Internationale Kommunikationskulturen

4. Nonverbale Kommunikation

2. Gesten, Körperbewegungen, Körperhaltungen und Körperkontakt als Signale


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 4. Nonverbale Kommunikation. --  2. Gesten, Körperbewegungen, Körperhaltungen und Körperkontakt als Signale. --  Fassung vom 2006-06-12. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur042.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 6.10.2000

Überarbeitungen: 2006-06-12 [Änderungen]

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Herausgeberin.

Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Einleitung


Zu was für Verwicklungen Gesten usw. bei interkultureller Kommunikation führen können, zeigen folgende Beispiele. Sie sind (mit Ausnahme des letzten) dem Buch

Axtell, Roger E.: Gestures : the do's and taboos of body language around the world. -- Revised and expanded ed. -- New York [u.a.] : Wiley, ©1998. -- 238 S. : Ill. -- ISBN 0471183423. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

entnommen.

Besondere Vorsicht ist in den USA bei Berührungen und Gesten zwischen Mann und Frau am Arbeitsplatz geboten: schnell wird etwas als sexuelle Belästigung verstanden (oder auch missverstanden) und kann zu sehr unangenehmen rechtlichen Konsequenzen führen.

Wie unterschiedlich in verschiedenen Kulturen körperliche Verhaltensweisen sein können, schildert Helen Colton 

[Colton, Helen: The gift of touch : how physical contact improves communication, pleasure, and health. -- New York : Kensington, ©1983. -- ISBN: 1575660121. -- S. 210. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

 an der Situation, wie sich eine Frau verhält, wenn sie ein Fremder nackt beim Baden überrascht:

Schamverhalten


Abb.: Tunesische Tänzerin mit verhülltem Gesicht 

[Quelle. Bilderlexikon der Erotik. -- Wien, 1928 - 1932]


Abb.: Rembrandt <1606 - 1669>: Susanne im Bade, 1637


2. Gesten und Körperbewegungen als Signal


Geste definiert man als eine Handlung, die einem Zusehenden ein optisches Signal übermittelt (Geste = beobachtete Handlung). 

Dies kann von Seiten des Sendenden 

Man unterscheidet demgemäss


Abb.: Dürer, Albrecht <1471 - 1528>: Hände des zwölfjährigen Christus, 1506

Bei der Gestik als Kommunikationsmittel ist nicht entscheidend, welche Signale wir übermitteln wollen, sondern welche Signale andere empfangen. Für die nicht-missverstehende Interpretation von Gesten und Körperhaltungen ist meist die Kenntnis der Person und der Situation (des Zusammenhanges und Umfeldes) unerlässlich. Man hüte sich vor kurzschlüssigen Interpretationen der "Körpersprache", wie sie durch manche populäre Bücher und Fernsehsendungen verbreitet werden. "Körpersprache" ist alles andere als eindeutig.


Abb.: Ohne Kenntnis der Person und der Situation kann man die Körpersprache dieser Frau nicht richtig interpretieren (©Corel)


2.1.  Arten von Gesten


Morris, Desmond <1928 - >: Der Mensch mit dem wir leben : ein Handbuch unseres Verhaltens. -- München [u.a.] : Droemer, ©1978. -- Originaltitel: Manwatching (1977). -- S. 24 - 35. -- [Taschenbuchausgabe: 1981. -- ISBN 3426036592. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}] unterscheidet folgende Arten von Gesten:


2.2. Redegesten



Abb.: Inderin (©IMSI)

Die Zulässigkeit von Redegesten ist kulturell sehr unterschiedlich: was manche Asiaten als unerträgliches Gefuchtel empfinden, können Lateinamerikaner als Ausdruck eines feurigen Redners schätzen.


