpfen – doch nun sorgen  die von seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik provozierte Rekordarbeitslosigkeit, dazu der stetige Reallohnverlust,  für immer neue schockierende Sozialphänomene. Virginia de Jesus Santos  wäre mit dem Bus bequem in  einer halben Stunde auf ihrer Arbeit – doch der kostet umgerechnet fünfzig Cents, und das ist für die Brasilianerin unerschwinglich teuer. Also steht sie jeden Tag vorm Morgengrauen auf, läuft drei Stunden größtenteils im Nachtdunkel bis in die City der Megametropole São Paulo - und abends wieder drei Stunden im Dunkeln zurück. Anders könnte sie die Miete für das winzige Zimmer, in dem sie mit ihren beiden Kindern lebt, nicht aufbringen – ganz zu schweigen vom Essen, der Kleidung für alle drei.


Abb.: São Paulo Metro, Station Consolação
[Bildquelle: Wikipedia]

In Südamerikas reichster Stadt und Wirtschaftslokomotive mit über tausend deutschen Firmen verfahren inzwischen rund zweihunderttausend auf die gleiche Weise – bei brasilianischen Stundenlöhnen von nicht selten unter fünfzig Cents ist jemand, der auch noch mehrmals umsteigen und damit mehrmals zahlen müsste, schlichtweg geliefert, lässt Busflotten, Vorortzüge und Metro an sich vorübersausen.  Gar nicht mitgerechnet jene Hunderttausenden, die sich täglich paradoxerweise im Verkehrsgetümmel der drittgrößten Stadt der Welt zu Fuß auf die Arbeitssuche machen. Andere, die weit entfernt an der Slumperipherie hausen, doch mit einem dreistündigen Fußmarsch wie Virginia de Jesus Santos längst nicht  Hütten und Katen erreichen, stellten sich noch radikaler um: Wochentags schlafen sie nach der Arbeit wie die Obdachlosen unter Brücken, in Parks und Massenasylen, machen sich nur am Wochenende auf den langen Weg, sehen nur dann ihre Familien.

Nicht zufällig ging die letzten Jahre in ganz Brasilien die Zahl der Busbenutzer um dreißig, in São Paulo sogar um fünfzig Prozent zurück – während gleichzeitig die Fahrscheine um bis zu sechzig Prozent teurer wurden. Weil auch im zweiten Amtsjahr Lulas die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe bleibt, die ohnehin niedrigen Reallöhne bereits im ersten Amtsjahr abrupt um durchschnittlich vierzehn Prozent sanken, beobachten die Kirche, aber auch die Sozialwissenschaftler ständig neue Verhaltensweisen. Wer sich am Strand von Rio, im Ibirapuera-Park von São Paulo ein Samba- oder Klassikkonzert mit der Bier- oder Cola-Büchse in der Hand anhört, dem wird die  ausgetrunkene „Lata“ regelrecht aus der Hand gerissen, gibt es neuerdings oft gleich mehrere „Anwärter“: Jugendliche, junge Erwachsene, die auf den Arbeitsmarkt drängen und trotz oft guter Bildung einfach keine Stelle finden – entlassene Fabrikarbeiter und selbst Rentner, von denen etwa achtzig Prozent  mit nur  umgerechnet 75 Euro auskommen müssen. Durvalina do Nascimento in São Paulo war mit der Miete im Rückstand, hatte nicht einmal mehr Geld für eigentlich billigen Reis, reihte sich deshalb mit 72 Jahren ins Heer der „Catadores de Lata“ ein, bekommt für zwei große Säcke voll plattgetretener Alu-Dosen umgerechnet achtzig Cents.


Abb.: Brasilianische Bierdose

In keinem Land der Erde werden derzeit makabrerweise „dank“ hoher Arbeitslosigkeit mehr Latas recycelt, ist der Begriff „Dosenpfand“ unbekannt. Und gehört jenes Krachen, wenn Catadores eine Lata routiniert per Fußtritt verkleinern, zu den normalen Strassengeräuschen auch in Rio, Salvador da Bahia oder Recife. In manchen Vierteln von São Paulo sind über siebzig Prozent arbeitslos. Doch ohne Zugang zu bezahlbaren Verkehrsmitteln bleiben die meisten im Ghetto, verzichten zwangsläufig  auf die Stellensuche, vegetieren in psychischer und physischer Lethargie dahin. Denn mehr als sechzig Prozent der brasilianischen Erwerbstätigen sind im sogenannten informellen Sektor tätig, arbeiten also nach europäischen Kriterien schwarz, ohne soziale Rechte – stehen bei Krankheit, Unfällen oder Arbeitslosigkeit ohne einen Centavo da. Und selbst in São Paulo existieren gemäß einer neuen Studie 72 Prozent der Firmen schwarz, führen also auch keine Steuern ab – geduldet von den Autoritäten. 


