Materialien zur Forstwissenschaft

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2. Das Ökosystem Wald

9. Die Wälder der Zonobiome

8. ZB VIII: Winterkalte Nadelwaldgebiete oder Taiga (=boreales Zonobiom)


von Margarete Payer

mailto: payer@hbi-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 -- >: Materialien zur Forstwissenschaft. -- Kapitel 2: Das Ökosystem Wald. -- 8. ZB VIII: Winterkalte Nadelwaldgebiete oder Taiga (=boreales Zonobiom). --  Fassung vom 19. Dezember 1997. -- URL: http://www.payer.de/cifor/cif0210.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung: 19. Dezember 1997

Anlaß: Lehrveranstaltung 1997/98 an der HBI Stuttgart: Informationsnetze, Projekt CIFOR

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Verfasserin.


Zur Inhaltsübersicht von Margarete Payer: Materialien zur Forstwissenschaft.


Übersicht



1. Klima


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Abb.: Beispiele zum Klimatypus von ZB VIII: Sibirien (extrem kontinental), Kanada, Schweden (ausgeglichener)

[Quelle der Abb.: Walter, Heinrich <1898 - 1989> ; Breckle, Siegmar-W.: Ökologische Grundlagen in globaler Sicht. -- 2., bearb. Aufl. -- Stuttgart : Fischer, ©1991. -- (Ökologie der Erde ; Bd. 1). -- ISBN 3-437-10454-8. -- S. 21]

Die boreale Zone beginnt dort, wo das Klima für Hartholz-Laubbäume zu ungünstig ist, d.h. wo die Sommer zu kurz und die Winter zu lang werden: die Anzahl der Tage mit Tagesmitteltemperaturen über 10°C ist unter 120 Tage und die kalte Jahreszeit dauert länger als 6 Monate. Die nördliche Grenze der borealen Zone liegt dort, wo es nur noch ca. 30 Tage mit einem Temperaturmittel von 10°C gibt und die kalte Jahreszeit 8 Monate dauert.

"Allerdings darf man bei der weiten Erstreckung dieser Zone nicht von einem einheitlichen Klima sprechen, sondern man muß ein mehr kalt-ozeanisches Klima mit einer relativ geringen Amplitude der Temperatur und ein kalt-kontinentales unterscheiden, bei dem im extremen Fall die Spanne zwischen dem Temperaturmaximum (+30°C) und -minimum (-70°C) 100°C erreichen kann. Ebenso ändern sich die Temperaturverhältnisse von N nach S. Entsprechend kann man mehrere Subzonobiome unterscheiden:

Ebenso sind extrem ozeanische mit Birken in NW-Europa und NE-Asien auszuscheiden." [Walter, Heinrich <1898 - 1989>: Vegetation und Klimazonen .-- 6., verbesserte Aufl. -- Stuttgart : Ulmer, ©1990. -- (UTB ; 14). -- ISBN 3-8252-0014-0. -- S. 308]


2. Verbreitung


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Abb.: Der boreale Waldgürtel um den Nordpol. [Vorlage der Abb.: Walter ; Breckle, Bd. 4, S. 426]


3. Boreale Wälder


Da die Gebiete der borealen Wälder Nordeurasiens und Nordamerikas sehr schwach besiedelt sind, wurden sie lange von Menschen wenig verändert. In den letzten Jahrzehnten hat aber auch in den sibirischen und kanadischen Taiga-Wäldern großer Raubbau eingesetzt, in Sibirien kommt die Zerstörung durch Erdölverschmutzung und andere Formen rücksichtslosen Umgangs mit der Umwelt hinzu.

"Der Holzeinschlag in den Taigawäldern deckt heute 90% des Papier- und Schnittholzbedarfs der Erde, die forstlichen 'Flächenleistungen' gelten aber in Relation zur Gesamtfläche als gering. In jüngster Zeit mehren sich die Zeichen, daß der Raubbau, der die tropischen Regenwälder in den letzten Jahren über weite Strecken zerstört hat, auch gezielt auf die Taiga übergreift. Große Holzlose werden an internationale Logging Companies verkauft bzw. sind bereits verkauft worden. Im Gegensatz zu den Tropen ... vollzieht sich [der einsetzende Abbau der Holzreserven] ... noch ohne größere Beachtung durch die Weltöffentlichkeit.

Ein zweiter wichtiger und auch überregionaler Wirtschaftsfaktor ist der Torfabbau in den Mooren (in Rußland jährlich 22 Mio. Tonnen) primär für Gärtnerei und Landwirtschaft, aber auch als Heizmaterial für kalorische Kraftwerke." [Grabherr, Georg: Farbatlas Ökosysteme der Erde. -- Stuttgart : Ulmer, ©1997l. -- ISBN 3-8001-3489-6. -- S. 331]


3.1. Baumarten borealer Wälder


"Auch die floristische Zusammensetzung der Baumschicht ist natürlich verschieden. Für die Nadelwälder gilt, daß die Zahl der Nadelholzarten in N-Amerika und E-Asien sehr groß ist, im eurosibirischen Raum dagegen sehr klein.

