Internationale Kommunikationskulturen

2. Kultur und Kommunikation


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 2. Kultur und Kommunikation. -- Fassung vom 2011-01-08. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur02.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2000-10-12

Überarbeitungen: 2011-01-08; 2006-03-13

Anlass: Lehrveranstaltung, HdM Stuttgart, 2006; MBA der HdM Stuttgart und der Sächsischen Hochschule Zwickau, 2011

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0. Übersicht



1. Einleitung


In diesem Kapitel definieren wir, was wir unter Kultur, Kommunikation, Kommunikationskulturen verstehen wollen.  Gleichzeitig behandeln wir einige Grundprobleme von Kultur und Kommunikation, (die uns während der ganzen Lehrveranstaltung immer wieder begegnen werden.)


2. Kultur


Every man is in certain respects

  1. like all other men

  2. like some other man

  3. like no other man

Clyde Kluckhohn <1905 - 1960> ; Henry Alexander  Murray <1893 - >: Personality in nature, culture and society  (1948)

Jeder Mensch ist in bestimmten Hinsichten
  1. wie alle anderen Menschen
  2. wie einige andere Menschen
  3. wie kein anderer Mensch

C. Kluckhohn und H.A. Murray (1948)

Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht und die Gewohnheit nennt er seine Amme.

Friedrich Schiller <1759 - 1805>: Wallenstein I, 4 (1800)

Jede Begegnung mit jemand Fremden oder einer fremden Situation bedeutet Unsicherheit. Eine Reduktion dieser Unsicherheit ist möglich, wenn man eine begründete Wahrscheinlichkeitserwartung hat, wie der Fremde auf bestimmtes Verhalten vermutlich reagieren wird bzw. wie man mit der fremden Situation vermutlich zurechtkommt. Soziale "Konventionen", die eine solche Erwartung ermöglichen und die einem selbst Verhaltensmuster zur Verfügung stellen, sind Bestandteil dessen, was man etwas unscharf "Kultur" nennt. Kultur stellt unter anderem gemeinsame Bewertungen, Bedeutungen, Sinngebungen, Erwartungen, Verhaltensweisen zur Verfügung. Dies reicht von festen "Drehbüchern" für bestimmte Situationen (z.B. an der Kasse im Supermarkt, beim Fahrscheinlösen im Bus) bis zu sehr subtilen, der Angehörigen der betreffenden Kultur völlig "natürlich" erscheinenden Verhaltensweisen und Erwartungen (z.B. wie man Trauer zeigt). Erst bei der Begegnung mit Angehörigen anderer Kulturen kann einem das Ausmaß, in dem man selbst von eigenen Kulturen geprägt ist, bewusst werden.

Da Begriffe zweckgerichtete Konventionen sind, sollte man nicht fragen: Was ist Kultur?, sondern: Wie wollen wir Kultur für unsere Zwecke definieren?

Edward B. Tylor (1873):

"Kultur ist jenes komplexe Ganze, das Kenntnisse, Glaubensvorstellungen, Künste, Sitte, Recht, Gewohnheiten und jede andere Art von Fähigkeiten und Dauerbetätigung umfasst, die der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erwirbt."

[Tylor, Edward B. <1832 - 1917>: Die Anfänge der Kultur. -- Bd. 1. -- Leipzig : Winter, 1873. -- S. 1]

Melville J. Herskovits <1895-1963> (1948):

"Kultur ist der vom Menschen gemachte Teil der Umwelt"

W. E. Mühlmann (1972):

"Kultur ist die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Bevölkerung einschließlich der sie tragenden Geistesverfassung, insbesondere der Werteinstellungen. Die typischen Lebensformen umfassen auch die technischen Grundlagen des Daseins samt ihren materiellen Substraten (Kleidung, Obdach, Werkzeuge und Geräte usw.) und den gestalteten Naturraum als Kulturlandschaft."