Abb.: Kardinal Geraldo Majella Agnelo
[Bildquelle: http://www.katolsk.no/utenriks/personer/agnelo/. -- Zugriff am 2005-12-18]

Im zweiten Regierungsjahr räumt der Staatschef kleinlaut ein, dass durch Wirtschaftswachstum – 2003 war die Ökonomie sogar geschrumpft – nicht notwendigerweise neue Stellen geschaffen würden, da die Firmen auf Rationalisierung und Überstunden setzen. „Hauptfunktion der Wirtschaft ist es, den Menschen ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu ermöglichen“, stellte daraufhin die  Bischofskonferenz CNBB erneut klar.“  Ihr Vorsitzender, der als gemäßigt geltende Kardinal Geraldo Majella Agnelo, kritisierte im März die Wirtschafts- und Sozialpolitik Brasilias sogar in bisher schärfster Form, forderte erstmals „radikale Änderungen“ der Regierungslinie: “Hunger und Misere gab es immer in Brasilien – doch nie waren sie so sichtbar wie heute. Früher sah man in den Strassen nur Armut, doch so viel Elend wie heute nicht. Die Realität des brasilianischen Volkes ist heute ein tristes Schauspiel.“ Nur zu viele hätten nicht genügend zu essen – damit werde die Würde des Menschen verletzt, das sei Gewalt. Angesichts der Rekordgewinne von Banken und Spekulanten unter Lula  analysierte Agnelo:“ Man sorgt sich sehr darum, die Kapital-Seite zu belohnen, doch der Arbeit alle Last aufzubürden.“  Selbst er gehört inzwischen offenbar zu jenen, die bei Lulas tagtäglichen populistischen Reden, gehalten im In-und Ausland, nur noch abwinken: “Er hat immer dasselbe gesagt – doch die Wirklichkeit ist ganz anders.“ 

Nach den jüngsten Skandalen und Affären der Regierung  murrt selbst das Regierungslager, drohen konservative Koalitionspartner mit dem Absprung, herrscht im Präsidentenpalast erstmals „Clima de Velorio“, Begräbnisstimmung. Im Juli 2003 startete Lula mit großem propagandistischem Aufwand das Beschäftigungsprogramm „Primeiro Emprego“ (Erste Arbeitsstelle) – innerhalb von zwölf Monaten sollten 250.000 junge Leute einen Job erhalten. Das kam gut an, das Volk gab Lula weiterhin einen großen Vertrauensvorschuss.  Doch neun Monate später erweist sich „Primeiro Emprego“ als Flop – nur 503 Stellen wurden bisher vergeben. Gemäß neuesten Umfragen sinkt die Popularitätsrate des Staatschefs erstmals deutlich, sieht erstmals eine Mehrheit das Land auf dem falschen Weg. Lula versucht wieder einmal auf seine Weise gegenzusteuern – weiht Ende März mit großem Pomp im Teilstaate Minas Gerais die große Straßenbrücke „Ponte Presidente Lula“ ein. Wie käme das wohl in Deutschland an, würde Gerhard Schröder grade jetzt  vor viel herangekarrtem Volke und Würstchenbuden eine „ Kanzler-Schröder-Brücke“ dem Verkehr übergeben? "

[Quelle: Klaus Hart. -- http://www.ila-bonn.de/brasilientexte/trotzjob.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]

"Freiwillig eingesperrt : Privilegierten-Ghettos als Gesellschaftsmodell

von Klaus Hart


Abb.: Eingang zu einem Condominio fechado
[Bildquelle: http://www.vitruvius.com.br/arquitextos/arq035/arq035_01.asp. -- Zugriff am 2005-12-18]

