Bibliothekarinnen Boliviens vereinigt euch!

Bibliotecarias de Bolivia ¡Uníos!

Berichte aus dem Fortbildungssemester 2001/02

Teil 2: Chronik Boliviens

24. Von 1971 bis 1978


von Margarete Payer und Alois Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - > ; Payer, Alois <1944 - >: Bibliothekarinnen Boliviens vereinigt euch! = Bibliotecarias de Bolivia ¡Uníos! : Berichte aus dem Fortbildungssemester 2001/02. -- Teil 2: Chronik Boliviens. -- 24. Von 1971 bis 1978. -- Fassung vom 2002-11-13. -- URL: http://www.payer.de/bolivien2/bolivien0224.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: Anlässlich des Bibliotheksseminars in La Paz vorläufig freigegeben am 2002-09-19

Überarbeitungen:

Anlass: Fortbildungssemester 2001/02

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Payer, Margarete <1942 - > ; Payer, Alois <1944 - >: Bibliothekarinnen Boliviens vereinigt euch! = Bibliotecarias de Bolivia ¡Uníos! : Berichte aus dem Fortbildungssemester 2001/02. -- Teil 2: Chronik Boliviens. . -- URL: http://www.payer.de/bolivien2/bolivien02.htm

Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


1971-08-21 bis 1978-07-21

General Hugo Banzer Suárez (1926, Concepción - 2002, Santa Cruz) ist verfassungswidrig (militärisch-ziviler Staatsstreich) Präsident


Abb.: Hugo Banzer Suárez

Al amigo, todo;
al indiferente, nada;
al enemigo, palo

Hugo Banzer Suaréz. -- Zitiert in: Imágenes para no olvidar. -- La Paz  : Muela del Diablo, ©2001. -- ISBN 99905-40-21-7. -- S. 16

Bilanz:

  • 33 Personen verschwunden

  • 70 Personen ermordet

  • in Argentinien: 35 Bolivianer verschwunden

  • in Chile: 8 Bolivianer verschwunden oder ermordet

  • 3 Militärs ermordet

[Angaben nach: Imágenes para no olvidar. -- La Paz  : Muela del Diablo, ©2001. -- ISBN 99905-40-21-7. -- S. 16]

"Im August 1971, als ich noch in Europa war, brach ein Staatsstreich gegen die linke Regierung des Generals Juan José Torres aus. Organisiert wurde der Putsch von einer Koalition der faschistischen Falange Sozialista, der Partei MNR von Víctor Paz Estenssoro, einigen Offizieren, der Privatwirtschaft und einem großen Teil der Bourgeoisie; unterstützt und wahrscheinlich auch inspiriert wurde er von Washington, wo die amerikanische Regierung unter Richard Nixon über die Ausbreitung des Sozialismus in ihrem »Hinterhof« besorgt war. Chile, Peru und Bolivien hatten damals schon linke Regierungen, und Washington fürchtete, dass das Beispiel der kubanischen Revolution in Lateinamerika Schule machen könnte.

Die Aktion wurde unterstützt mit Waffen und Militärexperten aus Brasilien und sehr geschickt propagiert als Kreuzzug zur Rettung der christlichen Zivilisation gegen den gottlosen Kommunismus. Es gab sporadisch einigen schlecht organisierten Widerstand seitens der Arbeiter und Studenten, der schnell mit den bekannten Methoden von Massakern und Verhaftungen beseitigt wurde. Die Regierung übernahm schließlich General Hugo Banzer aus Santa Cruz, dessen neoliberale Diktatur bis 1978 an der Macht blieb.

In dieser Zeit begann der Aufstieg des Kriegsverbrechers Klaus Barbie, alias Altmann, Spezialist in Unterdrückung, Spionage und Foltermethoden bei der Gestapo, dessen Dienste schon von verschiedenen »demokratischen« Regierungen, darunter vor allem von den USA, in Anspruch genommen worden waren und der jetzt den Grad eines Oberstleutnants der Armee bekleidete. Er war in Cochabamba stationiert, wo er sich als Beamter des Innenministeriums damit beschäftigte, die Unterdrückungsorgane zu organisieren.

Zur selben Zeit begann das Geschäft mit dem Kokain zu blühen. Es wurde organisiert von den nordamerikanischen Mafias, vermittelt durch ihre kolumbianischen Partner und Agenten, um zuerst ihren eigenen Markt zu versorgen und sich dann über die ganze Welt auszudehnen. Mit ihren Koffern voller Dollarscheine erschienen die ersten Gringos, und bald entstand ein ständiger Austausch von grünen Banknoten für unraffinierte Kokainpaste und später für die reine, kristallisierte Droge, die in Laboratorien der Mafia in vielen versteckten Winkeln der östlichen Tropen produziert wurde.

Der Dollar verdrängte jetzt die Landeswährung auf allen Ebenen, und nur wenige widerstanden der Versuchung, schnell reich zu werden; nur wenigen allerdings gelang es. Auf der untersten Stufe des großen Geschäfts befand sich die Masse der armen »Kokatreter«, die kaum ihren miserablen Tageslohn verdienten, aber ins Gefängnis kamen, wenn sie bei dieser illegalen Arbeit überrascht wurden. Der arme Kokapflanzer, der das Rohmaterial lieferte, erhielt zum ersten Mal in seinem Leben einen angemessenen Preis für seine mühevolle Arbeit, den ihm keines der anderen Agrarprodukte einbrachte und ihn von dem größten Elend befreite. Diejenigen, die in den geheimen Laboratorien das Rohprodukt raffinierten, wurden über Nacht reich, wenn die Antidrogenpolizei, von derselben Macht finanziert, von der das Geschäft ausging, sie nicht zerstörte. Dieselben Chancen hatten die Buschpiloten, die das weiße Gift in ihren Kleinflugzeugen zu den Zentren der internationalen Mafias transportierten. Ein gelungener Flug brachte leicht Vierhunderttausend Dollar Reingewinn!

Die kleinen Gelegenheitsschmuggler, Ameisen genannt, die einige Gramm oder Kilos über die Grenze brachten, um die Arztkosten für ihre kranke Mutter bezahlen zu können oder einen kleinen Laden aufzumachen, wurden oft aufgegriffen und kamen ins Gefängnis, konnten aber leicht ersetzt werden. Die Sahne aber schöpften, außer den Banken und anderen Weißwäschern des schmutzigen Geldes, die großen örtlichen Capos ab, welche die Verteilungsnetze kontrollierten, ungeheure Vermögen ansammelten, ganze Privatarmeen unterhielten und das Leben von Orientalen Paschas führten. Sie bestachen Zollbeamte, Polizei, Militär, Minister und ganze Regierungen, waren praktisch unantastbar, und wenn sie einmal vor ein Gericht kamen, erhielten sie nicht dieselben Strafen wie die armen Teufel der untergeordneten Stufen. Die größten Mafiosi allerdings, hauptsächlich in den USA, sind weiterhin unantastbar, Freunde und Kumpane von Senatoren und höchstgestellten Persönlichkeiten, beschützt durch ihre unvorstellbaren Vermögen. Ab und zu werden sie auch vom Imperium selbst benutzt für gewisse geheime Unternehmungen, die man lieber nicht an die Öffentlichkeit bringt.

Es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen den Verbrauchern in den reichen Ländern und denjenigen in den Andenregionen. Während erstere, übersättigt mit allem, ständig auf der Suche nach neuen Sensationen und Genüssen sind oder aber die Droge brauchen, um ihre sinn- und ziellose Existenz zu vergessen, benützen die Kleinbauern, Minenarbeiter und anderen Werktätigen in den Anden die »heiligen Blätter« seit Jahrhunderten, um ihre Arbeitskraft, ihre körperliche Widerstandsfähigkeit gegen Kälte, Hunger und Durst zu erhöhen, also unter äußerst schwierigen Bedingungen überleben zu können. Die einen verschwenden und zerstören sich selber, die anderen stärken sich, arbeiten und produzieren.

Einer der ersten Kokainkönige in Bolivien war Roberto Suárez, Mitglied einer ehrbaren Familie aus der Provinz Beni, Athlet, sympathisch, gebildet und allgemein beliebt. Nach einer prunkvollen Epoche auf der Höhe seiner Laufbahn - er hatte mit seiner Privatarmee, die nach seinen Angaben mit Missiles und Hubschraubern ausgerüstet war, sogar das bolivianische Heer zum Kampf herausgefordert - fiel er in Ungnade. Zurzeit ist er krank, mittellos und im Gefängnis. Während seiner guten Zeiten verschenkte er sein Geld mit vollen Händen für wohltätige und andere Zwecke. Einmal, als er sich in einer Privatklinik von Santa Cruz inkognito einer kleinen Operation unterziehen musste, verteilte er an jede Krankenschwester ein »Trinkgeld« von fünftausend Dollar.

Viele der über Nacht zu Vermögen gekommenen Neureichen wussten nicht, was sie mit dem Geld anfangen sollten. Eines Tages erschienen im Touristenbüro meiner Familie zwei junge Leute, denen man von weitem ansah, dass sie bisher nur Pferde, Kühe, Schaufel und Hacke gehandhabt hatten. Sie wollten zwei Tickets nach Paris, hin und zurück, aber in der Concorde und erster Klasse. Einer trug einen Kartoffelsack voller Dollarscheine und bat die Kassiererin, sich daraus zu bedienen. Andere flogen nach Portugal, um die teuersten Kampfhähne zu kaufen oder nach Argentinien, um die besten Rennpferde zu erstehen, und die goldene Rolexuhr war ein schon fast zu gewöhnliches Statussymbol.

Gleichzeitig verschlimmerten sich die sozialen Probleme in Santa Cruz immer mehr. Wegen der massiven Zuwanderung ganzer armer Familien wurde die Forderung nach Land zur Errichtung von Wohnungen immer lauter, denn für diese Klasse waren die Mieten und Bodenpreise unerschwinglich. Diese Situation wurde von Politikern, Demagogen und skrupellosen Geschäftemachern gründlich ausgenutzt und war die Ursache ständiger Unruhen und Zusammenstöße. Daraufhin veröffentlichte ich in der lokalen Presse einen einfachen Plan, der dieses scheinbar so komplizierte Problem zur allgemeinen Zufriedenheit lösen konnte. Er bestand darin, ein Komitee zu gründen, das größere Ländereien in geeigneter Lage - damals noch sehr billig zu haben -, aufkaufen und nach einem urbanistischen Plan auf Ratenzahlung an die Interessenten verkaufen sollte.

Insgesamt brauchte man damals, im Jahr 1970, fünftausend Parzellen von dreihundert Quadratmetern. Mit fünfzigtausend Dollar konnten die benötigten hundertfünfundneunzig Hektaren erworben werden. Nach Abzug des Raumes für Straßen, Plätze und öffentliche Anlagen kamen die Kosten für jede Parzelle auf dreißig Dollar zu stehen. Bei zweieinhalb Dollar Abzahlung pro Monat konnte sich jeder Bettler solch ein Grundstück leisten und mit der Rückzahlung konnte ein permanenter Bodenerwerbsfonds etabliert werden.

Der Plan fand allgemeinen Beifall, auch von der Präfektur, und wurde angenommen. Doch dann zeigten sich die gewohnten Übel der Unterentwicklung: Unfähigkeit, Partikularinteressen, persönlicher Ehrgeiz, Korruption und Mangel an Disziplin. Die Stadtverwaltung, die sich des Projekts annahm, rief nur eine übertriebene Bürokratie ins Leben mit unfähigen und unmotivierten Funktionären. Der Plan wurde vereitelt.

Die schöne, ruhige und relativ saubere Stadt verwandelte sich bei der ständigen Ausdehnung in eine riesige Müllhalde. Straßen, Plätze, Gärten und die ganze einst so attraktive Umgebung war bald mit ekelhaften Plastiktüten verziert, welche die Leute achtlos auf die Straße warfen wie jeden anderen Abfall, eine Gewohnheit, die auch heute noch vorherrscht. Die starken Winde verteilten die Abfälle unparteiisch überall herum, bis hinein in die Häuser, und verunzierten Bäume und Dächer. Ganze Berge von Müll bildeten sich vor allem in den Außenbezirken, in denen Ratten, Moskitos, Schaben und alle Arten von Ungeziefer und Krankheitserregern sich vermehrten.

Ich machte verschiedene Vorschläge zur Verbesserung dieser Situation, schrieb einige Artikel darüber für die Presse, versuchte die zuständigen Behörden zum Handeln zu ermuntern, aber alles prallte an der allgemeinen Gleichgültigkeit ab. Schließlich ernannte man mich als ehrenamtlichen Hilfsaufseher für die Stadtreinigung. Mit eigenen Mitteln stellte ich mehr als zwanzig Schilder auf, welche die Müllabladung auf den Straßen verboten, zwang persönlich einige auf frischer Tat Ertappte, ihren Dreck wieder aufzuladen. Für einige Tage bekam ich sogar ein paar Polizisten zur Unterstützung zugeteilt. Das Resultat war, dass verschiedene Schilder zur Warnung von automatischen Waffen durchlöchert wurden und in einer Nacht warf man mir einen halbverwesten Pferdekadaver vor die Tür. Die schlimmsten Missetäter waren weder die armen Leute noch die vom Hochland, sondern diejenigen, die Autos besaßen und nachts ihren Müll vor der Tür der anderen abluden. Erst zwanzig Jahre später, als die japanische Regierung der Stadt ein gesamtes Müllentsorgungssystem mit den entsprechenden Transportwagen zum Geschenk machte, besserte sich die Lage."

[Holzmann, Gunter <1912, Breslau - >: Und es beginnt ein neuer Tag : ein Leben zwischen Europa und Lateinamerika. -- Zürich : Rotpunktverlag, ©2001. -- ISBN 3858692158. -- S. 305 - 309. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

"Banzer's Involvement in Condor Operation 


Abb.: Pinochet und Banzer

No one mentioned this theme in my term of government, I don't have evidence of the participation. When I left the government, I heard people talking as if this was a system of intelligence, of an exchange of information of the governments of that time. Each government was informing the other governments of the existence of people conspiring against our stability, but it was never anything close to a sinister plot." Hugo Banzer 4/11/98 The Plan Condor, or Condor Operation, did not only serve to exchange information between the dictators of Bolivia, Chile, Paraguay, Brasil, Argentina and Uruguay. It was an internationalised system of repression, torture, persecution, selective assassination and disappearances against thousands of "subversive elements" that conspired against the military regimes. Though Banzer and the other accused deny it, there exists proof that demonstrates the participation of the Bolivian dictatorship in the coordination to eliminate political dissidents.

Edgar Ramirez, one of many mining leaders that suffered the repression of Hugo Banzer (1971-1978) said that "like a monster that leaves tracks of blood and destruction in its way, Plan Condor left behind tracks and proof that can't be erased by their executors." He recalled that in 1976 he was detained illegally and then transferred by air to an island to the south of Chile. Ramirez, together with Oscar Salas -now  a House Representative that elected Banzer as a democratic president in 1997- and 47 other mining and workers leaders were divided into groups of between four and five and distributed -in 10 Chilean provinces, according to a report done for the UN High Commission for Refugees by the Foundation for Social Help of the Christian Church based in Santiago. "This demonstrates that there was co-ordination between the dictators Banzer and Pinochet for the exchange of prisoners," said Ramirez.

Some mining leaders that were detained in Bolivia and then taken to Chilean provinces include: Paulino Joaniquina Troncoso, Alejandro Alvarez Rojas, Favio Quiroga Bozo, Dionisio Coca Montano, Rene Eduardo Dalence Salinas, Angel Socrates Andrade, Raúl René Choque Linares and Severo Torres Bravo.

Repressive Attributes

At the start of the 1990's the Paraguayan lawyer Martin Almada discovered the hidden documents of the secret police of Paraguay during the time of the dictatorship of Alfredo Stroessner. "In the secret archives I discovered a document that has the title 'Intelligence meeting' that I christened as the birth of the Condor Operation" said Almada in a CNN interview. "This document is a synthesis of the meeting in Santiago at the end of November, it (Plan Condor) began in December 1975. One molded the roles that the other put into practise."

The documents discovered by Almada were denominated "archives of terror" because they revealed the co-ordination of the military governments (of South America) during the 1960's and 1970's. The participants of this accord defined the objective of Plan Condor as "to locate and eliminate political
dissidents and fleeing guerillas," according to the author of 'The Secret Dossier', Martin Anderssen. "Among the conditions there was a clause that member countries would have to emit false documentation to cover up the existence of their assassination squads." Before the military coup of 1976 in Argentina, the forces of repression relied on a permit of capture for almost the entire continent, according to Anderssen. The assassination of general Juan Jose Torres, executed in Argentina, highlights the international alliances of Plan Condor, say human rights activists in Bolivia. On June 3, 1976 Argentinian authorities informed their Bolivian counterparts of a body discovered on a rural road. The body, later identified as Juan Jose Torres, had been blindfolded and had two bullets in the head and two in the lung. "A report suggests that the crime was committed by Bolivian Rangers with the help of the National police," says Anderssen. The elimination of Torres was another action by Plan Condor according to Anderssen and Martin Sivak, Argentinian journalist and author of "Juan Jose Torres, Banzer and the Common Market of Death." In a confidential telegram the then US Ambassador to Bolivia, Robert Hill expressed his suspicions that "Torres could be the victim of a conspiracy between the governments of Argentina and Bolivia to eliminate left-wingers."

Banzer and Pinochet

This was not the only death of a political dissident by the dictatorship in Plan Condor. Jorge Ríos Dalence, Ignacio Soto Quiroga, Ramiro Carlos Gonzales, Enrique Ramiro Saavedra Gonzales, Donato Quispe and Alberto Busch are some of the Bolivian leaders eliminated in Chile according to a resolution by the House of Representatives made public on Nov 25 1998.

Ríos Dalence was exiled to Chile along with his family and was detained in his house by Chilean government agents and transferred to the National stadium in Santiago. Although the victim argued that he had not been politically active in the country he was tortured and assassinated according to witnesses. Soto, who along with Dalence founded the Bolivian political party MIR, in 1971, met a similar fate. Whilst lunching with a friend he was tied up by Chilean police agents and dropped from a fourth floor * window. This testimony was presented by Medardo Navia before the Human Rights Commission of the House of Representatives in 1999. "It is obvious proof that has validity and will be delivered to the Chilean judiciary if the process against Pinochet is opened," said MIR Representative Hugo Carvajal. Another case of a Bolivian who was pursued across various countries under the coordination of Plan Condor is the lawyer Abel Ayoroa Argandona. He was detained on June 6, ! 1972 on the doorstep of his office by agents of the Political Police according to information from the Inter American Commission for Human Rights of the Organization of American States (OAS). Ayoroa Argandona took refuge with the Argentinian Embassy and then left the country heading for Buenos Aires in Dec 1972. Then he moved to Santiago where he was given refuge by the government in April 1973. On August 26 1974 he was detained by Chilean agents who took him, bound and gegged, to an unknown place where he was fed only bread and water for 16 days. After being tortured he was taken to Arica and put on a jeep to the border town of Visviri. Here he was received by agents of the Political Police headed by Guillermo Moscoso who, according to an OAS report, signed the reception documents carried by the Chilean paramilitaries . When he was found by the Red Cross he was in a grave state of health suffering from anal hemorrhaging caused by torture where hot pepper was put in the anus. Ayoroa Argandona was transported to San Pedro prison in La Paz and then to "Chonchocoro concentration camp." Here he shared a cell with the mining leaders Victor Lopez and Oscar Salas according to the OAS report. On Jan 31 1975 he was expelled to Paraguay.

Living Proof

On Nov 4 1998 19 days after the capture of ex Chilean dictator Pinochet in England, Banzer tried to jusitfy the crimes committed in his dictatorship. He said in the 1960's and 1970's "the so called Cold War was reinforced by the so called bipolarity. This translated into a hot war in Latin America. They put forward the ideologies and here we put forward the deaths. It is the pure truth. Not only in Bolivia but in Latin America."

This "hot war" cost the lives of thousands of people. One of the victims of this repression was the Argentinian Graciela Rutilo Artés who was supporting the miners strike in Oruro in 1976. Rutilo Artés was the wife of a Uruguayan Enrique Joaquin Lucas, a leftist who was working to get J. J. Torres into power. The wife had a daughter of 9 months baptized by the name of Carla. On April 2 1976 military commandos surrounded the house of Rutilo. "Rutilo was beaten mercilessly by the invaders and they obliged her to look whilst they held the child, completely naked by the heel and beat her," says Anderssen. Carla was interned on April 3 in the La Paz orphanage "Hogar Carlos Villegas" with a false name of Norah Nemetala then she was transferred to the Hogar Villa Fatima where she stayed until August 25 1976. Rutilo was tortured in the Altiplano Viacha barracks. Between August 25-29 the Political Police agents allowed Graciela to visit her daughter. Rutilo and her daughter were transferred to Villazón where they were delivered to the Argentinian authorities. Evidence exists in the form of a radiogram number 136/79' that indicates that on August 29 1976 both left the border post at Villazón. Graciela was assassinated and Carla delivered to Eduardo Ruffo, deputy of Anibal Gordon, boss of the Argentinian ultraright group Triple A.In 1977 Carla was granted a false birth certificate by the name of Gina Amanda Ruffo. Her real father was assassinated in Cochabamba but her grandmother Matilde Artés, founder of the "Grandmothers of Plaza de Mayo" in Argentina used all her energy to find her granddaughter and on August 25 1985 in the office of an Argentinian Judge, Fernando Archimbal they were reunited. Carla Rutilo Artés visited Bolivia a year ago to collect the remains of her father and to begin a case against Banzer before the Spanish Judge Baltasar Garzón who ordered the detention of Pinochet and who may also investigate Plan Condor.

"I am the living proof of the execution of Plan Condor," says Rutilo.

Banzer's Case

Banzer, 75, is living in Santa Cruz resting and waiting to subject himself to a new treatment of chemotherapy against a cancer in his left lung and liver. The incurable illness obliged him in August to leave office a year early. On Dec 27, Argentinian Judge Rodolfo Canicoba Corral ordered Banzer's capture
and extradition for his participation in Plan Condor. Banzer claimed innocence, accusing the magistrate of "looking for fame" .

The Judge's request has arrived at Interpol. Although leaders of Banzer's party ADN put forward a defense in favor of the ex-president, Canicoba Corral says he will persist in his investigation against Banzer and other ex-dictators. "We are not looking for low level cases, we are investigating the crime of conspiracy: that is the agreement between those detained to commit the highest offences." He said that the ordei of capture could be effected in Bolivia, as in the U.S. or any other country in the world."

[Aruquipa Z., José Antonio: Banzer's Involvement in Condor Operation. --  In: Bolivian Times. -- 2002-01-17. -- S. 2f.]


1971-08-21


Abb.: Maurice Lefebvre OMI

Paramilitärs erschießen den Oblatenpriester Mauricio Lefebvre OMI (1922, Kanada - 1971, La Paz) auf offener Straße in La Paz.

"Lefebvre OMI, Mauríce (Saint Dénis, Canadá, 1922 - LP, Bolivia, 1971)

Religioso y sociólogo. Ingresó en la congregación de los Oblatos de María Inmaculada; ordenado sacerdote en 1952, llegó al país al año siguiente y se desempeñó como párroco de Llallawa, pasando después a La Paz (1958): aquí trabajó en el barrio fabril de Achachiq'ala; pero poco después se incorporó en Roma al Movimiento para un Mundo Mejor del E Lombardi SJ; allí también estudió Sociología y vivió de cerca las transformaciones del Concilio Vaticano II (1962-1866). No regresó a Bolivia hasta 1966, participando en La Paz en trabajos de investigación y de promoción de DESEC y del Secretariado de Estudios y Acción Social de la Conferencia Episcopal de Bolivia; en 1968 ingresó en la Universidad de S. Andrés como catedrático de Sociología, fundó la Facultad de esta materia y fue su primer Decano; también tuvo un papel directivo en el grupo Iglesia y Sociedad en América Latina, que le costó una breve expulsión del país (1970). Movido por grandes ideales de servicio y una voluntad firme de buscar cambios en la realidad socioeconómica del país, con un pequeño grupo de compañeros emprendió la experiencia 'Nuevas estructuras' alquilando la mina 'Quri-kampana' en Caracoles. El 21-VIII-1971 se encontraba de paso por La Paz y recibió una llamada urgente de la Cruz Roja para que fuera a auxiliar a los heridos de los combates callejeros: acompañado de un médico y una enfermera, dirigió la camioneta a las inmediaciones del Ministerio de Gobierno donde yacían varios heridos sin que nadie se atreviera a prestarles auxilio; la camioneta fue blanco de varias ráfagas de ametralladora y él, alcanzado por una bala; murió desangrado, sin que nadie pudiera acercarse para ayudarle. Figura simbólica del clero postconciliar."

[G. Iriarte. -- In: Diccionario histórico de Bolivia / redactado bajo la dirección de Josep M. Barnadas con la colaboración de Guillermo Calvo y Juan Ticlla. -- Sucre : Grupo de Estudios Históricos, ©2002. -- 2 Bde : 1152, 1217 S : 23 Karten. -- ISBN 84-8370-277-0. -- Bd. 2. -- S. 57]

1971-09


Abb.: Erste in der Illegalität erschienene Nummer von Masas, dem Organ des Partido Obrero Revolucionario (POR). Dargestellt sind César Escobar Lora (1927, Panak'achi - 1965, San Pedro de Buenavista) und Isaak Camacho (1915?, Llallawa - 19667, La Paz), 1971-09

1971-09-07

Gründung des Movimento de la Izquierda Revolucionaria (MIR)


Abb.: Gewalt zwischen Lenin und Che: Transparent des MIR an der UMSA, 1971

Wichtige Gründungsmitglieder:

1971-10-22

Die Streitkräfte (Hugo Banzer), der Movimento Nacionalista Revolutionario (MNR) (Victor Paz Estenssoro) und die Falange Socialista Boliviana (Mario Gutiérrez G.) schließen den  Pacto del Frente Popular Nacionalista:

"PACTO DEL FRENTE POPULAR NACIONALISTA

La Revolución Nacionalista del 19 de agosto de 1971 fue gestada como un gran movimiento de integración nacionalista con amplia participación popular. Las Fuerzas Armadas de la Nación, el Movimiento Nacionalista Revolucionario y Falange Socialista Boliviana acordaron, para esas acciones de lucha contra el depuesto régimen anárquico y anti-nacional, celebrar un pacto político con clara conciencia programática de que los objetivos de la Revolución Nacionalista y Democrática solamente culminarán en base a un leal acuerdo patriótico, de rescate y afirmación de los valores esenciales de la nacionalidad, de su desarrollo económico, de la justicia social y del Estado Nacional.

Este acuerdo comprende las fuerzas políticas como verdaderos factores de participación popular y de cohesión nacional y tiene por objetivo esencial incorporar a los hombres y mujeres de Bolivia, a las juventudes obreras, campesinas, universitarias, a los intelectuales, a los profesionales, a los técnicos civiles y militares, a los científicos y artistas, a las amplias capas medias, en la tarea de reconstrucción de la Patria, con desarrollo liberador que termine con la dependencia y consolide la nacionalidad.

Las Fuerzas Armadas de la Nación, al establecer su carácter eminentemente institucional y al afirmar el inquebrantable propósito de mantener su vigencia como el núcleo integrador de las clases sociales y de las regiones geográficas del país, se imponen un deber nacionalista y patriótico que les es inherente e ineludible frente a la crisis y a los riesgos que amenazan la integridad misma de la Patria y su soberanía.

El Movimiento Nacionalista Revolucionario fue el actor protagónico de las grandes transformaciones estructurales de la sociedad boliviana, que abrieron las posibilidades reales de integración social, de desarrollo económico independiente y de dignificación ciudadana de las grandes mayorías campesinas.

Falange Socialista Boliviana es un partido nacionalista inspirado en los valores fundamentales de la bolivianidad, de su afirmación soberana y de su genuina proyección hacia metas de grandeza y de respeto a la dignidad del ser humano.

La grave situación histórica de Bolivia, bajo la acción nociva del extremismo utópico, hizo imperativa la fundación de un sistema de alianza política con capacidad de encaminar a la Nación, hacia objetivos concretos que permitan superar la grave crisis económica, el des ajuste social, el vacío político, la inexistencia de la función del Estado que es la autoridad y el riesgo en que se encontraba la existencia misma de la Patria.

El Frente Popular Nacionalista, es el instrumento de poder con capacidad de resolver los grandes problemas nacionales y, respondiendo a su propia composición social, para defender a las clases mayoritarias y marginadas.

Los partidos que integran el Frente, asumen la responsabilidad conjunta de canalizar la participación y movilización popular para la realización de tareas fundamentales que demanda la hora presente con el objeto de superar la crisis económica que asóla al país a través de medidas de emergencia y con perspectiva mediata de desarrollo liberador dentro del marco de la planificación coordinada. Hay que edificar el Estado Nacional Democrático y Popular como órgano de expresión y de realización histórica de la nacionalidad boliviana, coinaden-te con el interés de las clases populares, con la integración física económica y social de sus regiones y de Sus habitantes. Nuestro propósito es hacer que la economía, esté al servicio del hombre y que la meta de la acción política y social sea la realización de la potencialidad espiritual del hombre boliviano. Nuestro norte permanente será la lucha por la independencia y soberanía de Bolivia y la eliminación de todo nexo colonial. El Frente se empeñará en el avance social que converja hacia la formación de una comunidad boliviana, sin explotadores ni explotados. Llevaremos a cabo la gran Revolución Productiva que haga posible la apertura acelerada del proceso de industrialización a partir de la minero-metalurgia para consolidar la reforma agraria, proporcionando un mayor rendimiento a quienes paseen la tierra. Garantizaremos la inversión privada de acuerdo con la planificación y las urgentes necesidades del aprovechamiento de nuestros recursos naturales y humanos en las condiciones óptimas que demanda nuestro desarrollo tecnológico y nuestro potenciamiento económico. Haremos realidad, para obreros y empleados el derecho al trabajo, al salario justo, a la vivienda, los servicios de salud y educación para todos los bolivianos. De acuerdo con los principios de libre determinación de los pueblos y de no intervención en los asuntos internos, mantendremos relaciones diplomáticas y comerciales con todos los pueblos del mundo. Lucharemos por las libertades democráticas.

Estos grandes enunciados programáticos, son coincidentes con los principios ideológicos y la nueva proyección económica del Gobierno, expuestos por el Presidente de la República, en su mensaje de 12 de octubre de 1971. Los fundamentos programáticos del Frente Popular Nacionalista y sus programas específicos serán puestos en consideración de la Nación próximamente.

Las fuerzas populares que participan en el Frente, se esforzarán por la racionalización de los servicios del Estado, por la erradicación del burocratismo ineficiente y de la corrupción administrativa.

Sólo un mecanismo de gobierno capaz, dinámico y honesto, puede garantizar la aplicación de los programas del Frente Popular Nacionalista.

Nuestro gobierno, con el apoyo de las masas expresado a través de sus organizaciones políticas y de clase será un gobierno fuerte, definido por su solidez en sus principios, por la claridad de su programa y por la capacidad política del nacionalismo revolucionario para coordinar orgánicamente la participación popular. La autoridad del Poder Público se refuerza con esta concepción de la democracia y con un funcionamiento eficiente de la administración nacional en todos sus niveles, desterrando la improvisación, el caciquismo político y sindical, y configurando los mecanismos de participación mediante la aplicación consciente de la democracia interna y del debate esclarecedor.

Libre de todo sectarismo y solamente teniendo como' mira el superior interés de la Patria, el Frente Popular Nacionalista, invita a las entidades de todo orden, a los patriotas con o sin partido, a integrarse y participar en las tareas de reconstrucción nacional.

El Frente Popular Nacionalista se conforma a través de un Comité Ejecutivo Nacional y de Comités de Coordinación en los departamentos, provincias y cantones. El Comité Ejecutivo funcionará en la ciudad de La Paz con carácter permanente, como mecanismo de apoyo activo de la movilización popular para orientar las iniciativas encaminadas a la ejecución y cumplimiento del programa. Estará constituido de la siguiente manera:

  1. El Presidente de la República como Presidente del Frente.
  2. Los Jefes Nacionales del Movimiento Nacionalista Revolucionario y de Falange Socialista Boliviana.
  3. Un delegado coordinador de las Fuerzas Armadas de la Nación.
  4. Los Secretarios Ejecutivo y General del Movimiento Nacionalista Revolucionario y de Falange Socialista Boliviana, respectivamente.
  5. Cuatro delegados secretarios de cada uno de los partidos.

El Comité Ejecutivo tendrá una Secretaría Permanente encargada de las Oficinas del Frente, que será el mecanismo a través del cual se regularán las normas y actividades de las comisiones de trabajo y de iniciativas populares.

El presente Pacto del Frente Popular Nacionalista se complementará con las bases programáticas y los programas específicos de acción siguiendo los grandes lineamientos formulados por el Presidente de la República en su Mensaje de 12 de octubre de 1971.

La Paz, 22 de octubre de 1971.

Cnl. DAEM. Hugo Bánzer Suárez, 
Mario Gutiérrez G., 
Víctor Paz Estenssoro."

[Quelle: Mensaje a la nación: revolución nacionalista . programa de gobierno. -- Cochabamba : Serrano, 1971. -- S. 46 -48]

1971-12-20

Die in den Untergrund verdrängte Dirección Nacional Clandestina (DNC)  des Movimento de la Izquierda Revolucionaria (MIR) beschließt unter der Leitung von Antonio Aranibar Quiroga und  Jaime Paz Zamora (geb 1939, Cochabamba) La estrategia revolucionaria del MIR:

"El objeto político de nuestra guerra insurrecional es la conformación del Estado nacional boliviano y la liberación de las clases trabajadoras a través de la construcción del socialismo por un gobierno popular dirigido por el proletariado revolucionario."

[Zitiert in: Peñaranda de del Granado, Susana ; Chávez Zamorano, Omar: El MIR entre el pasado y el presente. -- La Paz, 1992. -- Depósito legal 4-1-160-92. -- S.11]

1972

Stand der Kolonisation in Ostbolivien:

"UMFANG DER UMSIEDLUNG UND LAGE DER KOLONISATfONS-GEBIETE

Am Andenabfall und im Tiefland Ostboliviens wurden inzwischen insgesamt 582 Kolonien gegründet, in denen nach Angaben des Kolonisationsinstituts Ende 1972 47.632 Familien lebten. Davon waren etwa l.000 ausländische Siedlerfamilien, vor allem Japaner und deutschstämmige Mennoniten. Weitere 7.000 Familien dürften unmittelbar aus dem Tiefland oder der Yungaszone stammen, so dass auf die Umsiedler aus dem Hochland (Altiplano und Valles) wohl knapp 40 000 Familien mit etwa 146.000 Personen entfallen.

Die Umsiedlung beschränkt sich freilich nicht auf die ... eigentlichen Siedler. Dazu kommen zahlreiche familienfremde Arbeitskräfte, die teils ständig, teils als Saisonarbeiter in den Kolonien leben. Nach einer 1971 durchgeführten Untersuchung in zehn Kolonien im Räume Santa Cruz beschäftigten dort 64% der befragten Siedler bezahlte Arbeitskräfte, und zwar im Mittel im Umfang von einem Mannjahr je Siedler. In den übrigen Kolonisationsgebieten mag die Beschäftigung von familienfremden Arbeitskräften etwas geringer sein, doch darf man wohl davon ausgehen, dass im Mittel 50% der Siedler zusätzliche Arbeit im Umfang von etwa einem Mannjahr in Anspruch nehmen. Das entspräche also weiteren 23.000 Personen, die größtenteils aus dem Hochland kommen dürften Dazu kommen dann noch Händler und Handwerker, die sich in geringer Zahl mit ihren Familien in den Kolonien niedergelassen haben, so dass man wohl insgesamt mit einer Abwanderung von etwa 170.000 Personen aus dem Hochland rechnen darf.

Vergleicht man diese Zahlen mit den zeitweise propagierten Planzielen, so zeigt sich, dass diese auch nicht annähernd erreicht wurden. Im Zehnjahresplan von 1961 war für die Zeit bis 1972 die Umsiedlung von 454.000 Personen in die Kolonisationsgebiete vorgesehen. Dieses Ziel war freilich schon im Hinblick auf die finanziellen und technischen Möglichkeiten Boliviens völlig utopisch, und es dürfte wohl auch von den meisten Planern mehr als ein propagandistisches Hilfsmittel zur Erlangung möglichst hoher Kredite betrachtet worden sein. Dementsprechend wurden die Ziele 1964 anlässlich der Erarbeitung eines von der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanzierten und von der staatlichen Entwicklungsgesellschaft geleiteten konkreten Kolonisationsprogramms erheblich zurückgesteckt. In den drei durch dieses Programm betreuten Kolonisationsgebieten Alto Beni, Chimoré und Yapacani-Puerto Grether wollte man innerhalb von 3 Jahren insgesamt 8 000 Familien ansiedeln. Aber auch dieses Ziel konnte nur teilweise erreicht werden.

Ausgehend von derartigen Zahlenvergleichen sowie von der ursprünglich verkündeten Zielvorstellung, dass mit Hilfe der Indianerumsiedlung der Bevölkerungsdruck im Hochland gemildert werden sollte, vertreten weite Kreise in Bolivien heute die Ansicht, dass die Kolonisation gescheitert sei. Man kann es aber m. E. nicht der Kolonisation anlasten, wenn utopische Planziele nicht verwirklicht wurden. Zur Beurteilung von Erfolg oder Misserfolg muss eine größere Zahl von Kriterien herangezogen werden. ...


Abb.: Karte 1 [Ausschnitt]

Betrachtet man die räumliche Verteilung der Kolonisationsgebiete, so zeichnen sich vier Siedlungsschwerpunkte ab (vgl. Karte 1):

  1. Das Kolonisationsgebiet Caranavi-Alto Beni im Dept. La Paz, das noch ganz im unteren Andenabfall liegt. Es schließt nach unten an die Yungas von La Paz an und hat günstigen Zugang zu den übervölkerten Gebieten des nördlichen Altiplano und zum Hauptkonsumzentrum des Landes in La Paz. Infolgedessen ist es mit 15.000 Siedlerfamilien das wichtigste Kolonisationsgebiet des Landes, wenn es auch in Bezug auf die Bevölkerungszahl leicht von den Kolonisationsgebieten im Raum St. Cruz übertroffen wird, da die Familien dort etwas größer sind.
  2. Das Kolonisationsgebiet im Räume Santa Cruz, das schon ganz im tropischen Tiefland liegt. Es erstreckt sich vor allem nordwestlich und nördlich von Santa Cruz, zwischen dem Rio Ichilo und dem Rio Grande, und greift in jüngster Zeit auch über den Rio Grande hinaus nach Osten vor. Dort liegen die Kolonien Roboré an der Bahnlinie nach Corumbá und San Julian an einer im Bau befindlichen Straße nach Concepción. San Julian ist schon seit längerer Zeit als wichtigste Ausweitung des staatlichen Kolonisationsprogramms vorgesehen. Insgesamt leben im Dept. Santa Cruz laut Tab. l etwa 13.000 Siedlerfamilien (ohne Berücksichtigung der ausländischen Siedler). Dazu dürften aber noch etwa l.500 Spontansiedler kommen, die sich seit 1953 vor allem zwischen Angostura und Santa Cruz an der von Cochabamba herkommenden Straße niedergelassen haben. In Tab. l sind sie wohl in den 10 000 Familien der unkontrollierten Ansiedlung enthalten.
  3. Das Kolonisationsgebiet Chapare - Chimoré im Dept. Cochabamba schließt westlich an das Kolonisationsgebiet von Santa Cruz an und umfasst das Andenfußgebiet zwischen Rio Ichilo und Rio Isiboro. Durch eine in den letzten Jahren völlig neu gebaute, asphaltierte Straße ist es mit Cochabamba verbunden, einem wichtigen Absatzmarkt und einem Gebiet sehr hohen Bevölkerungsdrucks. Ein Nachteil dieses Kolonisationsgebietes besteht in seinen hohen Niederschlägen, den häufigen Überschwemmungen und den damit verbundenen Verlagerungen der vielen Flüsse, von denen es durchzogen wird. 1972 lebten hier fast 8 000 Siedlerfamilien.
  4. Das Dept. Tarija im äußersten Süden des Landes, mit dem Gebiet von Bermejo, das noch ganz im Bereich der Subandinen Ketten liegt. Hier steckt die Kolonisation mit nur 225 Siedlerfamilien noch in den Anfängen. Wahrscheinlich hängt sie mit der Gründung der neuen Zuckerfabrik S. Leigh in Bermejo zusammen, die 1968 eröffnet wurde."

