Kāmasūtra : Leitfaden der Liebeskunst

3. Buch III

5. Kapitel 5


verfasst von Vātsyāyana

übersetzt und erläutert von Alois Payer

mailto:payer@payer.de


Zitierweise | cite as:

Vātsyāyana: Kāmasūtra : Leitfaden der Liebeskunst / übersetzt und erläutert von Alois Payer. -- 3. Buch III. -- 5. Kapitel 5. -- Fassung vom 2007-05-31. -- http://www.payer.de/kamasutra/kamas305.htm        

Erstmals publiziert: 2007-05-31

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung SS 2007

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kanyāsaṃprayuktakaṃ tṛtīyam adhikaraṇam

Buch 3: Über Partnerwahl


pañcamo 'dhyāyaḥ

Vierter Lehrabschnitt


vivāhayogaprakaraṇam

Kapitel über die Hochzeitsverbindungen


Kommentar:

evam anurañjitāṃ svayaṃvarapravṛttāṃ ca gāndharveṇa yojayet | viparītām āsurādibhir iti vivāhayoga ucyate | tatra gāndharveṇa prāyaśo dṛśyante | tasyās tāvat sahāyasākhyavidhim āha --Wenn sie sich so verliebt hat und zur Selbstwahl geschritten ist, verbinde er sie sich durch die Gāndharva-Hochzeit. Wenn das bei ihr nicht der Fall ist, durch die Āsura-Hochzeit bzw. die darauf folgenden. Das nennt man Hochzeitsverbindung. Dabei findet man hauptsächlich die Verbindung durch die Gāndharva-Hochzeit. Vorerst stellt Vātsyāyana die Art und Weise dar, wie das Mädchen durch fremde Hilfe gewonnen wird.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.

prācuryeṇa kanyāyā viviktadarśanasyālābhe dhātreyikāṃ priyahitābhyām upagr̥hyopasarpet |1|

1. Wenn man wegen der Menge das Mädchen nicht allein zu sehen bekommt, dann schleiche man sich ein, indem man die Milchschwester durch Liebe und Fürsorge gewinnt.

sā cainām aviditā nāma nāyakasya bhūtvā tadguṇair anurañjayet | tasyāś ca rucyān nāyakaguṇān bhūyiṣṭham upavarṇayet |2|

2. Diese verstelle sich so, als ob sie den Liebhaber nicht kennt, und mache das Mädchen mit seinen Vorzügen verliebt. Und sie male ihr besonders die prächtigen Eigenschaften des Liebhabers aus.

anyeṣāṃ varayitr̥̄ṇāṃ dośān abhiprāyaviruddhān pratipādayet |3|

3. Die ihrer Absicht zuwiderlaufenden Fehler der anderen Freier stelle sie dar.

mātāpitroś ca guṇānabhijñatāṃ lubdhatāṃ ca capalatāṃ ca bāndhavānām |4|

4. Ebenso, dass die Eltern und Verwandten die Vorzüge des Freiers nicht erkennen, habgierig und leichtfertig sind.

yāś cānyā api samānajātīyāḥ kanyāḥ śakuntalādyāḥ svabuddhyā bhartāraṃ prāpya saṃprayuktā modante sma tāś cāsyā nidarśayet |5|

5. Und sie zeige dem Mädchen, dass auch andere, ihr ebenbürtige Mädchen - wie z.B. Śakuntalā1 - eigensinnig einen Mann genommen haben und sich mit diesem in sexueller Vereinigung vergnügt haben.

