Internationale Kommunikationskulturen

7. Kulturelle Faktoren: Betriebskulturen und Entscheidungsfindung

1. Teil I: Betriebskulturen


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 7. Kulturelle Faktoren: Betriebskulturen und Entscheidungsfindung. 1. Teil I: Betriebskulturen. -- Fassung vom 2001-02-20. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur071.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-02-20

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Einleitung


"In einem südwestdeutschen Computerkonzern erzählte mir ein Angestellter folgende Geschichte:

Es gibt da einen Witz von einem amerikanischen Manager, es könnte aber genauso gut ein deutscher oder ein englischer Manager sein. Also der amerikanische Manager hat in einem Wirtschaftsmagazin gelesen, dass die Firmenkultur eine wichtige Sache ist. Daraufhin ruft er seine Mitarbeiter zusammen und gibt ihnen einen Auftrag: »Sucht mir irgendwo eine Firmenkultur. Sie darf soundso viel kosten. Ihr habt dafür ein halbes Jahr Zeit.«

Nachdem der Angestellte, der übrigens selbst Manager ist, mir diese Geschichte berichtet hatte, lachte er verschmitzt und kommentierte sie mit den Worten:

Das ist natürlich keine Firmenkultur. So funktioniert es nicht. Bei uns ist sie gewachsen. Sie geht bis auf unsere Firmengründer zurück. Das macht sie zu etwas Besonderem, zu etwas ganz Speziellem."

[Wittel, Andreas: Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie : eine ethnographische Fallstudie. -- Berlin : Sigma,  ©1997. -- ISBN 3894044322. -- S. 9. -- Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


Abb.: Arbeitnehmerrechte sind Menschenrechte (Quelle: ILO)

In diesem Teil werden einige Grundbegriffe und Grundkonzepte zu Betriebskulturen dargestellt. Sie sollen sensibilisieren für die Wahrnehmung kommunikationsrelevanter Tatsachen.

Da die Übergänge zwischen Betriebskultur, Betriebsorganisation, Arbeitsorganisation u.ä. fließend sind, werden im Folgenden auch einige dieser Themen mitbearbeitet soweit sie für Kommunikation wichtig erscheinen.


2. Betriebskultur



Abb.: Betriebskultur in Großraumbüro, Wien 1910: Die Männer diktieren, die Frauen schreiben

[Quelle der Abb.: Von der Waschfrau zum Fräulein vom Amt : Frauenarbeit durch drei Jahrhunderte / Franz Severin Berger / Christiane Holler. - Wien : Ueberreuter, ©1997. -- ISBN 3-8000-3661-4. -- S. 187]

Die heute gebräuchliche Definition von Betriebskultur (Unternehmenskultur, Verwaltungskultur, Organisationskultur) stammt von Edgar Schein:

"A pattern of basic assumptions, invented, discovered, or developed by a given group as it learns to cope with its problems of external adaption and internal integration, that has worked well enough to be considered valid and, therefore, is to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to these problems." "Ein Muster von Grundannahmen, von einer Gruppe erfunden, entdeckt oder entwickelt, während sie lernte, mit ihren Problemen der äußeren Anpassung und inneren Integration fertig zu werden, welches sich genügend bewährt hat, so dass man es als gültig betrachten kann und das deshalb neuen Mitgliedern beigebracht werden muss als der rechte Weg diese Probleme wahrzunehmen und bezüglich ihrer zu denken und zu fühlen."
Schein, Edgar H.: Organizational psychology. -- In: American psychologist. -- 45 (1990). -- 109 - 119

Die Bewährung von Betriebskultur muss allerdings nicht bedeuten, dass Betriebskultur nicht langfristig (oder auch kurzfristig) dem Betrieb (oder bestimmten Mitarbeitern) sehr schaden kann. So ist sicher eine Initiation in Betriebskultur, was Günter Ogger so beschreibt:

"In den Kaderschmieden der Konzerne werden die Hoffnungsträger so lange durch die Mangel gedreht, bis sie genauso denken wie alle anderen -- oder kündigen."

[Ogger, Günter <1941 - >: Macher im Machtrausch : Deutschlands Manager auf gefährlichem Kurs. -- München : Droemer, ©1999. -- ISBN 3426271672. -- S. 237. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Ob eine solche Führungsauslese für den Betrieb, die Untergebenen und die Gesellschaft gut ist, darf bezweifelt werden.

Für unsere Zwecke wollen wir Betriebskultur definieren als

Gesamtheit der innerbetrieblichen Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensweisen.

Jeder Betrieb hat in diesem Sinn Betriebskulturen, sei es gute, sei es schlechte. Für Betriebskultur gilt wie für alle Kulturen, dass es eine Menge Unterkulturen (z.B. von Arbeitsgruppen, Seilschaften, Abteilungen, Standorten usw.) gibt.