[Monheim, Felix <1916 - >: 20 [Zwanzig] Jahre Indianerkolonisation in Ostbolivien. -- Wiesbaden : Steiner, ©1977. -- 99 S. : 14 graph. Darst. u. Kt. -- (Erdkundliches Wissen ; H. 48) (Geographische Zeitschrift : Beih.). -- ISBN 3-515-02563-4. -- S. 2 - 5]

1972

Der 19-jährige Julio César Ruibal Heredia, der in den USA von Katherine Kullman bekehrt wurde, gründet in La Paz die evangelische Pfingstkirche Ekklesía [Webpräsenz: http://www.ekklesiabolivia.org/. -- Zugriff am 2001-10-30] 


Abb.: Julio César Ruibal Heredia bei Evangelisation [Bildquelle: http://www.ekklesiabolivia.org/news.htm. -- Zugriff am 2001-10-30] 

*
Abb.: Aus einem Traktätchen von Ekklesía

[Bildquelle: Loayza Bueno, Rafael Antonio: La industria de la salvación : evangelismo y medios de comunicación en Bolivia. -- La Paz : Lorenzo, ©1999. -- Depósito legal 4-1-935-99. -- S. 66]


Abb.: Missionierungsveranstaltung von Ekklesía, neueren Datums [Bildquelle: http://www.ekklesiabolivia.org/products.htm. -- Zugriff aam 2001-10-30] 

1972

"In einer Erklärung schlägt Kardinal José Clemente Maurer CSSR, Erzbischof von Sucre, [1900, Püttlingen - 1990, Sucre] vor, alle im Laufe von vier Jahrhunderten von der Kirche Boliviens gesammelten Güter zu verkaufen, um aus dem Erlös den Bau von sozialen Einrichtungen zu beschleunigen. Diesem Vorschlag folgend, hat der Orden der Oblaten seine gesamte Habe für den Bau von Schulen und öffentlichen Krankenhäusern in Bolivien zur Verfügung gestellt.

Innerhalb ihres sozialen Programms baut die Kirche Boliviens Wohnungen für arme Familien und minderbemittelte Personen. Jedes Wohnviertel sieht eine Kirche, Schule, Poliklinik und andere Dienstleistungen vor. Das Bauland ist von den Franziskanern von Sucre zur Verfügung gestellt worden. Der Bau selbst wird mit Spenden finanziert, die Kardinal Maurer in Trévesis [Trier], seiner Ursprungsdiözese, gesammelt hat.

Außerdem sind im Lande rund 200 Krankenhäuser von der Kirche gebaut worden, und fast alle Spargenossenschaften sind aus den Pfarreien hervorgegangen. Für die systematische Erziehung sind mehrere Programme von der Kirche in Angriff genommen worden. Im ganzen Lande besteht ein Netz von Zentren, die aus kirchlicher Initiative entstanden sind. Mehr als 2000 Freiwillige arbeiten in den Programmen mehrerer Rundfunkanstalten, die in Hunderten von Zentren gehört werden. Diese ganze Arbeit wird von der Kirche über Institutionen verschiedenster Art realisiert."

[Handbuch der Kirchengeschichte / hrsg. von Hubert Jedin. -- Ausgabe auf CD-ROM. -- Berlin : Directmedia, 2000. --1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 35. -- ISBN 3-89853-135-X. -- S. 15603 (vgl. HKG Bd. 7, S. 720)]

"Obwohl die Zahl der Priesterweihen im Vergleich mit den benötigten Priestern noch zu gering sind - so Kardinal Maurer, Erzbischof von Sucre -, nehmen die Berufungen in Bolivien zu. Etwa 80 Seminaristen erhalten demnächst ihre Weihe, und bald werden verheiratete Diakone den überlasteten Priestern helfen. Die neuesten Statistiken stellen fest, dass von den 913 Priestern, die in den 16 Diözesen tätig sind, nur etwa 200 im Lande geboren wurden. Nordamerikanische Missionare unterhalten fünf Katechese-Zentren unter den Aymará-Indianern und haben in den letzten Jahren rund 1000Katechisten ausgebildet. Von ihnen wurden 100 für das Diakonat ausgewählt. Die positive Erfahrung unter den Aymarás hat dazu geführt, diese Arbeit auch bei den Quechuas zu beginnen, deren Anzahl bei 1,2 Millionen geschätzt wird. 

In Bolivien gibt es 293 nordamerikanische Missionare, darunter 2 Laien, 42 Weltgeistliche, 11 Ordensgeistliche aus fünf Kongregationen und 138 Ordensschwestern aus vier Kongregationen. Die größte Anzahl stellt die Kongregation von Maryknoll mit 62 Priestern und 43 Schwestern. Kardinal Maurer und der Kultusminister haben Lobesworte für die Brüder von Maryknoll gefunden wegen ihres für viele Bolivianer so hilfreichen Einsatzes im Kampf gegen das Analphabetentum mit Hilfe des Rundfunks. Die bolivianischen Rundfunkanstalten bilden eine Gesellschaft, die neun Sender aufgebaut hat und unter die Leitung dieser Missionare gestellt wurde"

[Handbuch der Kirchengeschichte / hrsg. von Hubert Jedin. -- Ausgabe auf CD-ROM. -- Berlin : Directmedia, 2000. --1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 35. -- ISBN 3-89853-135-X. -- S. 15605 (vgl. HKG Bd. 7, S. 721)]

1972

Riester, Jürgen <1941 - >: Die Pauerna-Guraŝug'wä : Monographie eines Tupí-Guaraní-Volkes in Ostbolivien. -- St. Augustin : Anthropos, 1972. -- 562 S. : Ill. --(Collectanea Instituti Anthropos ; 3). -- Zugleich: Bonn, Universität, Dissertation, 1969

Abbildungen aus dem Werk von Riester


Abb.: Fallen


Abb.: Maniokpresse


Abb.: Kalebassen


Abb.: Weltbild

1972

Aufruf des Missionsprokurators der Schweizer Jesuiten, P. Felix Plattner (1906 - 1974) "Rettet San Rafael":

"Das Gotteshaus San Rafael (...) gehört zu unserem kulturellen Patrimonium wie etwa die Klosterkirche von Müstair, das Kirchlein von Zillis oder auch das Kloster Einsiedeln."

[Martin Schmid 1694 - 1772 : Missionar, Musiker, Archtiekt. Ein Jesuit aus der Schweiz bei den Chiquitano-Indianern in Bolivien  Hrsg. Eckart Kühne. -- Luzern : Historisches Museum, ©1994. -- S. 9]

Der schweizerische Ex-Jesuit und Architekt Hans Roth (1934, Zürich - 1999, Rankweil) beginnt daraufhin mit der Renovation der vom schweizerischen Jesuiten Martin Schmid im 17. Jhdt. erbauten Kirchen in den ehemaligen Jesuitenreduktionen.

Hans Roth schreibt über seine Arbeit:

"Die erste Restaurierung, San Rafael

Im Jahre 1943 begann der Historiker Plácido Molina aus Santa Cruz die Jesuitenmissionen von Chiquitos bekannt zu machen, er bemühte sich um die Rettung der Kirche San Ignacio und fotografierte sie vor und während ihrer Zerstörung. Doch erst Pater Felix Alfred Plattner (1906-1974), der wichtigste Biograph von Martin Schmid, ermöglichte die erste Restaurierung einer Chiquitoskirche. Ich war als Architekt in Indien tätig, als ich zur Mitarbeit an einem Projekt des Jesuitenkollegs nach Feldkirch gerufen wurde. Nun aber wusste ich, dass die Kirche San Rafael in Chiquitos restauriert werden sollte, und bat Pater Plattner, mir diese Arbeit zu übertragen, denn es erschien mir kein reiner Zufall zu sein, sondern vielmehr als eine Art Vorsehung, dass ich, Jesuit und Architekt, das Werk von Pater Schmid restaurieren sollte, wo doch meine Vorfahren aus derselben Gegend stammten wie Pater Schmid.

Ich erhielt den Auftrag und reiste im Mai 1972 unverzüglich nach Santa Cruz de la Sierra und von dort nach San Ignacio, mit einem sechs Monate gültigen Rückflugbillet in der Tasche. Aber diese Rückkehr sollte sich verzögern: Erst zwei Jahre später konnte ich wieder nach Santa Cruz reisen, so schlecht waren die Verkehrsverbindungen; und wer hätte damals gedacht, dass ich die nächsten 21 Jahre meines Lebens den Restaurierungsarbeiten in Chiquitos widmen würde!

In San Ignacio angekommen erfuhr ich durch den Rundfunk, dass Gottfried Trenker, der Pfarrer von San Rafael, die Arbeit an der dortigen Kirche bereits begonnen und mit lokal angestellten Arbeitern die Hälfte des Daches bis zu den Seiteneingängen bereits abgedeckt hatte. Im Jahre 1964 hatte er schon in San Jose das Dach und die Pfeiler des Kirchenschiffs in nur vier Monaten repariert, und war überzeugt, auch in San Rafael auf dieselbe Weise vorgehen zu können. Ich reiste sogleich nach San Rafael und suchte zunächst die Altäre, Skulpturen, Bilder, Möbel usw. vor den Abbruch- und Bauarbeiten zu schützen.

Pater Gottfried Trenker kannte den durch Witterungseinflüsse und völlige Vernachlässigung bedingten, schlechten Zustand der Hölzer und entschloss sich für eine einfache Vorgehensweise: mit Hilfsgerüsten aus dünnen, 12-15 Meter langen und 1-1, 5 Meter im Boden verankerten Stämmen sollte der ganze Dachstuhl (Sparren, Pfetten, Binder) abgenommen, die Säulen entfernt, die eingegrabenen, verfaulten Teile durch Eisenbetonsockel ersetzt, sowie alle beschädigten Teile ersetzt werden. Eine gewisse Sicherheit boten dabei die Hilfsgerüste, an denen die Pfeiler und Sparren vor ihrer Entfernung festgebunden wurden; als dies einmal vergessen wurde, stürzten vier Pfeiler mitsamt dem Dachstuhl ein. Nachdem so der Innenraum der Kirche freigelegt und auch noch die zwei Seitenwände der Vorhalle eingestürzt waren, präsentierte sich die Kirche San Rafael in einem Zustand der völligen Zerstörung. Diesen Eindruck teilten auch die Dorfbewohner, welche in den ausgeführten Arbeiten noch keinen Rettungsakt erblicken konnten.
Die auf Bodenhöhe verfaulten Säulen hatten sich unterschiedlich gesenkt. Sie wurden etwa 20 Zentimeter über dem Boden abgeschnitten, auf Betonsockel gestellt und mit sichtbaren Flacheisen verschraubt; einige mussten ganz durch Kopien ersetzt werden. Auch die eingemauerten, teilweise bis zum Dach verfaulten Holzpfosten in den Wänden mussten herausgelöst werden, da sie die Stabilität der Lehmwände beeinträchtigten. Zu diesem Zweck wurden die morschen Pfosten herausgelöst und dann die Hohlräume mit Steinen und Zementmörtel ausgefüllt. Jene Wandpfosten, die noch tragfähig waren, wurden mit Flacheisen im Betonsockel verankert.

Der Dachstuhl war stark beschädigt, aber vom Boden aus war der Zustand im einzelnen nicht erkennbar. Erst beim Abbau entschied sich, welche Holzteile teilweise oder ganz ersetzt werden mussten. Obschon oft nur die Enden oder die Verbindungsstücke verfault waren, mussten aus Konstruktionsgründen die ganzen Balken ersetzt werden. Man versuchte, alle Originalteile zu verwenden und sie entweder am ursprünglichen Ort oder in veränderter Form an anderen Stellen wieder einzusetzen. Der Befestigung des gesamten Holzwerkes mit Nägeln und Schrauben aus Eisen wurde große Bedeutung beigemessen. Das Dach wurde wieder mit einem Unterdach aus Bambus und mit den originalen, gut erhaltenen Dachziegeln eingedeckt. Die Sorge um all diese - scheinbar unbedeutenden - Details war äußerst wichtig, da es keinen Zugang zu modernen Techniken gab und daher auf traditionelle Verfahren zurückgegriffen werden musste. Das Dorf San Rafael, weitab im Tiefland, am Rande der Zivilisation gelegen, war bei der Bewältigung dieser gewaltigen Arbeiten auf sich selbst gestellt. Für die erste Bauetappe mussten mindestens 300 Bäume gefällt werden, um neue Balken, Sparren und Pfeiler zu fertigen. Der höchste Baum, der während der Restaurierungsarbeiten in San Rafael verwendet wurde, stand nur zwei Kilometer vom Dorf entfernt, wegen seiner gewaltigen Grosse war er stehengelassen worden. Die Ausrüstung bestand aus einem einfachen, mit einem Dieselmotor betriebenen Sägewerk, einem kleinen, abgenutzten Traktor, vier Seilzügen und einer elektrischen Bohrmaschine. Das Dorf verfügte aber nur während 3 Stunden abends über elektrischen Strom, so dass tagsüber unzählige Löcher von Hand in die harten Hölzer gebohrt werden mussten. Der Traktor, unser einziges Transportmittel, war ein ständiges Problem: pro Tag konnte er nur fünf Stämme ins Dorf schleppen, so dass wir allein dafür etwa 100 Tage benötigten. Hinzu kamen noch die Transporte von Wasser, Steinen, Sand, Bambusrohren, Ziegelsteinen, Backsteinen, Lehmziegeln usw. Ein weiteres Problem stellte das Sägewerk dar, das nur ein bis zwei Balken pro Tag verarbeiten konnte; die Maschine hatte aber den Vorteil, dass die Holzreste zu Brettern und Latten verarbeitet werden konnten, während bei der manuellen Bearbeitung mit Axt und Dechsel aus einem ganzen Stamm nur ein einziger Balken gewonnen wurde.

Weitere Restaurierungen

Bei meiner Ankunft in San Ignacio machte ich zuerst eine Bestandesaufnahme der Überreste der im Jahre 1948 abgerissenen Kirche, die im Brennholzschuppen neben der Küche des Franziskanerklosters lagen. Um ab und zu der Enge des kleinen Dorfes San Rafael zu entfliehen, begann ich anhand der Fotografien von Don Plácido Molina den Hochaltar zu rekonstruieren. Die vorhandenen Teile des Altars mussten mit Hilfe einer großen Lupe geprüft, geordnet und an ihrem ursprünglichen Ort wieder eingesetzt werden - eine akribische, ja beinahe detektivische Arbeit. Da die meisten geschnitzten Originalteile, Gesimse und Friese erhalten waren, konnte der Hochaltar originalgetreu rekonstruiert werden, allerdings fehlten die glatten Bretter, aus denen man Möbel für das Kloster gefertigt hatte.

Nach denselben Methoden wie in San Rafael, aber mit mehr Hilfsmitteln, wurde ab 1976 die Kirche in Concepción und ab 1979 die in San Miguel restauriert; beide waren sehr schlecht erhalten, so dass wesentlich mehr Hölzer als in San Rafael ausgewechselt werden mussten. Das Bambus-Unterdach wurde in beiden Kirchen durch Holzbretter ersetzt, die an den Sparren festgenagelt wurden und dem Bauwerk mehr Stabilität verleihen. In San Miguel wurde ein Teil der Wandmalereien von gefährdeten Wänden abgelöst und später neu befestigt, dagegen konnten die originalen Malereien in Concepción nicht gerettet werden und wurden fast ganz neu gemalt.

In der Kirche San Javier, die ab 1987 restauriert wurde, befand sich das Holzwerk in einem besseren Zustand. Bruder Josef Herzog konnte deshalb die Säulen ersetzen, ohne zuvor das Dach abzubauen. Die schadhaften Teile des Daches wurden dann in einer zweiten Etappe erneuert. Viele jesuitische Säulen wurden mit erneuertem Unterteil wieder am originalen Standort aufgestellt, die originalen Wandmalereien konnten vollständig erhalten und restauriert werden, und es wurde auch versucht, die originale Bemalung von Dach und Säulen zu rekonstruieren.

Die Erneuerung der jesuitischen Bauten in San José wurde 1990 begonnen und ist zur Zeit noch im Gang. In San Ignacio wird seit 1993 die alte Kirchenfassade rekonstruiert und der modernen Kirche vorgeblendet. Für die nachjesuitische Kirche in Santa Ana (Ende 18. Jahrhundert) gibt es bisher kein Restaurierungsprojekt.

Restaurierung und Dorfentwicklung

Die Kirchenrestaurierungen gehören zu den entwicklungspolitisch umfassendsten Basisprojekten, die in der Region unternommen wurden. Die Restaurierungen waren arbeitsintensiv und erforderten über lange Jahre hinweg viele Arbeiter, täglich 40 bis 80 für eine einzige Baustelle. Das bedeutete für Dörfer mit 500 bis 2000 Einwohnern, dass ein sehr großer Teil der arbeitsfähigen Männer des Dorfes am Kirchenbau beschäftigt wurden.

Es entstand ein völlig neuer lokaler Markt, der die bestehenden Sozialstrukturen der Dörfer von Grund auf beeinflusste. Die wöchentlichen Lohnauszahlungen bewirkten eine bisher fast unbekannte Geldwirtschaft in einer Bevölkerung, die von Tauschgeschäften mit Naturalien und von Schuldknechtschaft bestimmt war. In allen Dörfern, wo eine Restaurierung durchgeführt wurde, begann nach ein bis zwei Jahren ein reger Hausbau. Es wurden neue und bessere Häuser erstellt, die mit am Ort gebrannten, mit Geld erworbenen Ziegeln eingedeckt wurden.

Die Restaurierungen erforderten handwerkliche Infrastrukturen: Sägerei, Schlosserei, Schreinerei, Transportfahrzeuge und Reparaturwerkstätten. Diese aufwendigen Installationen blieben den Dörfern nach Abschluss der Bauarbeiten erhalten und bilden jetzt oft die einzigen qualifizierten Handwerksbetriebe.

Die langjährigen Bauplätze ermöglichten vor allem ein intensives Ausbildungsprogramm für Jugendliche und Erwachsene: im Bauhandwerk als Maurer, Zimmermann, Dachdecker, Fliesenleger, Maler, Ziegelbrenner, Töpfer usw.; in der Metallverarbeitung als Schlosser, Dreher, Spengler, Schweißer, Elektro- und Sanitärinstallateur usw.; in der Holzverarbeitung als Schreiner, Drechsler, Schnitzer, Vergolder usw. Mit europäischen Entwicklungshelfern wurden für die verschiedenen Branchen staatlich anerkannte Lehrpläne ausgearbeitet. Die Lehrlinge wurden als Arbeiter ohne Nachweis der Vorbildung angestellt und bezahlt. Es melden sich sowohl Analphabeten als auch junge Leute mit Mittelschulabschluss. Die Absolventen der 2 bis 3jährigen Kurse erhielten ein staatliches Zeugnis sowie eine Grundausrüstung von zum Teil selbstgefertigten Werkzeugen.

Der erste Schritt zur Restaurierung bestand in einer Art Erinnerung an einmal vorhanden gewesene, verloren gegangene Techniken. Die
Kenntnis dieser alten Handwerkstechniken war eine notwendige Voraussetzung für die Restaurierungen. Für die «wenig entwickelte» Umwelt war das ehemalige handwerkliche Wissen als «angepasste Technologie» eine brauchbare Errungenschaft. In einem weiteren Schritt wurden dann diese Techniken in den modernen Baubetrieb aufgenommen und weiterentwickelt. Ausgelöst durch die Restaurierungen ergab sich so im Bau- und Kunsthandwerk eine sinnvolle Anknüpfung an regionale Traditionen.

Das Interesse der gesamten Bevölkerung richtete sich vorerst auf die Rettung der baufälligen und einsturzgefährdeten Kirchen, die der Mittelpunkt des dörflichen Lebens aller sozialen Schichten waren. Alle Mittel, die der Erreichung dieses Zieles dienten, wurden akzeptiert. Sogar die Oberschicht musste in Kauf nehmen, dass sich infolge der Restaurierungen ein großer gesellschaftlicher Wandel anbahnte: die wöchentliche Entlöhnung lief der üblichen Schuldknechtschaft und versteckten Leibeigenschaft zuwider und wirkt regelrecht befreiend; die am Kirchbau beschäftigten Indianer nahmen wieder im «weißen» Dorfgebiet Wohnsitz, aus dem sie einst vertrieben worden waren; die wirtschaftlichen Vorteile, die den Arbeitern durch die Ausbildung erwuchsen, kamen vor allem den ungeschulten Indianern zugute und ermöglichten ihnen einen bisher vorenthaltenen sozialen Aufstieg. Von jedem profanen Entwicklungsprojekt können sich gewisse Schichten distanzieren, die Mächtigen können Schwierigkeiten in den Weg legen und mit allen Mitteln verhindern, dass an ihren Privilegien gerüttelt wird. Dem Kirchbau aber kann und will sich niemand entziehen: es geht hier für alle Volksgruppen um ein Erbe, das ihre gemeinsamen Werte verkörpert."

[Hans Roth <1934, Zürich - 1999, Rankweil>. -- In: Martin Schmid 1694 - 1772 : Missionar, Musiker, Architekt. Ein Jesuit aus der Schweiz bei den Chiquitano-Indianern in Bolivien  Hrsg. Eckart Kühne. -- Luzern : Historisches Museum, ©1994. -- S. 97 - 101]


Abb.: Statue "Hans Roth", Museo de las misiones, Concepción (Bild: Payer, 2001-12)


Abb.: Hans Roth


Abb.: Ein Frühwerk von Hans Roth aus seiner Zeit als Jesuit: Hallenbad Kolleg Stella Matutina, Feldkirch (Österreich), 1965 (Bild: Payer, 2002)


Abb.: Von Hans Roth rekonstruierte Jesuitenkirche in Concepción (Bild: Payer 2001-12)


Abb.: In diesem Zustand fand Hans Roth ca. 5000 Blatt Musiknoten aus den Jesuitenmissionen und rettete sie vor dem endgültigen Verlust


Abb.: Eines der Notenblätter

1972

Debru, Serge: Zu Aymará und Machiguenga : französische Bolivien-Peru-Expedition »Tahuantinsuyu«. -- Leipzig : Brockhaus, ©1972. -- 179 S. : Ill. -- [Die Expedition fand 1966 statt und wurde von DDR-Institutionen gesponsert]

"Gott für alle?

... Der heutige Klerus vertritt letztlich nur das Erbe jener Geistlichkeit, die die spanischen Konquistadoren begleitete. Gegenüber dem Hotelpalast Copacabana im Zentrum von La Paz erhebt sich die moderne Kathedrale aus italienischem Marmor, in ihrer Art an die Zuckerbäckerbauten von Lisieux und Sacre Coeur erinnernd. Nach der Sonntagsmesse gibt es hier jedesmal das gleiche Schauspiel. Dazu treten auf: Kadetten in Ausgehuniform, bereits beleibte Offiziere, die mit goldenen Tressen und vielerlei Orden barock herausgeputzt sind, junge Damen der High society mit Sonnenbrillen, deren große runde Gläser Untertassen gleichen, füllige reife Frauen, die mit süßem Backwerk vollgestopft sind . . .

Was der Indio in einem Monat verdient, geben diese reichen Kinder Südamerikas, die Nachfahren der alten Konquistadoren, für ein Paar Schuhe aus. Die Söhne aus guter Familie, gute Katholiken, fahren auf der Avenida auf und ab und lassen aus Übermut die Motoren ihrer amerikanischen Wagen neuesten Modells aufheulen. Auf der Hotelterrasse genießen die Paare ihren Whisky. Man möchte ihnen wünschen, dass die Trinkenden in ihrem Glas den Geschmack des Blutes der Bergleute, des Schweißes der Landarbeiter und des Pulvers der auf Bergleute und Landarbeiter abgeschossenen Gewehre wiederfänden. In Achachikala, einer Elendsvorstadt der Hauptstadt Boliviens, zur Zeit der Sonntagsmesse. Die Sonne strahlt an diesem Morgen, und in der Ferne, oberhalb der kleinen Kirche aus ungebrannten Ziegeln, erhebt sich stolz der Gipfel des Illimani. Die knieenden Frauen in ihren weiten Röcken und den heute am Sonntag besonders sorgfältig geflochtenen, langen schwarzen Zöpfen bitten betend um bessere Tage. Mein Freund Pedro Rivals ist Mitglied der Gruppe der Neuen Geistlichen. Er spricht mit einfachen Worten zu seinen Kumpeln: ». . . tausend Indianer in Brasilien ermordet, die eure Brüder sind ... es gibt zu viele Leute, die aus Geldmangel nicht zum Arzt gehen . . . viele Menschen sterben in Vietnam .. .«
Am 2i. März 1968 empfing der damalige Präsident von Bolivien, General Barientos, den apostolischen Nuntius, der nicht bolivianischer, sondern italienischer Staatsbürger ist. Aus diesem Anlass schrieb Pedro Rivals: »Wenn man sieht, wie das Ereignis verlief, ist man traurig und verwirrt über soviel Unwissenheit. Der Cadillac des Nuntius stellte durch seinen Luxus den Wagen des Präsidenten in den Schatten. Und wie könnte ein Armer die prächtige Kleidung des katholischen Würdenträgers mit der armseligen Christi in Übereinklang bringen?« »Ich sage dem Papst [schrieb Pedro Rivals in einem Brief am 4. Juni 1968], dass viele Priester nicht mehr als das Nötigste wissen, weil die Bischöfe die Direktiven des Konzils nicht verwirklichen, während wir, die wir auf selten der Armen stehen und wollen, dass das Konzil gelebte Wirklichkeit wird, nicht wissen, was wir tun sollen. Wie lange müssen wir noch warten Als die Französische Revolution begann, begaben sich alle Bischöfe außer einem ins Exil. Warum? Weil sie stets fern dem Volke gelebt hatten und die Revolution für sie eine Drohung bedeutete. Wer hielt denn das Volk mehr schlecht als recht im Glauben? Die kleinen Landgeistlichen. Wird nicht das gleiche eines Tages bei uns geschehen, wenn die Stunde der Revolution hier schlägt? Und dann wird es von unserer Seite nicht Opportunismus sein, sondern Treue zu den Armen in Christus.«

Gegen die Kirche der Privilegierten und der unermesslichen Reichtümer, diese Kirche im Dienste der kapitalistischen Regierungen revoltieren die wahren Christen. Was bedeuten denn dem Armen, dem elenden brasilianischen Landarbeiter, dem unglücklichen Neger aus den Favelas von Rio, dem Stiefelputzer in Lima, dem bedauernswerten Indio des Altiplano ein silberner Altar, das goldene Messgewand eines Priesters oder die edelsteinbesetzte Monstranz? Nichts, dreimal nichts. Wenn er die Kirche verlässt, findet er wieder das Elend, den Tag ohne Brot, die Hütte ohne Feuer, die sterbenden Kinder. Priester Rivals: ». . . der genannte Jesus ist in einer Krippe geboren, und wenn er auf Erden wiedergeboren würde, so würde er nicht im luxuriösen Palast des Nuntius von Kolumbien wohnen, der ein Skandal inmitten des Elends der Armen ist. Die Kirchenhierarchie ist noch immer die Repräsentantin einer privilegierten Klasse. Eine reiche Kirche kann das Evangelium nur predigen, wenn sie schweigt, wenn sie verschwindet oder sich verändert. Auch für sie gilt die Strukturveränderung.« Am 4. April 1969 äußerte sich Pedro »Sprengstoff«, wie ihn der Bischof von Coroico genannt hat, über das gleiche Thema: »Für den, der sich die während des Konzils von den Teilnehmern gemachten Vorschläge ins Gedächtnis ruft: Die Kirche wendet sich der Welt zu, die Kirche leidet mit den Armen, die Kirche kehrt zum Evangelium zurück - für den ergibt sich der traurige Eindruck von Aufschneiderei. Die jüngsten Weisungen über die Kleidung der Kardinale und Erzbischöfe können uns den Wandel nicht bringen. Denn diese Veränderungen sind wirklich von sehr untergeordneter Bedeutung und nur rein äußerlich. Wenn sich der Vatikan mit der Farbe der Schuhe und Strümpfe der kirchlichen Würdenträger beschäftigen muss, so heißt das wirklich, die Reform beim letzten Zipfel beginnen. Wird man auch die Paläste der Nuntien abschaffen? Die in manchen Ländern Südamerikas (zum Beispiel in Kolumbien) immensen Ländereien der Kirche? Wir brauchen Bischöfe, die wie die ersten Apostel dem Glauben dienen und nicht einer Institution der Bischöfe; die keine Furcht haben, die kleinen Gastwirtschaften zu besuchen, wenn sie dort mit ihrem Volk zusammentreffen können; Bischöfe, die nicht besessen sind von ,Geschäften' oder der Verwaltung, sondern Apostel.« ...

Schrecklich ist es, mit anzusehen, wie Männer in Soutanen unter dem Deckmantel der Religion die Naivität der Indios ausnutzen. In Caranguas in Bolivien in einem zurückgebliebenen Gebiet des Altiplano ließ sich ein Pfarrer die Messe in Vieh bezahlen - ein guter Hammel für jede Messe. Der Bauer musste die Herde in den Hof des Pfarrhauses treiben, wo der Pfarrer vom Balkon aus das Tier auswählte. Der Sakristan, am üblen Streich des Pfarrers beteiligt, kennzeichnete das Tier mit einem roten Kreuz. »Das ist das Tier des Herrn, mein Sohn, wenn ich es auf dem Markt von Oruro verkaufen will, werde ich es von dir verlangen, bis dahin behandle es mit Sorgfalt!«  ...

Von räuberischen Geistlichen wimmelt es in den südamerikanischen Ländern. Ich habe ihr Unwesen auf den Hochländern der Anden ebenso gesehen wie am Rande des tropischen Waldes. ...

Die Arbeit der katholischen Missionare kann keinen Erfolg haben, denn sie machen die Mission zur Kopie und zum Modell einer anderen Zivilisation, eines anderen Zeitalters der Menschheit und zwingen den Indianern, ohne sie davon überzeugt zu haben, einen ihnen fremden Lebensstil auf.

Man sieht es nicht gern, wenn junge Priester diese falschen Missionierungsmethoden kritisieren. In Bolivien mahnte die hohe Geistlichkeit:

»... die Bischöfe dürfen nicht von ihren Geistlichen kritisiert werden. Wir brauchen euch für die Messe, den Kultus, die Bewusstseinslenkung. Ihr stellt euch Fragen, die völlig uninteressant sind, zum Beispiel: die Anwesenheit ausländischer Geistlicher neben den bolivianischen. Wir halten es für sehr schlecht, dass sich Priester mehr und mehr auf sozialern Gebiet betätigen, dass Priester Gewerkschaftsführer werden. Wir verlangen von euch, dass ihr in erster Linie Geistliche seid . . .« In einem Gespräch über dieses Thema stellte mein Freund Rivals fest: »Ich gebe gern zu, dass es Überspitzungen gibt. Ich gebe gern zu, dass uns die Heiligkeit fehlt. Aber diejenigen, die uns in der Sakristei sehen wollen, haben das Evangelium überhaupt nicht verstanden.«

Die reiche kapitalistische katholische Welt Südamerikas will Geistliche in ihrem Sold, Figuren, die man nach eigenem Ermessen bewegt. Die Neuen Geistlichen sagen nein dazu.

Am 8. April 1968 ließ in Bolivien ein Bischof der Franziskaner offiziell seine Gläubigen für die Bekehrung einer großen Anzahl von Geistlichen beten, die nach seiner Meinung Marxisten geworden waren! Denn eines der Ziele der Neuen Geistlichen ist die Vorbereitung der Menschen auf eine künftige Revolution, die sie in die Hand nehmen und führen müssen. Ferner tragen die Neuen Geistlichen viel zur Bildung der Jugend, der Gewerkschafter und der Intellektuellen bei. ...

Im August 1968 besuchte der Papst Kolumbien. Und er sprach über die sozialen Missstände in der Welt und wies auf die schreienden Ungerechtigkeiten hin. Ich habe mir die Erklärung Pedro Rivals' zum Papstbesuch aus dem »Journal de notre Vie« aufgehoben:

». . . Die Haltung des Papstes zur Geburtenkontrolle wie zu den Problemen Lateinamerikas verwirrt mich. Ich finde, dass hier eine Analyse der Lage fehlt. Wenn der Papst den Armen sagt, er werde sie energisch verteidigen, sie müssten jedoch bedenken, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebe; wenn er ihnen sagt, es gebe ein Glück der Armut; wenn er die Gewalt ablehnt, so kann ich ihm nicht beipflichten. Zunächst, weil man das Evangelium nicht Menschen predigen kann, die Hungers sterben, weiter, weil es sich hier nicht um Armut, sondern um nacktes Elend handelt, also um Lebensbedingungen, die den Menschen vernichten, und schließlich, weil man eines Tages erkennen muss, dass die eigentlichen Ursachen dieses Zustandes die Ausbeutung dieser Länder durch die Monopole gemeinsam mit der herrschenden Klasse ist. Niemals werden sich die USA freiwillig zurückziehen, weil sie sich ,plötzlich' bekehrt hätten. Die Diebe müssen das Gestohlene zurückgeben, das ist die erste Bedingung, das erste Zeichen der Bekehrung, und so weit sind sie noch nicht. Reformismus ist keine Lösung. Zum anderen ist es zweideutig, wenn man gegen die Gewalt predigt; nicht die Armen gebrauchen sie, sondern sie erleiden sie seit Jahrhunderten. Man muss den Gewalttätigen predigen, keine Gewalt zu gebrauchen, nicht aber denen, die das Recht haben, sich zu verteidigen.«

Einundfünfzig Prozent der Aktien der Zeitung »Presencia« in La Paz gehören dem katholischen Klerus. Verantwortlich für den Inhalt ist ein Bischof namens Prata, der völlig im Dienste des Kapitalismus zu arbeiten scheint. Ende Juni 1968 richteten in Oruro versammelte Geistliche folgenden Brief an ihn: »Monsignore, die in Oruro versammelten Geistlichen haben sich über Diskriminierungen beklagt, die Sie verursachen, indem Sie Artikel, die Geistliche oder Organisationen einschickten, nicht veröffentlichen ließen. Wir fragen uns sogar, ob Sie nicht lieber zehntausend Dollar entgegennehmen für Ihre katholische Universität und dafür einen Ihrer Mitarbeiter, Monsignore Xavier Baile, hindern, die Wahrheit über die kapitalistische Ausbeutung durch die Gulf Company zu sagen. Was Sie tun, steht sowohl zu den Direktiven der Kirche wie zu den Rechten und Freiheiten der Presse im Widerspruch. Wir bitten Sie sehr, unseren Darlegungen Rechnung zu tragen, sonst sähen wir uns gezwungen, Sie um ihren Rücktritt zu ersuchen.«
Ohne Zweifel steht der hohe katholische Klerus der südamerikanischen Länder im Dienste der kapitalistischen Regierungen und damit mehr oder weniger direkt auch im Dienste der USA."

[a.a.O., S. 122 - 131]

"Des Bergarbeiters Karneval

Am 3. Februar besuche ich die Mine San José d'Oruro zusammen mit Alberto Guerra-Gutierrez, der sie gut kannte, weil er hier selbst als Arbeiter war.

Im Bergwerk wird ein Fest gefeiert, das Fest des sagenhaften Tio, des Gottes der Tiefen, der Schätze der Erde, dieser schwarzen Eingeweide, wo der Mensch schwitzt und leidet, um sein Brot zu verdienen. Nach jahrhundertealtem Volksglauben bewacht Tio liebevoll seine Schätze. Tio ist der mythische Herr der Tiefen des Bergwerks. Der Bergmann verehrt ihn, und am Tag der großen Challa, am Karnevalsfreitag, opfert er ihm Schnaps, Lebensmittel, Süßigkeiten, Zigaretten und Kokablätter. Das tönerne Bildnis des Tio mit einem Bergwerkshelm auf dem Kopf steht im tiefsten Stollen der Grube San José. Das ist ein Festtag, an dem man trinkt, viel trinkt zu Ehren von Tio und Pachamama, der »Mutter der Erde«. Aber man trinkt auch, um zu vergessen. Der Karneval beginnt, der Karneval, das Symbol des Vergessens. Also darf man tagelang nicht mehr an die Kinder denken, an die fehlenden Nahrungsmittel, an die Milch, die im Hause unbekannt ist. Man muss tanzen, lachen, sich amüsieren, bis man noch mehr Durst hat.
Alberto steht in dem von Aufruhr brodelnden Raum an meiner Seite. Wir sind gerade am Schacht, als eine Gruppe von Bergmännern aus dem Stollen 340 heraufkommt. Sie haben Tio gefeiert. Ein kräftiger Mann von etwa dreißig Jahren umklammert eine Flasche Schnaps. Schwankend nähert er sich uns, er will sich aussprechen. Die Leute ringsum kümmern ihn wenig.

»Morgen ist Karneval, ein recht trauriger Karneval. Die Löhne werden immer geringer. Früher hatten wir Anspruch auf eine Prämie, eine Art tägliche Gratifikation - sie ist uns entzogen worden. Der Tageslohn beträgt nicht mal mehr zehn Peso; ein Kilo Fleisch kostet ebensoviel. Was soll man da machen, wenn man vier Kinder hat? Dieses Jahr haben wir zum Karneval hundertzwanzig Peso geschenkt bekommen. Was sollen wir mit so wenig Geld anfangen? Für das heutige Fest haben wir den billigsten Fusel gekauft, den man für die Spiritusbrenner nimmt; die Flasche kostet anderthalb Peso . . .«

Und der Kumpel streckt mir die schmuddelige Flasche hin, schmutzig vom Schweiß, der die Haut der Männer gerbt.

»Ich war Gewerkschaftsführer, aber wie soll man weitermachen, wenn man eine Familie hat, die man ernähren muss? Wenn einer von uns
dabei ertappt wird, dass er gewerkschaftlich arbeitet, wird er vor die Tür gesetzt.«

Wir steigen in den alten Förderkorb. Im Stollen 340 findet Alberto die Sprache der Kumpel wieder, die auch die seine war, da er als junger Bursche Erz schleppte.

»Hast du Manuel Fernandez gekannt?« fragt er den Bergmann, der uns den Weg weist.
»Ja, aber er ist schon lange nicht mehr bei der Mine.«
»Ich habe Manuel Fernandez wiedergesehen, der so stark und so schön war. Er ist Träger auf dem Markt Santa Clara.« In Albertos Blick lag
tiefe Trauer, als er das sagte. Vielleicht dachte er an das Gedicht, das er Manuel Fernandez gewidmet hatte:

Manuel Fernandez
von Koka und Zinn
Manuel Fernandez
von Not und Elend . . .