Abb.: Gestik von traditionsgebundenen italienischen Männern

[Vorlage der Abb.: Schönpflug, Wolfgang ; Schönpflug, Ute: Psychologie. -- 3., vollständig überarbeitete Aufl. -- Weinheim : Beltz, ©1995. -- ISBN 3621272704. -- S. 448 (dort Quellenangabe). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}].

Redegesten erfüllen u.a. folgende Signalfunktionen:

Redner, über die man 1931 am meisten redete (samt ihren amerikanischen Charakterisierungen)

Heinrich Brüning (1885 - 1970), deutscher Reichskanzler 1930 - 1932

Vanity Fair : "Sachlicher Redner"

James Ramsay MacDonald (1886 - 1937), britischer Premierminister 1924 und 1929 - 1935

Vanity Fair : "Furchtloser Redner"

Benito Mussolini (1883 - 1945), italienischer "Duce" 1925 - 1945

Vanity Fair : "Urbild des feurigen Redners"

David Lloyd George (1863 - 1945), britischer Premierminister 1916 - 1922

Vanity Fair : "Schöpft seine Wirkungen aus der inneren Überzeugungen"

Aristide Briand (1862 - 1932), seit 1906 mehrmals französischer Ministerpräsident (u.a. 1929)

Vanity Fair : "Schöpft seine Wirkungen aus der Eindringlichkeit"

Jossif Stalin (1878 - 1953), Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1922 - 1953

[Kommt in Liste von Vanity Fair nicht vor]

Niceto Alcalá Zamora y Torres, spanischer Präsident 1931þ1936

Vanity Fair : "Redner der Leidenschaft"

Adolf Hitler (1889 - 1945), deutscher "Führer" 1933 - 1945

Vanity Fair : "Hat hypnotische Wirkung"

Mohandas Karamchand Gandhi, genannt Mahatma (1869 - 1948),  Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung

Vanity Fair : "Hat übersinnliche Wirkung"

Quelle: Berliner Illustrirte [!] Zeitung. -- 13.12.1931.

Begleittext: "Die amerikanische Zeitschrift Vanity Fair [http://www.vanityfair.com/. -- Zugriff am 21.10.2000]  zeigt in einer Bilderreihe die bekanntesten Redner unserer Zeit unter dem Titel Der perfekte Demosthenes. Sie charakterisiert dabei die einzelnen Redner, wie sie vom amerikanischen Standpunkt aus erscheinen." [Die Charakterisierungen sind oben bei den Bildunterschriften  eingefügt)


2.3. Einige Bedeutungen, die in verschiedenen Kulturen mit verschiedenen Gesten ausgedrückt werden


2.3.1. Begrüßung


Einige Begrüßungsrituale (erste  Hälfte 20. Jahrhundert)
Händeklatschen Loango (Afrika, Kongo)
Händeklatschen und mit Ellbogen auf Rippen trommeln Balonda (Afrika, am Sambesi)
Kleider hergeben Assyrer
Sich bis zum Gürtel entblößen Abessinier
Hut abnehmen oder Hut berühren, Händeschütteln Amerikaner und Europäer
Hände fassen und die Daumen zusammendrücken Wanyika (Afrika)
Hände fassen und mit einem Ruck trennen, so dass sie mit Daumen und Fingern schnalzen Nigerianer
Eine Art Rauferei betreiben, wobei jeder versucht, die Hände des anderen zu seinen Lippen zu heben, den Bart küssen Araber
Die Hände bei der begrüßten Person von den Schultern die Arme hinab bis zu den Fingerspitzen streifen, oder die Hände gegenseitig zusammenreiben Ainu (Japan)
Sich gegenseitig in die Hände oder die Ohren blasen  
Über das eigene Gesicht mit den Händen des anderen streicheln Polynesier
Sich gegenseitig die Wangen beriechen und sich mit den Nasen berühren und reiben Mongolen, Malayen, Birmanen, Lappen
Mit den Fingern schnalzen Dahomen (Afrika)
Hände an Hosennaht und Verbeugung ("gehorsamster Diener" = Gschamsterer) Österreich, Deutschland, Argentinien
Handkuss Mitteleuropa, Lateinamerika
Hände falten Indien, Südostasien
Verbeugung China
Umarmung Lateinamerika und andere
Leichte Kopfbewegung  Großbritannien
usw. usw.  