[Mühlmann, Wilhelm Emil <1904 - >: Kultur. -- In: Wörterbuch der Soziologie / hrsg. Wilhelm Bernsdorf. -- Frankfurt a. M. : Fischer, 1972]

C. Kluckhohn und W. H. Kelly (1945):

"Unter Kultur verstehen wir alle jene historisch geschaffenen Lebensmuster, explizit und implizit, rational, scheinbar-rational und nicht rational, die zu einer gegebenen Zeit als potentielle Steuerungen für das Verhalten von Menschen existieren." Lebensmuster = nicht nur die Theorie, wie etwas getan oder gefühlt werden sollte, sondern auch die Praxis, d.h. auch die Muster, denen verbotene und missbilligte Verhaltensformen in ihrer Ausführung unterliegen wie auch die Muster, denen Verhaltensformen unterliegen, die in Hinblick auf gemeinsame Normen "neutral" sind."

Eine bestimmte Kultur = "ein historisch abgeleitetes System expliziter und impliziter Lebensmuster, das dazu neigt, von allen oder von besonders bezeichneten Mitgliedern einer Gruppe geteilt zu werden."

[Kluckhohn, Clyde <1905 - 1960> ; Kelly, William H. <1902 - >: The concept of culture. -- In: The science of man in the world crisis / ed. Ralph Linton. -- New York : Columbia University Press, 1945]

G. Hofstede (1991):

Hofstede bezeichnet die vom Menschen erlernten Denk-, Fühl- und Handlungsmuster "mentale Programme". Ein solches Programm ist Kultur, die Hofstede als "Kultur Zwei" einführt. "Kultur Eins" hingegen ist die Kultur im engeren Sinn wie Bildung, Kunst und Literatur.

"Kultur (Zwei) ist immer ein kollektives Phänomen, da man sie zumindest teilweise mit Menschen teilt, die im selben sozialen Umfeld leben oder lebten, d.h. dort, wo diese Kultur erlernt wurde. Sie ist die kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet."

Hofstede, Geert: Lokales Denken, globales Handeln. -- Aktualisierte Ausg. der dt. Übers. - - München : Dt. Taschenbuch-Verl., 1997. - - (dtv ; 50807) -- EST: Cultures and organizations <dt.>. - S. 4

Zu Kultur gehört also z.B.:

Man kann sprechen von Kultur von

Diese Kulturen können Segmentierungen innerhalb eines größeren kulturellen Rahmens bzw. innerhalb eines kulturellen Großraums sein. Geht es um die Aussage zu einem kulturellen Großraum sollte man den Begriff "Kulturkreis" vermeiden, es sei denn man bezieht sich auf die "Kulturkreislehre". Letztere wurde von L. Frobenius (1873 - 1938) entwickelt (ähnliche Aussagen macht O. Spengler). Frobenius verstand die Kultur als organisches Leben, das sich unabhängig vom Menschen aber vergleichbar mit den Lebensaltern eines Menschen entwickelt. Für die Geschichte der Weltkultur heißt das: dem Kindesalter entspricht die "´mythologische Kultur` des pazifischen Ozeans; das Jünglingsalter [ist] die Kultur des südlichen und zentralen Asiens und Osteuropas - die Kultur der ´hohen Religionen` - ; das Mannesalter ist die ´philosophische Kultur` Westeuropas, das Greisenalter schließlich ist die ´materialistische Kultur` der Randvölker des nördlichen Atlantik: Frankreich, England und Nordamerika. Die Weltkultur schreitet so für Frobenius von Osten nach Westen vor."

[Roth, G.: Kulturmorphologie, Kulturkreislehre. -- 1976. -- In: Historisches Wörterbuch der Philosphie. - - Band 4, Sp. 1339]

Man kann schematisch vereinfachend folgende konzentrischen Kreise von Kultur unterscheiden:

Kulturen bestimmen die Erwartungen und Interpretationen, die ich im Umgang mit anderen habe.

