Internationale Kommunikationskulturen

1. Einleitung


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 1. Einleitung. -- Fassung vom 2011-01-06. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur01.htm-- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2000-10-12

Überarbeitungen: 2011-01-06; 2006-03-12

Anlass: Lehrveranstaltung, HdM Stuttgart, 2006; MBA der HdM Stuttgart und der Westsächsischen Hochschule Zwickau, 2011

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0. Übersicht



1. Statt eines Vorworts


Man kann "die eigene Auslandsreise (bzw. den Inlandsaufenthalt des Ausländers) nach diesem Rezept höchst enttäuschend gestalten. Wiederum ist das Prinzip denkbar simpel: Man nehme, allen Gegenbeweisen zum Trotz, schlicht an, das eigene Benehmen sei unter allen Umständen selbstverständlich und normal. Damit »wird« alles andere Benehmen in derselben Situation verrückt oder zumindest dumm."

[Watzlawick, Paul <1921 - >: Anleitung zum Unglücklichsein. -- München [u.a.] : Piper, ©1983. -- ISBN 3492221009. -- S.120. -- . -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

"Und wenn ich sage, dass oft auch die weisesten und klügsten Menschen in aller Welt, im Umgange und in Erlangung äußerer Achtung, bürgerlicher und andrer Vorteile ihres Zwecks verfehlen, ihr Glück nicht machen, so bringe ich hier weder in Anschlag, dass ein widriges Geschick zuweilen den Besten verfolgt, noch dass eine unglückliche leidenschaftliche oder ungesellige Gemütsart bei manchem die vorzüglichsten, edelsten Eigenschaften verdunkelt.

Nein! meine Bemerkung trifft Personen, die wahrlich allen guten Willen und treue Rechtschaffenheit mit mannigfaltigen, recht vorzüglichen Eigenschaften und dem eifrigen Bestreben, in der Welt fortzukommen, eigenes und fremdes Glück zu bauen, verbinden, und die dennoch mit diesem allen verkannt, übersehn werden, zu gar nichts gelangen. Woher kommt das? Was ist es, das diesen fehlt und andre haben, die, bei dem Mangel wahrer Vorzüge, alle Stufen menschlicher, irdischer Glückseligkeit ersteigen? - - Was die Franzosen den esprit de conduite nennen, das fehlt jenen: die Kunst des Umgangs mit Menschen -- eine Kunst, die oft der schwache Kopf, ohne darauf zu studieren, viel besser erlauert als der verständige, weise, witzreiche; die Kunst, sich bemerkbar, geltend, geachtet zu machen, ohne beneidet zu werden; sich nach den Temperamenten, Einsichten und Neigungen der Menschen zu richten, ohne falsch zu sein; sich ungezwungen in den Ton jeder Gesellschaft stimmen zu können, ohne weder Eigentümlichkeit des Charakters zu verlieren, noch sich zu niedriger Schmeichelei herabzulassen. Der, welchen nicht die Natur schon mit dieser glücklichen Anlage hat geboren werden lassen, erwerbe sich Studium der Menschen, eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung, Gewalt über heftige Leidenschaften, Wachsamkeit auf sich selber und Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüts; und er wird sich jene Kunst zu eigen machen; doch hüte man sich, dieselbe zu verwechseln mit der schändlichen, niedrigen Gefälligkeit des verworfenen Sklaven, der sich von jedem missbrauchen lässt, sich jedem preisgibt; um eine Mahlzeit zu gewinnen, dem Schurken huldigt, und um eine Bedienung zu erhalten, zum Unrechte schweigt, zum Betruge die Hände bietet und die Dummheit vergöttert!

Indem ich aber von jenem esprit de conduite rede, der uns leiten muss, bei unserm Umgange mit Menschen aller Gattung, so will ich nicht etwa ein Komplimentierbuch schreiben, sondern einige Resultate aus den Erfahrungen ziehn, die ich gesammelt habe, während einer nicht kurzen Reihe von Jahren, in welchen ich mich unter Menschen aller Arten und Stände umhertreiben lassen und oft in der Stille beobachtet habe. -- Kein vollständiges System, aber Bruchstücke, vielleicht nicht zu verwerfende Materialien, Stoff zu weiterm Nachdenken."

Knigge, Adolph von <1751 - 1796>: Über den Umgang mit Menschen. -- 3., redigierte Aufl. -- Hannover, 1790. -- Einleitung 


2. Einleitung


Mit uns lebte für einige Jahre die  Tochter unseres besten thailändischen Freundes. Sie besuchte in unserem Dorf die Grund- und Hauptschule, um Deutsch zu lernen. Als ihre Mutter bei uns zu Besuch war, richtete das Mädchen beim Faxen-machen ihre Fußsohlen gegen meinen Kopf. Ihre Mutter sah dies, war entsetzt und schimpfte mit dem Kind. So etwas tut man nicht (in Thailand ist es eine der größten Beleidigungen, wenn man mit den Füßen auf den Kopf von jemandem weist). Das Kind antwortete ihrer Mutter sinngemäß:

"Ich bin halb Deutsche und halb Thai. Wenn ich in Deutschland bin, bin ich eine Deutsche. Margarete ist auch eine Deutsche. Bei ihr darf ich das also machen und beleidige sie damit nicht. Wenn ich in Thailand bin, mache ich das natürlich nicht."

