Kauţilîya-arthaśâstra

Eine Einführung

5. Dekadenz als Entwicklungsprinzip: J. J. Meyer

EXKURS: Johann Jakob Meyer <1870-1939>: Vorwort zur Kautilya-Übersetzung


herausgegeben von Alois Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Kauţilîya-arthaśâstra : eine Einführung. -- 5. Dekadenz als Entwicklungsprinzip: J. J. Meyer. -- EXKURS: Johann Jakob Meyer <1870-1939>: Vorwort zur Kautilya-Übersetzung. -- Fassung vom 2003-04-22. -- URL: http://www.payer.de/kautilya/kautilya05a.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2002-11-20

Überarbeitungen: 2003-04-22 (Hinzufügung der Fotografie)

Anlass: Lehrveranstaltung WS 2002/03

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Teil ist ein Kapitel von: 

Payer, Alois <1944 - >: Kauţilîya-arthaśâstra : eine Einführung. -- 1. Einleitung. -- URL: http://www.payer.de/kautilya/kautilya01.htm.

Dieser Text ist Teil der Abteilung Sanskrit  von Tüpfli's Global Village Library.


Quelle:

Kautilya: Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben : das Arthaçâstra des Kautilya / [aus dem Sanskrit übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von] Johann Jakob Meyer [1870-1939]. -- Nachdruck der Ausgabe Leipzig, 1926. - Graz : Akademische Druck- und Verlagsanstalr, 1977. - LXXXVIII, 983 S. -- S.  V - XVI.



Abb.: Johann Jacob Meyer (©Conny Schuoler)


 

Vorwort.
 

Denk, wie verärgert der Ochse der russischen Steppe sich hinlegt,
Platt auf den Boden, dumpfstörrig, den Pflug noch zu ziehen verweigernd.
Schläge beprasseln den Bücken und Stachel durchbohren die Haut ihm:
Liegen bleibt er versteinert. Sie drehen und drehen am Schwanz ihm,
Rasend im Kreise herum, dass es knackt. Doch der Ochse bleibt liegen.
Dürres Gezweige und Stroh wird geholt und der Starrkopf umschichtet.
Höhnisch kichert und frisst die entzündete Lohe ins Fleisch ihm,
Leckt vielzüngig sein Blut. Der zermarterte Ochse bleibt liegen.
Oder gedenk seines Bruders, des Stierleins altindischer Lande,
Welches sein Herr in den Karren gespannt — er entfloh in die Weite,
Weil seine Gattin daheim beständig gekeift und gebelfert.
Beide nun atmen behaglich die donner- und blitzfreie Luft ein.
Aber auf einmal versinkt im Geschlamme das Stierlein. Vergeblich
Wird es mit schmeichelnden Worten ermahnt, wird gekost und gestreichelt.
Nimmer erhebt es den Kopf. Da schreit sein Herr in Verzweiflung:
„Auf! Sonst hol' ich sofort meine Frau und vermähr dich mit dieser."
Kaum ist's gesprochen, so steht schon, belebt von dem Zauber, das Horntier,
Zerrt seine Beine heraus, und beflügelt trottet es weiter.
Also lag ihm der Geist stumpf reglos am Boden im Sumpfe.
Und wie hätte bei ihm das Drohn mit der Gattin verfangen!
War sein Gemahl doch die schönste, beglückendste unter den Weibern,
Ihm seit der Kindheit vertraut. Frau Arbeit war sie geheißen.
Dies ja zerquälte ihn nur, dass ein böses Geschick ihm verwehrte,
 Je sie so ganz zu umfangen, und immer wieder viel Jahre
Weit von der Süßen ihn trieb und ihn dumpf in Erstarrung gebannt hielt.

Eheu de me fabula pseudo-Homerica narratur!

Als barfüßiger Bauernbub — ich mochte damals etwa zwölf Jahre zählen — hatte ich einen Unfall, der für mich ein großes Glück bedeutete; ob auch für die Leser dieses Buches, ist eine andere Frage. Denn ohne dies Ereignis hätte der vorliegende Riesenwälzer wohl nie das Licht der Welt erblickt. Schon im zartesten Kindesalter musste ich als ältester Sohn eines kinderreichen, aber höchst geldarmen nordamerikanischen Hinterwäldlers und einer damals viel krankenden Mutter sowohl in Feld und Wald als auch in Küche und Stube gehörig helfen, und mit neun Jahren fing ich an, in gar vielen Arbeiten dasselbe wie ein Erwachsener zu leisten und — Verse zu schreiben. Als ich die erste Pflugzeile durch den Acker führte, gab mir mein Vater eine saftige Ohrfeige — ich sollte diesen eigentlichen Anfang meiner Bauernlaufbahn nie vergessen, sagte er zur Erklärung auf meine verblüfften Blicke. Bei meiner ersten Verszeile aber hat er mir, trotzdem dass er selber ein Dichter war, die für alle Zeiten abschreckende Ohrfeige leider nicht verabreicht. In die Schule gehen konnte ich allzuwenig, und auch zum Lesen fehlte die Zeit; denn im Sommer arbeiteten wir oft noch beim Mondschein weiter im Feld. Da kam jener Unfall: beim allzu hastigen Hinrennen und Aufbinden der Garben hinter der Getreideschneidemaschine her stürzte ich über einen der unzähligen Baumstümpfe und richtete mir den Arm so zu, dass ich sechs Wochen lang nicht arbeiten konnte. Wie viele Jahrzehnte ist die hohe Linde des Feldes, in dem ich jetzt das Vieh hüten musste, schon von der Erde getilgt! In meiner Seele aber grünt und rauscht und schattet sie fort, bis auch ich wieder in jenes Dunkel verschwunden bin, aus dem wir alle kommen und in das wir alle gehen, seien wir nun Bäume oder Menschen.

