Zitierweise / cite as:
Payer, Alois <1944 - >: Kauţilîya-arthaśâstra : eine Einführung. -- 6. "Wer von den Sachen nichts versteht, kann den Worten keinen Sinn entlocken" : zur Hermeneutik des Arthaśâstra. -- Fassung vom 2002-12-17. -- URL: http://www.payer.de/kautilya/kautilya06.htm. -- [Stichwort].
Erstmals publiziert:
Überarbeitungen:
Anlass: Lehrveranstaltung WS 2002/03
Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)
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Dieser Teil ist ein Kapitel von:
Payer, Alois <1944 - >: Kauţilîya-arthaśâstra : eine Einführung. -- 1. Einleitung. -- URL: http://www.payer.de/kautilya/kautilya01.htm.
Dieser Text ist Teil der Abteilung Sanskrit von Tüpfli's Global Village Library.
Für eine traditionelle Auslegung (in Sanskrit) eines Sanskrittexts gilt folgender Vers:
padaccheda.h padârthoktir vigraho vâkyayojanâ │
âk.sepo 'tha samâdhâna.m vyâkhyâna.m .sa.dvidham matam ║
"Eine Interpretation ist sechsfach:
In diesem Auslegungsschema kommt mit Punkt 5 und 6 die Diskussion des Inhalts (neben der Diskussion der richtigen Ausdrucksweise) ins Spiel. Dies ist eigentlich selbstverständlich, da traditionellerweise Texte mit Sachaussagen auch als Aussagen über Sachverhalte behandelt werden.
Aus den europäischen Traditionen der Auslegung stelle ich diesem Kapitel die Maxime voran
Qui non intelligit res, non potest ex verbis sensum elicere (Martin Luther) -- Wer von den Sachen nichts versteht, kann den Worten keinen Sinn entlocken
Der Philosoph Hans Georg Gadamer (1900 - 2002) stellt diesen Satz Martin Luthers (1483 - 1546) ohne Stellenangabe als Motto über de zweiten Teil seines Werkes:
Gadamer, Hans-Georg <1900 - 2002>: Wahrheit und Methode : Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik -- Tübingen : Mohr (Siebeck); 1960. -- XVII, 486 S. -- S. 162.
Dieser zweite Teil hat bezeichnenderweise den Titel: "Ausweitung der Wahrheitsfrage auf das Verstehen in den Geisteswissenschaften.
Die Aussage Luthers gilt für vielerlei altindische Quellen -- auch für solche religiösen, weltanschaulichen oder philosophischen Inhalts. Ganz besonders gilt diese Aussage für ein Werk, das wie das Arthaśâstra voller Bezüge zum alltäglichen Leben und zu Realien ist.
Grundsätzlich kann man in Bezug auf die Zeitachse einen Text dreifach verstehen:
Leider werden allzuoft historische, quellenkritische oder überlieferungsgeschichtliche Fragestellungen aufgenommen bevor man den Text in seiner vorliegenden Form inhaltlich und in seiner inneren Systematik (systemimmanent) verstanden hat. Auch vergisst man oft, dass eine angenommene Urform eines Werkes meist keine (zumindest wichtige) Wirkungsgeschichte hat, während das Werk in der vorliegenden Form und im vorliegenden Kontext (z.B. als Bestandteil eines Epos) wirkungsmächtig wurde.
Allgemein zu meinen Vorstellungen zur Auslegung eines Textes siehe:
Payer, Alois <1944 - >: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript. -- Inhaltsübersicht. -- URL: http://www.payer.de/exegese/exeg00.htm
Die "Sache" ist für das Arthaśâstra insofern ein Mittel zum Textverständnis, als das Arthaśâstra den Eindruck macht, dass der Kompilator nicht nicht sachunkundig unverstandenes und halbverstandenes Zeug zusammengeschustert hat, sondern eine gute generalistische Allgemeinbildung besessen hat. Dieser Eindruck bestätigt sich immer wieder, wenn man sich die Mühe macht, um das Textverständnis zu ringen.
Da wir Sanskritisten im Allgemeinen keine so gute Allgemeinbildung haben wie der Verfasser des Arthaśâstra, und da wegen der zeitlichen Ferne oft auch eine heutige Allgemeinbildung nicht ausreichend ist, erfordert ein sachgemäßes Verständnis des Arthaśâstra die Zufluchtnahme zu folgenden Hilfen (die Aufzählung ist keineswegs vollständig, sondern nur beispielhaft):
Kautilya 4.4.20:
Abb.: Kautilya 4.4.20 - 22"Wenn er jemanden im Verdacht hat, ein Falschmünzer zu sein, weil er weil er wiedrholt kauft
- verschiedene Rotmetalle (loha)
- und Säuren (ks.âra) (oder: verschiedene Kupferätzmittel: lohak.sâra)
- Kohle (Holzkohle)
- Blasebälge (bhastrâ)
- Zangen (sa.mda.m´sa)
- Fäustel/Fausthammer (mu.stika)
- Ambosse (adhikara.nî ???, Unterlage)
- Bildformen (Unterstempel) (bimba)
- Prägstempel (Oberstempel) (.tanka)
- Tiegel (mû.sa)
und weil seine Hände und Kleider verräterisch (linga) mit Ruß (ma.sî: schwarzes Pulver), Asche (bhasman), Rauch beschmiert sind und weil er Umgang (samsarga) hat mit der Dienstfertigkeit (upakarana) eines Schmieds, dann soll ein solcher Geheimagent als Lehrling und durch Geschäftsverkehr bei ihm einschleichen und ihn zur Entdeckung bringen."
Der eine Schritt zum Verständnis dieser Stelle wäre, in den Untersuchungen zur altindischen Numismatik nachzusehen, ob es metallurgisch-technologische Analysen von altindischen gefälschten Münzen gibt. Analysen von Münzfälschungen sind selten, da die preiswerten Verfahren zu einer (teilweisen) Zerstörung der Münze führen.