Für internationale Kommunikation ist kulturelle Kompetenz unerlässlich, d.h. z.B.:

  • Sensibilität für kulturelle Unterschiede
  • Kenntnisse über die eigenen und die fremden Kulturen
  • Geschicklichkeit und Anpassungsfähigkeit im Umgang  mit Fremden und Fremdem
  • Offenheit für andere Kulturen, Sitten und Gebräuche

Als vorteilhaft in gemischtkulturellen Arbeitsgruppen und Organisationen hat sich erwiesen, von Zeit zu Zeit unter der Leitung von Außenstehenden gleichzeitige Treffen der einzelnen kulturellen Untergruppen zu veranstalten, bei denen diese ihre Probleme mit den Mitarbeitern aus anderen Kulturen artikulieren können und sollen. Die außenstehende Drittperson berichtet dann den jeweils anderen Gruppen, die Schwierigkeiten, die man mit ihnen hat. Dies kann ein erster Schritt dazu sein, sich gegenseitig entgegenzukommen.

Einige unsystematische Bemerkungen zum Begriff "Kultur", wie wir ihn gebrauchen wollen [In Anlehnung an: Kluckhohn, Clyde <1905 - 1960> ; Kelly, William H. <1902 - >: The concept of culture. -- In: The science of man in the world crisis / ed. Ralph Linton. -- New York : Columbia University Press, 1945]


Abb.: "Tarzanprofessor" Hermann Bausinger (geb.1926, von 1960 bis 1991 ordentlicher Professor für Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen


Abb.: Ein Objekt typisch deutscher Kultur

Ideale und Wirklichkeiten

Am Traualtar: "Ehe: so heiße ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens." (Friedrich Nietzsche <1844 - 1900>)

Abb.: Ideal: "Ehe" von Hugo Höpner <1868 - 1948>, genannt Fidus. -- In: Jugend. -- Nr. 9 821.2.1906)


Abb.: Wirklichkeit im Gegensatz zu öffentlichen kulturellen Normen: bürgerliches Ehepaar [Quelle: Fliegende Blätter. -- Nr. 3424, S. 120]


3. Kommunikation


Der Begriff "Kommunikation" wird in verschiedenen Zusammenhängen und von verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich gebraucht. Er ist zum richtigen "Schwammbegriff" geworden.

Im Metzler Lexikon Sprache wird dieser Sachverhalt treffend zusammengefasst:

"Kommunikation (lateinisch communicatio ›Mitteilung‹ < con ›gemeinsam‹, munus ›Aufgabe, Leistung‹) Ausdruck, der von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen -- z.T. an zentraler Stelle in ihrer jeweiligen Systematik -- in Anspruch genommen wird. 

Insbesondere findet er Verwendung in der 

  • Journalistik- und Medienforschung, der Erforschung der  Massenkommunikation und ihrer Mittel; 
  • in der Ökonomie für den Bereich der Waren-, aber auch der Nachrichten-Transporte ( Sprachökonomie); 
  • in der Kommunikationswissenschaft als einer Disziplin, die sich mit den physikalisch-technischen Aspekten von Nachrichtenübermittlung befasst; 
  • in der Kybernetik als einer Disziplin, in der Kommunikation zu einem Grundbegriff einer allgemeinen Theorie von Systemen gemacht wurde. 

Die Verwendung des Ausdrucks »Kommunikation« seit dem ersten Drittel des 20. Jh., mit einer ständig steigenden Tendenz nach 1945, ist vor allem auch dadurch bestimmt, dass ein reger Metaphorisierungs- und Übertragungsprozess von einer in die andere beteiligte Disziplin stattfindet, dessen Geschichte genauerer Erforschung bedürfte. 

Zugleich decken die englischen Ausdrücke communication und to communicate ein breites semantisches Feld ab und finden auch Verwendung für ›übermitteln‹ und ›vermitteln‹ bis hin zu ›verstehen‹ im umgreifenden Sinn, ›sich verständigen‹. 

Insbesondere aber bildete die nachrichtentechnische und kybernetische Fassung von Kommunikation den Spender- Bereich für Übertragungen; z.T. war die Linguistik Übergangsbereich für die Übertragung in neuere philosophische Theoriezusammenhänge (Habermas, Luhmann). 