Dies ist das Ideal, wie man sich in verschiedenen  Kulturen bewegen können sollte, aber die wenigsten erreichen dieses Ideal. Wichtig ist das für alle, die international zusammenarbeiten z.B. für Politiker, die auf internationaler Ebene Verhandlungen führen und für den gesamten Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

"Wenn wir so unterschiedlich denken, fühlen und handeln, wie können wir dann eine Welt zusammenhalten? Ein gesteigertes Bewußtsein für die Grenzen unserer mentalen Programme im Vergleich zu denen anderer Menschen ist lebensnotwendig für unser gemeinsames Überleben."

[Hofstede, Geert: Lokales Denken, globales Handeln. - Aktualisierte Ausg. der dt. Übers. - München : Dt. Taschenbuchverl., 1997. - (dtv ; 50807). - EST: Cultures and organizations <dt.>. - S. 329]

Hofstede geht z.B. davon aus, dass bei internationalen Fusionen von Firmen eine extrem geringe Erfolgsrate (wohl nicht über 25%) erreicht wird, weil "kulturelle Faktoren von der Führungsebene chronisch übersehen" werden [Hofstede, S. 333 und 316].

Jemand, der Offenheit für fremde Kulturen hat und fähig ist, seine eigenen Überzeugungen mit einem gewissen Abstand zu betrachten, kann internationale Kommunikation lernen. Hofstede [S. 320ff.]unterscheidet dabei drei Phasen:

  1. das Bewusstwerden: Sensibilität für andere Kulturen und auch für die eigene Kultur entwickeln
  2. das Wissen: man muss etwas über andere Kulturen lernen, insbesondere ihre Symbole, Vorbilder und Rituale, aber auch ihre Werte
  3. die Fertigkeiten: es geht um die Praxis, dass man die Symbole und Rituale anwendet. D. h. nicht, dass man die fremden Werte übernehmen muss.

3. Probleme internationaler/interkultureller Kommunikation


"Living across cultural lines constantly produces surprises for those involved.
  • People are late for appointments, or early, or do not make appointements at all and simply arrive
  • People stand too close or too far away;
  • talk too much or too little, or too fast, or too slow, or about the wrong topics.
  • They are too emotional, or too moderate, show too much or too little of a certain emotion, or show it at the wrong time or fail to show it at the right time.

The list of possible surprises in people's verbal and non-verbal behaviours is as long as the list of domains where cultural differences have been documented."

 

"Wenn man kulturübergreifend lebt, erlebt man ständig Überraschungen:
  • zu Verabredungen kommt man zu spät oder zu früh, oder man macht überhaupt keine Verabredungen und schneit einfach herein
  • man rückt einem zu nahe auf den Pelz oder hält übermäßigen Abstand
  • man spricht zu viel oder zu wenig, zu schnell oder zu langsam, oder über die falsche Gegenstände
  • man ist zu emotional, oder zu zurückhaltend, zeigt ein bestimmtes Gefühl zu sehr oder zu wenig, zeigt ein Gefühl zur falschen Zeit oder zeigt ein Gefühl nicht, wenn man es zeigen sollte

Die Liste möglicher Überraschungen über verbale oder nonverbale Verhaltensweisen  ist so groß wie die Liste der Bereiche, in denen kulturelle Unterschiede belegt sind."

[Smith, Peter B. ; Bond, Michael Harris: Social psychology across culture. -- 2. ed. -- Boston [u.a.] : Allyn and Bacon, ©1999. -- ISBN 0-205-28522-8. -- S 243. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Menschen aus anderen Kulturen zu verstehen, wird verhindert oder erschwert durch folgende Einstellungen:

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Abb.: Kultur als statistische Verteilung von Normen, Werten usw. unter Personen
[Vorbild der Abb.: Trompenaars ; Hampden-Turner 1998, S. 25]

Fohrbeck und Wiesand zeigen sehr schön, wie sich Vorurteile, Idealisierungen bzw. Herabsetzungen über uns und die anderen, "Zivilisation", "Fortschritt", "Entwicklung" bzw. "Degeneration" bis in die Wortwahl zeigen:

Bevorzugte Gegensatzpaare zur Beschreibung des Abstandes von "uns" zu den "noch Unentwickelten"
bevorzugt gebraucht von die "anderen" "wir"
Fortschrittsgläubigen und Technokraten Naturvölker Kulturvölker
primitiv zivilisiert
wild gesittet
Steinzeitalter Atomzeitalter
prälogisch rational
abergläubisch aufgeklärt
unterentwickelt entwickelt
arm reich
heidnisch religiös
passionierten Abendländern geschichtslos großes geschichtliches Erbe
Horde rechtsstaatliche Ordnung
Urkommunismus Freiheit des Individuums
primitive Kunst Blüte der Kunst
unwissend und magisch-religiöse Weltbilder aufgeklärte Geistesgeschichte und Wissenschaft
Kulturpessimisten und Nostalgikern Gemeinschaft Gesellschaft
natürlich entfremdet
harmonisch zersplittert
gewachsen künstlich
Einheit von ... Trennung von Theorie und Praxis
volle Teilhabe an der Kultur spezialisiertes Rädchen im Getriebe
Selbstverwirklichung Ausbeutung
"Wertneutralen" Systemtheoretikern geschlossen offen
einfach komplex
stabil dynamisch
lokale und Stammesgesellschaften städtische und anonyme Gesellschaften
multifunktionale ... monofunktionale Institutionen
schriftlos Alphabeten