Man darf Betriebskultur nicht verwechseln mit dem, was großmäulig als Firmenphilosophie deklariert wird. Zwischen Firmenphilosophie (Betriebsleitbildern) und tatsächlicher Betriebskultur besteht immer eine Diskrepanz, manchmal ist die Firmenphilosophie auch pure Heuchelei.


3. Betriebsklima


Betriebsklima wird hier als Bestandteil der Betriebskultur gefasst. Auf die Schwierigkeiten, den Begriff Betriebsklima genau zu fassen, brauchen wir nicht einzugehen.


Abb.: Betriebsklima (©ArtToday)

Lutz von Rosenstiel (geb. 1937) fasst die Dimensionen des Organisationsklimas, wie er Betriebsklima nenn, so zusammen:

  1. " Strukturierung: Das Ausmaß, in dem Verhaltensspielräume durch organisatorische Regelungen, Vorschriften, Praktiken eingeengt sind. Folgende Begriffspaare lassen sich zur Charakterisierung der Extreme gegenüberstellen:
    Planlosigkeit Bürokratisierung
    Durcheinander Reglementierung
    Chaos, Normlosigkeit Routinisierung
    Mehrdeutigkeit Schematisierung
  2. Autonomie: Darunter ist das Ausmaß von Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit und spontanen Entfaltungsmöglichkeiten zu verstehen. Folgende, Begriffspole können zur Kennzeichnung dienen:
    Abhängigkeit Selbständigkeit
    Fremdbestimmung Gestaltungsmöglichkeiten
    Machtlosigkeit
  3. Wärme und Unterstützung: Bei dieser Dimension geht es um das Betriebsklima im engeren Sinn, d. h. um die Qualität der sozialen Beziehungen, um Wärme, Vertrauen, gegenseitige Achtung, Freundlichkeit usw. Die Dimension kann zwischen folgenden polaren Begriffen aufgespannt werden:
    Misstrauen Vertrauen
    Kälte, Ablehnung Wärme, Achtung
    Distanzierung Nähe, Hilfe
    Einweg-Kommunikation Zweiweg-Kommunikation
  4. Leistungsorientierung: Hierbei geht es um das Ausmaß, in dem Leistung, Zielorientierung, Begeisterung, Schwung typisch sind für das Bild, das die Organisation bietet und das in folgenden Gegenüberstellungen veranschaulicht werden kann:
    Trägheit Schwung, Motivation
    Desinteresse Engagement
    Lahmheit Energie, Dynamik
    Leistungsablehnung Leistungsbetonung
  5. Zusammenarbeit: In Ergänzung der obengenannten 3. Dimension steht hier die Qualität der Arbeitsbeziehungen im Mittelpunkt - ob also innerhalb und zwischen den Arbeitsgruppen ein hohes Maß an Harmonie, Zusammenhalt, Loyalität und konstruktiver Zusammenarbeit erlebt wird oder ob das Gegenteil typisch ist:
    Spannungen Solidarität
    Cliquenbildung Integration
    Konflikthaftigkeit Kooperation
    Konfrontation Harmonie
    Nebeneinander Interdependenz
  6. Belohnungshöhe und -fairness: Eine Dimension, die vor allem in utilitaristischen Organisationen eine große Rolle spielt, bei denen die Mitglieder ihre »Investitionen« (an Zeit, Einsatz, Erfahrung usw.) an den »Gegenleistungen« orientieren, die ihnen die Organisation bietet (Einkommen, Status, Entwicklung usw.). Dabei geht es sowohl um die Art und Höhe der jeweiligen Belohnungen oder Bestrafungen wie auch um die Wahrscheinlichkeit, mit der sie erwartet werden können:
    Niedrige Belohnungen Hohe Belohnungen
    Hohe Bestrafungen Niedrige Bestrafungen
    Ungerechtigkeit Fairness
    Unausgewogenheit Gerechtigkeit
    Unkalkulierbarkeit  Berechenbarkeit
  7. Innovation und Entwicklung: Diese Dimension beschreibt die Erwartung, daß alles beim alten bleibt, keine Veränderungen erwünscht sind und keine persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten bestehen oder daß im Gegenteil Flexibilität, Wandel, Nonkonformität erwünscht sind und ein großer Aufwand betrieben wird, um Mitarbeiter höher zu qualifizieren:
    Starrheit und Intoleranz Änderungsbereitschaft
    Sicherheitsdenken Risikoneigung
    Unbeweglichkeit Flexibilität
    Dogmatismus Offenheit
  8. Hierarchie und Kontrolle: Im Erleben der Mitglieder kann die Betonung von Rang-, Status- oder Einflussunterschieden eine große Bedeutung haben. Dies kann auf folgendem Kontinuum abgebildet werden:
    Differenzierung Gleichheit
    Unterordnung Partnerschaftlichkeit
    Kastendenken
    Kontrolle, Überwachung"