In der Linguistik wird der Ausdruck vor allem im Zusammenhang mit Versuchen verwendet, die immer stärker eingeengten Objektbegriffe der Linguistik wieder in Richtung auf die umfassende Phänomenfülle von Sprache und ihren Verwendungen zu öffnen .... Der Ausdruck »Kommunikation« wird insbesondere eingesetzt, um Zwecke oder Funktionen der (Verwendung von) Sprache oder, semiotisch gefasst, von (sprachlichen) Zeichen zu erfassen. .. Als eine oder die zentrale Aufgabe von Sprache bzw. Sprachverwendung wird die Mitteilung von Informationen, die ein Sprecher einem Hörer vermittelt, angesehen (allerdings wird kaum je die genaue Handlungsqualität des Mitteilens untersucht). 

In der nachrichtentechnisch bestimmten Theorievariante wird dies in einem sogenannten »Kommunikationsmodell« beschrieben: Eine aus einer ›Quelle‹ (source) stammende ›Information‹ oder Nachricht wird von einem ›Sender‹ (transmitter) als Signal durch einen ›Kanal‹ (channel) an einen ›Empfänger‹ (receiver) übermittelt, der das ›Bestimmungsziel‹ (destination) der Nachricht ist; der Übertragungsprozess kann im Kanal durch ›Rauschen‹ (noise) gestört werden. 


Abb.: Welche Nachrichten sendet dieser Sender über welche Kanäle an Sie als Empfänger?

Dieses für den Prozess der Nachrichtenübertragung unmittelbar einleuchtende Modell wurde auf das menschliche Verständigungshandeln insgesamt übertragen und zum Teil als Grundmodell u.a. auch für die Literatur eingesetzt. 

Es weist gegenüber reduktionistischen linguistischen Grundkonzepten den Vorteil auf, dass nicht nur die Strukturen des sprachlichen »Systems« thematisiert werden, sondern auch die Bedingungen seines Gebrauchs und die Einbeziehung der verschiedenen am Gebrauch beteiligten Instanzen. 

In dieser Form wurde in der Bundesrepublik das Kommunikations-Modell insbes. durch das Funkkolleg Sprache sehr weit verbreitet, ging in die linguistischen Grundüberzeugungen einer ganzen Generation von Linguistinnen ein und erreichte über Lehrpläne einen erheblichen Stellenwert im Schulunterricht (Didaktisierung), wo es z.T. sogar als Grundkategorie für den sprach- und  literaturbezogenen Aspekt des Deutschunterrichts eingesetzt wurde. 

Kaum beachtet wurden dabei die nachrichtentechnisch bedingten technizistischen Verkürzungen menschlicher Verständigung, vor denen bereits Karl Bühler (1879-1963), einer der ersten Verwender der »Sender«-»Empfänger«-Metaphorik, gewarnt hatte. Insbesondere wird Sprache so leicht zu einem Signalsystem, zu einem Kode, verkürzt. ...

Das nachrichtentechnische Modell erlaubt unter dem Stichwort »Kanal« auch die Einbeziehung unterschiedlicher Formen von Verständigung, insbesondere paralinguistische und nonverbale Kommunikation Auch dieser Aspekt wurde linguistisch verallgemeinert. In diesem Sinn ist ›Kommunikation‹ weiter als ›Sprache‹; kommunikatives Handeln umfasst das sprachliche Handeln als eine -- ausgezeichnete -- Form von Verständigungshandeln. 

Der Stellenwert des Konzepts ›Kommunikation‹, die von verschiedenen linguistischen Schulen ausgeschlossenen sprachlichen Phänomene zu bearbeiten, erfasst einen unterschiedlichen Bereich von Erscheinungen. Dieser ist wesentlich vom jeweiligen theoretischen Interesse der Autoren bestimmt. Besonders eng ist der Zusammenhang der Konzepte ›Kommunikation‹ und ›sprachliches Handeln‹. 