Der andere Schritt zum Verständnis dieser Stelle geht über die Metallurgie, insbesondere die Münzmetallurgie. Für antike Münzen gibt es hierzu das hervorragende, auch für metallurgische Laien verständliche Werk:
Moesta, Hasso ; Franke, Peter Robert: Antike Metallurgie und Münzprägung : ein Beitrag zur Technikgeschichte. -- Basel [u.a.], ©1995. -- 184 S. : Ill. -- ISBN 3-7643-5166-7
Dort wird auf S. 128ff. ein Verfahren der Fälschung von Silbermünzen beschrieben, das hypothetisch zum Verständnis unserer Stelle dienen kann:
Abb.: Schematische Darstellung des Rohlings für die Fälschung
Dieser Rohling wird nun an der Luft geglüht. Die kupferreichen Mischkristalle oxidieren leicht. Die Oxide haben ein größeres Volumen als die ursprünglichen Mischkristalle, bilden an der Oberfläche des Schrötlings einen oft borkenartig wuchernden schwarzen Überzug. Die Kittsubstanz dagegen ist wegen des hohen Silberanteils sehr widerständig gegen Oxidation.
Abb.: Schematische Darstellung des Rohlings nach dem Glühen in Luft
Die schwarze Borke muss vor der Prägung der Falschmünze entfernt werden. Dies geschieht durch Ätzen oder Beizen (z.B. in heißem Essig). Diesen Vorgang nennt man "Weißwaschen". Am Ende des Ätzens hat man einen Kupferrohling, aus dem silberreiche Bezirke oder Kristallite herausstehen:
Abb.: Schematische Darstellung des Rohlings nach dem Ätzen
Nun hämmert man die hervorstehenden silberreichen Bereiche flach auf den Rohling auf, dann entsteht eine geschlossene Oberfläche mit hohem Silbergehalt. Diese Oberfläche hat zwar einen leichten Farbstich, ist aber für das Auge von weniger stark legierten Stücken kaum zu unterscheiden. Auch eine Stichprobe (Strich) wird den Schwindel nicht leicht entdecken:
Abb.: Schematische Darstellung des Rohlings nach dem Hämmern
Nun wird die Falschmünze -- wie eine echte Münze -- heiß geschlagen. Dazu verwendet man einen
Oberstempel oder Punze
Unterstempel (oder bildloses Widerlager)
Amboss
Hammer
Abb.: Darstellung der Prinzipien und Werkzeuge des Münzprägens (Quelle der
Abb.: a.a.O., S. 79)
Auf diese Weise lassen sich "Silbermünzen" mit einem Silbergehalt von nur noch 15% bis 20% herstellen.
Diese Darstellung der Fälschung von "Silbernmünzen" mittels Kupferlegierungen liefert eine Hypothese, mit der die genannte Kautilyastelle in allen Einzelheiten verstanden werden kann. Selbstverständlich muss man versuchen, diese Hypothese an anderen entsprechenden Stellen sowie mittels von Münzfunden zu falsifizieren bzw. ihren heuristischen Wert für das Verständnis zu erproben.
Das Beispiel zeigt, dass ein Zugang zum Text von der Sache her, den Text sehr lebendig sprechen lassen kann. Vor allem bringt ein solcher Zugang diejenigen zum Sprechen, die normalerweise in der überlieferten indischen Literatur kaum selbst zu Wort kommen, die aber überhaupt erst die Grundlage für die indischen Kulturen und Zivilisationen geschaffen haben, nämlich die Landwirte, Handwerker und Händler.
Von all den Hilfsmitteln zu einem Verständnis des Kautilya "von der Sache her", will ich im Folgenden nur auf das Experiment und die Rekonstruktion näher eingehen.
Ein Weg, um das eigene Textverständnis zu überprüfen, ist, zu sehen, ob das eigene Textverständnis der Aussagen über einen Vorgang, einen Zustand usw. in der Realität verwirklichbar ist, d.h. ob die gemeinte Realität rekonstruierbar ist. Dies ist Aufgabe der experimentellen und rekonstruierenden Sanskritistik. Dies bezieht sich
Die Vorstellung von der experimentellen und rekonstruierenden Sanskritistik ist eine Übertragung auf Textinterpretation der erprobten Methoden von
Leider ist die Einsicht in die Notwendigkeit experimenteller/rekonstruierender Sanskritistik noch nicht selbstverständliches Gemeingut der klassischen Indologen. Als ich vor einigen Jahren einem Indologiestudierendem, der ein Thema für seine Magisterarbeit aus dem Bereich des Rituals suchte, vorgeschlagen habe, aufgrund eines Ritualtextes ein Ritual in allen Einzelheiten zu rekonstruieren, praktisch nachzustellen, um zu sehen, ob das Textverständnis in der Realität möglich und vollständig ist, und die ganze Rekonstruktion auf einem Video zu dokumentieren, nahm der Student dankend Reißaus und verkündete seinen Mitstudierenden, dass der Payer jetzt wohl vollständig übergeschnappt ist.
