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Zitierweise / cite as:
Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 4. Nonverbale Kommunikation. -- 1. Gesichtsausdruck und Blick als Signale. -- Fassung vom 6. November 2000. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur041.htm. -- [Stichwort].
Erstmals publiziert: 6.10.2000
Überarbeitungen:
Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001
Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)
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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library
Man muss dauernd sein Gesicht festhalten, damit man es nicht verliert. Deutsche Redensart |
Gesicht:
Blick
[Vgl. Röhrich, Lutz <1922 - >: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. -- Freiburg : Herder, ©1994. -- (Herder/Spektrum ; 440). -- ISBN 3451044005. -- Art. "Blick", "Gesicht". -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]
Abb.: Cranach, Lukas, d. Ältere <1472 - 1553>: Der verliebte Alte
Am Gesichtsausdruck sind u.a. beteiligt:
Abb.: Mimik [Quelle: Fliegende Blätter. -- [o.J.], Nr. 3422, S. 99]
Gesichtsausdruck hat folgende Funktionen:
Überall auf der Welt und wohl zu allen Zeiten schließt man von bestimmten Eigenschaften und Gewohnheiten des Gesichtsausdrucks auf die dahinter stehende Persönlichkeit. In Europa wurde besonders einflussreich die Physiognomik wie sie von Johann Caspar Lavater <1741-1801> in Zusammenarbeit mit Johann Wolfgang von Goethe <1749 - 1832> entwickelt wurde (Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe. -- 4 Bände. -- Leipzig, 1775 - 1778; Vgl. auch: Von der Physiognomik. -- Leipzig, 1772. -- Online-Text: http://gutenberg.aol.de/lavater/physiogn/physiogn.htm. -- Zugriff am 18.10.2000)
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rasch in Vorstellungen, lebhafte Phantasie, spontan, jeder Verführung ausgesetzt, jedermanns, aber keines treuer Freund, verspricht viel, hält wenig, fängt alles an und führt nichts zu Ende | erregbar, fliegende Gedanken, Zorn, Leidenschaft, Mut, Festigkeit, Scharfsinn |
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gleichmütig, kaum erregbar, geringe Reaktion, geringe Einbildungskraft, scharfe Beobachtungsgabe | selbstbewusst, starkes Selbstgefühl, beharrlich, Tatmensch, stark reagierend, ausdauernd, Geistestiefe, Vorliebe für Ernstes, Schauerliches, Geisterhaftes |
Georg Christoph Lichtenberg <1742 - 1799> erkannte genau die Gefahren solcher Stereotypisierungen:
"Wenn die Physiognomik das wird, was Lavater von ihr erwartet, so wird man die Kinder aufhängen, ehe sie die Taten getan haben, die den Galgen verdienen." (Sudelbücher)
"Ich wollte hindern, dass man nicht zu Beförderung der Menschenliebe physiognomisierte, so wie man ehemals zu Beförderung der Liebe Gottes sengte und brennte."
Aufgrund des Gesichts können einigermaßen zuverlässig nur Alter, Geschlecht und Rasse (in geringerem Maße die Gesellschaftsschicht) beurteilt werden. Alles andere hält einer kritischen Überprüfung nicht stand.
Man muss sich aber darüber klar sein, dass man selbst immer physiognomisch stereotypisiert und dass man selbst normalerweise so stereotypisiert wird. Da unterschiedliche Kulturen unterschiedliche physiognomische Stereotype haben, kann es sein, dass man auf Ablehnung oder Misstrauen stößt, weil z.B. die Nase ein bestimmtes Aussehen hat.
