Einführung in

Entwicklungsländerstudien

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Wir sind miteinander verknüpft

13. Grundgegebenheiten: Kulturen

 


zusammengestellt von Alois Payer

herausgegeben von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Entwicklungsländerstudien / hrsg. von Margarete Payer. -- Teil I: Grundgegebenheiten. -- Kapitel 13: Kulturen / zusammengestellt von Alois Payer. -- Fassung vom 2001-02-21. -- URL: http://www.payer.de/entwicklung/entw13.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 1999-04-16

Überarbeitungen: 2018-10-05 [grundlegedn überarbeitet] ; 2001-02-21 [Update]

Anlass: Lehrveranstaltung "Einführung in Entwicklungsländerstudien", HBI Stuttgart, 1998/99

 

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Herausgeberin.

Dieser Text ist Bestandteil der Abteilung Entwicklungsländer von Tüpfli's Global Village Library.


Skript, das von den Teilnehmern am Wahlpflichtfach "Entwicklungsländerstudien" an der HBI Stuttgart erarbeitet wird.


0. Übersicht



1. Einleitung


Every man is in certain respects
a) like all other men
b) like some other man
c) like no other man

C. Kluckhohn und H.A. Murray (1948)

Jede Begegnung mit jemand Fremden oder einer fremden Situation bedeutet Unsicherheit. Eine Reduktion dieser Unsicherheit ist möglich, wenn man eine begründete Wahrscheinlichkeitserwartung hat, wie der Fremde auf bestimmtes Verhalten vermutlich reagieren wird bzw. wie man mit der fremden Situation vermutlich zurechtkommt. Soziale "Konventionen", die eine solche Erwartung ermöglichen und die einem selbst Verhaltensmuster zur Verfügung stellen, sind Bestandteil dessen, was man etwas unscharf "Kultur" nennt. Kultur stellt unter anderem gemeinsame Bewertungen, Bedeutungen, Sinngebungen, Erwartungen, Verhaltensweisen zur Verfügung. Dies reicht von festen "Drehbüchern" für bestimmte Situationen (z.B. an der Kasse im Supermarkt, beim Fahrscheinlösen im Bus) bis zu sehr subtilen, der Angehörigen der betreffenden Kultur völlig "natürlich" erscheinenden Verhaltensweisen und Erwartungen (z.B. wie man Trauer zeigt). Erst bei der Begegnung mit Angehörigen anderer Kulturen kann einem das Ausmaß, in dem man selbst von eigenen Kulturen geprägt ist, bewusst werden.

Da Begriffe zweckgerichtete Konventionen sind, sollte man nicht fragen: Was ist Kultur?, sondern: Wie wollen wir Kultur für unsere Zwecke definieren?

Edward B. Tylor (1873):

"Kultur ist jenes komplexe Ganze, das Kenntnisse, Glaubensvorstellungen, Künste, Sitte, Recht, Gewohnheiten und jede andere Art von Fähigkeiten und Dauerbetätigung umfasst, die der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erwirbt."

M. J. Herskovits (1948):

"Kultur ist der vom Menschen gemachte Teil der Umwelt"

W. E. Mühlmann (1972):

"Kultur ist die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Bevölkerung einschließlich der sie tragenden Geistesverfassung, insbesondere der Werteinstellungen. Die typischen Lebensformen umfassen auch die technischen Grundlagen des Daseins samt ihren materiellen Substraten (Kleidung, Obdach, Werkzeuge und Geräte usw.) und den gestalteten Naturraum als Kulturlandschaft." Sprache nicht vergessen.

C. Kluckhohn und W. H. Kelly (1945):

"Unter Kultur verstehen wir alle jene historisch geschaffenen Lebensmuster, explizit und implizit, rational, scheinbar-rational und nicht rational, die zu einer gegebenen Zeit als potentielle Steuerungen für das Verhalten von Menschen existieren." Lebensmuster = nicht nur die Theorie, wie etwas getan oder gefühlt werden sollte, sondern auch die Praxis, d.h. auch die Muster, denen verbotene und missbilligte Verhaltensformen in ihrer Ausführung unterliegen wie auch die Muster, denen Verhaltensformen unterliegen, die in Hinblick auf gemeinsame Normen "neutral" sind.