[Nach: Argyle, Michael <1925 - >: Körpersprache und Kommunikation. -- Paderborn : Junfermann, ©1979l. -- (Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften ; Bd. 5). -- ISBN 3873871718. -- S. 81 - 83 (dort Quellenangaben). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Argyle (a.a.O., S. 83) nennt folgende weitverbreitete Komponenten bei Begrüßungen:

Begrüßungsrituale hängen von der gegenseitigen Beziehung der sich begrüßenden Personen ab (Geschlecht, familiäre Beziehung, Freundschaft, sozialer Status usw.)

Verschiedene Begrüßungszeremonielle

Abb.: USA: Familie (©Corbis) Abb.: UdSSR/Kuba: Nikita Chruschtschow (1894 - 1971; 1958 - 1964 Ministerpräsident der UdSSR) begrüßt Fidel Castro (geb. 1926, seit 1959 Kubanischer Staatschef), New York, USA, 1960 (©Corbis)

Abb.: Nepal: Bub macht Namaste (©Corbis) Abb.: USA: Minnie Pearl und Ronald Reagan (geb. 1911, Präsident der USA 1981þ89), Nashville, Tennessee, USA, 1984 (©Corbis)

Abb.: Tibet: Mädchen grüßt Tenzin Gyatso (geb.ÿ1935), 14. Dalai Lama, 1998, Dharamsala, Indien (©Corbis)  Abb.: USA: Geschäftsmann (karikiert) (© Corbis) 

Abb.: USA: Jugendliche (©ArtToday) Abb.: Thailand: Verbeugung von Mönchen (und Laien)  gegenüber höhergestellten Mönchen sowie den drei buddhistischen Juwelen (Buddha, Lehre, Erlöste) (©Corel)

Abb.: Japan (©Corel) Abb.: Japan (©Corel)

Abb.: Japan: Der wichtigste Teil des Rituals zwischen Geschäftsleuten in Japan bei der ersten Begegnung: Austausch von Visitenkarten, Yokohama, Japan, 1994 (©Corbis)  Abb.: Japan: höfliche Verbeugung (beachte die unterschiedliche Tiefe der Verbeugung!) (©Corel)

2.3.2. Herbeiwinken


Um mit den Fingern herbeizuwinken, werden drei Formen häufig verwendet:

Abb.: José Antonio Dominguez Banderas (geb. 1960, spanischer Schauspieler), USA, 1991 (©Corbis)

Abb.: Professionelle Sexarbeiterin ruft Kunden herbei (©Corbis)


2.3.3. Ja/Nein


Ja:

Nein:


2.4. Einige Beispiele interkulturell missverständlicher Gesten


Geste Bedeutungen

  • Nordamerika, Europa: "O.K.", "gut so"
  • Frankreich, Belgien, Tunesien: "Null", "wertlos"
  • Japan: "Geld"
  • Deutschland, Sardinien, Malta, Tunesien, Griechenland, Türkei, Russland, naher Osten, Teile von Südamerika: "Arschloch", Homosexueller (= "Arschficker")

  • USA und viele Länder: "Prima!", "hervorragend"
  • Australien, Nigeria: "verfick dich!"
  • Deutschland: "ein"
  • Japan: "fünf"
  • Viele Länder: beim Autostoppen verwendet, aber nicht in Australien und Nigeria (siehe oben!)