[Rosenstiel, Lutz von <1937 - >: Organisationsklima. -- In: Arbeits- und Organisationspsychologie : internationales Handbuch in Schlüsselbegriffen / hrsg. von Siegfried Greif .... -- 3. Aufl.. - Weinheim : Beltz, ©1997. -- ISBN 3621272747. -- S. 361f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


4. Firmenleitbild


"Unsere Werte und Maßstäbe

Unsere Kultur ist geprägt durch:

  • Innovation
  • Offenheit
  • Teamwork
  • Agilität
  • Leistung
  • Kundenorientierung

Unser Maßstab:

  • Qualität
  • Professionalität
  • Verantwortung
  • Schnelligkeit
  • Profitabilität"

[Unternehmensleitbild von DaimlerChrysler™. -- http://www.daimlerchrysler.de/index_g.htm?/company/company_g.htm. -- Zugriff am 2001-01-18]

Von Betriebskulturen sind die Leitbilder der Unternehmen zu unterscheiden. Diese werden oft von Kommunikationsdesignern entworfen und haben mit der unternehmerischen oder betrieblichen Wirklichkeit gar nichts zu tun.

"Alles Schöne, Wahre und Gute findet sich im Leitbild. Pfiffig ist vor allem die mangelnde Konkretisierung, die die Leitbilder gegen eine Überführung ihrer Unwahrheiten weitgehend immun macht."

[Staute, Jörg <1964 - >: Das Ende der Unternehmenskultur : Firmenalltag im Turbokapitalismus. --  Frankfurt a. M. [u.a.] : Campus, ©1997. -- ISBN 3593357909. -- S. 157. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Jörg Staute gibt (a.a.O., S. 161) folgende Sprechblasen, mit denen man sich Unternehmensleitbilder selber basteln kann:


Abb.: Firmenleitbilder zum Selberbasteln


5. Corporate Identity



Abb.: Corporate Identity: "Werksgemeinschaft" der Stahlgießerei Krautheim und Co., Villach, Fotomontage, um 1912 

[Quelle der Abb.: Leben und arbeiten im Industriezeitalter / Germanisches Nationalmuseum. -- Stuttgart : Theiss, ©1985. -- ISBN 3-8062-0443-8. -- S. 315]

Corporate Identity ist ein viel gebrauchter Begriff. Oft wird er auf Äußerlichkeiten wie Betriebskleidung, Aufmachung von Schriftstücken (bis hin zur einheitlichen Schriftart für alle Firmenschriftstücke) verwendet. Auch so ist Corporate Identity Bestandteil von Betriebskulturen. Der Begriff kann auch tiefergehend gefasst werden:

"Eine «corporate identity», die Mitarbeitern ein positiv besetztes «Wir»-Gefühl vermittelt, benötigt mehr als extrovertierten Aktionismus in Form von Vereinheitlichung des Firmensignets auf Briefbögen oder die Verlautbarung inhaltsloser Weisheiten. Sie wird erst durch gemeinsam getragene Wertvorstellungen geschaffen, die sich in kohärenten Verhaltensweisen auf allen hierarchischen Ebenen ausdrücken. Auch für ein Unternehmen und seine Mitarbeiter gilt die Aussage von Oswald von Nell-Breuning , dass die Verbundenheit durch Werte aus einem 

«Haufen nebeneinander oder durcheinander, wenn nicht gar gegeneinander laufender einzelner» eine Gemeinschaft mache und dass «das Teilhaben an Werten den Menschen hebt, ihm höheren Rang und höhere Würde verleiht, und dies um so mehr, je höher, reicher und umfassender die Werte sind, an denen er teilhat, und je mehr er selbst an der Verwirklichung dieser Werte beteiligt ist. »"

[Leisinger, Klaus M. <1947 - >: Unternehmensethik : globale Verantwortung und modernes Management. -- München : Beck, ©1997. -- ISBN 3406422896. -- S: 180f. (dort Quellennachweis) -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Internetressourcen:


6. Organisation, Positionen und Rollen



Abb.: Organisation: Bürogebäude bei Nacht, Japan (©ArtToday)

"Man grüßt die Uniform, nicht den Mann."

Grundsatz beim Militär

Das Idealbild einer Organisation formulierte der deutsche Rüstungsindustrielle Alfred Krupp (1812 - 1887) unverblümt so:

"Was ich erreichen möchte, ist, dass nichts Wichtiges mehr vom Leben oder der Existenz einer bestimmten Person abhängt; dass nichts Wichtiges geschieht. . . ohne Wissen und Zustimmung der Betriebsleitung; dass man alles über die Vergangenheit und die absehbare Zukunft des Unternehmens aus den Akten der Betriebsleitung erfährt, ohne an einen einzigen Sterblichen eine Frage richten zu müssen."