Eine bestimmte Kultur = "ein historisch abgeleitetes System expliziter und impliziter Lebensmuster, das dazu neigt, von allen oder von besonders bezeichneten Mitgliedern einer Gruppe geteilt zu werden."

Zu Kultur gehört also z.B.:

Man kann sprechen von Kultur von

Diese Kulturen können Segmentierungen innerhalb eines größeren kulturellen Rahmens sein.

Man kann schematisch vereinfachend folgende konzentrischen Kreise von Kultur unterscheiden:

Kulturen bestimmen die Erwartungen und Interpretationen, die ich im Umgang mit anderen habe.

Für Arbeit im Bereich der Entwicklungsländer ist kulturelle Kompetenz unerlässlich, d.h. z.B.:

Als vorteilhaft in gemischtkulturellen Arbeitsgruppen und Organisationen hat sich erwiesen, von Zeit zu Zeit unter der Leitung von Außenstehenden gleichzeitige Treffen der einzelnen kulturellen Untergruppen zu veranstalten, bei denen diese ihre Probleme mit den Mitarbeitern aus anderen Kulturen artikulieren können und sollen. Die außenstehende Drittperson berichtet dann den jeweils anderen Gruppen, die Schwierigkeiten, die man mit ihnen hat. Dies kann ein erster Schritt dazu sein, sich gegenseitig entgegenzukommen.


2. Schwierigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen


"Living across cultural lines constantly produces surprises for those involved.
  • People are late for appointments, or early, or do not make appointements at all and simply arrive
  • People stand too close or too far away;
  • talk too much or too little, or too fast, or too slow, or about the wrong topics.
  • They are too emotional, or too moderate, show too much or too little of a certain emotion, or show it at the wrong time or fail to show it at the right time.

The list of possible surprises in people's verbal and non-verbal behaviours is as long as the list of domains where cultural differences have been documented."

Smith and Bond 1999, S. 243

Probleme des Verstehens:

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Abb.: Kultur als statistische Verteilung von Normen, Werten usw. unter Personen
[Vorbild der Abb.: Trompenaars ; Hampden-Turner 1998, S. 25]

Im Umgang mit fremden Kulturen liegt das Entscheidende im Detail. Grobschlächtige, oberflächliche Betrachtungen nützen nichts und schaden eher. Ein Beispiel für solch oberflächliche Betrachtungen sind großmäulige Kulturanalysen wie z.B. über "den" Islam oder "das" konfuzianische Denken in ihrer Hinderlichkeit oder Förderlichkeit für Entwicklung. Zu recht schreiben G. Braun und J. Rösel dazu (in einem sonst an Oberflächlichkeit strotzenden Artikel über "Kultur und Entwicklung"):

Bezeichnend für die Beliebigkeit der 'Kulturdebatte' erscheint, dass Japanologen und Sinologen noch in den 60er-Jahren 'in souveräner gegenseitiger Nichtzurkenntnisnahme' mit entgegengesetzten Hypothesen aufwarteten. Während die Japanologen das konfuzianische Werte- und Normensystem (hohe Lerndisziplin, Arbeits- und Akkumulationsethik, Gruppenkonformismus, Hierarchisierung aller Lebensbereiche, Konkurrenzauswahl der Eliten) zur Erklärungsgrundlage des 'japanischen Wunders' emporstilisierten, verurteilten viele Sinologen das gleiche Wertesystem (Lernformalismus, Hortungsmentalität, Kleingruppennepotismus, bürokratische Hierarchien, mangelnde individuelle Leistungsbereitschaft und verbreitete Verantwortungsscheu der Eliten) als modernisierungsfeindliche Entwicklungsblockade." [In: Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen ... -- Bd 1. -- 3. Aufl. -- Bonn : Dietz, ©1993. -- ISBN 3-8012-0201-1. -- S. 259f.]. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}


2.1. Einige Punkte möglicher kultureller Unterschiede, die zu Schwierigkeiten im gegenseitigen Umgang führen können


Trompenaars; Hampden-Turner 1998 betrachten Kultur als die Art, wie eine Gruppe von Leuten Probleme löst und in Konflikten und Widersprüchen vermittelt. Die beiden sehen folgende Grundlagen kultureller Unterschiede (In den Tabellen: Hauptunterschiede zwischen den genannten Extremen in Bezug auf geschäftliche Transaktionen):