 

  • Fast weltweit: "Sieg", "Frieden" (linkes Zeichen)
  • Großbritannien, Australien: "verfick dich!" (rechtes Zeichen)
Alle Abb.: ©ArtToday

2.5. Obszöne Gesten


Der vorangehende Abschnitt zeigte schon, dass viele Gesten obszöne Bedeutung haben können. Hier sei als Beispiel nur eine weitere genannt, die sogenannte "Feige", ein weit verbreitetes Zeichen für Geschlechtsverkehr. Dieses Zeichen wird auch als Amulett zur Dämonenabwehr getragen.


Abb.: Feige aus bemaltem Porzellan. Pfeifenkopf [Quelle. Bilderlexikon der Erotik. -- Wien, 1928 - 1932]


Abb.: Dürer, Albrecht <1471 - 1528>:Feige (auf: Studienblatt mit drei Händen), 1493

 


2.6. Handschrift als Ergebnis von Körperbewegung


Ein Gebiet der Körperbewegung, das immer wieder zur Diagnose von Persönlichkeitseigenschaften gebraucht bzw. missbraucht wird, ist die Handschrift. Dabei dient die Handschrift als Signal für feste Eigenschaften einer Person: man schließt aus Eigenschaften der Handschrift ("genau nach den Regeln") auf Eigenschaften der Person ("gewissenhaft").

Charakterkundliche Graphologie gehört immer noch zu den "Wissensgebieten", mittels derer man andere Menschen abzustempeln versucht. Charakterkundliche Graphologie beruht auf Intuitionen, die richtig oder falsch sein können, aber nicht auf empirisch abgesicherten Untersuchungen.

Wie sehr durch Graphologie Menschen abgestempelt werden, zeigen folgende Beispiele:

Schriftprobe Graphologische "Diagnose"

Mangelnde Gewissenhaftigkeit

In der Schriftprobe "stehen die Schleifen des f in für und die beiden f in schaffe rechts vom Buchstaben. Das ist ein Zeichen von mangelnder Gewissenhaftigkeit, «lockrem» [!] Wesen und Unzuverlässigkeit."

Mäßige Gewissenhaftigkeit

In der Schriftprobe "ist am t des Wortes könnten die Schleife sehr vorschriftsmäßig gebildet, weniger dagegen am f in empfehlen, hier ist die Gewissenhaftigkeit also keine ganz vollkommene zu nennen."

Große Pflichttreue

"In der Schriftprobe .. sind die i-Punkte der Worte ich, richtiges und Handschrift als feiner, kleiner Punkt gebildet und daher korrekt über den dazu gehörigen Grundstrich gestellt, als ein Zeichen eines sehr entwickelten Pflichtgefühls."

[Quelle der Abbildungen und Diagnosen: Praktische Menschenkenntnis / hrsg. von Reinhold Gerling ... -- Berlin [u.a.] : Bong, 1930. -- Graphologie / M. Ivanovic. -- S. 33]


2.7. Skriptanimation als Methode der Untersuchung der Schlüsselreize bei Körperbewegungen


Um herauszufinden, welche spezifischen Elemente nonverbalen Verhaltens unseres Gegenübers unsere spontane, sekundenschnelle Meinungsbildung über ihn/sie hervorruft, hat man die Methode der Skriptanimation entwickelt:

Es handelt sich dabei um eine stark abstrahierende Computeranimation natürlicher menschlicher Bewegung.

Grundlage bildet die Notation der Körperbewegungen nach dem Berner System. Dies ist ein System, das es gestattet menschliche Bewegung zu codieren. Der Bewegungsablauf wird dabei in 104 Dimensionen zerlegt und in seiner Abfolge notiert. Anhand dieses Zeitreihenprotokolls einer beobachteten natürlichen menschlichen Bewegung kann man das abstrakte Bewegungsverhalten auf dem Computer nachbilden. Durch gezielte Veränderung einzelner Bewegungskomponenten werden die Elemente ermittelt, die für den Eindruck des Betrachters wesentlich sind.