Übermannshohe Mauern, obendrauf zusätzlich Hochspannungs-Drahtverhaue, Überwachungskameras, misstrauisch dreinblickende Privatpolizei mit Walky-Talkys am pompösen Tor – dahinter Villen oder luxuriöse Penthouse-Blocks, viel Grün, Swimmingpools, Tennisplätze: Brasiliens Betuchte schotten sich immer perfekter gegen Misere und ausufernde Kriminalität ab. Fährt der Dominikaner Frei Betto durch die besseren Viertel der 18-Millionen-Stadt São Paulo, kommt er immer wieder an solchen „Condominios fechados“, geschlossenen Wohnanlagen vorbei, nennt sie ironisch „Luxusgefängnisse“. Über dreihundert gibt es bereits im größten deutschen Wirtschaftsstandort außerhalb Deutschlands, die Nachfrage ist enorm, auf den Wartelisten stehen auch deutsche Manager. Kein Tag ohne ganzseitige Farbanzeigen in den großen Blättern: 

“Komm und lebe in Freiheit, Sicherheit, Grün!“ – ob im neuen „Swiss Park“, im „Liberty Village“, der „Ville Versailles“. Familienfreundlichkeit ist ein wichtiges Werbeargument: “Hier werden Deine Kinder wie VIPs behandelt!“. Zehn Megaprojekte, jedes mit durchschnittlich 1300 Villen-Geländen, sind brasilienweit im Bau. Vor sechs Jahren lebte nur rund eine halbe Million in solchen Privilegiertenghettos, heute etwa dreimal soviel. Nimmt man die abgesperrten Villen-Privatstrassen der besseren Viertel hinzu kommt man brasilienweit sogar auf über sechs Millionen. Allein Rio de Janeiros Südzone der Strandviertel zählt rund sechzig „Ruas fechadas“. Pionier-„Ghetto“ São Paulos war Alphaville, gegründet vor fast dreißig Jahren – heute eine Stadt in der Stadt mit rund vierzigtausend Bewohnern, einziges Condominio Brasiliens in dieser Größenordnung. Zwischen Lateinamerikas Wallstreet, der Avenida Paulista in São Paulos City, und Alphaville pendeln ständig komfortable Sonderbusse.


Abb.: Frei Betto <Carlos Alberto Libânio Christo> (1944 - ) (in Zürich)
[Bildquelle: http://www.angelfire.com/bug/rosana/2.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]

Alles nicht nur für den in Deutschland durch Bücher, soziologische Vorträge bekannten Frei Betto ein Absurdum: “Die Stadt sollte Ort des Zusammentreffens, Austauschs, der Solidarität sein – wurde stattdessen zur Geisel der Banditengewalt – mit Condominios provozierender Opulenz, eingekesselt von Misere. Wir sind Fußballweltmeister – aber unglücklicherweise auch Weltmeister in sozialer Ungleichheit.“ Vierundsechzig Prozent des Volkseinkommens, so der einstige enge Berater von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, seien in der Hand von nur zehn Prozent der Brasilianer, also von nur siebzehn Millionen. Ein Bauarbeiter, der solche “Luxusgefängnisse“ miterrichtet, verdient nur umgerechnet zwischen siebzig Cents und zwei Euro die Stunde, wohnt deshalb an der ausgedehnten Slumperipherie. „Anstatt die Ursachen von Misere, Armut und Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, flieht Lateinamerikas Elite vor den Folgen eigener Politik, zieht es vor, den eigenen Reichtum herauszustellen, baut deshalb diese Condominios fechados, Inseln der Phantasie – voller Angst vor denen auf der Strasse, vor dem öffentlichen Raum.“ Denn dort schlägt dieser Elite nur zu oft blanker Hass der in Jahrhunderten durch Elend Brutalisierten entgegen, wie Brasiliens größte Qualitätszeitung, die „Folha de São Paulo, kommentiert.

 Die Gewaltbereitschaft vor allem der perspektivlosen Unterschichtsjugend ist so groß, dass etwa in São Paulo selbst Großdiskotheken und Samba-Ballhäuser nachts vorsorglich von schwerbewaffneter Militärpolizei und Munizipalgarde umstellt werden. Man muss sich nur einige Basisfakten vor Augen führen: In Südamerikas reichster Stadt genießen gemäß einer neuen Präfekturstudie gerade 3,46 Prozent der Bevölkerung einen europäischen Sozialstandard und nur zehn Prozent den durchschnittlich asiatischen – doch über die Hälfte lebt wie in Afrika, fast ein Drittel wie in Indien. Etwa alle acht Tage entsteht ein neuer Slum, obwohl allein in der City ganze Wohnblocks, mit über vierzigtausend meist gutausgestatteten Appartements, teils seit sieben Jahren leerstehen. Besetzer werden gnadenlos von der Polizei herausgeprügelt. 