Ein m. E. vorbildliches Unternehmen experimenteller und rekonstruierender Archäologie in Deutschland ist das Museumsdorf Düppel in Berlin-Zehlendorf [Webpräsenz: http://www.dueppel.de/. -- Zugriff am 2002-11-25] :
"Das
Museumsdorf Düppel ist der Versuch, ein ganzes Dorf mitsamt seiner Umwelt so zu
rekonstruieren, wie es vor rund 800 Jahren tatsächlich existiert hat. Auf 16 ha
Fläche wurden Bebauung und Landschaft nach bestem Wissen rekonstruiert. In
einzigartiger Weise lässt sich die Vergangenheit mit lebendem und totem Inventar
vergegenwärtigen. Rückgezüchtete Haustierrassen und längst vergessene
Nutzpflanzen gehören ebenso dazu wie die Ausübung von altem Handwerk. Die
Ergebnisse der praktischen Tätigkeiten werden regelmäßig publiziert und machen
Düppel so zu einem international anerkannten Zentrum für experimentelle
Archäologie mitten in Berlin. " [Quelle: http://www.dueppel.de/. -- Zugriff am 2002-11-25] |
Folgende Aussagen und Regeln, die John Coles für die experimentelle Archäoloie aufstellt, gelten analog auch für die experimentelle/rekonstruierende Sanskritistik:
Coles, John: Erlebte Steinzeit : [experimentelle Archäologie]. -- Lizenzausgabe -- Bergisch Gladbach : Lübbe, 1980. -- 268 S. : 41 Ill. u. graph. Darst. -- (Bastei Lübbe ; Bd. 64046 : Geschichte). -- ISBN: 3-404-64046-2. -- Originaltitel: Archaeology by experiment (1973)
"Der Ausdruck »experimentelle Archäologie« ist die angemessene
Bezeichnung für die Sammlung von Fakten, Theorien und Fiktionen, die im Lauf
von hundert Jahren aufgrund des Interesses an der Rekonstruktion und der
Funktion alter Funde zusammengetragen wurden. Der Ausdruck weist auf eine
Erprobung hin, auf einen Test, ein Mittel zur Beurteilung einer Theorie oder
einer Idee, und das trifft genau zu. Die experimentelle Archäologie bietet
eine von mehreren Möglichkeiten, die Vorstellungen der Archäologen über das
menschliche Verhalten in der Vergangenheit zu prüfen. Sie befasst sich
beinahe ausnahmslos mit Elementen des Unterhalts und der Technik, sie
umfasst nicht den gesamten Bereich der menschlichen Kultur.
Nichtsdestoweniger beschäftigt sie sich gerade mit jenen uralten
Kennzeichen, die das Rückgrat der Archäologie als Wissenschaft bilden,
nämlich mit den erhaltenen Aspekten der materiellen Kultur. Mit der
Untersuchung dieser Aspekte, die über das bloße Auffinden und Aufzeichnen
hinausgeht, führt die experimentelle Archäologie zwanglos und vielleicht
unausweichlich zu weiteren Stadien archäologischer Arbeit, die auch
kompliziertere und mehr theoretische Modelle für menschliche
Verhaltensmuster umfasst. Auch diese sind experimentell, in der gleichen
Weise konstruiert und erprobt und auf die gleichen Ziele gerichtet wie die
prosaischeren, hier in diesem Buch behandelten greifbaren Modelle. Die Anwendung von Experimenten in der Archäologie ist nur die logische Folge der wissenschaftlichen Arbeit selbst, nämlich des Interesses der Menschen an sich und ihrer Vergangenheit. Sie stellt nicht mehr und nicht weniger dar als eine Kanalisierung intelligenter Wißbegier hinsichtlich der Erklärung menschlichen Verhaltens in entscheidenden praktischen Fragen. Diese Wissbegier war zweifellos von Anfang an vorhanden, von der Zeit an, als alte Relikte als alt erkannt wurden und Experimente mit archäologischem Material begannen. Das war vor über 150 Jahren bei der Entdeckung der Luren, der auffallenden Bronzehörner in Skandinavien und auf den Britischen Inseln. Zeitgenössische Berichte melden, welch ungeheures Aufsehen ihre Finder bei Stadt- und Landbevölkerung gleichermaßen erregten, als sie den Torf abwischten, die Hörner an den Mund setzten und Töne hervorbrachten, die an Lautstärke denen des Wunderhorns von Alexander dem Großen gleichkamen (Reichweite 600 Stadien = 111 Kilometer). Bereits bei den ersten Experimenten wurden übertriebene Ansprüche erhoben. Heute werden diese nicht mehr so lautstark geäußert. Nachdem die wissenschaftliche Welt das hohe Alter des Menschen anerkannt hatte, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf Steinwerkzeuge, die in alten geologischen Ablagerungen gefunden wurden, und seit etwa 1860 führte man Experimente durch, Feuersteingeräte nachzuschaffen und zu erproben. Nilsson, Lübbock, Evans, einige der Begründer der Archäologie, bekundeten Interesse am Experimentieren mit Stein, manche Versuche Evans' wurden nie wieder übertroffen. Pitt-Rivers erprobte als erster alte Grabwerkzeuge und berichtete über Versandung und Verwitterung von Gräben, die er bei seinen Ausgrabungen gezogen hatte. Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden auch einige experimentelle Arbeiten mit Metallen vorgenommen, und auf beiden Seiten des Atlantiks wurden regelmäßig ernsthafte Untersuchungen durchgeführt, die sich mit Wiederaufbauarbeiten und Erprobung von Modellen beschäftigten (Ascher 1961, 794; Lynch und Lynch 1968, 57). Lange vorher hatte die experimentelle Archäologie jedoch schon ihren ersten und einzigen Märtyrer zu verzeichnen, über den Berichte vorliegen, einen Herrn, der mehr als jeder andere unter schwierigen Verhältnissen arbeitende Experimentator persönliches Ungemach erlitt. ... Alle, oder doch fast alle Experimente haben gemeinsame Merkmale. Alle repräsentieren Probleme im archäologischen Material, die entweder auf unvollständige Erhaltung, auf mangelndes Verständnis für die Zweckbestimmung oder auf Zweifel an der angenommenen Funktion zurückgehen. Alle beginnen mit einer Rekonstruktion, und alle führen zu Tests im Hinblick auf die Funktion oder die Brauchbarkeit. Alle bestehen aus einer Reihe von Schritten: Problem - Idee - Verfahren -Ergebnis - Beurteilung. Das Problem kann alles nur Denkbare sein, vom Roden eines Waldes bis zur Herstellung von Ornamenten. Die Idee für eine Lösung kann klar oder - zumindest teilweise - verschwommen sein. Eine etwaige Lösung kann getestet oder ein Experiment durchgeführt werden, das zu einer Entscheidung im Hinblick auf die