In N-Amerika haben wir sehr viele Arten der Gattungen

aber auch

die jedoch mehr der Übergangszone angehören. Die Arten dieser Gattungen an der pazifischen Küste sind andere als im östlichen Teil. Nur die Schimmelfichte (Picea glauca) geht von Neufundland bis zur Bering-Straße. An der Baumgrenze gegen die Arktis wachsen außerdem die Schwarzfichte (Picea mariana), die sonst meist auf armen Böden auftritt, ebenso wie Larix laricina in den kontinentalen Gebieten. Dazu kommen Abies balsamea [Balsamtanne] und Thuja occidentalis, wie auch Pinus banksiana, letztere insbesondere auf Brandflächen. Sehr verschiedene Arten findet man in der Nadelwaldstufe der Gebirge.

Im Gegensatz dazu spielen in der borealen Zone Europas nur die Fichte (Picea abies) und die Kiefer (Pinus sylvestris) eine Rolle. Erst im östlichen Teil wird unsere Fichte durch die nahe verwandte sibirische Art, Picea obovata [Sibirische Fichte], abgelöst und es kommen dazu Abies sibirica [Sibirische Tanne], Larix sibirica [Sibirische Lärche] und Pinus sibirica [Sibirische Kiefer], eine Unterart der Arve (Pinus cembra); der Anteil der Fichte nimmt ab, und im kontinentalen Ostsibirien fehlt sie ganz. Zugleich tritt dort an die Stelle von Larix sibirica [Sibirische Lärche] die Larix dahurica. Allein die Lärchenwälder bedecken in Sibirien 2,5 Mill. km². Im nord-japanischen Raum nimmt die Zahl der Nadelholzarten wieder stark zu." [Walter, Heinrich <1898 - 1989>: Vegetation und Klimazonen .-- 6., verbesserte Aufl. -- Stuttgart : Ulmer, ©1990. -- (UTB ; 14). -- ISBN 3-8252-0014-0. -- S. 309]

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Abb.: Aufbau des borealen Nadelwaldes

Quelle der Abbildung: Jäger, Eckehart Johannes: Allgemeine Vegetationsgeographie. -- In: Hendl, M. ; Marcinek, J. ; Jäger, E. J.: Allgemeine Klima-, Hydro- und Vegetationsgeographie. -- 3. Aufl. -- Gotha : Haack, 1988. -- (Studienbücherei Geographie für Lehrer ; 5). -- ISBN 3-7301-0513-2. -- S. 172.


4. Boreale Wälder Nordeurasiens: die Taiga


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Abb.: Vegetationskarte der ehemaligen Sowjetunion [Quelle der Abb.: Milner-Gulland, Robin ; Dejevsky, Nikolai: Rußland. -- Augsburg : Bechtermünz, 1997 (©1990 by Christian, München). -- (Bildatlas der Weltkulturen). -- ISBN3-86047-787-0. -- S.22f.]

Legende:

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Die borealen Wälder Nordeurasiens bedecken 7,17 Mio. km² (zum Vergleich: ganz Indonesien hat 1,1 Mio. km² Waldfläche, ganz Amerika schätzungsweise 8,8 Mio. km² tropische Wälder). Die borealen Wälder Nordeurasiens sind das größte zusammenhängende Waldgebiet der Erde.


4.1. Subzonobiome


Im euro-nordasiatischen Zonobiom VIII kann man folgende Subzonobiome (Taiga-Zonen) unterscheiden:

  1. westlichstes Subzonobiom mit stark ozeanischem Klima: viel Birke
  2. leicht kontinentales Subzonobiom bis zur Nördlichen Dwina: mit Gemeiner Fichte (Picea abies)
  3. kontinentales Subzonobiom bis zum Jenissei: Dunkle Taiga
  4. stark kontinentales Subzonobiom Ostsibiriens: Helle Taiga
  5. extrem kontinentales Subzonobiom im Lena- und Janabecken
  6. Östlichstes stark ozeanisches Subzonobiom auf Kamtschatka: mit Birke und Erle

Subzonobiome 2,3,4 werden weiter unterteilt in je

  1. nördliche Taigazone
  2. mittlere Taigazone
  3. südliche Taigazone

4.2. Böden


Der typische Boden ist Podzol. "Podzolböden sind sehr arme Böden; deshalb wurde die boreale Zone sehr spät [Ausnahme: Jäger und Sammler] besiedelt. Neben dem Ackerbau (Hauptgetreideart ist der anspruchslose Roggen, daneben auch etwas Gerste) spielt die Weidewirtschaft auf sekundären feuchten Wiesen eine Rolle. Aber die Böden sind doch nicht so arm wie die der humiden Tropen; denn in der oft mächtigen Humusschicht wird eine gewisse Menge an N [Stickstoff] und an P [Phosphor] gespeichert, die beim Humusabbau frei wird. Beim Abbau der Rohhumusschicht bei Lufttemperatur unter aeroben [Zuführung von Luftsauerstoff] Bedingungen geht mehr als 2/3 der organischen Substanz in zwei Jahren verloren, etwa 25% des Stickstoffs wird mineralisiert, vorwiegend zu Ammonium. Kalkung vermindert die N-Ausscheidung, oft sogar ganz, fördert sie jedoch im B-Horizont, ebenso wie die Nitratbildung.

In der nördlichen Taiga Westsibiriens, in der gesamten mittelsibirischen Taiga und auch im nördlichen Teil des Fernen Ostens spielt Permafrost bei der Bodenbildung eine Hauptrolle. Im Süden von Mittelsibirien erreicht der Permafrost eine Tiefe von etwa 25 - 50 m. Während des kurzen, kräftigen Sommers kann je nach den verschiedenen physischen Besonderheiten der Boden bis in Tiefen von 1,5 - 4,0 m auftauen. In der Mittleren Taiga beträgt die Permafrosttiefe bis 300 m, im nördlichen Teil dieser Unterzone bis 400 m, sogar bis 500 m Tiefe sind bekannt. Hier erreicht aber die sommerliche Auftauzone kaum mehr als 1 m.

