Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Martin Luther

2. Teil: Theologisch-christologische Bestimmung des Glaubens


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Martin Luther. -- 2. Teil: Theologisch-christologische Bestimmung des Glaubens. -- Fassung vom 2005-07-21. -- URL: http://www.payer.de/fides/fidesluther02.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2005-07-21

Überarbeitungen:

Anlass: Zweiter Teil der Arbeit zur Erlangung des Magistergrades in evangelischer Theologie an der Universität Tübingen, 1968

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Zum 1. Teil: Empirisch-psychologische Bestimmung des Glaubens


Übersicht



Motto


Aus tiefer Not : Der 130. Psalm: «De profundis clamavi»

1. Aus tiefer Not schrei ich zu dir,
Herr Gott, erhör mein Rufen.
Dein gnädig Ohren kehr zu mir
Und meiner Bitt sie öffen.
Denn so du willst das sehen an,
Was Sünd und Unrecht ist getan,
Wer kann, Herr, vor dir bleiben?

2. Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gonst,
Die Sünden zu vergeben.
Es ist doch unser Tun umsonst
Auch in dem besten Leben.
Vor dir niemand sich rühmen kann,
Des muss dich fürchten jedermann
Und deiner Gnaden leben.

3. Darum auf Gott will hoffen ich
Auf mein Verdienst nicht bauen;
Auf ihn mein Herz soll lassen sich
Und seiner Güte trauen,
Die mir zusagt sein wertes Wort,
Das ist mein Trost und treuer Hort,
Des will ich allzeit harren.

4. Und ob es währt bis in die Nacht
Und wieder an den Morgen,
Doch soll mein Herz an Gottes Macht
Verzweifeln nicht noch sorgen.
So tu Israel rechter Art,
Der aus dem Geist erzeuget ward,
Und seines Gotts erharre.

5. Ob bei uns ist der Sünden viel,
Bei Gott ist viel mehr Gnaden;
Sein Hand zu helfen hat kein Ziel
Wie groß auch sei der Schaden.
Er ist allein der gute Hirt,
Der Israel erlösen wird
Aus seinen Sünden allen.

 

Text: Martin Luther, Achtliederbuch, 1524
Melodie: Johann Walther's Gesangbüchlein, 1524

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Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/spiritua/austiefe.html. -- Zugriff am 2005-07-21


Abkürzungen


WA = Luther, Martin <1483 - 1546>: D. Martin Luthers Werke : kritische Gesamtausgabe ; (Weimarer Ausgabe). -- Weimar : Böhlau, 1883 -

WATR = Luther, Martin <1483 - 1546>: D. Martin Luthers Werke : kritische Gesamtausgabe ; (Weimarer Ausgabe). --  [Abt. 2]: Tischreden. -- Weimar : Böhlau, 1912 - 1921. -- 6 Bde.

WADB = Luther, Martin <1483 - 1546>: D. Martin Luthers Werke : kritische Gesamtausgabe ; (Weimarer Ausgabe). --  [Abt. 3]: Die Deutsche Bibel. -- Weimar : Böhlau

Clemen = Luther, Martin <1483 - 1546>: Luthers Werke in Auswahl / unter Mitwirkung v. Albert Leitzmann hrsg. v. O. Clemen. -- Bonn : Marcus u. Weber, 1912 - 1933. -- 6 Bde.



Abb.: Meister M. S.: Friedrich der Weise, Herzog von Sachsen und Martin Luther in Anbetung des Kreuzes, 1. Hälfte 16. Jhdt.


2. Theologisch-christologische Bestimmung des Glaubens


2.1. Ist dein Glaube recht, so ist dein Gott recht


Das rechte Glauben und Vertrauen des Herzens macht den rechten Gott. Der Glaube ist nämlich ein Schöpfer der Gottheit, d.h. der Glaube schafft nicht etwas am göttlichen Wesen, sondern in uns:

"Vide, quid fides: — Est incomprehensibilis res et eius virtus inestimabilis, Dare gloriam Deo. non facit deo; sed fides, quia credit, deo reputat sapientiam, bonitatem, omnipotentiam, dat ei omnia divina. Fides est creatrix divinitatis non in persona [dei], sed in nobis. Extra fidem amittit deus suam iustitiam, gloriam, opes etc., et nihil maiestatis, divinitatis, ubi non fides. Vides quanta iustitia fides. Econtra. deus non requirit, quam ut faciam deum. si habet suam divinitatem integram, illesam, tunc habet, quidquid possum ei tribuere. Das ist sapientia sapientiarum, religio religiorum. Das macht die maxima maiestas quam fides tribuit deo. Quare fides iustificat, quia redit, quod debet; qui hoc facit, est iustus. Ut etiam iuristiae. Fides dicit sic: Ego credo tibi deo loquenti. Quid loquitur? impossibilia, mendacia, stulta, infirma, abhominanda, heretica, diabolica, — si rationem consulis ... Fides hanc rationem occidit et mortificat istam bestiam quam coelum et terra non possunt occidere nec omnes creaturae. Illa sic dicit de deo: quae ipsa aligit, placent deo. Si deus loquitur, est diaboli verbum, quia non videtur ei congruere. Sic Erasmiani metuuntur dei maiestatem secundum rationem."

(Vorlesung über den Galaterbrief, zu Gal 3,6; WA 40,II,360,2 - 361,11; Mitschrift Rörer).