Wie schön wäre es, wenn auch ich dann im Gedächtnis noch Daseiender fortleben dürfte, segensvoll und gütig, wie dieser mein stiller Bruder aus der Pflanzenwelt! Denn unter seinen Zweigen habe ich damals Dittmars Weltgeschichte gelesen. Da ward auch von der alten heiligen Sprache Indiens berichtet, vom Sanskrit, und davon, dass es fünfzig Buchstaben habe und sehr schwierig sei. „Aha," sprach ich bei mir, ,,wenn ich wirklich einmal studieren kann, dann will ich auch Sanskrit lernen, weil es eine so schwere Sprache ist und fünfzig Buchstaben hat." Endlich, endlich kam der Tag, wo ich aufs Gymnasium konnte, als sechs Fuß großer und fast ganz zum Krüppel gearbeiteter junger Mensch hinein in die Sexta. Nun, Latein, Griechisch und Hebräisch habe ich trotzdem noch gelernt und — wieder vergessen, wie so viele andere Sprachen und Sachen. Auch ans Sanskrit ging ich bald. Aber es mussten dann immer wieder lange Pausen gemacht werden; denn zu den nötigen Büchern fehlte das Geld.

Auf dem theologischen Seminar aber versagte dann auch die Kraft, und zwar vollständig; denn mein Nervenleiden war da so schlimm geworden, dass ich jene drei Jahre, die schrecklichsten aller schrecklichen Jahre meines Lebens, das Sanskrit, wie manches andere, ganz liegen lassen musste.

Nach Abschluss meiner theologischen Studien flüchtete ich aufs Land, wieder in die Felder und Wälder zu meinem Vater. Dritthalb Jahre Arbeit im Freien stärkten mich dann auch so weit, dass ich an die Rückkehr zum Altindischen denken konnte. Aber ich merkte, dass mein Gedächtnis allzusehr gelitten hatte. Darum lernte ich, um es zu stärken, Russisch und dann auch Schwedisch, Italienisch, Spanisch, ein wenig Neupersisch, und trieb wieder Sanskrit, alles neben schwerer Arbeit in Feld und Wald her.

Darauf folgte ein Jahr Studium an der Universität Chicago, ermöglicht durch nebenhergehende Schriftstellerei und Bibliotheksarbeit, in den Hörsälen der vergleichenden Sprachwissenschaft und der Germanistik, auf der eigenen „Bude" aber hauptsächlich weiterer Autodidaxis im Altindischen gewidmet, dann der Dr. phil. und zunächst eine Frist von dritthalb Jahren als Hilfslehrer des Altindischen an meiner Alma mater. In diesen paar Jahren habe ich verhältnismäßig viel Sanskrit, Pali und Prakrit gelesen, mehrere Bücher gemacht, auch die Hindu Tales, obschon diese erst fünf Jahre nach ihrer Abfassung erschienen sind.

Aber wieder musste ich klein beigeben, wieder hing das Altindische und alles eigentliche Studium über vier Jahre lang am Nagel und wieder fand ich dann, dass das Gedächtnis in redlicher Tücke die günstige Gelegenheit benutzt hatte, auf dem Faulbett unheimlich zu verlottern. Da hieß es wieder was schweres Neues herholen — ich lernte Finnisch, geriet aber so hinein in dieses eigentümliche, mich schon wegen seiner vielen Schriftsteller aus den „untersten Schichten" ansprechende Schrifttum, dass ich außer dem aller Welt wenigstens dem Namen nach bekannten Kalevala, der Kanteletar und älteren Anthologien etwa alle irgendwie wichtigen belletristischen Sachen der modernen, mit Snellmann, Ahlquist (oder Oksanen) und Kivi einsetzenden Literatur bis auf die damalige Zeit herab durchlas und mein Buch: „Vom Land der tausend Seen, eine Abhandlung über neuere finnische Literatur und eine Auswahl aus neueren finnischen Novellisten" verfasste.

Dann machte ich mich ans altindische Epos, las das Râmâyana zum zweiten Male und dreimal nacheinander das Mahâbhârata von Anfang bis Ende durch, das letzte Mal nicht nur in der Bombayer, sondern nebenher auch in der sogenannten „südindischen", von mir mit K bezeichneten Gestalt. Aber äußere und besonders innere Hemmnisse waren dabei so groß, dass gar mancher, der nur Küstenschiffahrt in diesem unendlichen Meere getrieben hat, mehr Kenntnis und Gewinn nach Hause brachte als ich, der mit dreifachem Erz, zwar nicht um die Brust, wohl aber um einen minder edeln Körperteil und, ach, um die schmerzende, dumpfe Stirn die beängstigende Weite von einem Ufer zum ändern dreimal durchkreuzt hat.

Alte Durchfahrer der „ungastlichen Salzflut" brachten wenigstens das Weib eines anderen als Beute mit heim, ich aber nur mein eigenes — „Das Weib im altindischen Epos". Und gerade hatte ich noch Zeit, dieses auch der Öffentlichkeit vorzustellen, da war das dunkle Verhängnis schon wieder da — acht Jahre strenger Verbannung auf öde Strafinsel rächender Gewalten, acht Jahre, in denen ich keine Zeile Altindisch noch sonst einer Sprache außer leichtes Deutsch und Englisch habe lesen können.

Der Neubeginn war diesmal weit bescheidener als früher, schon weil das Gedächtnis diesmal so wenig mehr zu flicken war wie eine Bettelbubenhose — ich machte mich dafür an die Ausbesserung meines schon etwa 20 Jahre vergriffenen Daçakumâracaritam.