An einem verborgenen Plätzchen, wo man starken Chicha trank, ließen wir uns nieder. Um den Hals einiger Männer schlingen sich Papierschlangen.

»Ich erhebe mein Glas auf den Karneval, auf den Karneval in diesem traurigen Jahr! Ich bin ein alter Chaco-Kämpfer. Als man sich schlagen musste, hab ich meinem Vaterland gedient. Jetzt, mit fünfundsechzig Jahren, fahre ich ein, um täglich sechzehn Peso zu verdienen.«

Ein Junger ergreift das Wort: »Vor einigen Monaten war Colonel Montenegro, der Bergwerkskontrolleur, so zynisch, uns zu besuchen. Er ist nicht einmal bis heruntergekommen, aus Angst, sich seine schönen Schuhe zu beschmutzen. Immerhin war er so frech, uns zu erklären, die Lebensverhältnisse der Arbeiter seien besser als früher. Was rührt es sie, diese Streber, wenn wir durch Unfälle oder Krankheiten umkommen. Was kümmert es sie, wenn unsere Kinder nichts zu essen haben . . .«

Der Zorn grollt, er ist in dem billigen Schnaps, er ist in der Koka, die alle kauen, im schwarzen Boden des Bergwerks.

». . . sie müssen doch meinen, dass das wenige, was uns zugestanden wird, genügt. Die Koka hilft uns arbeiten, indem sie den Magen zuschnürt; aber tatsächlich fehlen uns Brot, Fleisch und Milch für unsere Kinder...«"

[a.a.O., S. 133 - 135]

"Zwei Bolivianer der Tat

In den südamerikanischen Ländern ist Gewerkschaftsarbeit schwierig, und wer sich ihr widmet, weiß, was er riskiert. Wie viele unbekannte Helden haben den Boden Boliviens mit ihrem Blut getränkt, wie viele schmachten noch heute in düsteren Gefängnissen. In Bolivien, wo eine Regierung die andere ablöst, haben ungefähr achtzig Prozent der Bevölkerung nicht satt zu essen, aber die Minister beziehen höhere Gehälter als ihre Kollegen in Europa. Jeder Offizier fährt seinen Mercedes, während der Bergmann und seine Familie Hunger leiden.

Ende Juli 1965 meldeten die Presseagenturen der ganzen Welt, dass der Arbeiterführer César Lora [1927, Panak'achi - 1965, San Pedro de Buenavista] durch einen Pistolenschuss in den Kopf getötet worden war. Aber wer nahm das schon zur Kenntnis. Bolivien ist ja so weit entfernt von dem Zentrum des Weltgeschehens. Cesar Lora, der Freund der Bergleute, der Bauern, der große Bruder der in Lumpen gehüllten Kinder, die am Grubeneingang herumlaufen, starb am 29. Juli 1965 um 15 Uhr. Ein bolivianischer Arbeiter, der ihn kannte, beschrieb ihn mir in der bedrückenden Atmosphäre am Ausgang der Grube Siglo Veinte: »Er hatte dichtes Haar, das ein bisschen struppig wirkte. Man könnte es eine Krone über seinem sehr mongolisch geschnittenen Gesicht nennen. Sein Kinn war kräftig und verriet Charakterstärke, Überzeugung und Leidenschaft. Lora war der Typ Mensch, der entschlossen ist, um jeden Preis die Wahrheit zu sagen.« Der Mann, den das bolivianische Volk so liebte, hatte nichts gemein mit jenen Verschwörern der literarischen Cafés, die ihr Tässchen Kaffee, ihren Whisky tranken und schweigend, zitternd vor Furcht, durch die Straßen von La Paz liefen, als Che Guevara im Tropenwald Ostboliviens kämpfte.

Aus der festen Haltung Cesar Loras strahlten eine natürliche Schlichtheit, große Bescheidenheit und Mutterwitz. Weil er seine Rassengefährten, seine Kumpel und Peones liebte, konnte er zu ihnen so reden, wie sie es gewöhnt waren. Alle, die ihn gekannt hatten, rühmten mir seine moralische wie seine körperliche Stärke. Seine Muskeln waren hart geworden in den unermüdlichen Kämpfen, die er hatte führen müssen, und die auf den Feldern verlebte Jugend hatte ihn widerstandsfähig gemacht. Seine Selbstverleugnung und sein Opfermut waren sprichwörtlich. Mehrere Male deckte Cesar Lora den Rückzug seiner von einer Demonstration kommenden Gefährten. Er tat niemals etwas um des persönlichen Ruhmes willen, sondern einzig allein, um seiner Klasse, den Ausgebeuteten, zu dienen, von denen er selbst ein Teil war. Er war Autodidakt und gebildet und besaß dennoch keinerlei Schulbildung.

Cesar Lora war Marxist, eines der Beispiele für die Übereinstimmung von Ideologie und alltäglichem Verhalten, von Theorie und Praxis. Wie oft missbrauchen in den lateinamerikanischen Ländern Opportunisten aus den Mittelschichten den Sozialismus, um sich schnell sozial und ökonomisch in den Vordergrund zu spielen. Sie nennen sich Arbeiterführer und Freunde des Volkes, Verteidiger der Ausgebeuteten, aber fahren in Luxusautos und leben wie die Paschas in Wohnungen im Regierungsviertel. Was Wunder, wenn diese sogenannten Arbeiterführer, denen es mehr als gut geht, ihre Gefährten ebenso wie ihr eigenes Gewissen skrupellos an die herrschende Klasse verkaufen? Cesar Lora dagegen war der einfache Mensch geblieben. Er lebte das Leben der Mittellosen und erwarb damit das Recht, von ihrer Arbeit und ihren Leiden zu sprechen. Er gehörte zu jenen Führerpersönlichkeiten, die immer dort anzutreffen waren, wo ihre Kumpel leben und arbeiten. Cesar Lora arbeitete als Bergmann unter Tage, von seinem Eintritt in die Grube Empresa Catavi an bis zum Tage seines tragischen Todes.

Elf Jahre schuftete er in bolivianischen Minen, in denen die Arbeitsbedingungen unmenschlich sind, in Minen, in denen es eigentlich überhaupt keine Sicherungsvorkehrungen gibt, in Minen, in denen nicht einmal eine Dusche vorhanden ist, unter der sich der Kumpel nach der Arbeit Schweiß und Dreck vom Leibe spülen könnte. Unter diesen Bedingungen, bei einer Arbeitszeit von mindestens acht Stunden täglich, kämpfte er für die Befreiung des bolivianischen Proletariats. Für Lora war die Gewerkschaftsbewegung Teil der revolutionären Politik. Als Gewerkschaftsführer verlor er nie die Perspektive aus den Augen: Über den Kampf um höhere Löhne, um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen hinaus mussten die Arbeiter zu einer politischen Reife und Organisation geführt werden. Diese Voraussetzungen sind notwendig, wenn die Arbeiterklasse den Kampf um die Macht siegreich bestehen will.

Cesar Lora hatte gegen viele Gewerkschaftsführer und opportunistische Politiker zu kämpfen, die erst an ihre eigene wirtschaftliche Lage und dann an die Arbeiter dachten.

1949 arbeitete Lora in der Grube Siglo Veinte und wurde bald ein ausgezeichneter Bohrer. Seine angeborene Intelligenz ermöglichte es ihm, sich einen Überblick über alle Bereiche des Bergbaus zu verschaffen, und sehr bald konnte er mit Ingenieuren und Technikern, die oftmals Ausländer waren, ebenbürtig diskutieren. Die einfachen Arbeiter sahen in ihm ihren Verteidiger.

1951 wurde er aus dem Unternehmen Patiño verjagt und musste die Verfolgungen erdulden wie all diejenigen, die sich in den gewerkschaftlichen Aktionen auszeichneten. Er beteiligte sich aktiv an der Gründung einer Gewerkschaft der Arbeitslosen und wurde bald einer der wichtigsten Köpfe dieser Organisation. Als solcher nahm er, mit der Waffe in der Hand, an der Revolution von 1952 teil. Das Jahr 1953/54 verbrachte er in La Paz im Gefängnis. 1955 nahm er die Arbeit im Bergwerk wieder auf, und zwar wurde er nach Catavi verpflichtet. Seine politischen Gegner versuchten ihn mit allen Mitteln auszuschalten. Eines Tages ließen sie eine Lore entgleisen, damit sie ihn am Felsen zerschmettern sollte. Er kam mit einem Schlüsselbeinbruch davon. Seine robuste Konstitution und seine Widerstandskraft behaupteten sich.

1958 wurde er von der Regierung ins Gefängnis geworfen, und nur die Furcht vor einem Generalstreik zwang die damaligen Führer, ihn zu befreien.

Der Bergarbeiterstreik von 1959 war einer der bedeutsamsten in der Geschichte Lateinamerikas und wohl der größte, den es bis dahin in Bolivien gab. Er bezeichnete den Höhepunkt des Widerstandes der bolivianischen Arbeiter gegen die arbeiterfeindliche Politik der Regierung.

In dieser Zeit trachtete der Silismo (so genannt nach H. Siles-Zuazo, dem Präsidenten der Republik), die revolutionäre Arbeiterbewegung zu vernichten, indem er die Gewerkschaften spaltete, die schwachen Führer kaufte und eigene Gewerkschaften gründete, die völlig von der Regierung abhängig waren. So kam alsbald der Tag, da mehrere »rekonstruierte« Gewerkschaften eiligst heftige Angriffe gegen die Bergarbeiter-Föderation führten. Die linken Gewerkschaften, die die Gefährlichkeit dieser Aktion erkannten, bildeten eine Opposition gegen die Regierungsgewerkschaften.
Die Regierung bewaffnete ihre Leute und postierte sie in dem strategisch wichtigen Huanuni, um von dort aus die Gruben Siglo Veinte und Catavi zu kontrollieren und sie vom Hinterland zu isolieren. Am 22. Januar 1960 proklamierten die Kumpel von Siglo Veinte in einer Versammlung den Generalstreik, um die Führer von Huanuni zu unterstützen, die demokratisch gewählt worden waren. Cesar Lora fiel die wichtige Aufgabe zu, die Teilnehmer der Versammlung zu orientieren. Als Verbindungssekretär stand ihm mein Freund Héctor Borda-Leano zur Seite.

Am 23. Januar um 9 Uhr veranstalteten die Arbeiter von Huanuni eine friedliche Demonstration, die mit Kartätschen empfangen wurde. Es gab viele Verwundete und auch einen Toten. Die Folge dieser barbarischen Tat der Regierungskräfte war ein allgemeiner Aufstand der Bergleute. Im Handstreich nahmen sie die Zitadelle von Huanuni. Cesar Lora zeichnete sich dabei aus, indem er ein glänzendes Einkreisungsmanöver durchführte. Danach hängten die Kumpel Celestino Gutiérrez, einen Gewerkschaftsführer im Solde der Regierung, an einer Laterne auf. Wie Lora darauf reagierte, erzählte mir einer seiner Gefährten:

»Auf dem Platz brodelte es von wütenden Bergleuten, die Rache für die verwundeten Kumpel forderten. Die Atmosphäre war wie mit Dynamit geladen. Cesar Lora hatte dennoch den Mut hinzugehen und Celestino Gutiérrez loszuschneiden. Um so etwas tun zu können, muss einer schon ein anerkannter Führer sein. Er sprach dann, und die entfesselte Menge wurde still. Er sprach von den wahren Motiven des Bergarbeiteraufstandes und erklärte uns, dass es falsch sei, uns auf diese Art unser Recht verschaffen zu wollen.«

Im Jahre 1962 wurde der berühmte Dreiecksplan geboren. Um die Comibol (Corporación Minera de Bolivia) zu gründen, stellten die Vereinigten Staaten von Amerika, Westdeutschland und Kanada Kapital zur Verfügung. Das Gelingen des Plans erforderte die Entlassung sehr vieler Bergleute und die Herabsetzung der Löhne (und die waren dabei schon so niedrig!). Die Gewerkschaften protestierten gegen derartige Maßnahmen, und Lora entlarvte öffentlich in einer Rede die Arbeiterfeindlichkeit des ganzen Vorhabens.

Ende Mai 1962 ging er in die Illegalität und baute die von der Regierung verbotenen Gewerkschaften wieder auf.

Das kurze, beispielhafte Leben Loras ist untrennbar mit der Geschichte der bolivianischen Gewerkschaften und der Revolution verbunden. Lora war ein wertvoller Kämpfer für die Arbeiterklasse, und seine Zuverlässigkeit war in aller Munde.

Auf dem Bergarbeiterkongress im Dezember 1963 wies Lora darauf hin, dass ernste Gefahr von selten der hohen Militärs drohe, die sich bereithielten, mit Waffen dem Arbeiteraufstand ein blutiges Ende zu bereiten. An der Spitze der Delegation von Bergarbeitern überreichte Lora im Dezember 1964 eine schriftliche Erklärung seiner Partei an die Militärjunta, deren Mitglieder Rene Barrientos und A. Ovando Candía waren. Die Partei hatte keinerlei Vertrauen zu den Verantwortlichen für den Staatsstreich vom 4. November und kündigte öffentlich an, dass sie die Arbeitermilizen bewaffnen würde, um weitere Massaker zu verhindern. Die Bürokraten waren über diese Sprache entsetzt und schickten Mittelsmänner vor. Kurz nach dieser unmissverständlichen Erklärung schlug Cesar Lora den bolivianischen Bergarbeitern vor, Tausende von Guerilleros in die Kordillere zu entsenden, um die von den USA abhängige Armee in Schach zu halten. 1965, nach den großen Arbeitermassakern, ging Cesar Lora endgültig in die Illegalität. Sein Ziel war es, seine Partei wieder zu stärken und vor allem die Gewerkschaften wieder aufzubauen, damit die Bergleute organisiert den Kampf nachdrücklicher aufnehmen könnten. Verfolgt von den Kräften Barrientos', der im Solde des Imperialismus stand, durchwanderte Lora zusammen mit seinem Gefährten Isaac Camacho [1915?, Llallawa - 1967, La Paz] Bolivien. Am 26. Juli mussten sie Sucre verlassen, und am 29. Juli wurden sie auf der Straße von Secana verhaftet. Als Gefangene näherten sie sich dem Dorf San Pedro, als plötzlich die Regierungsleute wild auf Lora einschlugen, der mit Handschellen gefesselt war und sich nicht wehren konnte. Isaac Camacho wollte seinem Gefährten helfen und schrie laut, aber es war schon zu spät, schon hatte der abgefeuerte Schuss die Ruhe des Andenhochlandes zerrissen. Cesar Lora starb als Kämpfer und Freund des Volkes, noch ehe er sechsunddreißig Jahre alt war. Er starb wie Tapfere sterben, die der Gefahr mutig entgegengehen, und machte so die Worte Héctor Borda-Leanos wahr: »Bolivien ist ein Land, dessen Menschen jung eines gewaltsamen Todes sterben.«

Die Leiche Loras wurde in einer Ecke des Friedhofes von San Pedro de Buena Vista verscharrt. Aber der erbitterte Kampf seiner Gefährten hatte Erfolg. Schließlich wurden seine sterblichen Reste nach Siglo Veinte überführt, in die Nähe jener Mine, an die Stätte seines Kampfes, seiner Siege und seiner Niederlagen.

Als der Sarg Cesar Loras eines Morgens in Siglo Veinte eintraf, wartete eine dichte Menschenmenge; die Bevölkerung der Gegend, Bauern und Bergleute, war trotz der Repressalien der Regierung gekommen, um dem großen Arbeiterführer die letzte Ehre zu erweisen. Cesar Lora ist in die Geschichte eingegangen. Das bolivianische Volk wird nie vergessen, dass die faschistischen Generale an der Spitze des Landes ihre Hände mit seinem Blut befleckt haben."

[Diese Heiligenlegende Cesar Loras ist nicht frei von groben historischen Falschbehauptungen/Irrtümern!] [a.a.O., S. 160 - 165]

1972-07-16

Gründung der staatlichen Entwicklungsgesellschaft CORDEPAZ (Corporación Regional de Desarollo de La Paz)

1972-08-21


Abb.: Zur Feier des ersten Jahrestags des Staatstreichs lassen sich Mario Gutíerrez (Falange Socialista Boliviana), General Hugo Banzer und Víctor Paz Estenssoro (1907 - 2001) (MNR) vom Präsidentenpalast aus bejubeln

[Bildquelle: Conversaciones con Vìctor Paz Estenssoro / Eduardo Trigo O'Connor d'Arlach. -- [La Paz] : El País, 1999. -- S. 149]

1972-11

In Sucre tagt die 14. Versammlung des Consejo Episcopal Latinoamericano (CELAM). Die konservativen Kräfte übernehmen die wichtigsten Leitungsfunktionen.

1972-11

Eine Terroristin erschießt in Hamburg den bolivianischen Generalkonsul Roberto Quintanilla Pereira.

"Der Krieg geht weiter

Vor 30 Jahren wurde in Hamburg einer der Mörder Ché Guevaras getötet. Von Christian Eggers

Am 1. April 1971 betrat eine Frau das bolivianische Generalkonsulat in Hamburg. Sie hatte sich bereits eine Woche zuvor telefonisch angemeldet und in englischer Sprache ein Visum für eine kleine australische Folkloregruppe beantragt. Nun sei sie gekommen, um die Formalitäten zu erledigen, sagte die Frau und bat die Sekretärin, ihr einige Fotos von Land und Leuten in Bolivien zu geben. In diesem Moment kam der Generalkonsul Boliviens, Roberto Quintanilla Pereira, ins Zimmer.

Da Quintanilla in seinem Büro Fotos aufbewahrte, bat er die Besucherin dort hinein. Kaum war die Tür hinter den beiden geschlossen, zog die Frau einen Revolver und schoss dreimal. Von zwei Schüssen in die Brust getroffen, brach Quintanilla zusammen. Die Frau steckte dem Generalkonsul einen Zettel in die Jackentasche und ließ die Waffe zurück.

Als sie das Büro verlassen wollte, geriet sie in ein kurzes Handgemenge mit der Gattin des Generalkonsuls. Die Besucherin verlor dabei ihre Perücke und eine Brille. Schließlich gelang es ihr aber, aus dem Konsulat zu entkommen. Von der letzten Besucherin Roberto Quintanillas fehlte zunächst jede Spur. Die einzigen Hinweise, die gefunden wurden, waren die Brille, eine graumelierte Perücke, der Revolver, ein Colt »Cobra 38 Spezial«, und der Zettel, auf dem in Spanisch die Worte standen : »Sieg oder Tod! ELN!«

1967 war Quintanilla stellvertretender Innenminister Boliviens und Chef des Geheimdienstes. Als Ché Guevara Anfang Oktober nach einem Gefecht mit bolivianischen Truppen schwer verletzt gefangen wurde, flog Quintanilla sofort in die Kampfzone, um an dem Verhör des weltbekannten Partisanen teilzunehmen. Doch Guevara weigerte sich, mit den Militärs zu reden. Kurze Zeit später wurde er ermordet. Quintanilla befahl, dem toten Guerillero die Hände abzuschlagen. Er wollte mit einem Beweis für die Liquidierung des »Terroristen« nach La Paz zurückkehren. Guevaras Leiche wurde verscharrt.

Nur Stunden nach dem Attentat auf den Generalkonsul schickte die ELN eine Erklärung an verschiedene bolivianische Zeitungen. Darin hieß es: »Eine unserer Kampfgruppen hat Oberst Quintanilla hingerichtet. Es handelt sich um einen revolutionären Akt der Gerechtigkeit.« Quintanilla sei einer der Verantwortlichen für den Tod Ché Guevaras gewesen und habe außerdem dessen Nachfolger in der bolivianischen Guerilla, Inti Peredo, ermorden lassen. Die Erklärung schloss mit den Worten: »Wir versprechen, dass kein Schuldiger im Bett sterben wird, wo immer er sich auch verstecken mag. Der Krieg geht weiter, Sieg oder Tod! ELN!«

Am 27. April 1971 berichtete die Mailänder Zeitung Corriere Della Sera, Quintanilla sei von der 33jährigen Deutsch-Bolivianerin Monika Ertl erschossen worden. Außerdem sei der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli [1926 - 1972], ein Freund Fidel Castros, maßgeblich an der Vorbereitung des Attentats beteiligt gewesen. Anfang Juli 1971 erklärte der bolivianische Innenminister Adet auf einer Pressekonferenz in La Paz, »der Mord an Quintanilla ist aufgeklärt«.

Zwei gefangene Guerilleros der ELN hätten übereinstimmend ausgesagt, die Erschießung Quintanillas sei in Santiago de Chile von Feltrinelli und den beiden bolivianischen ELN-Kommandanten Chato Peredo und Gordo Carlos geplant worden. Mit der Tat seien eine Deutsche namens Monika Ertl sowie einige andere Ausländer beauftragt worden. Der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger, erklärte Ende der achtziger Jahre in einem Interview, 1971 sei tatsächlich ein erster Verdacht gegen Monika Ertl entstanden. »Letzten Endes hat die Staatsanwaltschaft Hamburg diesen Verdacht nicht verifizieren können.«

Monika Ertl kam 1953 gemeinsam mit ihrer Mutter und zwei Schwestern nach Bolivien. Der Vater, ein ehemaliger Kriegsberichterstatter der Nazis, hielt sich dort bereits seit 1948 auf. 1968 wurde Monika Ertl Mitglied der ELN, und Anfang 1970 ging sie mit einem Kommando der Organisation in die Berge, um den Guerillakampf aufzunehmen.

Den Angaben damaliger Kampfgefährten zufolge reiste sie nach dem Attentat über Chile nach Havanna und kehrte Anfang 1972 illegal nach Bolivien zurück. Dort begann sie sofort mit der Vorbereitung einer weiteren Aktion. Die ELN wollte den ehemaligen Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, der seit Jahren in Bolivien lebte, entführen und nach Frankreich schaffen. Barbie war als Sicherheitsberater der bolivianischen Regierung tätig und verfügte über eine Privatarmee. Monika Ertl, die Barbie seit ihrer Kindheit kannte, weil er ein Freund ihres Vaters war, leitete das Guerilla-Kommando, das ihn festnehmen sollte.

Der französische Philosoph und Schriftsteller Régis Debray, ein Kampfgefährte Ché Guevaras, sagte in Christian Baudissins Film »Gesucht: Monika Ertl«: »Die Entführungsidee hatten wir, weil wir für die öffentliche Meinung eine Verknüpfung herstellen wollten zwischen der französischen Resistance und dem antifaschistischen Widerstand in Bolivien. Wir wollten zeigen, dass es ein und derselbe Mann war, der die Unterdrückung des demokratischen Widerstandes in Lyon während des Krieges leitete und der zu denen gehörte, die in Bolivien die Revolution gewaltsam zu zerschlagen suchten.«

Barbie und der bolivianische Geheimdienst kamen den Plänen der ELN auf die Spur. Am 12. Mai 1973 überfielen Sicherheitsbeamte Monika Ertl und erschossen sie. Ihre Leiche wurde an einem unbekannten Ort vergraben. »Barbie hat mit Sicherheit, auch wenn ich das nicht beweisen kann, den Hinterhalt organisiert, bei dem Monika getötet wurde«, erklärte Debray.

Klaus Barbie wurde 1983 von den bolivianischen Behörden festgenommen und nach Frankreich ausgeliefert. Wegen Verbrechen gegen die Menschheit in 177 Fällen verurteilte ihn das Gericht zur einer lebenslänglichen Haftstrafe. Er starb 1991 in einem Gefängniskrankenhaus an Krebs. "

[Quelle: http://www.jungle-world.com/_2001/15/10a.htm. -- Zugriff am 2002-03-18]

Um 1973

Stauplan eines Containerschiffs von der Westküste Südamerikas (u.a. Arica, Antofagasta) nach Antwerpen (Ausriss, vereinfacht)


Abb.: Schiffsstauplan

[Bildquelle: Neukirchen, Heinz <1915 - >: Seefahrt gestern und heute. -- 4., überarbeitete Aufl. -- Berlin <Ost> : Verlag für Verkehrswesen, 1974. -- S. 217]

1973


Abb.: DEA-Logo®

Gründung der US-Drogen-Bundespolizei Drug Enforcement Administration (DEA) [Webpräsenz: http://www.usdoj.gov/dea/. -- Zugriff am 2002-09-03]

1973

Cárdenas Hermosa, Martin <1899, Cochabamba - 1973, Cochabamba>: Memorias de un naturalista : por las selvas, las montañas y los valles de Bolivia. -- La Paz [Umschlag: Cochabamba] : Don Bosco, 1972 [Umschlag: 1973]. -- 442 S. : Ill. -- [Reiseberichte des international renomierten Botanikers]


Abb.: Umschlagtitel

1973

Guzmán, Augusto <1903, Tutura - 1994, Cochabamba>: Historia de Bolivia. -- La Paz : Los Amigos del Libro, 1973. -- 465 S. : Ill. -- [A revision and enlargement of the author's Breve historia de Bolivia (1969)]

1973

Quiroga Santa Cruz, Marcelo <1931, Cochabamba - 1980, La paz>: El saqueo de Bolivia. -- La Paz : Puerta del Sol, 1973. -- 155 S.


Abb.: Umschlagtitel der 3. Aufl., 1979

1973

Sáenz Guzmán, Jaime <1921, La Paz - 1986, La Paz>: Recorrer esta distancia. -- 1973. -- [Gedichte]


Abb.: Umschlagtitel: Kollage des Autors

1973


Abb.: Jenny Cárdenas in Berlin 1984-02-17 [Bildquelle: Ludwig, Egon <1938 - >: Música latinoamericana : Lexikon der lateinamerikanischen Volks- und Populärmusik. -- Berlin : Lexikon-Imprint-Verlag, ©2001. -- ISBN 3896022822. -- S. 138. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Die Sängerin und Liedermacherin Jenny Cárdenas <1956, La Paz - > beginnt ihre Karriere.

1973

Manifiesto de Tiwanku von vier Organisationen des Katarismo-Indianismo:

Originaltext der Einleitung in Aymara Anonyme spanische Übersetzung
"TIWANAKUN ARST'AWAYATA

"Yaqha markaru llupjir markaxa janiw qhispit markäkiti" ukham arsünxa Inka Yupankixa España markat jutir jaqinakaruxa. Jiwas aymar qhichwanakaxa ukhamrakiwa arsuraktanxa kamisatix aski yatitanaks ukhama. Jiwasaxa ch'ama tukutasampi qulqichasiñatsa ina luriritanwa, suma amtawinakatsa llupjatatänvva.

Bolivia markasanxa janiw mä sap amtavvix utjkiti, jan ukasti jiwas patxat apnaqat markatanvva, jan vvati ch'amas apamuktanxa. Bolivia markasaxa nayratpachasa ukhamarakiwa jichhakamasa sartkä sasasa qulljuyäta kunattixa taqi qhichwanakana aymaranakana jan arsusitapatjama, kunatix wakiski markasataki askikix ukxatxa. Janitixa mäpita taqi ukanakax jank'a maxthapisipkanixa, janivv kunapachas mä amtavvix utjkaniti, janirakiwa nayraqatar sartañas, kamisatix wakiskix ukhamaruxa sartkaniti.

Bolivia markasax p'arjtaskiwa, kamisatix wakiskix ukhamaru sarnaqañaxa, ukatakixa ñä amtatavva campesino jaqin sum amuyt'añapa, taqi kunasa chuymapankañapa.

Jichhaxa ñä jak'ankiwa jiliriru ajlliñaxa, ukasti eleccion sutiniwa ñä taqis amuytanwa, polftica ukampi jakir jaqinakaxa thaqxatapxarakikiniwa campesino jaqiruxa jupa tuqixaru ajlliñapatakixa, kunayman k arimpix campesino jaqirux makatapxarakikiniwa. Campesino jaqin uka tuqit arsusiñapaxa chiqapankañapavva, janivv jan jupan suma uñt'at jaqitakix uñstañapakiti.

Janiw kawkir kasta politicunakasa jaqitakix suma amtañapax utjkaspati kunapachatix k'arimpi mantanin ukjaxa, jaqinakaru t'aqisiyañampixa, injam lurayasiñampixa.

Jiwas kikip campesinoxa, jan kawkir jaqiru makatatakasasa arsusiñ muntanxa aka amtavvinxa, kunatixa chiqapakix markasan askipatakix ukxata.

Tiwanaku, Chukiyawu, 1973."

MANIFIESTO DE TIWANAKU (Introducción)

"Un pueblo que oprime a otro pueblo no puede ser libre" dijo el Inca Yupanqui a los españoles. Nosotros los campesinos quechuas y aymarás lo mismo que los de otras culturas autóctonas del País, decimos lo mismo. Nos sentimos económicamente explotados y cultural y políticamente oprimidos.

En Bolivia no ha habido una integración de culturas sino una superposición y dominación habiendo permanecido nosotros, en el estrato más bajo y explotado de una pirámide. Bolivia ha vivido y está viviendo terribles frustraciones. Una de ellas, quizá la mayor de todas, es la falta de participación real de los campesinos quechuas y aymarás en la vida económica, política y social del País. Pensamos que sin un cambio radical en este aspecto será totalmente imposible crear la unidad nacional y un desarrollo económico dinámico, armónico propio y adecuado a nuestra realidad y necesidades.

Bolivia está entrando en una nueva etapa de su vida política, una de cuyas características es la de despertar de la conciencia campesina.

Al acercarse a un período pre-electoral una vez más se acercarán los políticos profesionales al Campesino para recabar su voto y una vez más lo harán con engaños y falsas promesas. La participación política del campesinado debe ser real y no ficticia.

Ningún Partido podrá construir el País sobre el engaño y la explotación de los campesinos.

Nosotros, los propios Campesinos lejos de todo afán partidista y pensando únicamente en la liberación de nuestro Pueblo, queremos exponer en éste Documento aquellas ideas que juzgamos fundamentales en el ordenamiento económico, político y social del País."

Documento colectivo. Traductor aymara anónimo, La Paz, 1973.

[Quelle: Literatura aymara : antología / [ed.] Xavier Albó y Félix Layme. -- La Paz : CIPCA/hisbol. -- [Tomo] 1: Prosa. -- 1992. -- Depósito legal 4-1-795-92. -- S. 138f.]

1973

Über religiöse Konquista auf dem Altiplano:

"So hat im Jahre 1973 in La Paz ein Kongress stattgefunden, der die Diskussion verschiedener Aspekte der Aymara-Kultur zum Inhalt hatte und an dem zahlreiche Aymara teilnahmen, die Absolventen einer Universität oder eines Lehrerseminars waren. Aus ihren Reihen kamen bezüglich der kirchlichen Aktivitäten auf dem Altiplano folgende Äußerungen die aufhorchen lassen und die von einem bolivianischen Beobachter aufgezeichnet wurden:

 „Seit ungefähr 15 Jahren müssen wir auf dem Altiplano eine wahre Invasion von evangelischen Pastoren und katholischen Katechisten über uns ergehen lassen; das ist eine zweite Konquista; diesmal keine politische, sondern eine ideologische Konquista ... Wir weisen weder Gott noch die Bibel zurück, wohl aber weisen wir die Dollar-Religion und die Vatikan-Religion zurück."

[Was geht uns ihre Armut an? : Indianerschicksale im Hochland von Bolivien ; Begleitheft für eine Ausstellung im Hamburg. Museum für Völkerkunde vom 14.11.1984 - 31.3.1985 und der Völkerkunde-Sammlung d. Hansestadt Lübeck im Museum am Dom vom 15.9.1985 - 27.10.1985 / Antje Kelm ; Helga Rammow. Hrsg. vom Museumspädagischen Dienst d. Freien u. Hansestadt Hamburg. -- Hamburg : MPD, ©1985. -- S. 84]

1973

Lora, Guillermo <1922 -  >: Neubewertung der Guerillamethode. -- Berlin : Verlag Neuer Kurs, 1973. -- 151 S. -- Aus dem Manuskript übersetzt. -- 3-87786-104-0

1973

Lora, Guillermo <1922 - >: Bolivien 1971  : der erste Sowjet Lateinamerikas. -- Berlin : Verlag Neuer Kurs, 1973. -- 340 S. : Ill. -- Originaltitel: De la Asamblea Popular al golpe del veintiuno de agosto. -- ISBN 3-87786-103-2. -- [Enthält auch eine vollständige Übersetzung der Tesis de Pulacayo (1946) und der Tesis de Colquiri (1963)]


Abb.: Zum Andenken der im Kampf gegen den Faschismus und für den Sozialismus Gefallenen  [a.a.O., S. 231]

1973-01

Gründung der Kommission Justicia y Paz unter L. A. Siles Salinas.

"Die bolivianische Kommission »Justicia y Paz«, gegründet Anfang 1973, verurteilt angesichts der Lage im Lande in einer Erklärung die Beschränkung der Pressefreiheit und die Verfolgung der politischen Gegner des Regimes. Die bolivianische Arbeiterzentrale würde ignoriert und die Gewerkschaften würden von oben manipuliert. Alle freiheitlichen Handlungen würden unterdrückt und Hausfriedensbrüche nähmen zu, sowohl bei demokratischen Institutionen wie auch bei Privatpersonen. Es würden Ungerechtigkeiten gegen politisch Andersdenkende verübt, politische Gefangene befänden sich unter unwürdigen Lebensbedingungen in den Gefängnissen und es seien Tote durch Folterungen zu verzeichnen. Trotz vieler Versprechungen hat das Regime diese Methoden bis heute nicht aufgegeben."

[Handbuch der Kirchengeschichte / hrsg. von Hubert Jedin. -- Ausgabe auf CD-ROM. -- Berlin : Directmedia, 2000. --1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 35. -- ISBN 3-89853-135-X. -- S. 15607 (vgl. HKG Bd. 7, S. 721-722)]

1973-02-11

Die bolivianischen Behörden weigern sich, den ehemaligen Gestapochef von Lyon, Klaus Barbie (alias Altmann) (1913, Bad Godesberg -1991, Lyon), an Frankreich auszuliefern.

1973-05-12


Abb.: Filmplakat zum Dokumentarfilm  "Gesucht: Monika Ertl" (1986)  von Christian Baudissin

Monika Ertl,  die Tochter des im Dritten Reich sehr prominenten Filmers (Hauptkameramann bei Leni Riefenstahls Olympiafilm) und Bergfilmers Hans Ertl (1908 - 2000), die sich in Bolivien sozial engagierte und schließlich der Guerilla (Che Guevara) anschloss, wird beim Versuch, Klaus Barbie, den "Henker von Lyon", zu entführen,  erschossen. Die besondere Tragik: Klaus Barbie war 1951 durch Vermittlung ihres Vaters Hans Ertl zu seinem ersten Job in Bolivien gekommen und konnte sich ansiedeln. Er wurde für Monika zum Nennonkel. Monika Ertl hat 1972-11 in Hamburg den bolivianischen Konsul Quintanilla erschossen.

1973-08-16

Die USA gewähren Bolivien einen Kredit von US$ 30 Millionen, vor allem für Straßenbau.

1973-09-01

Beginn der Arbeit der von Gerhard Kyllmann (geb. 1907) gegründeten Stiftung Islas Verdes

"Ich hielt an meinem Gedanken fest, dass schon im Hinblick auf die allgemeine Entwicklung der Menschheit der Campesino gefördert werden müsse, um vom Alleinverbraucher zum land- und viehwirtschaftlichen Erzeuger aufsteigen zu können. So fing ich 1973 allein an. Ich war 65 Jahre alt, 25 Jahre bei der Firma und konnte mich auf ein Jahr von ihr absetzen.

Der Zufall führte mich mit Gonzales Zalles zusammen. Der junge Bolivianer hatte in Stuttgart Viehwirtschaft studiert. Nach dem Examen kam er nach La Paz, um seiner Heimat zu helfen. Er ist ein Idealist im besten Sinne des Wortes, aber Arbeit fand er nicht. Ich stellte ihn privat an, um Vorstudien durchzuführen und Pläne für die künftige Tätigkeit aufzustellen. Wir begannen die Arbeit mit den Campesinos in der Nähe unseres Hauses. Dann kam der Kauf des Versuchsgutes Yanamuyo, der sich zunächst zerschlagen hatte, doch zustande. Dankbar denke ich dabei an Elfi Gasser. Ohne ihre großzügigen Stiftungen hätten wir aufgeben müssen. Am 1. September 1973 begannen wir m Yanamuyo zu arbeiten. Aber niemand, der nicht mit Bolivien und seinen Winkeladvokaten vertraut ist, vermag sich ein Bild von den Schwierigkeiten zu machen, denen wir uns gegenübersahen. Wir haben sie überstanden.

Die Regierung genehmigte die Gründung und die Satzungen der Stiftung „Islas Verdes" überraschend schnell. Ihr Ziel ist es, auf Mustergütern zu beweisen, dass Land- und Viehwirtschaft auf dem Altiplano wirtschaftlich betrieben werden können. Die Erträge sollen ausschließlich dazu dienen, den Lebensstandard der Campesinos zu heben und sie zur Zusammenarbeit in Genossenschaften oder Dorfgemeinschaften anzuleiten. Zur Förderung dieses Zweckes sollen junge Bauern auf den Mustergütern kostenlos zu Facharbeitern herangebildet werden, die sich verpflichten, später in ihre Dörfer zurückzukehren, um dort die Kinder im Lesen und Schreiben, die Erwachsenen in erfolgreicher Zusammenarbeit zu unterweisen. Außerdem sollen die Mustergüter diese Fachhelfer während ihrer fünfjährigen Verpflichtungszeit überwachen und unterstützen, damit sie sich in der patriarchalischen Welt der Campesinos durchzusetzen vermögen.

Zalles, ich und unsere Frauen sind davon überzeugt, dass es zwar mühsam, aber möglich ist, diese Grundsätze in der täglichen Arbeit zu verwirklichen. In nur drei Monaten war das 750 Hektar große Gut Yanamuyo eingezäunt. Fast 400 Hektar sind unter dem Pflug. Trotz der Lage auf 4100 bis 4500 Metern über dem Meeresspiegel, trotz der Kälte und den starken Temperaturunterschieden gelang es, eine unter diesen Bedingungen lebens- und entwicklungsfähige Schweinerasse zu züchten. Auf dem ursprünglich steinigen Boden des Gartens von Intihuasi gedeihen Rasen und Blumen. Deshalb sollte der Anbau von Pflanzen auf dem ähnlich verkarsteten Altiplano bei geeigneter Pflege ebenfalls möglich sein. Es wurden 350 Hektar umgepflügt, 80 ha mit Kartoffeln, 40 ha mit Gerste, 20 ha mit Hirse und 80 ha mit Gräsern bepflanzt. Die Ernte fiel über Erwarten gut aus und liefert das Futter für die Schweine. Deren Bestand in modernen, leicht zu bauenden Ställen wurde inzwischen so weit vermehrt, dass schon nach einer so kurzen Anlaufzeit monatlich 100 Mastschweine verkauft werden können. Die anfangs misstrauischen Campesinos schaffen prächtig mit und sind gern dabei. Bereits im ersten Jahre wurden Werte von rund 400 000,— Deutsche Mark erarbeitet. Wir hoffen, Ende 1975 unsere Wirtschaftlichkeit bewiesen zu haben. Dann muss es den weitergesteckten Zielen entgegengehen. Die Campesinos sollen das in Yanamuyo Erreichte in ihren kleinen Dörfern nachmachen. Wir werden mit einem Dorf sprechen, einen Plan aufstellen und ihnen erklären, wie sie in Gemeinschaftsarbeit eine zusätzliche Produktion erzielen können. Wir leiten und finanzieren die Durchführung. Nach drei bis vier Jahren muss sich der Erfolg einstellen, dann sollen die Campesinos allein weitermachen. Islas Verdes kann sich dem nächsten Dorf zuwenden und einen ähnlichen Plan in Gang setzen. Wie nach dem Schneeballsystem muss sich unser Werk ausdehnen. Ich meine, unser Konzept sei richtig, denn wir nehmen den Campesinos kein Land fort, auch berücksichtigen unsere Vorschläge ihre Arbeitskraft und ihr Auffassungsvermögen. „Islas Verdes" heißt „Grüne Inseln". Der Altiplano ist grau. Seit dem Einfall der Spanier im 16. Jahrhundert ist er ausgeraubt worden. Geblieben sind Erosion und Unfruchtbarkeit. Werden sie überwunden, so wird der Altiplano wieder grünen. Diesem Wunsche entspringt der Name „Islas Verdes"."