"Sieh, was der Glaube ist: — er ist eine unbegreifliche Sache, und seine Kraft ist unschätzbar, er gibt Gott die Ehre. Er macht Gott nicht die Ehre; sondern der Glaube, weil er glaubt, rechnet Gott Weisheit, Güte und Allmächtigkeit zu und gibt ihm alles Göttliche. Der Glaube ist Schöpfer der Gottheit — nicht in der Person Gottes, sondern in uns. Außerhalb des Glaubens büßt Gott seine Gerechtigkeit, seine Ehre, seine Kraft usw. ein, und es ist weder Majestät noch Gottheit, wo nicht Glaube ist. Umgekehrt: Gott verlangt nichts als dass ich ihn zum Gott mache. Wenn er seine Gottheit unversehrt und unverletzt hat, dann hat er alles, was ich ihm gewähren kann. Das ist Weisheit über alle Weisheit, Gottesdienst über allem Gottesdienst. Das kommt, da der Glaube Gott die höchste Herrlichkeit gibt. Daher rechtfertigt der Glaube, weil er gibt, was er schuldet; wer dies tut, ist gerecht. Wie auch die Juristen Gerechtigkeit so definieren. Der Glaube sagt so: Ich glaube dir, Gott, wenn du sprichst. Was spricht Gott? Unmögliches, Lügen, Dummes, Schwaches, Verabscheuungswürdiges, Häretisches, Teuflisches, — wenn du die Vernunft fragst. ... Der glaube tötet und mordet diese Vernunft, jene Bestie, die Himmel und Erde noch alle Kreaturen nicht töten können. Die Vernunft spricht so von Gott: was die Vernunft auswählt, soll Gott gefallen. Wenn Gott redet, ist es des Teufels Wort, weil es mit der Vernunft nicht übereinzustimmen scheint. So messen die Erasmianer die Herrlichkeit Gottes an der Vernunft."

2.1.1. Abergott


Vertraut man nun nicht auf Gott allein, sondern auf das, was man selber hat oder hervorbringt, oder über das man verfügt, lässt man Gott nicht Gott sein und gibt ihm nicht seine Ehre. Wenn der Mensch also einen Gott nach seinem eigenen Gutdünken dichtet, hat man einen Abergott:

"Eisdem gradibus pervenitur etiam nunc ad spiritualem et subtiliorem idolatriam, quae nunc frequens est, qua Deus colitur, non sicut est, sed sicut ab eis fingitur et estimatur."

(Römerbriefvorlesung, 1515/16; zu Röm 1,21; WA 56, 179; Clemen V,226).

"Auf denselben Stufen gelangt man jetzt auch zum geistlichen Götzendienst feinerer Art, der nun häufig ist, durch den Gott nicht so geehrt wird, wie er ist, sondern wie der von den Menschen erdichtet und eingeschätzt wird."
"In hoc ergo erraverunt, quod hanc divinitatem non nudam reliquerunt et coluerunt, sed eam mutaverunt et applicuerunt pro votis et desyderiis suis. Et unusquisque divinitatem in eo esse voluit, qui sibi placeret, et sic dei veritatem mutaverunt in mendacium."

(Römerbriefvorlesung, 1515/16; zu Röm 1,20; WA 56, 177; Clemen V,225).

"Darin haben die Heiden geirrt, dass sie diese Gottheit nicht unbekleidet ließen und sie so erehrten, sondern sie veränderten sie und glichen sie ihren Wünschen und Sehnsüchten an. Und jeder wollte die Gottheit in dem haben, der ihm gefiel. So veränderten sie die Wahrheit Gottes zur Lüge."

Dem Menschen ist der Hang zum Abergott eigen:

"Vanum est cor hominis.Necesse est fidere hominem aliquo, sed deo fidere non potest, ideo necesse est fidere creaturae. Sub papa fidebant operibus suis, sed ruentibus operibus alia quaerere necesse est. Igitur vel novis operibus (ut Anabaptistae) vel opibus et armibus nunc fidunt. Die Welt wil und mus einen Abgott haben, denn sie ist des Teufels. Ideo non te moveat eius ingratitudo vel malitia. Lass ymmer gehn!"

(WATR 1,535; 1533; Veit Dietrich).

"Nichtig ist des Menschen Herz. Es ist notwendig, dass der Mensch auf etwas vertraut, aber Gott vertrauen kann er nicht; also ist es notwendig, Geschaffenem zu vertrauen. Unter dem Papst vertrauen sie ihren eigenen Werken. Nachdem nun die Werke zusammengestürzt sind, ist es notwendig, etwas anderes zu suchen. Deshalb vertrauen sie entweder neuen Werken (wie die Wiedertäufer) oder Reichtum und Waffen. Die Welt will und muss einen Abgott haben, denn sie ist des Teufels. Also möge dich der Welt Undankbarkeit und Schlechtigkeit nicht bewegen. Lass ymmer gehn!"

Rechter Glaube richtet sich also


2.1.2. Wahrer Gott


Rechter Glaube also besteht darin, dass das Herz nicht nach eigenem Belieben Gott ankleidet, sondern ihn so nimmt, so von ihm denkt und hält, wie er in Wahrheit sich gibt. Der wahre Gott aber begegnet dem Menschen in zweifacher Weise:


2.1.2.1. Deus absconditus verborgener Gott


Der deus absconditus [verborgene Gott] ist der deus nudus [nackte Gott], das ist Gott, von dem jeder Mensch weiß, den aber niemand kennt. Da er absolut unbegreiflich und schrecklich ist, versuchen di Menschen, ihn mit eigenen Erdichtungen anzukleiden, statt ihm allein die Ehre zu geben. Das heißt gegenüber dem deus absconditus [verborgenen Gott]: zu schweigen. Der angekleidete deus absconditus ist der Abergott der Heiden.