Wegen der Bedeutung des Gesichts für Typisierung wird der Gesichtsausdruck manipuliert: durch Bärte, Frisur, Schminke, bewusst gewählten Ausdruck. Meisterhaft zeigt dies die junge Dame auf folgendem Bild:
Abb.: Selbstdarstellung durch ein "sprechendes" Gesicht (©IMSI)
Abb.: Emotionaler Ausdruck (©ArtToday)
Gefühle (gleichzeitig oft interpersonelle Einstellungen),
für die es Gesichtsausdrücke gibt:
Abb.: Chinesische Frau am 9. Sept. 1976, als im Fernsehen die Nachricht
vom Tode Mao Zedongs (geb. 1893) übertragen wird (Photo: Xia Yong Lee)
Emotionaler Gesichtsausdruck für folgende Gefühle ist nach dem heutigen Stand des Wissens universal:
Der Ausdruck für diese Gefühle scheint kulturunabhängig zu sein (allerdings spielt trotzdem die kulturabhängige Einschätzung der Gesamtsituation für die richtige Interpretation eine große Rolle). Wichtige Kulturelle Unterschiede bestehen aber in folgenden Hinsichten:
Beispiel | Gegenbeispiel | |
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Wer |
Mitteleuropa: "Ein Mann weint nicht" (alte Erziehungsmaxime) | Exkanzler Kohl (moderne Fernsehkultur der Herrschenden): "Öffentliche Tränen von herrschenden Männern sind besonders wirkungsvoll" (so bei Requiem für den französischen Präsidenten Mitterrand, 1996, oder nach dem Attentat auf Wolfgang Schäuble, 1990) |
Welche Gefühlsregung |
Europa und weite Teile der Welt: man zeigt keinen Ekel und keine Abscheu gegenüber Behinderten, Kranken und Erniedrigten | Hochkastige Inder: gegenüber Angehörigen niederer Kasten zeigt man Abscheu, wenn sie sich nicht selbst aus dem Blickfeld halten |
Wem |
Japaner zeigen Stressreaktionen im Gesicht nur, wenn sie sich allein wähnen, nicht aber, wenn sie sich beobachtet fühlen | Palästinenser scheinen Trauer und Wut besonders gern zu zeigen, wenn sie glauben, dass Fernsehanstalten filmen |
Wann |
Koreanische Ladenbesitzer in Los Angeles lächeln im Geschäft ihre Kunden nicht an: "Ein Mann der lächelt, ist kein rechter Mann." Das wird von Schwarzen oft fälschlich als Feindseligkeit aufgefasst und kann zu aggressivem Verhalten führen | Ein amerikanischer Ladenbesitzer macht im Geschäft immer ein freundliches Gesicht. |
In welchem Maße |
Asiaten: Gefühle zeigt man nur in homöopathischer Dosierung | Lateinamerikaner: Je überschwänglicher, desto besser |
Abb.: Um Lady Di trauerndes Volk, London, 1997 (©Corbis)
Was passiert, wenn gegensätzliche kulturelle Erwartungen bezüglich des Ausdrucks von Emotionen aufeinander prallen, zeigte sich sehr drastisch nach dem Tod von Lady Diana 1997: Königin Elizabeth II. stieß auf großes Unverständnis bzw. Kritik ("herzlos"), weil sie keine Emotionen zeigte. Hier stieß die Kultur des europäischen Hochadels ("Eine Königin zeigt keine Trauer") auf die populäre Kultur Großbritanniens ("Gegenüber Stars kann man nicht genug Emotionen zeigen").
Abb.: Ein südostasiatischer Leckerbissen: geröstete marinierte
Heuschrecken (Typhoon Restaurant, Los Angeles: http://www.typhoon-restaurant.com/home.html.
-- Zugriff am 25.10.2000)
Nur Gefühlsausdruck | Gefühlsausdruck und Signal |
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Emotionaler Gesichtsausdruck dient gleichzeitig zum Ausdruck von Emotionen als auch (wenn ein Empfänger ihn wahrnimmt) als Signal. Beide Funktionen sind gleichsam zwei Seiten ein und derselben Medaille. Allerdings muss man sehr vorsichtig sein, einen Gesichtsausdruck als Ausdruck von Emotionen zu deuten.