1. Beziehungen zu Mitmenschen

Universalistin Partikularistin
Stärkere auf Regeln als auf Beziehungen eingestellt Stärker auf persönliche Beziehungen als auf Regeln eingestellt
Ist schnell bereit, einen Rechtsvertrag zu schließen Ist schnell bereit, einen Rechtsvertrag abzuändern
Als vertrauenswert gilt, wer zu seinem Wort oder Vertrag steht Als vertrauenswert gilt, wer sich verändernde gegenseitige Verpflichtungen einhält
Es gilt nur das, worauf man sich geeinigt hat Jede Partnerin hat ihre eigene Perspektive und Wirklichkeit
Vertrag ist Vertrag Beziehungen entwickeln sich
Individualistin Kommunitaristin
Verwendet häufiger "Ich" Verwendet häufiger "Wir"
Entscheidungen werden vor Ort durch die Repräsentantinnen getroffen Entscheidungen werden von den Repräsentantinnen an die Organisation zurückgeleitet
Man hat idealerweise persönlich Erfolg und übernimmt persönlich die Verantwortung Man hat idealerweise als Gruppe Erfolg, die als Ganze Verantwortung übernimmt (und z.B. die soziale Bestrafung des individuellen "Übeltäters" übernimmt)
Neutrale Emotionale
Zeigt nicht, was sie denkt oder fühlt Zeigt verbal und nicht-verbal, was sie denkt oder fühlt
Aufgestaute Emotionen können u.U. explodieren Kein emotionaler Stau
Kühles, selbstbeherrschtes Verhalten wird geschätzt Vitales, lebhaftes Verhalten wird geschätzt
Körperlicher Kontakt, Gestikulieren oder starker Gesichtsausdruck sind oft tabu Berührungen, Gestikulation und starker Gesichtsausdruck sind üblich
Äußerungen oft monoton wiedergegeben Äußerungen dramatisch vorgetragen
Spezifische Diffuse
Kommt direkt auf den Punkt, offen zielgerichtet in der Beziehung Indirekt, anscheinend ziellos in der Beziehung
Präzise, offen, definitiv, transparent Ausweichend, taktvoll, zweideutig, undurchsichtig
Prinzipien unabhängig von jeweiliger Partnerin Situations"ethik", abhängig von Partnerin und Umständen
An erworbenem Status Orientierte An zugeschriebenem Status Orientierte
Verwendet Titel nur, wenn sie mit der Kompetenz für das betreffende Vorhaben zu tun haben Verwendet Titel weitschweifigst ("österreichischer Kanzleistil")
Achtung gegenüber Vorgesetzten hängt vor deren Leistungen ab Achtung vor Vorgesetzten gilt als Maß des Engagements für die Organisation
Höheres Management gehört zu unterschiedlichen Altersstufen, besteht aus Männern und Frauen und wird auf der Karriereleiter ergänzt Höheres Management ist männlich, steht in den mittleren Lebensjahren und wird aufgrund von sozialem Hintergrund (Familie; Studienort ...) ergänzt

2. Einstellungen zur Zeit:

Wo beginnt der zeitliche Rahmen für Tätigkeiten, z.B. in der Gegenwart von Null an ("amerikanische Hemdsärmeligkeit"), in Vergangenem (französisches ancien pauvre, für das die amerikanische Haltung typisch für abschätzig beurteilte "Neureiche" ist), wie sieht man Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als miteinander verknüpft

Zeitorientierung
vergangenheitsorientiert gegenwartsorientiert zukunftsorientiert
Man spricht über Geschichte, Herkunft der Familie, des Geschäftes und des Landes Gegenwärtige Aktivitäten und Freuden sind am wichtigsten Man spricht viel über Vorhaben, Möglichkeiten, zukünftige Leistungen
Motivation ist Wiederherstellung eines vergangenen goldenen Zeitalters (z.B. "goldene" nationale Vergangenheit) Man hat nichts gegen Pläne, führt sie nur meist nicht aus ("about tomorrow") Man plant und organisiert enthusiastisch
Man zeigt Ehrfurcht vor Ahnen, Vorgängern und alten Leuten Man zeigt großes Interesse an momentanen Beziehungen Großes Interesse an Jungen und zukünftigem Potential
Alles sieht man im Licht von Tradition und Geschichte Man sieht alles in Bezug auf seine momentane Bedeutung Vergangenheit und Zukunft werden für zukünftige Vorteile ausgenutzt