Kommentar:

1 Śakuntalā


Abb.: Śakuntalā / von Rājā Ravi Varmā  (രാജാ രവിവര്‍മ്മ) (1848-1906)

kauśikaḥ svatapovighnārtham indrasaṃpreṣitām apsarasaṃ menakāṃ dṛṣṭvā jātarāgaś cakame | sā ca tadvīryagrahaṇāt tatraiva kanyāṃ prasūya tyaktvā cāraṇye divaṃ jagāma | śakuntasaṃpātam adhyagatāṃ ca tām kanyāṃ kaṇvarṣiḥ karuṇayāśramam ānīya vardhitavān | yathārthaṃ ca śakuntaleti nāma cakre | sā ca kālena prāptayauvanā mṛgayāprasaṅgād āgataṃ duṣyantaṃ rājānaṃ dṛṣṭvā svabuddhyā pāṇiṃ grāhitavatī | Als Kauśika die Apsaras Menakā sah, die von Indra geschickt worden war, um seine Askese zu zerstören, erwachte in ihm die Leidenschaft und er liebte sie. Sie empfing seinen Samen und gebar dort eine Tochter, ließ sie in der Wildnis zurück und ging in den Himmel. Der Ṛṣi Kaṇva brachte dieses Mädchen, als es in einen Vogelschwarm (śakunta-saṃpāta) geraten war, aus Mitleid in seine Einsiedelei und zog es auf. Treffend nannte er sie  Śakuntalā. Als sie mit der Zeit ins Jugendalter gekommen war, traf sie König Duṣyanta, der bei einer Jagd dorthin gekommen war. Aus eigenem Sinn ließ sie ihn sie heiraten."
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.
mahākuleṣu sāpatnakair bādhyāmānā vidviṣṭā duḥkhitāḥ parityaktāś ca dr̥śyante |6|

6. In großen Familien sehe man Frauen, die wegen der Rivalitäten der Mitfrauen bedrückt, verhasst, unglücklich und verlassen sind.

āyatiṃ cāsya varṇayet |7|

7. Und sie male die Zukunft des Liebhabers aus.

sukham anupahatam ekacāritāyāṃ nāyakānurāgaṃ ca varṇayet |8|

8. Sie male ihr aus das unzerstörte Glück, da er nur mit ihr Verkehr hat, und die Verliebtheit des Liebhabers.

samanorathāyāś cāsyā apāyaṃ sādhvasaṃ vrīḍāṃ ca hetubhir avacchindyāt |9|

9. Wenn das Mädchen Verlangen empfindet, beende sie durch Argumente ihre Scheu vor Verderben, Angst und Scham.

Kommentar:

apāyam iti | vināśaṃ kutaścit | sādhvasaṃ bhayaṃ gurujanāt, vrīḍāṃ parijaneṣu | Verderben = Vernichtung von irgendwoher. Angst = Furcht vor ihren Autoritätspersonen. Scham vor den Mitmenschen.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.
dūtīkalpaṃ ca sakalam ācaret |10|

10. Sie erfülle alle Aufgaben einer Botin.

tvām ajānatīm iva nāyako balād grahīṣyatīti tathā suparigr̥hītaṃ syād iti yojayet |11|

11. Sie verkupple sie so: "Der Liebhaber wird dich mit Gewalt packen als ob du nichts davon wüsstest. So ist es eine gute Weibnahme."

Kommentar:

ajanātīm iva balāt kāreṇa grahīṣyati tadā na tava doṣaḥ | Als ob du nichts davon wüsstest, mit Gewalt (balātkāra) wird er dich packen, dann hast du keine Schuld.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.
pratipannām abhipretāvakāśavartinīṃ nāyakaḥ śrotriyāgārād agnim ānāyya kuśān āstīrya yathāsmr̥ti hutvā ca triḥ parikramet |12|

12. Der Liebhaber hole aus dem Hause eines Śrotriya1 Feuer, streue Kuśa-Gras2, opfere entsprechend seiner Tradition3 und heirate das Mädchen, das er gewonnen hat und das sich am verabredeten Ort befindet, indem er dreimal das Feuer umschreitet4.

Kommentar:

śrotriyeti | tatrāgneḥ saṃskṛtatvād ity arthaḥ | yathāsṃṛti svagṛhyoktavidhinā | triḥ parikramet agniṃ bhramayet || Srotriya -- gemeint ist: da das Feuer dort opfertauglich (saṃskṛta) ist. Entsprechend seiner Tradition = auf die in seinem Gṛhyasūtra gelehrte Weise. Dreimal umschreiet -- um das Feuer führt.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.