[Kyllmann, Gerhard <1907 - >: Das Leben ein Märchen : ein Deutscher in Bolivien. -- Hamburg : Hanseatischer Merkur, 1975. -- (Veröffentlichungen der Wirtschaftsgeschichtlichen Forschungsstelle ; 38). -- S. 100 - 104]

1973-09-11

In Chile stürzt das Militär den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende (1908 - 1973). Salvador Allende war Chef einer Volksfrontregierung (Unitad Popular). Hinter dem Putsch stehen auch die Geheimdienste der USA. Auf den Putsch folgt eine "Säuberungsaktion" mit Verfolgung und Folter in unbegrenztem Ausmaß.

1973-09-26

Die Regierung beschließt die Reprivatisierung der unter Präsident Torres verstaatlichten Zucker- und Kaffeeproduktion.

1973-10-27

Abwertung des bolivianischen Peso um 67%, Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel um 40%.

1973-12-27

 Die Bundesrepublik schließt mit  Bolivien ein Kapitalhilfeabkommen ab über 38 Millionen DM für die Zinnschmelze in Vinto.

1974

Die katholische Kirche hat in Bolivien:

An Laienbewegungen sind wirksam:

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Institute, die katholische Universität von La Paz unter der Leitung der Jesuiten, Schulen, Gymnasien, Altenheime und Krankenhäuser, die von Ordensbrüdern und -schwestern betreut werden. Die Jesuiten leiten in Sucre den Sender »Radio Loyola«.

1974

Film Pueblo Chico von Antonio Eguino:


Abb.: Filmszene

"La dolorosa visión, lindante con el pesimismo, característica de toda la filmografía de Eguino, aflora ya nítidamente en esta historia del joven de regreso en Sucre, luego de haber vivido en el exterior, sólo para encontrar todo cambiado y que la reforma agraria ha sido hasta cierto punto un fracaso por no haber podido quebrar las viejas divisiones socioculturales." [Quelle: http://www.bolivian.com/cine/1960.html. -- Zugriff am 2002-02-06]

1974-01

Massaker in Tolata und Epizana (Cochabamba): Campesinos blockierten die Strassen. Präsident Banzer ermächtigt die Ordnungskräfte, jeden Kommunisten zu töten. Fazit: 15 Tote, 20 spurlos Verschwundene.

1974-01-18

Victor Paz Estenssoro (1907, Tarija - 2001, Tarija)und andere führende MNR-Politiker werden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt des Landes verwiesen. Paz Estenssoro findet in Paraguay Asyl.

1974-04

Das Russel-Tribunal verurteilt in Rom u.a. die Verletzung der Menschenrechte in Bolivien.

1974-05-25

Anlässlich des Besuchs des brasilianischen Präsidenten, General Ernesto Geisel, werden Abkommen über die Lieferung von täglich 7 Millionen m³ Erdgas für 20 Jahre sowie über die Nutzung der bolivianischen Eisenerzlager bei Mutún unterzeichnet.

1974-06-05

Niederschlagung einer Militärrevolte unter dem stellvertretenden Kommandeur der Militärakademie, Gary Prado Salmón. Als Drahtzieher gilt MNR-Führer Ciro Humboldt. 34 Putschoffiziere werden aus der Armee ausgeschlossen und nach Paraguay des Landes verwiesen.

1974-11-07

Putschversuch von Eliteeinheiten des Heeres  unter Beteiligung von MNR und FSB (Falange Socialísta Boliviano) wird niedergeschlagen. Es ist dies der elfte erfolglose Putschversuch gegen Präsident Banzer.

1974-11-09

Rücktritt der Regierung. Durch Präsidentendekret wird bestimmt, dass die Streitkräfte die gesamte administrative und politische Verantwortung sowie die volle Kontrolle über die Regierung bis 1980 übernehmen. Verbot gewerkschaftlicher Tätigkeit.

1974-11-14

Streik von 30.000 Bergarbeitern gegen das Dekret vom 1974-11-09. Andere Streikende folgen. Drei katholische Bischöfe wenden sich gegen die unumschränkte Herrschaft des Militärs. Zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre werden verhaftet, ebenso die Minister Oberst Miguel Ayoroa und Oberst José Patiño.

Ab 1975

Aufgrund der Empfehlungen einer Kommission unter dem Amerikaner Joseph Griffs wird das Gebiet für die Herstellung von Kokainpaste auf ein Gebiet von ca 20.000 km² um San Javier, Montero und Portachuelo im Departamento Santa Cruz beschränkt. Bis dahin war die Herstellung über ein gebiet von 250.000 km² in den Departamentos La Paz, Pando, Beni, Santa Cruz und Cochabamba verstreut gewesen.


Abb.: Lage von Portachuelo, Montero und San Javier (©MS Encarta)

1975 - 1977

2002-07-16

Developing a Multinational River Basin Plan for the Multipurpose Use of the Pilcomayo (Argentina, Bolivia, Paraguay) / Oraganisation of American States. -- Last updated 2002-07-16. -- URL: http://www.oas.org/usde/publications/Unit/oea03e/ch08.htm. -- Zugriff am 2002-11-13

"The Pilcomayo River Basin study (1975-77) was undertaken to find ways to regulate and develop the Pilcomayo River and its 272,000 km2 trinational basin. DRD helped Argentina's National Institute for Water Science and Technology-INCyTH, Paraguay's Undersecretary of the Foreign Ministry for Economic Affairs, and Bolivia's Ministry of Transportation, Communication, and Civil Aeronautics develop proposals for US$1.07 billion in hydroelectric generation investments. Besides eight dams, the study team also proposed irrigation projects, agricultural development schemes, and cattle-development programs. A follow-up study (1979-80) of a smaller tripartite area within the basin, which was requested by the three governments, proposed an additional US$380 million in investments,

Negotiations over these development proposals proceeded within a three-tier management structure devised to allow the three countries maximum latitude in decisions affecting within-country projects and to nurture political understanding through technical discussions. "


Abb.: Lageplan

"

"In May of 1978, the Government of Bolivia asked the IDB to partially finance a program of small irrigation projects proposed by the Pilcomayo basin study team for implementation in the upper river basin. The Ministry of Small Farmer Affairs and Agriculture of Bolivia (MACA) designated DRD as the executing agency of this two-year study, which began in early 1981.

This study team prepared feasibility studies for irrigation projects for San Lucas, Laitapi, and Padcoyo totalling US$2.9 million. The projects will enable approximately 700 families (3,500 people) to produce such basic food staples as corn, wheat, and beans, as well as apples and peaches for the national market.

Another possibility identified by the Pilcomayo basin study team was developed by the Government of Bolivia with the cooperation of the Government of Canada. Between the departments of Potosi and Chuquisaca on the main course of the Pilcomayo, a hydropower facility with 90,000 KW of generating capacity is to be built at a cost of US$150 million. By regulating the Pilcomayo River's flow, it will make it possible to irrigate an important area downstream in Villamontes. This project will require international financing. "

1975

Mitre, Eduardo <1943, Oruro - >: Morada. -- Caracas : Monte Avila, 1975. -- 85 S. -- (Colección Los espacios calidos). -- [Gedichte]"

Mitre, Eduardo
* 1943 in Oruro, lebt in Cochabamba.

Mitre, der über V. Huidobro promovierte, gilt als wichtiger Erneuerer der modernen Lyrik in Bolivien. Sein Ziel ist es, die Welt und die Ordnung der Dinge nicht durch Erklärung oder Benennung zu beschreiben, sondern sie im Text und durch den Text sichtbar zu machen. In Morada (1975) »schreibt« er mit Hilfe von Ideogrammen, Kalligrammen und Haikus einen gewöhnlichen Tagesablauf. In seiner Poesie »sind« die einzelnen Komponenten Episoden dieses Ablaufes, d.h. die Ereignisse werden nicht erzählt, sondern sie konkretisieren sich als Gedichte. O. Paz sagte über Morada: »Ein wunderschönes Buch, aus Luft und Licht geschaffen, aus Worten, die leicht sind wie Luft und die leuchten wie das Licht. «

Weitere Werke: Ferviente humo (1976), Mirabilia (1979), Razón ardiente (1984)."

[Wolfgang Schupp. -- In: Autorenlexikon Lateinamerika / hrsgg. von Dieter Reichardt. -- Frankfurt

: Suhrkamp, ©1992. -- ISBN 3518404857. -- S. 145. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

1975

Gründung des Ballet Folclórico Nacional

1975

In La Paz Gründung der Vokal- und Instrumentalgruppe Los Chaskis durch den Musiker und Liedermacher Rodolfo Dalera Zampoña.

1975

Neubau des Museo Mineralogico Oruro


Abb.: Museo Mineralogico, Oruro

[Bildquelle: Oruro inmortal. -- Oruro : Ferrari, Ghezzi. -- Tomo 2. -- 1998. -- Depósito legal 4-1-428-98. -- S. 230f.]

1975


Abb.: Altes und neues ™Logo

Die Schweizer Indianer-Mission (SIM) (Mitglied der Evangelischen Allianz) [Webpräsenz: http://www.sim-deutschland.de/. -- Zugriff am 2002-10-11] nimmt ihre Arbeit in Bolivien auf

"Kurzportrait der Missionsarbeit der SIM im Tiefland Boliviens mit Operationsbasis in Riberalta am Benifluss

Geografie und Geschichte

Ein Teil des riesigen südamerikanischen Amazonasbeckens ragt in den Nordosten Boliviens hinein. Grün, heiß und feucht. Durch diesen besonders tropischen Teil Boliviens schlängelt sich der breite, braune Benifluss träge wie eine Anaconda durch das Urwalddickicht. An einem etwas höhergelegenen Flussufer entstand vor ungefähr einem Jahrhundert der Umschlagplatz des Rohgummihandels "Riberalta" – "Hohes Ufer". Der Kautschuckpreis boomte und aus der Siedlung wuchs im Laufe der Jahre ein Städtchen. Heute ist Riberalta eine rund 60000 Einwohner zählende Urwaldstadt mit einem weiten Einzugsgebiet für Paranüsse und Holz.

SIM in Riberalta – Auftrag, Ziel und Weg

Im Jahre 1975 kaufte die SIM ein Stück Land, um ein Missionszentrum aufzubauen.

Den Tieflandindianern in ihre Kultur das frohmachende Evangelium von Jesus Christus hineinzusprechen ist seither der Auftrag. Das Ziel: eine selbstständige einheimische Kirche und gewachsener, gelebter Glaube, der Jesus Christus als Lebenssinn und –inhalt hat. Der Weg: die theologische Ausbildung und die sozial-diakonische Hilfe soll die Indianerchristen zu eigener Verkündigung und Hilfe in ihren Indianerdörfern befähigen.

Multikulturelles Team

Das Team, welches in den verschiedenen Arbeitsbereichen der Missionsarbeit tätig ist, stellt sich aus einheimischen Mitarbeitern verschiedener Stammesgruppen, Bolivianern, Schweizern und Deutschen zusammen. Gemeinsam leben, beten und arbeiten geht nur durch Verständnis und Gesprächsbereitschaft mit Herz, Ohren und Mund.

Interkulturelle Arbeit

Unser breitester Arbeitsbereich ist die theologische Ausbildung zur Vertiefung des Glaubens und zur Reifung des persönlichen Charakters. Diese Ziele streben wir in 4 Kursen á 3 Monaten in der Bibelschule auf dem Missionszentrum an. Auch führen wir kürzere Stammesbibelkurse in verschiedenen Indianergruppen durch. Ein Programm zum angeleiteten Selbststudium der Bibel ergänzt die Palette im theologischen Bereich. Auch Kinder und Jugendliche sollen ihrem Alter gemäß in der einheimischen Kirche Heimat finden.

Der wichtigste unserer Schwerpunkte in der sozial-diakonischen Hilfe ist die Krankenbetreuung der Indianergruppen, deren Stammesgebiet in der Nähe Riberaltas liegt. Darin eingeschlossen ist eine Sanitäterausbildung sowie Schulung der Familien in vorbeugenden Maßnahmen im Bereich der Hygiene und Ernährung.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die landwirtschaftliche Beratung und die Durchführung von Kleintierprojekten in Zusammenarbeit mit einzelnen Stammesdörfern.

Die ganze Arbeit wird nicht nur in Riberalta vor Ort auf der Missionsstation getan, sondern erfordert von uns interkulturellen Mitarbeitern viel Besuchsreisen, Kenntnis der unterschiedlichen Stammeskulturen, einen angemessenen Kontakt zu den Einheimischen, aber auch Weisheit und Geduld in Entscheidungsprozessen.

So durchzieht in Bolivien Tag für Tag unser Leben und Arbeiten das Motto der SIM:

"Mit Südamerikanern unterwegs""

[Quelle: http://www.sim-deutschland.de/gebiete/auszent2.htm. -- Zugriff am 2002-10-10]

1975-02-08

Wiederaufnahme der seit 1962 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen mit Chile.

1975-03-02

Die katholischen Bischöfe verurteilen die Geburtenplan-Politik Präsident Banzers:

"Solche mit dem Schein der Menschenfreundlichkeit verbrämten Programme, die ein Geburtenwachstum verhindern sollen, damit die vorhandene Bevölkerung einen besseren Lebensstandard erreicht, verschleiern die eigentlichen egoistischen Ziele, nämlieh die Aufrechterhaltung der internationalen Herrschaft und des Wohlstands der Industrieländer.

Diese Programme verbergen die Absicht, sich die Entwicklungsländer als Rohstofflieferanten anzueignen, wenn nicht gar gewaltsam zu unterwerfen."

[Übersetzung: Hofmann, Manfred: Bolivien und Nicaragua - Modelle einer Kirche im Aufbruch. -- Münster : edition liberación, ©1987. -- ISBN 3-923792-22-0. -- S. 60. -- Dort Quellennachweis]

1975-05

Verbot der Kommission Justicia y Paz, da sie eine Dokumentation über ein Massaker in Cochabamba veröffentlicht hat.

1975-07-15

Präsident Banzer erklärt, dass die Streitkräfte innerhalb der nächsten fünf Jahre die Regierungsgewalt an Zivilpersonen übergeben werden, die Armee aber als Schutzinstitution des Vaterlandes weiterwirken soll.

1975-07-19

Die katholischen Bischöfe fordern anlässlich des 150. Jahrestages der Unabhängigkeit eine Generalamnestie für politische Gefangene. Die Regierung lehnt eine solche ab.

1975-07-26

Gründung der Federación de Ganaderos de Santa Cruz (FEGASACRUZ), der Viehhaltervereinigung von Sta. Cruz

1975-09

Vertrag mit der Sowjetunion über den Verkauf von Zinnkonzentrat.

1975-09

"Mink'a ist ein Zusammenschluss zahlreicher indianischer Dorfgemeinschaften und Genossenschaften Boliviens seit 1969. Er beschränkte sich bis vor kurzem auf Indianer des Hochlandes, auf die vor allem die folgende Erklärung zugeschnitten ist. Erst seit kurzem dehnt Mink'a seinen Aktionsradius auch auf das ostbolivianische Tiefland aus. September 1975 auf einer Zusammenkunft von Anthropologen des Andenraumes in La Paz, Bolivien umriss Julio Tumiri Apaza als Vertreter von Mink'a die programmatischen Grundlinien seiner Organisation in der folgenden Erklärung (hier gekürzt):"
"..Wir kennen die rassistische Absonderung des Indianers, die entehrende Ausbeutung durch den Mineralfeudalismus, die ökonomische Abhängigkeit, die Armut, den Hunger, die Unterernährung und den Tod. Wir wissen, dass die Institutionen und die Wissenschaft der Zweiteilung (zwischen Indianer und Weißen) dienen. Wir kennen die sektiererische und den Indianer ausschließende politische Klügelei der Mischlinge seit Gründung der Republik, Die Diskriminierung und Entfremdung durch die Erziehung, das heißt die bewusste Ablehnung der Kultur, die die Indianer von ihren Vorfahren übernommen haben, und deren bedingungslose Unterwerfung unter die westliche Kultur in über 150 Jahren der politischen Unabhängigkeit von Europa. Das alles hat die Ausbildung unserer Persönlichkeit als angesehene Völker im Konzert der Nationen der Welt verhindert.

UNSERE KULTURELLE IDENTITÄT: WIR SIND INDIANER

In Amerika gab es den Ausdruck ..Indianer" nicht in vorkolumbianischer Zeit. Cristóbal Colón gab uns diesen Namen, als wären wir Bewohner Ost-Indiens. Für die Europäer war der Indianer ein Mittelding zwischen den Menschen im eigentlichen Sinn des Wortes und den niederen Tieren. Unter Verwendung dieses Namens töteten sie. beuteten sie aus und unterdrückten sie die Intellektuellen von Tawantinsuyu (Ketschua-Name des Inkareiches) und von Amerika.

In der Republik bis zur bolivianischen Revolution von 1952 nannte man uns weiter verächtlich Indianer. Aus rein politischen Gründen und im Rahmen eines politisch-demagogischen Plans löschte man seit der bolivianischen Revolution das Wort aus dem Regional-Lexikon und nennt uns nun ..Compañero Campesino" (Genösse Landmann), neuerdings ..Hermano Campesino" (Bruder Landmann). Wir jedoch kennen unsere Geschichte mit all dem politischen und demagogischen Täuschungsmanövern und erkennen uns selbst als Indianer und nicht einfach nur Landleute. WIR SIND INDIANER, jawohl. Nachkommen einer jahrtausendealten Kultur, ein unterdrücktes Volk mit Millionen von Angehörigen, das sich auf den Marsch für seine Wiederbefreiung macht.

DIE INSTITUTIONEN, DIE WISSENSCHAFT UND DIE BEFREIUNG DES INDIANERS

Alle Institutionen und Wissenschaften müssen zur Befreiung des Indianers und aller Unterdrückten beitragen, anstatt als Komplizen des Unterdrückers zu dienen, der den Indianer als Untersuchungsmaterial verwendet.

Unsere Organisation, Mink'a, fordert mit vollem Recht folgendes:

  1. Der Staat soll
    1. allen indianischen Gruppen ihr Lebensrecht und das Recht, ihre eigene Kultur zu bewahren, garantieren.
    2. das Recht der indianischen Körperschaften anerkennen, sich zu organisieren und zu verwalten in freier Selbstbestimmung nach ihren kulturellen Besonderheiten.
    3. jeder einzelnen der indianischen Gruppen ihr Landeigentum anerkennen und garantieren durch korrekte Registrierung als ewiger unverkäuflicher und für zukünftiges Bevölkerungswachstum genügend großer Kollektivbesitz.
    4. Den Indianer wirtschaftlich besser unterstützen, damit er entscheidend an er wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung des Landes teilhaben kann.
  2. Die Kirche soll
    1. Die zerstörerische Kraft ihrer missionarischen Aktivität als Mechanismus europäischer Kolonisierung und Entfremdung der indianischen Gruppen überwinden.
    2. Den indianischen Kulturen gegenüber eine Position des Respekts einnehmen und so die lange und beschämende Geschichte von Despotismus und Intoleranz beenden, die typisch ist für die Arbeit der Missionare, die nur selten Sensibilität gegenüber den religiösen Werten der Indianer gezeigt haben.
    3. Die Gründung wirklich indianischer Organisationen nicht fürchten, sondern unterstützen. Die Informationen über die indianische Realität, vor allem in Bezug auf interethnische Zusammenstöße sammeln und verbreiten, sowie darüber Forschungen anstellen.
    4. Jegliche Praktik der Deportation oder Konzentration indianischer Gruppen zur Katechese oder Assimilation beenden.
    5. Verbrecherische Handlungen, wie Ethnozide und Genozide anklagen.
  3. Die Anthropologie soll
    1. Einerseits den kolonisierten Völkern alle anthropologischen Untersuchungen zugänglich machen, die sich auf sie und auf die Gesellschaft, die sie unterdrückt, beziehen. Sie soll so am Befreiungskampf teilnehmen.
    2. Andererseits das verfälschte Bild zurechtzurücken, das die umwohnende Gesellschaft von den indianischen Völkern hat, und so die Kolonialideologie hinter diesem Bild aufdecken.
    3. Es ist die Pflicht des Anthropologen mit allen Mitteln die Fälle von Genozide und Praktiken zu veröffentlichen, die zum Ethnozide führen.

WELCHE ALTERNATIVE FÜHRT ZUR BEFREIUNG DES INDIANERS?

  1. Die Reservate wie in Brasilien oder den USA? Nein. Wir Indianer sind nämlich keine zoologischen Raritäten, die man anstaunen kann. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Reservate dazu dienen, um so besser unsere Länder zu rauben, indem man uns in kleine und unfruchtbare Zonen umsiedelt. Man ruiniert uns dort besser und macht systematisch Schluss mit uns durch bakteriologische Kriege und / oder Feuerwaffen. Im Grunde sind es einfach Konzentrationslager. Außerhalb der Reservate können die Großgrundbesitzer, die Kaufleute und andere Fremde um so leichter den Indianer versklaven, entführen, vergewaltigen, ökonomisch ausbeuten und oft ausrotten.
  2. Die religiösen Missionen? Auch das ist keine Alternative, die zur Befreiung des Indianers führt. Denn sie sind die Vorhut der Weißen. Ihre Programme zielen letztlich darauf, eine neue Religion zu lehren, wobei sie Glaubensformen, Normen und kulturelle Werte zerstören und gleichzeitig den Indianer auf bessere Manipulierung vorbereiten. Sie zielen auf die Zerstörung der einheimischen Kultur, indem sie ihr Konformismus, Resignation und falsche Angsttheorien einimpfen. In den Augen der Missionare vagabundieren die Indianer unordentlich herum, ohne Religion, oder regelmäßige Arbeit. Sie wollen möglichst viele zu ihrem Glauben bekehren und verbieten die Teilnahmen an Festen und indianischen Riten, sogar das Rauchen und Trinken. Ihr religiöser Fanatismus bedingt, dass sie im Indianer nur einen armen Heiden sehen könne, den man für ihr Credo gewinnen muss.
  3. DER INDIANER FÜR SICH SELBST?

    Ja. Der Indianer muss seine eigene Befreiung solidarisch mit anderen unterdrückten Gruppen vertreten. Wenn fremde Elemente die Befreiung vertreten oder in ihre Hände nehmen wollen, ist dies Kolonialismus, der dem Indianer sein unveräußerliches Recht raubt, seinen eigenen Kampf durchzuführen. In seine eigenen Hände die Verteidigung gegen Genozid und Ethnozid nehmen, die von der kolonialen Gesellschaft ausgehen. Betonung der soziokulturellen Besonderheit des Indianers. Aufwertung in jedem historischen Sinn. Versuche mit Formen von Selbstregierung. Entwicklung und Verteidigung.

DIE SITUAT1ON

DIE WIRTSCHAFT ALS GRUNDLAGE des Dualsystems

..Indianisch ist. was arm ist; und was reich ist. ist weiß"

Der Indianer produziert den größten Teil des Bruttosozialproduktes, aber sein Anteil an den Vorteilen und Leistungen der Gesellschaft ist fast null, während l %. nämlich die Unternehmer. 21 % des Volkseinkommens erhalten.

Die Indianer in der Landwirtschaft leben am Rande des Existenzminimums. In den Minen leiden sie unter der Härte ihrer Arbeit, in sehr schlechten und oft untermenschlichen Lebensbedingungen. Die Indianer in den Wäldern kennt man kaum und man hilft ihnen fast überhaupt nicht. In den Städten besteht ihre ökonomische Situation in Armut, sie bilden ..Elendsviertel", die sich am Rande der Vorteile entwickeln, die das städtische Leben bietet.

Die Wirtschaft des Indianers beschränkt sich auf die Subsistenz mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 50 Dollars jährlich, es gibt keine wirkliche technische oder finanzielle Hilfe. Die landwirtschaftlichen Kredite der Banken sind den neuen Großgrundbesitzern und Oligarchen in Baumwolle, Zuckerrohr und Viehzucht in Ostbolivien zugute gekommen. Die Kreditpolitik lässt sich zusammenfassen: wer hat. dem wird gegeben; wer nichts hat. dem wird nichts gegeben.

Die Einrichtungen für die sozioökonomische Entwicklung des Indianers haben nicht die erhofften Ergebnisse gebracht, da ihre Methoden auf der Grundlage ausländischer Konzepte entwickelt «wurde, die sklavisch die falsche Entwicklungs-Ideologie imitieren, die von außen importiert wurde. Die Dualwirtschaft (auf einer Seite Weiße und Mischlinge, auf der anderen die Indianer) hat keinen Platz. für die sozi-politischen und ökonomischen Werte der indianischen Kultur.

POLITIK. DIE  UNTERWORFENE MEHRHEIT

In der Praxis hat der Indianer nicht wirklich irgend einer politischen Partei angehört, weil keine seine wahren Interessen vertreten noch auf seinen Werten aufgebaut hat.

Der Indianer in der Verkleidung des ..Genossen Campesino" oder ..Bruder Campesino" lebt nur auf den Lippen der Politiker und beschränkt sich darauf, ein blindes politisches Instrument von Partei-Interessen zu sein, um Stimmen zu fangen. Alle politischen Fehler der Stadt wurden in den indianischen Dorfgemeinschaften eingeführt, wo Pseudo-Anführer ausgebildet wurden. So kam das Sektierertum. der persönliche Ehrgeiz, der falsche Caudillismo, die politische Klüngelei. die Vetternwirtschaft, die ökonomische und moralische Korruption, die Missachtung des Repräsentativprinzips, da man bewusst das indianische Regierungssystem außer acht ließ.

Danach hat man die Politik der ..Integration der indianischen Bevölkerung ins nationale Leben" eingeführt, die nicht auf die Schaffung eines wirklich vielethnischen Staates zielte, in dem jede Ethnie ihr Recht auf Selbstbestimmung und auf die freie Wahl sozialer, kultureller und politischer Alternativen hätte.

Das Problem der Befreiung des Indianers und seiner darauf folgenden Selbstbestimmung ist vor allem ein politisches Problem, erst in zweiter Linie ein ökonomisches. Der Indianer in seiner Situation eines unterdrückten Volkes braucht seine eigene politische Organisation.

DIE ERZIEHUNG, INSTRUMENT DER ENTFREMDUNG

Für das indianische Volk bedeutet das in unseren Ländern vorherrschende Erziehungssystem angloamerikanischen Ursprungs eine Gehirnwäsche, eine Zähmung und eine bedingungslose Unterwerfung unter die europäische Kultur. Jedoch, dank den Traditionen, die authentisch gelebt und überliefert werden von Generation zu Generation, dank der Sprache der steinernen Monumente, dank der Aussage unserer Schneegebirge, und gegen allen aufgezwungenen Ethnozid, verkünden wir noch immer die Stärke unserer Sprachen und Kultur über die Macht des Todes hinaus.

Gemäß der rassentrennenden Regierungspolitik in unseren Ländern wird eine diskriminatorische Erziehung eingesetzt: Für die Indianer eine Grundausbildung, für die Mischlinge mittelmäßige humanistische Programme, und für die Gringos (Weißen) Spezialprogramme.

Einerseits beschimpft man uns. wir Indianer seine minderwertige, der westlichen Kultur unwürdig, aber was haben denn andererseits die Republiken in über 150 Jahren für die kulturelle Besserstellung des Indianers getan? Wer ist denn an der Rückständigkeit eines Volkes schuld? Rückständiges Volk, mittelmäßige Regierung, verkäufliche und unfähige Führer, unverantwortliche Überheblichkeit, darauf dürfte unsere Situation hindeuten.

DIE GESELLSCHAFT, RASSISCHE DISKRIMINIERUNG

Der Indianer wird sozial diskriminiert, erniedrigt und beleidigt. Für ,,soziale Aktionen" und Forschung ist er ein Untersuchungsobjekt, für fremde Interessen und reine Spekulationen, die für die Ausfuhr bestimmt sind. Bis heute haben sowohl der städtische als auch der ländliche Indianer die niedrigsten Positionen der soziopolitischen Struktur im jeweiligen Raum inne.

DIE ..GESUNDHEIT. DER SYSTEMATISCHE GENOZID

Seit der Ankunft der europäischen Invasoren bis heute wurde das indianische Volk einem langsamen und systematischen Tod ausgesetzt, denn die unkontrollierten Krankheiten treffen vor allem die Kinder, und sogar die Pharmazie und die Medizin sind Komplizen der finsteren Politik, Frauen und Kinder zu sterilisieren.

Die Genozid-Absicht des europäischen Eroberers hat verschiedene Formen angenommen: sie hat ganze indianische Völker mittels Eroberungskriegen ausgerottet, hat Millionen durch Zwangsarbeit in den Minen und Haziendas getötet, hat die Kinder dem Hunger, der Unterernährung und Frühsterblichkeit ausgesetzt, und schließlich die Methode entdeckt, unsere Frauen und Kinder zu sterilisieren.

DIE RELIGION. ENTINDIANISIERUNG

Die Anwesenheit von Missionaren bedeutet seit jeher eine zwangsweise Einführung von kulturellen Kriterien und Verhaltensmustern, die der indianischen Gesellschaft fremd sind. Unter einem religiösen Mantel verdeckt man die wirtschaftliche Ausbeutung des Menschen, die Diskriminierung und Unterwerfung. Man muss jedoch darauf hinweisen, dass es gut gemeinte Versuche gegeben hat. Unterdrückten zu verteidigen. Von Anfang an gab es Fratres mit einem romantischen Hang zum Indianertum, die die kolonialen Ungerechtigkeiten anprangerten. Neuerdings nehmen Abweichler innerhalb der Kirche eine Position der Selbstkritik ein und kritisieren den historischen Fehlschlag der missionarischen Aktivität."

[Zitat und Übersetzung: Riester, Jürgen: Ostboliviens versklavte Indianervölker. -- Hamburg : Gesellschaft für bedrohte Völker, 1976. -- (Pogrom ; Nr. 46, 1976-11). -- S. 41f.]

1975-10-17

Vertreter von 25 Staaten Lateinamerikas und der Karibik, darunter Bolivien, unterschreiben in Panama die Gründungsurkunde des Sistema Económico Latinoamericano (SELA). [Webpräsenz: http://sela2.sela.org. -- Zugriff am 2002-04-15]. Bolivien ratifiziert am 1976-06-07.

"SELA wurde auf Initiative Mexikos und Venezuelas gegründet und nach 16-monatigen Verhandlungen am 17.Oktober 1975 beschlossen. Zu den Mitgliedern zählen, nach einer Ergänzung um vier Länder seit 1978, 27 Staaten Lateinamerikas und der Karibik. Ausgeschlossen waren von vornherein die USA, während Kuba von Beginn an Mitglied war. Schon darin zeigt sich eine wesentliche Zielsetzung des SELA: ideologische Offenheit verbindet sich mit der strikten regionalen Interessenvertretung gegenüber Nordamerika, um die ungleichgewichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu verändern (Erklärung von Panama von 1981). Darüber hinaus will der Wirtschaftsverbund folgendes erreichen: Koordinierung der schon laufenden regionalen Integrationsprozesse, Projektierung und Förderung wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungsvorhaben, Erarbeitung gemeinsamer Positionen gegenüber den Industrieländern und internationalen Organisationen, Fördermaßnahmen für unterentwickelte oder in Krisen geratene Mitgliedsländer und Gründung multinationaler Unternehmen. SELA ist in eine Vielzahl aufeinander abgestimmter Organe unterteilt: Im Lateinamerikanischen Rat ist jedes Land zumeist durch den Wirtschaftsminister vertreten. Er tagt jährlich einmal, verabschiedet den Haushalt des SELA, definiert seine Politik und bestimmt die Mitglieder des Sekretariats. Der Vorsitz wird jährlich wechselnd von den Mitgliedsländern gestellt. Das Ständige Sekretariat hat seinen Sitz in Caracas (Venezuela). Das Sekretariat vertritt SELA nach außen und gegenüber den Mitgliedsländern, bereitet Arbeitsvorschläge und Anträge für den Rat vor, sorgt für die Ausführung der Ratsbeschlüsse, pflegt den Kontakt zu anderen Organisationen und koordiniert die Aktionskomitees. Der versitzende Sekretär und sein Stellvertreter werden alle vier Jahre vom Rat neu gewählt. In den Aktionskomitees (AK) finden sich für begrenzte Zeit einzelne Mitgliedsländer (mindestens drei) zur Realisierung von zuvor im Rat beschlossenen Projekten zusammen. Diese AK sind die eigentlich spezifische Organisationsform des SELA. Jedes AK hat seinen eigenen Sekretär und Haushalt. Sie widmen sich Entwicklungsvorhaben in landwirtschaftlichen, industrielltechnischen und sozialen Bereichen. Aus den AK entwickelten sich auf Lateinamerika zugeschnittene Organisationen, wie z.B. die seit 1977 tätige Exportbank BLADEX, die seit 1983 existierende Nachrichtenagentur ALASEI oder die Organisation für Wohnungsbau und Verpflegung (seit 1984). SELA pflegt intensive Beziehungen zu allen größeren internationalen Organisationen - insbesondere
auch zur EU - und ist eine der lateinamerikanischen Institutionen, die zu internationalen Konferenzen geladen werden oder Beobachterstatus haben. Die lange Zeit angespannten Beziehungen zu den USA sollen künftig verbessert werden."

[Steilberg, Hays A. ; Flemming, Thomas: Chronik Handbuch Amerika. -- Gütersloh [u.a.] : Chronik, ©1998. -- ISBN 3577145234. -- S. 447f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

1975-12

Chile bietet Bolivien einen 5 bis 10 km breiten Korridor bei Arica an und fordert als Gegenleistung eine Grenzkorrektur bei Antofagasta.

Ab 1976

In der Öffentlichkeit werden immer mehr Fälle von plötzlichem Verschwinden von Gegnern des Regimes Bánzer bekannt. Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass diese Fälle Folgen der "operación (oder: plan) Cóndor" sind. Der Plan Condór ist ein Plan der Diktatoren von Bolivien (Bánzer), Chile (Pinochet), Argentinien (Videla), Uruguay (Alvarez, Bodaberry) Paraguay (Stroessner) und Brasiliens (Guarrastazu Medici), unliebsame (linke) Regimegegner verschwinden zu lassen. Bis 2002 sind immer noch viele Fälle solchen Verschwindens ungeklärt.


Abb.: In der Presse erscheinen immer wieder Vermisstanzeigen wie diese aus dem Jahr 1985

1976

Der Censo (Volkszählung) ergibt eine Bevölkerungszahl von 4,7 Mio. Einwohnern. Seit dem letzten Censo (1950) hat die Bevölkerung um 2 Mio. Personen zugenommen.

1976

Der Zustand der staatlichen Gesundheitseinrichtungen

"Eine staatliche Untersuchungskommission des Gesundheitsministeriums kam 1976 bei der Überprüfung von nationalen Gesundheitseinrichtungen zu folgendem Ergebnis:

Im städtischen Bereich befinden sich

  • 40,6 % der staatlichen Gesundheitseinrichtungen in gutem,
  • 42,2 % in weniger gutem und
  • 17,2 % in einem schlechten Zustand.

In ländlichen Gebieten sieht es mit der Beschaffenheit der Einrichtungen noch schlechter aus:

  • Nur 34 % befanden sich in einem guten Zustand,
  • 28 % wurden als weniger gut und
  • 37 % als sehr schlecht ausgerüstet bezeichnet, d.h. sie würden nicht den geringsten Anforderungen an einen gut funktionierenden Gesundheitsdienst genügen.
  • Nur 7 % der ländlichen Gesundheitseinrichtungen (Establecimientos) haben eine vollständige personelle Besetzung,
  • bei 79 % ist sie unvollständig und
  • bei 14 % fehlt medizinisches Personal.


Den schlechten Zustand der 'Establecimientos' auf dem Land und die Aufnahme von nur 8,8 Personen pro Bett und Jahr sowie 0,7 Konsultationen je Stunde und Arzt führt das Gesundheitsministerium auf folgende Ursachen zurück:

  • "fehlende Mittel für den Kauf von Medikamenten,
  • begrenzte Ausrüstung,
  • fehlende Transportmittel (die ländlichen Gesundheitsdienste verfügen in ganz Bolivien über nur 4 Jeeps und 3 Boote),
  • schlechte medizinische 'Infrastruktur' (ungenügende Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten),
  • niedrige Löhne für medizinisches Personal, die es dem Gesundheitsministerium nicht erlaubten, genügend qualifizierte Kräfte einzustellen"

 (Ministerio de Planeamiento 1977, S. 4-6)."

[Bornhütter, Horst <1948 - >: Die Aymara : ein indianisches Bauernvolk in Bolivien  -- Feuchtwangen : Kohlhauer, 1987. -- (Kölner medizinhistorische Beiträge ; Bd. 48). -- Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1987. -- ISBN 3-925341-47-1. -- S. 79]

1976

Bolivien ratifiziert die Single Convention on Narcotic Drugs 1961 as amended by the 1972 Protocol der UNO. Für die Koka-Politik wichtig sind besonders folgende Artikel:

Article 26. THE COCA BUSH AND COCA LEAVES

  1. If a Party permits the cultivation of the coca bush, it shall apply thereto and to coca leaves the system of controls as provided in article 23 respecting the control of the opium poppy, but as regards paragraph 2 (d) of that article, the requirements imposed on the Agency therein referred to shall be only to take physical possession of the crops as soon as possible after the end of the harvest.
  2. The Parties shall so far as possible enforce the uprooting of all coca bushes which grow wild. They shall destroy the coca bushes if illegally cultivated.

Article 23. NATIONAL OPIUM AGENCIES

  1. 1. A Party that permits the cultivation of the opium poppy for the production of opium shall establish, if it has not already done so, and maintain, one or more government agencies (hereafter in this article referred to as the Agency) to carry out the functions required under this article.
  2. 2. Each such Party shall apply the following provisions to the cultivation of the opium poppy for the production of opium and to opium;
    1. The Agency shall designate the areas in which, and the plots of land on which, cultivation of the opium poppy for the purpose of producing opium shall be permitted.
    2. Only cultivators licensed by the Agency shall be authorized to engage in such cultivation.
    3. Each licence shall specify the extent of the land on which the cultivation is permitted.
    4. All cultivators of the opium poppy shall be required to deliver their total crops of opium to the Agency. The Agency shall purchase and take physical possession of such crops as soon as possible, but not later than four months after the end of the harvest.
    5. The Agency shall, in respect of opium, have the exclusive right of importing, exporting, wholesale trading and maintaining stocks other than those held by manufacturers of opium alkaloids, medicinal opium or opium preparations. Parties need not extend this exclusive right to medicinal opium and opium preparations.
  3. The governmental functions referred to in paragraph 2 shall be discharged by a single government agency if the constitution of the Party concerned permits it.