Weit verbreitet ist der Einbezug psychischer Voraussetzungen für das Kommunizieren bei den Interaktanten, bes. der  Intention (Absicht) des Sprechers und der Verstehensleistungen des Hörers, ihre Wissenssysteme und Erwartungen.

Besonders breit aufgegriffen wurde das Konzept einer »kommunikativen Kompetenz«. Habermas brachte nach einflussreichen Vorbemerkungen (1971) mit seiner Theorie des kommunikativen Handelns (1981) die Synthesierung von sozialwissenschaftlichen, philosophischen, besonders handlungstheoretischen und linguistischen Analysen zu einem Abschluss.

Aus der Sicht einer konstruktivistisch-relativistischen Psychotherapie legten Watzlawick u.a. (1967) eine gleichfalls sehr einflussreiche Theorie der menschlichen Kommunikation vor, in der zwei Modalitäten von Kommunikation, 

  • beziehungs- und 
  • sachbezogene, 

voneinander unterschieden werden. 

In der Erforschung des kindlichen Spracherwerbs bedeutet die Beachtung des Verhältnisses von Kommunikation und Sprache, dass der interaktive Charakter der vorsprachlichen und sprachlichen Verständigung zwischen Bezugsperson und Kind thematisiert wird.

Im Konzept ›Kommunikation‹ wird auf den komplexen, in andere menschliche Interaktion eingebundenen Charakter des sprachlichen Handelns hingewiesen. Menschliche Kommunikation ist  grundlegend auf Reflexivität angewiesen, die sich in den wechselseitigen Erwartungen der Interaktanten niederschlägt. Eine Ausarbeitung des Konzepts verlangt u.a. eine genauere Bestimmung der unterschiedlichen Funktionen von sprachlichem Handeln und eine Verhältnisbestimmung von Sprache und sonstigen Formen von Verständigung. 

Eine besondere Rezeptionsgeschichte hat B. Malinowskis Konzept der »phatischen Kommunion« gefunden. Malinowski verwies damit auf besondere Leistungen von Sprache zunächst in von ihm beobachteten Gruppen von Sprechern in der Südsee, für die der Austausch sprachlichen Einheiten -- ähnlich wie bei anderen Austauschsystemen materieller Objekte -- eine wichtige Funktion für die Stiftung von Gemeinschaft wahrnimmt. Der Ausdruck ›Kommunion‹, religiös konnotiert, wird hier gebraucht, um die Intensität dieser Handlungen zu bezeichnen. Heute wird er meist durch den Ausdruck ›Kommunikation‹ ersetzt. Phatische Kommunikation ist dann eine solche Kommunikation, in der sprachliche Einheiten gerade nicht zum Zwecke des Informationsaustauschs, sondern unter dem Gesichtspunkt ihrer reinen Abarbeitung und unabhängig vom propositionalen Gehalt der Äußerungen als Mittel und Realisierung von Gemeinschaft zwischen Sprechern und Adressaten verstanden werden (vgl. z.B. Grußformeln)."

[ Metzler Lexikon Sprache / herausgegeben von Helmut Glück. -- Berlin : Directmedia, ©2000. --  1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; Bd. 34). -- ISBN 3932544471. -- Art. Kommunikation]

Die einzelnen Punkte, die in obigem Text noch sehr abstrakt formuliert sind, werden in dieser Lehrveranstaltung noch ausführlich behandelt werden.

Ich will im Folgenden die Worte "Kommunikation", "kommunikatives Verhalten" u.ä. im Sinne von durch den "Sender" explizit oder implizit intendierter Mitteilung verwenden (unabhängig davon, ob der Empfänger die Kommunikation erkennt bzw. richtig oder falsch versteht). Auf Empfängerseite verwende ich das Wort "informatives Verhalten" für Verhalten des "Senders", das der Empfänger explizit oder implizit -- richtig oder falsch -- interpretiert (unabhängig davon, ob der Sender eine Information intendiert). Sender und Empfänger sind dabei relative Begriffe: jeder Sender ist in einer Interaktion gleichzeitig Empfänger. 