1 Śrotriya

Vgl. Āpastamba II.3.6.4 = II.6.4:

dharmeṇa vedānām ekaikāṃ śākhām adhītya śrotriyo bhavati | Wenn [ein Brahmane] je einen Zweig (śākhā) der Veden studiert hat [d.h. wohl: von jeden Veda in dem śākhā seiner eigenen Tradition].
Āpastamba II.3.6.4 = II.6.4

2 Kuśa-Gras:


Abb.: Kuśa (Desmostachya bipinnata (L.) Stapf)

[Bildquelle: Häfliger, Ernst ; Scholz, Hildemar: Grass weeds. -- Basel : Ciba-Geigy, 1980-1982. -- 3 Bde. : Ill. -- (Documenta / Ciba-Geigy). -- Bd. 2. -- S. 59 ]

3 seiner Tradition: dem Gṛhyasūtra seines vedischen śākhā

4 dreimal das Feuer umschreitet:


Abb.: "dreimal das Feuer umschreitet": Hochzeit, Jaipur, 2005
[Bildquelle: EricBartholemew. -- http://www.flickr.com/photos/ericbartholemew/60052852/. -- Zugriff am 2007-05-31. -- AttributionNoncommercialShare AlikeCreative Commons Lizenz (Namensnennung, keine kommerzielle Nutzung)]

zum Hochzeitsritual siehe:

Payer, Alois <1944 - >: Dharmashastra : Einführung und Überblick. -- 10. Sakramente und Übergangsriten (samskara). -- 5. Hochzeitsriten = Vivaha. -- URL: http://www.payer.de/dharmashastra/dharmash105.htm

tato mātari pitari ca prakāśayet |13|

13. Dann künde er es ihrem Vater und ihrer Mutter.

Kommentar:

prakāśayet praṇidhinā yathā nāyakenoḍheti || künde durch einen Geheimboten, dass sie vom Liebhaber geheiratet wurde.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.
agnisākṣikā hi vivāhā na nivartanta ity ācāryasamayaḥ |14|

14. Eheschließungen im Angesicht des Feuers vergehen nämlich nicht. Dies ist der Konsens der Lehrer.

Kommentar:

na nivartanta iti nānyenohyate iti darśayati | dharmavivāheṣv agnisaṃnidhānaṃ kāryam iti || vergehen nicht -- das zeigt, das sie nicht von einem anderen geheiratet wird. Bei religiös-rechten Hochzeiten muss ein Feuer vorhanden sein.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.

dūṣayitvā caināṃ śanaiḥ svajane prakāśayet |15|

15. Nachdem er sie verdorben hat, künde er es allmählich seinen Verwandten.

Kommentar:

dūṣayitveti abhigamyety arthaḥ | nodvāhitamātrām | śanaiḥ svajane prakāśayet tasyā ātmīkaraṇārtham || verdorben hat -- das bedeutet: sie begattet hat, nicht nur geheiratet. Künde er es allmählich seinen Verwandten damit sie sie aufnehmen.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.
tadbāndhavāś ca yathā kulasyāghaṃ pariharanto daṇḍabhayāc ca tasmā evaināṃ dadyus tathā yojayet |16|

16. Er nötige ihre Verwandten so, dass sie ihm das Mädchen aus Furcht vor Strafe geben und Übel für die Familie vermeiden.

anantaraṃ ca prītyupagraheṇa rāgeṇa tadbāndhavān prīṇayed iti |17|

17. Darauf hin erfreue er ihre Verwandten indem er sie für sich freundlich einnimmt und ihnen Liebe schenkt.

gāndharveṇa vivāhena vā ceṣṭeta |18|

18. Oder er verhalte sich nach dem Gāndharvahochzeitsritus1.

1 Gāndharvahochzeitsritus:

Zu den Hochzeitsformen siehe z.B. Gautamadharmasūtra 4,6-15

brāhmo vidyācāritrabandhuśīlasaṃpannāya dadyādācchādyālaṃkṛtām |6| 6. Eine Brāhma-Ehe ist es, wenn der Vater seine Tochter verhüllt und geschmückt einem Manne gibt, der Wissen, Wohlverhalten und gute Veranlagung bzw. Tugend besitzt.