[Alfred Krupp. --  Zitiert in: Steinberg, Rafael: Mensch und Organisation. -- Amsterdam : Time-Life, ©1976. -- (Menschliches Verhalten). -- S. 35 (ohne Stellennachweis)]


Abb.: Hierarchische Positionen (©ArtTody)

"In größeren Organisationen, deren Mitglieder viele ihrer Kollegen überhaupt nicht kennen, hängt der Fortbestand des ganzen Unternehmens von größtmöglicher Vorhersagbarkeit ab, wie sie nur durch formal strukturierte Positionen zu erreichen ist. Jede Position muss nicht nur in bezug auf ihre eigenen Funktionen, sondern auch hinsichtlich ihrer Beziehungen zu anderen Positionen definiert und aufrechterhalten werden. In einem solchen System sind die einzelnen Mitarbeiter -- vom Generaldirektor bis zum Nachtwächter -- austauschbar; nur Positionen sind wichtig und dauerhaft. Das Ganze ähnelt sehr einem Theaterstück: Jede Figur hat ihre Rolle, und weder in der Kleidung noch in Sprache und im Handeln ist ein Spieler mit dem anderen zu verwechseln; die Heroine spricht nicht den Text des Hausmädchens."

[Steinberg, Rafael: Mensch und Organisation. -- Amsterdam : Time-Life, ©1976. -- (Menschliches Verhalten). -- S. 35f.]


6.1. Zum Beispiel: Rang in Japan und den USA



Abb.:  Rang (©ArtToday)

"Obwohl der Rang eine so zentrale Rolle in Organisationen spielt, tritt er auf recht unterschiedliche Art in Erscheinung. Er kann offensichtlich sein -- wie im Militärdienst oder in der römisch-katholischen Kirche -- oder auch so verdeckt, dass nur ein paar Eingeweihte ihn kennen, wie es bei den Lobbyisten der Fall ist, die hinter den Kulissen Einfluss auf die Entscheidungen von Regierungen und Parlament nehmen. In westlichen Gesellschaften -- zumal in den Vereinigten Staaten -- wird der Rang oft nicht sehr stark betont, und es ist sehr verschieden, welchen Gebrauch der einzelne davon macht. In Japan hingegen regelt sich der öffentliche und private Geschäftsverkehr nach einem strengen, auf Rangordnungen beruhenden Protokoll.

In einer japanischen Firma oder Behörde spricht jedermann seinen Vorgesetzten mit dessen Titel oder Rang an -- Ehrenwerter Abteilungsleiter, Ehrenwerter Generaldirektor. Namen werden nur im Umgang mit Untergebenen oder Gleichgestellten verwendet, und Gleichgestellte haben Anspruch auf höflichere Verben und Pronomen als Untergebene. Jeder Beschäftigte eines japanischen Industriebetriebes, bis hinab zum Vorarbeiter, trägt stets Visitenkarten bei sich, die neben seinem Namen auch den seiner Firma, vor allem aber seinen Rang enthalten. Diese Karten dienen einem wichtigen Zweck: Japaner können nicht mit der gebührenden Höflichkeit miteinander reden, wenn einer nicht des anderen Rang und Stellung kennt.


Abb.: Übergabe von Visitenkarte, Japan (©Corbis)

Man braucht nur einmal zwei japanische Geschäftsleute zu beobachten, die sich als Fremde in einer Situation begegnen, wo es keinem von beiden klar ist, welcher der Ranghöhere ist -- beispielsweise bei einem Empfang eines Industrieunternehmens. Wenn sie niemand miteinander bekannt macht, werden sie es vermeiden, sich anzureden. Lässt sich jedoch ein Gespräch nicht umgehen, zücken sie augenblicklich ihre Visitenkarten, murmeln den Namen ihrer Firma und ihren eigenen und verbeugen sich andeutungsweise. In Sekundenschnelle liest jeder den Rang des anderen von dessen Karte ab und schätzt ab, wie dieser sich im Hinblick auf Größe und Bedeutung der Firma zu seinem eigenen verhält. Falls sie sich nicht als gleichrangig einstufen, ändert sich daraufhin schlagartig ihr Verhalten. Der eine von beiden verbeugt sich nochmals, und zwar tiefer als zuvor; seine Stimme wird sanfter, und er drückt sich höflicher aus. Wenn beide auf etwas warten, beispielsweise darauf, ans Büffet zu kommen, wird der Rangniedere meist dem Ranghöheren den Vortritt lassen. Der Ranghöhere hat inzwischen die Verbeugung des anderen mit einer weniger tiefen, vielleicht auch nur mit einem Nicken entgegengenommen; auch er ändert Tonfall und Wortwahl - seine Stimme wird härter, direkter, und seine Sätze werden kürzer. Er akzeptiert die Unterwürfigkeit des anderen, denn er hat ein Recht darauf.