3. Einstellungen zur Umwelt:

Sieht man die Umwelt als etwas, das man vor allem selbst bestimmt und kontrolliert, oder sieht man die Umwelt als mächtiger als die Menschen

Eigenkontrolle Fremdkontrolle
Oft dominierend, manchmal aggressiv Oft flexibel, kompromissbereit, auf Friedlichkeit ausgerichtet
Konflikt und Widerstand gelten als Zeichen von Überzeugung Harmonie und Einfühlungsvermögen
Auf Ich, Funktion, eigene Gruppe, eigene Organisation ausgerichtet Ausrichtung auf die andere: Geschäftspartnerin, Käuferin, Kollegin
Unbehagen, wenn Umwelt außerhalb der Kontrolle erscheint Behagen an "natürlichen" Wogen, Veränderungen, Zyklen

Das Genannte sind nur Eckpunkte, die der Orientierung dienen in einem Kontinuum zwischen den Extremen (Ethnozentrismus -- die Sicht, dass die eigene Kultur der Maßstab aller Dinge ist -- soll nicht durch multikulturelle Stereotype ersetzt werden).


3. Kulturelle Faktoren in der "Entwicklung" am Beispiel von Kleinbauern


Im Folgenden einige Anregungen zum Denken, im Wesentlichen nach Beets 1990. Die Zahlen in eckigen Klammern sind Seitenangaben zu diesem Buch.


3.1. Was ist "Entwicklung"


Auch in unseren Vorstellungen von "Entwicklung" erliegen wir immer wieder unseren unbedachten kulturellen (und anderen) Vorurteilen:

"The concept of 'development' in the Third World is frequently based on ethnocentric assumptions. It is thought that 'development' is a must for everybody and that it means the same thing to different peoples and cultures. It is, for example, often reasoned: 'If I were an African smallholder, I would do this or that' ... and one is surprised when the African smallholder does something entirely different. It should be realized that only African farmers themselves know the totality of their socio-economic situation and the outside expert (including urban Africans) can only hope to get some level of understanding. Often they will simply get it all wrong. Yet many researchers and policy makers still continue to assume that they know exactly what is good and desirable for Third World farmers.

The concept of 'development differs from person to person and from society to society. In the Industrialized World the idea has persisted that 'development' is an economic, financial and technical issue. We now know that it also has important socio-cultural dimensions, and that those aspects are often more important than technical issues."

Willem C. Beets 1990, S. 294f.

Fohrbeck und Wiesand 1983 (S. 122) zeigen sehr schön, wie sich Vorurteile über "Entwicklung" bzw. "Degeneration" bis in die Wortwahl zeigen:

Bevorzugte Gegensatzpaare zur Beschreibung des Abstandes von "uns" zu den "noch Unentwickelten"
bevorzugt gebraucht von die "anderen" "wir"
Fortschrittsgläubigen und Technokraten Naturvölker Kulturvölker
primitiv zivilisiert
wild gesittet
Steinzeitalter Atomzeitalter
prälogisch rational
abergläubisch aufgeklärt
unterentwickelt entwickelt
arm reich
heidnisch religiös
passionierten Abendländern geschichtslos großes geschichtliches Erbe
Horde rechtsstaatliche Ordnung
Urkommunismus Freiheit des Individuums
primitive Kunst Blüte der Kunst
unwissend und magisch-religiöse Weltbilder aufgeklärte Geistesgeschichte und Wissenschaft
Kulturpessimisten und Nostalgikern Gemeinschaft Gesellschaft
natürlich entfremdet
harmonisch zersplittert
gewachsen künstlich
Einheit von ... Trennung von Theorie und Praxis
volle Teilhabe an der Kultur spezialisiertes Rädchen im Getriebe
Selbstverwirklichung Ausbeutung
"Wertneutralen" Systemtheoretikern geschlossen offen
einfach komplex
stabil dynamisch
lokale und Stammesgesellschaften städtische und anonyme Gesellschaften
multifunktionale ... monofunktionale Institutionen
schriftlos Alphabeten