[Fohrbeck, Karla ; Wiesand, Andreas Johannes: «Wir Eingeborenen». - Reinbeck : Rowohlt, 1983. -- (rororo ; 7764). - ISBN 3810001767. -- S. 122. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Im Umgang mit fremden Kulturen liegt das Entscheidende im Detail. Grobschlächtige, oberflächliche Betrachtungen nützen nichts und schaden eher. Ein Beispiel für solch oberflächliche Betrachtungen sind großmäulige Kulturanalysen wie z.B. über "den" Islam oder "das" konfuzianische Denken in ihrer Hinderlichkeit oder Förderlichkeit für Entwicklung. Zu recht schreiben G. Braun und J. Rösel dazu (in einem sonst an Oberflächlichkeit strotzenden Artikel über "Kultur und Entwicklung"):

"Bezeichnend für die Beliebigkeit der 'Kulturdebatte' erscheint, dass Japanologen und Sinologen noch in den 60er-Jahren 'in souveräner gegenseitiger Nichtzurkenntnisnahme' mit entgegengesetzten Hypothesen aufwarteten. Während die Japanologen das konfuzianische Werte- und Normensystem (hohe Lerndisziplin, Arbeits- und Akkumulationsethik, Gruppenkonformismus, Hierarchisierung aller Lebensbereiche, Konkurrenzauswahl der Eliten) zur Erklärungsgrundlage des 'japanischen Wunders' emporstilisierten, verurteilten viele Sinologen das gleiche Wertesystem (Lernformalismus, Hortungsmentalität, Kleingruppennepotismus, bürokratische Hierarchien, mangelnde individuelle Leistungsbereitschaft und verbreitete Verantwortungsscheu der Eliten) als modernisierungsfeindliche Entwicklungsblockade."

[In: Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen ... -- Bd 1. -- 3. Aufl. -- Bonn : Dietz, ©1993. -- ISBN 3-8012-0201-1. -- S. 259f.]. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


4. Einige Punkte möglicher kultureller Unterschiede, die zu Schwierigkeiten im gegenseitigen Umgang führen können


Trompenaars; Hampden-Turner 1998 betrachten Kultur als die Art, wie eine Gruppe von Leuten Probleme löst und in Konflikten und Widersprüchen vermittelt. Die beiden sehen folgende Grundlagen kultureller Unterschiede (In den Tabellen: Hauptunterschiede zwischen den genannten Extremen in Bezug auf geschäftliche Transaktionen):

1. Beziehungen zu Mitmenschen

Universalistin Partikularistin
Stärker auf Regeln als auf Beziehungen eingestellt Stärker auf persönliche Beziehungen als auf Regeln eingestellt
Ist schnell bereit, einen Rechtsvertrag zu schließen Ist schnell bereit, einen Rechtsvertrag abzuändern
Als vertrauenswert gilt, wer zu seinem Wort oder Vertrag steht Als vertrauenswert gilt, wer sich verändernde gegenseitige Verpflichtungen einhält
Es gilt nur das, worauf man sich geeinigt hat Jede Partnerin hat ihre eigene Perspektive und Wirklichkeit
Vertrag ist Vertrag Beziehungen entwickeln sich
Individualistin Kollektivistin
Verwendet häufiger "Ich" Verwendet häufiger "Wir"
Entscheidungen werden vor Ort durch die Repräsentantinnen getroffen Entscheidungen werden von den Repräsentantinnen an die Organisation zurückgeleitet
Man hat idealerweise persönlich Erfolg und übernimmt persönlich die Verantwortung Man hat idealerweise als Gruppe Erfolg, die als Ganze Verantwortung übernimmt (und z.B. die soziale Bestrafung des individuellen "Übeltäters" übernimmt)
Neutrale Emotionale
Zeigt nicht, was sie denkt oder fühlt Zeigt verbal und nicht-verbal, was sie denkt oder fühlt
Aufgestaute Emotionen können u.U. explodieren Kein emotionaler Stau
Kühles, selbstbeherrschtes Verhalten wird geschätzt Vitales, lebhaftes Verhalten wird geschätzt
Körperlicher Kontakt, Gestikulieren oder starker Gesichtsausdruck sind oft tabu Berührungen, Gestikulation und starker Gesichtsausdruck sind üblich
Äußerungen oft monoton wiedergegeben Äußerungen dramatisch vorgetragen
Spezifische Diffuse
Kommt direkt auf den Punkt, offen zielgerichtet in der Beziehung Indirekt, anscheinend ziellos in der Beziehung
Präzise, offen, definitiv, transparent Ausweichend, taktvoll, zweideutig, undurchsichtig
Prinzipien unabhängig von jeweiliger Partnerin Situations"ethik", abhängig von Partnerin und Umständen
An erworbenem Status Orientierte An zugeschriebenem Status Orientierte
Verwendet Titel nur, wenn sie mit der Kompetenz für das betreffende Vorhaben zu tun haben Verwendet Titel weitschweifigst ("österreichischer Kanzleistil")
Achtung gegenüber Vorgesetzten hängt vor deren Leistungen ab Achtung vor Vorgesetzten gilt als Maß des Engagements für die Organisation
Höheres Management gehört zu unterschiedlichen Altersstufen, besteht aus Männern und Frauen und wird auf der Karriereleiter ergänzt Höheres Management ist männlich, steht in den mittleren Lebensjahren und wird aufgrund von sozialem Hintergrund (Familie; Studienort ...) ergänzt

2. Einstellungen zur Zeit:

Wo beginnt der zeitliche Rahmen für Tätigkeiten, z.B. in der Gegenwart von Null an ("amerikanische Hemdsärmeligkeit"), in Vergangenem (französisches ancien pauvre, für das die amerikanische Haltung typisch für abschätzig beurteilte "Neureiche" ist), wie sieht man Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als miteinander verknüpft