Die größtenteils in Aachen aufgewachsene Afghanin Maryam Alekozai machte in einem Slum São Paulos, der jährlich über fünfhundert Mordtote zählt, ihr soziales Jahr, zeigte sich über die Sozialkontraste schockiert: “Tagsüber, nachts fallen Schüsse, immer wieder verlieren Kinder ihre Väter. Das ist hier gar nicht so anders wie damals in Afghanistan, als ich klein war. Der Unterschied zwischen einem fünfjährigen Mädchen hier und in Deutschland ist so groß! In den Augen der brasilianischen Kinder sehe ich Hass, ganz tiefen Hass – und Wut. Man blickt nicht in Kinderaugen, sondern eigentlich in Augen von Erwachsenen, die voller Aggressionen sind. Gewalt und Ungerechtigkeit, die in diesem Land herrschen, spiegeln sich in deren Augen – unübersehbar!“ In Sichtweite glitzernder Hightech-Geschäftshäuser und Condominios sind neofeudale Banditenmilizen, die Maschinenpistolen der NATO-Armeen tragen, unumschränkte Herrscher, terrorisieren Bewohner, verhängen Ausgangssperren – manche minderjährige Kindersoldaten São Paulos killten bereits bis zu vierzig Menschen. Immer wieder werden auch in Rio de Janeiro Slumbewohner, die sich dem Normendiktat widersetzen, zur Abschreckung lebendig verbrannt. Hätte Deutschland eine Gewaltrate wie Brasilien, würden dort jährlich nicht über tausend, sondern weit über zwanzigtausend Menschen umgebracht, befänden sich mehr als zehn Millionen illegaler Waffen fast jeden Kalibers in Privat- bzw. Gangsterhand.

Granatensichere Bunker im Penthouse

Der neueste Hit – Spezialbunker in der Villa, im Luxusappartement, sogar granatensicher. Falls doch einmal hochspezialisierte Einbrecherbanden, Geiselnehmer die „erste Verteidigungslinie“ des Condominio fechado durchbrechen sollten, hätte man hier noch eine Rückzugsmöglichkeit. Kostenpunkt – ab umgerechnet 150.000 Euro aufwärts. Damit es möglichst nicht soweit kommt, haben manche Condominios mehr als 180 Überwachungskameras in Korridoren, Treppenhäusern, Liften, Garagen, Sportanlagen, am Schwimmbad – Big Brother is watching you. Das Verrückteste - neuerdings haben vielerorts auch die Bewohner per Internet Zugang zum Monitor der Sicherheitsleute, können damit beobachten, was Nachbarn, Gäste gerade im Aufzug oder anderswo tun und treiben.


Abb.: Fernando Henrique Cardoso (1931 - )
[Bildquelle. de.wikipedia]

Lateinamerikas Betuchten geht es materiell prächtig. Die Zahl der brasilianischen Millionäre wuchs seit 1997 um die Hälfte, 2001 gar um zwölf Prozent – im Rest der Welt nur um drei. Brasiliens Vermögende bedankten sich beim sozialdemokratischen Staatschef und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso – seine neoliberale Politik war für sie in dessen zweiter, bis Ende 2002 reichender Amtszeit besonders segensreich, förderte die Einkommenskonzentration enorm. Unter Lula ging es so weiter – gleich im ersten Amtsjahr schlitterte Brasilien zwar in die Rezession, verzeichnete Rekordarbeitslosigkeit, starken Reallohnverlust, doch immerhin fünftausend Betuchte wurden interessanterweise (Dollar-)Millionäre, erhöhten deren Zahl im Lande auf etwa neunzigtausend. Inzwischen sind es über hunderttausend. Unter den ersten zehn Milliardären des Erdballs sind auch zwei Brasilianer, leben wie die meisten Reichen in São Paulo, haben allerdings wie die anderen Begüterten an den traditionellen Elitedistrikten nicht mehr viel Freude. Entführungen gleich in Serie schlagen aufs Gemüt; auch fast alle ausländischen Manager, darunter die deutschen, fahren nur in gepanzerten Limousinen. Und nur in Indien gibt es mehr Arbeitslose als in Brasilien, Misere und Kriminalität nehmen unaufhörlich zu; pro Jahr werden selbst nach den geschönten offiziellen Daten in der immerhin vierzehnten Wirtschaftsnation über vierzigtausend Menschen ermordet. Da auch unter dem neuen sozialdemokratischen Staatschef Lula Slumwachstum und Arbeitslosigkeit bisherige Rekorde brechen, dauert die Flucht in die Condominios weiter an, freuen sich Baufirmen und Architektenbüros über ein regelrechtes „Boom-Fieber“. 