Article 49. TRANSITIONAL RESERVATIONS

  1. A Party may at the time of signature, ratification or accession reserve the right to permit temporarily in any one of its territories:
    • (c) Coca leaf chewing;
    • (e) The production and manufacture of and trade in the drugs referred to under (a) to (d) for the purposes mentioned therein.
  2.  The reservations under paragraph 1 shall be subject to the following restrictions:
    • (a) The activities mentioned in paragraph 1 may be authorized only to the extent that they were traditional in the territories in respect of which the reservation is made, and were there permitted on 1 January 1961.
    • (b) No export of the drugs referred to in paragraph 1 for the purposes mentioned therein may be permitted to a non-party or to a territory to which this Convention does not apply under article 42.
    • (e) Coca leaf chewing must be abolished within twenty-five years from the coming into force of this Convention as provided in paragraph 1 of article 41.
    • (g) The production and manufacture of and trade in the drugs referred to in paragraph 1 for any of the uses mentioned therein must be reduced and finally abolished simultaneously with the reduction and abolition of such uses.
Quelle:  http://www.incb.org/e/conv/1961/. -- Zugriff am 2002-09-24]

1976

Es erscheint die erste Folge von Bischof Bösls Bolivien-Report:

Bösl, Antonio Eduardo <1925, Hirschau - 2000, Concepción>: Bolivien Report I : Erlebnisberichte und Situationsbilder aus einer Franziskaner-Mission in Boliviens Urwald. -- München : Franziskaner Missions-Verein in Bayern, [1976]. -- 141 S. : Ill.


Abb. aus Bolivien-Report I: Santa Cruz de la Sierra, 1950er-Jahre

Bis 1998 erscheinen 8 Folgen dieser sehr informativen und gut illustrierten Berichte, die zeigen was mit entsprechender Energie und Initiative in Bolivien geleistet werden kann.

1976


Abb.: LogoTM

Nach 16jähriger Verbannung aus Bolivien nimmt die private US-Wohlfahrtorganisation CARE seine Tätigkeit in Bolivien wieder auf [Webpräsenz: http://www.careusa.org/vft/bolivia/care_bolivia.asp. -- Zugriff am 2002-11-13]

"CARE returned to Bolivia after a 16 year hiatus in 1976, building rural water systems. Over the years, CARE expanded its activities to include primary health care and agriculture and natural resources. Currently, CARE's portfolio in Bolivia includes projects in primary health care, urban and rural water and sanitation, reproductive health, agriculture and natural resources management, rural credit, girls' education and municipal strengthening. CARE Bolivia implements a project portfolio of about US$8 million each year. "

1976

Baptista Gumucio, Mariano <1931, Cochabamba - >: Historia contemporánea de Bolivia, 1930-1978. -- Erscheint zunächst als 2. Teil von J. Finot's Nueva historia de Bolivia, 1978 als selbständiges Werk: La Paz : Gisbert, 1978. -- 399 S.

1976

Aguirre Lavayén, Joaquín <1921, Cochabamba - >: Guano maldito. -- Cochabamba [u.a.] : Los Amigos del Libro, 1976. -- 286 S. -- [Roman über den Pazifikkrieg]


Abb.: Umschlagtitel der 5. Aufl., 1996

"Guano: (definiciones)

Descargo de nuestra glotonería pajarera.
Producto de anchovetas que fueron incautas.
Papas grandes para Herr Humboldt.
Curiosidad para míster Darwin.
Fosas de muerte para peones culies esclavos.
Fletes para barcos guaneros.
Libras esterlinas para los Gibbs sobre Londres.
Dinero para que un general Gamarra invada Bolivia.
Soborno que compra políticos, generales, empleados y damiselas.
Invasión chilena sobre Mejillones.
Invasión de España sobre las Chinchas.
Medallas y proclamas de Unión Americana.
Tratados y alianzas internacionales.
Revoluciones.
Garantía de empréstitos.
Respaldo de bonos.
Compra de armamentos.
Buques de guerra.
Construcción de ferrocarriles.
¡Guanos! ¡Guanos!. . . ¡Hermosos guanos!
Abonos poderosos para las buenas cosechas de Europa.
Abonos poderosos para las buenas guerras en las costas del Pacífico de la América del Sur.

El pelícano Mejillones se rasca la calva y termina diciendo:

Don Gabriel. Creo que la definición más potente es: ¡Guano, tú eres polvo y en polvo te convertirás!..."

[a.a.O., S. 222]

"¡GUANO MALDITO!

Pelicanos, cormoranes y gaviotas: Lo fabrican
Peones mestizos y culis chinos: Lo excavan con sudor y sangre.
Doctores y militares: Se matan por negociarlo.
Astutos ingleses y franceses: Lo convierten en oro."

[a.a.O., S. 1]

 

1976


Abb.: Einbandtitel

Sashin, G. Z.: Boliviia : ocherk noveishei istorii. -- Moskva : Mysl´, 1976. -- 277 S.

1976

Es erscheint die erste Folge von

Jahrbuch Asien - Afrika - Lateinamerika : Bilanz und Chronik des Jahres ... / hrsg. vom Zentralen Rat für Asien-, Afrika- und Lateinamerikawissenschaften in der DDR. -- Berlin : Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1974ff. -- Erscheint jährlich bis 1989. -- ISSN 0232-8410. -- [Enthält eine jährliche Chronik der Ereignisse in Bolivien, aus Sicht der DDR, nützlich]
 

1976

Die deutsche Kranken- und Operationsschwester Anneliese Lühring (geb. 1942), die fünf Jahre lang in der Chiquitania am Aufbau eines ländlichen Gesundheitsdienstes mitgearbeitet hat, veröffentlicht ihr Tagebuch:

Lühring, Anneliese <1942 - >: Bei den Kindern von Concepción : Tagebuch einer deutschen Entwicklungshelferin in Bolivien. -- Reinbeck : Rowohlt, ©1976. -- 156 S. : Ill. -- (rororo aktuell ; 4060). -- ISBN 3-499-14060-8

"11. 3. 1972: Erste Campofahrt mit Dr. Arzabe - endlich.

Am Montagfrüh starteten wir: Dr. Arzabe, Manfred Kriegl (Landwirt und Genossenschaftsmann der FBF) und ich. Eingezwängt im DKW-Jeep der Fundación, zwischen unserem Handwerkzeug: zwei Kanister Medikamente und Instrumente, Konserven, Reis, Zucker für unsere Verpflegung während der nächsten fünf Tage, Hängematten und Schlafsäcke, Petroleumlampe, Autowerkzeug, Machete.

Es hatte vorher nicht viel geregnet, so waren die Wege «in gutem Zustand», wie mir versichert wurde. Dennoch blieb die Durchschnittsgeschwindigkeit 20 km/h. Pampa und Monte (= Hochsavanne) wechseln einander nahezu übergangslos ab. In der Pampa lebt der noch recht spärliche Viehbestand der Indianer, eine Zeburasse mit ihren markanten, mächtigen Höckern. Im Monte leben die Wildtiere; Leoparden, Füchse, Rieseneidechsen, jede Art von Schlangen, in den größeren Flüssen Krokodile, nördlich von Concepción auch Leoparden und Ameisenbären. Aber unsere Fahrt ging südlich, zielsicher steuerte M. K. den Jeep durch das Wirrwarr von Wegen und Schlammlöchern. Erste Station in Cerrito, dort leben vierzehn Familien. Das Dorf liegt, wie die meisten, auf einem Hügel, weil es dort kühler ist als in den Niederungen und weil es auch weniger Moskitos gibt. Wir schlugen unser Quartier in der Schule auf. Zwar hat das offizielle Schuljahr schon vor einem Monat begonnen, aber die meisten Dörfer, die wir besuchten, wussten bis jetzt noch nicht einmal, ob und welcher Lehrer zu ihnen kommen würde. Die Schulgebäude sind wie alle anderen Hütten gebaut: die tragenden Balken aus Cuchi, einem Eisenholz, die Wände aus «tabique» (Bambusgeflecht mit Erde verschmiert), das Dach mit Palmblättern oder Hartgras gedeckt, vor dem Haus ein überdachter Vorplatz, das Haus angestrichen mit weißer Erde, die dort in der Gegend zu finden ist. Die Leute begrüßten uns, hatten uns auch an diesem Tag erwartet. Sie bereiteten Hühnchen, Yuka und Kaffee zum Mittagessen. Am Nachmittag behandelten wir die Kranken. Hier wie auch auf der ganzen weiteren Reise war der wichtigste ärztliche Dienst das Zähneziehen (ich muss das auf jeden Fall lernen, versicherte mir Dr. Arzabe). Bei den schlechten Zähnen, mit abgebrochenen Kronen, verfaulten Wurzeln und Abszessen war das manchmal eine stundenlange Schwerarbeit von Dr. Arzabe, und das mit keinen anderen Hilfsmitteln als einer einfachen Knochenzange. Die ersten Zähne habe er mit seinem Taschenmesser gezogen, erzählte er mir lachend! Ansonsten sei die Patientenzahl in dem einen Jahr seiner Tätigkeit schon stark zurückgegangen, wobei Tuberkulose und Parasitosis bisher aus Mangel an Medikamenten und Labormöglichkeiten nicht hätten behandelt werden können.

Im letzten Jahr starben bei einer Keuchhustenepidemie in diesem Gebiet 200 Kinder - bei einer Bevölkerungszahl von ungefähr 2000! In dem Dorf Cerrito beispielsweise sind von 54 geborenen Kindern vierzehn gestorben, und zwar an Keuchhusten, Windpocken, Gastroenteritis. Der Altersdurchschnitt in diesem Dorf liegt bei den Männern bei 30, bei den Frauen bei 24 Jahren. Das gilt aber nur für die Erwachsenen, rechnet man die Kinder dazu, kommt man zu einem allgemeinen Altersdurchschnitt von sechzehn Jahren! Die Mädchen unter den Indianern heiraten mit dreizehn bis vierzehn Jahren und haben mit spätestens fünfzehn Jahren ihr erstes Kind. Hier gibt es eine 22jährige Frau, die bereits fünf Schwangerschaften hinter sich hat!

Der Nachmittag ging vorüber mit Zähneziehen, Behandlungen und Beratung. M. K. besichtigte den Gemeinschaftschaco, der im letzten Jahr mit der Stacheldrahthilfe der Fundación in vielen Dörfern erstmalig angelegt wurde und der in diesem Jahr die erste Ernte bringen soll. Die Felder werden von den Kooperativenmitgliedern gemeinsam angelegt, das heißt gerodet und mit Stacheldraht eingezäunt. Der Stacheldraht wird auf Kredit gegeben und muss mit der ersten bzw. nächsten Ernte zurückgezahlt werden. Jeder Socio hat eine Parzelle in diesem Chaco mit höher (für Erdnuss) und tiefer (für Reis) gelegenen Feldern. Außerdem hat jeder Gemeinschaftschaco ein Versuchsfeld, auf dem in diesem Jahr Baumwolle ausprobiert wurde, der Samen dafür wird von der Fundación kostenlos geliefert.

Dr. Arzabe kassierte die Beiträge für die Gesundheitskooperative (die der landwirtschaftlichen Kooperative angeschlossen ist) in Höhe von 3 Pesos monatlich und betätigte sich als «Bankkaufmann». Vor einem Jahr hat die Fundación eine Kooperative «Ahorro y Credito» gegründet. Mit einem Mindestbeitrag von 5 Pesos monatlich sollen die Campesinos zum Sparen angeregt werden, und das hatte - wie man an 270 Mitgliedern nach einem Jahr sehen kann! - bereits einen enormen Erfolg. Nach sechs Monaten Mitgliedschaft können die Socios einen Kredit in dreifacher Höhe des eingezahlten Betrages bekommen, der in maximal 24 Monatsraten mit einem Prozent Zinsen monatlich zurückgezahlt werden muss. Die Zinsen für das Bankguthaben betragen sechs Prozent.

Abendliche Wäsche am Fluss, um den Schmutz und die Hitze des Tages abzuwaschen. Dieser Fluss, auch jetzt in der regenreichsten Zeit nur kniehoch gefüllt, führt nur drei Monate jährlich Wasser. Auch hier wie in fast allen Dörfern Lomerios ist das größte Problem der Wassermangel, der in der langen Trockenzeit katastrophal werden kann. Da muss dann oft das wenige Vieh viele Kilometer und mehrere Tagereisen weit zur nächsten Wasserstelle getrieben werden. Man hat, wie in vielen anderen Fällen, auch in Cerrito mehrmals versucht, einen Brunnen zu graben. Aber in vier bis sechs Metern Tiefe trifft man in den meisten Fällen auf die «laja», den «escudo brasilero», eine dicke Felsplatte, die sich vom Mato Grosso bis nach Argentinien erstreckt. Auch in Cerrito konnte man nicht an das Grundwasser herankommen. So dient das Flusswasser zum Waschen und Trinken. Dieses Wasser ist für hiesige Verhältnisse noch gut, weil es ständig fließt, problematischer noch wird es in der Trockenzeit, wenn die Frauen das Wasser von schmutzigen kleinen Tümpeln weither tragen müssen. So besteht seit langem bei den Mitarbeitern der Fundación die Idee - bisher wegen Geldmangels nicht ausführbar - in jedem Rancho von Lomerio Staubecken zu bauen, die, in der Regenzeit aufgefüllt, Menschen und Vieh über die Trockenzeit hinweghelfen.

Abends dann Reunion der Dorfgemeinschaft vor der Schule. Ich hatte aus La Paz einen batteriegespeisten Projektionsapparat mitgebracht, sowie Filme mit den Themen: Tuberkulose, Ernährung, Krankheitsübertragung usw. Man staunte allgemein, war fasziniert, ob man etwas davon behalten hat ist fraglich. Später dann meine erste Hängemattennacht, ungewohnt und aufregend die nächtlichen Geräusche. Meine Begleiter waren sofort eingeschlafen nach dem ermüdenden heißen Tag. Ich lag noch lange wach, hörte auf die Stimmen des Urwalds, das Knistern der Fledermäuse im Strohdach - und konnte mir allmählich vorstellen, mit diesen Leuten und in diesem Projekt zu arbeiten.

Das Geschrei der Papageienschwärme weckte uns. Das ist in der Erntezeit eine große Plage für die Campesinos. Die oft riesigen Schwärme der kleinen «loritos», die den Himmel grün färben, fallen über die Maisfelder her und können eine ganze Ernte vernichten. Darum werden die Kinder in die Maisfelder geschickt, die durch Schreien und Pfeifen die Papageien vertreiben. Und in den Morgenstunden, zur Frühstückszeit der Papageien, kann man die sehr melodischen kaum zu unterscheidenden Laute von Kindern und Papageien weit über den Urwald hören.

Nach einem schnellen Frühstück aus Kakao und hartem Brot und herzlicher Verabschiedung - «in genau zwei Wochen sind wir wieder da» - ging es weiter. Sechs Dörfer wurden an diesem Tag besucht, deren Namen, so klangvoll sie sind, ich nicht behalten konnte. Und abends in der Hängematte drehten sich in meinem Kopf Gesichter und Namen und Krankheiten und Landschaftsbilder und vermischten sich mit dem Motorgeräusch aus acht Stunden Jeep-Fahrt.

Am dritten Tag erreichten wir, müde vor Schmutz, Hunger, Durst und Hitze, San Antonio, hundertzehn Kilometer von Concepción entfernt. Dort arbeitet seit vier Jahren Franziskanerpater Matthias aus Österreich. Seit einem Jahr ist dort eine Krankenschwester des Österreichischen Entwicklungsdienstes und dazu seit einigen Monaten eine Hauswirtschaftsleiterin. Wohl selten habe ich eine Dusche so genossen - und auch so nötig gehabt!

Am Nachmittag fahren wir weiter. In Asunta entdecke ich auf dem Arm einer Frau ein sehr krank aussehendes kleines Kind. Der Junge, etwa drei Jahre alt, war schwer rachitisch und so dünn und schwach, dass er nicht einmal den Kopf allein halten konnte. Seine Mutter ist bei der Geburt gestorben, und seine alleinstehende Großmutter zieht ihn mit vier eigenen noch kleinen Kindern auf. Es war offensichtlich, dass das Kind kaum etwas zu sich nahm, eine ihm gereichte Banane führte es nicht einmal zum Mund. Ich ging mit Großmutter, Kind und Lehrer (das einzige Dorf in Lomerio, das einen Lehrer hat) zu ihrer Hütte. Dort zeigte ich der Großmutter, einer höchstens vierzigjährigen Frau, und dem Lehrer, wie sie die Mahlzeiten für das Kind zubereiten soll: aus Bananen, Yucapüree, Zitronensaft, Papaya, Milch, Eiern. Der Lehrer soll die tägliche Zubereitung der Mahlzeiten überwachen. Ihm gab ich auch die Eisen- und Vitaminpräparate, die er täglich den Mahlzeiten beigeben soll. Am liebsten hätte ich ja den Jungen zur Intensivpflege mit nach Concepción genommen (die Centro-Arbeit hat doch ihre Spuren hinterlassen!), aber erstens bin ich ja meistens unterwegs und zweitens lernen es die Leute auf diese Weise nicht. Ich überlege, ob ich meinen ersten Kursus in Ernährungslehre nicht gerade in diesem Dorf halten soll.

Weiter ging es bei strömendem Regen, der auch uns und unsere Sachen im offenen Jeep erreichte. Der Weg wurde immer schlechter, und manche Stellen schaffte das Auto nur mit großer Mühe, trotz Vierradantrieb. In El Carmen erwarteten uns viele Patienten. Nachdem wir die leichteren Fälle in der Schule, die uns immer als «Sprechzimmer» dient, versorgt hatten, gingen wir in die Hütten. Dr. Arzabe behandelte eine alte Frau mit schwerem Rheuma, eine andere mit Espundia (Leishmaniosis), ein Mädchen mit Lungenentzündung, einen Mann mit schweren Furunkeln. Einen schwerkranken Mann mit Peritonitis, und einem Apendix-Abszess wollten wir zur dringend erforderlichen Operation mit nach Concepción nehmen, aber er weigerte sich schweigend und hartnäckig. Die darum herumstehenden Männer aus dem Dorf und die eigene Frau gaben keinen Kommentar. Das war gestern. Dr. Arzabe, der mich in meiner verzweifelten Hilflosigkeit lächelnd tröstete: Tienes que acostumbrarte a estas cosas, will morgen noch einmal mit mir nach El Carmen fahren (zwei Autostunden von Concepción), um den Mann dort zu operieren. Schlimm wäre es allerdings für uns, wenn der Mann sterben würde, während oder nach der Operation. Mehrere Ärzte mussten deswegen schon Concepción verlassen...


In Deutschland sieht es oft so aus, dass ärztliche Hilfe hier mit offenen Armen empfangen wird. Es existiert das Bild von der blonden Schwester und dem freundlich lächelnden Arzt, umringt von einer Flut dankbarer Patienten. Wie ganz anders ist doch die Wirklichkeit! Bis vor einem Jahr haben diese Indianer nie einen Arzt gesehen. Der «brujo» (= Zaubermann) spielt noch eine große Rolle. Dennoch haben schon viele Vertrauen gefasst zu Dr. Arzabe, das hindert sie aber nicht, die Hilfe nur bis zu einem bestimmten Punkt anzunehmen. Meistens verweigern sie sie gerade dann, wenn es sehr schlecht um sie steht. Dann ist da eine unerklärliche Bereitschaft zu sterben. Und das ist schwer zu verkraften, zusehen zu müssen, wie Menschen sterben, denen man helfen könnte -und denen man doch nicht helfen kann. Mit dreißig, fünfunddreißig, vierzig Jahren zu sterben, ist für unsere Begriffe zu früh. Für die Menschen hier nicht; Die ärztliche Ethik befiehlt, jedes Leben so lange wie möglich zu schützen und zu erhalten. Dennoch werfen solche Erfahrungen wieder die Frage auf: ist es nicht unser europäisches Leistungsdenken, dass erst ein Siebzig- oder Achtzigjähriger ein «gelebtes Leben» gelebt hat?

Viele ungeklärte Fragen. Sicher ist, dass die medizinische Hilfe hier keine Entscheidung bringt, wenn nicht gleichzeitig und sehr intensiv diese Hilfe vorbereitet wird.

15. 3. 1972: Nun ist der Mann aus El Carmen also doch operiert! Am Sonntag sind wir nach El Carmen gefahren, mit allen Utensilien, um ihn notfalls dort operieren zu können. Wir fanden unseren Patienten - unkglaublich! - bei der Dorffesttagsprozession. Mit einer hochgradigen Peritonitis und schwerem Fieber! Die Bemühungen des Padres hatten Erfolg, wir konnten den Mann mit nach Concepción nehmen! Auf der zweistündigen, holprigen Fahrt ging es ihm aber so schlecht, dass wir befürchteten, die Operation könnte doch zu spät kommen. Aber wir kamen gut an, bereiteten in Eile alles vor, und zwei Stunden später wurde er operiert: hochgradige Peritonitis, der Apendix war überhaupt nicht mehr zu finden, während der Operation perforierte auch noch der Darm. Es war dramatisch, dem Mann ging es schlechter, dazu ging das Licht aus und wir mussten bei Taschenlampenbeleuchtung weiterarbeiten. Ich wachte nachts bei dem Kranken, auch noch in der folgenden Nacht, dann aber nahm meine Müdigkeit Überhand. Glücklicherweise geht es Don Carlos auch schon sehr viel besser. Die staatlichen Krankenschwestern des Centro konnten oder wollten mich nicht ablösen." [a.a.O., S. 52 - 56]

"Concepción, 7. 11. 1974: Eindrücke aus einer «Sprechstunde» an einem ganz gewöhnlichen Donnerstagmorgen. Es ist zehn Uhr, der größte Schwung an Patienten ist bereits vorüber. Isabel ist heute morgen nicht zum Nachhilfeunterricht gekommen, so konnte ich früher anfangen. Zunächst eine Stippvisite bei dem vorgestern von mir entbundenen Baby («schon wieder ein Mädchen», stöhnte der Vater, unser Mechaniker!). Kurze Rücksprache mit Dr. Arzabe per Funk (er ist seit Montag in San Antonio) über meine Patienten, nichts Neues auf beiden Seiten, also kann die «Routine» beginnen:

Vierzehn Tuberkulosepatienten kommen täglich zur Streptomycin-Spritze, 43 sind insgesamt zur Zeit in Tb-Behandlung. Gewichts- und Tablettenkontrolle, Zuspruch und Aufmunterung, ja nicht nachlassen, täglich wiederkommen, trotz oftmals fünf oder zehn Kilometer Weg. (Aus den Dörfern, in denen Sanitäter ausgebildet sind bzw. keine Kooperativen bestehen, müssen die Patienten zu uns kommen. ) Viele Patienten sind auch aus dem Dorf (Concepción), hier wird die Krankheit schon als Makel betrachtet, man spricht nicht darüber, redet höchstens von einer Infektion. Am Sonnabend will ich bei den Angehörigen der Tb-Patienten und anderen Freiwilligen den Patch-Test machen, damit die Positiven näher unter die Lupe genommen werden können. Unser Durchleuchtungsapparat (Röntgen funktioniert noch nicht) wird bis dahin auch an das Stromnetz angeschlossen sein, so dass Arzabe endlich mit einer fundierten Tb-Kontrolle beginnen kann. Zufällig kam ich heute mit Robertina ins Gespräch, einer Tb-Patientin von einer Estanzia drei Leguas (= 15 km) von hier. Ich ließ sie erzählen, trotz vieler wartender Patienten vor der Tür. Denn was ich da hörte, scheint in unserem Jahrhundert so unmöglich - und ist doch jeden Tag hier wieder neu möglich: Robertina ist eine kleine schüchterne Indianerin mit jetzt nur 38 Kilogramm Gewicht. Befragt danach, wie lange sie denn schon krank sei, erzählt sie mir stockend, dass sie schon vor zwei Monaten ihren Patron um Remedios gebeten habe, weil ihr der Rücken so weh getan hat und sie starkes Fieber bei der Arbeit bekam. Aber «el patron me ha llamado floja y que vas a tener vos» (der Patron hat mich eine Faule geschimpft, und «was wirst du schon haben»), aber «ich bin nicht faul, wenn ich arbeiten kann», das kam schon unter Tränen, «aber es wurde immer schlimmer, und er gab mir zwei Spritzen, aber auch die haben nicht geholfen, und da hat er noch sehr geschimpft mit mir». «Vaya a la molienda», geh an die Reismühle, sagte er, aber mir tat der Rücken so weh, und ich habe fünf Kinder, und immer hatte ich Fieber. Dann kam Don P. (der Bruder des Patrons), und der hat zum Patron gesagt, bring sie zum Arzt, so kann sie doch nicht arbeiten. Jetzt war sie also bei uns, wohnte im Dorf mit ihrem kleinsten Kind und kam jeden Tag zur Spritze. Nach der zehnten Injektion, Vitamintabletten und Stärkungsmitteln, geht es ihr schon sichtbar besser.


Ich war noch ganz befangen von diesem Bericht, da sollte ich mit der nächsten Patientin über die heute morgen in Santa Cruz proklamierte Revolution reden! Vielleicht führen diese verworrenen Nachrichten, die durchs Radio kommen, zu einer Revolution - aber es ist wohl ziemlich sicher, dass sich dadurch gar nichts für die Situation von Robertina oder anderer, für die ihr Name steht, ändern wird! Die Campesinos aus der Umgebung von Santa Cruz sind aufgerufen, auf die Stadt zu marschieren. Jetzt, wo alle Bauern gebraucht werden, um ihre eigenen Felder zu bestellen - denn in vierzehn Tagen kann es für dieses Jahr dazu zu spät sein! So ist der im Land und in der Zone hergestellte Reis teurer als das aus Amerika importierte Weizenmehl, aber: Bei einer solchen wirtschaftlichen Lage wirbt man die Campesinos für die Revolution an! Man könnte wütend sein, immerzu - oder aber resignieren: Viel Zeit und Geduld muss man für die Leute haben, oft kommen sie nur (wie gerade Dona A. ), weil gestern oder vorgestern das Kind Fieber gehabt hat und trotz aller Mahnungen der Großmutter (die meist die Pflege des erstgeborenen Kindes dirigiert) gebadet worden ist. Jetzt sei zwar das Fieber vorbei, aber noch lange nicht die Empörung der Großmutter...

Dann die Apotheke: «Senorita, vendane», oft handelt es sich nur um ein oder zwei Tabletten Aspirin. Wir haben eine Liste von Medikamenten aushängen, die wir rezeptfrei ausgeben. Aber die Leute haben sich schon - endlich daran gewöhnt, sie kommen fast immer mit Rezepten und mit Geld, denn wir geben nichts mehr «al credito». Ein wirklicher Erfolg, auch für die Kasse der Farmacia. Im dritten Quartal dieses Jahres haben wir immerhin für 26000 Pesos Medikamente verkauft.

Selten komme ich dazu, während des Tages so in Ruhe zu schreiben, aber wahrscheinlich ist das sehr heiße, drückende Wetter- schuld - oder auch die Revolutionssendungen im Radio, was die Leute fernhält. Aber das kommt mir gelegen, ich muss dringend die Kooperativenmappen überarbeiten, weil ab Montag der neue Kooperativenmann der FBF diese Arbeit übernehmen wird.

Zehn Tage keinen Tropfen Regen, die Erde ist für die fällige Aussaat schon wieder viel zu trocken! Es klopft, der Donnerstag geht weiter...

9. 12. 1974: Das Dorffest ist vorüber.

Am Sonnabendnachmittag bereits zogen lange Karawanen von Campesinos ins Dorf ein, zu Fuß meist, am Strick einen mit Bananen, Hühnern oder auch nur Brennholz beladenen Esel und auf dem ganzen oft noch die kleineren Kinder. Die Männer fast alle in weißen Hemden und blauen Hosen, die Frauen in ihren farbenfreudigen «tipois» (Gewand aus der Jesuitenzeit) mit dem Einheitsschnitt. Wo diese Scharen in Concepción für einige Tage unterschlüpfen, ist mir rätselhaft!

Die Kirche ist am Sonntagmorgen überfüllt, die ersten Reihen freigehalten für die «Oberschicht», die Autoritäten des Dorfes kommen allerdings noch nicht einmal. Dahinter drängt sich das Volk, stehend, kniend, sitzend auf den wenigen Bänken oder meist auf dem Fußboden. Die Frauen mit langen, offenen nass gekämmten Haaren, den Säugling unbeachtet an der Brust, die kleineren Kinder spielen miteinander. Frauen und Kinder scheint das Geschehen vorn am Altar wenig zu beeindrucken, während die Männer in geschlossenen Reihen auf der rechten Kirchenseite stehen und konzentriert zuhören. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Worte des Bischofs über die Verkündigung an Maria und das Vermächtnis, denen das Dorf Concepción seinen Namen schuldet, an den Ohren der Weißen und der Campesinos vorbeigehen. Die Masse ist Schauspiel. Festereignis für die Weißen in ihren neuen Kleidern und faszinierender Prunk für die entwöhnten Augen der Indianer. Welch ganz anderen Eindruck hatte ich doch bei der einfachen Predigt des Indianers in der Kapelle von San Antonio! Beim Friedensgruß gebe ich meiner Nachbarin spontan die Hand, sie erwidert zögernd, fast erschrocken, es ist eine Indianerin, und das ist ihr wohl das erste Mal passiert. Anschließend dann die Prozession um den Dorfplatz, die Holzsänfte mit der Marienstatue wird von ausgewählten Personen (Weißen!) getragen, die Rangordnung dahinter ergibt sich von selbst. Es ist drückend heiß und schwül, aber unterdessen wird auf der Plaza bereits mit dem Verkauf von Bratwurst und Bier angefangen. Im «club social» drängen sich wenig später die Gäste an den Tischen und die Indianer an den Fenstern, man will den hohen Besuch aus Santa Cruz (der Präfekt ist am Morgen mit einer Militärmaschine angekommen) wenigstens von weitem sehen. Der Alkoholkonsum steigt trotz Mittagshitze schnell an, an diesem Tag werden von den Gästen im Club insgesamt neunhundert Flaschen Bier (die Flasche zu 25 Pesos) getrunken, dazu dreißig oder mehr Flaschen Whisky (die Flasche zu 320 Pesos).


Währenddessen kommen die Campesinos schneller und billiger zu ihrem Rausch. Für 12 Pesos bekommt man eine Flasche sechzigprozentigen Alkohol (Brennspiritus), der vor den Verkaufsläden mit den Companeros im Stehen, Sitzen oder auch später im Liegen getrunken wird. Die Hitze tut das ihre, und als ich um drei Uhr nachmittags durchs Dorf fahre, liegen bereits viele Campesinos vor den Häusern oder torkeln - sich gegenseitig stützend - durch die Straßen. Man nimmt dieses Bild in Kauf, die Indianer bringen nicht nur Geld, man sichert sie sich auch als Arbeitskräfte für die kommenden Monate, denn viele Flaschen Alkohol werden «fiado» (geliehen) abgegeben und in den meisten Fällen mit Arbeit zurückgezahlt. Am Nachmittag nehme ich einen mir bekannten total betrunkenen Campesino auf dem Weg nach Alta-Vista mit zurück in sein Dorf. «Linda la fiesta», wie schön war das Fest, lallt er immer wieder vor sich hin. Mir wird fast übel, nicht von dem Betrunkenen, da habe ich in Deutschland Schlimmeres erlebt, sondern weil mir dieses sogenannte Fest die ganze Diskrepanz und letztlich Ausweglosigkeit unserer Arbeit wieder so brutal verdeutlicht. Die Trennungslinien sind scharf gezogen, vom Platz in der Kirche, Platz in der Prozession, Platz am Fenster des «club social». Und der Campesino findet diesen Platz richtig und angemessen - wenn sich eine Indianerin sogar vor meinem Händedruck erschreckt?

«El beico no es gente» - der Indianer ist kein Mensch, dieser oft zu hörende Satz bestätigt sich immer wieder in der Praxis:

Während im Dorf das Fest auf vollen Touren lief, wurden der Dorfarzt und Dr. Arzabe nach M. gerufen. Ein achtjähriger Junge hatte eine Blinddarmperforation und Peritonitis bekommen, nachdem man die Schmerzen mit Einlaufen und Abführmitteln hatte beheben wollen. Die Ärzte operierten wegen des schlechten Zustandes des Jungen an Ort und Stelle, mussten aber nach ein paar Stunden Beobachtung feststellen, dass der Junge eine weitere Darmperforation im Dünndarmbereich haben müsse Sie sprachen mit der Patrona und rieten ihr dringend, das Kind nach Santa Cruz zu bringen. Die finanziellen Möglichkeiten dazu sind auf dieser Estanzia vorhanden. Da antwortete die Señora, nachdem sie «Dios und virgen Maria» angerufen hatte zum Dorfarzt: «Ich übergebe Ihnen das Kind, Sie können Ihre Erfahrung damit machen. » Ohnmächtige Empörung der Ärzte. Arzabe gab der Señora zur Antwort: es sei besser, dass sie endlich ihre Erfahrung mache und uns früher rufe. Aber sie nahmen das Kind mit nach Concepción und operierten es am gleichen Abend ein zweites Mal, drei Darmperforationen hatte er, und vierzig Zentimeter Darm mussten reseziert werden. Aber der Junge wird durchkommen.

Mindestens ebenso erschüttert aber hat mit gestern der Besuch in San Juan. Ich hatte eigentlich nichts Besonderes dort zu tun, wollte nur mal wieder nach dem unterernährten Kind schauen (vier Monate und 2400 Gramm!), dessen Mutter sich seit zwei Wochen nicht mehr bei mir gemeldet hatte. Das Kind war vor zehn Tagen gestorben, wie ich bald von der noch immer fiestaschwangeren, glasig dreinschauenden Campesinos im Rancho erfuhr. Der gleiche Campesino bat mich, seine Frau anzuschauen, die krank sei. Ich fuhr mit ihm zu seiner Hütte und fand eine blasse, anämische und fiebrige Frau vor. Daneben eine andere Indianerin mit einem zugedeckten Kind auf dem Arm, beide weinten - das Kind war vor einer halben Stunde gestorben. Der einen Monat alte Junge hatte sich offensichtlich bei der Mutter angesteckt («seit vier Tagen hatte er Fieber») und war an einer Lungenentzündung gestorben. Ich war empört und erschüttert zugleich: warum haben sie uns nicht benachrichtigt, wo das ganze Rancho in Concepción zur Fiesta war, und den Sanitäter habe ich dort sogar auf seinem Fahrrad gesehen und begrüßt. Sie antworteten ausweichend, die Mutter konnte nicht, und sonst hätte sich niemand bereitgefunden, und der Sanitäter «wollte uns nicht in der Fiesta stören». Solche Ausreden gefielen mir nicht, und ich ließ trotz aller Trauer der Anwesenden ein Donnerwetter auf sie los. Dann fiel auch der Sanitäter ein: «Ich habe euch ja gesagt, ihr sollt das Kind nicht mit Öl einreiben und so dick einwickeln, ihr sollt es kalt abreiben» etc. Traurig und grotesk, etwas war beim Sanitäter von unserer Schulung haftengeblieben, aber das Wichtigste hatte er nicht getan: uns benachrichtigt. Wie nutzlos scheint alle Arbeit hier nach nun schon drei Jahren - da wie dort Apathie, die Patrona, die einen «Unfreien» halb sterben lässt, und ein «Freier», der sein Kind sterben lässt, fünfzehn Kilometer vom Dorf und von der ärztlichen Hilfe entfernt! Vor ohnmächtiger Wut auf beide heulte ich auf dem Heimweg, achtete nicht genügend auf den steinigen Weg und fiel in hohem Schwung hin und unters Motorrad. Da kam ich wieder zur Besinnung (passiert war außer einigen schon gewohnten Schürfwunden nichts), setzte mich an den Weg und erholte mich von beiden Schocks. Und mein Kämpfergeist kehrte - leicht lädiert - zurück. Ich - wir müssen weitermachen, auch wenn uns die einen nicht wollen und die anderen in ihrer Apathie das Angebot der Hilfe nicht annehmen. Es war eben auch bei dem verstorbenen Jungen «un espasmo de sol» (Sonnenkrampf), und dagegen kann ihrer Meinung nach auch ein Arzt nichts machen. Wie mühsam ist das alles - und dazu kommen noch immer wieder Denunzierungen bis hin nach La Paz, wir hätten nichts gemacht! Das ist nun schon Jahre so, aber immer wieder ist es ärgerlich.

13. 12. 1974: Ein schwarzer Freitag? Dunkel genug jedenfalls, seit gestern abend regnet es mit einem starken Südwind. Endlich, sagen die Campesinos in Lomerio, denn die Reissaat drohte bereits zu vertrocknen. Ich bin mit beginnendem Regen per Motorrad vom Campo gekommen, die geplanten Fahrten für heute und morgen musste ich fallenlassen. Die Wege waren gestern schon so aufgeweicht, dass ich beim Nachhelfen mehr als einmal meine Latschen im Dreck verloren habe. Dazu noch der Ärger: ich hatte mich über eine Lehrersfrau schriftlich in einem Dorf anmelden lassen, «ganz sicher, der <mozo> reitet heute zurück»! Ich kam nach einstündiger Fahrt mit dem Motorrad an und fand niemanden vor. Tagtäglich und so ausschließlich das gleiche: unerfüllte Versprechungen, ja, in unserem Verständnis würden wir solches Verhalten als Betrug oder Lüge auffassen! Rechnen wir immer noch zu sehr mit europäischen Maßstäben? Auch Manfred und Ilse nach neun Jahren Hiersein? Aber da ist auch immer wieder die ungeheure Diskrepanz: auf der einen Seite die Erwartungen, die von drüben an uns gestellt werden: Übergabereife nach drei, fünf, sieben Jahren - Wirtschaftlichkeit und sichtbarer Erfolg (die Werbung braucht Futter!) - Projektimage als Aushängeschild für deutsche Leistungen. Auf der anderen Seite sollen wir uns hier anpassen (so wird jedem Ausreisenden dringlich und mit erhobenem Zeigefinger gesagt), Anpassen im hiesigen Sinn würde aber oft den Interessen der Trägerorganisation zuwiderlaufen. Da einen, für beide Seiten akzeptablen Mittelweg zu finden ist schwierig. Auf der einen Seite fragt man ungeduldig: wo ist die Verselbständigung der Einheimischen, der Counterparts, des Projekts? Auf der anderen Seite kritisiert man unerfüllte Leistungen, Löcher in der Buchführung. Warum habt ihr das nicht so oder so gemacht? Kommissionen kommen aus Deutschland, um zu prüfen, und kommen aus Santa Cruz und La Paz, um ebenfalls zu prüfen: was habt ihr eigentlich gemacht, in drei bzw. sieben Jahren und mit fast vier Millionen DM ? Wo ist das Geld, die Effizienz, der sichtbare Wandel ? Ja, mit Geld kann man leider kein Concepción verwandeln und auch kein l Lomerio, kann man nicht Mentalität und festgefahrene Gesellschaftsformen mit ein paar vielleicht sogar guten Einrichtungen - wie Vermarktung, Maschinen, Viehzucht oder Genossenschaften - umkrempeln, will man es non violente machen! Zeit braucht es dazu, Zeit aber will man uns von drüben nur zögernd geben und sieht den Antrag um Projektverlängerung als Eingeständnis eigenen Unvermögens!" [a.a.O., S. 106 -112]

1976

Gründung  der Cinemateca Boliviana um das filmische Schaffen in Bolivien zu archivieren und zu dokumentieren.