Gott aber will sich über alles frei bewahren und hat sich als deus absconditus davor bewahrt, vom gläubigen Menschen ganz begriffen zu werden:

"Neque enim tum verbo suo definivit sese, sed liberum sese reservavit super omnia."

(De servo arbitrio, 1525; WA 18,685; Clemen III,177,38f.).

"Denn dann [d.h. als deus absconditus] hat er sich nicht durch sein Wort verpflichtet, sondern sich frei über allem bewahrt."

Gott bleibt immer auch deus absconditus, damit er dem Menschen nicht verfügbar wird. Darin gründet auch, dass der Glaube immer in der tentatio [Anfechtung] steht: es wird dem Menschen alles unbegreiflich. Glaube richtet ich ja auf das Gegenteil von dem, was der Mensch normalerweise annehmen würde:

"Sed fides et spiritus aliter iudicant, qui Deum bonum credunt, etiamsi omnes homines perderet."

(De servo arbitrio, 1525; WA 18,708; Clemen III,202,29f.).

"Glaube und Geist urteilen aber anders: sie glauben, dass Gott gut ist, auch wenn er alle Menschen vernichtete."

Der Glaube hält sich aber in der tentatio [Anfechtung] an das Wort Gottes, an den deus promissionibus indutus [mit Verheißungen bekleideten Gott]. Nur da Gott sich in seinem Worte treu verpflichtet hat, kann der Gläubige wider alle Erfahrung gewiss sein.

"Christianorum enim haec una et summa consolatio est in omnibus adversitatibus, nosse, quod Deus non mentitur, sed immutabiliter omnia facit, et voluntati eius neque resisti, neque eam mutari aut impediri posse."

(De servo arbitrio, 1525; WA 18,619; Clemen III,11,11-15.).

"Für die Christen nämlich ist dies die einzige und höchste Tröstung in allen Widerwärtigkeiten, zu wissen, dass Gott nicht lügt, sondern untrüglich alles tut, und dass man seinem Willen weder widerstehen noch ihn ändern oder hindern kann."

2.1.2.2. Deus promissionibus indutus Gott mit Verheißungen bekleidet


Im Wort hat Gott den Gläubigen sein Heil, seine Gerechtigkeit, zugesagt. Der unendliche und unbegreifliche hat sich als gnädiger Gott mit seinen Verheißungen bekleidet (deus promissionibus indutus) und in ein Wort gefasst, das der Glaube fassen kann.

"Neque enim Deus, ut dixi, aliter cum hominibus unquam egit aut agit quam verbo promissionis. Rursus, nec nos cum deo unquam agere aliter possumus quam fide in verbum promissionis eius."

(De captivitate, 1520; WA 6,516,30-32; Clemen I,448).

"Wie ich sagte, Gott hat nie anders mit den Menschen gehandelt und handelt auch nicht anders al durch das Wort der Verheißung. Wiederum sage ich, dass wir mit Gott niemals anders handeln können als durch Glaube and das Wort seiner Verheißung."

 Diese Verheißung kann zweifacher Art sein:

"Sunt ergo promissiones legis conditionales, non gratis promittentes vitam, sed facientibus legem. Ideoque relinquunt conscientias in dubitatione, quia nemo legem facit. Promissiones vero Novi Testamenti nullam habent annexam conditionem neque exiguunt  quicquam a nobis neque pendent ex conditione nostrae dignitatis, sed afferunt et donant nobis gratis remissionem peccatorum gratiam, iustitiam et vitam aeternam propter Christum."

(Vorlesung über den Galaterbrief, 1535, zu Gal 4,24; Druck; inhaltlich mit Mitschrift Rörer übereinstimmend; WA 40,I,659,10-16.).

"Die Verheißungen des Gesetzes sind bedingte: sie verheißen das Leben nicht umsonst, sondern denen, die das Gesetz tun. Deshalb lassen die Verheißungen des Gesetzes die Gewissen im Zweifel, weil niemand das Gesetz tut. Die Verheißungen des Neuen Testaments aber haben keine angehängte Bedingung, und fordern nichts von uns, noch hängen sie von der Bedingung unserer Würdigkeit ab, sondern sie bringen und schenken uns die Vergebung der Sünden, Gnade, Gerechtigkeit und ewiges Leben um Christi willen umsonst."

2.1.2.2.1. Die Verheißung des Gesetzes


Alle Verheißungen des Gesetzes sind also bedingte Verheißungen. Ist die Verheißung an eine zu leistende Bedingung gebunden, so gibt es natürlich keine iustificatio sola fide [Rechtfertigung allein aus Glauben]. Diese ist also nicht a priori abzuleiten, sondern wir wissen nur aus der faktischen Offenbarung, dass Gott faktisch (d.h. de potentia ordinata [durch die geordnete Macht, durch die sich Gott selbst bindet]) die Gerechtigkeit sola gratia [allein aus Gnade], sola fide [allein aus Glauben] gibt.


2.1.2.2.2. Die Verheißung des Evangeliums


Indem Gott seine Verheißung ohne jede Bedingung gibt, zeigt er sich als gnädiger Gott — hätte er seine Verheißung an eine zu leistende Bedingung geknüpft, wäre er ein zorniger Richter.