Aber dazu musste ich wohl das Arthaçâstra des Kautilya lesen. War das eine Beschämung — ich verstand das Buch nicht! Wenn jahrzehntelang die Tag und Nacht hindurch immerregen Mäuse gedächtnis- und geistmordender Krankheit nagen und fressen, wegtragen, immerzu wegtragen, da wird man ein sehr geleertes Haus. Diese acht Jahre vollends hatten schaurige Verheerung angerichtet. Umsonst bleibt mein Seufzer: „Vermöchte ich doch nur halb so gut Altindisch zu lesen, als da ich den Doktor machte!" Tausend Meilen bin ich von der Hälfte sogar entfernt. Und war mir wirklich eine bestimmte Kautilyastelle durch widerwillig nahende Erleuchtung klar geworden, und kam ich einen Tag darauf oder zwei zu ihr zurück, so war alle Weisheit wieder davongeflogen über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Da ward auch mir die Milch der frommen Denkart in gärend Drachengift verwandelt: ich griff zur Feder und heftete mit ihrer Spitze, sowie der flüchtige Schmetterling des Verständnisses bei einer mir wichtigen Stelle geflattert kam, ihn säuberlich aufs Papier. So wuchs und wuchs meine Sammlung, und schließlich dachte ich: „Da ist ja etwa der halbe Kautilya beisammen. Geben wir ihm seine andere Hälfte an die Seite!"

Die alten Griechen sagten, Mnemosyne, das Gedächtnis, sei die Mutter der neun Musen, also mindestens die Großmutter auch aller Bücher. Hier, ach leider nicht nur hier, zeigt es sich, dass neben anderen geistigen Mängeln auch der Mangel an Gedächtnis Bücher hervorbringt.

Als nun alles leidlich fertig schien, schickte ich das Manuskript an den Verleger mit dem Schuldbewusstsein: „Die neun Jahre des Horaz wären für dieses Werk längst nicht genug, es im Pulte ausreifen zu lassen." Aber jahrzehntelange und allzu oft wiederholte Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich das nicht dürfe. Hinter der nächsten Ecke lauert immer der Unhold, und plötzlich springt er hervor und hängt mich an den Galgen vieljährigen geistigen Unvermögens. Da ist es immerhin ein diebisches Vergnügen, dem Tückebold ein kleines Schnippchen zu schlagen und, ehe sein Krallenarm mich am Schöpf hinauf hebt ,,trotz alledem und alledem" eine Frucht geistiger Arbeit, wenn auch eine recht wurmstichige, in den Keller staubiger Bücherbrettvergessenheit zu bergen. Wollte ich nicht große Gefahr laufen, meine Übersetzung des Kautilya überhaupt nicht veröffentlichen zu können, so musste ich also zusehen, dass sie bald, leider nur zu bald gedruckt würde.

Der Druck nun hat sich sehr lang hingezogen, und zwar hauptsächlich wegen des Unglücks, das über den wohl allzu idealistischen ersten Verleger kam, und ich war noch nicht fertig mit der ersten Korrektur der Übersetzung selber, als mich ein Nervenzusammenbruch niederriss. Unsereins ist ja wie Münchhausen: jeden Tag, ja meist jede Stunde und jede Minute muss man sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Jetzt aber half all die gewohnte Ankurbelung von Energie nichts mehr, und schon fürchtete ich, die erst zu drei Fünfteln, dabei nur im „Sudel"', niedergeschriebenen Nachträge kämen nicht mehr zustande, ganz zu schweigen von der Einleitung und anderem. Aber nach einiger Zeit ging es doch wieder, obschon seitdem mit noch weit beschränkterer, immer mehr sinkender Leistungsfähigkeit, und ich beklage sehr, dass darunter die eben genannten Teile, vor allem die Nachträge, merklich gelitten haben.

Die anfängliche Langsamkeit und der zeitweilige Stillstand des Druckes hat dann die ganze Gestalt des Werkes geändert, hoffentlich nicht einzig zum Schrecken des Lesers. Bei der Niederschrift und bei der ersten Revision der Übersetzung steckte ich alles an Anmerkungen, was mir am nötigsten schien und ohne weiteres oder doch ohne viel Zutun in die Feder floss, gleich eingeklammert in den Text, und in dieser Form ist das MS. dann im Herbst des Jahres 1924 an den Verleger abgegangen. Ich blieb aber am Kautilya und machte mich ihm zuliebe vor allem an die Smriti. Diese in den Anmerkungen irgendwie eingehender heranzuziehen, hatte ich ursprünglich nicht die mindeste Absicht, natürlich weil längst von Jollys Hand eine Art Smriti-Kautilya-Konkordanz vorliegt. Hatte ich doch ursprünglich die metallurgischen Kapitel des Arthaçâstra gar nicht übersetzt. Denn ich sagte mir: „Jolly hat sie ja ins Deutsche übertragen. Versagt dir die Kraft vor dem Ziel, dann soll mindestens keine an diese Partie verschwendet sein, die du ja sowieso nicht besser darbieten könntest." Aber ich fand dann später doch, dass noch vieles zu tun war, sogar was die Vergleichung der Rechtsschriften anlangt. Jollys Zusammenstellung ist ja von vielfach anderen Gesichtspunkten gemacht als meine im Nachtrag gegebenen Entsprechungen und Erläuterungen zu den Rechtsteilen des Kautilya. Leider hatte ich bei der Ausarbeitung der betr. Nachträge Band 67 der ZDMG., wo Jollys einschlägige Arbeit steht, nicht zur Hand, und ich wusste nur noch selten, was er bringt und was nicht. Meine Absicht war ursprünglich, von ihm schon Dargebotenes nur in bestimmten Fällen zu erwähnen. Stellen aus den bloß in Zitaten erhaltenen Rechtswerken konnten, abgesehen von Brihaspati, nur ausnahmsweise eindringen, weil mir diese Texte nicht zugänglich waren. Auch von den Grihyasûtras, die hier und anderwärts manches beigesteuert hätten, habe ich nur ein paar und ließ sie auch deshalb, abgesehen von ein paar Einzelheiten, beiseite.

Dieser Teil des Nachtrags entbehrt also ebenfalls der Vollständigkeit, trotzdem dass er so stark angeschwollen ist. Nun aber ist zwar von allen Berührungen zwischen Kaut, und anderen Schriften die mit der Smriti weitaus am wichtigsten, wenigstens vorderhand, und darf deshalb auch die Vergleichung mit den Rechtswerken einen bedeutenden Raum beanspruchen. Aber das trifft wesentlich nur die älteren Rechtswerke. Denn dass Brihaspati, Kâtyâyana und andere so späte einfach aus Kautilya abschreiben, liegt auf der Hand.