Der Permafrost blockiert die im Sommer nach unten abfließende Bodenlösung. Hinzu kommt, daß in Sibirien die Gesamtmenge an flüssigen Niederschlägen gering ist. Die Auswaschung der Bodenhorizonte, bzw. der Mineralien ist dadurch gering oder fehlt ganz. ... Unter solchen Bedingungen kann sich keine echte Podzolierung bilden. Solche Böden werden als Permafrosttaigaboden, manchmal auch Pseudopodzolboden ... bezeichnet. ...

In der südlichen Taigazone mit Laubholzbeimischung bildet sich eine leichter zersetzbare Streu, und die Humusschicht nimmt Moder-Charakter an. Infolgedessen ist auch die Podzolisierung schwächer".

[Walter ; Breckle, Bd. 3, S. 472]


4.3. Waldtypen


Typisch für Zonobiom VIII in Europa ist dunkler Fichtenwald, die Taiga, auf Podsolböden (Rohhumusschicht -- Bleichhorizont -- verdichteter dunkelbrauner oder rostroter B-Horizont).

In der Krautschicht dieser Wälder herrschen vor:

Bei hohem Grundwasserstand reichert sich Rohhumus sehr stark an und führt zu Torfbildung in Hochmooren. In der Torfschicht herrscht zunächst Widertonmoos (Polytrichum) und im späteren Stadium das Torfmoos (Sphagnum).

Bei Vernässung durch fließendes, sauerstoffreiches Wasser gehen die Fichtenwälder in Auenwälder über.

In der borealen Zone ist auch der Anteil an Kiefernwäldern sehr groß. Pinus sylvestris (Kiefer) verdrängt die Fichte an trockenen Standorten. Die Krautschicht der Kiefernwälder wird vor allem von Heidekraut (Calluna vulgaris) und Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea) gebildet. In der Moosschicht gibt es viele Flechten. Die Kiefer tritt nach Bränden auch an für die Fichte günstigen Standorten auf. Nach solchen Bränden kommen von den Baumarten Birke und Espe am raschesten hoch. Sie werden später durch die Kiefer verdrängt. Unter den Kiefern wachsen langsam Fichten heran. In Nordschweden hält sich das Birkenstadium 150 Jahre, das Kiefernstadium 500 Jahre. So tritt oft ein neuer Brand auf bevor alle Sukzessionsstadien durchlaufen sind. Dies erklärt den hohen Anteil an Kiefern. Kiefern fehlen nur an feuchten Standorten mit geringer Feuergefahr.


Vorherrschende Baumarten in den borealen Wäldern Eurasiens:

 

Nordnorwegen

nördliches Rußland

Westsibirien

Ostsibirien  und Amurgebiet

Küstenbereich Ochotskisches Meer und Sachalin

Ozeanität des Klimas

subozeanisch subkontinental kontinental hyperkontinental subozeanisch

Nördlich-borealer Bereich

Betula tortuosa -- Weißbirke
[Pinus sylvestris
-- Gemeine Kiefer]
Picea obovata -- Sibirische Fichte
Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Larix sibirica -- Sibirische Lärche
[Picea obovata -- Sibirische Fichte]
Larix dahurica (= L. gmelinii) -- Gmelin-Lärche Pinus pumila -- Zwergkiefer
Alnus fruticosa -- (Erle)
Larix dahurica (= L. gmelinii) -- Gmelin-Lärche

Mittel-borealer Bereich

Betula tortuosa -- Weißbirke
Betula pubescens
-- Moorbirke
[Pinus sylvestris
-- Gemeine Kiefer]
Picea obovata -- Sibirische Fichte
Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Picea obovata -- Sibirische Fichte
Pinus cembra -- Arve
Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Larix dahurica (= L. gmelinii) -- Gmelin-Lärche Picea jezoënsis -- (Fichte)
Betula ermanii -- (Birke)
Larix dahurica (= L. gmelinii)
-- Gmelin-Lärche

Südlich-borealer Bereich

Betula pubescens -- Moorbirke
Pinus sylvestris
-- Gemeine Kiefer
[Picea excelsa
-- Rotfichte]
Picea obovata -- Sibirische Fichte
Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Picea obovata -- Sibirische Fichte
Pinus cembra -- Arve
Abies sibirica -- Sibirische Tanne
Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Larix dahurica (= L. gmelinii) -- Gmelin-Lärche
Picea obovata
-- Sibirische Fichte
Picea jezoënsis -- (Fichte)
Abies nephrolepis -- (Tanne)
Betula ermanii -- (Birke)
Larix dahurica (= L. gmelinii)
-- Gmelin-Lärche

Hemiborealer Bereich

Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Picea excelsa
-- Rotfichte
[Betula pubescens
-- Moorbirke]
[Quercus robur
-- Stieleiche]
Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Abies alba -- Weißtanne
[Quercus robur -- Stieleiche]
Pinus sylvestris -- Gemeine Kiefer
Betula pubescens -- Moorbirke
Populus tremula -- Espe
Larix dahurica (= L. gmelinii) -- Gmelin-Lärche
Quercus mongolica -- Mongolische Eiche
Abies nephrolepis -- (Tanne)
Picea jezoënsis
-- (Fichte)
Quercus mongolica
-- Mongolische Eiche