d.h. Übergabe der Braut mit Mitgift an einen Tugendbold; Eheform der Brahmā's

saṃyogamantraḥ prājāpatye saha dharmaś caryatām iti |7| 7. Bei der Prājāpatya-Ehe ist die Formel für die Eheverbindung: "Vollzieht den Dharma gemeinsam!"

d.h. monogame Ehe auf Lebenszeit (Mann wird auch nicht Asket); Eheform der Prajāpati's

ārṣe gomithunaṃ kanyāvate dadyāt |8| 8. Bei der Ārsha-Ehe muss der Bräutigam dem Besitzer des Mädchens eine Kuh und einen Stier geben.

d.h. Brautpreis: 1 Kuh + 1 Stier; Eheform der Ṛṣi's

antarvedyṛtvije dānaṃ daivo 'laṃkṛtya |9| 9. Daiva-Ehe ist das Geben des geschmückten Mädchens an einen Opferpriester auf dem Opfergrund.

d.h. Brautpreis = Opfern; Eheform der Götter (deva)

icchantyā svayaṃ saṃyogo gāndharvaḥ |10| 10. Gāndharva-Ehe ist die Verbindung eines Mädchens, das es selbst will.

= svayamvara = Liebesehe; Eheform der Gandharva

vittenānatiḥ strīmatām āsuraḥ |11| 11. Āsura-Ehe ist das Geneigtmachen der Besitzer der Frau durch Habe.

= Kaufehe; Eheform der Asura

prasahyādānād rākṣasaḥ |12| 12. Eine Rākṣasa-Ehe kommt zustande durch gewaltsames Ergreifen der Frau.

= Raubehe; Eheform der Rakṣasa

asaṃvijñātopasaṃgamāt paiśācaḥ |13| 13. Eine Paiśāca-Ehe kommt zustande durch Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen, das nicht bei Besinnung ist.

= Incubus-Ehe; Eheform der Piśāca

catvāro dharmyāḥ prathamāḥ |14|

14. Die ersten vier Eheformen sind recht.

ṣaḍ iti eke |15| 15. Einige sagen: die ersten sechs.
Gautamadharmasūtra 4,6-15

apratipadyamānāyām antaś cāriṇīm anyāṃ kulapramadāṃ pūrvasaṃsr̥ṣṭāṃ prīyamāṇāṃ copagr̥hya tayā saha viṣahyam avakāśam enām anyakāryāpadeśenānayayet |19|

19. Wenn sie ihre Einwilligung nicht gibt, engagiere er eine andere, die bei ihr aus und ein geht, die bei der Familie gern gesehen ist, ihm von früher verbunden und  freundlich ist. Mit ihr zusammen lasse er das Mädchen zu einem geeigneten Ort bringen, indem er einen anderen Zweck vortäuscht.

Kommentar:

upagṛhyeti dravyeṇa svīkṛtya | engagiere = gewinne sie durch Materielles.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.
tataḥ śrotriyāgārād agnim iti samānaṃ pūrveṇa |20|

20. Dann "hole er aus dem Hause eines Śrotriya Feuer" usw. wie oben (Sūtra 12).

āsanne ca vivāhe mātaram asyās tadabhimatadoṣair anuśayaṃ grāhayet |21|

21. Wenn ihre Hochzeit [mit einem anderen Mann] bevorsteht, lasse die Vermittlerin ihre Mutter Reue empfinden, indem sie ihr die Fehler des von ihr in Aussicht genommenen vorhält.