Zeitorientierung
vergangenheitsorientiert gegenwartsorientiert zukunftsorientiert
Man spricht über Geschichte, Herkunft der Familie, des Geschäftes und des Landes Gegenwärtige Aktivitäten und Freuden sind am wichtigsten Man spricht viel über Vorhaben, Möglichkeiten, zukünftige Leistungen
Motivation ist Wiederherstellung eines vergangenen goldenen Zeitalters (z.B. "goldene" nationale Vergangenheit) Man hat nichts gegen Pläne, führt sie nur meist nicht aus Man plant und organisiert enthusiastisch
Man zeigt Ehrfurcht vor Ahnen, Vorgängern und alten Leuten Man zeigt großes Interesse an momentanen Beziehungen Großes Interesse an Jungen und zukünftigem Potential
Alles sieht man im Licht von Tradition und Geschichte Man sieht alles in Bezug auf seine momentane Bedeutung Vergangenheit und Zukunft werden für zukünftige Vorteile ausgenutzt

3. Einstellungen zur Umwelt:

Sieht man die Umwelt als etwas, das man vor allem selbst bestimmt und kontrolliert, oder sieht man die Umwelt als mächtiger als die Menschen

Eigenkontrolle Fremdkontrolle
Oft dominierend, manchmal aggressiv Oft flexibel, kompromissbereit, auf Friedlichkeit ausgerichtet
Konflikt und Widerstand gelten als Zeichen von Überzeugung Harmonie und Einfühlungsvermögen
Auf Ich, Funktion, eigene Gruppe, eigene Organisation ausgerichtet Ausrichtung auf die andere: Geschäftspartnerin, Käuferin, Kollegin
Unbehagen, wenn Umwelt außerhalb der Kontrolle erscheint Behagen an "natürlichen" Wogen, Veränderungen, Zyklen

Hofstede 1997 unterscheidet fünf Kulturdimensionen:

  1. geringe versus große Machdistanz: es geht darum, wie eine Gesellschaft mit Ungleichheit umgeht. "Machtdistanz kann also definiert werden als das Ausmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, daß Macht ungleich verteilt ist." [Hofstede, S.32] Als Länder mit großer Machtdistanz, also solche, in denen z.B. große Abhängigkeit der Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten festzustellen ist, Kinder gegenüber ihren Eltern und Lehrern gehorsam sind, werden u.a. asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Länder zusammen mit Frankreich und Italien genannt. Als Länder mit geringer Machtdistanz, in denen z.B. ein konsultativer Stil der Entscheidungsfindung bevorzugt wird, werden u.a. die skandinavischen Länder, Deutschland, Schweiz, Großbritannien, Israel und Österreich genannt [vgl. Hofstede, S. 30f.].
  2. Individualismus gegen Kollektivismus: (entspricht dem Ansatz von Trompenaars und Hampden-Turner) nach Hofstede lebt nur eine Minderheit von Menschen weltweit in Gesellschaften, in denen das Individuum Vorrang gegenüber der Gruppe hat. Hofstede nennt u.a. die angelsächsischen Staaten, die nordischen Staaten, Frankreich, Deutschland und auch Italien. [vgl  Hofstede, S. 69]
  3. Femininität gegenüber Maskulinität (eine durchaus problematische Wortwahl, besser vielleicht "Weich gegen hart"): "Maskulinität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der die Rollen der Geschlechter klar gegeneinander abgegrenzt sind: Männer haben bestimmt, hart und materiell orientiert zu sein, Frauen müssen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen. Femininität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der sich die Rollen der Geschlechter überschneiden: sowohl Frauen als auch Männer sollten bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen." [Hofstede, S. 113] Die "Weichen" legen eher Wert auf gute Zusammenarbeit, Solidarität, Toleranz und Sicherheit des Arbeitsplatzes, die "Harten" sind eher Ellbogentypen, die Wert auf Leistung, Karriere und Angeben legen. Nach Hofstede finden sich feminine Kulturen im Nordwesten Europas, maskulin geprägte Kulturen u.a. in Japan, Österreich, Italien, Schweiz, Großbritannien, Deutschland und USA [vgl. Hofstede S. 115f.]
  4. Unsicherheitsvermeidung: "Unsicherheitsvermeidung läßt sich daher definieren als der Grad, in dem die Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen." [Hofstede, S. 156]. Gesellschaften mit starker Unsicherheitsvermeidung haben u.a. ein Bedürfnis nach Vorschriften, nach Standardisierung, Erfüllen des Dienstweges und leisten eher Widerstand bei Veränderung. Nach den Untersuchungen von Hofstede ist Griechenland das Land, in dem Unsicherheitsvermeidung am stärksten zu Tage tritt [vgl. Hofstede, S. 157], während Deutschland fast gleich mit Thailand eine mittlere Position einnimmt. Großbritannien ist ein Beispiel für eine Gesellschaft mit schwacher Unsicherheitsvermeidung.
  5. Langfristige gegen kurzfristige Orientierung. Diese Dimension wird auch "Konfuzianische Dynamik" genannt, weil einige Aspekte an die Lehre des Konfuzius erinnern, z.B. die Betonung von Geduld, Ausdauer (langfristige Zielverfolgung), Sparsamkeit und Pragmatismus. Wie zu erwarten ist China das Land mit großer Langzeitorientierung während Großbritannien und USA eher zu den kurzfristig orientierten Ländern gehören (neben Ländern wie Simbabwe, Nigeria und Pakistan) - das ist eine durchaus überzeugende These, wenn man an die Verschuldung der Privathaushalte und des Staates in den USA denkt. [vgl. Hofstede, S. 234].