3.2. Ein Beispiel kultureller Unterschiede: Filipino versus Nordamerikaner


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Abb.: Lage der Philippinen [GlobeMaster ©tewi/Softkey]

Ein vereinfachendes Beispiel von unterschiedlichen Wertungen und kulturellen Annahmen, die für "Entwicklung" entscheidend sind:

Nordamerikaner Filipino
Autonomie des Individuums wird gefördert: das Individuum soll seine eigenen Probleme lösen und eine eigene Meinung entwickeln Abhängigkeit wird gefördert: der Bezugspunkt ist Autorität, vor allem die älteren Familienmitglieder
Man macht einen klaren Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Besitz. Materialismus ist ein hoher Wert. Öffentlicher Besitz wird ohne große Schuldgefühle in Privatbesitz genommen. Religiöses (Katholizismus, Islam) ist wichtiger als Materielles
Konkurrenz ist herausragende Motivation Gemeinschaftsgefühl übertrifft den Anreiz, über andere herauszuragen
Beziehungen zu anderen Menschen sind informell und direkt Beziehungen zu anderen Menschen sind sehr formalisiert, soziale Interaktionen sind stark durch "Drehbücher" strukturiert

[S. 295; dort Quellenhinweis]


3.3. Effektivität von Gesellschaften und Staaten


"The ability of a society or a nation to develop itself depends on the ... factors: economic, political and social conditions.

Unfortunately, during the past two decades undue emphasis has been given to economic criteria while assessing the effectiveness of societies. What has prevails is the misconception that economic aspects are quite easily quantifiable and give a straightforward measure of effectiveness and performance of a society. Any sincere attempt to assess the performance and capability of a society will, however, have to use all three criteria. ...

On the whole, it is the nature of societal order that is the key determinant of societal effectiveness. Natural resources are not indispensable as is illustrated by the exceptional effectiveness of the city-states of Singapore and Hong Kong. Indeed, economic development is mostly man-made. Providence has helped some societies by having bestowed on them rich natural resources. Theoretically, the greater the resource endowment, the better the general economic prospects of a country. History shows, however, that the availability of resources is not sufficient to trigger or to sustain economic performance. A proper combination of will and skill can make up for the absence of resources, and is often even more important.

The will or motivation to work is influenced by religious beliefs; the perception of work as a necessity, a form of obligation toward family, social group, nation; as instrument in satisfying material or social needs; or as the fulfillment of self ore one's destiny. Appropriate and constantly improving know-how is required in order to increase the fruit of hard effort. According to Hawrylyshyn (1980) there are two categories of know-how:

  1. Technical -- which enables man to manipulate the forces of nature for his benefit; and
  2. Organizational -- which enables the creation and maintenance of effective systems.

Technical know-how is more universally valid. ... Socio-organizational know-how is culturally conditions and needs to be in harmony with the beliefs of the people. It must, therefore, be mostly 'home-grown'. For growth to be a sustainable process, the will and the know-how have, of course, to be reinforced by physical and service infrastructure. What is needed is the right 'societal order' which consists of three components:

  • values
  • political governance, and
  • economic system."

[S. 299f.]

[Zu den Werten vgl. Kapitel 12]


3.4. Traditionelle Kenntnisse und Fertigkeiten


Wichtig sind nicht nur die traditionellen Kenntnisse und Fertigkeiten der Bauern und Handwerker, sondern ebenso traditionelle Kenntnisse der Verwaltung, Planung und Regierung:

"Traditional administrative and organizational skills are considerable in many Third World countries. In West Africa, the system of chiefdoms was well developed; in Asia's lowland, petty kings had well organized administrations; and Egypt's Pharaohs are world-famous. But, most of this goes back hundreds of years. Present experience is more related to that inherited from the more recent colonial period, and traditional skills from earlier periods have largely been lost. ...