Abb.: Barra da Tijuca, Rio de Janeiro
[Bildquelle: http://www.transamerica.com.br/lwp/us/htconselho.localizacao.salvador/. -- Zugriff am 2005-12-18]

Aber nehmen wir den Jugendlichen Alvaro, aus guter Anwaltsfamilie, der in Rio de Janeiros Strandviertel Barra da Tijuca realitätsfremd fast ständig hinter Gittern lebt – in einem weitläufigen Bilderbuch-Kondominium der Mittel- und Oberschicht mit allem Drum und Dran. Swimmingpools, Spiel- und Tennisplätze, Golfwiesen und etwas Park, ferner eine Bäckerei, eine Apotheke, ein Fitness-Center und vor allem Sicherheit im Übermaß. Denn der ganze Condomínio ist von hohen Gitterstäben umgeben und wird von einer bewaffneten Spezialgarde überwacht – ein Berufsstand, dreimal so kopfstark wie die brasilianischen Streitkräfte. Auch Alvaros Familie hat natürlich mehrere Hausangestellte – am stabilen Portal mit den TV-Kameras werden sie wie andere Ortsfremde gefilzt, die Gutbetuchten lassen sich ihre Sicherheit jährlich nicht weniger als 28 Milliarden Dollar kosten. Das Kontroll-Ritual an der Einfahrt erinnert an das von Militär- oder Geheimdienst-Objekten: Will ein Wagen hinein, wird er zunächst misstrauisch beäugt, passiert dann die erste übermannshohe Sperre, die sich hinter ihm sofort wieder schließt. Doch die zweite Sperre wird erst nach eingehender Kontrolle des Wagens und seiner Insassen geöffnet. 

Ein Fahrer bringt den jungen Alvaro morgens zur Privatschule, nachmittags zurück. Für ihn besteht kaum noch die Notwendigkeit, den Condomínio, gelegentlich „goldener Käfig“ genannt, zu verlassen, andere Viertel oder gar den nahen Atlantikstrand zu frequentieren. In Barra da Tijuca, einer Miami-Kopie für Neureiche und Aufsteiger, zählt Alvaro zu jenen Kids, die von Rest-Rio weit weniger kennen als der oberflächlichste Copacabana-Tourist. Das berühmte Opernhaus, Klöster und Kirchen der Altstadt haben sie bestenfalls auf Prospektfotos gesehen. Besorgte bildungsbeflissene Eltern organisieren deshalb regelmäßig Bustouren, die den Sightseeing-Trips für Ausländer aufs Haar gleichen – auch Alvaro musste einmal mit. Sein bester Freund Patrick wohnt im selben Condominio, der Vater, ein Unternehmer, bedauert: “Mit meinen Geschwistern habe ich früher noch vor dem Elternhaus auf der Strasse Fußball gespielt, sind wir mit dem Rad einfach so rumgefahren – für meine Kinder wäre das alles heute dort völlig unmöglich, wegen der Kidnapper und Straßenräuber viel zu gefährlich. Nur hier, im Condominio, brauche ich mir um sie keinerlei Sorgen zu machen.“ 

Schon absurd – in Barra da Tijuca werden die neuesten Wohnanlagen mit immer größeren Freizeitparks, Pools, Spaßbädern bestückt – als läge einer der schönsten, saubersten Strände der Welt nicht wenige Fußminuten entfernt. „Das ist der neueste Trend beim Condominio-Bau“, erläutert ein Chefarchitekt, „keineswegs zusätzlicher Luxus, sondern eine Notwendigkeit." Denn die Zehn-Millionen-Stadt Rio sei nun einmal nicht sicher. Für São Paulo und die anderen Millionenstädte gilt das gleiche – und solange die Prominentenghettos noch nicht über Privatschulen verfügen, wird für Alvaros Altersgenossen an den College-Toren täglich ein Sicherheits-Zirkus veranstaltet, der Mitteleuropäern den Mund offenstehen lässt: Damit nach Schulschluss alle Privilegiertenkids wohlbehütet wieder zu ihren Condominios und Villen gelangen, wird beispielsweise am „Colègio Dante Alighieri“ São Paulos das halbe Viertel durch Militärpolizisten und Body-Guards abgeriegelt, sperrt die Verkehrspolizei sogar Strassen ab, damit die Panzerlimousinen zügig davonbrausen können. Auch diese Kids sagen stets, die Stadt nur wenig zu kennen. 