Auch die Entsprechungen aus anderen Nîtiwerken haben mithin eine geringere Bedeutung für Kautilya.  Er kann unmöglich aus ihnen geschöpft haben. Ein Zweifel wäre nur beim Mahâbhârata denkbar. Freilich zum Verständnis einzelner Stellen des Arthaçâstra. können sie öfters beitragen. Vor allem gilt dies bekanntlich von Kâmandaka. Seinen Nîtisâra habe ich schon bei der Revision meiner Übersetzung vergleichen können und manches Licht aus ihm und aus Çankarâryas Glossen erhalten. In einigen Fällen freilich war es ein Irrlicht und hat mich verlockt, meine eigene und richtigere Auffassung fahren zu lassen und die andere aufzunehmen.

Das Nîtivâkyâmrta und die Çukranîti habe ich mir erst verschaffen können, als mein MS. längst beim Drucker lag. Die Çukranîti ist ja eine sehr junge Kompilation und in dem, was der Ausschreiber aus eigenen Mitteln beisteuert, meist schauerlich barbarisch. Aber zum Glück lässt er gewöhnlich andere reden; er beutet etwa die gesamte Smriti, vor allem Nârada, die Nâradazitate und Brihaspati, natürlich auch Manu und das Volksepos, massenweise aus, ebenso Kâmandaka und andere alte und neuere Quellen. Opperts Parallelen geben nur ein sehr unvollkommenes Bild der Entlehnungen. Zudem ist der Text, wo er abweicht, fast ausnahmslos schlechter. Aber gar manches gewiss recht Alte und Wertvolle, das uns, wenigstens soviel ich weiß, sonst nicht mehr oder doch noch nicht vorliegt, ist hier zu finden, obschon öfters in mangelhafter Form. So hat das Buch längst nicht die Bedeutung, die ihm Oppert und Sarkar beimessen. Andererseits aber sollte es auch nicht als „Fälschung" so ganz weggeschoben werden.

Wichtiger ist für Kautilya in mancher Hinsicht das schon von Jolly verglichene und auch sonst wertvolle Nîtivâkyâmrita. Aber auch daraus habe ich meist nur besonders eigentümliche und für Kautilya beleuchtende Stellen herangezogen. Durchweg die Entsprechungen aus Kâmandaka und Nîtivâkyâmrta anzumerken, hätte viel für sich gehabt. Aber das Buch ist so schon zu dickwanstig, und so ließ ich es in den meisten Fällen bei der Eintragung in mein Kautilya-Exemplar bewenden.

Nicht einmal die Strophen des Kautilya habe ich, abgesehen von ein paar Fällen, in ihre Parallelen verfolgt, obschon ich solche und gar manche sonstige Entsprechungen wenigstens aus der Tantrâkhy. und dem Pañcatantra leicht hätte beibringen können. Übrigens handelt es sich da ja doch nur um Entlehnungen aus Kautilya.  Dieser hat seinerseits wieder aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens einige, vielleicht ziemlich viele seiner Verse wo anders her übernommen.

Bis zuletzt sparte ich, wie manche Kinder einen Leckerbissen, mir die eingehende Vergleichung der Nîtistücke des Mahâbhârata auf. Leider habe ich bei meiner schon genannten Lektüre des Epos gerade diesen Schätzen wenig Beachtung geschenkt. Alles Politische war mir damals gleichgültig oder lästig, und jedesmal, wenn ich den Râjadharma des XII. Buches fertig hatte und zum Mokshadharma kam, war mir dies wirklich moksha oder Erlösung, und zwar um so mehr, als ich gerade diese philosophische Abhandlung besonders lieb gewann, trotz alles mitlaufenden Wustes; ich stelle sie höher als die Bhagavadgîtâ, jenen Boudoirtraktat altindischer Philosophie. Trotzdem hätte ich wohl das Meiste, was für altindisches Staatswesen und Staatstheoretisieren wichtig ist, auf Anleitung meiner Notatenbücher wieder betrachten können, jetzt mit ganz anderen Augen. Aber der Nervenunhold machte mir den Plan zunichte. Wie man sehen wird, ist zwar das Epos, vor allem das Mahâbhârata, manigfach verwertet worden. Aber doch längst nicht, wie es nötig gewesen wäre. Vielleicht kann ich das Versäumte einmal nachholen. Freilich eine neue Gesamtlektüre der zwei Epen, die für das Arthaçâstra sehr fruchtbringend sein müsste, werde ich mir nie mehr träumen lassen können.

Immerhin wäre ich jetzt, nachdem mein Kautilya gedruckt ist, in mancher Hinsicht weit geeigneter zu dem Werk der Übertragung als zu der Zeit, wo ich sie machte. Nîtischriften hatte ich keine einzige gelesen außer dem Râjadharma des Mahâbhârata und den Arthaçâstraabschnitten der Smriti, diese alle aber in den acht Jahren völliger Nichtbeschäftigung mit indischen Dingen und der fortschreitenden Gedächtniszerkrümelung wieder ganz vergessen, vor allem natürlich die Fachausdrücke, die mich übrigens seinerzeit bei Nîl. und Râma kaum interessiert hatten.

Aber mein Leitgedanke war und ist noch immer: Kautilya muss wie jeder Schriftsteller aus sich selber erklärt werden. Erst in zweiter Linie kommt Licht von außen.