It should, however, be noted that skills and knowledge are as important as morale, will and drive. In summary, it could be concluded that often the inheritance of the past forms a burden on future development, and that many changes will have to take place: bureaucrats will have to become more concerned, more involved, more responsible, and less bureaucratic." [S. 302]


3.5. Wahrnehmung von Problemen durch Kleinbauern


"There tend to be a wide gap between what outsiders perceive and believe and what the smallholder believes. This was well-illustrated by Gay (1984) and Jungerius (1986) with an example from Lesotho.

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Abb.: Lage von Lesotho [GlobeMaster ©tewi/Softkey]

Lesotho is one of the most seriously eroded countries in the world. Gullies extend rapidly and consume the little valuable agricultural land there at a staggering rate. The gullies had already been noted by missionaries and travelers during the first half of the last century. Since then, numerous reports on soil erosion have been prepared by many foreign donor agencies. Yet the erosion problem is not realized by the Lesotho themselves.

In a survey of farmers' attitudes toward farming, in the driest and most eroded section of the country, no mention was made of erosion, which foreigners see as a principle obstacle to self-sufficiency. In a subsequent survey, which focused specifically on farmers' problems, only 3% of the responding farmers named soil erosion as a problem. Likewise, soil erosion was not seen as increasing in severity, nor was erosion control considers necessary to improve farming; in spite of more than 50 years of propaganda for conservation practices, erosion problems were not mentioned by farmers. Even when farmers were asked directly about erosion, their answers showed a lack of concern with this phenomenon; they were vague about the kind of damage that outsiders believe is spreading at an alarming rate.

The lessons to be learned from the above are clear:

  • Never accept something at face value; and
  • Don't believe that the indigene perceives all the problems in his domain." [S. 303f.]

3.6. Der Wert von Muße


"Leisure Versus Work. Most traditional subsistence societies have life-styles that allow for more leisure than present-day, urban-based societies. People who do not work until they have everything that Westerners consider absolutely necessary for a worthwhile life, are not necessarily lazy. Perhaps they attribute to leisure time a greater value than most Westerners. ...

It should be realized that the concepts of 'leisure' and 'work' differ from society to society. In the West the term 'leisure' suggests activity that is carried out purely for its own sake -- for amusement or recreation. However many occupations that have appeared to the Western eye to be leisure are often productive in tropical cultures. For example, visiting relatives or neighbours is an economic necessity because, if it is not done, help with labour at crucial periods may not be forthcoming. Hunting and fishing is another example; in the West they are pure recreations, in the tropics it is a food gathering activity.

Table [unten] shows the aggregate use of time in a Camerounian village, it gives some idea of the amount of time devoted to various activities that might be termed 'leisure' and 'work'. It would seem that the hours spent in what is actually classified as farm work is quite low compared with the standards of typical work-hours in a Western economy. According to Cleave it is in Anglophone Africa about 4 - 6 hours per day in the field and 140 - 160 days in the year; together 750 hours per year. This compared to about 1,800 hours in a typical Western work environment.

 

Table: Average Hours per Year Devoted to Different Activities, Zengoaga Village, Cameroon, 1962 - 64
    Men Women
A. Non work    
  Sleep

3,250

3,276

  Meals, hygiene 255 247
  Visit, travel 1,524 1,300
  Rest, chatting 1,665 1,306
  Illness 136 153
  Various unproductive 136 71
  Total non work 6,966 (80%) 6,353 (73%)
B. Agricultural work    
  Plantations (cacao and coffee) 456 19
  Food crop production 560 1,315
  Various productive 61 21
  Total agricultural 1,077 (12%) 1,355 (15%)
C. Various productive    
  Hunting, fishing 187 20
  Market, selling 126 172
  Construction, maintenance 309 37
  Housework 0 820
  Total various productive 622 (7%) 1049 (12%)
Total (365 x 24 = 8760) 8665 (100%) 8757 (100%)

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Abb.: Lage von Kamerun  [GlobeMaster ©tewi/Softkey]

 


3.7. Bewertung bäuerlicher Tätigkeit


"In many societies the low status accorded to agricultural work is such that even quite small landowners do not engage in the actual work of tillage. Labour is elaborately graded and tasks such as digging, hoeing, and carrying earth are delegated to the lowest strata among the landless. There are rare exceptions. For example, the Sikh religion of the Punjab promotes the dignity of labour and has contributed to the partial breaking down of the castes in that state which, agriculturally, is also one of the most progressive in India.