Vorzüge einer Vielfalt von möglichen Lösungen beiträgt. Hier tritt ein Multiplikatoreffekt auf: Falls die Einwirkung von B und nur von B auf Material A ein Ergebnis Z hervorruft, dann lautet der Schluss, dass B die einzige Methode in der Vergangenheit gewesen sein könnte, um Z zu erhalten. Wenn jedoch Z auch von C hervorgerufen wird, und vielleicht auch noch D, dann besteht die Möglichkeit, dass entweder B, C oder D in der Vergangenheit angewendet worden sein könnte, um Z zu erzielen. Dies ist vielleicht der Hauptgrund für die Kritik an der experimentellen Archäologie, dass sie im allgemeinen ohne Beweiskraft sei. Sie kann nicht nachweisen, dass Menschen der Frühzeit irgend etwas auf bestimmte Weise und nur auf diese Weise taten; sie beweist nichts, ohne dass Schatten eines Zweifels bleiben, und das erklärt vielleicht, dass die experimentelle Archäologie ein überwiegend sehr individualistisches und im allgemeinen vernachlässigtes Arbeitsgebiet ist. Beobachtungen alter Kulturphänomene sind nicht möglich, weil diese Phänomene ohne Aufzeichnung verschwunden sind, doch die gleiche Schwierigkeit gibt es bei jeder archäologischen Arbeit, die sich mit Aspekten des menschlichen Verhaltens beschäftigt, soweit dieses nicht völlig durch materielle Kultur repräsentiert ist. Das in die Ergebnisse der Experimente gesetzte Vertrauen lässt sich nicht mit Genauigkeit ausdrücken, und die Reihe der Urteile über die Durchführbarkeit einer bestimmten in der Vergangenheit angewendeten Methode pflegt nur ein einziges Wort zu enthalten, nämlich »unmöglich«, während die anderen weniger dogmatisch sind und etwa »unwahrscheinlich«, »möglich«, »wahrscheinlich«, »vermutlich«, lauten und das höchst subjektive Urteil des Experimentators oder Kommentators über ihr Vertrauen zu dem Projekt wiedergeben. Es ist jedoch wichtig, unbedingt einige Grundregeln für das Verfahren festzulegen, die auf alle Experimente anwendbar sind, damit ein allgemeines Maß der Zuverlässigkeit, wenn auch nicht universal akzeptiert, so doch wenigstens berücksichtigt werden kann. Die Mehrzahl dieser Regeln wird bei den meisten Experimenten beachtet, wenn sie vielleicht auch nicht als Regeln anerkannt sind, weil sie im Grunde dem gesunden Menschenverstand entsprechen.
Die experimentelle Archäologie kann also nicht vorgeben, irgend etwas zu beweisen, und tut es auch nicht. Sie liefert ein Instrument, mit dessen Hilfe sich etwas von den grundlegenden wirtschaftlichen Aktivitäten des vorgeschichtlichen Menschen, vor allem von der Entwicklung jener Tätigkeiten beurteilen lässt, die sich auf Lebensunterhalt und Technik bezogen. Dadurch kann und sollte sie zu weiteren Überlegungen über Muster des menschlichen Verhaltens führen, das schließlich das Arbeitsgebiet der Archäologie als Natur- und Geisteswissenschaft ist." [a.a.O., S. 9 - 18] |
Ein neuerer Text zur Geschichte und Problematik der experimentellen Archäologie:
"Experimentelle Archäologie : Ausgewählte Beispiele
experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie / von Dr
Timm Weski. -- Aus DEGUWA
Rundbrief 12, Februar 1997 Einleitung Experimentelle Archäologie kann, obwohl als eigenständiger Forschungszweig noch nicht richtig anerkannt, auf eine lange Geschichte zurückblicken. Dies gilt auch für Boote und Schiffe, allerdings sind viele Versuche nie dokumentiert und veröffentlicht worden (Ellmers 1990). Ebenso gehören das Wiederaufrichten antiker Tempel in den Bereich der experimentellen Archäologie wie der Nachbau des römischen Kastells Saalburg mit seinen funktionierenden Heizanlagen und Katapultgeschützen. Die Arbeit Pfeifers über die Technik der Steinzeit muss zu diesem Themenkreis hinzugezählt werden, obwohl er außer praktischen Versuchen stark von ethnologischen Parallelen ausging (Pfeifer 1914; Feustel 1973). Ebenso müssen die zahlreichen Brückenmodelle, die von Gymnasiasten nach Caesars Beschreibung gefertigt wurden (Bell. Gall. IV, 17), erwähnt werden. Auch Bauwerke des Historismus, wie die Burg Dankwarderode in Braunschweig oder auch die Schlösser von Ludwig II (Neuschwanstein) können mit zum Spektrum historischer Rekonstruktion gerechnet werden. Neuen Aufschwung erhielt die experimentelle Archäologie in den sechziger Jahren durch verschiedene Projekte vor allem aus Dänemark (Lejre) und aus England (Fansa 1990). Inzwischen leiteten sich daraus eine Vielzahl von Versuchen ab, von denen einige kürzlich in einer Wanderausstellung zusammengefasst wurden (Fansa 1996). Experimentelle Archäologie bedeutet anhand von Funden, schriftlicher Überlieferung und ethnologisch/volkskundlicher Beobachtungen Geräte und Gegenstände nachzubilden, die dem angenommenen Original (Hypothese) so ähnlich wie möglich sein sollen. Im Idealfall sollte zum Vorbild kein erkennbarer Unterschied mehr bestehen. Anschließend wird dann das fertige Produkt auf seine Brauchbarkeit und Anwendbarkeit untersucht. Aber auch die Herstellung von reinen Exponaten fällt mit in den Bereich der Experimentellen Archäologie. Das Spektrum beginnt mit einfachen Arbeitvorgängen, wie dem Backen von Brot und endet beim Nachbau ganzer Dörfer, in denen der Alltag früherer Zeiten nachgelebt wird, wie z.B. in Berlin-Düppel. Das Versuchsniveau reicht dabei vom streng wissenschaftlichen Projekt, über die museumspädagogische Spielerei bis hin zum folkloristischen Medienspektakel, wobei die Übergänge mehr als fließend sind; manches Vorhaben, das ursprünglich als Wissenschaft begann, endete nach mehreren Jahren auf der Stufe einer Volkstanzgruppe. Im Grunde genommen sollte jeder Versuch so authentisch wie möglich durchgeführt werden, allerdings treten immer wieder Gründe auf, die ein Abweichen von dieser Regel erfordern. Dabei muss man sich jedesmal die Frage stellen, ob dadurch und wenn ja in welchem Umfang das Endergebnis verfälscht wird. Geht es beispielsweise nur um das fertige Endprodukt, so ist gegen den Einsatz von modernen Maschinen oder Geräten, etwa wie