Die Verheißung des Evangeliums ist nur mit dem Glauben zu fassen: diese bedingungsfreie Verheißung ist aber Jesus Christus.


2.1.2.2.2.1. Christus


Außerhalb Christi gibt es keinen gnädigen Gott:

"ac illi, qui abque revelato Christi steigen und clettern in himel und meinen, sie haben beide fues darinnen, so burtzeln sie herunter. Aber wir sollen das Jesulein annehmen und an ihm hangen, quia Pater in Filio et Filius in Patre est. Haec est unica via, sonst findestu es nit und brichst den hals entzwei."

(WATR 5,5658a, Jahr fraglich; aus HS Clm 937).

"Und jene, die ohne geoffenbarten Christus in den Himmel steigen und klettern und meinen, sie haben beide Füße darinnen, so purzeln sie herunter. Aber wir sollen das Jesulein annehmen und an ihm hangen, da der Vater m Sohn und der Sohn im Vater ist. Dies ist der einzige Weg, sonst findest du es nicht und brichst den Hals entzwei."

Der Glaube kann aber nicht die göttliche Natur Christi begreifen, sondern muss sich an die menschliche halten. In Christus ist die Grundstruktur des Geglaubten gegeben: die absconditas sub contrario [Verborgenheit unter dem Gegenteil], die in Christus am Kreuz ihren Höhepunkt erhält (theologia crucis [Theologie des Kreuzes]).

Christus kann doppelt gefasst werden:


2.1.2.2.2.1.1. Christus als Exempel


Der Glaube an Christus hat nun aber nicht Christus als Exempel, sondern Christus als reines Geschenk zum Inhalt. Würde sich der Mensch mit seinem Glauben an Christus als Exempel halten, würde er wieder selbst etwas leisten wollen, und nicht rein passiv sich die Gerechtigkeit schenken lassen. Christi Vorbild nachzufolgen, ist erst die Folge des Glaubens:

"Christus als eyn gabe nehret deynen glauben und macht dich zum Christen. Aber Christus als ein exempel übet deyne wercke; die machen dich nit Christen, sondern sie gehen von dyr Christen schon zuvor gemacht. Wie ferne nu gabe und exempel sich scheyden, so fern scheyden sich auch glawbe und wercke, der glawbe hatt nichts eygenes, sondern nur Christus werck und leben, die werck haben etwas eygenes von dyr, sollen aber auch nit deyn eygen, sondern des nehisten seyn."

(Adventspostille, Vorwort, 152; WA 10,I,1,12f.).


2.1.2.2.2.1.2. Christus als Geschenk


"10. Oportet igitur de alia fide quadam eum loqui, quae faciat Christum in nobis efficacem contra mortem et legem.

12. Hec est autem fides apprehensiva (ut dicimus) Christi, pro peccatis nostris morientis, et pro iustitia nostra resurgentis.

16. Haec est illa fides, quae vere infusa dici debet, nec viribus nostris acquiri (sicut illa acquisita) potest."

(Thesen de fide, 1535; WA 39,I,45

"10. Er muss also von irgendeinem anderen Glauben reden, der Christus in uns wirksam gegen Tod, Sünde und Gesetz macht.

12. Dies ist aber der Christus ergreifende Glaube (wie wir sagen), der Christus ergreift, der für unsere Sünden stirbt und für unsere Gerechtigkeit aufersteht.

16. Dies ist jener Glaube, der wahrhaft 'eingegossen' genannt werden muss, und nicht durch unsere Kräfte erlangt werden kann (wie der erworbene Glaube)."

Christus als reines Geschenk ist der Gegensatz zu Christus als legislator [Gesetzgeber] und Christus als Exempel: die Gerechtigkeit ist ja an keinerlei zu leistende Bedingung mehr gebunden:

"Non solum nobis natus, sed et datus. Audi: est, est dare, donare, debet esse nostrum donum, i.e. dein sin, non opus, ut man geben drumb, sed debet esse donum."

(Predigt zu Jesaja 9,5, 1531; Mitschrift Rörer; WA 34,II,509.).

"Er ist nicht nur für uns geboren, sondern uns geschenkt. Höre: es ist, es ist geben, schenken, es muss Geschenk an uns sein, d.h. dein sein, nicht als Werk, für das man etwas gibt, sondern es muss ein Geschenk sein."

Erst in Christus wird iustificatio sola fide [Rechtfertigung allein aus Glaube] möglich. Christus kommt als Geschenk in unsere leeren Hände, bzw. nimmt Wohnung im Herzen des Menschen, das ihn im Glauben erfasst: so wird alles, was Christus hat, des Menschen Eigen. In einem Bild drückt Luther das oft so aus: durch den Glauben wird die Seele mit Christo vereinigt wie eine Braut mit ihrem Bräutigam, sodass Christus alle Sünde des Menschen auf sich nimmt, der Mensch hingegen von Christus im Glauben die Gerechtigkeit empfängt, die ihn vor Gott gerecht macht. Das ist der fröhliche Wechsel. Wie Christus im Menschen gegenwärtig ist, bleibt unbegreiflich. Was die Seele glaubt, hat sie durch Christus. (Freiheit, 1520; WA 7,25f.. Nr. 12).