1976

Die Lufthansa fliegt La Paz an (2002-02 wird selbst der Lufthansaschalter im Flughafen El Alto geschlossen, die Flüge sind seit dem Ende des Kalten Kriegs -- in dem La Paz von der Aeroflot angeflogen wurde -- eingestellt).

1976-01-06

Die Oberbefehlshaber aller Teilstreitkräfte treten wegen Meinungsverschiedenheiten über den Gebietsaustausch mit Chile zurück.

1976-01-24

820 streikende Arbeiter der Manaco-Schuhfabrik werden nach einem Ultimatum entlassen. Am 1976-01-26 werden sie nach einem 24 stündigen Solidaritätsstreik der Bergarbeiter wieder eingestellt.

1976-01-30

Extreme Regenfälle bewirken in La Paz große Schäden


Abb.: Unwetterfolgen 1976-01-10

1976-02-05

Der starke Widerstand im Offizierskorps und in der Bevölkerung zwingt Präsident Banzer, die Verhandlung mit Chile über den Zugang zum Meer für gescheitert zu erklären.

1976-05

In Paris wird der bolivianische Botschafter, General Joaquín Zenteno Anayo ermordet.

1976-06 (?)

US-Außenminister Henry-Kissinger (geb. 1923; US_Außenminister 1973 - 1977) trifft sich in Santa Cruz mit Präsident Hugo Banzer. Dabei  wird verstärkte Kooperation bei der Bekämpfung des Drogenhandels vereinbart, besonders die Verstärkung der Aktivitäten der US Drug Enforcment Administration (DEA) in Bolivien.

1976-06-01

Der ehemalige bolivianische Präsident General Juan José Torres (1919, Sacaba - 1976, Argentinien) wird in Buenos Aires entführt. Am nächsten Tag findet man seine Leiche. Die Regierung Boliviens verweigert am 1976-06-06 ein Begräbnis für Torres, der daraufhin in Mexiko beigesetzt wird.

1976-06-09 bis 06-28

Verhängung des Ausnahmezustandes. Die Rundfunksender der Mineros werden von Militär besetzt. Zahlreiche Bergarbeiterfunktionäre werden verhaftet. Daraufhin Streikes im ganzen Land. Am 06-15 erklärt die Regierung die Bergbaugebiete zu Militärzonen. Zahlreiche Verhaftungen. 25 Gewerkschaftsführer werden nach Chile ausgewiesen. Die Regierung lehnt Verhandlungen über Lohnerhöhungen und Arbeitsbedingungen ab.

1976-11

Riester, Jürgen: Ostboliviens versklavte Indiananervölker. -- Hamburg : Gesellschaft für bedrohte Völker, 1976. -- 46 S. : Ill. -- (Pogrom ; Nr. 46, 1976-11)

Abb.: "Im trockenen, heißen Gran Chaco ist ein Wollpullover besonders wichtig! Caritas-Spende, damit der „Wilde" nicht mehr nackt geht. Wer ist hier der Genarrte?" [a.a.O., S. 31]

"Ramiro Reynaga Burgoa, geboren 1939 in La Paz, Bolivien, Ketschuaschriftsteller, war aktives Mitglied der Kommunistischen Jugend Boliviens. Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften an der Universität von La Paz, dort Vorsitzender des Fakultätsverbandes der Studenten. Nach mehrmaligem Aufenthalt in Kuba schloss er sich der Guerilla Ernesto „Ché" Guevaras an. Aus der bolivianischen Haft flüchtete er 1968 nach Mexiko, wo er am CIDOC-Institut Ivan Illichs arbeitete. Sein Hauptwerk „Weiße Guerillas unter indianischen Völkern" erscheint bei Harper & Row, New York. [Das Buch scheint nie erschienen zu sein, da es in keiner amerikanischen Bibliothek nachweisbar ist]

Ramiro Reynaga: Indianisiert den Marxismus! : Interview mit einem Ketschuaschriftsteller [Das Gespräch führte Leo Gabriel]

Ramiro, warum willst du lieber ein Ketschuaschriftsteller sein als ein bolivianischer?

REYNAGA: Weil ich mich als Teil eines Volkes, einer Kultur, einer Rasse betrachte, die vor Tausenden von Jahren entstanden ist. Bolivien aber wurde erst ¡m Jahre 1825 gegründet. Die Wirklichkeit, über die ich schreibe, hat schon Gültigkeit besessen, bevor diese Republik existierte, und könnte sehr wohl auch nach ihr existieren. Ein bolivianischer Schriftsteller zu sein bedeutet nichts; als Ketschua-lndio hingegen will ich den Rassismus, der mein Volk vernichtet, zerschlagen.

Hast du den Rassismus am eigenen Leib zu spüren bekommen?

REYNAGA: Mein Vater ist ein Ketschua aus der Region von Potosí; meine Mutter ist eine Weiße aus dem Aymaragebiet von La Paz. in meiner ganzen Kindheit habe ich den Rassismus sehr tief drinnen im eigenen Fleisch erlebt. Ich bin völlig gezeichnet davon. Weder Schule noch Universität konnten diese Schande, ein Indio zu sein, tilgen. Im Gegenteil: gerade durch die Reflexion darüber spürte ich sie um so tiefer. In Bolivien ist jeder ein Opfer des antiindianischen Rassismus. Da ich etwas von der Welt der Weißen kennenlernte, konnte ich einerseits Distanz gewinnen und vergleichen; andrerseits konnte ich mehr darüber nachdenken, was es heißt, Indio zu sein. Man muss wisse dass diese Probleme in Bolivien tabu sind. Vorher hatte ich mich niemals nach meiner Rasse gefragt.

Indianer sein ist wie eine Geschlechtskrankheit

Aber in deiner Familie doch, oder nicht?

REYNAGA: Dort sprach man auch nicht davon, denn es war ein sehr unangenehmes Thema. Indio sein ist, als hätte man eine Geschlechtskrankheit. Mein erster Ausweg aus den inneren Spannungen war der Anschluss an eine Partei der extremen Linken. Schon während meiner Schulzeit begann ich mit Mario Monje zu arbeiten, dem Chef der Kommunistischen Partei. Damals gab es für mich keinen anderen Weg. Doch leider musste ich auch innerhalb der Kommunistischen Partei einen antiindianischen Rassismus erfahren. Ein Indio hatte Spanisch zu lernen, um ein guter Kommunist zu sein, er musste die Kleidung seines Volkes ablegen und sich westlich anziehen, um „normal" zu sein.

Und in der Schule hast du angefangen zu schreiben?

REYNAGA: Ich habe eine gewisse Aversion gegen das Schreiben. Wer sich zum Schriftsteller berufen fühlt, muss alles liegen- und stehenlassen, um die Ideen aufzuschreiben, die in ihm brennen. Schleudert er sie nicht heraus, stören sie ihn. Deshalb fing ich erst viel später an zu schreiben.

Auch Guevaras Guerillas waren weiß

Wann erschien dir das Schreiben unausweichlich?

REYNAGA: Ich habe mich niemals entschieden zu schreiben. Nach meinem Austritt aus der Kommunistischen Partei schloss ich mich 1967 der Guerillatruppe von Ché Guevara an. Nach vielen Gefängnisaufenthalten war ich in Kuba. Als politischer Flüchtling in Mexiko schrieb ich einen Brief an meine politische Organisation in Bolivien, der immer länger wurde und sich vertiefte, bis er sich zu einer Broschüre entwickelte, die ich ergänzen wollte, und ... das Resultat war ein Buch: ich wollte die Indios zu einer politischen Kraft machen. In Bolivien gibt es fünf Millionen Einwohner, vier davon sind Indios (Ketschuas und Aymarás). Eine halbe Million sind Mestizen und eine halbe Million Weiße. Alle politischen Parteien, auch die Guerilla, gehören zur Welt der Weißen. Man musste sich dieser indianischen Kraft nähern, um die Ausbeutung auf seiten der Ausgebeuteten zu besiegen.

Und du schriebst also das Buch mit dem Titel „Weiße Guerillas unter indianischen Massen", um zu sagen, wie man die indianische Kraft für die bolivianische und lateinamerikanische Revolution einsetzen könnte.

REYNAGA: Ja. Aber ich nannte das Buch später „Weiße Guerillas unter indianischen Völkern". Ein Volk ist nicht etwas Massives, das sich manipulieren lässt. Eine revolutionäre Organisation darf nur dann indianisches Blut gebrauchen, wenn sie für die Befreiung der Indios kämpft.

Wo, glaubst du, liegen die Wurzeln dieses antiindianischen Rassismus, der sogar viele Revolutionäre infiziert? Auch dort, wo eine kommunistische Partei wie die Boliviens von Klassenkampf und Industrieproletariat spricht? Liegen sie in den menschlichen Fehlern revolutionärer Führer, die dem Einfluss der westlichen Kultur unterliegen?

Marxistischer Kolonialismus

REYNAGA: Der antiindianische Rassismus begann mit der Erfindung Lateinamerikas durch Europa Ende des 15. Jahrhunderts. Zuvor hatte es weder Latein noch Amerika bei uns gegeben! Die „Unabhängigkeit" brachte nicht etwa die Befreiung der Indios, der spanische Kolonialismus setzte sich fort im Rhythmus der Marseillaise, im Schatten der Trikolore. Die heutigen Symbole, die Internationale und die rote Fahne, ersetzen wieder nur die Symbole der Französischen Revolution und das Coca-Cola-Emblem. Die kommunistischen Parteien schleppen natürlich das jahrhundertelange antiindianische Erbe mit sich.

Unter spanischer Herrschaft entstand so eine Art von politischem Synkretismus, als die katholischen mit den indianischen Symbolen verschmolzen. Könnten nicht vielleicht die Indios die Hülse des Klassenkampfes mit ihren eigenen Inhalten erfüllen — wie in der chinesischen Kulturrevolution, wo sich die marxistisch-leninistischen Symbole mit der chinesischen Volkskultur vermischten?

REYNAGA: Die Präsenz des Indios in Lateinamerika ist so stark, dass die katholische Kirche ihre Festtage ändern musste, damit sie mit den indianischen Festen zusammenfallen. Sonst wäre niemand zu den kirchlichen Festen gekommen. Was den politischen Synkretismus betrifft, ist es jetzt schlimmer als damals. Die Pfarrer waren oft flexibler und weniger dogmatisch als einige Marxisten heute. Für die [die Marxisten) gibt es keine Rassen, sondern höchstens ethnische Gruppen und soziale Klassen, die sich nach ihrem Platz im industriellen Produktionsprozess bestimmen — was dem indianischen Leben völlig fremd ist.

Statt den Indio in den Marxismus sollte man also den Marxismus in das Indianische Denken integrieren — wäre das möglich?

REYNAGA: Ich weiß nicht, aber eins ist mir klar: die indianischen Völker werden frei sein ... mit oder ohne Marxismus. Ohne ihn dann, wenn es bei seinem europäischen Dogmatismus bleibt.

Sind deine Ideen durch das politische Klima In Bolivien schon vorbereitet?

REYNAGA: Mein Buch wurde in Schmerz und Blut geboren. Nach seiner Veröffentlichung in Bolivien steckten sie meine Mutter ins Gefängnis und folterten sie zehn Monate lang. Die Befreiung des Indios ist ein unantastbares Thema. Die Minderheit, die die Indios unterdrückt, verbietet, davon zu sprechen. Weil es in den Kolonialländern relativ mehr Freiheit gibt als in den kolonialisierten Ländern, wurde dieses Buch bei Harper & Row in New York publiziert.

Dagegen können aber doch Bücher, die marxistische Theorie und Praxis behandeln, in Bolivien publiziert werden?

REYNAGA: Natürlich. Die Machtelite weiß, dass ¡n einem Land wie Bolivien einige theoretische Abhandlungen, einige Zitate von Marx, Lenin oder Mao nichts Explosives anrichten. "Außerdem haben sie schon gelernt, sich gegen die aus den westlichen Ländern importierten Drohungen zu wehren, aber sie wissen auch, dass ihr rassistisches System vor der Kraft der Indios impotent wäre.

Was sind die Wurzeln der indianischen Befreiung, und worauf lässt sich heute ein vereinigter politischer Kampf der Millionen Indios aufbauen?

REYNAGA: Das ist vor allem eine Frage der Zeit. Der Indio misst die Zeit anders als der Westen. Die indianische Musik beispielsweise wirkt vielleicht langsam oder gar langweilig auf dich. Man muss die Zeit der indianischen Revolution mit den Rhythmus der Indios messen, die fünf Jahrhunderte lang unterdrückt wurden. Auch eine Frucht reift nicht rascher, wenn wir um den Baum herumspringen. Dieser Prozess der Reifung trägt Merkmale, die in den Titeln der Weltpresse nicht aufscheinen und hoffentlich noch lange Zeit nicht aufscheinen werden.

Ché wie Christus

Weiche Rolle spielte Che Guevara im indianischen Bewusstseinsprozess?

REYNAGA: Ché sprach nicht zu den Indios, er sprach zum bolivianischen Volk, und das bolivianische Volk ist eine Einheit, die noch nicht existiert und vielleicht niemals existieren wird. Im Gegensatz dazu sind die Indios eine Einheit, die schon seit vielen Jahrhunderten einen eigenen Charakter hat. Aber natürlich hat Ché den ganzen Kreuzweg durchschritten, bis er allmählich isoliert und zuletzt ermordet wurde. Viele Indios stellten Ché neben Jesus Christus, zündeten ¡hm Kerzen an; wenigstens ein Weißer hatte sich ebenso aufgeopfert, wie es die Indios Jahrhunderte lang taten.

Du malst mir die lateinamerikanische Revolution in ziemlich schwarzen Farben. Einerseits das kapitalistische System, das die Indios ausbeutet, andrerseits die Linke, die sich der wirklichen Kräfte des Volkes noch nicht bewusst ist, jener Kräfte, die obendrein vom antiindianischen Rassismus infiltriert sind. Wo gibt es ein Licht? Wie kann man vergangene Fehler vermeiden?

REYNAGA: Eine der sehr einfachen Wahrheiten, die sich verbreiten, ist: MAN MUSS DEN MARXISMUS INDIANISIEREN. Ich vertraue der lateinamerikanischen Linken, auch wenn sie selbst kolonialisiert ist, denn in den letzten Jahren gab es große Veränderungen in ihr. Ich vertraue auch den indianischen Völkern. Sie werden sich vereinigen.

Den Marxismus indianisieren ist eine konkrete Forderung in Bolivien. Die Minderheit an der Macht hat die beiden größten Volkskräfte, die Bauern und die Bergarbeiter, gegeneinander aufgewiegelt. Seit den fünfziger Jahren stellten sich die Präsidenten jeweils auf eine Seite, um die andere zu unterdrücken. Paz Estenssoro hetzte die Bergarbeiter gegen die Bauern auf, ebenso wie Barrientos die Bauern gegen die Arbeiter aufwiegelte.

REYNAGA: Genau, die Bauern und Bergarbeiter sind Indios. Die Indios arbeiten unter dem Joch der Ausbeutung der Weißen, der Großgrundbesitzer und Kapitalisten.

Ist das Problem der Indios das Problem von ganz Lateinamerika, oder gibt es Länder, in denen die indianische Revolution keine Basis hat?

REYNAGA: Die indianische Realität ist nicht bolivianisch, sie ist lateinamerikanisch, obwohl sie natürlich in einigen Teilen mehr Fundament hat als in anderen: alle Gebiete außer dem südlichen Argentinien, Uruguay und gewissen Zonen von Chile und der Küste von Venezuela kennen das Problem der Indios. In Brasilien beispielsweise ist das Problem der Schwarzen zugleich das Problem der Indios. Natürlich muss in den Gebieten mit mehr europäischem Blut auch die revolutionäre Strategie eher europäisch sein — mehr marxistisch-orthodox.

Der Indio schweigt

Die Unterscheidung zwischen westlicher und indianischer Kultur ist aber auch durch das Problem der Kommunikation, der Sprache entstanden?

REYNAGA: Das spanische Erbe lehrt uns die Liebe zu den Reden, zu Deklarationen und Versprechungen. In der literarischen Produktion der lateinamerikanischen Linken gibt es viele Don Quijotes, die in das Wort verliebt sind. Der Indio hingegen ähnelt sehr dem Vietnamesen. Er spricht nicht, er handelt. Und das Handeln hat schon immer mehr gesagt als das Sprechen.

Aber dein Buch ist eine Art zu sprechen, oder nicht?

REYNAGA: Ich betrachte mein Buch eher als eine Tat, als einen geschriebenen Ton. Es ist ein Baustein, um etwas zu tun. Mein Buch wurde in einigen Ländern, auch in Bolivien, von der Presse kommentiert, aber ich wehre mich dagegen. Denn ich will nicht Literatur über den Indio machen, und ich will nicht, dass sie mein Buch kastrieren.

Für den Europäer ist die Literatur ein Ziel. Vielfach wollen die Bücher Monumente sein. Die bürgerliche Konzeption sagt: „Unser Bewusstsein kann man in den Bibliotheken und Archiven auffinden." Dann ist der Punkt erreicht, wo die Literatur zu einem Mittel wird, das nichts mehr vermitteln kann.

REYNAGA: Das Wort Literatur und das Wort Buch rufen in Europa Respekt hervor. Wenn jemand sagt: „Ich bin Schriftsteller", sagt er es mit Stolz. Wenn du das in einem kolonisierten Land sagst und weißt, was du sagst, wirst du dich schämen müssen. Wie willst du Literatur machen in einem Land, wo die Leute am Verhungern sind? Ich hatte Hemmungen vor dem Schreiben des Buches, denn ein Buch sollte sich nicht durch sich selbst rechtfertigen.

Mit Sonne und Mond gegen den Christengott

Damit übst du auch implizit Kritik an der konzeptuellen Form, Politik zu betreiben. Ein ideologisches Konzept europäischer Prägung verbalisierten Denksystem, das zur Aktion aufruft. Das war auch das Anliegen aller großen marxistischen Ideologen. In Kulturen wie den indianischen entwickelt sich das Bewusstsein offensichtlich nicht durch das Wort. Das Wort hat hier weniger Einfluss als „andere Dinge"; diese „anderen Dinge" — was sind diese „anderen Dinge" im Bereich der indianischen Kultur?

REYNAGA: Ich kann dir nur sagen, dass es etwas anderes ist. Europa hat Jahrhunderte gebraucht, um das Konzept zu entwickeln, von dem du sprichst. Dieses „andere Ding" kann auch Schweigen sein. Der Weiße hat den Indio einige Sachen sagen gelehrt Der Augenblick, wenn der Indio aufhört, sie zu sagen, wird sehr wichtig sein. Dieses „andere Ding" kann auch Religion sein, in der die Sonne der Vater und die Erde die Mutter ist; dann verwandelt sich die Religion in eine weitere Waffe gegen den Kolonialismus. Der europäische Marxismus wird schwer begreifen, dass eine Religion das Instrument für die Befreiung sein kann. Doch wenn der Kolonisierte er selbst sein will, muss er alles einsetzen, außerhalb jeglichen vorgefertigten Konzepts. Mir ist ein „theokratischer" Indio lieber als einer, der Marx auswendig kann; denn der bleibt kolonisiert. Eine Religion hingegen, wie primitiv sie erscheinen mag, stärkt ihn, und damit revolutioniert er sich selbst.

Marx attackierte die Religion, weil er sie als eine statische Vision betrachtete. Ob es die Sonne, ob es die Erde gibt, ob es meinen Gott oder meine Götter gibt unter dem weiten, ewigen Himmel, sie bleiben immer, und ich bleibe mit ihnen, ohne mich zu bewegen: wirkt daher nicht eine Religion, die notwendigerweise außerhalb eines dynamischen sozialen Prozesses steht statisch? Und visiert sie nicht eher die konkrete Vergangenheit statt die konkrete Zukunft an?

REYNAGA: Marx sprach von der europäischen Religion, der einzigen, die er kannte. Er griff sie zu Recht an. Aber er wusste nichts von der indianischen Religion.

Was Ist der Unterschied zwischen der christlichen und der Indianischen Religion?

REYNAGA. Kurz: Für das Christentum ist der Mensch der Sohn der Sünde, ein Wesen, das leiden muss, um das Glück zu verdienen. In der indianischen Religion ist der Mensch kein Sünder. Er ist der geliebte Sohn der Sonne und der Erde, die zusammen die Pflanzen, die Tiere und die Menschen erzeugen. Es gibt hier keine Spur von Masochismus oder Sadismus wie in der christlichen Religion. Deiner Meinung nach ist das Statische das Schlechte und das Dynamische das Gute. Überdies machst du einen Unterschied zwischen der Zukunft und der Vergangenheit. Ich bin da nicht so sicher. Die europäische Zeit ist eine Linie, die von gestern kommt und ¡n die Zukunft geht.

Aber ich fühle die Zeit völlig anders. Für mich ist die Zeit etwas Lebendiges, eine Kugel, in der das Gestern Zukunft gewesen sein könnte — etwas Zyklisches. Die Zeit des Indios ist eine natürliche Zeit, die er in den Sternen, den Pflanzen, Tieren, in sich selber sieht. Es kümmert ihn nicht, dass er immer weiter nach oben geht. Die Zukunft als Konzept ist dem Indio fremd. Er versucht, nicht aufzuhören, das zu sein, was er ist, um jemand oder etwas anderes zu sein.

Du berücksichtigst weder den technologischen Fortschritt noch die anderen Resultate eines „wissenschaftlichen Sozialismus".

Der Indio braucht Ivan Illichs „convivíal tools"

REYNAGA: Man müsste die wunderbaren menschlichen Grundlagen, die die indianischen Kulturen besitzen, mit dem wissenschaftlichen Fortschritt, der den Menschen hilft, verbinden. Der Großteil der wissenschaftlichen Neuerungen zerstört den Menschen. Wenn du eine Liste von wissenschaftlichen Erfindungen machen würdest, wären viele dabei, die verschwinden könnten, und der Mensch würde besser leben. Man müsste die wenigen Erfindungen, die den Menschen wirklich beim Wachsen helfen, mit der kollektiven Erfahrung des Indios verbinden. Es berührt mich sehr seltsam, wenn ein weißer Marxist aus Lateinamerika dem Indio den Sozialismus beibringen will. Der Indio muss den Sozialismus nicht erst lernen. Er trägt den Sozialismus seiner Gemeinschaften im Blut."

[Quelle: Riester, Jürgen: Ostboliviens versklavte Indianervölker. -- Hamburg : Gesellschaft für bedrohte Völker, 1976. -- (Pogrom ; Nr. 46, 1976-11). -- S. 43 - 46]

1976-11-26

Chile lehnt den Vorschlag Perus ab, die Küstenzone von der peruanischen Grenze bis zur chilenischen Hafenstadt Arica zu internationalisieren.

1976-06-07

Bolivien tritt dem Sistema Económico Latinoamericano (SELA) bei. [Webpräsenz: http://sela2.sela.org/. -- Zugriff am 2002-02-06]

"SELA wurde auf Initiative Mexikos und Venezuelas gegründet und nach 16-monatigen Verhandlungen am 17.Oktober 1975 beschlossen. Zu den Mitgliedern zählen, nach einer Ergänzung um vier Länder seit 1978, 27 Staaten Lateinamerikas und der Karibik. Ausgeschlossen waren von vornherein die USA, während Kuba von Beginn an Mitglied war. Schon darin zeigt sich eine wesentliche Zielsetzung des SELA: ideologische Offenheit verbindet sich mit der strikten regionalen Interessenvertretung gegenüber Nordamerika, um die ungleichgewichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu verändern (Erklärung von Panama von 1981). Darüber hinaus will der Wirtschaftsverbund folgendes erreichen: Koordinierung der schon laufenden regionalen Integrationsprozesse, Projektierung und Förderung wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungsvorhaben, Erarbeitung gemeinsamer Positionen gegenüber den Industrieländern und internationalen Organisationen, Fördermaßnahmen für unterentwickelte oder in Krisen geratene Mitgliedsländer und Gründung multinationaler Unternehmen. SELA ist in eine Vielzahl aufeinander abgestimmter Organe unterteilt: Im Lateinamerikanischen Rat ist jedes Land zumeist durch den Wirtschaftsminister vertreten. Er tagt jährlich einmal, verabschiedet den Haushalt des SELA, definiert seine Politik und bestimmt die Mitglieder des Sekretariats. Der Vorsitz wird jährlich wechselnd von den Mitgliedsländern gestellt. Das Ständige Sekretariat hat seinen Sitz in Caracas (Venezuela). Das Sekretariat vertritt SELA nach außen und gegenüber den Mitgliedsländern, bereitet Arbeitsvorschläge und Anträge für den Rat vor, sorgt für die Ausführung der Ratsbeschlüsse, pflegt den Kontakt zu anderen Organisationen und koordiniert die Aktionskomitees. Der versitzende Sekretär und sein Stellvertreter werden alle vier Jahre vom Rat neu gewählt. In den Aktionskomitees (AK) finden sich für begrenzte Zeit einzelne Mitgliedsländer (mindestens drei) zur Realisierung von zuvor im Rat beschlossenen Projekten zusammen. Diese AK sind die eigentlich spezifische Organisationsform des SELA. Jedes AK hat seinen eigenen Sekretär und Haushalt. Sie widmen sich Entwicklungsvorhaben in landwirtschaftlichen, industrielltechnischen und sozialen Bereichen. Aus den AK entwickelten sich auf Lateinamerika zugeschnittene Organisationen, wie z.B. die seit 1977 tätige Exportbank BLADEX, die seit 1983 existierende Nachrichtenagentur ALASEI oder die Organisation für Wohnungsbau und Verpflegung (seit 1984). SELA pflegt intensive Beziehungen zu allen größeren internationalen Organisationen - insbesondere
auch zur EU - und ist eine der lateinamerikanischen Institutionen, die zu internationalen Konferenzen geladen werden oder Beobachterstatus haben. Die lange Zeit angespannten Beziehungen zu den USA sollen künftig verbessert werden."

[Steilberg, Hays A. ; Flemming, Thomas: Chronik Handbuch Amerika. -- Gütersloh [u.a.] : Chronik, ©1998. -- ISBN 3577145234. -- S. 447f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

1977 - 1979

"Es wurde vorher gesagt, dass zu der Zeit, als die erste Kokain-Achse im Departement von Santa Cruz gegründet wurde, es unumgänglich war, dass die Coca-Blätter aus dem Chapare über die Route Todos Santos (in der Provinz Chapare)-Comarapa-Montero herangeschafft wurden. Zwischen 1977 und 1979 jedoch blieb ein Teil der Coca, die für die Achse San Javier-Monero-Portachuelo und später auch für die Achse San Ignacio-San Ramón-Santa Ana-Paraparaú bestimmt war, in Comarapa, und ein anderer Teil wurde in die Ortschaften Moromoro und Vallegrande geleitet.

So kam es, dass sich dieses dritte Produktionszentrum von Kokain-Paste langsam aber sicher festigte und schließlich alle Sektoren des Bürgertums von Santa Cruz, die nicht direkt an der ADEPA beteiligt waren, in die Organisation des Kokain-Geschäfts einbezog.

Hier die Namen einiger Mitglieder, welche gemäß unseren Quellen für die Aufrechterhaltung der Comarapa-Vallegrande-Moromoro-Achse sorgten:

  • Sandóval Morón: Großgrundbesitzer von Vallegrande, aktiv Beteiligter am Putsch vom 1. November 1979.
  • Willy Sandóval Morón: Bruder des ersteren, einer der Berater von Oberst Luis Arce Gómez auf dem Gebiet der Repression und Folter.
  • Die Familie Eid: Traditionelles Bürgertum. Großgrundbesitzer und Händler von Vallegrande. Aufgefallen sind vor allem
    • der Zahnarzt Abraham Eid, Besitzer einer Hazienda in „La Higuera" (wo die Guerilla von Ernesto „Che" Guevara 1967 war), großer Viehherden und einer Elektroladenkette und
    • Isidin Eid, Viehzüchter und Gutsbesitzer, Großgrundbesitzer in Moromoro, Miteigentümer der Getränkefabrik La Cascada in La Paz, die inmitten der wirtschaftlichen Krise von 1982, die alle Firmen und das Land selbst in Mitleidenschaft zog, eine der wenigen Fabriken war, die neue, moderne Gebäude in der Zone «Villa Adela» von La Paz bauen konnte.
  • Er ist seinerseits mit dem Magnaten Rafael Mendoza verwandt, der zusammen mit dem schon erwähnten Oberst Mario Oxa das Fußballgeschäft in Bolivien leitete: sie sind sozusagen die Besitzer des Fussballklubs «The Strengest».
  • Die Familie Franco: Großgrundbesitzer und Händler in Vallegrande, verwandt mit den Eid.
  • Die Familie Talamás: Ebenfalls mit den Eid verwandt. Händler und Viehzüchter. 1981 wurde Antonio Talamás tot im Dorf Vallegrande aufgefunden; unseren Quellen gemäß handelte es sich um die «Begleichung einer Rechnung».
  • Oberst Emilio Arabe: Ebenfalls verwandt mit den Eid. Er starb bei einem Unfall mit seinem Kleinflugzeug auf dem Flughafen El Alto von La Paz. Der Unfall war auf Sabotage zurückzuführen."

[Bascopé Aspiazu, René <1951, La Paz - 1984, La Paz>: Die weisse Ader : Coca und Kokain in Bolivien / Mit.einem Anhang von Joaquín Hinojosa.  -- Zürich : Rotpunktverlag, ©1989. -- 136 S. : Ill. --  (Fracción mágica ; 15). -- ISBN 3-85869-047-3. -- Originaltitel: La veta blanca (1982). -- S. 103f.]

1977

In La Paz wird das 1930 erbaute Fußballstadion Estadio Hernando Siles umgebaut und für 55.000 Zuschauer erweitert.


Abb.: Estadio Hernando Siles, La Paz [Bildquelle leider nicht mehr feststellbar]

1977


Abb.: Plattencover

In Paris Gründung der Vokal- und Instrumentalgruppe Bolivia Manta durch Carlos und Julio Arguedas.

1977

Taboada Terán, Néstor <1929, La Paz - >: Manchay Puytu : el amor que quiso ocultar Dios. -- Buenos Aires : Editorial Sudamericana, ©1977. -- 235 S.

"Taboada Teran, Nestor

* 1929 in La Paz.

Journalist und Hochschullehrer. Er leitete die Kulturabteilung der Universität von Oruro, wo er auch Kultur- und Wirtschaftsgeschichte lehrte. Zeitweilig lebte er im Exil in Argentinien. Seine bedeutendsten Werke sind El precio del estaño (1960), Indios en rebelión (1968) und Manchay Puytu, el amor que quiso ocultar dios (1978; dt. Die Liebe, die Gott nicht wollte, 1988). Der Roman El precio del estaño erzählt aus den Perspektiven der Minenarbeiter, der Minengesellschaft und der repressiven Staatsorgane den möglichen Ablauf des »Massakers von Catavi«, 1942. In dem Band Indios en rebelión sind acht Erzählungen um die Landreform zur Zeit der Nationalen Revolution von 1952. vereint. Taboada bedient sich hier hauptsächlich des Stilmittels der Ironie, um das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit der bolivianisch Revolution für die Indios zu kritisieren. Das 1978 in Buenos Aires preisgekrönte Werk Manchay Puytu ist die Neubearbeitung einer alten Quechua-Legende von einem Pfarrer indianischer Herkunft, der den frühen Tod seiner indianischen Geliebten nicht überwinden kann und deshalb mit ihr, die bereits im Totenreich ist, Kontakt aufnimmt. Um sich mit seiner Geliebten wiederzuvereinen, verübt er Selbstmord und wird postum von der Inquisition als Ketzer verbrannt. Um diese Geschichte herum zeichnet Taboada ein kulturell vielschichtiges, lebendiges und kritisches Bild von der Blütezeit der
spanischen Kolonialherrschaft in Potosí. In seinen letzten Werken steht die mythische Gedankenwelt der bolivianisch Indios gleichberechtigt neben dem abendländischen Rationalismus.

Weitere Werke: Roman: El signo escalonado (1975); Erzählungen: Claroscuro (1948), Germen (1950), Ten dollars, mientras se oficia el escarnio (1968), Naranjas maquilladas (1983); Berichte: Cuba, paloma de vuelo populár (1964), Chile con el corazón a la izquierda (1970). "

[Wolfgang Schupp. -- In: Autorenlexikon Lateinamerika / hrsgg. von Dieter Reichardt. -- Frankfurt

: Suhrkamp, ©1992. -- ISBN 3518404857. -- S. 148f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

1977

Chuquiago,  Film von Antonio Equino

"Retrato de la ciudad de La Paz, a través de cuatro historias que traducen el escalonamiento social de sus habitantes. La película forma parte de la nueva corriente del "cine posible" vigente en el cine latinoamericano, según la cual, es preciso hacer obras que sin renunciar a su acento crítico, puedan exhibirse en países afectados por severas restricciones políticas.

Demostrando la validez de la propuesta, "Chuquiago" se convierte en un notable éxito de público, siendo la película de mayor recaudación en el año y una de las de mayor acceso de público en la historia del cine boliviano. También en el exterior es acogida con gran interés. Jorge Guerra Villalba realiza "El Embrujo de mi Tierra", recorrido por las diversas regiones geográficas y costumbres del país, articulada a una historia romántica de escaso vuelo dramático. " [Quelle: http://www.bolivian.com/cine/1960.html. -- Zugriff am 2002-02-06] 


Abb.: Filmplakat


Abb.: Filmszene

1977

Barrios de Chungara, Domitila: "Si me permiten hablar ..." : testimonio de Domitila, una mujer de las minas de Bolivia /, [editado] por Moema Viezzer.  -- México : Siglo Veintiuno, 1977.  -- 257 S. : Ill. -- (Historia inmediata)

1984 erscheint ein zweiter Teil:

Barrios de Chungara, Domitila: Aquí también, Domitila /, [elaborado con la colaboración de] David Acebey.  -- [La Paz? : s.n.], 1984. 258  S.. : Ill.

Deutsche Übersetzung

Barrios de Chungara, Domitila: Wenn man mir erlaubt zu sprechen : Zeugnis von Domitila, einer Frau aus den Minen Boliviens. -- Bornheim-Merten : Lamuv, 1977. -- 174 S. : Ill. -- ISBN 3-921521-56-4

Teil 2: Domitila 1976 - 1984 / David Acebey [Bearb.]. -- Bornheim : Lamuv, 1986. -- 239 S. : Ill. -- ISBN 3-88977-047-9


Abb.: Umschlagtitel von Teil 2

"Moema Viezzer: An die Leser

Die Idee zu vorliegendem Buch kam uns beim Auftreten von Domitila Barrios de Chungara vor dem Tribunal des Internationalen Jahres der Frau, das von den Vereinten Nationen im Jahre 1975 in Mexiko organisiert wurde. Dort lernte ich diese Frau aus den bolivianischen Anden, Ehefrau eines Minenarbeiters, Mutter von sieben Kindern, kennen. Sie war zu dem Tribunal als Repräsentantin des »Komitees der Hausfrauen von SigloXX« gekommen, einer Organisation, die die Frauen der Arbeiter dieses Zentrums der Zinnproduktion vertritt.

Ihr jahrelanger Kampf und das Wissen um die Echtheit ihres Engagements machten sie der offiziellen Einladung durch die Vereinten Nationen, bei dieser Veranstaltung anwesend zu sein, würdig. Sie war die einzige Frau aus der Arbeiterklasse, die aktiv an dem Tribunal als Vertreterin Boliviens teilnahm, und ihr Auftreten machte auf die Anwesenden großen Eindruck. Dieser Eindruck beruhte in erster Linie darauf, dass »Domitila das gelebt hat, worüber andere nur sprachen«, wie eine schwedische Journalistin es ausdrückte. Dieser Bericht, den Domitila als den »Höhepunkt meiner Arbeit vor dem Tribunal« ansieht, ist der Schrei eines Volkes, das leidet, weil es ausgebeutet wird. Außerdem beweist er, wie grundlegend die Befreiung der Frau mit der sozio-ökonomischen Befreiung des ganzen Volkes verbunden ist, und ihre Teilnahme an diesem Befreiungsprozess findet unter diesem Vorzeichen statt.

Es ist kein Dialog Domitilas mit sich selbst, den ich hier präsentiere. Es ist das Ergebnis von zahllosen Interviews, die ich mit ihr in Mexiko und Bolivien geführt habe; ihre Ausführungen vor dem Tribunal sind darin verarbeitet wie auch die Berichte, Unterhaltungen und Dialoge, die sie mit Gruppen von Arbeitern, Studenten und Universitätsangestellten, Bewohnern von Armenvierteln, Lateinamerikanern, die in Mexiko im Exil leben, und Vertretern von Presse, Radio und Fernsehen geführt hat. All dieses auf Band genommene Material,, auch einige Korrespondenz, wurde geordnet und vor Erscheinen dieses Buches mit Domitila durchgesehen.

Domitila passt sich den Umständen, denen sie sich gegenübersieht, und dem Publikum, an das sie sich wendet, an. Ihre Art, sich im persönlichen Gespräch auszudrücken, unterscheidet sich sehr von der, derer sie sich in Auseinandersetzungen und vor Versammlungen oder in Dialogen mit kleinen Gruppen bedient. Das erklärt die Mannigfaltigkeit des Stils in diesem Text, über den manche Leser erstaunt sein könnten.

Die Sprache der Domitila ist die einer Frau vom Dorf, einer Frau des Volkes mit den dieser Sprache eigenen Ausdrücken, ihren Lokalismen, ihren deutlich sichtbaren grammatischen Konstruktionen, die oft durch das Quetschua bedingt sind, das sie von Kindheit an gesprochen hat. Diese Sprache, die einen wesentlichen Teil des Buches beherrscht, habe ich mit Absicht beibehalten. Sie liefert ein weiteres Beispiel für den Reichtum, der in der Sprache des Volkes enthalten ist.

Die geschriebene Dokumentation, die auf der gelebten Erfahrung der Menschen aus dem Volk beruht, zeigt einen sehr knappen Stil. Dieser Bericht kann eine Lücke ausfüllen und ein Instrument der Reflexion und der Orientierung bilden, nützlich für andere Männer und Frauen, die sich der Sache des Volkes in Bolivien und anderen Ländern, besonders in denen Südamerikas, mit Leib und Seele hingeben.

Dieses Buch ist ein Arbeitsinstrument. Domitila hat ihr Zeugnis in der Absicht abgegeben, ein Scherflein dazu beizutragen, in der Hoffnung, dass es der neuen Generation dient. »Wie es«, wie sie sagt, »wichtig ist, sich Erfahrungen aus der eigenen Geschichte zunutze zu machen, wie auch aus der Erfahrung anderer Völker zu lernen.« Und deshalb müsse es »ein Zeugnis geben«, das dabei helfe, »über unser Handeln nachzudenken und es zu kritisieren«.

Die Schule, in der Domitila geformt wurde, ist das Leben des Volkes. Bei der monotonen und harten täglichen Arbeit der Hausfrau im Revier erkannte sie, dass nicht nur der Arbeiter der Ausgebeutete ist, sondern auch - so ist die Wirkung des Systems - seine Frau und seine Familie. Das motivierte sie, an dem durch die Arbeiterklasse organisierten Kampf teilzunehmen. Zusammen mit ihren Genossinnen erlebte sie am eigenen Leib die Niederlagen und Siege ihres Volkes. Und aufgrund dieser Erfahrungen interpretiert sie die Realität. Alles, was sie sagt, spiegelt wirkliches Leben wieder.