[Vorlage der Tabelle: Walter ; Breckle, Bd. 3, S. 474]


Schichtenaufbau borealer Wälder Rußlands:

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Abb.: Veränderung des Prozentualen Anteils der verschiedenen Waldschichten in Abhängigkeit vom geographischen Breitengrad (beim 35. Längengrad) [Vorlage der Abb.: Walter ; Breckle, Bd. 3, S. 478]


4.4. Waldbrände


Die Kiefer (Pinus sylvestris) tritt auf Brandflächen auf nach einem kurzen Vorstadium mit Birken und Espen. Kiefern keimen auf der gesamten Brandfläche gleichzeitig, so daß die Kiefernwälder aus gleich alten, aber aufgrund des intraspezifischen Wettbewerbs verschieden großen Bäumen bestehen. Unter den Kiefern keimen Fichten, so daß mit der Zeit wieder ein Fichtenwald entsteht. Das Kiefernstadium dauert jedoch 100 bis 150 Jahre, so daß ein erneuter Waldbrand in dieser Zeit nicht unwahrscheinlich ist. Deshalb gibt es in der Taiga viele Kiefernwälder.

"Bei den Waldbränden ist zwischen den besonders häufigen Streubränden und den selteneren Kronenbränden zu unterscheiden; gegen erstere sind alte Kiefernbestände wegen ihrer dicken Borke resistent, dagegen wird ein aufkommender Fichtenjungwuchs und der Unterwuchs durch sie vernichtet, also die Kiefer sogar begünstigt, da sie sich stark aussät. Auf leichten Sandböden wird die Asche nach einem Brand gleich durch Regen ausgewaschen, eine Zunahme der Bodenalkalinität findet nicht statt und der Kiefernjungwuchs erscheint sofort auf der Brandfläche. Es ist deshalb verständlich, daß der Anteil der Kiefer in den nördlichen Taiga-Gebieten sehr hoch ist. ... Da die Birken als Brennholz verwendet werden, können Birkenwälder infolge der Begünstigung durch den Menschen auf schweren Böden dauernd erhalten bleiben. Sie sind deshalb ebenfalls unverhältnismäßig stark im Taiga-Gebiet verbreitet. Die vorherrschenden Arten des Unterwuchses unter Kiefern auf Brandflächen entsprechen weitgehend denen der ursprünglichen Fichtenwälder." [Walter ; Breckle, Bd. 3, S. 482f.]


4.5. Wettbewerbsverhältnisse im Fichtenwald-Ökosystem


Ein russisches Team hat 15 Jahre lang ein noch völlig ursprüngliches Nadelwaldgebiet in Nordrußland untersucht. In Walter ; Breckle, Bd. 3, S. 567 werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen so zusammengefaßt:

Man muß feststellen, "daß vor allem die überragende Bedeutung der Wettbewerbsverhältnisse im Boden für die Struktur der Fichtenwald-Ökosysteme nachgewiesen wurde.

Die obere Baumschicht aus Fichten ist die bestimmende Komponente für das ganze Ökosystem, wobei die unteren Schichten weniger durch die Beschattung beeinflußt werden als man bisher annahm, sondern vielmehr durch den Wettbewerb ihrer Wurzelsysteme im Boden. Durch sie werden dem Boden die für die Baumschicht notwendigen Wassermengen und Nährstoffelemente entnommen. Der gesamte Unterwuchs muß sich mit dem begnügen, was übrig bleibt. Deswegen wird durch die Ausschaltung des Baumwurzelwettbewerbs das ganze Ökosystem zu Gunsten der Pflanzen der unteren Schichten, einschließlich der Moosschicht, umgestaltet. Diese Ausschaltung hat insbesondere eine Verbesserung von deren Stickstoffhaushalt zur Folge, da Wasser im Boden meist in großem Überschuß vorhanden ist. Wenn die Entnahme des nachgelieferten Stickstoffs aus dem Boden durch Baumwurzeln entfällt, dann steht dieser den anderen Schichten zur Verfügung. Deshalb hat die Wirkung nach Ausschaltung der Baumwurzelkonkurrenz in den meisten Fällen große Ähnlichkeit mit der Wirkung einer direkten Stickstoffdüngung."

Die künstliche Ausschaltung der Baumwurzelkonkurrenz (durch Abschneiden der Wurzeln) wirkt sich am stärksten bei stickstoffarmen Hochmoorböden aus.

"Man darf deshalb die hier geschilderten Befunde nicht verallgemeinern. Bei den Laubwäldern spielt die Baumwurzelkonkurrenz wohl eine geringere Rolle. Wenn die Böden tiefgründig sind und die Baumwurzeln sich nicht in dem Maße auf die obersten Bodenschichten beschränken, könnte die N-[Stickstoff-]Nachlieferung für die Krautschicht besser sein. Doch meistens findet man die feinen Nährwurzeln der Bäume ebenfalls in der Humusschicht. Eine Nachprüfung wäre somit notwendig."


4.6. Waldhochmoore


Im Grenzgebiet zwischen ozeanischem und kontinentalem Klimagebiet wachsen Torfmoose so langsam, daß Baumkeimlinge aufkommen können und das Moor sich mit Kiefern und Birken bewaldet. So bilden sich Waldhochmoore.