Abgrenzung vom Dämonenglauben: das pro nobis [für uns]:

"Nu hab ich offt gesagt von zweyerley glauben. Der erst, so du wol gläwbist, das Christus eyn solch Mann sey, wie er hie und ymn gantzen Evangelio beschrieben und gepredigt, aber du gläwbist nit, das er dyr ein solch man sey, tzweyffelst dran, ob du solch von yhm habist unnd haben werdest, unnd denkist: ja, er it wol eyn solch man den andern, alß St. Peter, Paul unnd den frummen heyligen, wer weyß, ob er myr auch also sey unnd ob ich mich eben desselbigen tzu ihm solle vorsehen unnd drauff lassen wie dieselbigen heyligen. Sihe, diser glaube ist nichts, empfehet auch noch schmeckt Christum nymmer mehr, kan auch keyn lust noch liebe von yhm und tzu yhm empfinden. Es ist eyn glawbe von Christo und nit tzu oder ynn Christum, wilchen auch die teuffel haben sampt allen bößen menschen; denn wer gläwbt nit, daß Christus den heyligen eyn gnädiger könig sey? Dißen heyllosen unnd nichtigen glawben lehren itzt die vordampten teuffelssynagogen, die hohen schulen Pariß mit yhren schwesternn, sampt den klosternn und allen papisten; sprechen, derselbige glawb sey gnug, das er Christen mache."

(Adventspostille, zu Mt 21,1-19; 1522; WA 10,I,2,24,2-17.).

Zum pro nobis [für uns] kann man aber nicht nur einfach zustimmen, sondern muss es gewiss erfahren haben, sodass es in aller Anfechtung durchhält (Vgl. oben 1.2.2.2.3.).

Rechter Glaube also hält sich allein an des, was der gekreuzigte (und auferstandene) Christus für uns getan hat, denn nur durch ihn werden wir erlöst.

Gott hat sich in seiner Verheißung streng an Christus gebunden. Auch die Väter des Alten Bundes wurden allein durch den Glauben an Christus erlöst, indem sie auf die Verheißung von der leiblichen Zukunft Christi vertrauten:

"Credebant in deum, sed eum, qui Christum promiserat, et hunc expectabant."

(Thesen über Daniel 4,24; 1535; WA 39,I,64, Nr. 2.).

"Sie [die Väter] haben an Gott geglaubt, aber an den Gott, der Christus verheißen hat, und haben Christus erwartet."

2.1.2.2.2.2. Der gnädige Schöpfergott


Der Glaube an Christus schafft im Menschen den gnädigen Schöpfergott, der aus nichts schafft. (Vgl. Wider Latomus; 1521; WA 6,106.).

Ist nun aber nicht doch der Glaube selbst eine Bedingung, an die Gott seine Gerechtigkeit bindet? Nein. Gott kommt dem Menschen i jeder Beziehung zuvor, indem er in den Menschen durch den Heiligen Geist Glauben schafft.

Wenn Luther vom Glauben als höchstem und erstem Werk spricht, ist das nicht ein Werk im Sinne der Werkgerechtigkeit, sondern entsteht durch den Sprachgebrauch im Zusammenhang mit dem ersten Gebot bzw. wegen Joh 6,28ff. Außerdem betont Luther durch den Sprachgebrauch des Glaubens als Werk den aktualen Glauben: siehe Von den guten Werken; 1520; WA 6,204, zum 2. und WA 6,206, zum 4.


2.2. Ursprung und Zeuge des Glaubens (der Heilige Geist)


"Ich glaub nit allein/das der heylig Geyst/ein wahrhafftig gott ist mit dem vatter und Sun/sondern auch ynn und zu dem Vatter durch Christum und seyn leben/leyden/sterben und alles was von yhm gesagt ist/niemant kummen noch ettwas desselben erlangen mag/on des heyligen geysts werck/mit wilchem der Vatter und der Sun/mich und alle die seynen/rüret/wecket/ruffet/zeucht/durch und ynn Christo lebendig/heylig und geystlich macht/und alßo zum Vatter bringt/dan er ist das/da mit der vatter durch Christum und ynn Christo/alles wirckt und lebendig macht."

(Eine kurze Form des Glaubens; 1520; WA 7,218; Clemen II,50f.).

"Daß wir also in unser Bekehrung und Rechtfertigung fur Gott innwendig nichts thun noch wirken mit unsern Kräften und freiem Willen, auch das allergeringste nicht, sondern nur leiden, und lassen uns den Hl. Geist durch das Wort zurichten und schaffen wie ein Töpfer seinen Ton."

(WATR 5,5189; 1540; J. Mathesius).

Der uns vom Vater geschenkte Heilige Geist ist also der Wirker unseres Glaubens, der den Anfang des Glaubens und das Durchhalten des Glaubens schafft, indem er den Menschen weckt und geistlich macht.

"Fides etiam per spiritum sanctum donatur merito Christi in verbo et auditu euangelii."

(Kommentar zum Galaterbrief; 1519; zu Gal 3,14; WA 2,518,21f.).

"Der Glaub wird durch den Heiligen Geist geschenkt, auf das Verdienst Christi hin, im Wort und im Hören des Evangeliums."

2.2.1. Das Wort


Der Heilige Geist ist aber bei Luther streng an das Wort gebunden:

"Denn er will niemant den geyst noch glauben geben on das eusserliche wort und zeychen, so er dazu eingesetzt hat."

(Wider die himmlischen Propheten, 2. Teil; 1525; WA 7,24; Clemen II, 14).