Elektrobohrer, nichts einzuwenden. Anders sieht es dagegen aus, wenn an Stelle von Spaltbohlen gesägte Bretter verwendet werden. In einigen Fällen ist nicht nur das Endprodukt, sondern auch seine Herstellung Teil des Experiments, um beispielsweise den gesamten Arbeitsaufwand ermitteln zu können, oder um eine besonders authentische Nachahmung zu erhalten. In solchen Fällen müssen auch die Bäume mit Steinbeilen gefällt (Adamek u.a. 1990) oder die Nägel von Hand geschmiedet (woher kommen Holzkohle und Roheisen?) werden. Welcher Weg gewählt wird hängt nicht nur von der jeweiligen Fragestellung, sondern – leider auch – von den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln ab. Hinzu kommen noch moderne Sicherheitsvorschriften, die es z.B. aus Brandschutzgründen erfordern, das Reet auf der Dachkonstruktion mit Draht zu befestigen, sofern das Gebäude später dem Publikumsverkehr geöffnet sein soll. Aus dem Fehlen von geeigneten Rohmaterialien, z.B. vierhundert Jahre alte Eichen, ergeben sich ebenfalls ungewollte Beschränkungen. So müssen bei fast jedem Experiment Kompromisse eingegangen werden, die sich aus solchen Zwängen ergeben. Ein weiteres Problem der Experimentellen Archäologie ist eine Selbstzensur, die sich jeder auferlegen muss: Probleme dürfen nicht mit dem heutigen Ingenieurswissen gelöst werden, sondern mit dem früherer Zeiten; doch dieses lässt sich bestenfalls nur erahnen. Ein gutes Beispiel für diese mangelhafte Kenntnis bietet der Nachbau eines bandkeramischen Hauses, bei dem alle Bauteile durch Zurrungen nach Vorschriften des Technischen Hilfswerks miteinander verbunden wurden (Böhm u.a. 1990, 27). Zwar ist nichts über das Aufgehende bandkeramischer Häuser bekannt, aber mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen ließen sich ohne weiteres einfache Steck- oder Zapfverbindungen herstellen. Diese Selbstzensur verhindert auch den kreativen Umgang mit technischen Fragen: Eine einmal gefundene Lösung gilt als die einzig richtige und alle anderen werden als »historisch« falsch abgelehnt. Dabei existieren sehr oft verschiedene Möglichkeiten nebeneinander. Es sei nur an den Bau von Fachwerkhäusern erinnert, bei denen entweder gegenüberliegende Pfosten- bzw. Ständerpaare oder aber die Hölzer einer Seitenwand jeweils zusammen errichtet werden. Auf der anderen Seite darf man nicht immer die optimalste Lösung erwarten. So existieren eine Reihe historisch belegter Lösungen, die unseren heutigen Anforderung nicht entsprechen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Amphore: eine Verpackungseinheit, deren Leergewicht sich auf ca. 40% des Gesamtgewicht beläuft und eine Form besitzt, die ausschließlich gut für den Transport auf einem Lasttier geeignet ist, entspricht kaum modernen Ansprüchen. Trotzdem waren Amphoren für mehr als ein Jahrtausend eine vielseitige Transporteinheit. Ein anderes Beispiel sind Pferdegespanne: Bei sechs oder acht Pferden liefert jedes Tier im Verhältnis weniger Leistung als ein Pferd alleine erbringen kann. Ferner sinkt die Zugleistung des Tiers, wenn es zusätzlich noch einen Reiter tragen muss. Trotzdem fanden Jahrhunderte lang vielgespannige Pferdefuhrwerke mit Vorreitern Verwendung. Als eine weitere Restriktion im Bereich der Experimentellen Archäologie sind mangelhafte handwerkliche Erfahrungen zu nennen. Jeder von uns kann eine Seite in kürzester Zeit ohne besondere Mühe schreiben. Sollten wir aber eine Seite in einer anderen Schrift, etwa Arabisch oder Sanskrit, abschreiben, so werden wir uns sehr schwer tun. Für die Experimentelle Archäologie bedeutet dies, dass nur mit viel Übung und Routine Aussagen über Dauer oder Kompliziertheit eines Arbeitsprozesses möglich sind. Ein geübter Experimenteller Archäologe kann z.B. einen Faustkeil in drei Minuten zurechtschlagen, was bedeutet, dass solche Artefakte in Gegenden mit reichlich Rohmaterial eine Art Einwegwerkzeuge waren. Im Bereich der Unterwasserarchäologie sind für die Experimentelle Archäologie vor allem die Rekonstruktion von sogenannten Pfahlbauten und von Wasserfahrzeugen zu nennen. Erstere können im Rahmen dieses Beitrages nicht behandelt werden, besonders da in Deutschland wiederaufgebaute Pfahlbauten mit einer Ausnahme nur in Unteruhldingen am Bodensee vorhanden sind. Eine Beschäftigung mit diesen veralteten Hypothesen ist unweigerlich mit einer Auseinandersetzung mit der Person H. Reinerth und seiner Rolle in der deutschen Vor- und Frühgeschichte im Dritten Reich verbunden (Bollmus 1970, 154; Kossack 1977, 346). " [Quelle: http://www.abc.se/~m10354/bld/expbeisp.htm. -- Zugriff am 2002-11-26] |
Webportale:
Experimentelle Archäologie in der Schweiz:
Coles, John: Erlebte Steinzeit : [experimentelle Archäologie]. -- Lizenzausgabe -- Bergisch Gladbach : Lübbe, 1980. -- 268 S. : 41 Ill. u. graph. Darst. -- (Bastei Lübbe ; Bd. 64046 : Geschichte). -- ISBN: 3-404-64046-2. -- Originaltitel: Archaeology by experiment (1973)
Experimentelle Archäologie : Bilanz 1991 / [hrsg. vom Staatlichen Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg. Bearb. und Red.: Mamoun Fansa]. -- Oldenburg : Isensee, 1991. -- 405 S. : Ill. -- (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland : Beiheft ; 6). -- ISBN 3-89442-114-2. -- Erscheint seither in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen
Experimentelle Archäologie in Deutschland : Texte zur Wanderausstellung ; [Texte zur Sonderausstellung Experimentelle Archäologie ; Begleitschrift zu einer Ausstellung des Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte, Oldenburg. Bearb. und Red.: Elke Heege]. -- Oldenburg : Isensee, 1996. -- 117 S. : Ill. -- (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland : Beiheft ; 13). -- ISBN 3-89598-343-8
Experimentelle Archäologie in Deutschland : Einleitung / Mamoun Fansa
Schon im 19. Jahrhundert wird mit Hilfe von Experimenten versucht, vor- und
frühgeschichtliche Verhältnisse verschiedener Kulturen zu erhellen.