Das Genannte sind nur Eckpunkte, die der Orientierung dienen in einem Kontinuum zwischen den Extremen (Ethnozentrismus -- die Sicht, dass die eigene Kultur der Maßstab aller Dinge ist -- soll nicht durch multikulturelle Stereotype ersetzt werden).  Hofstede und Trompenaars und Hampden-Turner versuchen die Kultur oder die Kulturen der von ihnen untersuchten Länder anhand der genannten Dimensionen einzuordnen. Die Aussagen sind möglich für Länder oder auch Ländergruppen nicht aber für größere Kulturräume. Geht es um die Vorbereitung der konkreten Zusammenarbeit mit einem fremden Land, sollte man die Kultur bzw. die Kulturen dieses Landes bzw. seiner Völker studieren, da auch Länder, die zu einem Kulturraum gehören, durchaus unterschiedliche Ergebnisse in den  Kulturdimensionen haben können. Außerdem ist die Zuordnung eines Volkes zu einer übergeordneten Kultur keineswegs immer eindeutig. Beispiel Thailand: die Verehrung der Lehrer (es gibt ein jährliches Ritual der Lehrertag - waikru) ist eindeutig indischer Einfluss. Die Konfliktvermeidung, die aus dem Bedürfnis nach Harmonie entsteht, ist auf keinen Fall der indischen Kultur zuzuschreiben, sondern dürfte der Einfluss der chinesischen Kultur sein.


5. Selbstbilder -- Fremdbilder



Abb.: "Typisch Bayer, typisch Preuße", Karikatur von Max Hagen <1849 - 1914>, ca. 1903

Das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaften der Universität Tübingen führte eine kleine Studie unter ausländischen Studierenden durch. Hermann Bausinger berichtet über diese Studie:

"In einer kleinen Tübinger Studie wurden rund fünfzig ausländische Studierende in freien Interviews gebeten, ihre Eindrücke von den Deutschen zu schildern. Je ein Drittel kam aus Griechenland, Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika; Männer und Frauen waren in jeweils gleicher Zahl vertreten. Damit waren verschiedene Blickweisen garantiert, und am Anfang des Experiments spielte die Erwartung mit, die unterschiedlichen Perspektiven könnten sich in ein Gesamtbild integrieren lassen, dem man dann mit einigem Recht den Titel ,Typisch deutsch` geben dürfe. In der Tat kristallisierten sich einige Dominanten heraus; aber im ganzen verrieten die Bemerkungen sehr viel mehr über die Denkweise und den kulturellen Hintergrund der Interviewten als über tragende Elemente eines deutschen Nationalcharakters.
  • Eine Amerikanerin (hier sollte freilich hinzugefügt werden: eine von der amerikanischen Westküste kommende Studentin) sagte: „In Amerika sieht man oft händchenhaltende Paare. We show more affection. Ich glaube nicht, dass die Deutschen kälter sind, aber sie zeigen ihre Gefühle nicht so." 
  • Die Gruppe der Griechen meinte, Körperkontakte geschähen bei den Deutschen „nur der Form nach", seien aber nicht Ausdruck von Empfindungen. 
  • Japanerinnen und Japaner schließlich kritisierten, dass viele Paare und Partner „auf der Straße Hand in Hand gehen", sie fänden das „moralisch nicht schön". 
  • Mit einer Mischung aus Distanz und Bewunderung stellten die griechischen Gewährsleute fest, dass die Deutschen immer arbeiten wollten, dass sie sich „entwertet fühlen", wenn sie nicht arbeiten können, und dass sie selbst --  im sorgfältig geplanten -- Urlaub früh aufstehen, um auf alle Fälle etwas zu tun. 
  • Die japanischen Gesprächspartner registrierten dagegen quasi kopfschüttelnd, dass Deutsche (deutsche Studierende nämlich) in den Sommermonaten schon morgens untätig auf einer Wiese lagern.

 Auch Institutionen wurden unterschiedlich bewertet. 

  • Griechinnen waren entsetzt über die vielen Altersheime, in die man „die Eltern steckt, wenn man sie nicht mehr brauchen kann". 
  • US-Amerikaner dagegen betonten die Qualität deutscher Altersheime;
  • und die Japanerinnen und Japaner meinten zwar, man sollte mehr Rücksicht auf alte Leute nehmen, beobachteten aber die bei ihnen erst langsam aufkommende Institution der Altenheime mit großem Interesse und nicht ohne Sympathie.

 All das sind nicht nur widersprüchliche Aussagen, sondern auch Hinweise darauf, wie solche Stellungnahmen zustande kommen und was die Aufmerksamkeit und die Kritik provoziert. Das Modell sieht so aus, dass die Werte, Normen und Formen der eigenen Kultur als normal, ja gewissermaßen als natürlich gesetzt werden, weil sie eingefahren sind als die festen Engramme alltagskultureller Orientierung, und dass vor diesem Hintergrund das Anomale, das Abweichende, Ungewöhnliche registriert wird. Die Äußerungen über die deutsche Kultur verraten also sehr viel über die fremden Kulturen, und erst eine sorgfältige und detaillierte Interpretation der Fremdeinschätzungen kann eine Annäherung an die wirkliche Typik bringen.

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus diesen Interviews, war der Einblick in die Funktion von Typisierungen. Natürlich waren sich die ausländischen Studierenden darüber klar, dass ihre Kontakte und ihre Beobachtungsmöglichkeiten sehr begrenzt waren und dass sie deshalb nur wenige Ausschnitte der deutschen Wirklichkeit kennengelernt hatten. Trotzdem wehrten sie sich kaum gegen das Ansinnen, etwas über die Deutschen zu sagen. Die nationale Etikettierung wurde nämlich nicht erst durch die Befragung an sie herangetragen, sondern war von Beginn der Fremdbegegnungen an eine wichtige Perspektive für sie. Die Kategorie „deutsch" half ihnen, das Ungewohnte auf einen Nenner zu bringen. Die Typisierung ist ein Moment der Entlastung -- sie vermittelt das Gefühl, man habe das Fremde verstanden, obwohl man ihm in vielen Fällen nur einen Namen verpasst hat.