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Abb.: Gebiet der Waldhochmoore in Nordeuropa [Vorlage der Abb.: Walter ; Breckle, Bd. 3, S. 589]


4.7. Beispiel: die Taiga finnisch Lapplands


Sehr anschaulich beschreibt Walter Marsden den östlichen Rand der Taiga in Finnland:

"Voller Erwartung, die Taiga kennenzulernen, kleidete ich mich am nächsten Morgen rasch an und nahm in aller Eile mein Frühstück ein. Als ich jedoch den Fluß verließ und in den Urwald eindrang, erfaßte mich eine böse Vorahnung, die Furcht des zivilisierten Menschen vor einer Welt, in der Entfernung und Richtung bedeutungslos sind. Wie die Zeichen nahenden Unheils erschienen mir die unverständlichen Gesten der teilweise zu phantastischen Formen verrenkten Kiefern, die mit wildwuchernden Birkenbeständen und Tümpeln stehenden Wassers wechselten. Verschiedentlich warnten mich grellgrüne, mit Weiden bewachsene Stellen vor Sümpfen. Ein Stück weiter wichen die Bäume kleinen heideähnlichen Flecken, auf denen zähes Heidekraut und niedrige Heidelbeeren wuchsen. Einige Male stieß ich auf Lichtungen, die ohne jeden Pflanzenbewuchs und mit Felsblöcken übersät waren ...

Innerhalb weniger Minuten hatte ich mich hoffnungslos verirrt ... Deshalb folgte ich dem Lauf eines Baches in der Hoffnung, er werde mich zu einem Fluß oder See führen, an dem ich die Orientierung wiederfinden könnte. Eine Zeitlang ... kämpfte ich mit den Hindernissen des Wasserlaufs, bis dieser jählings in einem Moor endete.

An dieser Stelle ist die Taiga so eben, daß die Erosionskraft des Oberflächenwassers nicht ausreicht, um tiefe, ausgeprägte Kanäle, wie in den hügeligeren Regionen, zu graben. Regelmäßig im Frühjahr, wenn der Schnee schmilzt, wird das Land überschwemmt. Das Hochwasser überflutet Bäume, schafft neue Ströme und verändert schon vorhandene Wasserläufe. Aus der Luft betrachtet, mag das endlos wogende Meer von Koniferen und Birken fest und dauerhaft erscheinen. Vom Boden aus konnte ich allerdings erkennen, daß sich die Taiga in einem Zustand ständigen Wandels befindet.

Der betäubende Duft von Kiefernharz führte mich alsbald zu einem Waldstreifen, über den ein Feuer hinweggefegt war. Am Rande dieser geschwärzten Zone wuchsen ein paar Kiefern, die, obgleich sie stark versengt waren, den Brand überlebt hatten. Auf ihren Stämmen entdeckte ich Kolonien von Schwämmen, die an den vom Feuer hinterlassenen Wunden auf den Bäumen Fuß gefaßt hatten, sich jetzt von ihren Wirten ernährten und sie damit zum Verfaulen und Sterben verurteilten.

Einige bereits verfallende Bäume trugen Narben von Spechten, die von den im abgestorbenen Holz lebenden Insekten angelockt worden waren. Diese Spuren konnten von allen vier Spechtarten stammen, die in der Taiga am Pasvik[-Fluß] leben, dem Schwarzspecht, Großen Buntspecht, Kleinspecht und dem Dreizehenspecht. Die letztgenannte Art ist charakteristisch für die Taiga und östlich der Grenze Lapplands weit verbreitet. Aus der Größe der Löcher schloß ich jedoch, daß sie am ehesten vom größten dieser Arten, dem Schwarzspecht, herrührten. Dieser und der Dreizehenspecht haben eine Gewohnheit, die den eurasischen Spechten eigen ist. Sie bohren Löcher in die Rinde von Kiefern und Fichten, um ihren Saft zu trinken. Bisweilen kann man beobachten, wie sie ihre Schnäbel in die Flüssigkeit gesenkt haben und vom Saft gleichfalls angezogene Insekten als Zugabe aufpicken.

Obgleich ich einen Specht in der Ferne klopfen hörte, bekam ich keinen dieser Vögel zu Gesicht. Dafür entdeckte ich eine Seidenschwanzfamilie, die mit ihren braunen Hauben, ihren gelben Schwanzenden und den roten, wie Siegellacktropfen aussehenden Flügeltupfen zu den auffälligsten Vögeln der Taiga gehören. Der Bestand an Seidenschwänzen schwankt mit dem verfügbaren Vorrat an Beeren, von denen sie sich ernähren. In Jahren, in denen aufgrund einer reichen Beerenernte eine sprunghafte Vermehrung stattfindet, dringen die Seidenschwänze von ihrem Stammsitz in der Taiga von Osten her nach Lappland ein und überqueren manchmal sogar die Nordsee."

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Seidenschwanz (Bombycilla garrulus), ca. 2/3 der Originalgröße

Ich stieß "auf einen langgestreckten, schmalen und gewundenen Wall von etwa sechs Metern Höhe. Er sah aus der Ferne einem Bahndamm ähnlich und versprach ein leichteres Vorwärtskommen. Bei dem Wall handelte es sich um einen Os, die Kiesablagerung eines Stromes, der einmal unter der Eisdecke geflossen war, die dieses Gebiet einst bedeckt hatte. Auf seiner verhältnismäßig trockenen Böschung wuchsen Kiefer im Überfluß, und an Stellen, an denen Hochwasser die Erde zwischen ihren Wurzeln fortgespült hatte, bot sich mir ein sehr deutliches Bild der Bodenschichtung.