tatas tadanumatena prātiveśyābhavane niśi nāyakam ānāyya śrotriyāgārād agnim iti samānaṃ pūrveṇa |22|

22. Darauf bringe sie mit Erlaubnis der Mutter in der Nacht den Liebhaber ins Haus einer Nachbarin, "hole er aus dem Hause eines Śrotriya Feuer" usw. wie oben (Sūtra 12)

bhrātaram asyā vā samānavayasaṃ veśyāsu parastrīṣu vā prasaktam asukareṇa sāhāyadānena priyopagrahaiś ca sudīrghakālam anurañjayet | ante ca svābhiprāyaṃ grāhayet |23|

23. Oder: er umschmeichle recht lange mit schwierigen Freundschaftsdiensten und freundlichen Aufmerksamkeiten  einen ihrer Brüder, der gleichaltrig ist und an Huren oder Gattinnen anderer hängt. Schlussendlich teile er ihm seine Absicht mit.

Kommentar:

asukareṇa -- kaṣṭasādhyena duḥsādhyastrīsaṃpādanādinā | priyopagrahairiti -- sāmadānair anyair vā | schwierigen = mühevoll zu bewerkstelligenden, durch das Verschaffen von schwer zugänglichen Frauen und ähnlichem. Freundlichen Aufmerksamkeiten = Geschenken oder anderen.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.

prāyeṇa hi yuvānaḥ samānaśīlavyasanavayasāṃ vayasyānām arthe jīvitam api tyajanti | tatas tenaivānyakāryāt tām ānāyayet | viṣahyaṃ sāvakāśam iti samānaṃ pūrveṇa |24|

24. Im allgemeinen geben nämlich Jugendliche sogar ihr Leben hin für Altersgenossen mit gleichem Charakter, gleichen Neigungen und gleichem Alter. Dann lasse er sie durch ihren Bruder das Mädchen zu einem anderen Zwecke herbeiholen;   "zu einem geeigneten Ort" usw. wie oben (Sūtra 19)

aṣṭamīcandrikādiṣu ca dhātreyikā madanīyam enāṃ pāyayitvā kiṃcid ātmanaḥ kāryam uddiśya nāyakasya viṣahyaṃ deśam ānayet | tatraināṃ madāt saṃjñām apratipadyamānāṃ dūṣayitveti samānaṃ pūrveṇa |25|

25. An Āṣṭamīcandrikā - am achten Tag der dunklen Hälfte des Monats Mārgaśīrṣa (November/Dezember) und ähnlichen Festen  gebe die Milchschwester dem Mädchen ein berauschendes Getränk zu trinken und bringe sie, indem sie irgendeinen persönlichen Grund vorgibt, zum Liebhaber an einem geeigneten Ort. Dort verderbe er sie, die wegen des Rausches nicht bei Bewusstsein ist, usw. wie oben (Sūtra 15)

Kommentar:

Āṣṭamīcandrikā - am achten Tag der dunklen Hälfte des Monats Mārgaśīrṣa (November/Dezember)

āṣṭamīcandrikādiṣu tatra divasam upoṣya pūjāpuraḥsaraṃ rātrijāgaraṇam ā candrodayam | An Āṣṭamīcandrikā und ähnlichen Festen fastet man tagsüber unter Verehrungsritualen und wacht in der Nacht bis zum Mondaufgang.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.

suptāṃ caikacāriṇīṃ dhātreyikāṃ vārayitvā saṃjñām apratipadyamānāṃ dūṣayitveti samānaṃ pūrveṇa |26|

26. Wenn das Mädchen schläft und allein ist, schicke er die Milchschwester weg und verderbe das Mädchen usw. wie oben (Sūtra 15).