Domitila erhebt keinen Anspruch darauf, uns eine Analyse der Geschichte Boliviens, ebensowenig eine Analyse der Gewerkschaftsbewegung der Bergleute oder des Hausfrauenkomitees von Siglo XX vorzulegen. Sie erzählt uns einfach, was sie erlebt hat, wie sie es erlebt hat und was sie daraus gelernt hat, um in dem Kampf fortfahren zu können, den die Arbeiterklasse und die Bewegung des Volkes führen muss, um Herr ihres Schicksals zu werden.

Es gibt wenige Zeugnisse von Männern und Frauen aus dem Minenrevier, aus der Fabrik, aus einem Elendsviertel oder vom Land, in dem die Hauptperson nicht nur von der Situation berichtet, in der sie lebt, sondern sich auch der Ursachen und Mechanismen bewusst ist, die diese Situation schaffen und aufrechterhalten, und die mitkämpft, um sie zu ändern. In diesem Sinne enthält das Zeugnis der Domitila die Grundlagen für eine zukunftsweisende historische Analyse, weil es eine Interpretation der Tatsachen aus der Sicht des Volkes bietet.

Um diesen Text nicht zu verderben, ist es wesentlich, dass man dieser Frau aus dem Volk erlaubt, auf ihre Weise zu sprechen. Man muss ihr zuhören und versuchen zu verstehen, wie sie lebt, fühlt und die Ereignisse interpretiert.

Nichts von dem, was hier niedergeschrieben ist, widerspricht der Realität in Bolivien, weil sich der persönliche Lebensweg Domitilas in die große Marschroute des bolivianischen Volkes einreiht. Aus diesem Grund habe ich das Buch in drei Teile unterteilt: den ersten, in dem Domitila »ihr Volk« beschreibt, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Männer und Frauen des Bergwerkreviers und ihre Integration in die organisierte Arbeiterbewegung; den zweiten, in dem sie »ihr Leben«, ihr persönliches Leben, in Verbindung mit den historischen Ereignissen ihres Volkes darstellt; den dritten, der den Zustand in den Bergwerken im Jahre 1976 beschreibt, besonders nach dem Streik, der von den Arbeitern im Juni/Juli durchgeführt wurde.

Ich möchte an dieser Stelle meine Bewunderung und meine Dankbarkeit für die Frauen Boliviens ausdrücken, die uns in der Person der Domitila entgegentreten. Durch sie wird es uns möglich, den Charakter der bolivianischen Arbeiter und das Wesen von Frauen wie Bertolina Sisa, Juana Azurday und Maria Barzola kennenzulernen und zu verstehen, die nicht aufhören, für die wahre Freiheit ihres Volkes zu kämpfen.

Ich will auch allen Freunden, Genossinnen und Genossen danken, die auf verschiedene Weise mitgearbeitet haben, dass dieses Zeugnis verwirklicht wurde. Domitila soll sprechen.

30. Dezember 1976"

[Teil 1, S. 15 - 18]

"Eine Last auf dem Gewissen

Kurze Zeit später war ich wieder unterwegs. Ich fuhr nach Linz, wo die Panzerfabrik ist. Diesmal war alles besser organisiert, und einer, der am tatkräftigsten mithalf- gegen den Widerstand seiner Oberen - war Pater Gerardo. Er gehörte zur Menschenrechtsgruppe von Cochabamba, und nach dem Staatsstreich von 1980 war er aus Bolivien verbannt und sogar um ein Haar ermordet worden. Zuerst wollte ich die Fabrik besichtigen und mit den Arbeitern sprechen, aber man ließ mich nicht hinein. Mir wurde der Zutritt verwehrt. Ich bat, mit dem Betriebsrat sprechen zu dürfen; auch das konnte ich nicht. Wir warteten dann am Tor, bis die Leute aus der Fabrik kamen. Sie erzählten uns, dass morgens Flugblätter verteilt worden seien, in denen es gehießen habe, ich käme, um die Arbeiter zu beschimpfen - oder so ähnlich -, und man solle nicht mit mir reden. Wir blieben trotzdem da, doch wenn wir versuchten, mit den Leuten ein Gespräch anzufangen, machten sie sich davon.

Wir sagten ihnen, wir seien eingeladen worden, mit ihnen zu sprechen, doch sie gingen alle schnell weiter. Einige meinten, sie seien in Eile, weil sie sonst die Straßenbahn verpassen würden, und dass sie immer so schnell laufen würden. Aber andere sagten, man wolle nicht mit mir reden, weil sie durch die Flugblätter gewarnt worden seien. Wir konnten nur mit zwei, drei jungen Leuten sprechen. Wir sagten ihnen, dass wir aus Bolivien kämen, uns mit ihnen unterhalten wollten und uns gern die Fabrik angesehen hätten. Als wir so mit ihnen zusammenstanden, kam ein anderer und sagte: »Genossin, hier stoßen Sie auf taube Ohren. Sie werden es nicht glauben, aber der Betriebsrat hat den Leuten gesagt, dass sie nicht mit ihnen sprechen sollen.«
Und er erzählte uns, dass sie einmal versucht hätten, die Auslieferung der Panzer nach Lateinamerika zu verhindern. Eine Gruppe von Studenten habe sich vor dem Werkstor auf die Erde gelegt, aber die Arbeiter selbst hätten sie von dort weggedrängt. »Sie haben uns geschlagen und weggetragen, damit die Panzer durchs Tor fahren konnten«, sagte er und zeigte mir eine Zeitschrift, in der man sah, wie er am Boden lag und verprügelt wurde. »Sie sollen aber wissen, dass Sie nicht allein sind«, fuhr er fort. »Wir sind auf Ihrer Seite, weil Sie im Recht sind.« Er sagte auch, dass sie zu der Diskussion kommen wollten.

Als wir zum Versammlungssaal kamen, war der Saal voll, aber es herrschte eine gespannte Atmosphäre. Zuerst erzählte ich vom Alltag in Bolivien, in den Minen. Dann sagte ich ihnen, dass es zwischen uns Beziehungen gebe und ich deshalb in der Hoffnung gekommen sei, mit ihnen sprechen zu können. Und auch, dass wir sie nicht als Feinde betrachten, sondern verstehen, dass das System sie zwingt, in dieser Fabrik zu arbeiten. Und wenn diese Fabriken in Bolivien stehen und sie die Rohstoffe abbauen würden, dann wären wir die Arbeiter in den Fabriken hier. Ich sagte ihnen sogar: »Vielleicht würde ich dann selbst in dieser Waffenfabrik arbeiten.«

So versuchten wir ihnen klar zu machen, dass sie keinerlei Schuld trügen, dass vielmehr das kapitalistische System nicht an der Produktion von Traktoren interessiert sei, sondern nur an immer ausgeklügelteren Waffensystemen, um das Volk zu beherrschen ... Als der »Brief der Frauen von Cochabamba« vorgelesen wurde und ich ihnen berichtete, was die Waffen anrichten, die sie herstellen, damit sie ein wenig verstehen sollten, welche Macht diese Waffen denen geben, die sie einsetzen, und wie sehr unser Volk darunter zu leiden hat, sah ich viele weinen, die Leute waren sehr bewegt. Als ich sagte, ich würde jetzt aufhören und wäre bereit, mit den Genossen und Genossinnen zu diskutieren oder Fragen zu beantworten, konnte eine der Genossinnen nicht mehr an sich halten, stand auf und sagte: »Ich arbeite in dieser Fabrik und habe immer mit einer Last auf dem Gewissen gelebt.« Sie sagte, dass sie nie ruhig habe arbeiten können und dass meine Worte sie getröstet hätten und sie jetzt das Gefühl habe, von einer Gewissenslast befreit zu sein, weil ich gesagt hatte, dass wir Verständnis für sie hätten und keinen Groll gegen sie. »Ich bin mir bewusst, dass diese Fabrik großes Leid anrichtet«, sagte sie unter Tränen. »Und alles, was ich gesagt habe, habe ich voller Reue, voller Schmerz gesagt. Hier sitzen viele andere, die in der Fabrik arbeiten«, und zu den anderen im Saal sagte sie: »Sagt ihr auch etwas zu der Genossin.«

Da stand ein junger Mann auf: »Wir sind junge Leute, die das Betriebsverfassungsrecht studieren, und wir haben mitgeholfen, diese Veranstaltung vorzubereiten. Aber der Betriebsrat hat uns mit Kündigung gedroht. Dazu sollen sie jetzt einmal was sagen. Warum haben sie sich der Diskussion mit der bolivianischen Genossin widersetzt? Sie sind hier im Saal und sollen dazu einmal was sagen.«

Und hinten saßen die von der Gewerkschaft. Ganz still saßen sie auf ihren Stühlen und wurden von den jungen Leuten aufgefordert, Stellung zu beziehen. Das einzige, was sie herausbrachten, war, dass sie nichts davon gewusst hätten, auch hätte ich nicht ordnungsgemäß um die Genehmigung gebeten, die Fabrik offiziell besichtigen zu dürfen, aber wenn ich meinen Besuch wiederholen wolle, stünden mir die Tore offen.

Sie diskutierten heftig miteinander, und es musste eine Viertelstunde Pause eingeschoben werden. Der Übersetzer kam zu mir und sagte: »Komm mit. Lass sie doch diskutieren. Sie sprechen über das Problem, warum sie dich nicht in die Waffenfabrik gelassen haben.« »Gut«, antwortete ich, und wir gingen einen Kaffee trinken.

Nach der Pause und da die jungen Gewerkschafter mir gesagt hatten, sie kümmerten sich um das Betriebsverfassungsrecht und da die meisten der Anwesenden Arbeiter waren, die großes Interesse hatten, etwas über die COB zu erfahren, erzählte ich ihnen ein bisschen von der Solidaritätsarbeit in Bolivien. Ich sagte ihnen, dass wir internationale Ereignisse durchaus nicht nur am Rande mitbekämen, und führte als Beispiele Vietnam, Chile und Nicaragua an. »Als zum Beispiel Salvador Allende in Chile gestürzt wurde«, sagte ich, »machten die Arbeiter eine Protestdemonstration, und ich weiß noch, dass die Mineros in Siglo XX eine mita [Tageslohn] zur Unterstützung der chilenischen Genossen bereitstellten. Dasselbe taten sie, als das Volk von Nicaragua gesiegt hatte. Die Arbeiter gingen auf die Straße und schrieen ihre Freude hinaus. Sie streikten den ganzen Tag und sammelten wieder einen Tageslohn von jedem.« Das verwunderte sie, und sie konnten nicht verstehen, warum die Arbeiter einen Freudenstreik gemacht hatten. Ich erzählte ihnen, was damals die Arbeiter gesagt hatten: »Somoza war eine Marionette des Imperialismus, und da wir auch Opfer des Imperialismus sind, sollen die verdammten Yankees mit dieser Niederlage noch nicht genug haben. Hier kriegen sie auch noch eins drauf.« Das hat den Leuten Spaß gemacht. Sie lachten und waren wieder guter Dinge und applaudierten den bolivianischen Mineros. Wir sprachen auch über die Wichtigkeit des miteinander Redens. Und damit sie sich ein Bild machen konnten, wohin es führen kann, wenn man nichts von den anderen weiß, gab ich ihnen ein Beispiel, das sie ziemlich erheiterte. »Bei uns bekommt man so wenig Informationen«, sagte ich, »man erfährt in italienischen Filmen zum Beispiel nichts von den sozialen Problemen der Italiener. Sie zeigen uns ein liberales Land oder Pornografie oder Geschichten aus dem alten Rom, als die Löwen im Zirkus arme Christen fraßen. Wenn dann mal der Name Italien fällt, denkt man automatisch an Christen fressende Löwen oder an Pornografie ... Dasselbe mit Österreich. Die bolivianischen Arbeiter, die umgebracht worden sind, haben immer gesagt: >Die Österreicher machen gute Panzer .. .<«

Da mussten die Leute lachen.

In Europa haben mich viele Leute gefragt: »Woher kommen Sie?« »Aus Bolivien.« »Ah, Indianska?« Und sie fragten, ob wir dort noch Federn und Felle trügen. Den Leuten in Österreich sagte ich das ebenfalls: »Sie glauben sicher auch noch, dass wir mit Federschmuck und Fellen herumlaufen.« Da lachten sie. Das war eine gute Gelegenheit, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihnen die Realität unserer Völker vor Augen zu führen.
Sie fragten mich auch, wie sie uns helfen könnten. Ich antwortete ihnen, indem sie ihre Regierungen aufforderten, auch dem lateinamerikanischen Volk, das für seine Befreiung kämpft, Kredite für Waffen zu geben, oder die Waffenlieferungen an faschistische Regimes zu boykottieren, und noch viele andere Formen der Solidarität könne man sich vorstellen.

Am Schluss sagten sie, wir hätten ihnen neue Kraft gegeben und sie ermutigt, den Kampf fortzusetzen, sie fühlten sich nicht mehr so schlecht wie vorher und wollten versuchen, dem Kampf der bolivianischen Mineros nachzueifern."

[Teil 2, S. 135 - 139]

1977

Debray, Régis <1941 - >: La neige brûle. -- Paris : Grasset, 1977. -- 281 S.  -- ISBN 2246005183

Deutsche Übersetzung:

Debray, Régis <1941 - >: Ein Leben für ein Leben : Roman. -- Düsseldorf : Edition Gebühr bei Claassen, 1979. -- 235 S. -- 3-546-42017-9

Beschreibung auf der Buchrückseite:

"Ein Mann und eine Frau, Boris und Imilla, treffen sich in Lateinamerika, verlieren sich aus den Augen, finden sich in Europa wieder und trennen sich schließlich im Verlauf einer Liebesgeschichte, die ganz im Schatten des politischen Kampfes steht.

Boris verliebt sich in Imilla, als beide sich auf den Widerstandskampf gegen die Militärdiktatur m Bolivien vorbereiten. Imilla aber wendet sich Carlos zu, der die Befreiungsbewegung anführt. Der entschlossene, bedenkenlose Carlos ist das Gegenbild zu dem abwägenden, kritischen Boris, der sich zunehmend vom bewaffneten Kampf abwendet. Carlos wird in La Paz erschossen. Imilla kann entkommen, geht nach Europa und beginnt, den ehemaligen Chef der Politischen Polizei von Bolivien, der jetzt Konsul in Hamburg ist, zu jagen. Widerstrebend läßt sich Boris in ihre Pläne hineinziehen...

Regis Debray, der bekannte französische Intellektuelle, hat mit Ein Leben für ein Leben einen in vieler Hinsicht ungewöhnlichen Roman geschrieben. In diesem Buch ist nichts erfunden. Es spiegelt die inneren Spannungen und Auseinandersetzungen in den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas. Das zentrale Ereignis des Romans, das Attentat auf den bolivianischen Konsul in Hamburg, geht auf Tatsachen zurück, die 1972 in Deutschland Schlagzeilen gemacht haben. Das alles ist eingefügt in den Rahmen einer Liebesgeschichte. Debrays Hauptgestalt, Imilla, ist eine Frau, die versucht, den Kampf gegen die Militärdiktatur in Bolivien zu führen, ohne ihren Anspruch auf Glück aufzugeben. In einer überraschend empfindsamen, sinnlichen Sprache verbindet Debray die Darstellung Imillas mit der harten Dramatik der Handlung. Sein Beharren auf dem Recht des Individuums noch im politischen Kampf, seine Ehrlichkeit und sein Stil trugen ihm für diesen Roman einen der wichtigsten französischen Literaturpreise, den Prix Fernina, ein. Regis Debray, 1941 geboren, lebt heute als freier Schriftsteller und Berater Mitterands in Paris."

»Gehst du nie an den Strand?«

»Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt. Bis Ende der Woche muss ich den Genossen einen zusammenfassenden Bericht abliefern. Wenn du mir nicht helfen willst, sag es gleich. Ich komme auch allein zurecht. Es wäre nicht das erste Mal.«

»Werde doch nicht gleich böse. Wir können deine Hausaufgaben zusammen machen. Wenn du es für sinnvoll hältst. «

Ich hielt es für klüger, möglichen Meinungsverschiedenheiten zuvorzukommen und sie in das Restaurant unten einzuladen - unseren Speisesaal Erster Klasse. Dort waren Salons für uns reserviert.

»Ein Sandwich tut es auch, oder? Wasser oder Obstsaft?«

Sie hatte schon den Hörer in der Hand, um den »Roomservice« zu rufen.

»Was du lieber möchtest.«

So blieben wir also oben und aßen unser täglich Brot mit Mineralwasser und entdeckten dabei einige gemeinsame Freunde in Cochabamba, Sucre, La Paz...

»Also?« sagte sie, sobald sie den letzten Bissen hinuntergeschlungen hatte, und runzelte die Stirn. »Die Regierung befindet sich in totaler Auflösung, nicht wahr? Die Lage war noch nie so gut, findest du nicht auch?«

»Für die, die in der Lage sind, das auszunutzen, ja. In Bolivien werden die Rechten im Militär nur darauf warten.«

»Und wir — glaubst du, wir legen die Hände in den Schoß? Paß auf, wenn es wieder eine Diktatur gibt wie vorher... «

»Fangen wir an, den Dingen ins Gesicht zu sehen, Mimi.«

Ich gab einen ausführlichen Bericht von der gegenwärtigen Stimmung, wie ich sie durch meinen Aufenthalt an den Grenzen mitbekommen hatte. Machen wir es kurz. Nie hat sich jemand irgendwo auf der Welt für Bolivien interessiert, und ernsthafte Leute können es sich nicht leisten, ihre Zeit mit Details zu verlieren. Ob ein austauschbarer General jedes Jahr ein paar hundert Grubenarbeiter oder Bauern in dieser gottverlassenen Gegend irgendwo zwischen Himmel und Erde umlegen läßt, ist der Welt unwichtig. Jedenfalls liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in den Zinnbergwerken unter vierzig Jahren. Was soll man tun, wenn die Grubenarbeiter mit ihrer Staublunge ihre einhundertundfünfzig Francs Monatslohn lieber in die Kneipe als in die Apotheke tragen -die es übrigens gar nicht gibt? Ich halte mich also hier nicht bei diesen Kleinigkeiten auf, die ernsthafte Leute nicht betreffen. Imilla fehlte es nicht an Ernsthaftigkeit. Sie hatte sich auf diesem unwirtlichen und eisigen Planeten häuslich eingerichtet. Sie hatte sogar beschlossen, sich ganz gewissenhaft mit Maschinengewehren zu beschäftigen und sich der Mannschaft der MG-Schützen anzuschließen. Aber auch ihr waren Details ein Greuel.

»Genosse«, schnitt sie mir in leicht wütendem Ton das Wort ab, »während ich im Ausland Kontakte mit den verschiedenen Oppositionskreisen im Exil aufrechterhielt, haben die Widersprüche in der Bourgeoisie einen größeren Handlungsspielraum zugelassen. Das löst aber nicht die Probleme der Massen. Der grundlegende Widerspruch, das solltest du wissen, liegt zwischen... «

Ich schaute sie sprachlos an. Sie war auch verblüfft: vielleicht meiner krassen Ignoranz wegen.

»Ich verstehe schon. Aber Politik wird nicht mit Sprichworten gemacht. So macht man Märtyrer, oder man macht Dummheiten. Oder beides. «

»Glaubst du nicht an den bewaffneten Kampf? Oder ist deiner Meinung nach die Organisation nicht mehr auf der Höhe?«

»Im Gegenteil. Es wäre besser, sie käme wieder ein bißchen auf den Boden. Um zu sehen, was unten auf der Erde passiert. «

»Es geht doch darum, ob man an das, was man tut, glaubt oder nicht. «

»Und was machen wir gerade?«

»Erinnere dich an eins, Boris: wenn man dicht am Boden bleibt, sieht man den Horizont nicht... «

Ich war sicher nicht auf der Höhe. Die Revolution, die sie in der Ferne skizzenhaft darstellte, nahm irgendwo zwischen dem Kap Horn und der Antarktis ihren Ausgang und war um so faszinierender, als kein Geograph etwas von ihr wußte. Sie überstieg mein Vorstellungsvermögen gewaltig.
Ein letzter Blick in die Runde vor dem Abschied: in das schmucklose, strahlende Zimmer. Auf die Ordner und Wandkarten. Auf dieses so zurückhaltende, auch strahlende und schmucklose Mädchen. Ihre geraden Schläfen, ihre gerade Nase, ihren geraden Blick. Soviel Geradheit warf mich aus dem Sattel. Man sagt, das weibliche Geschlecht bevorzugt das Versteckspiel. Imilla ging direkt vor, mit offenem Visier, ohne Angst, beurteilt, angegriffen oder besiegt zu werden. Als ob ich der Taschenspieler sei. Diese unerklärlich anmutige Offenheit hielt mich in Bann. Ihre in sich geschlossene Welt mit geraden Wegen und unwiderruflichen Schicksalen. Es half nichts, mir zu sagen, dass diese Welt nicht von dieser Welt war, ich hatte Mühe, sie zu verlassen.

Verlegen spielte sie auf den Chromtasten eines Tonbandgerätes. Eine gutturale Melodie stieg plötzlich in die gespannte Atmosphäre, und das ganze Zimmer verwandelte sich in ein Halbdunkel, in dem Triumph und Schluchzen, Überirdisches und Unterirdisches ineinander übergingen. Eine purpurne, dunkle Stimme hob und senkte sich hinter Celli, sang von Trennungen - Erinnerung oder Warnung?"

[Deutsche Übersetzung, S. 15 - 17]

1977

In Westeuropa Gründung der bolivianischen Vokal- und Instrumentalgruppe Conjunto Ukamau Amerindia unter Leitung von Hery Cortes

1977


Abb.: Statue "Asociación Cristiana Femenina de Bolivia", Oruro, 1977

[Bildquelle: Oruro inmortal. -- Oruro : Ferrari, Ghezzi. -- Tomo 1. -- 1998. -- Depósito legal 4-1-428-98. -- S. 173]

1977


Abb.: Titellogo®

ILA-Info / Informationsstelle Lateinamerika <Bonn>. -- Bonn : ILA. -- Nr. 1.1977 - 112.1988

Ab 1988:

Ila : Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika / Informationsstelle Lateinamerika <Bonn>. -- Bonn. -- Nr. 113.1988 -

[Webpräsenz: http://www.ila-bonn.de/. -- Zugriff am 2002-09-06]

1977

Der deutsche Medizinstudent Horst Bornhütter (geb. 1948) studiert im Kanton Ilabaya (Departamento La Paz) die Gesundheitssituation der dortigen Aymara. Daraus entsteht 1987 seine Dissertation:

Bornhütter, Horst <1948 - >: Die Aymara : ein indianisches Bauernvolk in Bolivien  -- Feuchtwangen : Kohlhauer, 1987. -- 334 S. : Ill. -- (Kölner medizinhistorische Beiträge ; Bd. 48). -- Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1987. -- ISBN 3-925341-47-1


Abb.: Lage von Ilabaya und Sorata (©MS Encarta)

Einige seiner Beobachtungen:

"Ernährung

Die tägliche Nahrung der Bauern setzt sich hauptsächlich aus den örtlichen Produkten Mais, Kartoffeln, Bohnen und Erbsen zusammen. Häufiger gibt es Meerschweinchenfleisch, selten Hühner- und Schweinefleisch, äußerst selten wird ein Schaf geschlachtet, meist zu besonderen Anlässen. Zudem werden Eier gegessen.

Als ortsfremde Nahrungsmittel werden Reis, Teigwaren, Thunfisch in Büchsen, selten Kaffee, Tee, Zucker und Salz sowie Weizenbrötchen zu den traditionellen Nahrungsprodukten verzehrt. Bier, Süßigkeiten, Alkohol und Erfrischungsgetränke (refrescos) halten immer mehr Einzug in die kleinen dörflichen Kioske. Als ortsfremde Tauschprodukte können noch hinzugerechnet werden: Gerste, 'Chuños', Quinoa, Seesardinen aus dem Titicacasee (alles Altiplano-Produkte) sowie Obst und Gewürze aus den 'Yungas'.

Bis etwa zum Jahre 1960, wurde gegessen, was die Erde hervorbrachte und was getauscht werden konnte. Zucker, Kaffee, Reis, Nudeln und Tee gab es nur zu Festen. Salz holten die Aymara aus Salzfeldern vom Altiplano und brachten es zusammen mit Mais und Kartoffeln in die tiefer gelegenen Yungas (fünf Tagesmärsche entfernt), wo die Waren gegen Holzstämme, Apfelsinen und Bananen eingetauscht wurden. Für eine Molde (etwa eine Schaufel voll) Salz soll der Tauschende (nach Auskunft älterer Dorfbewohner) 100 Apfelsinen erhalten haben.

Die Mahlzeiten der Aymara-Familien werden heute meist folgendermaßen zusammengestellt:

  • Frühstück: Kaffee mit Reis oder Geröstetem (Mais, Erbsen und Bohnen), seltener mit Brot aus Mais oder Getreide.
  • Mittagessen: Gewürzte Reis- oder Nudelsuppe mit gekochten Kartoffeln, Mais, Bohnen, Erbsen und Zusatz von Schweinefett.
  • Abendessen: wie Mittagessen.

Arbeiten die Bauern auf dem Feld, werden geröstete Erbsen und gerösteter Mais sowie Pellkartoffeln zum Verzehr mitgenommen.

Wohnverhältnisse

Die Durchschnittswohnung einer Bauernfamilie besteht aus einem einfachen Gebäude aus Lehmziegeln. Das einräumige Erdgeschoss (etwa 4m x 2,50m) dient als Wohnraum für die ganze Familie, während im Obergeschoss die Ernte aufbewahrt wird. An den Breitseiten des Wohnraumes stehen zwei Betten, die aus einfachen Holzlatten zusammengezimmert und mit Schaffell oder gewebten Decken ausgelegt sind. Es gibt keine Bettwäsche, sondern nur handgewebte Decken. Die wenigen Kleider und sonstigen Utensilien werden an Stangen unter der Decke oder Nägeln an der Wand aufgehängt. Die Kleider werden beim Schlafen anbehalten. Ein WC ist im Bauernhaus nicht vorhanden. Allgemein dient für diese Bedürfnisse eine Ecke im Hof oder das beim Haus gelegene Feld.

Im einzigen Raum wohnt die ganze Familie, bis zu zehn Personen. Ein enges Zusammenleben mit Haustieren ist die Regel. Der Raum unter den Betten wird oft als Kaninchen- oder Meerscheinchenstall benutzt.

Zweistöckige Lehmhäuser sind im Kanton nicht selten zu finden, ein Hinweis, dass die ansässigen Aymara nicht zu den Ärmsten Boliviens gehören.

Hygiene und Trinkwasser

Durch das enge Zusammenleben vieler Personen und die Nähe der Haustiere ist die Ausbreitung von Ungeziefer und von infektiösen Krankheiten unvermeidlich. Die Wäsche muss zum entferntliegenden Fluss getragen werden. Die Trinkwasserversorgung war und ist noch heute für den größten Teil der Gemeinden völlig unzureichend. Die Gemeinden verfügten früher nur über einige Wasserstellen, die in der Trockenzeit austrockneten und das ganze Jahr über verseucht waren. In der Regenzeit sah sich die Bevölkerung gezwungen, das schmutzige Wasser der Bewässerungskanäle zu benutzen oder weite Strecken bis zum Fluss oder zu einer Quelle zurückzulegen.

Der Wunsch nach einer Trinkwasserversorgung steht bei sämtlichen Gemeinden an erster Stelle. Schon die Hälfte der Gemeinden des Kantons Ilabaya konnten dies durch Selbsthilfe und mit Hilfe von ASEC erfüllen, indem sie eine Wasserleitung aus Rohren von einer weit entfernten Quelle (bis zu 5 km) bis zum Dorf legten und dort einen Wassertank bauten (ca. 20 - 25.000 Liter). Mehrere Wasserzapfstellen im Dorf versorgen die Bewohner nun regelmäßig mit frischem Wasser.

Abb. 11: Typischer Senk- und Spreizfuß, wie man ihn bei den meisten Aymara bereits etwa vom 30. Lebensjahr an beobachten kann. Trotz dieser Deformation schleppen diese Bauern oft bis ins hohe Alter schwere Lasten über weite Strecken. Rheumatische und - wie hier - arthrotische Schmerzen sind häufig, doch wird über Fußschmerzen nur selten geklagt.
Foto: Bornhütter, Juli 1978

Gesundheitliche Lage der Aymara

Die folgende Aufstellung veranschaulicht die von mir beobachteten und behandelten Krankheitsbilder und Symptome der Aymara. Die Krankheiten werden in diesem Abschnitt beschrieben.

Diagnostizierte und behandelte Krankheiten im Kanton Ilabaya

  • Intrauterine Infektionen nach Geburt 2
  • Durchfallerkrankungen 8
  • Gallenbeschwerden, -koliken 5
  • Arthrotische Beschwerden (Rückenschmerzen, Gelenkbeschwerden) 30
  • Grippale Infekte 5
  • Mastitis 2
  • Pilzerkrankungen 2
  • Infizierte Hautwunden 39
  • Scabies 3
  • Mittelohrentzündungen 8
  • Bronchitis 16
  • Typhusepidemie (Typhus abdominalis bei Kindern) 49
  • Offene Tuberkulose 4
  • Gastritis 5
  • Parotitis 6
  • Kropfleiden (Bocio) 19
  • Zahnschmerzen 8
  • Hautverletzungen (Hundebisse, Schnitt- u. Risswunden) 12
  • Konjunktivitis 15
  • Augenverletzungen 2
  • Scharlach 1
  • Harnwegsinfektionen 1
  • Leishmaniasen 2
  • Hypertonie 1
  • Dermatitis 2
  • Zustand nach Apoplexie 1
  • Erysipel 2
  • Pneumonien 2
  • Ungeklärte Lymphschwellungen 2
  • Wurmerkrankungen 10
  • Leistenhernien 3
  • Syphilis 2

Bei Säuglingen und Kleinkindern, die etwa 50 % der Behandlungen ausmachten, überwogen Durchfallerkrankungen, Atemwegsinfektionen, infizierte Hautwunden, Darmerkrankungen, Mittelohrentzündungen und Kinderkrankheiten.

Viele Säuglinge sterben gleich bei der Geburt oder kurz danach. Dafür sind vor allem die allgemeinen hygienischen Umstände und das Fehlen von ärztlicher Hilfe verantwortlich, aber auch eine schwer zu interpretierende "Nachlässigkeit" den Neugeborenen gegenüber). Der Anteil der Kinder unter 15 Jahren an der Mortalität und Morbidität ist unverhältnismäßig hoch und für eine "natürliche Auslese" verantwortlich.

Die hohe Kindersterblichkeit wird einerseits durch die genannte "Nachlässigkeit" den Säuglingen gegenüber bei der Geburt, andererseits durch Infektionen der Darm- und Atemwege verursacht. Auch an den Kinderkrankheiten Masern, Diphtherie und Keuchhusten, insbesondere an deren Komplikationen, sterben jedes Jahr noch viele Kinder.

Eine von mir erhobene Stichprobe bei 22 Müttern im Alter von 20 - 50 Jahren ergab, dass von 77 geborenen Kindern noch 54 über 15 Jahre lebten. Diese Daten entsprechen einer Kindersterblichkeit von 300/1000 Lebendgeborenen.

Die meisten Krankheiten werden von der Mehrzahl der Bevölkerung im Kindesalter durchlebt. Die Folge ist eine mit dem Alter steigende Immunitätslage. Dies bestätigte eine Epidemie von Typhus abdominalis in zwei Bergdörfern. Sie erfasste mehr als die Hälfte aller Kinder unter 15 Jahren, jedoch keinen einzigen Erwachsenen.

Neben diesen Erkrankungen haben die Kinder vorwiegend unter Würmern zu leiden. Hier sind Ascaris, Taenien und kleinere Spulwürmer (Trichuris) und Hakenwürmer zu nennen.

Sehr oft führte ich Behandlungen bei infizierten Hautwunden durch, die nach äußeren Verletzungen, Mücken- und Flohstichen auftraten. Häufig führten sie bei Kindern zu einem Erysipel. Durch Unsauberkeit überträgt sich auch die 'Rasca paloma' (Scabies oder Krätze).

Bei meinem Aufenthalt konnte ich beobachten, dass die Lebenserwartung bei den Aymara nach überstandenen Krankheiten im Kindesalter sehr hoch war. Im Dorf Ch'ejje mit seinen 500 Einwohnern waren von 180 Erwachsenen etwa dreißig über 60 Jahre, davon wiederum zehn über 70 Jahre.
Als häufigste Erwachsenenkrankheit treten körperliche Abnutzungserscheinungen auf. Die arthrotischen Beschwerden werden durch fehlende warme und vor Nässe schützende Kleidung (keine ausreichend wärmende Bettwäsche (kalte Nächte) und Schlafen im Freien oder in einer behelfsmäßigen Hütte (beim Hüten der Schafe und Ziegen), vor allem bei nebligem und kaltem Wetter in der Regenzeit, verursacht.

Abnutzungserscheinungen der Gelenke und des Halteapparates sind auf die schwere körperliche Feldarbeit zurückzuführen.

Atemwegsinfektionen (Bronchitis, grippale Infekte), die in wenigen Fällen auch zu Pneumonien führten, werden durch schlechte Kleidung, Barfußlaufen oder unzureichendes Schuhwerk verursacht. Bei den täglichen Fußmärschen durch die Gebirgsgegend kommt man leicht ins Schwitzen. Ein kalter Wind führt zur schnellen Abkühlung, so dass die Temperaturschwankungen des Körpers leicht zu Erkältungskrankheiten führen können.

Auch Konjunktividen werden durch den im Talkessel häufig sehr stark wehenden Wind und das Aufwirbeln von Staub begünstigt. Bei vielen Bewohnern verläuft die Entzündung chronisch, da keine Medikamente zum schnellen Abheilen zur Verfügung stehen. Folgen sind Hornhautvernarbungen und Sehschäden.

Hautverletzungen durch Fallen oder Anstoßen und Hörnerstöße von Tieren, wodurch Prellungen, Riss- und Platzwunden entstehen, kommen täglich vor.

Bei einzelnen Aymara kommt es auch zu erheblichen Adaptionsschwierigkeiten während ihrer Saisonarbeit in den Bergwerken oder auf den Plantagen in den tropischen Gebieten infolge der neuen, ungewohnten und harten Arbeitssituation. Mehrere Männer (W) klagten über starke Magenschmerzen, die auf eine Gastritis hindeuteten, als sie von der Saisonarbeit zurückkehrten. Sie gaben an, Tag und Nacht gearbeitet und am Essen gespart zu haben, um einen guten Verdienst mit nach Hause zu bringen. Zwei Bauern, die aus den Tropengebieten zurückkehrten, hatten offene Hautveränderungen an den Armen, die als Leishmaniose espuntia diagnostiziert werden konnten.

Weniger häufig traten Harnwegsinfektionen, Gallenbeschwerden, ganz selten Herz- und Kreislauferkrankungen auf.

Die Syphilis wird zu Zeiten der Wanderarbeit erworben. Ich habe sie bei zwei Frauen diagnostiziert. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Zwei offene Tuberkulosen diagnostizierte und behandelte ich bei zwei älteren Frauen über 60, die sich in einem schlechten Ernährungszustand befanden.

Sehr häufig, vor allem bei Frauen, sind Kröpfleiden, die durch das jodarme Wasser der Gegend verursacht werden. 30 % der Bevölkerung im Kanton sollen davon betroffen sein (AS).

Viele Aymara klagen sehr oft über Zahnbeschwerden. Zähneputzen kennt man nicht. Die Zähne sind stark kariös verändert, die Gebisse sind unvollständig, Zähne fehlen oder sind abgebrochen.

Einige ältere Aymara-Bauern zeigten mir ihre Leistenhernien. Eine operative Korrektur im Hospital lehnten sie ab.

Ältere Aymara leiden an Alterssehschwäche. Brillen besitzen nur ganz wenige.

Bei einem 75jährigen konnte ich eine Halbseitenlähmung nach Apoplexie feststellen. Nach Angaben der Angehörigen sei er schon fünf Jahre bettlägerig.

An gynäkologischen Erkrankungen behandelte ich zwei postpartiale Intrauterininfektionen. Zwei Frauen litten an einer Mastitis, Zu gynäkologischen Untersuchungen kamen die Frauen aus Scheu nicht. Eine Ausnahme bildeten die beiden Frauen mit Syphilismerkmalen. Wohl aber kamen einige Frauen zu einer geburtshilflichen Untersuchung. Sie wollten wissen, ob ihr Kind in richtiger Position läge und sie mit einer komplikationslosen Geburt rechnen könnten.

Abb. 3: Der Aymara-Heilkundige Rufino P"axsi aus dem Dorf Waraya, in der Nähe von Tiahuanaco, beim Wahrsagen mit Hilfe von Coca-Blättern.
Foto: Bornhütter, Oktober 1978

Die medizinische Versorgung des Kantons

In den Gemeinden des Kantons gibt es weder ein Hospital noch einen Sanitätsposten. Die bäuerliche Bevölkerung ist auf das Hospital von Sorata oder den dort befindlichen kirchlichen Sanitätsposten angewiesen. Die Entfernungen zu Fuß betragen je nach Lage der Gemeinde ein bis fünf Stunden Wegstrecke.

Im folgenden sollen die medizinischen Einrichtungen der modernen Medizin und ihre Bedeutung für die gesundheitliche Versorgung des Kantons beschrieben werden: das Bezirkshospital der Sanitätsposten und die Bedeutung der 'Promotores de Salud'.

Das Hospital von Sorata und seine Bedeutung für die medizinische Versorgung der Bevölkerung

Bei diesem Hospital handelt es sich um ein 'Centro Salud Hospital' (CSU). Es wurde 1973 mit finanzieller Unterstützung von Kanadiern erbaut. Drei Tage lang musste jedes Dorf, das nicht mehr als vier Wegstunden entfernt lag, eine bestimmte Anzahl von Männern für den Hospitalbau bereitstellen (A).

Das Hospital wurde 1976 vom staatlichen Gesundheitswesen übernommen. Seitdem ist eine hohe Fluktuation von medizinischem Personal, vor allem von Ärzten, zu beobachten.

Eine Kontinuität der Arbeit für die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist dadurch nicht gewährleistet. Das Hospital verfügt über einen Personalbestand von acht Personen, darunter ein Arzt (ab 1978 zwei Ärzte), ein Zahnarzt und ärztliches Hilfspersonal bis hin zur Köchin, einem Portier und einem Kraftfahrer.

Nach den Statistiken des Hospitals konnten die kanadischen Ärzte und eine deutsche Ärztin pro Monat 300 bis 400 Konsultationen aus Sorata und den umliegenden Gemeinden verzeichnen. Das änderte sich, als das Hospital 1976 in staatliche Hände überging. Die Konsultationen gingen 1976 auf 1246 im Jahr zurück. Stationär wurden nur 87 Personen versorgt. Von den 1246 Konsultationen wurden 509 aus der Provinzhauptstadt Sorata registriert (1976: 1904 Einwohner), 81 aus dem Dorf der 'Vecinos', Ilabaya, der Kantonshauptstadt des untersuchten Gebietes, 36 aus La Paz (Patienten, die Wochenendhäuser in Sorata besitzen). Die restlichen 620 Patienten kamen aus der näheren Umgebung, nur wenige aus dem Kanton Ilabaya.