Danach gibt es folgende Begriffspaare

Sender Empfänger Begriffspaar Beispiel
Mitteilung explizit oder implizit intendiert als Mitteilung bzw. Information richtig oder falsch interpretiert kommunikativ und informativ sprachliche Mitteilung, die verstanden oder missverstanden wird
nicht als Mitteilung  bzw. Information interpretiert kommunikativ und nicht informativ man gibt jemandem ein Zeichen, die Angesprochene nimmt das Verhalten aber nicht als Zeichen wahr 
Mitteilung nicht intendiert als Mitteilung  bzw. Information interpretiert nicht kommunikativ, aber informativ man riecht ungewaschen, das Gegenüber interpretiert das: "Diese Person ist ein Schweinderl"
nicht als Mitteilung  interpretiert weder kommunikativ noch informativ  

 

Abbildungen: Was ist von den dargestellten Personen beabsichtigte, was nicht beabsichtigte Mitteilung?

Michael Argyle unterscheidet nach dem Bewusstseinsgrad bei Sender und Empfänger:

Sender Empfänger Beispiele
bewusst bewusst verbale Mitteilungen;
manche Gesten: z.B. mit dem Finger auf etwas weisen
unbewusst der Sender ist geübt, z.B. das Verhalten in räumlichen Beziehungen (Nähe -- Distanz) anzuwenden
größtenteils unbewusst größtenteils bewusst die meisten nonverbalen Mitteilungen
unbewusst bewusst der Empfänger ist geübt, z.B. in der Interpretation von Körperhaltungen
unbewusst, aber mit Wirkung Pupillen-Erweiterung, Blickwechsel und andere kleine nonverbale Signale

[Argyle, Michael <1925 - >: Körpersprache & Kommunikation. -- 7. Aufl. -- Paderborn : Junfermann,  1996 (©1979). -- (Reihe Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften ; Bd. 5). -- ISBN 3873871718. -- Originaltitel: Bodily communication (1975). -- S. 17. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Weiter kann man nach der Richtigkeit der Auffassung durch den Empfänger unterscheiden:

  Keine Botschaft empfangen Botschaft missverstanden Botschaft richtig verstanden
Absichtlich gesandte Botschaft versuchte Kommunikation Fehlkommunikation Erfolgreiche Kommunikation
Unbeabsichtigt gesandte Botschaft  unbeachtetes Verhalten Fehlinterpretation Beiläufige Information

[Vgl.: Hecht, DeVito, Guerrero. --  In: The nonverbal communication reader : classic and contemporary readings / ed. by Laura K. Guerrrero ... -- 2. ed.  -- Prospect heights, IL : Waveland, ©1999. -- ISBN 1577660404. -- S. 6. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


Abb.: Misslungene Kommunikation [Quelle: Fliegende Blätter. -- Nr. 3417, S. 50]


4. Semiotik


Griechisch techne semeiotike ›Lehre  von den Kennzeichen‹. Auch: Sematologie, Semeologie, Semiologie, Zeichentheorie, Zeichenwissenschaft.

Semiotik (Semiologie) untersucht die Struktur sämtlicher möglicher Zeichensysteme und deren Rolle bei der Erzeugung und Wahrnehmung von Mustern (Bedeutungen) im Rahmen des soziokulturellen Verhaltens der Menschen. Semiotik umfasst sämtliche Medien strukturierter Kommunikation (natürliche und künstliche Sprachen, Schriftsystemen, Gebärdensprachen sowie nonverbale Zeichensysteme) in jedem denkbaren Zusammenhang (z.B. Tanz, Film, Essen, Kleidung usw. usw.).