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Abb.: Lage des Punjab  [GlobeMaster ©tewi/Softkey]

The need to instill the concept of the dignity of farming first in leaders, extension workers and teachers, and through them, into the community as a whole, cannot be overstressed. Respect for work and workers, and in particular for farming and farmers, should become part of the way of thinking and feeling. Again, it can be concluded that, in future, social engineering should form part of the development process." [S. 305f.]

Bei dem hier geforderten social engineering sollte man aber aus dem Misslingen solcher Maßnahmen in den ehemaligen sozialistisch-kommunistischen Staaten lernen, insbesondere von der völligen Erfolglosigkeit der sogenannten Kulturrevolution in China: wenn man die Haltungen und Einstellungen von Chinesen betrachtet, die begeistert in der Kulturrevolution erzogen worden sind, kann man nur feststellen, dass Standesdünkel, Geringschätzung körperlicher und "dienender" Arbeiten, Unkenntnis über das Leben von Bauern viel größer sind als im "dekadenten" kapitalistischen Westen (z.B. der BRD oder den USA).


3.8. Ehrgeiz, Streben und Begehren von materiellen Gütern


Es gibt ländliche Kulturen (z.B. in Laos), in denen Unabhängigkeit und damit Freiheit höher bewertet werden als die Einbindung in eine ausgedehnte Geld- und Marktwirtschaft, die gleichzeitig Abhängigkeit von Städtern usw. bedeutet. Erst wenn moderne Konsumgüter der Unterhaltungsindustrie wie Transistorradios u.ä. sowie billige Textilien zugänglich werden , beginnt diese Subsistenzmentalität zusammenzubrechen.

"The desire for change is limited in isolated traditional cultures, but as soon as an area comes into contact with modern cultures with more material goods, predilection for such goods tends to develop. One of the first goods desired is lamps and better material for roofcovering.

This materialism does not always easily translate into an inclination for development and increased productivity. Indeed, in many traditional societies, the relationships between the ability to afford material goods from outside, and the need for surplus production to finance the buying of them, is not always clearly seen. Thus the ambition and aspiration to advance, to develop and to work harder to increase income to be able to afford more material goods is not always present. ...

African countries, in particular, aspire to formal education and many parents are willing to sacrifice much to make it possible for their children to obtain a better education than they themselves enjoyed. But often formal education is seen as a purpose on its own; not as a means to an end. The result being that Africa has millions of school leavers and university graduates with a good general education, but with little command of badly needed practical skills." [S. 307]


3.9. Risikobereitschaft von Kleinbauern


Vernünftigerweise ist die Risikobereitschaft von Kleinbauern im allgemeinen gering: wenn sie mit einer Innovation scheitern, haben sie nichts zu essen. Deshalb werden sie eher beim Traditionellen mit geringerem Ertrag bleiben statt in der Erwartung von höherem Ertrag das Risiko einzugehen, nichts zu essen zu haben und dem Wucherer ausgeliefert zu sein. Deshalb müssen Innovationen von den Kleinbauern so wahrgenommen werden, dass sie ein kleineres Risiko als die traditionellen Methoden haben. Vor allem muss auch eine materielle Risikoabsicherung (Kreditwesen, Ausfallversicherung ...) vorhanden sein, die verhindert, dass die Kleinbauern im Falle eines Fehlschlages in die Fänge von Wucherern geraten müssen.

Zur Verbreitung von Innovationen (besonders auch im ländlichen Bereich) siehe das Standardwerk:

Rogers, Everett M.: Diffusion of innovations. -- 4. ed. -- New York [u.a.] : Free Press, ©1995. -- 518 S. Ill. -- ISBN 0-02-926671-8.


3.10. Entscheidungsprozesse bei Kleinbauern


"Decision making in agriculture, particularly subsistence agriculture, is a complex process which involves a large number of factors. Apart from the sociological and psychological factors there are many physical and economic considerations involved in the way a smallholder makes his decisions. ...

In many societies the way decisions are made forms a constraint on development. In many traditional societies farming is done by an extended family, under the direction of the head, giving the main decision-making power to the older people. Particularly in Africa, gerontocracy has a crippling and even evil influence because the elders are often the least receptive to development.