1977 betrug die Zahl der ausgewiesenen Konsultationen nur 607, also weniger als die Hälfte des Vorjahres (Anm. 12). Pro Tag also 1 - 2 Patienten.
Das Hospital verfügt nur über eine schlechte technische Ausrüstung. Das Budget für den Kauf von Medikamenten, für die Unterhaltung des Jeeps (noch von den Kanadiern) ist völlig unzureichend. Die Ärzte und ihre Mitarbeiter sind gezwungen, Preise für Medikamente und Behandlungen zu nehmen, die ihnen eine "rentable" Bewirtschaftung des Hospitals erlauben. Vom Gesundheitsministerium erhalten sie für die Hospitalbesatzung und für jede stationäre Aufnahme nur einen Ernährungszuschuss von 12 Pesos pro Tag und Person. Die tatsächlichen Kosten belaufen sich aber nach Angaben der Ärzte auf 20 Pesos pro Tag und Person. Die Preise für Medikamente und Konsultationen legen die Ärzte mit dem Verwalter selbst fest. Das Gesundheitsministerium lässt ihnen einen gewissen Spielraum bei der Festlegung der Preise. Nach den Vorschriften sollen sie sich aber an gewisse Standardpreise halten (ÄS).

Der Zahnarzt ist der am häufigsten besuchte Arzt des Hospitals. Aus der näheren und entfernteren Gegend kommen die Aymara, um ihre Zähne behandeln zu lassen. An Sonntagen, zur Marktzeit und bei der Durchfahrt von Bewohnern weit entfernter Dörfer nach La Paz, ist das Besucherzimmer voll. Für eine Zahnbehandlung nahm der Arzt 1978 10 Pesos (damals etwa 1,— DM). Seine Behandlungsgeräte waren alt. Seinen Bohrer musste er durch ständiges Fußtreten in Bewegung halten. Den größten Teil der Einnahmen sparte der Zahnarzt, um später ein modernes elektrisches Bohrgerät anzuschaffen. Die restlichen Einnahmen musste er ans Hospital abführen, welches damit einen Teil seiner Ausgaben finanzierte. Der Zahnarzt stellte so etwas wie einen "Sanierer" des Hospitalbudgets dar. Die beiden anderen Ärzte waren neidisch, denn sie hatten meist leere Besucherzimmer.

Der kirchliche Sanitätsposten von Sorata

Kirchliche Gesundheitsdienste gibt es in Bolivien, spätestens seit dem 19. Jahrhundert, genauer - wie übrigens in sehr vielen Ländern der Dritten Welt - auch in den südamerikanischen Provinzen seit Beginn der Kolonialisierung,

Der kirchliche Sanitätsposten von Sorata wurde 1972 gegründet. Er wird von einer spanischen Nonne geleitet, die über eine Erlaubnis des bolivianischen Gesundheitsministeriums verfügt, den Sanitätsposten zu betreiben. Sie besitzt ausreichend viele Medikamente, die sie zu niedrigen Preisen bei der Caritas in La Paz einkaufen kann oder als Muster von Pharmafirmen geschenkt bekommt.

Ihre Einnahmen (vorwiegend Medikamentenverkäufe) erlauben ihr, einen einheimischen Aymara-Sanitäter, der über ausgezeichnete medizinische Kenntnisse verfügt, zu beschäftigen. Die Medikamente werden zu einem weitaus niedrigeren Preis, als dies in Apotheken oder im Hospital der Fall ist, verkauft. Die Ärzte des Hospitals leihen oft Medikamente oder Instrumentarien des Sanitätspostens aus.

Die Madre (MA), wie die Nonne auch genannt wird, besitzt ein gutes Vertrauensverhältnis zur einheimischen Bevölkerung. Der von ihr geleitete Sanitätsposten wies 10.339 Konsultationen im Jahre 1976 auf, fast das Zehnfache der ambulanten Besuche im Hospital. Die Patienten kommen aus allen Teilen der Provinz Larecaja, zu der auch der Kanton Ilabaya gehört (1976: 45.944 EW). Die Madre assistiert auch bei Hausgeburten (1976 bei 29 Geburten, die Ärzte des Hospitals nur bei 3) und führt Impfprogramme in ländlichen Gemeinden durch.

Die 'Promotores de Salud'

Seit 1972 bildet die Madre junge Aymara aus den umliegenden Dörfern zu 'Promotores de Salud' (genannt 'Sanitarios') aus. Zu den Ausbildungskursen kamen bisher etwa 100 junge Aymara.

Die Gemeinden beschließen nach der offiziellen Einladung der Madre in einer Gemeindeversammlung ('reunión'), wer ihr 'Sanitario' sein soll, und schicken die jungen Gemeindemitglieder (ausschließlich Männer im Alter von 20 - 30 Jahren) zur Ausbildung.

Drei bis vier Mal im Jahr, jeweils eine Woche lang, findet die Ausbildung in der Pfarrei in Sorata statt. Aus dem Budget des kirchlichen Sanitätspostens wird das Essen finanziert, die Aymara bringen Kartoffeln, Erbsen und Mais mit.

Als Ausbilder fungieren die Ärzte des Hospitals, ein erfahrener Sanitäter und die Madre selbst. Der Lernstoff umfasst neben dem theoretischen Unterricht in topographischer Anatomie die Mutter-Kind-Fürsorge, Ernährungsprobleme, Hygiene und die praktische Erste-Hilfe-Ausbildung. Die Vermittlung theoretischer Kenntnisse wird anhand von anschaulichem Diamaterial vertieft.

Die 'Sanitarios' behandeln in den Gemeinden hauptsächlich kleinere Verletzungen und Infektionen, verkaufen Medikamente und informieren die Gemeinde über präventive Medizin (PS, MA). Jeder 'Sanitario' erhält einen 'Botiquín' (Sanitätskoffer), der vorwiegend Schmerztabletten, Fiebermittel, Verbandsmaterial, Jod und für die gut ausgebildeten 'Sanitarios' Antibiotika enthält (MA, PS).

Die Bezahlung der Medikamente erfolgt nach festgesetzten Preisen, die der 'Sanitario' von seinen Patienten fordert und die er mit der Madre später abrechnen muss. Der junge Gesundheitsarbeiter wird nicht für seinen Dienst bezahlt, seine Tätigkeit ist ehrenamtlich, worauf die Gemeinde genau achtet (PS). Auf die Frage, ob sie das Amt freiwillig übernommen hätten, antworten die meisten der befragten 'Sanitarios': "Zuerst wollten wir nicht, weil die Ausbildung und Tätigkeit eine zusätzliche Belastung neben der landwirtschaftlichen Tätigkeit darstellt. Aber es ist uns von den Autoritäten klar gemacht worden, dass das Dorf einen 'Sanitario' braucht und wir dafür die richtigen sind" (PS).

Es scheint, dass das neue Betätigungsfeld innerhalb der Gemeinde aufgrund des sozialen Druckes, der auch bei der Vergabe von anderen Ämtern ausgeübt wird, angenommen wurde. Die Gemeinden schicken die jungen Männer nicht ganz uneigennützig zur Ausbildung. Sie erwarten von ihnen, dass sie sich nicht nur etwas anhören. Sie sollen Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben und weitergeben. Nur sechs der Befragten gaben an, dass sie sich schon immer für Medizin interessiert und das Amt freiwillig übernommen hätten. Sie gehören zu den treuesten Kursteilnehmern und verfügen über gute medizinische Kenntnisse.

Der große Anteil nicht mehr erschienener Kursteilnehmer deutet darauf hin, dass es vielen gelingt, sich erfolgreich der neuen Aufgabe zu entziehen und dem Druck der Gemeinde auszuweichen. Ein Grund unter vielen mag sein, dass die Gemeinde sieht, dass die Effektivität der Tätigkeit gering ist und der 'Sanitario' selbst feststellen muss, dass seine Dienste nur wenig in Anspruch genommen werden. "Unsere Medikamente kosten ja auch Geld. Die meisten Krankheiten werden - ob wir da sind oder nicht - mit Pflanzen behandelt", lautet die häufigste Antwort auf die Frage, wie die 'Sanitarios' mit ihren medizinischen Angeboten denn in ihrer Gemeinde ankommen.

Aber auch teilweise hohe Anforderungen im Kurs, viel Lernstoff in kurzer Zeit, anatomische und physiologische Fachausdrücke, frustrieren viele der lernwilligen Aymara, so dass sie nicht mehr zum nächsten Kurs erscheinen. Von den 20 bis 30 Teilnehmern eines Kurses kommen bei der nächsten Fortbildung nur noch die Hälfte, die anderen sind Neulinge."

[a.a.O., S. 105 - 117]

Das Verhalten bei Abtreibungen

Voreheliche sexuelle Beziehungen sind bei den Aymara nicht verboten. Diese vorehelichen Partnerbeziehungen könnte man auch als Probeehen bezeichnen. Der Junge holt das Mädchen in das Haus seines Vaters, wo beide zusammen leben. Verstehen sie sich gut und wird das Mädchen von den Eltern des Jungen akzeptiert, heiraten sie. Wird das Mädchen schwanger, ist dies ebenfalls ein Heiratsgrund. Das Paar kann in beiden Fällen zwei Jahre zusammenleben oder sich wieder trennen. Eine Frau mit einem unehelichen Kind soll selten einen anderen Mann finden. Trägt das Mädchen das Kind trotzdem aus, muss der Vater des Kindes Alimente bezahlen. Die Höhe der Zahlungen wird durch eine Versammlung der Dorfältesten festgelegt.

Eine Abtreibung soll heimlich vorgenommen werden und auf folgende Weise:

  • Horn von Hufen eines Maultieres wird abgeschabt und in Wasser gekocht als Tee getrunken.
  • Die Heilpflanzen Wallakaya, Markhu und Ruda werden mit Petersilie als Aufgüsse getrunken.
  • Die Frauen heben schwere Steine bis zur Erschöpfung.
  • Gekochter Mais (mote) wird als Kompresse heiß auf den Lendenbereich des Rückens aufgetragen.

Nicht selten führen Abtreibungen zu starken Blutungen oder auch zum Tod mancher junger Frauen (PM, MA, A'S) .

Bei der Betrachtung der Abtreibungsgründe möchte ich zwei Überlegungen anstellen:

  1. Nach den Erzählungen der Aymara ist eine Abtreibung eigentlich verboten. Geschieht sie doch und wird bekannt, so soll der Zorn der Geister durch eine 'despacha' (Opfergabe) in Verbindung mit einer 'limpia' (Reinigung) besänftigt werden, damit größeres Unheil von der Familie oder von der Gemeinschaft abgehalten wird. Eine Fehlgeburt sollte dem Dorfführer mitgeteilt werden, damit er oder der Ältestenrat über die Art der 'despacha' entscheidet .

    Ein Verstoß gegen das soziale Tabu der Gemeinschaft kann für das Mitglied schwerwiegende Folgen haben, wie ein Beispiel zeigt:
    Bei einer Missernte suchten die Aymara einen Schuldigen. Man wusste, dass eine Frau lutherischen Glaubens eine Abtreibung vorgenommen hatte. Sie habe die traditionellen Vorschriften nicht beachtet und kein Reinigungsritual durchgeführt, wurde berichtet. Die Frau wurde als schuldig und unrein angesehen. Fortan mieden die Bewohner des Dorfes sie. Das Schuldgefühl der Frau und der Familie gegenüber dem Dorf bestand weiter. Wegen ihres Glaubens konnte ihr die Tabudurchbrechung nicht mehr vom 'Yatiri' erlassen werden. Die Frau klagte ständig über Beschwerden und machte einen depressiven Eindruck. Die Frau und der Mann suchten mich oft auf und forderten Tabletten und Injektionen, ohne dass ein Anhaltspunkt für eine organische Erkrankung bestand.

  2. Abtreibungen sollen sich in den letzten beiden Jahrzehnten unter Missachtung der Tabus mehren. Die Aymara betonen, dass sehr viele Kinder nur ein Hindernis für das Wohlergehen der Familie darstellten. Das Geld, das für das Kind in Form von Nahrung und Kleidung aufgewendet werde, würden sie lieber für ein neues Kofferradio, neue Kleider oder andere Konsumgüter ausgeben.

    Ein Ausspruch, der unter den Aymara häufig zu hören war, lautete: "Si no tienes muchos niños, puedes comprar muchas cosas" (Wenn du nur wenige Kinder hast, kannst du dir viele Sachen kaufen).

Von einigen jungen Aymara wurden in diesem Zusammenhang auch Fragen der Empfängnisverhütung an mich herangetragen. Offenbar sind ihre Methoden (s.o.) nicht genügend wirksam oder zu gefährlich. Die Folgen einer jeden, außerhalb klinischer Bedingungen vorgenommenen Abtreibung sind natürlich durchaus bekannt. Antikonzeptiva sind auf den Dörfern so gut wie unbekannt..

Das Verhalten gegenüber missgebildeten Neugeborenen

Auch in den Dörfern des Kantons werden Neugeborene mit Missbildungen zur Welt gebracht. Die Dorfbewohner wissen zu berichten, dass Kinder mit offenem Rücken, gespaltenem Kopf, doppelten Händen oder mit mehr als fünf Fingern - was allerdings als glückbringend gilt -, Kinder mit Ohr- und Anusmissbildungen geboren wurden.

In diesen schweren Fällen von Missbildungen kann die Familie über den Tod des Kindes entscheiden. Dem missgebildeten Kind soll eine Decke über den Kopf gelegt werden, damit es ersticke.

Den spärlichen Äußerungen der Aymara konnte ich entnehmen, dass ein körperbehindertes, missgebildetes Kind für die Arbeit in der Landwirtschaft und aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage eine unzumutbare "Behinderung" darstellt."

[a.a.O., S. 190 - 192]

VORSTELLUNGEN DER AYMARA ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE MODERNER MEDIZIN UND DEREN HEILMITTEL

Der durch seine Wunderheilungen legendäre Ruf des Penicillins sowie der Aspirin-Tablette gegen Schmerzzustände ist heute bereits bis in das letzte Dorf der Provinz vorgedrungen. Aymara fragten mich am häufigsten nach diesen beiden Medikamenten. Penicillin ist nach den Vorstellungen der Aymara ein geeignetes Mittel gegen viele Krankheiten. So forderten einige das Medikament für Augenschmerzen und Kopfschmerzen. Ich habe oft erklären müssen, dass es nur im Zusammenhang mit Fieber und Entzündungen genommen werden dürfte und ich ihnen das Medikament nicht verkaufen würde. Darauf antworteten sie, dass sie es aber in bolivianischen Apotheken erhalten könnten, auch ein Arzt aus der Stadt würde es ihnen verschreiben. Ich vermute, dass viele bolivianische Ärzte und Apotheken der Forderung nachkommen und dieses Medikament recht unkritisch und häufiger als erforderlich verordnen.

Die Aymara berichteten, dass die "Medicina moderna" der Missionare durch die Medikamente, vor allem Penicillin, aber auch wegen der kleinchirurgischen Behandlung, bei Krankheiten sehr erfolgreich sei.

Bei Verletzungen, z.B. bei größeren Schnittwunden und komplizierten Brüchen, darin waren sich fast alle Familien einig, wird der Sanitätsposten oder das Hospital aufgesucht.

Das Wissen über ätiologische, naturwissenschaftliche Grundlagen der Krankheiten ist noch sehr lückenhaft, was ein weiteres Beispiel zeigt:
Viele Aymara kamen zu mir und baten mich um eine Injektion. Körperlich klagten sie nur über ein unbestimmt geschildertes Schwächegefühl. Die Aymara glaubten, dass eine Injektion mehr bewirke als Medikamente.

Plasmaersatzmittel und Elektrolytlösungen ('suero') werden bei vielen Schwäche zuständen genommen. So kamen zwei Frauen nach der Geburt zu mir und verlangten 'suero'. Sie erzählten, dass das 'suero', welches ich bei einer anderen Frau nach der Geburt injiziert hätte, gute Erfolge gezeigt habe. Ich hatte jene Frau nach einer schweren Geburt mit nachfolgendem Wochenbettfieber neben Antibiotika in Tablettenform auch mit einer intravenösen Elektrolytlösung behandelt. Sie wurde recht schnell wieder gesund, was sich bei den anderen Frauen im Dorf natürlich herumsprach. Die mich konsultierenden Frauen verlangten das 'suero' für ihren Schwächezustand, den sie dadurch schneller zu überwinden glaubten.

In diesen beiden Beispielen zeigt sich, dass die Anwendung moderner Medikamente noch mit magischen Vorstellungen verknüpft ist (wie in ganz Westeuropa auch!). Medikamente, Injektionen und das 'suero' sollen Kraft zuführen. Moderne Medikamente werden hier also für magische Vorstellungen eingesetzt."

[a.a.O., S. 213f.]

"Beispiel:

Ein Bauer bat mich, seinen schwerkranken Bruder mit dem Jeep zu seiner Schwester in die nahe Bezirkshauptstadt Sorata zu bringen. Dort wolle man den Arzt um einen Hausbesuch bitten. Eine Aufnahme im Hospital sei zu teuer. Als ich den schwerkranken Mann abholte, sah ich, dass sein ganzer Körper von Oedemen aufgeschwemmt war. Man sagte mir, dass die Krankheit vor zwei Monaten begonnen habe. Heilpflanzen und gekaufte Medikamente seien angewandt worden, nichts habe aber den Zustand des Kranken gebessert. Ich überzeugte den Kranken und den Bruder, dass es besser sei, die ersten Tage der Behandlung im Hospital zu verbringen. Ich würde mit dem Arzt sprechen und eine baldige Verlegung zur Schwester befürworten. Beide erklärten dich nur zögernd bereit.

Im Hospital stellte der Arzt renale Oedeme fest. In Bolivien ist es üblich, dass die Medikamente nach Rezeptur des Arztes von Familienmitgliedern in einer Apotheke gekauft und dann dem Arzt zur Behandlung des Kranken gebracht werden. In Sorata aber gibt, es keine Apotheke. Die Familie eines Kranken hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder kauft sie die Arzneimittel beim kirchlichen Sanitätsposten (billig) oder in der Apotheke des Hospitals (teuer).

Im vorliegenden Fall nahm der Arzt die benötigten Medikamente aus der Hospitalapotheke. Der Verwalter legte dem Bruder des Kranken eine Rechnung über 150 Pesos vor. Als schließlich von ihm noch eine Kaution von 200 Pesos für den Aufenthalt im Hospital und weitere anfallende Kosten verlangt wurde, blickte der Bruder des Kranken ratlos umher. Er wollte die Kosten nicht bezahlen und versuchte beim Arzt durchzusetzen, dass sein Bruder zu seiner Schwester verlegt würde. Der Arzt lehnte ab. Erst als ich mich bereit erklärte, einen Teil der Kosten zu übernehmen, stimmte der Bruder der weiteren Behandlung zu. Der schwerkranke Patient starb nach einer Woche. Die restlichen angefallenen Kosten zahlte die Madre aus dem Fonds des kirchlichen Sanitätspostens.

In diesem Beispiel werden viele innere und äußere Konflikte aller Beteiligten deutlich: Der Konflikt des Kranken und seines Bruders, das Hospital oder lieber die eigene Schwester aufzusuchen; die Anstrengungen des Bruders, die Kosten so gering wie möglich zu halten; meine persönliche Befürwortung einer Behandlung im Hospital, obwohl Vorbehalte der Aymara gegen den Aufenthalt bestanden; das Verhalten des Arztes, der an die festgesetzten Preise des Hospitals gebunden ist.

Der Hospitalverwalter erzählte, dass viele Patienten frühzeitig aus dem Krankenhaus verschwinden, wenn sich ihr Gesundheitszustand ein wenig gebessert hat. Das Geld müsse er dann über gerichtliche Schritte einklagen. Darauf sei auch die Kaution von 200 Pesos zurückzuführen. Die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im Hospital von Sorata scheiterte häufig auch an den unterschiedlich festgesetzten Preisen. Die Honorare für ambulante Behandlungen schwankten in den letzten Jahren bei verschiedenen Ärzten zwischen 10 und 50 Pesos je Konsultation. Bei hohen Preisen bleiben die Aymara fern, wie die Statistiken des Hospitals zeigen.

Als ein Arzt für seine Konsultation 40 bis 50 Pesos verlangte, war sein Wartezimmer in kürzester Zeit leer. Die Patientenzahlen seines Vorgängers von durchschnittlich 120 je Monat (1976) verringerten sich in den darauffolgenden Monaten auf etwa 30 bis 40. Der Arzt behandelte also nur einen Patienten pro Tag.

1977 führte ein Arzt neue Preise für die Benutzung des Hospitaljeeps ein. Für jeden gefahrenen Kilometer verlangte er drei Pesos. Für Fußwege sollen Ärzte sogar schon Sonderhonorare gefordert haben (MA, ÄS).

Ich habe beobachtet, dass die Bauern beim Kauf von Medikamenten zuerst einmal nach dem Preis fragen. Ist er ihnen zu hoch, versuchen sie mit dem Sanitäter oder dem Arzt zu feilschen. Einigen Bauern gelingt es auch, andere verzichten schließlich wegen der zu großen Kosten auf den Kauf. Selbst wenn anhaltender Schmerz den Kranken zum Arzt treibt, werden die Kosten in die Überlegungen einbezogen.

In Abschnitt 3451 habe ich schon beschrieben/ welche Anerkennung der zahnärztliche Dienst des Hospitals bei den Aymara findet. Der Preis für eine Zahnextraktion beträgt für Kinder 10 Pesos und für Erwachsene 20. Neben den erschwinglichen Preisen scheint aber auch dieses medizinische Angebot von den Aymara allgemein akzeptiert zu werden. Dorfbewohner aus Ch'ejje berichteten, dass ein Zahnarzt der Missionare für einige Tage die Finca besuchte. Die Patienten sollen aus den umliegenden Dörfern herbeigeeilt sein und sich zur Behandlung gedrängt haben. An drei Tagen soll der Zahnarzt etwa 400 Patienten behandelt haben. Der Preis des Missionar-Zahnarztes für einen gezogenen Zahn betrug zwei Pesos.

Die hohen Preise halten den Campesino neben anderen Gründen davon ab, das Hospital aufzusuchen. Das beweisen auch die Besuchszahlen des kirchlichen Sanitätspostens und des Hospitals. 1976 wurde der Sanitätsposten 10.000 Mal von Hilfesuchenden frequentiert, das Hospital dagegen nur 1.246 Mal.

Die Campesinos bevorzugen den Sanitätsposten der Madre, weil sie dort eine Behandlung erwartet, in die sie mehr Vertrauen setzen, - aber sie bezahlen auch weit weniger für Medikamente und Behandlung als im Hospital."

[a.a.O., S. 220 - 222]

"Ich möchte noch an dem Beispiel einer Impfaktion erklären, wie fehlende Aufklärungsarbeit zu Missverständnissen führen kann:

In mehreren Dörfern impften wir gegen Tetanus, Keuchhusten und Diphtherie, eine in Bolivien bekannte Kombinationsimpfung (Triple). In Abständen von zwei, danach bis zu sechs Monaten sollten drei Impftermine in den Dörfern durchgeführt werden. Wir teilten den Gemeindevorständen das Datum unserer Impfaktion mit. Beim ersten Mal konnten wir beobachten, dass fast alle Mütter des Dorfes ihre Kinder zur Impfung brachten. Wir kündigten den zweiten Termin sechs Wochen später an. Jetzt kamen nur noch die Hälfte der zuvor geimpften Kinder, beim dritten Mal erschien nur noch etwa ein Drittel. Nachfragen ergaben, dass die Eltern ihre Kinder wegen der aufgetretenen Komplikationen (Fieber), obwohl wir darauf hingewiesen hatten, nicht mehr von uns impfen ließen. Nach dem Verständnis der Aymara durfte die Impfung, die eine Krankheit vermeiden sollte, keine neue Krankheit verursachen. Als ein weiterer Grund wurde ein in der Zwischenzeit eingetretenes tragisches Ereignis im Zusammenhang mit einer Impfung in einer Nachbarregion erzählt. Dort sollen von Ärzten eines staatlichen Gesundheitsdienstes unsaubere Impfstoffe benutzt worden sein. Einige Kinder starben an den dadurch verursachten Komplikationen. Solche Ereignisse verstärkten die Vorbehalte gegenüber unserer Impfaktion."

[a.a.O., S. 228]

1977

Der Zuckerrohranbauerverband Unión Agroindustral de Cañeros (Unagro) hat folgende Mitgliederstruktur:

1977-02-26

Arbeitsminister Oberst Mario Vargas lehnt eine Legalisierung der Gewerkschaften ab.

1977-04-08

Aufruf der katholischen Bischöfe zur Achtung der Menschenrechte.

1977-04-14


Abb.: Jimmy Carter [Bildquelle: http://scriptorium.lib.duke.edu/americavotes/carter.html. -- Zugriff am 2002-10-05]

US-Präsident Jimmy Carter (geb. 1924; Präsident 1977 - 1981) kündigt vor der Organization of American States (OAS) eine Neugestaltung der Beziehungen zwischen den USA und den lateinamerikanischen Staaten an.

1977-05-08 bis 08-15

Der US-Unterstaatssekretär für lateinamerikanische Angelegenheiten, Terence Todman, besucht u.a. Bolivien.

1977-06-12

Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Bolivien, Chile und Peru über einen Zugang Boliviens zum Meer. Peru schlägt vor, Arica (Chile) unter die Verwaltung der drei Länder zu stellen. Chile lehnt ab.

1977-09-02

Quechua und Aymara werden als amtliche Sprachen neben Castellano anerkannt.

1977-11-04

Ankündigung von Wahlen zum 1978-07-09. Die Streitkräfte sollen nach den Wahlen als Lehrmeister der Nation fungieren. Präsident Banzer wird von einer neuen Partei, dem Partido Unidad Nacional (PUN) unterstützt. PUN schließt den MNR und die Falange Socialista Boliviana (FSB) ein.

1977-11-17


Abb.: Bischof Franz Hegsbach

Memorandum westdeutscher Theologen zur Kampagne gegen die Theologie der Befreiung, kritisiert Verleihung des Cóndor de los Andes durch Präsident Banzer an den Gründer und Vorsitzenden von ADVENIAT, Ruhr-Bischof Franz Hengsbach (1910 - 1991)  [Vita: http://www.bistum-essen.de/hengs01.htm. -- Zugriff am 2002-10-05] :

"Diese Ordensverleihung erhält geradezu groteske Züge, wenn man sie vor dem Hintergrund eines 1975 bekanntgewordenen Dokumentes der CIA betrachtet, in dem der bolivianischen Polizei eingeschärft wird:

»Man soll sich nicht an der Kirche als Institution und noch viel weniger an der Gesamtheit der Bischöfe vergreifen, sondern einzig und allein etwas gegen den fortschrittlichen Sektor der Kirche unternehmen. Es muss gezeigt werden, dass diese Christen den bewaffneten Kampf predigen, mit dem internationalen Kommunismus verbunden sind und nach Bolivien geschickt wurden mit dem einzigen Ziel, die Kirche dem Kommunismus zuzuführen.«

Indirekt zeigt sich die Allianz von Kardinal Maurer mit dem Diktator Banzer, indem die Verleihung des höchsten staatlichen Ordens »Cóndor de los Andes« an Hengsbach auf den Kardinal zurückgeht: »So ging zum Beispiel auch die Initiative für die erwähnte Verleihung eines bolivianischen Ordens an Bischof Hengsbach von dem Vorsitzenden der bolivianischen Bischofskonferenz aus.«"

[Übersetzung: Hofmann, Manfred: Bolivien und Nicaragua - Modelle einer Kirche im Aufbruch. -- Münster : edition liberación, ©1987. -- ISBN 3-923792-22-0. -- S. 60. -- Dort Quellennachweis]

1977-12-20

Als Präsidentschaftskandidat von Banzers PUN wird General Juan Pereda Asbún (geb. 1931, La Paz) nominiert. Präsident Banzer verzichtet auf eine Kandidatur.

1978

Arze, José Antonio <1904, Cochabamba - 1955, Cochabamba>: Bosquejo sociodialéctico de la historia de Bolivia / José Antonio Arze ; preparación y prólogo, José Roberto Arze. -- La Paz : Camarlinghi, 1978. -- 181 S. -- (Colección popular ; ser. 21, v. 58). -- [Inhalt: Bosquejo sociodialéctico de la historia de Bolivia.--Historiógrafos y sociólogos bolivianos (reseña periodística)--Historia marxista de Bolivia (sumario)--Panorama de sociografía de Bolivia.--Breve itinerario bibliográfico para los interesados en los problemas sociológicos de Bolivia (p. 159-170)--Presidentes de la República.]. -- [Umschlagtitel: Bosquejo sociodialéctico de la historia de Bolivia y otros escritos.]

1978

Lora, Guillermo <1922 - >: Hacia la dictadura del proledariado. -- La Paz : Masas, 1978. -- 301 S. -- [Enthält verschiedene früher veröffentlichte Pamphlete, Manifeste usw.]


Abb.: Umschlagtitel

1978

Die Autobahn La Paz -- El Alto wird fertiggestellt. Baukosten US$ 32 Millionen.

1978-01-18

Streiks und internationaler Druck zwingen die Regierung zu folgenden Zugeständnissen:

1978-01-25

Aufhebung des Verbots gewerkschaftlicher Tätigkeit vom 1974-11-09.

1978-03-18

Bolivien bricht die diplomatischen Beziehungen zu Chile ab, da dieses alle seit 1976 durch Bolivien unterbreiteten Vorschläge zur Schaffung eines Zugangs zum Meer ignoriert habe.

1978-04

Gründung des Movimento Revolucionario Tupac Katari (MRTK).

Wichtige Gründungsmitglieder:

1978-04-13

Gründung der Unitad Democratica y Popular (UDP).

Wichtige Gründungsmitglieder:

1978-04-22

Gründung des Frente Revolucionario de Izquierda (FRI)

Wichtige Gründungsmittglieder:

1978-05-01

Gründung der Fußballakademie Tahuichi in Santa Cruz [Webpräsenz: http://www.tahuichi.com. -- Zugriff am 2002-07-11]

"Die bolivianische Fußballschule "Tahuichi" bietet Kindern eine Perspektive

Seit 1978 kommen bolivianische Fußballstars fast alle aus der einen Talentschmiede: Der "Tahuichi" Fußball-Akademie in Santa Cruz. Wenn Talentspäher sich ein besonders talentiertes Kind ausgeschaut haben, ist der Weg fast vorgezeichnet: Rundumversorgung, von der Grundschulausbildung bis hin zur Nationalmannschaft.

Sie hatten ihn herbeigesehnt, diesen Tag im Juni 1994. Mit stolz geschwellter Brust und voller Selbstbewusstsein. Selbst eine Niederlage hätte sie nicht wirklich erschüttern können, die war eingeplant, schließlich musste die bolivianische Nationalmannschaft zum Eröffnungsspiel der WM 1994 in den USA gegen den Weltmeister antreten, gegen Deutschland. Rund 2500 Kinder und Jugendliche warteten an jenem 17. Juni voller Spannung in der größten lateinamerikanischen Fußballschule auf den Anpfiff. Das Spiel war für alle der vorläufige Höhepunkt der Erfolgsgeschichte von "Tahuichi".

Fernab von La Paz auf dem andinen Hochplateau, liegt "Tahuichi", die bolivianische Fußball-Talentschmiede, in Santa Cruz, der 700.000-Einwohnerstadt nahe der brasilianischen Grenze. In der Sprache der Guaraní-Indianer bedeutet "Tahuichi" schlicht "Großer Vogel". Für die Mitglieder der Schule aber, Kids zwischen sechs und zwanzig Jahren, bedeutet diese Schule den ersten Schritt auf dem Weg zu Ruhm und Ehre. Und weil es die größte Ehre ist, für das eigene Land Fußball zu spielen, womöglich noch bei einer Fußball-WM, hätte Bolivien aus Sicht der "Tahuichi"-Schüler an jenem Sommertag im Juni gegen Deutschland einfach nur einigermaßen spielen müssen, kämpfen zumindest, zeigen, dass auch die Bolivianer Fußball spielen können.

Der Teufel war zu heiß

Die größten Hoffnungen der Kinder trug der bis heute wohl bekannteste bolivianische Kicker auf seinen schmalen Schultern: Marco Antonio Etcheverry, kurz el diablo, der Teufel, genannt. Dann kam die Schmach: Das 0:1 durch den Deutschen Klinsmann in der 61. Minute, nach einem Fehler von Torwart Trucco, hatte man noch hingenommen. Als der leicht verletzte "Teufel" dann aber auf das Feld geschickt wurde, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen, nahm das Schicksal seinen Lauf. 79. Minute: Etcheverry wird eingewechselt, zwei Ballkontakte, dann ein böses Foul, der Schiedsrichter zögert nicht und zieht die Rote Karte. Nach drei Minuten muss der Bolivianer wieder vom Feld, der kürzeste Auftritt eines Spielers in der gesamten WM-Geschichte und eine bittere Enttäuschung für die Jugendlichen, für die "el diablo" Vorbild ist. 0:1 verlor Bolivien das Spiel, was nicht so schmerzte, aber der peinliche Auftritt des umjubelten Stars ließ die Schüler "Tahuichis" an diesem Abend doch sehr schweigsam in die Betten sinken.

Vom Hinterhof in große Stadien

Im Mai 1978 begann die Erfolgsstory der "Großen Vögel". Hinter dem Haus von Don Ramón Aguilera, einem bolivianischen Fußball-Star der fünfziger Jahre, kickte das "Familienteam" Aguileras gegen eine andere Jugendmannschaft. Die Begeisterung bei den Eltern war so groß, dass Rolando Aguilera, der Sohn, kurz darauf die Fußball-Akademie gründete. Im Andenken an seinen Vater, der unter dem Spitznamen "Großer Vogel" bolivianische Fußball-Geschichte geschrieben hatte, nannte er die Schule "Tahuichi". Der Siegeszug der Tahuichi-Jugend war fortan nicht mehr aufzuhalten. Die Nachwuchskicker gewannen eine Meisterschaft nach der anderen, national wie international. Finanziert wird das ganze Projekt mittlerweile aus Mitteln der Christian Children's Fund (CCF), einer US-amerikanischen Hilfsorganisation. Ansonsten lebt die Schule von den Einnahmen der Baufirma Rolando Aguileras und von Spenden der reichen Oberschicht von Santa Cruz.

Die Stadt war bis in die fünfziger Jahre vom "anderen", dem andinen Bolivien abgeschnitten. Dann wurde die erste Straße hinunter in das subtropische Städtchen gebaut. Heute ist Santa Cruz die Boomstadt des Landes, vor allem der Dienstleistungssektor hat sich hier angesiedelt, aber auch die Kokamafia, die Drogenbosse, die ausländischen Investoren, die Reichen der Reichen. Santa Cruz ist die Stadt der Gegensätze, des Scheins, der enormen Widersprüche zwischen Modernisierung und wachsender Armut.

Ein paar Kilometer vom Stadtkern entfernt fängt das Elend an, befestigte Straßen gibt es hier keine mehr, die Strom- und Wasserversorgung reicht auch nicht bis hierher. Die meisten hier sind AnalphabetInnen, Indios aus dem Hochplateau, die in La Paz oder Potosí, in Sucre oder Cochabamba keine Perspektive mehr sahen und nach Santa Cruz gewandert sind, weil sie dort auf den Märkten mehr verkaufen können.

Dribbelnd Bildung eingesogen

Diese soziale Mischung findet sich auch in der Fußballschule "Tahuichi". Doch hier gibt es keine Hierarchien, vor allem die Ärmsten der Armen werden aufgenommen. Deshalb ist die Fußball-Akademie mehr als nur eine Schule zum Kicken. Talentspäher streunen durch die Gassen und Elendsviertel der Stadt, beobachten die Kinder. Die talentiertesten werden ausgewählt. Bis zum zwölften Lebensjahr steht der Sport im Hintergrund. Die Kinder werden medizinisch betreut, sie bekommen regelmäßig warme Mahlzeiten, und sie werden von einer eigens von der Universität abgestellten Lehrerin unterrichtet, sogar in Englisch, was an normalen südamerikanischen Schulen selten ist. Erst wenn die Schüler 14 Jahre alt sind, beginnt sich allmählich alles nur noch um den Fußball zu drehen. Das heißt aber nicht, dass nicht auch über andere Themen gesprochen wird. In der Akademie gibt es täglich eine halbstündige Sitzung, in der über allerlei geredet wird: Drogen, Sexualität, Aids, wie werden Kondome benutzt, warum ist Englisch so wichtig?

Doch das Leben in der Schule ist hart, schließlich können am Ende nur die besten darauf hoffen, tatsächlich Karriere zu machen. Nur diejenigen, die mit 14 Jahren den Sprung in die ersten Mannschaften "Tahuichis" schaffen, können später mit einem Stipendium für das Ausland rechnen und werden weitergereicht an die großen Klubs.

Die Teams von "Tahuichi" sind längst die besten Botschafter des Landes. Sie reisen zu Turnieren in aller Welt, gewinnen dort Pokale und Trophäen, sie stehen für ein friedliches und menschliches Bolivien und konterkarieren damit das einseitige Klischee vom Bolivien als Drehscheibe des Drogenhandels. 1993 kam "Tahuichi" sogar unter die fünf Kandidaten für den Friedensnobelpreis. Gewonnen haben sie nicht, aber schon die Auszeichnung, nominiert worden zu sein, hat alle "Tahuichis" stolz gemacht. Nur dieser dumme Auftritt des diablos hätte nicht sein müssen. Jetzt müssen sich die "Tahuichis" noch weitere vier Jahre gedulden, bis sie möglicherweise wieder bei einer WM dabei sein können. Frankreich findet ohne die "Großen Vögel" statt.

Armin Lehmann"

[Quelle: Lateinamerika Nachrichten. -- 288 (1998-06)]

1978-07-03

Tratado de Cooperción Amazónica [Webpräsenz: http://www.tratadoamazonico.org. -- Zugriff am 2002-02-06]

 
"Amazonas-Kooperation: Die A.K. wurde im Juli 1978 auf Initiative Brasiliens von den acht Amazonasanrainerstaaten Bolivien, Brasilien, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru, Surinam und Venezuela vertraglich vereinbart. Die beteiligten Staaten verständigten sich darauf, bei der Nutzung und Entwicklung des Amazonasgebiets zusammenzuarbeiten. Nutzung der reichen Ressourcen des Gebiets (Edelhölzer, Bodenschätze) und Wahrung des ökologischen Gleichgewichts sollen in Einklang gebracht werden. Auch beim Ausbau der Infrastruktur sowie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in diesem Gebiet sollen die beteiligten Staaten zusammenarbeiten.

Wichtigstes Organ der A.K. ist die Außenministerkonferenz, welche jeweils Richtlinien für anstehende Unternehmungen ausarbeitet. Beigeordnet ist der einmal pro Jahr tagende Rat für Zusammenarbeit, dem Spitzendiplomaten der Mitgliedstaaten angehören. Diesen Gremien wird in den einzelnen Ländern zugearbeitet durch ständige Nationale Kommissionen. Bindende Beschlüsse müssen einstimmig gefasst werden. Besondere Aktivitäten hat die A.K. seit ihrer Gründung auf den Gebieten des Verkehrswegebaus und des Gesundheitswesens entfaltet."

[Steilberg, Hays A. ; Flemming, Thomas: Chronik Handbuch Amerika. -- Gütersloh [u.a.] : Chronik, ©1998. -- ISBN 3577145234. -- S. 45. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

1978-06/07

Bisher wurden unter der Banzer-Diktatur ca 100 Priester und Ordensleute des Landes verwiesen.


Zu Teil 25: Von 1978 bis zur Nueva Política Económica (1985)