Abb.: Japan (©Corbis) | Abb.: Bangkok, Thailand (©Corbis) |
Abb.: Japan (©Corel) | Abb.: China (©Corel) |
So ist das Lächeln vieler Asiaten (z.B. Thais, Japaner) in erster Linie ein Signal, nicht aber Ausdruck einer Emotion. So sagte Prinz Norodom Sihanouk (geb. 1921, 1941 bis 1955 König von Kambodscha) in einem Fernsehinterview ca. 1980 lächelnd, dass die Roten Khmer fast seine ganze Familie ermordet haben. Dieses Lächeln war nicht Ausdruck einer besonders rohen Gesinnung, sondern Ausdruck der kulturellen Norm, dass man öffentlich kein Leid zeigt, sondern "immer lächelt". Wird ein Mann von einer Thailänderin angelächelt, so bedeutet das nicht, dass sie an ihm Gefallen findet!
Alle Abb.: (©Corel) |
Gesichtsausdruck ist am besten objektiv beschreibbar, wenn man angibt, welche Gesichtsmuskeln dabei bewegt werden.
Abb.: Wichtige Gesichtsmuskeln (Abb. von Marc Jean Bourgery, 1830 - 1844)
Man braucht 17 Muskeln, um zu lächeln, und 43, um finster zu blicken. |
Gesichtsmuskeln sind untätig |
Augenmuskeln ziehen sich zusammen |
Die Muskeln des Mundes und der Trompetermuskel ziehen sich zusammen, ebenso die Augenringmuskeln und sie in querer Richtung wirkenden Augenbrauenmuskeln |
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Leichte Zusammenziehung der Ringmuskeln und Stirnmuskeln |
Augenringmuskeln, Mundwinkelherabzieher und Mundringmuskeln ziehen sich zusammen |
Augenringmuskeln, Augenbrauenrunzler, Stirnmuskeln sowie Augenlider bewegen sich nach oben, die Mundwinkel- und Unterlippenherabzieher kontrahieren sich |
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Mundwinkelheber und Augenlidmuskeln leicht angeregt |
Die großen Jochbeinmuskeln spreizen sich, die Lachmuskeln ziehen sich zusammen, ebenso der Mundwinkelheber und Trompetermuskel |
Die Jochbeinmuskeln und die Augenmuskeln spannen sich, ebenso die Oberlippenheber, während sich die Mundwinkelherabzieher zusammenziehen |
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Die Mundwinkel- und Unterlippenherbzieher kontrahieren sich, die Nasenflügel und Oberlippenheber spreizen sich, die oberen Augenlider senken sich leicht |
Die Stirnmuskeln und Augenringmuskeln spreizen sich, das obere Augenlid hebt sich, die Mund- und Lippenmuskeln erschlaffen |
[Quelle der Abbildungen und Beschriftungen: Praktische Menschenkenntnis / hrsg. von Reinhold Gerling ... -- Berlin [u.a.] : Bong, 1930. -- Physiognomik, S. 38]
Um Gesichtsaudruck in seiner zeitlichen Abfolge interkulturell vergleichen zu können, haben Carl-Herman Hjortsjö (geb. 1914) und Paul Ekman ein System -- FACS (Facial Action Coding System) -- entwickelt, bei dem die beteiligten Muskelbewegungen kodiert werden. Das folgende Beispiel zeigt eine solche Kodierung:
Abb.: Beispiel für FACS (Facial Action Coding System): Augengruß einer Eipo-Frau (Neuguinea)
[Quelle der Abb.: Eibl-Eibesfeld, Irenäus <1928 - >: Die Biologie des menschlichen Verhaltens : Grundriss der Humanethologie. -- 2., überarbeitete Auflage. -- München [u.a.] : Piper, ©1984. -- ISBN 3932131347. -- S. 153. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]
Der folgende Bilderbogen zeigt, wie vor 500 Jahren Gesichtsausdruck war, also in einer Kultur, die sich von unserer mehr unterscheidet als die meisten Fremdkulturen der Gegenwart.
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Abb.:" Augensprache": Die Filmschauspielerin Brigitte Helm [Quelle.
Bilderlexikon der Erotik. -- Wien, 1928 - 1932]
Blickverhalten spielt beim Herstellen und Aufrechterhalten von sozialen Beziehungen eine wichtige Rolle. Blickverhalten zeigt z.B.
Dabei wird der Blick meist von anderen Körper- oder Sprachsignalen begleitet und modifiziert.