Abb.: Schema der Skriptanimation

[Quelle der Abb.: Frey, Siegfried: Die Macht des Bildes : der Einfluss der nonverbalen Kommunikation auf Kultur und Politik. -- Bern [u.a.] : Huber, ©1999. -- ISBN 3456830882. -- S. 93. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Abb.: Was bewirkt den Eindruck eines Fernsehauftritts von Jesse Helms (geboren 1921), seit 1972 konservativer US-Senator für North Carolina [http://www.senate.gov/~helms/. -- Zugriff am 21.10.2000] die Computeranimation (rotes Profil) bekommt fast die gleichen Eigenschaften zugeschrieben wie das "Original" (grünes Profil).

[Quelle der Abb.: Frey, Siegfried: Die Macht des Bildes : der Einfluss der nonverbalen Kommunikation auf Kultur und Politik. -- Bern [u.a.] : Huber, ©1999. -- ISBN 3456830882. -- S. 137. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


3. Körperhaltungen als Signal



Abb.: Daumier, Honoré <1808 - 1879>: Sechs Monate verheiratet: Seelenharmonie

Der Mensch hat drei Hauptkörperhaltungen:

Von jeder dieser Haupthaltungen gibt es viele Varietäten.

Japanische Varietäten des Sitzens

Alle Abb.: (©Corel)  

Körperhaltungen dienen u.a.

In jeder Kultur gibt es für bestimmte Situationen anerkannte oder erwartete Körperhaltungen, z.B. 

Obwohl die Art und Weise, wie Gefühle und interpersonale Einstellungen ausgedrückt werden, sehr kulturabhängig ist, haben doch manche dieser Ausdrucksformen gewisse Gemeinsamkeiten. So ist z.B. den Haltungen für z.B. Demut/Unterwerfung in den meisten Kulturen gemeinsam ein Beugen, Niederdrücken oder Senken des Körpers.

Weltweit gibt es ungefähr 1000 feststehende menschliche Körperhaltungen. Welche Körperhaltungen in einer bestimmten Kultur üblich sind hängt nicht nur von kulturellen Faktoren ab, sondern auch von natürlichen Faktoren (z.B. Feuchte oder Hitze) sowie von der getragenen Kleidung.

Körperhaltungen
Unterwürfigkeit und Selbstbewusstsein Imponiergehabe (Machismo)


Abb.: Courbet, Gustave <1818 - 1877>: Die Begegnung (1864)


Abb.: Josephson, Ernst <1851 - 1906>: Spanische Schmiedegesellen (1881)

Nachdenklichkeit Ehrfurcht


Abb.: Dürer, Albrecht <1471 - 1528>: Agnes Dürer, 1494


Abb.: Verbeugung (©ArtToday)

1953 ließ  man in einem Experiment einige Strichmännchen interpretieren. Dabei wurden folgende Zuordnungen gemacht (solche Zuordnungen sind gewiss kulturabhängig!):

Interpretierte Strichfiguren von Körperhaltungen

[Quelle der Abb.: Argyle, Michael <1925 - >: Körpersprache und Kommunikation. -- Paderborn : Junfermann, ©1979. -- (Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften ; Bd. 5). -- ISBN 3873871718. -- S. 256 - 258 (dort Quellenangabe). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


4. Körperkontakt als Signal


Grundkörperkontakte

 

Abb.: Der Grundkörperkontakt Pflege der Nachkommen: Mutter -- Kind ©Corel) Abb.: Grundkörperkontakt: Fortpflanzung: Dürer, Albrecht <1471 - 1528>: Junges Paar,1492
"Ein wohlerzogener Mensch [der britischen Oberschicht] berührt niemals einen anderen ohne dessen Zustimmung. Die geringste zufällige Berührung eines anderen erfordert eine Entschuldigung, selbst wenn dieser andere Mensch Vater oder Mutter oder eines der Geschwister ist."