Für einen Angehörigen einer westlichen Kultur hat dieses Ritual zwei faszinierende Aspekte. Zum einen scheint es, sobald die Visitenkarten ausgetauscht wurden, nie Unklarheiten zu geben, wer der Ranghöhere ist und wie tief und wie lange die Verbeugung zu sein hat. Zum anderen wird durch die Feststellung der unterschiedlichen Ränge ein Gespräch nicht etwa erschwert, sondern eindeutig erleichtert. Erst wenn klare Verhältnisse herrschen und die Gefahr eines protokollarischen Fehltritts ausgeschlossen ist, kann sich ein richtiges Gespräch entwickeln. Die beiden werden sich angesichts des Rangunterschieds nie anfreunden, aber solange die Form gewahrt wird, solange beide ihre Rolle spielen, können sie durchaus Geschäfte miteinander abwickeln oder einen Tag zusammen sein oder sogar gemeinsam in einem Taxi nach Hause fahren.
In den Vereinigten Staaten bewahrt der traditionelle Glaube an die Gleichheit aller die Amerikaner vor solch unverblümtem Zurschautragen von Rang und Würden, aber dafür bringt er sie in Schwierigkeiten anderer Art. Da die Amerikaner überzeugt sind, dass sie genauso viel wert sind wie die Höhergestellten, versuchen sie auf eine Art und Weise Ansehen einzuheimsen, die in Japan, wo der Rang zweifelsfrei feststeht, nicht nur als unschicklich gelten, sondern auch ohne Erfolg bleiben würde. Ein Amerikaner hegt oft den Argwohn, dass seine Untergebenen sich ihm ebenbürtig fühlen - und fürchtet, sie könnten recht haben. Deshalb ist er mitunter so eifersüchtig auf die Wahrung seiner Stellung und seiner Privilegien bedacht, dass er es darüber versäumt, auf rationale und zweckmäßige Weise seinen Pflichten nachzukommen. Paradoxerweise unterhöhlt das halb verdrängte Statusstreben in der auf der angeblichen Gleichheit aller beruhenden Gesellschaft die Leistungsfähigkeit bürokratischer Apparate auf eine Weise, wie sie zunächst niemand vorhergesehen hatte.

In den Vereinigten Staaten findet man das genaue Gegenteil der in Japan herrschenden Praxis. Aber in vielen anderen Ländern ist die Einstellung zu Rängen und Titeln zumindest ambivalent, was sich am deutlichsten darin äußert, wie der Rang nach außen hin kundgetan wird. Beim Militär, in der Kirche und in akademischen Organisationen bildet der Titel die normale Form der Anrede, und bisweilen werden an der Kleidung Rangabzeichen getragen. Der Mantel aus rotem Samt und Hermelin, den der Papst trägt, das rote Käppchen des Kardinals, Purpurtalar, Pastoralring und Krummstab des Bischofs sind anerkannte und vertraute Insignien der katholischen Hierarchie. Wie die Goldlitze eines Admirals signalisieren sie Rang und Würde auf eine solche Art und Weise, dass sie kein Mitglied der Organisation übersehen kann.

Mit dieser uneingeschränkten Anerkennung des Ranges geht die Bereitschaft einher, die dazugehörigen Privilegien zu akzeptieren. Vor allem beim Militär, wo die Disziplin verlangt, dass jeder mit einem Blick erkennt, wem er zu gehorchen hat - wird übertriebener Aufwand als selbstverständlich hingenommen. Die Dienstflugzeuge und Ehrengarden von Generälen; die Hausangestellten von Generälen der britischen Armee; die getrennten Kasinos und Kantinen für Offiziere, Berufssoldaten unterer Dienstgrade und Wehrpflichtige; die Ehrerbietung, die Offiziersfrauen von den Frauen unterer Dienstgrade erwarten - das alles gehört zur traditionellen Routine."