Abb.: Colègio Dante Alighieri, São Paulo
[Bildquelle: http://www.homedante.com.br/institucional/content/cat20040802_18/new20040820_53/view. -- Zugriff am 2005-12-18]

Hat diese sogenannte Condominio-Generation ein bestimmtes Profil? Soziologen, Anthropologen haben sich der Frage bereits ausführlich gewidmet, Fallstudien angefertigt. Denn so nobel, kultiviert, geordnet, zivilisiert, wie manche denken, geht es in den Elite-Enklaven keineswegs zu – vieles erinnert vielmehr an Gepflogenheiten aus der Kolonialzeit. In einem Luxus-Condominio bei São Paulo beispielsweise wurden sogar schon Elf- und Zwölfjährige beim Haschischrauchen angetroffen, den Eltern offenbar egal. Gar nicht wenige erlauben zudem ihren Kindern, im Condominio mit dem schweren Wagen der Familie herumzubrausen, dort sogar Rennen zu veranstalten. Natürlich versuchten die Wachleute einzugreifen, das Treiben unter Hinweis auf die Condominio-Ordnung zu beenden. Doch da griffen sofort die betuchten Eltern ein, verteidigten ihre Kids, verbaten sich solche Verbote. Und die schlechtbezahlten Wachleute ignorierten künftig alles, aus Angst, die Stelle zu verlieren. Gewöhnlich haben weder Militär- noch Zivilpolizei Zutritt zu den Condominios. Als ein besorgter Vater den ausufernden Konsum auch harter Drogen beenden wollte, deshalb eine Gruppe von Polizeibeamten hineinließ, wurde er von einer Elternkommission beinahe gelyncht: „Im Condominio bestimmen nur wir.“ Sogar Diebstähle werden in Brasiliens Reichenghettos vertuscht. Auch andere Straftaten, die außerhalb der Condominio-Mauern natürlich ein Fall für Justiz und Polizei wären, werden vergeben. Deshalb betont die angesehene Psychoanalytikerin Maria Rita Kehl, dass die schlimmsten Beispiele von Verantwortungslosigkeit und fehlender Bildung stets die nationale Elite liefere, seit jeher daran gewöhnt, mit einer Serie illegaler Praktiken verschiedenster Schwere zu leben. „Väter bieten dem Verkehrspolizisten ein Bestechungsgeld an, damit er von einer Bestrafung lässt, fordern in der Privatschule die Entlassung jenes Lehrers, der aus objektiven Gründen den Sohn nicht versetzte.“ 


Abb.: Maria Rita Kehl
[Bildquelle. http://www.estacaoliberdade.com.br/autores/kehl.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]

Den Kindern werde von klein an gezeigt, dass sich mit Geld aber wirklich alles kaufen, erkaufen lasse. Und dass selbst aus Luxuskarossen immer wieder Flaschen, Büchsen anderer Müll auf die Strasse geworfen werden, beobachtet jeder einmal in Brasilien – dieser Teil der Stadt, so Maria Rita Kehl, sei schließlich nicht ihrer, sondern jener „der anderen“. Zynismus und illegale Praktiken der Elite korrumpierten, bildeten für das Verbrechen sehr effizient einen beträchtlichen Teil der jungen Generation heran, schlussfolgert die Therapeutin. Elitekids, jene zukünftigen neoliberalen Entscheidungsträger der Mittel- und Oberschicht, werden in repräsentativen Studien als antisozial, superindividualistisch, apolitisch sowie zu Autoritarismus und Gewalt neigend beschrieben. Fast 98 Prozent nennen als allerersten Lebensinhalt einen guten Posten und ein hohes Gehalt, um absolut desinteressiert am Zustand und der Zukunft des Landes ein sorgenfreies Leben führen zu können. Ein Gefühl von Verantwortlichkeit für die soziale Misere, die krass ungerechte Einkommensverteilung existiere nicht. Auffällig zudem, dass unter diesem Jugend-Segment der Einfluss der nordamerikanischen Kultur am stärksten sei. 