Man kann fast von einer Beschwörungsfunktion sprechen: Das in Wirklichkeit höchst komplizierte und schwer durchschaubare Fremde wird in ein überschaubares Muster gebannt, das als erklärendes Ordnungsschema dient. 

Wer in ein fremdes Land kommt, sucht mehr oder weniger automatisch nach festen Charakteristika und ist zunächst schnell bereit, von Einzelbeobachtungen aufs Ganze hochzurechnen. Das gilt auch im sprachlichen Bereich. Ein indischer Germanistikstudent schrieb: „Die Deutschen haben eine gute Beobachtungsgabe, das beweist ihre Sprache. Zum Beispiel ist ein Brot im Deutschen belegt, ein Klo aber ist besetzt." Er registrierte also mit Befriedigung die Präzision der Sprache, die einen sicheren Halt gibt -- zu geben scheint. Denn später dürfte er gelernt haben, dass man ein Seminar ganz unhorizontal „belegt" und dass junge Leute ein Haus „besetzen", indem sie dort große Matratzenlager einrichten.

An der erwähnten Tübinger Untersuchung war ein Japaner beteiligt, der zur Vorbereitung auf seinen Deutschlandaufenthalt fast die ganze Bibel studiert hatte -- in der Erwartung, sich damit ein festes Leitseil durch die fremde Kultur anzueignen. Er verkannte bei dieser aufwendigen Arbeit nicht nur die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der biblischen Überlieferung, sondern überschätzte auch die Bedeutung des Christlichen für die heutige deutsche Gesellschaft -- jedenfalls wurde ihm schnell klar, dass sich diese Gesellschaft nicht auf einen einzigen Nenner bringen lässt. 

Mit den weniger umfassenden Stereotypen verhält es sich anders. Hier handelt es sich vielfach um Vereinfachungen, die sich nicht ohne weiteres widerlegen lassen, weil sie die Beobachtung steuern, die Wahrnehmung mitbestimmen. Vorurteile werden manchmal als Urteile und Wertungen definiert, die nicht auf eigener Erfahrung beruhen. Das ist eine irreführende Definition, denn Vorurteile sind auch Filter der Erfahrung; sie stellen die Kategorien bereit, in die Erfahrungen vielfach gerinnen. Und sie sind Mittel der Abgrenzung, welche die Besonderheit und meist auch den Wert der eigenen Kultur absichern: Typisierung als Kontrastprogramm."

[Bausinger, Hermann <1926 - >: Typisch deutsch : wie deutsch sind die Deutschen?. -- München : Beck, ©2000. -- (Beck'sche Reihe ; 13448). -- ISBN 3406421482. -- S. 23 - 26. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


6. Stereotype, Typisierungen und ihre Gefahren


Den Begriff Stereotyp übertrug Walter Lippman 1922 in seinem grundlegenden Werk

Lippmann, Walter <1889 - 1974>: Public opinion. -- New York : Macmillan, ©1922. -- [Neuausgabe: New York [u.a.] : Free Press, 1997. -- 272 S. -- ISBN 0684833271. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

von der Drucktechnik in den Bereich von Wahrnehmung, Meinung und Urteil. In der Drucktechnik bedeutet Stereotypie das Verfahren, bei dem Letternsatz oder Bilddruckstöcke in Matrizen aus weicher Papiermasse abgeprägt werden, von denen Bleidruckplatten in großer Anzahl gegossen werden. Der Vergleichspunkt zu bestimmten Wahrnehmungen, Meinungen und Urteilen ist, dass sie entsprechend vervielfältigt und der Wirklichkeit aufgepresst werden:

"A stereotype is a positive or negative set of beliefs held by an individual about the characteristics of a group of people. It varies
  • in its accuracy,
  • the extent to which it captures the degree to which the stereotyped group members possess these traits,
  • and the extent to which the set of beliefs is shared by others."
"Ein Stereotyp ist eine positive oder negative Annahme, die ein Individuum über die Eigenschaften einer Gruppe macht. Stereotype unterscheiden sich
  • in ihrer Zutreffendheit
  • dem Ausmaß, in dem sie die Ausprägung und Verbreitung des Merkmals unter den stereotypisierten Gruppenmitgliedern richtig erfasst
  • dem Ausmaß, in dem die stereotype Annahme von anderen geteilt wird

[Jones, James M.: Prejudice and racism. -- 2.ed. -- New York [u.a.] : McGraw-Hill, ©1997. -- 578 S. : Ill. -- ISBN 0070331170. -- S. 170. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Es gibt

Nach dem Wahrheitsgrad gibt es alle Zwischenstufen 

Negative falsche Stereotype bezeichnet man auch als Vorurteile.

Wir alle kennen das gegenseitige Bild von Badenern und Württembergern, Bayern und Preußen (Preißn).


Abb.: "Kurtze Beschreibung der in Europa befintlichen Völckern und ihren Aigenschaftten", Steiermark, Anfang 18. Jahrhundert (Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien)

Die oben abgebildete "Völkertafel" ist ein klassisches Beispiel für Stereotype. Spanier, Franzosen, Italiener (Welsche), Deutsche, Engländer, Schweden, Polen, Ungarn, Russen (Moskowiter), Türken und Griechen werden klassifiziert nach angeblich völkertypischen Merkmalen.