Beim Blick als Signal kann man unterscheiden:
Blicksignale unterscheiden sich durch folgende Eigenschaften:
Abb.: Ist das Auge der Spiegel der "Seele"? (©Corel)
Blickkontakt ist sehr kulturabhängig. Augenkontakt gilt in vielen Kulturen als Zeichen von mangelndem Respekt. Deshalb vermeiden viele Asiaten, Lateinamerikaner, Kariben, schwarze Amerikaner aus Südstaaten beim Gespräch Augenkontakt. Dies kann falsch interpretiert werden als mangelndes Interesse. Viele schwarze Amerikaner halten dagegen fast ständig Augenkontakt, wenn sie miteinander sprechen. Dies kann als Anstarren fehlinterpretiert werden. Zwischen jugendlichen Amerikanern kann Augenkontakt als Zeichen der Aggressivität gelten und zu tätlichen Auseinandersetzungen führen. Araber haben mehr Blickkontakt als Amerikaner oder Europäer. Japaner sehen eher auf den Hals als auf die Augen.
Blicksignale für sich allein genommen sind oft schwer zu interpretieren:
"Wenn jemand seinen Blick abwendet, werden andere vielleicht nicht entscheiden können, ob er das tut,
- weil er zu nahe steht,
- weil er über ein sehr intimes oder schwieriges Thema redet,
- andere interessante Dinge zu betrachten hat,
- seinen Gesprächspartner nicht mag,
- einen höheren Status hat,
- introvertiert, schizophren oder depressiv ist,
- verlegen oder traurig ist,
- oder weil er zu einem bestimmten amerikanischen Indianerstamm gehört [, bei dem Blickkontakt verpönt ist]
um nur einige der wichtigsten Möglichkeiten anzuführen."
[Argyle, Michael <1925 - >: Körpersprache und Kommunikation. -- Paderborn : Junfermann, ©1979 -- (Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften ; Bd. 5). -- ISBN 3873871718. -- S. 234 - 235. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]
Der siegesbewusste Blick |
Der flehende Blick |
Der träumerische Blick |
Der zärtliche Blick |
Der aufrichtige Blick |
Der forschende Blick |
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Der spöttische Blick |
Der sanfte Blick |
Der lauernde Blick |
Der exaltierte Blick |
Quelle: Leipziger Illustrirte [!] Zeitung. -- Nr. 3081 (17.7.1902). -- S. 96f. |
Abb.: Pius IX., der Papst mit dem "bösen Blick" (© Bettmann/CORBIS)
Fast überall auf der Welt findet man den Glauben an den bösen Blick sowie Mittel gegen diesen. Man glaubt, dass der Blick bestimmter böser Menschen und anderer Lebewesen Schaden zufügen kann und Menschen und Tiere krank machen kann. So schrieb man in Italien z.B. den Päpsten Pius IX. (1792 - 1878, Papst 1846 - 1878, selig gesprochen 2000) und Leo XIII (1810-1903, Papst 1878-1903) den bösen Blick (mal occhio) zu! Nachdem Pius IX. 1869 ein Kind angeschaut hatte, soll dieses innert ein paar Minuten gestorben sein. Besonders Neid führt zum bösen Blick, deshalb ist Neidvermeidung in wohl allen Kulturen geregelt. Eine besonders wichtige Form der Neidvermeidung ist, nicht zu loben [siehe oben, Kapitel 3,3 #6.4.]. Vor bösem Blick muss man besonders Babys und Kleinkinder bewahren. Zum Schutz vor bösem Blick dienen unter anderem Amulette. Bei Muslimen verbreitet sind gegen den bösen Blick vor allem Amulette in Form einer Hand (Fatima's Hand) mit einem Auge auf der Handfläche als Abwehrauge. Diese Amulette sind oft Bestandteil von Schmuck.
Abb.: Amulett "Fatimas Hand" mit Auge gegen den bösen Blick, Berber, Marokko (©Corbis)
Andere Amulette und Abwehrmittel gegen den bösen Blick sind z.B.
Abb.: Augen an Schiffsbug, Malta, 1996 (©Corbis)
Zu Kapitel 4, Teil 2: Gesten, Körperbewegungen, Körperhaltungen und Körperkontakt als Signale