Das Wort nämlich macht das Verborgene offenbar, und der Glaube kann sich daran halten, weil Gott wahrhaftig ist. Gott macht im Wort die Erfüllung seiner Verheißung offenbar, sagt alle Gnade, Gerechtigkeit, Friede und Freiheit zu. Wer auf dies Wort recht vertraut, hat alle Güter, die das Wort hat, denn "glaubstu so hastu" (Freiheit eines Christenmenschen; 1520; WA 7,24; Clemen II, 14).

"Also auch der glaub machet die sel, das sy gantz verainigt wirt mit dem wort und durchfeüret sy und durchgütet sy, das sy gantz der natur wird, dero das wort ist, und wie man nit thadlen kan das wort, also kan man auch das gewissen nit tadlen, wann es ist ein kuchen worden auß dem Wort und glauben."

(Sermo von der Himmelfahrt Mariä; 1522; WA 10,III,271,28-34).

In einem Bild vergleicht Luther das Wort mit einer Mutter, darin wir empfangen, getragen, geboren und erzogen werden (Vorlesung züber den Galaterbrief; 1531; zu Gal 4,7; Mitschrift Rörer; WA 40,I,397).

Gegenüber den Schwärmern betont Luther das äußere Wort:

"Drum die da den geist rümen und suchen sonderliche Offenbarung und Träume, die sind ungläubig und Verächter Gottes; denn sie lassen sich an Gottes Wort nicht begnügen, wollen damit nicht zufrieden seyn. In geistlichen Sachen suche noch begere ich keine Offenbarung noch Träume. Ich habe ein klar Wort, dabei allein bleib ich. Wie auch St. Paulus vermahnet und lehret, daß wir uns daran sollen halten und hängen, wenn gleich auch ein Engel vom Himmel anders lehrete ..."

(WATR 5,6211; Jahr fraglich; A Lauterbach).

Diese Bindung an das äußere Wort ist darin begründet, dass Gott es faktisch so will:

"Ibi ordinem vides quando spiritus sol kommen. Non quando serpis in angulum absque lectione verbi. Elisabeth fuerat in secretis locis, si die einsamkeit hülffe, certe etc. Sed quia Maria salutat Et eben durchs wort ita loquitur et Iohannes salit. Ipsi blasphemant verbum externum facere scribas. Nos quoque externum verbum nihil esse, Sed quando dominus per hoc aliquid facere vult, wer wil ihms wehren? Scio gladium neminem occidere, sed si carnifex in manus sumpserit et percusserit ... Sic verbum nihil facit, sed quando verbum Dei et deus loquitur, sine fructu non abgehts, frustra non loquitur deus. Nam si dei verbum, so mus es schaffen."

(Predigt am Tage vor Mariä Heimsuchung; 1528; Nachschrift Rörer; WA 27,231,1ff.).

"Dort siehst du die Ordnung, wenn der Geist kommen soll. Nicht wenn du dich in der Ecke verkriechst ohne das Wort zu lesen. Elisabeth war an einsamen Orten gewesen, wenn die Einsamkeit etwas hülfe, gewiss usw. Aber weil Maria sie grüßt und eben durchs Wort so spricht, hüpft Johannes. Jene Schwärmer lästern, das äußerliche Wort mache nur Schriftgelehrte. Auch wir sagen, das äußerliche Wort sei nichts. Wenn aber der Herr etwas durch es tun will, wer will ihm wehren? Ich weiß, dass das Schwert niemanden tötet, aber wenn der Henker es in die Hand nimmt und zustößt.... So tut auch das Wort nichts. Aber wenn es Gottes Wort ist und Gott es spricht, so geht es ohne Frucht nicht ab, Gott spricht nicht vergeblich. Wenn es nämlich Gottes Wort ist, so muss es schaffen."

Glaubt der Mensch dem Wort Gottes, so anerkennt er, dass Gott wahrhaftig ist und gibt ihm so die Ehre (Vgl. Freiheit eines Christenmenschen; 1520; WA 7,25). Die Anerkennung der Wahrhaftigkeit Gottes ist aber nicht etwas, was der Mensch aus sich leisten kann, sondern eine Erfahrung, die Gott selbst durch das Wort wirkt. (Vgl. Predigt 'Attendite a falsis prophetis', zu Mt 7,15f.; 1522; WA 10,III,260,8ff.).

Die Anerkennung de eigenen Sünderseins ist, wie Luther einmal formuliert, Gerechtigkeit, weil man damit Gottes Wahrhaftigkeit anerkennt:

"Quid est Iustitia? Est accusatio sui. Quid Iustus? Accusator sui. Quare? Quia praevenit Iudicium dei et idem damnat, quod deus damnat, scilicet seipsum, ideo per omnia consentit cum deo ac per hoc verax, Iustus etc."

(Brief an Spalatin; 1518-02-15; zu Ps. 147,11; WA Briefe 1,145.).

"Was ist Gerechtigkeit? Selbstanklage. Was der Gerechte? Ankläger seiner selbst. Weshalb? Weil der dem Urteil zuvorkommt und dasselbe verurteilt wie Gott, nämlich sich selbst. Also stimmt er in allem mit Gott überein und mit Gottes Gericht. Er hat denselben Willen wie Gott, dadurch ist er wahrhaftig, gerecht usw."