Experimentelle Archäologie ist der Oberbegriff für alle Theorien und
Versuche, technische Geräte, Einrichtungen und Vorgänge zu rekonstruieren,
zu überprüfen und zu erklären. Während die ersten Experimente noch unsystematisch verliefen, hat sich die Experimentelle Archäologie im Laufe der Zeit zu einem methodischen Zweig der Urgeschichtsforschung entwickelt. Die Experimentelle Archäologie arbeitet naturwissenschaftlich, sie verwendet Messinstrumente und Dokumentationsmedien. Systematisch und unter kontrollierbaren Bedingungen werden archäologische Thesen praktisch überprüft, die zunächst nur auf theoretischen Überlegungen basierten. Das Ziel jedes Experimentes muss vorher genau definiert sein. Die daraus gewonnenen Informationen über die Lebensumstände in früheren Epochen helfen den Prähistorikern, die Verhältnisse vorgeschichtlicher Zeit - etwa den Einsatz von Geräten oder den Zeit- und Energieaufwand bei bestimmten Tätigkeiten -annähernd zu rekonstruieren. Den Ausgangspunkt für die Experimentelle Archäologie bilden die Befunde, wie etwa Hauspfosten, oder Funde wie z. B. Keramik und historische Quellen wie Texte oder bildliche Darstellungen. Daraus lassen sich Fragestellungen entwickeln, die sich auf Materialbeschaffenheit, Herstellungsverfahren oder auf Funktionen und Zeitaufwand für die Arbeitsleistung beziehen. Ferner müssen die Lagerung von Materialien im Boden und die Veränderungen durch verschiedene Umwelteinflüsse analysiert werden. Voraussetzung für dies alles ist, dass die Wissenschaftler sich mit der Forschungsgeschichte vertraut gemacht und das Experiment sorgfältig vorbereitet haben. Um Zufälle auszuschließen und mehrfache Messungen zu ermöglichen, muss jedes Experiment wiederholbar sein. Ferner soll sein Ablauf fachlich dokumentiert werden. Schließlich versucht man, die Ergebnisse zu analysieren, die entweder vorhandene Theorien bestätigen oder neue Erkenntnisse darstellen. Zuletzt werden die sachlich zusammengefassten Resultate kulturhistorisch interpretiert und eingeordnet. Damit sind die Voraussetzungen für neue Fragestellungen und Forschungsansätze gegeben. Eindeutige Beweise für bestimmte Vorgänge in der Herstellungstechnik von Geräten und den Lebensgewohnheiten aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit kann die Experimentelle Archäologie nicht liefern, sie ist nur eine von mehreren Möglichkeiten der Erklärung und Interpretation eines Sachverhaltes, jedoch stellt sie die Vorstellung von der Leistung früherer Menschen auf eine relativ reale Basis. Das Feld für freie Spekulation wird damit eingeengt. Alle bis jetzt durchgeführten Experimente bemühen sich um Erklärungen der verschiedenen Techniken aus vergangenen Epochen. Nur über das Verhalten des Menschen und seine individuellen Entscheidungen können sie leider nicht informieren. Die Experimentelle Archäologie hat es aber dennoch geschafft, die menschlichen Leistungen in den Mittelpunkt der Forschung und der Öffentlichkeitsarbeit zu stellen. Die Experimentelle Archäologie beschäftigt sich mit verschiedenen Feldern.