Aber ist es wirklich nur das immer wieder herausgestellte Sicherheitsargument, das Betuchte in die Condominio-Ghettos zieht? Die Soziologin Ana Roberts verneint dies nach ausgedehnten Untersuchungen. Am meisten habe sie überrascht, dass es den Bewohnern sehr wesentlich um Status gehe. Wer im Condominio lebe, betone damit vor aller Welt, „ich bin anders“, gehöre zu den Privilegierten. Ebenso werde immer die „bessere Bildung und Erziehung der Kinder“ als Wohnargument betont. Auch da sind laut Ana Roberts große Zweifel angebracht, weil innerhalb des Condominios nur zu oft den Heranwachsenden kaum Grenzen gesetzt würden. Sie nannte den Fall einer Mutter, die ihr Kind zwar seit sage und schreibe drei Tagen überhaupt nicht gesehen habe, dennoch völlig unbesorgt sei – in der Gewissheit, dass es irgendwo im Condominio stecke.

USA fürchten „Brazilianization“


Abb.: Einbandtitel

Michel Lind, Buchautor, neokonservativer Herausgeber der US-Zeitschrift „The New Republic“, hat diese seit Jahrzehnten existierenden Sozialstrukturen nicht nur in Rio, sondern auch in São Paulo ausgiebig studiert, im Buch „The Next American Nation“ eine ernste Warnung an seine Landsleute gerichtet:“ Wir befinden uns in einem besorgniserregenden Prozess der Brasilianisierung, hin zu einem tyrannischen System immer ungleicherer sozialer Klassen.“ Für Lind bedeutet Brazilianization, “dass sich die dominierende weiße amerikanische Klasse innerhalb der eigenen Nation noch weiter in eine Art Barrikadennation zurückzieht – in eine Welt abgeschirmter Viertel mit Privatschulen, Privatpolizei, privater Gesundheitsbetreuung und selbst Privatstrassen.“ Nicht anders als eine lateinamerikanische Oligarchie könnten die reichen und mit wohlfeilen Kontakten ausgestatteten Mitglieder der herrschenden Oberschicht prosperieren - draußen das dekadente Amerika mit Ungleichheit und Kriminalitätsraten ähnlich Brasilien, all die Miserablen, Bettler, Straßenkinder. Und ebenso wie in Brasilien sei dann die Mehrheit der Schwarzen und Mischlinge in der Unterschicht anzutreffen – und zwar für immer. 

Schon 1996 urteilte Victor Bulmer-Thomas, Direktor des Zentrums für lateinamerikanische Studien an der Londoner Universität: “Ebenso wie die alte französische Aristokratie, fühlen sich die Eliten Lateinamerikas nur dann erst richtig reich, wenn sie von Armen umgeben sind.“ Cristovam Buarque, Brasiliens neuer Bildungsminister, geht sogar soweit, die Eliteangehörigen nicht zu den Staatsbürgern zu zählen: “Die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen, ob in Einkommen, Bildung, Wohnniveau, Transport, Freizeitverhalten, Ernährung und Umgangsformen, ist so gewaltig, dass die Elite im Grunde nicht mit am gleichen Tisch sitzt, nicht über die gleichen Themen spricht, nicht jenes Gefühl hat, zum selben Volk zu gehören... Im Brasilien des 21. Jahrhunderts sieht sich die Elite so entfernt vom Volke wie im 19.Jahrhundert.“ Kirchliche Soziologen wie Eva Turin aus São Paulo machen bei den vielen betuchten Deutschen der Megametropole ähnliche Haltungen aus: “Sie benehmen sich wie die Elite der Elite, noch über den reichsten Brasilianern, mischen sich nicht mit uns, solidarisieren sich nicht.“

„Sklavenhaltermentalität“


Abb.: Kardinal Aloisio Lorscheider
[Bildquelle: http://home19.inet.tele.dk/kat-web/lorscheider.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]

Brasiliens katholische Kirche hat die Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik der Geld- und Politikerelite stets hart kritisiert – deutliche Worte kamen vor allem von dem deutschstämmigen Kardinal Aloisio Lorscheider und natürlich Kardinal Evaristo Arns in São Paulo, der die „Sklavenhaltermentalität“ immer noch tief verwurzelt sieht. Schwarze, Mulatten sind in Brasilien die typischen Slumbewohner und werden mittels eines verdeckten Systems der Apartheid am sozialen Aufstieg gehindert. Der zu PR-Zwecken noch von jeder brasilianischen Regierung um die Welt geschickte Multimillionär, Ex-Fußballspieler und Ex-Sportminister Pelè ist jene Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die Brasilianisierungsdebatte wurde auch durch Roberto da Matta, einen der bekanntesten, derzeit in den USA lehrenden brasilianischen Anthropologen bereichert. Michel Lind habe die Dinge korrekt charakterisiert, die hierarchische Gesellschaftsstruktur genau beschrieben: “Die Elite hat immer Paris, London und New York viel mehr geliebt; im Grunde genommen heißt, zur Brasiliens Elite zu gehören, Ausländer im eigenen Land zu sein.“ Als schwerwiegendes Problem sieht Da Matta, dass die Oberschicht Brasilien nicht mag, „und was man nicht gern hat, kann man nicht kultivieren, pflegen.“