Semiotik umfasst insbesondere folgende Zeichensysteme:

Hörbare Zeichen Gesprochene Sprache
Physiologische Reflexe des Sprechapparates (Husten, Schnarchen)
Musikalische Nutzung
Stimmliche Eigenschaften (Identitätsvermittlung)
Sichtbare Zeichen Gebärdensprache
Schrift und Codes
Gesichtausdruck, Blickkontakt, Gesten, Körperhaltung (Kinesik)
Berührungssignale Sprache gehörloser Blinder
Geheimcodes
Berührungs- und Raumverhalten (Proxemik)
Geruchssignale  
Geschmackssignale  


Abb.: Hörbare Zeichen, Sichtbare Zeichen


5. Kulturelle Universalien als Voraussetzung für interkulturelle Kommunikation


Wären verschiedene Kulturen nur verschieden und lägen ihnen nicht gemeinsame menschliche Züge zugrunde, dann wäre Kommunikation zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen nur so beschränkt möglich wie Kommunikation mit Tieren aus anderen Gattungen. Deshalb suchte man schon immer nach kulturellen Universalien. Der jüngste große Versuch ist der von D. E. Brown. Brown untersuchte ethnographische Berichte auf universale Muster, die dem Verhalten sämtlicher dokumentierter Kulturen zugrundeliegen. In seinem Buch

Brown, Donald E. <1934 - >: Human universals. -- New York : McGraw-Hill, ©1991.  -- 220 S. -- ISBN 007008209X. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

nennt er folgende Universalien, die in jeder Kultur -- kulturell und individuell variiert -- vorgefunden werden. Diese Universalien ermöglichen -- bei allen kulturellen Unterschieden -- interkulturelle Kommunikation. 


Abb.: Menschliches Universale: Klatsch und Tratsch


Abb.: Verschiedene sprachliche Universalia


Abb.: Universalia: Flirt, Sympathiekundgebung


Abb.: Universale: Sexuelle Anziehung

Abb.: Universalia: Drogen zur Entspannung, Musik

 


Abb.: Universale: Kinder, die die Älteren nachahmen


Abb.: Universale: Dominanz der Männer im öffentlichen politischen Leben


Abb.: Universale: Riten, einschließlich Übergangsriten 

[Deutsche Übersetzungen nach: Pinker, Steven<1954 - >: Der Sprachinstinkt : wie der Geist Sprache bildet. -- München : Knaur, 1998 (©1996). -- (Knaur Taschenbuch ; 77363). -- ISBN 3426773635. -- Originaltitel: The language instinct (1994). -- S. 464 - 466. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


6. Kultur und Kommunikation


Wenn ein Hund auf einen anderen Hund zugeht, ist es für beide wichtig (ja bei entsprechend großen Hunden lebensnotwendig), die Absichten und Einstellungen des anderen zu erkennen. Dafür haben Hunde ein eigenes Kommunikations-Protokoll, klare Verhaltensweisen, die ihre gegenseitigen Absichten zeigen.

Ebenso haben Katzen für den Umgang miteinander ein eindeutiges Kommunikationsprotokoll. Allerdings unterscheidet sich dieses von dem der Hunde in wesentlichen Punkten.

Absicht bei Begegnung Protokoll der Hunde (auszugsweise) Protokoll der Katzen (auszugsweise)
feindselig, Angriff aufrechter, steifer Gang, leicht emporgehobener oder kaum gesenkter Kopf, aufrechter, steifer Schwanz, gesträubte Haare, nach vorwärts gerichtete gespitzte Ohren, starrer Blick kauernde Stellung, gekrümmter Rücken (Katzenbuckel), gesträubte Haare, Fauchen, seitliches Schwanzschlagen

freundlich

geduckter Körper, windende Körperbewegungen, gesenkter Schwanz, wedelt, glattes Haar, heruntergeschlagene nach hinten gezogene Ohren, schlaffe Lippen aufrecht stehend, leicht gekrümmter Rücken, senkrecht aufgerichteter Schwanz, aufrechte und gespitzte Ohren, geschlossenes Maul

[Quelle der Abbildungen: Darwin, Charles <1809 - 1882>: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei den Menschen und Tieren. -- Frankfurt a. M. : Eichborn, 2000. -- (Die andere Bibliothek). -- ISBN 3821841885. -- Originaltitel: The expression of the emotions in man and animals (1872). -- S. 62, 66. -- Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Wenn nun Hund und Katze zusammentreffen, kann es zu schweren Missverständnissen kommen, wenn der Hund das Katzenverhalten nach dem Hundeprotokoll und die Katze das Hundeverhalten nach dem Katzenprotokoll einschätzt. Allerdings können Hunde und Katzen individuell die Bedeutung des Verhaltens des jeweils anderen lernen und sogar neue Verhaltensregeln für den gegenseitigen Umgang entwickeln (wie auch für den Umgang mit Menschen).