2.2.2. Die Sakramente


  1. Dass der Glaube durch das Wort entsteht, ist nicht so zu fassen, dass dadurch die Heilstatsachen und die Sakramente ausgeschlossen sind, sondern das Wort macht offenbar, was in den Sakramenten geschieht, und as der Glaube durch die Sakramente empfangen kann. Also nützen die Sakramente nichts ohne das erklärende Wort, und nur der Glaube allein kann die Zusage, die ihm im Sakrament gegeben ist, als für ihn gegeben annehmen.
  2. Bei Luther gibt es nun aber keinen Artikel des Glaubens, der nicht in ein äußerliches Ding gefasst ist:

     
    "Sed quod deus creavit, nemo videt, ratio non, sed fides fasset. Sic Iesus: video hominem, sed fides ostendit invisibilem rem etc. Non habemus articulum fidei, qui non habeat zum furbild ein euserlich Ding, Sed distingue de externi quae deus et homo hat gestellt. Dominus steck etwas hinders brod, das ich mit dem wort und glauben fassen mus. Hoc ideo, ut arripiamus loco contra Schwermeros. Fides proponit aliquam rem invisibilem quae tamen est in re visibili. Quicquid est praeceptorum dei, das ist gefast in externam rem. Sic fides heret am verborgen et tamen oculis videt externe."

    (Predigt am Tage Mariä Heimsuchung; 1528; Nachschrift Rörer; WA 27,234.).

    "Aber, dass Gott geschaffen hat, sieht niemand, die Vernunft nicht, aber der Glaube erfasst es. So Jesus: ich sehe einen Menschen, aber der Glaube zeigt eine unsichtbare Sache usw. Wir haben keinen Glaubensartikel, der nicht als Sinnbild hat ein äußerliches Ding. Unterscheide aber in den äußerlichen Dingen die, die Gott, und die, die der Mensch aufgestellt hat. Der Herr steckt etwas hinter das Brot, das ich mit Wort und Glauben fassen muss. Das deswegen, damit wir Argumente gegen die Schwärmer haben. Der Glaube stellt irgendeine unsichtbare Sache vor Augen, die aber dennoch in einer sichtbaren Sache ist. Was zu den Geboten Gottes gehört, das ist in eine äußerliche Sache gefasst. So hängt der Glaube am Verborgenen und sieht dennoch äußerlich mit den Augen."

    Gott will also seine Verheißung in die äußerlichen Dinge bei den Sakramenten stecken: im Wasser der Taufe sagt Gott dem Menschen die ewige Seligkeit zu und im Abendmahl die Stärkung des Glaubens in der Sündenvergebung.

  3. Nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben wird der Mensch würdig, die Sakramente recht zu empfangen. (Großer Katechismus; 1529; WA 30,I,215.).

2.2.2.1. Die Taufe


  1. Die Taufe ist keineswegs unser Werk — wie Luther immer vorgehalten wurde —, sondern Gottes Werk, das wir allein im Glauben empfangen können.
  2. Um die an die Taufe gebundene Verheißung recht und fest zu glauben, muss ein Christ sein ganzes Leben lang den Glauben üben. (Großer Katechismus; 1529; WA 30,I,217.).
  3. Die Taufe selbst ist immer recht, weil sie nicht an die Würde irgendeines Menschen, sondern nur an Gottes Wort gebunden ist. Ihre Verheißung kann aber nur vom Glaubenden angenommen werden.
  4. Kann nun auch ein Kind die Taufe im Glauben annehmen. Im Großen Katechismus führt Luther aus, dass das Kind aus der Überzeugung heraus getauft wird, dass es einen Glauben der Kinder gibt. Man bittet bei der Taufe Gott, dass er dem Kind Glauben schenke.
    Die Überzeugung vom Glauben der Kinder hat ihren Anhalt in der Erfahrung, dass es viele getaufte Leute gibt, an denen man spürt, dass sie den Heiligen Geist haben: sie können die Schrift auslegen und Christus erkennen. Gott bestätigt also die Kindertaufe durch Eingebung seines Heiligen Geiste.  (Großer Katechismus; 1529; WA 30,I,218f.).

2.2.2.2. Das Abendmahl


In der Taufe werden wir neu geboren; da aber daneben der alte Mensch noch bleibt, muss der Glaube sich durch das Abendmahl erholen und stärken. Da das Sakrament des Altars in den Worten "für euch gegeben und vergossen" uns zugeeignet wird, hat der daran Glaubende beides:

Allein im Glauben kann die im Sakrament verheißene Sündenvergebung empfangen werden.

(Zum Ganzen: Großer Katechismus; 1529; WA 30,I,225ff.).


2.3. Der Ort des Gläubigen: Kirche und Welt


2.3.1. Die Kirche


Christliche Kirche ist nur, wo der Heilige Geist ist; der Heilige Geist aber erweckt die Herzen, dass sie allein auf Christus vertrauen. Zu glauben, weil die Kirche laubt, nützt mir nichts, sondern ich muss selber gewiss werden, dass das, was die Kirche lehrt, wahre Verheißungen Gottes sind.

Der Glaube an die Kirche (im Glaubensbekenntnis: et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam [und die eine heilige katholische und apostolische Kirche]) besagt nichts anderes als dass es ein heiliges Häuflein auf Erden gibt, das der Heilige Geist zusammengerufen hat. Großer Katechismus; 1529; WA 30,I,190.).

Heilig ist die Kirche durch das Wort Gottes und rechten Glauben:

"Ich gleube eine heilige Christliche Kirche. Diese heiligkeit stehet nicht ynn Korhemden/blatten/langen röcken/und andern jren Ceremonien/durch sie/uber die heilige schrifft/ertichtet/Sondern im wort Gottes und rechtem glauben."