Kommentar:

atrāgnyāharaṇādikaṃ nāsti, adharmatvād iti || In diesem Fall wird kein Feuer geholt, da es religiös unrecht ist.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.
grāmāntaram udyānaṃ vā gacchantīṃ viditvā susaṃbhr̥tasahāyo nāyakas tadā rakṣiṇo vitrāsya hatvā vā kanyām apaharet | iti vivāhayogāḥ |27|

27. Wenn der Freier erfahren hat, dass sie auf dem Weg in eine anderes Dorf oder in einen Lustgarten ist, umgebe er sich mit genügend Gefährten, ängstige oder töte ihre Beschützer und raube das Mädchen. Soweit über die Hochzeitsverbindungen.

Kommentar:

kanyām apaharet kṛṣṇavad rukmiṇīm | atrāpy adharmatvān nāgnyāharaṇādi | vivāhayogā gāndharvādīnāṃ viṣayaḥ |27| Raube das Mädchen wie Kṛṣṇa Rukmiṇī. Da es religiös unrecht ist, holt man auch in diesem Fall kein Feuer etc. Hochzeitsverbindung ist das Gebiet von Gāndharvahochzeit etc.
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.

pūrvaḥ pūrvaḥ pradhānaṃ syād
vivāho dharmataḥ sthiteḥ |
pūrvābhāve tataḥ kāryo
yo ya uttara uttaraḥ |28|

28. Die jeweils früher genannte Hochzeitsart ist die bessere aufgrund der religiösen Satzung. Wenn die früher genannte Art nicht gegeben ist, vollziehe man die jeweils darauffolgende.

Kommentar:

Versmaß: Śloka

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tatra pūrve dharmyāś catvāraḥ | asmin darśane gāndharvād brāhmādayaḥ pradhānam | tatrāpi kecit taratamabhedena pūrvaḥ pūrva ity āhuḥ | gāndharvo hy āsurāt ṣaḍ iti | etau ekasmin pakṣe dvāv api dharmyau | kiṃtu yathā pūrveṇa tathā parataḥ | yathā ca gāndharvo na tathāsura iti | kecit "āsuro 'pi paiśācāt tathādharmatvāt | paiśāco 'dharmo 'pi rākṣasāt pradhānam | rākṣasya sāhasakarmatvāt [...] ity āhuḥ |28| Hierbei sind die vier erstgenannten Hochzeitsformen die religiös rechten. Nach dieser Auffassung sind die Brāhma-, Prājāpatya-, Ārṣa- und Daiva-Hochzeit besser als die Gāndharva-Hochzeit. Auch bei diesen sagen einige, dass die jeweils früher genannte nach der Einteilung in besser und am besten besser. Einige sagen, dass sechs Hochzeitsformen religiös recht sind und die Gāndharvahochzeit vor der Āsurahochzeit kommt. Auch diese beiden sind nach der einen Ansicht religiös recht. Aber wie es fürs vorherige galt, so gilt es fürs spätere: die Āsurahochzeit ist nicht wie die Gāndharvahochzeit. Einige sagen: "Die Āsurahochzeit ist ebenso besser als die Paiśācahochzeit, da diese religiös unrecht ist. Die unrechte Paiśācahochzeit ist besser als die Rākṣasahochzeit, da die Rākṣasahochzeit gewalttätig ist."
Yaśodhara: Jayamaṅgalāṭīkā z. St.

vyūḍhānāṃ hi vivāhānām
anurāgaḥ phalaṃ yataḥ |
madhyamo 'pi hi sadyogo
gāndharvas tena pūjitaḥ |29|

29. Da die Frucht der geschlossenen Hochzeiten die Verliebtheit ist, wird die Gāndharva-Ehe als gute Verbindung geehrt, obwohl sie auf einen mittleren Platz steht.

Kommentar:

Versmaß: Śloka

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sukhatvād abahukleśād
api cāvaraṇād iha |
anurāgātmakatvāc ca
gāndharvaḥ pravaro mataḥ |30|

30. Die Gāndharva-Ehe gilt als vorzüglichste, da sie Glück bringt, nicht viel Mühe macht, ohne Freien geschieht und als Wesen Verliebtheit hat.

Kommentar:

Versmaß: Śloka

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Zu Kāmasūtra IV,1,1-41