Zu Gebote stand mir aber nur die 1. Textausgabe von Shama Sastry. Aus dieser muss man an ungezählten Stellen erst einen Text gewinnen, indem man emendiert, vor allem indem man das allergrößte Hindernis des richtigen Verständnisses, die Interpunktion, abändert. Dass dies nicht so leicht ist, wie es wohl scheinen möchte, zeigt auch die Textausgabe von Jolly und Schmidt, die sich zu wenig von Shama Sastrys Satzabteilung befreit hat. Bei der Revision zog ich dann die von Jolly aus seinem MS. B mitgeteilten Lesarten zu Rate und ganz zuletzt vor der Absendung der Reinschrift noch den ersten Band von Ganapati 'Sâstrîs Ausgabe, also Buch I und H des Kautilya Sein zweiter Band kam gerade bei Toresschluss und konnte nicht mehr verwendet werden, da das MS. eben am Abgehen war. Der dritte traf erst viel später ein, und diesen ließ ich liegen, bis ich die Druckkorrektur las. Bei dieser hatte ich nun sowieso, dank meiner fortgehenden Beschäftigung mit Kautilya, schon aus mir selbst allzuviel zu ändern, allzuviel namentlich unter heutigen Druckverhältnissen. Und da ich ja doch Nachträge in langer Reihe ankoppeln und in vielen Fällen mich weiter mit Ganapati 'Sâstrî auseinander setzen musste, so versparte ich, abgesehen besonders von Angaben anderer Lesarten aus Jollys und aus Ganapati 'Sâstrîs Text, lieber alles auf den Anhang. So stellt also die Übersetzung mit den Anmerkungen darunter vom Beginn des dritten Buches ab das Bild des Textverständnisses dar, so wie ich aus mir selber mit Zuhilfenahme der Varianten von B es zuwege brachte, während in den zwei ersten Büchern durch die nachträgliche Verwertung des Ganapati Sâstrî dieses Bild getrübt wird. Hochwillkommenen Beistand leistete mir beim zweiten Buch, und zwar schon während der Übersetzung, auch Sorabjis Doktorarbeit, also der Auszug aus Bhattasvâmin.
Schon bei der Durchsicht der Varianten aus B, noch weit mehr aber bei der Vergleichung der Ausgabe von Ganapati Sâstrî, sah ich zwei Dinge:

  1. dass ich öfters recht dumm und vernagelt gewesen und darum auf naheliegende Verbesserungen nicht verfallen war,
  2. dass ich an ungezählten Stellen genau die gleiche Textgestalt, die ich später in dem einen oder dem anderen von diesen beiden schon deshalb die Sache eine Halbheit bleiben.

Sodann sehe ich immer mehr, dass ich wer weiß wie viele Beleuchtungen und Verweise, die sogar aus Werken auf meinem eigenen Bücherbrett zu holen wären, nicht gebracht habe, und manchmal ist es mir leid, dass ich mich überhaupt auf dieses klägliche Stückwerk der Zusammenkarrerei eingelassen habe.

Dennoch täte der Leser wohl ihm selber, gewiss aber mir Unrecht, wenn er den Nachtrag nicht sorgfältig beachtete; denn er enthält eine Unzahl Berichtigungen oder Besserungen und gewiss auch sonst Brauchbares. Unförmlich ist mein Buch so geworden: ein Känguru mit großem Beutel, worin es eigene und noch mehr fremde Junge dahinschleppt, und mit einem lachhaft dicken und langen Schwanz. Aber dieser Schweif ist nicht ein lumpiger Wedel, Fliegen abzuwehren, sondern dient dem seltsamen Tier als Stütze und Sprungfeder. Bemüht habe ich mich sehr, den Umfang zu verringern, habe immer wieder weggelassen, was hätte hinein sollen, vor allem eine Unzahl Parallelen und Nachweise.

Schon Ganapati Sâstrîs Glossen hätte ich gerne noch öfter besprochen; denn seine Ausgabe birgt das Wertvollste, was wir bisher an Arthaçâstraarbeiten erhalten haben. Sein Kommentar ist ja dem Inhalte und auch oft dem Wortlaut nach zum allergrößten Teil nur Zusammenstellung aus älteren Erklärern des Arthaçâstra. Aber in vielen von mir nicht berührten Fällen bietet er so greifbar Falsches, dass es mir unnötig schien, darauf einzugehen. Freilich wird er dennoch an gar manchen Orten diesen oder jenen irreleiten. Und so wäre wohl die rote Warnungslaterne in dem Dunkel an nicht wenigen Gruben notwendig gewesen. Aber die leidige Überfülle! Ob ich nun immer die richtige Auslese getroffen habe, fragt sich. Auch wird Ganapati Sâstrî besonders wohl an manchen Stellen, wo ich ihn stillschweigend als verkehrt betrachtet habe, recht haben.

Äußerst sonderbar wird man es finden, dass ich den zweiten Band von Jollys und Schmidts Ausgabe mit Jollys Bemerkungen und dem Bruchstück eines Sanskritkommenars gar nicht benutzt, ja nie gesehen habe. Schmidt hätte mir sein Exemplar gewiss gern geschickt. Ich hatte auch vor, diese Hilfe für den Nachtrag zu verwerten. Jolly hat sogar die große Güte gehabt, mir nach dem Erscheinen der ersten Lieferung eine Menge Bemerkungen zu dieser für meinen Nachtrag zu senden. Auch die sind völlig unbeachtet geblieben. Schon Raumrücksichten hielten mich ab. Sodann wird wenigstens jeder Indologe, der sich ernstlich mit Kautilya beschäftigen will, Jollys Ausgabe selber zu Rate ziehen. Da steht aber weit mehr, als ich hätte aufnehmen können. Auch kommt es bei einem Buch von mir doch wohl vor allem darauf an, was ich zu sagen habe.

Mit Ganapati Sâstrî aber musste ich schon eine Ausnahme machen. Besonders Jollys kurze Bemerkungen in englischer Sprache kann jeder bequem vergleichen. Durch Ganapati Sâstrîs ziemlich starke drei Bände aber muss man sich halt durcharbeiten.