(Schmalkaldische Artikel; 1538; Von der Kirchen; WA 50,250; Clemen IV,318f.)

So wird auch der Mensch immer mehr heilig gemacht, worauf er jetzt noch durchs Wort im Glauben wartet. Die aber, die sich ihre Heiligkeit selbst durch eigene Werke verdienen wollen, haben sich von der heiligen Kirche getrennt. Großer Katechismus; 1529; WA 30,I,191f.).


2.3.2. Die Welt


Für den Gläubigen ist das Verhalten der Welt ihm gegenüber ein Prüfstein, ob sein Glaube recht ist. Die Welt mit dem Teufel kämpft nämlich mit Gewalt, Unrecht und Verfolgung gegen den Gläubigen, der allein sein Herz an Gott gehängt hat. Rechter Glaube darf auch der Welt gegenüber nicht weichen — selbst aus Liebe nicht, er vertritt ja die Wahrheit.


3. Zusammenfassung: Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Luther


3.1. Fides iustificans rechtfertigender Glaube


Aus dem Bisherigen ergibt sich:

  1. Nur Glaube lässt Gott so sein, wie Gott sich gibt
  2. Gott schenkt dem Menschen de facto in Christus die Gerechtigkeit ohne jede zu leistende Bedingung.
  3. Diese Gerechtigkeit erhält der Mensch allein durch Wort und Sakrament, wodurch Gott in ihm den Glauben schafft.
  4. Gott kann noch will jemanden ohne Glauben selig machen, denn er kann nicht von seiner Verheißung abgehen und sich damit selbst verleugnen (Vgl. Ein Sendbrief über die Frage, ob auch jemand ohne Glauben verstorben selig werden möge; 1522; WA 10,I,322-326).
  5. Allein der so von Gott geschaffene Glaube hält sich ganz und allein an Christus und empfängt im fröhlichen Wechsel die ganze Gerechtigkeit, die auch die einzige Gerechtigkeit des Menschen vor Gott ist.
  6. Der Glaube ist immer unvollkommen, d.h. der Mensch kann sich nicht auf seinen Glauben stützen, sondern nur auf die Verheißung extra nos [außerhalb von uns].
  7. Allein auf den Glauben ist die Kirche aufgebaut.
  8. Allein aus dem Glauben entspringen die guten Werke, sie tragen zur Rechtfertigung aber nichts bei.

3.2. Die Wirkungen der fides iustificans des rechtfertigenden Glaubens


Mit dem Bild vom guten Baum, der selbstverständlich gute Früchte bringt, erklärt Luther die Jakobusstelle: Ein Glaube ohne Werke ist tot, die gegen das sola fide [allein aus Glauben] eingewendet worden war. das sola fide bezieht sich nämlich allein auf die Rechtfertigung, während die Werke nur die Folge eines rechten Glaubens sind — so aber Gott angenehm sind.

"Opera sequuntur iustificationem fidei infallibiliter, cum non sit otiosa."

(Resolutio disputationis de fide infusa et acquisita; 1520; WA 6,95,6.).

"Die Werke folgen auf die Rechtfertigung des Glaubens unfehlbar, da dieser nicht müßig ist."
"Fatemur opera bona fidem sequi debere, imo non debere, Sed sponte sequi sicut arbor bona non debet bonos fructus facere, sed sponte facit."

(Thesen de fide; 1535; WA 39,I,45.).

"Wir bekennen, dass gute Werke dem Glauben folgen müssen. Ja, nicht müssen, sondern von selbst folgen. Wie ein guter Baum nicht gute Früchte bringen muss, sondern es von selbst tut."

Das Argument für die fides caritate fomata [den durch Liebe geformten Glauben], das man aus Gal 5,6 nahm, entkräftigt Luther so:

"Paulus non dicit: fides per caritatem iustificat, sed sic dicit: fides per caritatem est efficax seu operosa."

(Promotionsdisputation von H. Schmedenstede; 1542; WA 39,II,188.).

"Paulus sagt nicht: Glaube rechtfertigt durch die Liebe, sondern er sagt so: Der Glaube ist durch die Liebe wirksam und tätig."

Es ist zu unterscheiden:

Vermischt der Gläubige das coram Deo [vor Gott] (Glaube und Dankbarkeit) mit dem coram mundo [vor der Welt] (Werke und tätige Liebe), und meint mit Werken vor Gott etwas leisten zu können, damit er durch diese gerechtfertigt werde, traut er nicht der Verheißung, sondern macht Gott zum Lügner:

"In via iustitiae, id est, in regno coelorum Christianus nihil videt nisi fidem et gratiam; in mundo autem omnino sollictus est bonorum operum, das er sich fleis erberlich [= ehrbar] und redlich zu leben. Und alßo geschichts, das der glaube gen himel und gute werk auff die erden gehoren; der glaube hinauff, gute werck herunter."

(WATR 2,2291a; 1531; C. Cordatus).

"Auf dem Wege der Gerechtigkeit, d.h. im Himmelreich, sieht der Christ nichts außer Glauben und Gnade; auf der Welt aber ist er sehr eifrig zu guten Werken, das er sich fleis erberlich [= ehrbar] und redlich zu leben. Und alßo geschichts, das der glaube gen himel und gute werk auff die erden gehoren; der glaube hinauff, gute werck herunter."

Zu: Thesen zum Vergleich des rechtfertigenden Glaubens (fides iustificans) bei Luther und Zwingli