[Steinberg, Rafael: Mensch und Organisation. -- Amsterdam : Time-Life, ©1976. -- (Menschliches Verhalten). -- S. 39 - 41]


7. Rangabzeichen und Statussymbole



Abb.: Klare Rangverhältnisse (Bildquelle: http://www.ghgcorp.com/shetler/catholic/vestments/mitre.html. -- Zugriff am 2001-01-04)

"Im allgemeinen wird ... die Zurschaustellung von Rang und Würde im Westen abgelehnt. Zwar ist es noch üblich, Visitenkarten auszutauschen, doch geschieht dies mehr zur bequemen Mitteilung von Name und Adresse als mit der Absicht, seinen Titel herauszustreichen. Die Kleidung eines Bankangestellten unterscheidet sich im Prinzip nicht von der eines Generaldirektors, außer in der Stoffqualität und im Schnitt. Titel werden auf dem europäischen Kontinent in der formalen Anrede verwendet, vor allem in Deutschland -- wo Anreden wie „Herr Verwaltungsgerichtsoberinspektor" noch üblich sind --, in England dagegen weniger und noch weniger in den Vereinigten Staaten. Viele leitende Angestellte in den USA lassen sich grundsätzlich nur mit dem Vornamen anreden und sind stolz darauf, in Hemdsärmeln im Büro zu sitzen. Doch solche Bescheidenheit ist weitgehend nur ein Deckmantel. In jeder Organisation, gleich in welchem Lande, gibt es Rangabzeichen und Statussymbole, die heißbegehrt sind, voller Stolz zur Schau gestellt werden und genauso eindeutig Ansehen und Autorität symbolisieren wie die Streifen am Ärmel eines Offiziers -- jedenfalls für alle, die wissen, wohin sie schauen müssen.

Ob diese Statussymbole nun offiziell vorgeschrieben sind -- wie beispielsweise die frischen Blumen im Büro des Generaldirektors -- oder sich inoffiziell herausbilden, sie betonen in jedem Fall sowohl innerhalb der Gruppe als auch außerhalb die Bedeutung, die einer bestimmten Stellung zukommt. Und wie das Militär und die Kirche verteilen auch andere Organisationen solche Symbole großzügig an ihre obersten Funktionäre.

Vor einigen Jahren warb ein amerikanischer Teppichhersteller mit einem Slogan, der jedem leitenden Angestellten nahe legte, seiner gehobenen Stellung durch einen Teppich in seinem Büro Ausdruck zu verleihen; mittlerweile sind aber so viele Büros mit Teppichen ausgelegt, dass der Status sich nach Farbe und Dicke des Materials bemisst. Jahrelang war beispielsweise das Büro des amerikanischen Außenministers mit blauen Teppichen ausgelegt. Einen Stock tiefer gingen die Stellvertreter des Ministers auf grünen Teppichen, und noch einen Stock tiefer, wo die Abteilungsleiter saßen, waren die Teppiche grau. In jedem Büro mit einem grauen Teppich hing ein Schwarzweißphoto des Präsidenten, in den beiden oberen Etagen dagegen ein Farbphoto.

In jedem Büro eines leitenden Angestellten in der New Yorker Hauptverwaltung der Chase Manhattan Bank prangt ein von der Bank zur Verfügung gestelltes Ölgemälde, das sich der jeweilige Inhaber des Büros seinem persönlichen Geschmack entsprechend aussuchen darf. Der Wert des Bildes richtet sich jedoch genau nach dem Rang des Angestellten. Das wird so gehandhabt, dass jeder frisch Beförderte in die Kunstsammlung der Bank gehen und sich dort ein Bild der ihm zustehenden Preisklasse aussuchen darf. Wenn er bereits ein Gemälde hat, braucht er es nicht gegen ein neues, wertvolleres auszuwechseln, aber er bekommt auch kein zweites dazu -- es sei denn, seine neue Position entspricht dem Wert beider Bilder zusammen.

Statussymbol Bürosessel

Abb.: Statussymbol Bürosessel (©ArtToday)

Ein häufiger anzutreffendes Statussymbol ist der Schreibtisch, der um so größer und wertvoller wird, je höher der jeweilige Mitarbeiter die Stufenleiter hinaufklettert. Nüchtern-funktionaler Stahl wird von Nussbaum und Chrom, Mahagoni und Chippendale abgelöst; den obersten Führungskräften ist dann kein Schreibtisch mehr imposant genug, weshalb sie ganz auf dieses Möbel verzichten. Sie überlassen es Sekretärinnen und Direktionsassistenten, sich um Akten und Büroklammern zu kümmern, und sagen sich offenbar: «Das ganze Unternehmen ist mein Schreibtisch.»


Abb.: Rangabzeichen (©IMSI)

Der Rang eines Angestellten ist auch daraus zu ersehen, ob er eine eigene Sekretärin hat oder nicht, ob diese mit ihrem Chef ein Zimmer teilt oder in einem Vorzimmer residiert, wie elegant sie gekleidet ist und wie sie spricht. In New York gehörte es noch vor einigen Jahren einfach zum guten Ton, dass ein höherer Angestellter eine Sekretärin hatte, die ein makelloses Englisch sprach -- während es unter japanischen Industriekapitänen Mode war, sich von weiblichen Chauffeuren fahren zu lassen.