Ferner hat mir Zachariae unterm 23. August 1925 mitgeteilt, dass im Journal of the Bihar and Orissa Research Society von Vol. XI (Appendix) ab der Kommentar des Bhattasvâmin zu erscheinen begonnen habe, herausgegeben von Jayaswal. Auch zu dieser Heilsquelle bin ich nicht gewandert; die Beine sind zu müde.

Doch wozu länger aufzählen, was ich nicht benutzt habe, aber hätte benutzen sollen! Weiß ich doch selber nicht einmal nur annähernd die Menge meiner Unterlassungssünden. Wer also „Beherrschung des ganzen Materials", ja selbst nur alles „an leicht erreichbaren Orten" zu Findende, wie z. B. in der ZDMG., der WZKM., dem JRAS., den Sitzungsberichten der verschiedenen Akademien usw., bei mir sucht, der wird sich arg enttäuscht sehen und tut besser, sich überhaupt nicht mit meinem Buch abzugeben. Sogar „leicht erreichbare Orte" sind jetzt für mich meist so fern wie der Mars.

Meine Hauptaufgabe musste sein, in den Text selber so tief einzudringen, wie mir möglich war. Redlich habe ich mich da bemüht, habe mit diesem Engel des Satans gerungen wie einst der Erzvater mit dem des Herrn und mir dabei schier das Gehirn verrenkt. An der Gurgel gepackt habe ich diesen alten Sünder, ihm zugesetzt, dass mir der blutige Schweiß rann, und ihm zugezischt „Jetzt sag mir, was meinst du eigentlich!" Er müsste aber kein Politiker sein, wenn die Antwort, die ich bekam, nicht häufig falsch wäre. Freilich ihn darf ich nicht tadeln. Wie oft habe ich mir selber zornvoll gesagt: „Auch dieses Geistes Welt ist nicht verschlossen. Dein Herz ist zu, dein Sinn ist tot."

Ein einziges Beispiel zur Probe. Es wird erzählt, Tolstoi habe gegen Schluss der Arbeit an der Anna Karenina sich Tag um Tag abgequält mit dem Zweifel: „Wie soll Anna sterben?" Da musste er einmal zur Bahn, und vor seinen Augen warf sich eine Frau vor den heranbrausenden Zug und fand so den Tod. Nun wusste er es.

Mir aber ist die bestimmte Losung noch nicht zuteil geworden, obschon ich Woche um Woche, Monat um Monat, ja jetzt schon Jahr um Jahr immer wieder auf die Frage zurückgekommen bin: „Wie ist der âçumritaka gestorben, von dem Kautilya 215, 16 sagt: Çûnapânipâdodaram apagatâksham udvrittanâbhim avaropitam vidyât? Denn was heißt avaropita? Sogar zwei hiesige Ärzte habe ich ins Vertrauen gezogen, aber aus den mitgeteilten Merkmalen vermochten sie keinen Schluss zu ziehen. Ich glaube, endlich richtig übersetzt zu haben, auf S. 339,16 - 18.. Wie sonst nicht selten ist auch die Glosse bei Ganapati Sâstrî ganz unbrauchbar.

Und weiß man wirklich so einigermaßen, was ein bestimmter Ausdruck bedeutet, so macht es doch oft große Schwierigkeit, ihn in unseren Sprachen wiederzugeben. Nicht selten werden andere mit meiner Wahl nicht zufrieden sein. Bin ich selber es doch längst nicht immer. Hier nur zwei nahe verwandte Beispiele. Für tatkulîna wäre „Prinz von Geblüt" wohl besser gewesen als meine Aushilfen. Avaruddha, wegen dessen man z. B. Übers. 15,27ff. und 39—46,10 vergleiche, will Hillebrandt laut Brief an mich übersetzen mit: „der konsignierte, unter die Bewachung eines hohen Beamten in der Provinz gestellte Prinz". Das deckt durchaus nicht alles. Da wäre „segregiert" noch besser. Avaruddha entspringt wohl durch die bei Kautilya so häufige Verwechslung von p und v aus aparuddha. „Abgesperrt", „aus der Nähe des Vaters verbannt" hatte ich zuerst, ließ mich aber dann namentlich durch das beständige avaruddha abschrecken, hinein in ungeschickte Wiedergaben, wie „unterdrückt" u. dgl. mehr. Die Komm., wie z. B. Çank. zu Kâmandaka XVIII, 52 umschreiben es ganz richtig mit nirvâsita (vivâsita). Also sollte überall „vom Hofe verbannt" stehen. Ich hoffe, man wird auf Schritt und Tritt sehen, dass ich mir es nicht leicht gemacht und vor allem: dass ich „auf das Wort gemerkt" habe.

Treu sein dem eigenen Wort ist die Pflicht des Mannes, erste Pflicht des Philologen aber Treue gegen das Wort des anderen. Was ist also der Philologe? Eigentlich ein Weib. Hingebend empfangen soll seine Seele und soll wiedergebären möglichst ähnlich dem Bilde des Erzeugers. Auch das ist nichts Kleines. Sagt doch die Schrift: „Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott." Ja, am Anfang. Am Ende aber ist es immer bei der Frau. Also sicherlich auch manchmal beim gewissenhaften Philologen.

Zu dieser Gewissenhaftigkeit gehört, dass man nicht gleich zufrieden sei. „Genug ist nicht genug", ruft der große Conrad Ferdinand, und ähnlich seinen vielen Mitindern hat Mâgha gesagt:


Triptiyogah parenâpi mahimnâ na mahâtmanâm.

„Der Hochgesinnte wird nicht satt,
Selbst wenn er höchste Fülle hat."