In folgender Tabelle die Übertragung für Deutsche, Polen, Türken bzw. Griechen:

Namen Deutscher Pole (Polack) Türke oder Grieche
Sitten offenherzig bäurisch wie das Aprilwetter
Natur und Eigenschaft ganz gut Hochwilder ein Jungteufel
Verstand witzig geringachtend obenaus
Charakterisierung (Anzeigung) ihrer Eigenschaften überragend mittelmäßig zärtlich (=verzärtelt)
Wissenschaft in weltlichem Recht in unterschiedlichen Sprachen ein falscher Politicus
Tracht der Kleidung macht alles nach langröckig auf Weiberart
Untugend verschwenderisch Prahler noch verräterischer
Lieben den Trunk den Adel selbsteigene Lieb (= egoistisch)
Krankheiten an Podagra an den Durchbruch an Schwachheit
Ihr Land gut waldig ein liebreiches
Kriegstugend unüberwindlich ungestimmt gar faul
Gottesdienst noch andächtiger glaubt allerlei ein Abtrünniger
Erkennen als ihren Herrn einen Kaiser einen Erwählten einen Tyrannen
Haben Überfluss an Getreide an Holzwerk an zarten und weichen Sachen
Die Zeit vertreiben mit Trinken mit Zanken mit Kränkeln
Vergleichung mit den Tieren einen Löwen einen Bären einer Katze
Ihr Lebensende in Wein im  Stall in Betrug

Fremd- und Selbststereoptype sind ein universell verbreitetes Phänomen:

Richtige Menschen waren und sind meist nur diejenigen, die im Zentrum des begrenzten Gesichtsfeldes leben. So 


Abb.: Siné [= Sinet, Maurice]: Gottesanbetung,  1971

Herman Bausinger erzählt folgende Geschichte zur Illustration, wie es zu Stereotypen kommen kann:

"Auf Einladung der Humboldt-Stiftung kommen jedes Jahr ungefähr fünfhundert ausländische Akademikerinnen und Akademiker an deutsche Universitäten. Die männlichen Stipendiaten erhalten als Gastgeschenk eine Krawatte, und es ist üblich, dass diese bei gemeinsamen Treffen oder bei besonderen festlichen Anlässen getragen wird. Ein ungarischer Ethnologe schilderte, welche Probleme dieses Geschenk bei ihm auslöste. Zu Hause standen ihm fertig gebundene Krawatten zur Verfügung, so dass er es nicht gelernt hatte, eine Krawatte zu binden. Nach einigen vergeblichen Versuchen bat er seinen deutschen Hausherrn, ihm mit der Humboldt-Krawatte zu helfen. Der schaffte den Knoten innerhalb weniger Sekunden - und dann fragte er: „Die anderen Ungarn, also die Ungarn im allgemeinen, können doch eine Krawatte binden, nicht wahr?" Der Ethnologe erwiderte schnell: „Doch, doch!", hatte aber den Verdacht, dass die Angelegenheit damit keineswegs abgeschlossen sei. Sein Hausherr, so überlegte er, werde wohl am Stammtisch verkünden, dass die Ungarn keine Krawatte binden können, und künftig werde diese Unterstellung all seinen Landsleuten anhaften.

Natürlich ist dies ein ironischer Bericht, an den der Ethnologe allerhand kritische Gedanken zum Problem des Nationalcharakters anschließt. Aber die kleine Geschichte sagt doch einiges darüber aus, wie es zu den landläufigen Typisierungen kommen kann. Von einem einzelnen oder von wenigen wird auf alle anderen geschlossen; es wird zu schnell, zu weitgehend und unkontrolliert verallgemeinert. Und solche Verallgemeinerungen liegen offenbar besonders nahe, wenn es sich um negative Feststellungen handelt. Diese Schlagseite zum Negativen lässt sich schon in ganz trivialen Kommunikationszusammenhängen beobachten. Die Wendung: „Das ist typisch ..." lässt sich zwar auch auf einen Menschen anwenden, dessen übergroße Freundlichkeit wieder einmal in einer guten Tat zum Ausdruck kommt; aber sehr viel häufiger denunziert sie, übt sie Kritik an angeblichen oder tatsächlichen Charakterfehlern. Das mag damit zusammenhängen, dass wir für schlechte und fragwürdige Handlungen und Erscheinungen mit einem schärferen Sensorium ausgestattet sind als für gute; bereits die Sprache bietet für negative Klassifizierungen einen sehr viel reicheren Wortschatz an als für positive. Aber es scheint auch mit der Typisierung zusammenzuhängen: Wenn ein Mensch oder eine ganze Gruppe von Menschen ein für allemal charakterisiert und gewissermaßen mit einem Etikett versehen werden soll, dann bieten sich negative Charakteristika als besonders auffällig und eingängig an."