Die Oberfläche bildete eine dünne, lockere Schicht aus dunklem, saurem Humus, der aus verfaulten Rückständen von Kiefernnadeln und anderen Pflanzenresten entstanden war. Darunter befand sich eine ausgebleichte graue Schicht, aus der Eisenhydroxid in die nachfolgende dunkelbraune Lage, die die Festigkeit von Ortstein besaß, durchgesickert war. Dieses ausgeprägte Bodenprofil, ein sogenannter Podsol, ist unter anderem charakteristisch für die Taiga und bildet sich in kühlen Klimazonen, in denen die Niederschläge stärker sind als die Verdunstung und folglich bestimmte Oberflächenmineralien in tiefere Bodenzonen hinabgeschwemmt werden.

Der Os fiel nach einer Seite sanft ab und endete in einem Sumpfgebiet am Rand eines kleinen Sees, an dem ich zu meiner großen Erleichterung die Orientierung wiederfand. Als ich das höher gelegene, trockenere Gelände verließ, mußte ich mir einen Weg durch Schellbeerenbüsche bahnen, um ans schlammige, riedbewachsene Seeufer zu gelangen. Hier machte ich im Schatten einer Birke halt. In der Nähe sang ein Rotsterniges Blaukehlchen, dem Linné den Namen 'Schwedische Nachtigall' gegeben hat, sein sich ständig wiederholendes, aber melodisches Lied, und im Wipfel einer Weide konnte ich sein auffallend blaues Lätzchen erkennen, das in der Mitte einen roten Fleck hat. Als mich der Vogel bemerkte, flog er eilig tiefer in den Wald hinein und gestattete mir dabei einen Blick auf seinen fuchsroten Schwanzansatz."

[Marsden, Walter: Lappland / von Walter Marsden und der Redaktion der Time-Life-Bücher. -- Amsterdam : Time-Life, ©1976. -- (Die Wildnisse der Welt). -- S. 131 - 135]


4.8. Der Mensch in der Taiga


Vor der Expansion Rußlands nach Sibirien im 17. Jahrhundert lebten schon verschiedene Völker in der Weite Sibiriens. Für sie waren die Beeren und Kräuter der Taiga wichtige Zutaten zum Fleisch, das sie in der Taiga erjagten.

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Abb.: Die wichtigsten Völker Sibiriens [Quelle der Karte: Kolarz, Walter: Die Religionen in der Sowjetunion. -- Freiburg [u.a.] : Herder, ©1963. -- S.85]

In der Taiga wurden in russischer Zeit rücksichtslos Pelztiere gejagt. In der Taiga kommen über 30 Pelztierarten vor. Heute entfallen über 90% des Pelzwertes in Rußland auf Zobel, Eichhörnchen, Polarfuchs und Zibet. Diese Tiere sind fast ausgerottet.

"Der hauptsächliche Reichtum der Taiga sind die Holzressourcen. Etwa 80% des Holzes kommt aus diesem Zonobiom ... Im Jahr 1983 waren mehr als 50% der russischen Industrie auf Energiebasis in Sibirien angesiedelt. Dort gewinnt man Erdöl, Gas und Aluminium. Es entwickelte sich die chemische, die Papier- und die holzverarbeitende Industrie ...

All dies führte zu immer größeren 'Konflikten zwischen den wirtschaftlichen Tätigkeiten des Menschen und der Natur'. Die Umweltsituation hat sich erheblich verschlechtert. Bis zu 20% des in der Taiga geschlagenen Holzes geht verloren, es versinkt in den Flüssen beim Flößen oder verfault ..."  [Walter ; Breckle, Bd. 3, S. 621f.]


5. Boreale Wälder in Nordamerika


5.1. Wichtigste Baumarten


Koniferen:

Laubbäume:


5.2. Waldbrände


"Diese große Häufigkeit der Gewitter in der Sommerzeit scheint eine Besonderheit des Klimas des ZB VIII in Nordamerika zu sein, die in diesem Ausmaße für Euro-Nordasien nicht bekannt ist. Die Folge davon sind häufige Waldbrände durch Blitzschlag, wenn im Sommer die Streu am Waldboden nach einer Reihe heißer Tage stark ausgetrocknet und leicht entzündbar ist. Es kommt dabei aber nicht nur zu Bodenfeuern, sondern auch zu heißen Kronenbränden, bei denen der Baumbestand völlig vernichtet werden kann. ...

Die wichtigste Folge der häufigen Brände ist somit, daß nicht der zonale Typus der Pflanzendecke vorherrscht, sondern ein Mosaik von auf Brandflächen gleichaltrigen Beständen in verschiedenen Stadien der Sukzessionsabfolge. ...