Genauso brauchen Menschen für ihren Umgang miteinander Protokolle, Regeln, aufgrund derer sie ihr gegenseitiges Verhalten einschätzen und verstehen können. Menschliche Protokolle haben gegenüber tierischen den Nachteil, dass sie viel stärker kulturell und individuell bestimmt sind, sodass ihre Universalität unter Menschen vermutlich geringer ist als unter anderen Tierarten.

Schon eine einfache sachbezogene -- Kenntnisse übermittelnde -- Kommunikation hat, um erfolgreich sein zu können, auf Seiten des Senders und Empfängers folgende Voraussetzungen, die nicht nur individuell, sondern auch kulturell mitbedingt sind:

Sender Nachricht Empfänger
Wissen und Meinungen über den Gegenstand Wissen und Meinungen über den Gegenstand
Wissen und Meinungen über den Empfänger Wissen und Meinungen über den Sender
Kenntnis der Sprache Kenntnis der Sprache
Kommunikative Absichten Kommunikative Absichten
Gegenstand

Eine komplexere -- z.B. eine beziehungsbezogene -- Kommunikation hat noch viel komplexere Voraussetzungen.


7. Kommunikationskulturen


Als Kommunikationskulturen definiere ich innerhalb von Kulturen die Untermengen an kulturellen Regeln, Institutionen usw., die sich auf Kommunikation, ihre Ermöglichung, Erleichterung, Erschwerung und Verhinderung beziehen. 


8. Weiterführende Ressourcen


8.1. Internetressourcen


Entwicklungsländerstudien / hrsg. von Margarete Payer. -- Teil I: Grundgegebenheiten. -- Kapitel 13: Kulturen / zusammengestellt von Alois Payer. -- URL: http://www.payer.de/entwicklung/entw13.htm. -- Zugriff am 11.9.2000


8.2. Ressourcen in Printform


Forgas, Joseph P.: Soziale Interaktion und Kommunikation : eine Einführung in die Sozialpsychologie. -- 4. Aufl. -- Weinheim : Psychologie Verlags-Union, ©1999. -- 324 S. : Ill. -- ISBN 3621271457. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Hofstede, Geert: Lokales Denken, globales Handeln : Kulturen, Zusammenarbeit und Management. -- Aktualisierte Ausg. der dt. Übers. -- München : Dt. Taschenbuchverl., 1997. - - XXII, 420 S. -- (dtv ; 50807) -- ISBN 3-423-50807-8 -- EST: Cultures and organizations <dt.>

Kulturanthropologie / [hrsg. von] René König ; Axel Schmalfuß. - Düsseldorf ; Wien : Econ, 1972. - 293 S. - (Econ Reader). - ISBN 3-430-15551-7. -- [Reader mit klassischen Texten]

Nöth, Winfried: Handbook of Semiotics. -- Bloomington [u.a.] : Indiana University Press, ©1990. -- 576 S. : Ill. -- (Advances in Semiotics). -- ISBN 0253209595. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Trompenaars, Fons; Hampden-Turner, Charles: Riding the waves of culture : understanding cultural diversity in global business. -- 2. ed. -- New York [u.a.]: McGraw-Hill, ©1998. -- 273 S. : Ill. -- ISBN 0-7863-1125-8. -- [Für Manager internationaler Konzerne gedacht, mit guten Beispielen aus der Praxis]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}


Zu Kapitel 3: Verbale Kommunikation