Während die Experimentelle Archäologie in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern ihre eigene Tradition hat, scheint in der Bundesrepublik das Verständnis noch wenig entwickelt zu sein. Mehr Versuchszentren wie das Museumsdorf Düppel wären erforderlich, aber auch vorhandene Einrichtungen sollten verstärkt zur Unterstützung herangezogen werden, um das Niveau des europäischen Auslands zu erreichen. Im „Dritten Reich" hatte die Experimentelle Archäologie einen besonderen Stellenwert. Dabei ging es weniger um exaktes wissenschaftliches Arbeiten als um den Versuch, mit „Rekonstruktionen" ideologische Vorgaben zu bestätigen. Freie Erfindung wurde als Ergebnis von Experimenten dargestellt. Dies war wohl der Grund, weshalb nach dem Zweiten Weltkrieg die dadurch belastete deutsche Archäologie nicht wie in anderen Ländern den Anschluss an das experimentelle Arbeiten fand. Nach 1945 zogen die Vorgeschichtsforscher in Deutschland einfach einen Strich unter dieses Kapitel und zogen sich in eine abstrakte Wissenschaft zurück. Das Experimentieren und Rekonstruieren überließen sie den Kollegen im Ausland, und die bauten den Vorsprung souverän aus. Auch was die Vermittlung der Forschungsergebnisse betrifft. So gibt es in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern schon lange große Zentren, in denen die Besucher selbst als Einsatz in den Experimenten gedient haben, wie es in Leyre seit einigen Jahren durchgeführt wird. Erst in den 70er Jahren wurden von der Uni Köln einige Experimente in der Landwirtschaft unter der Leitung von Prof. Jens Lüning durchgeführt. Ein Waldstück wurde mit linear-bandkeramischen Geräten gerodet, um den neolithischen Ackerbau zu erproben. In den letzten 30 Jahren beschäftigten sich einige Archäologen und Heimatforscher mit der Experimentellen Archäologie. Aus diesen Aktivitäten sind inzwischen Forschungsprojekte geworden. Wie etwa das Museumsdorf Düppel in Berlin und die Archäologischen Freilichtmuseen Oerlinghausen und Groß Raden bei Schwerin sowie die „Langobardenwerkstatt" in Zethlingen. Charakteristisch für unsere Disziplin ist die weitgefächerte Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, insbesondere mit der Ethnologie und der Technikgeschichte. In den letzten Jahrzehnten hatte sich parallel zur Experimentellen Archäologie und Ethnologie ein neuer Wissenschaftszweig entwickelt, die Ethno-Archäologie. Sie ist „als Bindeglied zwischen diesen Kulturwissenschaften" in der deutschen Öffentlichkeit noch wenig bekannt, aber ihre Umrisse beginnen sich immer schärfer abzuzeichnen. Ihre Aufgabe besteht darin, Ethnologie und Archäologie wieder einander näher zu bringen und so den Zusammenhang zwischen Kulturentwicklung, Kulturveränderung und dem Absterben von Kulturbereichen sowie dem Aussterben ganzer Kulturen besser begreifbar zu machen. Methodisch gesehen umfasst die Ethno-Archäologie die beiden unterschiedlichen Forschungsansätze „lebendiger Archäologie" und „experimenteller Archäologie". Die Experimentelle Archäologie und die Foto- bzw. Filmdokumentation sind nicht voneinander zu trennen. Ein archäologisches Experiment ohne den Einsatz von Filmdokumentationen ist eine unvollendete wissenschaftliche Arbeit. Um eine solide Dokumentation und später eine öffentlichkeitswirksame archäologische Vermittlung zu ermöglichen, kann auf den modernen Medienfilm nicht verzichtet werden. Das Staatliche Museum für Naturkunde und Vorgeschichte in Oldenburg hat 1990 die Ausstellung „Experimentelle Archäologie in Deutschland" zusammengestellt mit dem Ziel, den Wissenschaftszweig anhand relevanter Experimente vorzustellen und zugleich die Archäologie der Bevölkerung nahezubringen. Dazu wurden - didaktisch wohlüberlegt - verschiedene Schaubereiche wie „Bauen und Siedeln" oder „Landwirtschaft von der Steinzeit bis zum Mittelalter" eingerichtet. Auch über Transportwesen und Bestattungssitten werden die Besucher informiert, ferner über Steingeräte in der Herstellung und im Einsatz, den Umgang mit organischem Material als Waffe und Gerät, die Keramikherstellung, die Bronze- und Eisenverarbeitung, die Textilherstellung und schließlich über Verfahren wie die Salz- und Teerproduktion. Als die Ausstellung „Experimentelle Archäologie in Deutschland" 1990
zusammengestellt und dann auf die Wanderschaft geschickt wurde, war die
Zunft der Archäologen skeptisch. Zum einen gegenüber der Methode der
Experimentellen Archäologie selbst, zum anderen weil sie bezweifelten, dass
es sinnvoll sein könnte, solche Experimente in einer populären Dokumentation
festzuhalten. Der Erfolg der Ausstellung hat diese Einwendungen ganz schnell
zum Verstummen gebracht, und das hat etwas mit der Faszination der
Experimentellen Archäologie zu tun. Die Ausstellung wurde in 19 Museen
gezeigt. Ca. 350000 Besucher haben sie gesehen. Um einige Experimente in ihren Abläufen nachvollziehbar zu machen, wurden in der Ausstellung museumspädagogische Vorführungen von bereits geklärten Experimenten eingesetzt. Es handelt sich also um die Wiederholung von Vorgängen, die schon zu einem Resultat geführt haben. (Fälschlicherweise wird die Tätigkeit der Museumspädagogen mit Experimenteller Archäologie verwechselt). Museumspädagogik und Experimentelle Archäologie sind ein komplizierter Bereich. Das Nachmachen oder besser Nachvollziehen von wissenschaftlichen Experimenten ist ein legitimes Mittel der Museumspädagogik, denn schließlich geht es um historische Realität und darum, wie man ihr näher kommen kann. Im Nachvollziehen von Experimenten macht jeder seine individuellen Erfahrungen, und das wird immer wichtiger, wenn man dem üblich gewordenen oberflächlichen Vermarkten von Geschichte gegenhalten will. Zusammenfassend lassen sich die positiven Begleiterscheinungen der aktuellen Beschäftigung mit der Experimentellen Archäologie folgendermaßen darstellen:
[Experimentelle Archäologie in Deutschland : Texte zur Wanderausstellung ; [Texte zur Sonderausstellung Experimentelle Archäologie ; Begleitschrift zu einer Ausstellung des Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte, Oldenburg. Bearb. und Red.: Elke Heege]. -- Oldenburg : Isensee, 1996. -- 117 S. : Ill. -- (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland : Beiheft ; 13). -- ISBN 3895983438. -- S. 11 - 14 -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}] |
Experimentelle Archäologie auf dem Platzspitz : Begleitheft zur Veranstaltung Urgeschichte - Préhistoire - Preistoria Live, 9. - 24. September 1995 ; Projekt des Schweizerischen Landesmuseums / Projektleiter: Walter Fasnacht. Red. des Begleith.: Christa Haenicke. In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für das Landesmuseum und dem Pestalozzianum Zürich. -- Zürich : Schweizerisches Landesmuseum [u.a.], [1995]. -- 38 S. : Ill.