[Bausinger, Hermann <1926 - >: Typisch deutsch : wie deutsch sind die Deutschen?. -- München : Beck, ©2000. -- (Beck'sche Reihe ; 13448). -- ISBN 3406421482. -- S. 15 - 16. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Stereotype können sehr hilfreich sein zur ersten Orientierung, sie können aber auch u.a. folgende Gefahren für die Kommunikation mit sich bringen:

Wenn man sich auch dieser genannten Gefahren von Stereotypisierungen bewusst ist und sie zu vermeiden sucht, kann man trotzdem nicht auf vorschnelle Verallgemeinerungen und Typisierungen verzichten. Hermann Bausinger schreibt zu Recht:

"Wenn Typisierungen unversehens ins Negative abzugleiten drohen und manchmal fast automatisch feindseligen Haltungen zuarbeiten -- sollte man dann nicht grundsätzlich darauf verzichten? Diese Empfehlung ist gut gemeint, aber naiv. Typisierung ist ein wichtiges Instrument der Erkenntnis, der Orientierung -- und sie ist so fest in der Sprache angelegt, dass sie schon deshalb nicht vermeidbar ist. Jeder Benennung liegt eine Typisierung zugrunde; ... Und jede Kollektivbezeichnung setzt Typisierung voraus und setzt Typisierung in Gang. Dies gilt für Erscheinungen unseres Umfeldes -- der Wald umfasst eine große Vielfalt von Bäumen und Sträuchern, und das Auto ist ein Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Ausformungen. Es gilt aber auch für kleinere oder größere Menschengruppen -- wenn von den Deutschen die Rede ist oder wenn etwas als deutsch bezeichnet wird, dann wird eine einzelne Bestimmungsgröße herausgehoben und werden andere vernachlässigt. Wir können mit einiger Anstrengung vielleicht vermeiden, dass wir etwas als typisch bezeichnen -- als typisch deutsch, typisch weiblich, typisch CDU. Aber es ist ganz und gar unmöglich, die Kategorisierungen selbst zu vermeiden, und zwischen ,deutsch` und ,typisch deutsch` ist der Unterschied nicht allzu groß."

[Bausinger, Hermann <1926 - >: Typisch deutsch : wie deutsch sind die Deutschen?. -- München : Beck, ©2000. -- (Beck'sche Reihe ; 13448). -- ISBN 3406421482. -- S. 17. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

 

Ergebnis dieser Lehrveranstaltung dürfen nicht neue (veränderungsresistente) Stereotype sein. Lernziel ist vielmehr eine verstärkte Sensibilität für kulturelle Hintergründe der Kommunikationspartner.

7. Vorschau: Themen dieser Lehrveranstaltung


Zunächst werden wir uns überlegen, was Kommunikation mit Kultur zu tun hat und was wir unter Kommunikationskulturen verstehen wollen.  Dann behandeln wir einige grundlegenden Probleme der beiden Hauptbereiche menschlicher Kommunikation: sprachliche Kommunikation und nichtsprachliche Kommunikation. Anschließend werden wir uns kulturellen Faktoren zuwenden, die bei der interkulturellen Kommunikation besondere Schwierigkeiten machen:

Zum Abschluss werden wir uns mit der Frage der Globalisierung der Kommunikationskulturen beschäftigen.

8. Weiterführende Ressourcen


Bausinger, Hermann <1926 - >: Typisch deutsch : wie deutsch sind die Deutschen?. -- München : Beck, ©2000. -- 176 S. -- (Beck'sche Reihe ; 13448). -- ISBN 3406421482. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- [Empfehlenswerte, gut lesbare Einführung zu Selbst- und Fremdbildern]

Fohrbeck, Karla ; Wiesand, Andreas Johannes: «Wir Eingeborenen». - Reinbeck : Rowohlt, 1983. - 299 S. ; Ill. - (rororo ; 7764). - ISBN 3810001767. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- [Gutes Heilmittel gegen Ethnozentrismus]

Hofstede, Geert: Lokales Denken, globales Handeln : Kulturen, Zusammenarbeit und Management. - - Aktualisierte Ausg. der dt. Übers. - - München : Dt. Taschenbuchverl., 1997. - - XXII, 420 S. - -(dtv ; 50807). - - ISBN 3-423-50807-8. -- Original: Cultures and organizations : software of the mind ; intercultural cooperation and its importance for survival. - - New York, NY : McGraw-Hill, 1991. - - [Standardwerk zum Thema, viele gute Beispiele aus der Praxis]

Jones, James M.: Prejudice and racism. -- 2.ed. -- New York [u.a.] : McGraw-Hill, ©1997. -- 578 S. : Ill. -- ISBN 0070331170. -- [S. 164 - 202: Stereotypes]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Lederer, William J. <1912 - > ; Burdick, Eugene: The ugly American. -- New York : Norton, 1958. -- 258 S. --  Neuausgabe: Fawcett Books, 1985. -- ISBN 0449215261. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.co.uk bestellen}. -- Dt. Übersetzung: Der hässliche Amerikaner. -- Hamburg : Nannen, 1959. -- 275 S. -- [Klassischer Tatsachenroman über kulturelle Unsensibilität. Pflichtlektüre]

Myers, David G.: Social psychology. -- 5. ed. -- New York [u.a.] : McGraw-Hill, ©1996. -- 712 S. : Ill. -- ISBN 0-07-044377-7. -- [Sehr empfehlenswertes Lehrbuch der Sozialpsychologie, das viele für zwischenkulturelle Kontakte wichtige Erkenntnisse enthält]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Smith, Peter B. ; Bond, Michael Harris: Social psychology across culture. -- 2. ed. -- Boston [u.a.] : Allyn and Bacon, ©1999. -- 400 S. : Ill. -- ISBN 0-205-28522-8. -- [Materialreiche Übersicht]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Trompenaars, Fons; Hampden-Turner, Charles: Riding the waves of culture : understanding cultural diversity in global business. -- 2. ed. -- New York [u.a.]: McGraw-Hill, ©1998. -- 273 S. : Ill. -- ISBN 0-7863-1125-8. -- [Für Manager internationaler Konzerne gedacht, mit guten Beispielen aus der Praxis]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}


Zu Kapitel 2: Kultur und Kommunikation