Der Platz, an dem ein Mitarbeiter sein Auto parken darf, ob er sich in der Gemeinschaftstoilette die Hände wäscht oder ein eigenes, an sein Büro angrenzendes Bad besitzt, ob seine Besucher auf einer weichen Couch oder harten Stühlen Platz nehmen, die Zahl der ihm zugestandenen Telephon-Nebenstellen und seine Nähe oder Ferne zum Chef in der Sitzordnung bei Konferenzen -- in all diesen Dingen kann der Rang eines Mitarbeiters zum Ausdruck kommen. Wenn die Unternehmensleitung den Versuch macht, diese Symbole abzuschaffen, kann es vorkommen, dass die Angestellten neue, inoffizielle erfinden. Als in einem Bostoner Verlag alle Beschäftigten in einem einzigen Großraumbüro untergebracht wurden, schufen sie sich selbst eine abgestufte Rangordnung, deren sichtbare Zeichen die Größe der Schreibtische und ihre Abstände zueinander waren. Nach jeder Beförderung oder Versetzung wurden die Schreibtische der revidierten Hackordnung entsprechend ein paar Zentimeter in der einen oder anderen Richtung verrückt."

"Der englische Soziologe David Lockwood hat darauf hingewiesen, dass bei Fachleuten für Human relations eindrucksvolle Titel als ein billiges Mittel gelten, Angestellte bei Laune zu halten; wer würde sich nicht lieber Sekretärin als Stenotypistin nenne, lieber Direktionsassistent als Sachbearbeiter?"

[Steinberg, Rafael: Mensch und Organisation. -- Amsterdam : Time-Life, ©1976. -- (Menschliches Verhalten). -- S. 41f., 48]


8. Der Arbeitsplatz


Arbeitsplätze als Ausdruck von Betriebskulturen

Alle Abb.: ©Corel


Abb.: ©ArtToday


8.1. Zum Beispiel: Großraumbüros


Ein Großraumbüro hat eine Fläche von 400 bis 5000 m².

Der vorgeschriebene Flächenbedarf beträgt

  • pro Büroarbeitsplatz 12 bis 15 m²
  • pro Bildschirmarbeitsplatz 15 m²

Quelle: Sicherheitsregeln ZH 1/535, S. 16; ZH 1/618, S. 24 f.

Der Durchgangsweg zum eigenen Arbeitsplatz muss mindestens 0,60 m breit sein.

Die Breite der Verkehrswege richtet sich nach der Anzahl der Beschäftigten.

  • bis 20 Benutzer mind. 0,93 m
  • bis 100 Benutzer mind. 1,25 m
  • bis 250 Benutzer mind. 1,75 m
  • bis 400 Benutzer mind. 2,25 m

Quelle: Arbeitsstätten-Richtlinien 17/1.2; DIN 4543, Teil 1, S.5.

[Quelle: http://www.sozialnetz-hessen.de/ergo-online/arbeitsplatz/umgebung/grossraum-b.htm. -- Zugriff am 2001-01-17]

"Ein offener Arbeitsraum oder ein abgeschlossenes Büro? Darüber wird seit 1960 heftig debattiert. Die ersten Großraumbüros entstanden 1958 in Mannheim. Die Brüder Schnelle, zwei Unternehmensberater, empfahlen der Firma Boehringer diese völlig neuartige Konzeption. Das Büro sollte nicht länger ein Symbol der Wirtschaftskraft des Unternehmens sein, sondern Ausdruck der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die Brüder Schnelle untersuchten zunächst den Fluss von Informationen und machten anschließend Vorschläge für geeignete Einrichtungsformen.

Bei ihrem Denkansatz gingen sie von der Aufgabe aus, die es zu erfüllen galt; dabei ließen sie jeglichen symbolischen Aspekt von Macht und Hierarchie beiseite. Im Vordergrund stand der Gedanke, die trennenden Wände zu beseitigen und den Raum zu öffnen, um damit gleichzeitig die herrschenden Kommunikations- und Beziehungsprobleme zu lösen.

Ihr Großraumbüro war kein karger, leerer Raum ohne Trennwände und Möbel. Sie schlugen vielmehr einen großzügigen, angenehmen Rahmen mit kunstvoll angelegten Grünbereichen und einem modernen, leichten und praktischen Mobiliar vor, ein Raum, in dem sich der einzelne eine gewisse Intimsphäre und Autonomie bewahren konnte.