Die Sukzession verläuft folgendermaßen: Nach einem Brand bedingt die Asche eine bestimmte Alkalität des Bodens. Gegen diese sind bestimmte Moose unempfindlich. Ihre durch den Wind verbreiteten Sporen keimen. Auf der Brandfläche entwickeln sich zunächst die Moose Ceratodon purpureus, Funaria hygrometrica und Pohlia nutans. Durch den Regen wird die Asche ausgelaugt und die Alkalität nimmt ab. Polytrichum-Arten und Marchantia polymorpha lösen die Erstbesiedler ab. Dagegen entwickeln sich die Dicranum-Arten und Hypnaceen-Moose erst im Schatten der neuen Baumschicht, wenn die Bodenreaktion längst wieder sauer ist, meist erst nach 20 Jahren. Die Aschensalze werden auf Sandboden rasch ausgewaschen, aus tonigen Böden wesentlich langsamer, was die Zusammensetzung der Krautflora in den ersten Jahren nach einem Brand beeinflußt. In den ersten Jahren dominieren die annuellen [einjährigen] Arten, dann die biennen [zweijährigen] und erst später die perennen [mehrjährigen]." [K. Loris in: Walter ; Breckle, Bd. 4, S.433f.]


5.3. Flechtenwälder der nördlichen Taiga


Die folgende Abbildung zeigt, wie sich in der Mikroumwelt (mit Mikroklima) von Spalten in den dicken Flechtenmatten Fichtensämlinge entwickeln.

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[Quelle der Abb.: Walter ; Breckle, Bd. 4, S. 477]

"Problematisch wird es für die Sämlinge dann, wenn sie die Höhe der Flechtenoberfläche erreichen und die Luftschicht mit den mikroklimatisch extremen Bedingungen zu durchwachsen haben. Dies kann durch die Beobachtung belegt werden, daß bei vielen Exemplaren die Haupttriebe auf dieser Höhe abgestorben [sind] und immer wieder durch Seitentriebe ersetzt wurden. Das bedeutet aber, daß der Sämling zunächst diese Luftschicht durchwachsen muß, bevor er sich weiter entwickeln kann. Die Situation erinnert prinzipiell an die winterlichen Bedingungen oberhalb der Schneeoberflächen und deren Folgen." [K. Loris in: Walter ; Breckle, Bd. 4, S.478]


5.4. Beispiel: die Taiga Labradors


Robert Steward beschreibt die Taiga und Waldtundra Labradors (Nordostkanada):

"Der südliche Teil Labradors wird zum größten Teil von Wäldern eingenommen. Der Nordteil ist baumlose Tundra. Aber der Wald hört natürlich nicht unvermittelt auf, mit einer Baumreihe, an der die offene Tundra beginnt. Vielmehr gibt es eine Übergangszone, in der die Bäume immer weniger werden. Unmerklich geht so der Wald in die Tundra über. Auf ihren gewellten, ständig gefrorenen Böden, den Dauerfrostböden, wachsen vor allem Rentierflechten, Seggen und Moorweisen.

Dieser Übergangsgürtel bildet nicht etwa eine gerade Trennlinie quer über den Kontinent, sondern verläuft je nach den örtlichen Klimaverhältnissen weiter nördlich oder südlich. Oft ist er ein Flickenteppich aus Wald und kahlem Land. Aber ganz allmählich, je weiter man nach Norden kommt, wird das Land immer kahler, bis man schließlich die öde subarktische Tundra erreicht hat.

Die dichte Waldregion im Süden Labradors wird Taiga genannt. Wie die Tundra ist auch die Taiga eine aus der Geographie Sibiriens übernommene Bezeichnung. Die Taiga ist borealer Nadelwald und -- weiter südlich -- borealer Mischwald. Obwohl es vorwiegend Koniferen gibt, sind auch die Laubbäume zahlreich vertreten. Ich weiß noch, wie erstaunt ich über diese Wälder im Süden war, als ich zum erstenmal nach Labrador kam. Ich war durch meine Lektüre darauf vorbereitet gewesen, ganz Labrador als ödes Land vorzufinden, das 'Land, das Gott Kain gab'. Aber als ich dann zum erstenmal von Goose Bay aus den Churchill River hinauffuhr, sah ich ganz weiße Papierbirken und stattliche Amerikanische Zitterpappeln, wie man sie schöner auch anderswo nicht findet. Dazwischen standen verstreut einzelne Exemplare der Weißesche, immergrüne Weißfichten und Balsamtannen, die am besten in gemäßigteren Klimaten gedeihen. Erst als ich schon eine Zeitlang dort war, bemerkte ich Unterschiede. Während der Herbst seinen Fortgang nahm, fiel mir immer deutlicher auf, daß inmitten der zarten Bronze- und Silbertöne der Birken- und Pappelblätter die leuchtendroten Farbflecken der absterbenden Ahornblätter fehlten. Die vertraute Bankskiefer vermißte ich ebenfalls. Und auch nach Weymouthskiefern, Wacholder, Hemlocktannen und Schwarzeschen hielt ich vergeblich Ausschau.

Dann fiel mir noch etwas anderes auf: Ich war schon über eine Woche da und hatte noch kein einziges Backenhörnchen gesehen. Auch die Blauhäher und Rotschulterstärlinge fehlten, die man weiter südlich in der Umgebung eines Lagers mit großer Wahrscheinlichkeit beobachten könnte. Ich erfuhr auch von Einheimischen, daß es hier keine Waschbären und Stinktiere gab -- und auch keine Schlangen und Ratten. Wenn von 'Hirschen' die Rede war, dann war nicht der Weißwedelhirsch gemeint, der hier überhaupt nicht vertreten ist. Vielmehr bezeichnete man das Karibu als 'Hirsch'. Die Trapper hatten noch nie von dem zobelähnlichen Fischmarder gehört. Mir wurde langsam klar, daß hier vieles anders war als in den kanadischen Wäldern, die ich kannte.