Moesta, Hasso: Erze und Metalle - ihre Kulturgeschichte im Experiment. -- 2., korrigierte Aufl. -- Berlin [u. a.] : Springer, 1986. -- XI, 189 S. : Ill. -- Mit 47 Abb., 8 Farbtaf. u. 28 Experimenten mit Grundanleitung. -- ISBN 3-540-16561-4. [Der Verfasser war Professor für Physikalische Chemie an der Universität Saarbrücken]
"Vorwort zur ersten Auflage Wir alle bewundern in Museen und Ausstellungen die Kunstwerke der Goldschmiede und Bronzegießer vergangener Jahrtausende. Wir erkennen ihr Kunstgefühl in den Formen und die Symbolik mancher Funde erschließt uns etwas von der Geisteshaltung ihrer Benutzer. Die Frage: „Wie wurde dieses Kunstwerk oder jene Waffe gemacht?" wird dabei häufig nicht oder nur unzureichend beantwortet. Dabei liegt in der Kenntnis des „Wie" neben dem „Wann" eine Fülle von Hintergrundmaterial, das ein Museumsstück zu einem Stück Menschheitsgeschichte werden lassen kann. Solches Hintergrundmaterial ist über eine Vielzahl von Wissenschaften verteilt. Dieses Buch will kulturhistorisch Relevantes aus Mineralogie, Chemie, Verfahrenstechnik und Handwerk im Wortsinne „handgreiflich" machen. Es wendet sich an den Liebhaber alter und schöner Dinge, an phantasievolle Freunde der Kulturen und ihrer Geschichte, die vor ein wenig „heimwerken'4 nicht zurückschrecken. Nur das Experiment kann jene Verbindung von Geist und Geschicklichkeit vermitteln, die über Jahrtausende hinweg die Fähigkeiten des Menschen gefordert, entwickelt und geprägt hat. Die Versuchsbeschreibungen sind der Kern des Buches. Sie fordern keinerlei chemisch-experimentelle Vorbildung für ein Gelingen. Die Darlegungen aus der Geschichte sind als Hilfsmittel zur Einbettung der technisch-handwerklichen Entwicklung in den größeren Zusammenhang gedacht. Die herangezogene Literatur enthält sowohl Quellenmaterial als auch populäre Arbeiten, sie erscheint dem Autor für einen Einstieg in das Gebiet geeignet ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben." [a.a.O., S. VIIf.] |
Probieren geht über Studieren : Begleitheft zur Ausstellung "Experimentelle Archäologie"
im Kantonsmuseum Baselland Liestal, 20. November 1993 - 10. April 1994 / Bearb.
Michael Schmaedecke. [Hrsg. vom Amt für Museen und Archäologie, Liestal]. --
Liestal : Amt für Museen und Archäologie, ©1992.
-- 38 S. : zahlr. Ill. --
(Archäologie und Museum ; H. 26). -- ISBN: 3-905069-21-0
Museumsdorf Düppel, Berlin-Zehlendorf
Webpräsenz: http://www.dueppel.de/. -- Zugriff am 2002-12-02
"Rekonstruktion eines mittelalterlichen Dorfes zur Erprobung alter
Handwerkstechniken Ex.: Klaus Goldmann Seit 1971 wird im Süden Berlins ein vollständig durch Ausgrabungen in seinen Grundrissen dokumentiertes Dorf aus der Zeit um 1200 wieder aufgebaut. Wesentliches Ziel ist dabei die Annäherung an alte Handwerkstechniken und Arbeitsweisen, die heute nicht mehr bekannt sind, sowie die Rekonstruktion mittelalterlicher Lebensbedingungen und des dörflichen Alltags. Nach der Entdeckung mittelalterlicher Siedlungsspuren 1941 und Ausgrabungen seit 1967 beginnt man zwischen 1971 und 1975 mit den Rekonstruktionen der Gehöfte auf dem Gelände der ehemaligen Grabung. Die ersten Gebäude dienen als Demonstrationsobjekte für die Öffentlichkeit. Der 1975 gegründete Förderverein informiert Besucher und macht alte Handwerksbereiche zugänglich. Begleitend werden Versuchsbauten errichtet, um architektonische und handwerkliche Lösungen für die zukünftige Dorfanlage zu finden. In Düppel versucht man sich mittelalterlichen Lebensbedingungen zu nähern, indem z.B. historische Kleidung getragen wird, oder etwa durch traditionelle Bewirtschaftung von Nahrungsmitteln. Die Häuser und Hofanlagen werden teilweise durch Zimmerleute mit Erfahrung in der Rekonstruktion mittelalterlicher Bauweisen erstellt, aber auch durch Besucher des Freilichtmuseums. Das Erlernen oder Erweitern bekannter Arbeitsweisen wird durch die Kombination unterschiedlich erfahrener Handwerker durch laufende Wiederholungen vertieft und verbessert. Der „dörfliche Alltag" wird im Ansatz dadurch geschaffen, dass von Zeit zu Zeit eine größere Menge der Besucher als „Bewohner" zusammengeführt wird. Gemessen an der Zielsetzung ist dieses Experiment „offen"; d.h.: ein eindeutiges Ergebnis liegt nicht vor. Dieser Zustand ist erst erreicht, wenn im Dorf Menschen zumindest zeitweise wohnen und die Voraussetzungen für eine Siedlung, d.h. handwerkliche Einrichtungen und landwirtschaftliche Nutzflächen ausreichend zur Verfügung stehen werden. Das nachbarschaftliche Handeln und Helfen als Gruppe ist nur in vereinzelten Handwerksbereichen vorzufinden, wie zum Beispiel in der Textilverarbeitung. Nach wie vor werden auf dem Gelände noch archäologische Grabungen ausgeführt." [Experimentelle Archäologie in Deutschland : Texte zur Wanderausstellung ; [Texte zur Sonderausstellung Experimentelle Archäologie ; Begleitschrift zu einer Ausstellung des Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte, Oldenburg. Bearb. und Red.: Elke Heege]. -- Oldenburg : Isensee, 1996. -- 117 S. : Ill. -- (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland : Beiheft ; 13). -- ISBN 3-89598-343-8. -- S. 27f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}] |
Zu Kapitel 7: Der Aufbau des Arthaśâstra