Abb.: Buchtitel

Seine Kollegin Teresa Caldeira hat über Condominios fechados sogar ein vielbeachtetetes Buch, „Stadt der Mauern“ [City of walls], geschrieben. Sie nennt es verhängnisvoll, dass sich die Elite einmauere, aus dem öffentlichen Raum der Städte zurückziehe, anstatt diesen zu verbessern. “Die Begüterten bewegen sich in gepanzerten Limousinen oder Helikoptern, mit Leibwächtern fort, kaufen in gutbewachten Shopping Centers ein, arbeiten in abgeschirmten Bürokomplexen, wohnen in den Condominios fechados.“ Der Vorgänger von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, der heutige UNO-Berater und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso, war gerne in den Condominios, mied die Slums, verdrängte die dortigen Zustände, den Banditenterror. Für Marcelo Rubens Paiva, Kolumnist der auflagenstärksten Qualitätszeitung „Folha de São Paulo“, und Bestseller-Autor, ein besonders kurioser Sachverhalt: Der neoliberale Interessenvertreter der Oligarchien, Eliten war in den 50ern eingeschriebenes KP-Mitglied, ist gleichzeitig Großgrundbesitzer und Soziologe, der sich immer noch gelegentlich rühmt, einst als Dozent in Frankreich auch Daniel Cohn-Bendit unterrichtet zu haben. Für Paiva führte Cardoso eine Mitte-Rechts-Regierung aus Intellektuellen und Akademikern – auf dem Throne sitzend, schauten sie auf Brasilien aus der Distanz, seien der Ersten Welt indessen nahe.“ Bedenklich, dass Cardoso-Nachfolger Lula bislang einen sehr ähnlichen neoliberalen Kurs verfolgt, sich zum Vize den Milliardär und Großunternehmer Josè Alencar erwählte, der zu einer rechten Sektenpartei [Partido Liberal] gehört. Vanilda Paiva, Schriftstellerin und Soziologie-Doktorin der Uni Frankfurt, schlussfolgert nicht zufällig, dass sich in der neoliberalen brasilianischen Gesellschaft heute „Ultraarchaisches mit Ultramodernem mischt.“ 


Abb.: José Alencar Gomes da Silva (1931 - )
[Bildquelle. Wikipedia]

Unterdessen haben Sozialforscher und Demographen nachgezählt – über vier Millionen Nordamerikaner wohnen bereits in Condominios fechados a la Rio de Janeiro und São Paulo. In den USA werden die größten Fortschritte aus Kalifornien gemeldet – Braszilianization-Experte Dale Maharidge zeichnet es im neuen Buch „The Coming White Minority“ ausführlich nach: Weiße konzentrieren sich zunehmend in städtischen „Inseln“ – eingekreist von Minoritäten in regelrechten Enklaven und Ethno-Ghettos. Stabile Gitterstäbe vor sämtlichen Fenstern parterre und im ersten Stock – auch das wird in vielen nordamerikanischen Städten zunehmend normaler. Condominios fechados trifft man zunehmend häufiger in Johannesburg und Lagos, doch auch in anderen afrikanischen Millionenstädten schreitet diese Art der Ghettoisierung munter fort."


Abb.: Buchtitel

[Quelle: Klaus Hart. -- http://www.ila-bonn.de/brasilientexte/privilegiertenghettos.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]


4. Weiterführende Ressourcen



Abb.: Umschlagtitel

Ila : Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika. - Bonn : ILA. -- ISSN 0946-5057. -- Webpräsenz: http://www.ila-bonn.de/. -- Zugriff am 2005-12-25. -- [Inhaltsreiche Zeitschrift zu Lateinamerika, viele Brasilien-Berichte. Sehr empfehlenswert!]


Dieses Kapitel besteht weiters aus folgenden Teilen:


Zu 8.1.: Brasilien: Wirtschaft im Ganzen