Vor allem aber darf man sich selber keinen blauen Dunst vormachen — eine gar nicht leichte Forderung. Auch dafür ein Beispiel. Im 87. Gegenstand des Kaut. (S. 229, 15—19) ist eine interessante Stelle, die da beginnt mit prakarmany akumâryâç. Ganapati Sâstrî versteht sie zur Hälfte richtig. Um so befremdender ist es, dass er in der anderen Hälfte ganz fehl greift. Die Worte heißen auf deutsch: „Wenn eine bei der ersten Beiwohnung (in der Brautnacht) sich nicht mehr als Jungfrau erweist, dann beträgt die Strafe 54 pana und muss sie Brautpreis und sonstige Ausgaben wiedererstatten. Macht dabei eine mit Blut, das von da (d. h. von der vulva kommt), sich wieder zur Jungfrau, dann muss sie das Doppelte geben. Schiebt sie dabei anderes Blut unter, dann beträgt die Strafe 200 pana. Ebenso für den Mann, der sie fälschlich beschuldigt (ihre Jungfrauschaft verloren zu haben), und er soll da den Brautpreis und sonstige Ausgaben verlieren. Auch soll er, wenn sie es nicht will, kein Bewerbervorrecht erhalten."

Shama Sastrys Übersetzung lautet, ins Deutsche übertragen: „Die (an Stelle des von den Gewalthabern dem Freier gezeigten Mädchens) untergeschobene Braut soll um 54 pana gebüßt werden, während der Unterschiebende auch gezwungen werden soll, sowohl den Brautpreis wie die vom Bräutigam erlittenen Unkosten zurückzuerstatten. Weigert sich ein Mann, ein bestimmtes Mädchen, wie vereinbart, in die Ehe zu geben, dann soll er die eben genannte Geldstrafe doppelt zahlen. Schiebt ein Mann bei der Vermählung ein Mädchen von anderem Blute unter oder entdeckt man, dass er unbegründeten Ruhm (ihrer Beschaffenheit) ihr hat zuteil werden lassen, dann soll er nicht nur eine Strafe von 200 pana zahlen und den Brautpreis wiedererstatten, sondern auch die Auslagen vergüten. Kein Mann soll Geschlechtsverkehr mit irgend einem Weibe haben wider ihren Willen."

Wer mit Aufmerksamkeit diese Übersetzung liest, merkt schon an ihr selber, dass da nicht nur etwas, sondern viel faul ist im Staate Dänemark. Vergleicht auch nur ein Anfänger im Sanskrit den Grundtext, dann sieht er, dass man sich kaum etwas Unmöglicheres als Shama Sastrys Wiedergabe denken könnte; eine ganze Anzahl Wörter wird da in tollster Weise ihrem Sinn entfremdet.

Nun ist aber Shama Sastry ein weit besserer Sanskritist als ich. Ferner: wäre mir nichts im Kautilya schwerer geworden als diese Zeilen, so wäre meine Arbeit vergleichsweise ein Kinderspiel gewesen. Wo liegt der Angelpunkt des ganzen Abschnittchens? In anyaçonita „anderes Blut". Dies Wort hat mir das Verständnis des Ganzen erschlossen und hätte es auch Shama Sastry erschlossen und ihn wohl vor all den anderen Missgriffen bewahrt, wenn er sich nicht selber den dicksten blauen Dunst vorgemacht hätte. Er weiß so gut wie ich, dass anyaçonitä „ein Mädchen von anderem Blut (a maiden of different blood)" wohl gutes Germanisch, aber unmögliches Sanskrit ist. Von anderen Einzelheiten will ich schweigen.

Betonen aber muss ich dies: Wohl verdanken wir Shama Sastry sehr viel, besonders weil er uns die erste Ausgabe des so lange verschollenen Arthaçâstra geschenkt hat. Seine Übersetzung hat ebenfalls bedeutende Dienste geleistet, freilich nicht durchweg wirklich gute, und zwar vor allem auch deshalb nicht, weil andere Gelehrte sie viel zu sehr gerühmt und sich viel zu viel auf sie verlassen haben. Wie gesagt, Shama Sastry weiß weit mehr Sanskrit als ich. Aber bei meiner Übersetzung habe, abgesehen von den zwei ersten Büchern, auch ich keine anderen Hilfsmittel gehabt als er wenigstens bei seiner 2. Auflage, ja nicht einmal so viele. Da hätte seine Übertragung schon besser ausfallen können.

Shama Sastrys Textausgabe behält hohen Wert auch noch nach Ganapati Sâstrîs Ausgabe; sein Text ist sogar an nicht wenigen Stellen besser als der des Ganapati Sâstrî.

Übrigens mag auch in seiner Übersetzung noch Unentbehrliches da sein, eine Anzahl Stellen, wo sie dem Richtigen näher kommt als meine. Bei etwa der ersten Hälfte meiner Übertragung habe ich die des Shama Sastry in einem mir von Jolly freundlichst geliehenen Exemplar der ersten Auflage entweder nachher verglichen oder gar unmittelbar bei der Arbeit zu Hilfe gerufen. Leider! Zwar hat sie mir da in doppelter Weise genützt: manchmal mir Licht gespendet, viel, viel öfter aber neuen Mut. Denn ich sagte mir: ,,Irgend einen Sinn hat der herausgekriegt, obgleich einen falschen. Also weiter versuchen!" Freilich nach einiger Zeit ging es mir bei schwierigeren Stellen ähnlich wie dem Athener Timon: stimmte meine Auffassung mit Shama Sastrys überein, dann stutzte ich: ,,Da hab ich gewiss was Dummes gesagt!" „Sie haben einen Hang zur Faulheit," behauptet Nietzsche von den Menschen. Allzu leicht gibt man sich mit dem bequemen Vorhandenen zufrieden. Und so hätte ich vielleicht da und dort Besseres gefunden, wenn ich gar nichts von Shama Sastry gewusst hätte.

Auch z. B. Kâlidâs Nâg, dessen zahlreiche Übersetzungen in seinen Theories diplomatiques von vorzüglichen Kautilya-Kennern sehr gelobt worden sind, kann ich nicht so uneingeschränkt preisen.