In many societies, most of the agricultural work is done by women, but often they are not at all involved in decision-making. This often leads to agricultural extension efforts addressing the wrong audience. However, in some areas (i.e. some parts of West Africa, Burma, and the Philippines), women actually play a dominant role in decision making. This illustrated in [the following] Table:

Table: Individuals Exerting Influence on Farmer's Decision Making in the Philippines (1968)
Type of decision Wife Landlord Extension Worker Others
Buying problems 62 52 37 5
Where to sell produce 69 4 0 0
Engaging in a new enterprise 78 2 0 0
Buying a water-buffalo 83 7 0.2 0
Buying farm tools and equipment 75 6 6 0
Where to borrow money 84 25 12 0
Changing [crop] varieties 60 52 40 3
Changing [agri-]cultural practices 58 50 40 8

To understand the process [of decision-making] can be quite difficult since there are often very many variables interacting. This can be illustrated by listing the reason why many farmers decide to grow maize in areas where sorghum and millets would actually be better crops. They are:

  1. Maize is the preferred food crop;
  2. Maize is not so much damaged by birds as sorghum;
  3. Maize stores better than most other staple grains;
  4. Maize is a very good intercrop; and
  5. Maize is early maturing."

[S. 308 - 310]


4. Weiterführende Ressourcen


Siehe auch die in Kapitel 12 angegebenen Ressourcen!

Beets, Willem Cornelis: Raising and sustaining productivity of smallholder farming systems in the tropics : a handbook of sustainable agricultural development. -- Alkmaar : AgBé, ©1990. -- 738 S. : Ill. -- ISBN 974-85676-1-3. -- S. 294 - 341. -- ["Human and socio-economic aspects of agricultural development"; Herausragend, detailreich und praxisbezogen]

Fohrbeck, Karla: «Wir Eingeborenen» / Karla Fohrbeck ; Andreas Johannes Wiesand. - Reinbeck : Rowohlt, 1983. - 299 S. ; Ill. - (rororo ; 7764). - ISBN 3-499-17764-1. -- [Gutes Heilmittel gegen Ethnozentrismus]

Kulturanthropologie / [hrsg. von] René König ; Axel Schmalfuß. - Düsseldorf ; Wien : Econ, 1972. - 293 S. - (Econ Reader). - ISBN 3-430-15551-7. -- [Reader mit klassischen Texten]

Lederer, William J. <1912 - > ; Burdick, Eugene: The ugly American. -- New York : Norton, 1958. -- 258 S. --  Neuausgabe: Fawcett Books, 1985. -- ISBN 0449215261. -- Dt. Übersetzung: Der hässliche Amerikaner. -- Hamburg : Nannen, 1959. -- 275 S. -- [Klassischer Tatsachenroman über kulturelle Unsensibilität. Pflichtlektüre]

Myers, David G.: Social psychology. -- 6. ed. -- New York [u.a.] : McGraw-Hill, ©2000. -- 712 S. : Ill. -- ISBN 1572599588. -- [Sehr empfehlenswertes Lehrbuch der Sozialpsychologie, das viele für zwischenkulturelle Kontakte wichtige Erkenntnisse enthält].

Smith, Peter B. ; Bond, Michael Harris: Social psychology across culture. -- 2. ed. -- Boston [u.a.] : Allyn and Bacon, ©1999. -- 400 S. : Ill. -- ISBN 0-205-28522-8. -- [Materialreiche Übersicht].

Trompenaars, Fons; Hampden-Turner, Charles: Riding the waves of culture : understanding cultural diversity in global business. -- 2. ed. -- New York [u.a.]: McGraw-Hill, ©1998. -- 273 S. : Ill. -- ISBN 0-7863-1125-8. -- [Für Manager internationaler Konzerne gedacht, mit guten Beispielen aus der Praxis].

Internetressourcen:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- [Ausführliches Skript]. -- 0. Übersicht. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur00.htm

Payer, Alois <1944 - >: Stichwort-Skriptum zur Wissenschaftskunde Empirische Kulturwissenschaften. -- Fassung vom 19. Februar 1996. -- URL: http://www.payer.de/ekw/ekwskrip.htm. -- [Dort auch weitere Literaturangaben].


Zu Kapitel 14: Verwandtschaft, Abstammung