[Montagu, Ashley <1905 - >: Körperkontakt : die Bedeutung der Haut für die Entwicklung des Menschen. -- 9. Aufl.. -- Stuttgart : Klett-Cotta, 1997 (©1974).  -- (Konzepte der Humanwissenschaften). -- Originaltitel:  Touching (1971). -- ISBN 3608951547. -- S. 200. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Berührungen haben vor allem folgende Funktionen:

Berührungen signalisieren u.a.:

Die Zulässigkeit von Körperberührungen hängt u.a. ab von:

Körperberührungen



Abb.: Händeschütteln zwischen Männern, inzwischen weltweit verbreitet (©IMSI) Abb.: Händeschütteln mit Schulterklopfen durch den Ranghöheren (©IMSI): versuchen Sie ja nicht die Rangordnung umzukehren!

Abb.: Händchenhalten zwischen Mann und Frau (©IMSI): in vielen Kulturen verpönt Abb.: Handauflegung: Geistheiler, Malatapay, Negros, Philippinen, 1996 (©Corbis): weltweit verbreitete Geste von Heilern

Abb.: Hellen Keller ertastet das Gesicht einer Frau. Westport, Connecticut, USA, 1955 (©Corbis): Bildung einer Tastwelt

Helen Keller (1880 - 1968), amerikanische Schriftstellerin, verlor mit 19 Monaten Augenlicht und Gehör.

Abb.: Gynäkologische Untersuchung, um 1830 [Aus: Maygrier, J. P. <1771 - 1835>: Midwiffery illustrated. -- New York, 1836] (©Corbis): zeigt drastisch, wie kulturelle Tabus sinnvollen Lösungen entgegenstehen können

In Ausmaß und Art der Berührungen bestehen große kulturelle Unterschiede. Man kann solche schon zwischen Nord- und Süddeutschen feststellen.

In den 1960er-Jahren beobachtete ein Sozialpsychologie die Häufigkeit, mit der sich Paare innerhalb einer Stunde in Cafés gegenseitig berührten:

San Juan (Puerto Rico) 180 mal
Paris (Frankreich) 110 mal
Gainsville (Florida) 2 mal
London (UK) 0 mal

"Einstellung und Praktiken in bezug auf das taktile Verhalten schaffen eine weite Spanne der Klassen- und Kulturunterschiede, ein Feld dafür, die Beziehung zwischen taktiler Erfahrung und sozialen Unterschieden und in gewissem Sinn auch nationalen Eigenheiten zu erforschen. Im allgemeinen entwickeln sich die Unterschiede in der Überempfindlichkeit bei den einzelnen Familien, gerade weil und während die Kultur bestimmte sozialisierende Erfahrungen vorschreibt, denen der Säugling und das Kind ausgesetzt werden sollen. Die Glieder einer Familie können sich, was die vorgeschriebene Verhaltensweise betrifft, erheblich in ihrem Benehmen von anderen unterscheiden (mit größeren oder geringeren Konsequenzen für die betreffenden Menschen).

Es gibt Familien, in denen unbefangener und häufiger taktiler Kontakt mehr oder weniger selbstverständlich ist, und zwar nicht nur zwischen Mutter und Kind, sondern auch zwischen allen Familiengliedern. Aber es gibt im selben Kulturbereich Familien, in denen ein minimaler Kontakt zwischen Mutter und Kind und den anderen Angehörigen besteht. Es gibt ganze Kulturbereiche, in denen ein »Noli me tangere«, ein »Rühr mich nicht an« die Begegnung der verschiedenen Menschen beherrscht. In anderen Kulturen ist das Berühren so sehr ein Teil des Lebens, Umarmen, Streicheln und Küssen sind so selbstverständlich, dass es Nichttaktilen merkwürdig und peinlich vorkommt. Auch gibt es Kulturen, die jede nur mögliche Variation in bezug auf Taktilität durchspielen."