So deutlich ich aber bei tieferem Eindringen ins Arthaçâstra die Mängel anderer gesehen habe, so deutlich bin ich mir bewusst, dass auch meine Arbeit nur ein Versuch ist und weit entfernt von Vollkommenheit. Böcke über Böcke, die ich geschossen habe, bedecken sicherlich als übles Ärgernis das Gefilde. Dennoch weiß ich: durch bulldoggenhaftes Verbeißen in den Kautilya habe ich mich weiter in das Verständnis des Buches hineingefressen als andere. Meine Arbeit kann eine einstweilige feste Grundlage bilden. Der Dank gebührt meinem Sitzfleisch. Denn auf mir liegt die bleierne Schwere, und um mich ist kleine erbärmliche Enge.

 Chândogya-Upanishad VII, 23,1 aber ruft: Yo vai bhûmâ tat sukham; nâlpe sukham asti
„Fürwahr was da Fülle ist, das ist Glück; im klein Beschränkten ist kein Glück."

Und IV, 10, 5: Prâno brahma, kam brahma, kham brahma
„Das Brahman ist das Leben, das Brahman ist die Freude, das Brahman ist der weite Raum."

Mahâbhârata XIV, 36,10 stimmt mit ein: Lâghavam sâdhusammitan
 „Leichtigkeit und das Edelgute sind ein Ding."

Und abermals in XIV, 38,12: Içitvam ca vaçitvam ca laghutvam manasaç ca te /
vikurvanti mahâtmâno devâs tridivagâ iva
 „Herrschaft und Freiheit und Leichtigkeit des Geistes betätigen in mannigfacher Weise diese Menschen mit den großen Seelen, wie die Götter, die in den drei Lichthimmeln wohnen."

Dennoch danke ich einer ungesehenen Macht, dass ich die langsame Mühsal habe zu Ende führen können. Und in finderglücklichen Stunden hat sie mir auch große Freude gemacht.

Ebenfalls Dank schulde ich einer Anzahl Menschen für Unterstützung, namentlich mit Büchern. Meine eigene Bücherei, mindestens im Indologischen, ist sehr klein, und aus den Bibliotheken hier in der Schweiz lässt sich wenig holen. Zum nötigen Selberanschaffen fehlt allzusehr das Geld.

Zachariae hat mir Sorabjis Auszug aus Bhattasvämin, Jacobi seine eigenen drei für Kautilya wichtigen Abhandlungen in den Berliner Sitzungsberichten von 1911 und 1912, Jolly seine Übersetzung der metallurgischen Kapitel in den Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften und mehrere andere wertvolle Sachen geschickt.

Mit seiner kleinen Schrift, die die Kautilya-Forschung eröffnet, und mit ein oder zwei anderen kleineren Arbeiten erfreute mich Hillebrandt.

Vor allem aber stehe ich tief in der Schuld zweier Schweizer.

Der eine wohnt hier in Chur, allzuwenig gekannt, Adolf Attenhofer, ein ganz vorzüglicher Dichter, ein unheimlich scharfer Denker und Kritiker und ein fabelhaft vielseitiger und vielwissender Gelehrter. Gar manches Buch aus seiner Bibliothek, z. B. selbst der mir natürlich unentbehrliche Manu, hat sogar seit Jahren Gelegenheit gehabt, freilich noch immer nicht genügende, in meiner Stube seines Tabakduftes ledig zu werden.

Der zweite ist Jacob Wackernagel in Basel. Immer und immer wieder musste ich bei ihm anklopfen, dass er mir Bücher aus seiner eigenen und aus der Basler Universitätsbibliothek zugehen lasse, und ihm verdanke ich es gewiss, wenn die dortige Bibliotheksverwaltung mir besonders eine Anzahl Smritiwerke auf ungebührlich lange Zeit zu Diensten gestellt hat. Noch reichlicher war der Zufluss aus Wackernagels eigener Bücherei. Ist doch diese Kautilya-Übersetzung sogar aus seinem Exemplar der editio princeps gemacht! Hätte ich nur die nötige Leistungskraft, so vermöchte ich aus seiner und aus Attenhofers Bibliothek noch so vieles auszubeuten. Solche Freundlichkeit ist um so höher anzuschlagen, als Çukranîti III, 452 f. nur zu recht hat mit dem Spruch:

Parädhînam naiva kuryât tarunîdhanapusta-kam; /
kritam cel labhyate daivâd, bhrashtam, nashtam, vimarditam.
D. h.:
,,Geld, ein junges Weib und ein Buch gib in niemandes Hände: Kriegst du sie wirklich einmal, ganz kriegst du nie sie zurück."


Vielleicht dürfte ich da die Bitte an Mitstrebende richten, mir Schriften aus ihrer Feder zu schicken.

Da ich selber ein unglaublich schlechter Korrekturleser bin, so hat Richard Schmidt in zuvorkommendster Weise eine Korrektur mitgelesen. Trotzdem sind nicht wenige Druckfehler stehen geblieben. Weit mehr Unheil als sie werden die sicherlich allzuhäufig verschriebenen, viel weniger oft verdruckten Stellenangaben anrichten. Selten verdruckt; denn die Druckerei (C. Schulze & Co. in Gräfenhainichen) arbeitet ganz vortrefflich. Ich hatte vor, jede einzige beim Druck nachzusehen. Aber ich war nicht dazu imstande.

Solch ein Buch zu verlegen bedeutet in diesen Zeiten ein Wagnis. Darum gebührt freudigste Anerkennung den treuen Verlegerhänden, die die Geburtshelferdienste geleistet haben bei diesem beängstigend angewachsenen jungen Elefanten. Hochwillkommen war da der Zuschuss den die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft für die Druckkosten gütigst gewährt hat.

Last but not least danke ich den Verwaltungsbeamten der Universität Chicago. Seitdem meine achtzehnjährige Lehrtätigkeit an dieser Anstalt meines Nervenübels halber ein Ende fand, sechzehn Jahre vor dem pensionsfähigen Alter, haben sie mir bisher jedes Jahr wieder ein Krankenstipendium bewilligt. Ohne dieses geriete ich mit den Meinen in schlimme Not und wäre wahrscheinlich auch das vorliegende Buch nicht entstanden."


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