Als ich dann weiter nach Norden vorstieß, wurden die Unterschiede noch auffälliger. Die laubabwerfenden Bäume verschwanden, und statt dessen gab es hier Gehölze, in denen Schwarzfichten viel weiter auseinander standen als in den kanadischen Wäldern. Alleinstehende Nordamerikanische Lärchen, stets aus unerklärlichen Gründen nach Osten geneigt, füllten die Lücken zwischen den Schwarzfichten aus. Das war die Tundra. Sie beginnt, wo der erste Dauerfrostboden unter der obersten Bodenschicht angetroffen wird und sieht hier fast so aus wie der Park eines englischen Landsitzes."

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Abb.: Cladina stellaris (= Cladonia alpestris), eine der dominierenden Rentierflechten Labradors

"Das auffallendste Merkmal dieser Landschaft ist die grünlich-weiße Rentierflechte , die auf diesem steinigen, sauren Boden wächst. Die Aridität des Bodens duldet ansonsten kaum Vegetation. Die Rentierflechte, die man auch Rentiermoos nennt ist eine besonders widerstandsfähige Flechtenart. Die Rentierflechte ist weich, aber doch so zäh, daß man sie als Windel für ein Baby zurechtschneiden kann, und sogar so saugfähig, daß sie als Lampendocht dienen kann. Da die Rentierflechte Kohlehydrate enthält, mischen die Eskimos sie mit Seehundfett und verfüttern das Gemenge an ihre Hunde, um Abwechslung in die stark eiweißhaltige Kost der Tiere zu bringen. Wenn die Rentierflechte an einem heißen Tag feucht ist, ist es ein Vergnügen barfuß darauf zu laufen. Wenn die Flechte trocken ist, ist es gefährlich: sie bildet dann den reinsten Zunder für Waldbrände. Rentierflechte bildet die Hauptnahrung der riesigen Karibuherden, die Labrador durchstreifen.

Auf den ersten Blick könnte es so scheinen, als sei die Rentierflechte dem Wachstum der Bäume in der Taiga förderlich, aber auf lange Sicht bewirkt sie genau das Gegenteil. Je dicker sie den Boden bedeckt, um so schwerer haben es die Samen der Bäume, in den Boden zu gelangen, wo sie Wurzeln schlagen könnten. Das ist der Grund, warum die Schwarzfichte [Picea mariana] mit Abstand der vorherrschende Baum in Labrador ist. Die Schwarzfichte kann sich noch auf eine andere Art fortpflanzen. Wenn ihre Samen keinen geeigneten Boden zum Keimen finden können, bilden ihre unteren Äste eigene Wurzeln aus, die im Lauf der zeit aus jedem dieser Äste einen selbständigen Baum entwickeln können. Eine Schwarzfichte mit Baumkindern, die aus ihren Ästen wachsen, nennt man Kandelaberfichte, und sie sieht auch wirklich wie ein Kandelaber aus. Schwarzfichten haben flache Wurzeln, und wenn ein alter Baum umstürzt, können die neuen Bäume auf den Ästen des alten Baumes ihre eigenen Wurzeln in den Boden hinabsenden und wachsen.

Forstleute haben großen Respekt vor diesem schlichten Baum, der geschickter als jeder andere den Kampf ums Überleben im hohen Norden führt. In Gegenden, wo ihre Samen leicht in den Boden gelangen, wächst die Fichte gerade und schlank und bis über die Mitte ihres Stammes fast ohne Äste. Solche Exemplare haben oft nur einen kleinen büschelförmigen Wipfel, so als hätten sie all ihre Wachstumskräfte darauf gerichtet, eine möglichst große Höhe zu erreichen. Aber Schwarzfichten nutzen die vorhandenen Wachstumschancen stets sehr gut aus. In Südlabrador habe ich sie wie Kirchtürme fast dreißig Meter hoch aufragen sehen. Aber ich habe auch ausgewachsene Schwarzfichten gesehen, die durch das kalte Wetter in der Tundraregion zu Zwergwuchs verdammt worden waren und mir nur bis an die Hüfte reichten. Hacken Sie eine dieser strauchartigen Pflanzen um, und zählen Sie die dicht beieinander liegenden Jahresringe, und Sie werden unter Umständen feststellen, daß der Baum über hundert Jahre alt ist."

 [Stewart, Robert: Labrador. -- Amsterdam : Time-Life, ©1977. -- (Die Wildnisse der Welt). -- S. 152 - 154]


6. Weiterführende Ressourcen


Walter, Heinrich <1898 - 1989> ; Breckle, Siegmar-Walter: Ökologie der Erde. -- Stuttgart : Fischer. -- (UTB : Große Reihe)

Bd. 3. -- Spezielle Ökologie der gemäßigten und arktischen Zonen Euro-Nordasiens. -- 2., überarbeitete Aufl. -- ©1994. -- 726 S. : Ill. -- ISBN 3-8252-8022-5. -- S. 466 - 624
Bd. 4. -- Spezielle Ökologie der gemäßigten und arktischen Zonen außerhalb Euro-Nordasiens. -- ©1991. -- 586 S. : Ill. -- ISBN 3-437-20371-1. -- S. 425 - 484

[Materialreiches Standardwerk]


Zu Kapitel 2: Das Ökosystem Wald. -- 9. Die Wälder der Zonobiome. --  9. ZB IX: Tundren und polare Wüsten (polares Zonobiom). -- URL: http://www.payer.de/cifor/cif0211.htm