[Montagu, Ashley <1905 - >: Körperkontakt : die Bedeutung der Haut für die Entwicklung des Menschen. -- 9. Aufl.. -- Stuttgart : Klett-Cotta, 1997 (©1974).  -- (Konzepte der Humanwissenschaften). -- Originaltitel:  Touching (1971). -- ISBN 3608951547. -- S. 170. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Sehr grob vereinfachend kann man unterscheiden:

Kontaktreiche Kulturen Kontaktarme Kulturen
Araber Nordeuropäer
Lateinamerikaner US-Amerikaner, Kanadier
Griechen, Türken Asiaten
einige afrikanische Kulturen  

Es ist aber ein breites Spektrum zwischen kontaktreich und kontaktarm, das auch nach Situationen usw. zu differenzieren ist (so ist z.B. in Thailand in der Öffentlichkeit Händchenhalten zwischen jungen Männern ein anerkanntes Verhalten ohne homoerotische Bedeutung, Händchenhalten zwischen Männern und Frauen aber Tabu).


Abb.: Auch in berührungsscheuen Kulturen lässt sich engster Körperkontakt nicht vermeiden: U-Bahn in Japan (©Corel)


4.1. Öffentliche und private (Tabu) Körperzonen


In der interkulturellen Kommunikation ist es sehr wichtig, die Körperzonen zu kennen, die für Berührungen tabu sind. So darf man z.B. südostasiatische Kinder nie am Kopf berühren: dies verletzt ihre "Seele". Der ganze Körper von Frauen ist in vielen asiatischen Ländern für Berührungen durch fremde Männer tabu (man gibt einer Frau nicht die Hand). Verletzung solcher Berührungstabus führt beim Partner zumindest zu großem körperlichem Missbehagen, wenn nicht zu viel größeren Komplikationen. 

In den 1970er-Jahren haben amerikanische College-Studierende protokolliert, wo sie von wem berührt werden. Die folgenden Bilder stellen die Häufigkeit der Berührungen dar. Damit zeigen sich deutlich für bestimmte Partner offene sowie private (Tabu-)Zonen.

"Öffentliche" und private Körperzonen bei amerikanischen College-Studierenden

[Vorlage: Morris, Desmond <1928 - >: Der Mensch mit dem wir leben : ein Handbuch unseres Verhaltens. -- München [u.a.] : Droemer, ©1978. -- Originaltitel: Manwatching (1977). -- S. 204. -- [Taschenbuchausgabe: 1981. -- ISBN 3426036592. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]]


4.2. Zum Beispiel: Küsse


Folgender Bilderbogen soll das interkulturell "heikle" Thema des Küssens illustrieren. Während in einer Kultur oder Subkultur ein Kuss zwischen Mann und Frau keinerlei sexuell-erotische Konnotation hat, ist er in einer anderen Kultur der letzte Schritt vor Geschlechtsverkehr. Während es in einer Kultur unhöflich ist, Kinder nicht zu küssen, ist es für Kinder anderer Kulturen eine Folter, von Fremden geküsst zu werden. Während in einer Kultur sich Männer nie gegenseitig küssen, wird in anderen in bestimmten Situationen sogar ein Mundkuss zwischen Männern erwartet. . . .

Küsse


Abb.: Sozialistischer Bruderkuss: Leonid Breschnew (1906 - 1982, Generalsekretär der KPdSU 1964 - 182) küsst Erich Honecker (1912 - 1994, Generalsekretär der SED 1971 - 1989), 1979


Abb.: Mutter und Tochter (©ArtToday)


 Abb.: Frisch vermählte Mormonen (©ArtToday)


Abb.: Zwei Frauen (©ArtToday)


Abb.: Zwischen verschiedenen Gattungen von Lebewesen (©ArtToday)


Zu Kapitel 4, Teil 3: Räumliches Verhalten, zeitliches Verhalten, Aussehen, Stimme, Örtlichkeiten und Umgebung als Signale