Großraumbüros

Abb.: Großraumbüros (©Corel)

Abb.: Großraumbüros (Bildquelle: http://www.sozialnetz-hessen.de/ergo-online/arbeitsplatz/umgebung/grossraum-b.htm. -- Zugriff am 2001-01-17)

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Zunächst schalteten in den Vereinigten Staaten und ab 1965 auch in Europa vor allem die Versicherungsgesellschaften mit ihrem umfangreichen Personal auf das neue System um. Bis Ende der 70er Jahre war das Großraumbüro der Hit der Verwaltungsplaner. Hinterfragt wurde es kaum. Das Konzept verhieß ein neues Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Lebensqualität. Noch verführerischer aber war seine rasche und problemlose Umsetzung. Darüber hinaus kam dieses System dem Rationalisierungsstreben und -- was damals noch nicht offen ausgesprochen wurde -- der damit verbundenen Platzeinsparung entgegen. Unter diesen Voraussetzungen wurden die Großraumbüros bald schon immer enger und hässlicher. Während ein amerikanischer Angestellter noch 25 m² für sich beanspruchen durfte, musste sich sein europäischer Kollege zunächst mit 15, später dann sogar mit 12 m² bescheiden. Da man den Bedarf an Ablagemöglichkeiten gewaltig unterschätzt hatte, waren die Räume schnell mit Schränken und Beistelltischen vollgestopft. Und das ging auf Kosten der Grünoasen, so dass sich die Natur allmählich wieder auf die sattsam bekannte Grünpflanze auf dem Schreibtisch beschränkte. Die ursprüngliche Idee geriet in Vergessenheit: Die anfangs sorgfältig geplante Anordnung der Arbeitsplätze wurde nach und nach dem Zufall.

Erste Kritik regte sich bei den Benutzern, man klagte über mangelnde Intimität, ständigen Lärm und Unruhe, fehlenden Sichtschutz. Ganz banale Dinge im menschlichen Miteinander wurden zur psychologischen Zerreißprobe: Wer im Großraumbüro aufschaut, begegnet dem Blick eines anderen. Man fühlt sich »ertappt«, als Aggressor und gleichzeitig selbst angegriffen, durch den Blick des anderen bloßgestellt. Man antwortet mit einem Zeichen oder einer Mimik, und beim hundertsten Mal nur noch mit einer Grimasse. Das Großraumbüro macht das Leben unerträglich, denn es verhindert jegliche Spontaneität und zwingt jedem eine Maske auf, die er während der Bürostunden nicht mehr ablegen darf.

In einem solchen Büro verkümmern sämtliche traditionellen Umgangsformen. Wie soll man anklopfen, wenn es keine Tür gibt? Oder mal eben den Kopf hereinstecken, um Guten Tag zu sagen? Warum sollte man aufstehen, um jemandem etwas mitzuteilen, wenn man nur die Stimme heben braucht, um gehört zu werden?

Der Misserfolg des Großraumbüros in Frankreich rührte von seiner menschlichen Verarmung her, aber auch von der Schwierigkeit seiner Benutzer, sich der geforderten Lebensweise anzupassen. Franzosen, die flüstern, so etwas gibt es nicht. In Deutschland dagegen kamen die Großraumbüros dem Bemühen um reibungslose Abläufe und einen verbesserten Informationsfluss entgegen. In England bestimmte die Art der Tätigkeit die Entscheidung zwischen offenen und geschlossenen Räumen. Konzipierte man Einzelbüros, versuchte man sie zumindest optisch zu öffnen. In den USA installiert man auch heute noch Großraumbüros -- aber mit Trennwänden. 

Transparenz und Kommunikation scheiterten letztlich daran, dass es unmöglich war, sich optisch und akustisch abzuschotten, seine Büroecke individuell zu gestalten, sich »ein Nest zu bauen«. Allzu große Nähe erschwert die Konzentration und hebt den Lärmpegel. Das Gruppenleben innerhalb eines Großraumbüros hat seine eigenen Gesetze. Wenn jeder sie akzeptiert und sich den vielfältigen, unausgesprochenen Umgangs- und Höflichkeitsregeln unterwirft, bietet es zahlreiche Vorteile. Doch verstößt nur einer gegen diese Regeln, leidet die ganze Gruppe darunter; sie nimmt an seinen Telephongesprächen teil, atmet den Rauch seiner Zigaretten - ein Fass erzwungener Unannehmlichkeiten, das rasch überläuft. Im Großraumbüro gibt es scheinbar keine Hierarchie. Und doch findet man auch in ihm subtile Unterschiede. Hier geht es nicht mehr um den Teppich oder die erlesenen Möbel, die einen vom Nachbarn abheben, jetzt ist der Sitzplatz entscheidend: direkt am Fenster, nicht zu nah an der Tür, irgendwo abseits, von einer Grünpflanze verdeckt, möglichst fern von den anderen. Die Unternehmen, in denen auch die Führungskräfte in Großraumbüros untergebracht sind, findet man so selten wie ein Doppelbett neben dem Schreibtisch. Trotz allem regt dieser Platz bürokratischer Massenhysterie auch weiterhin die Phantasien an, nicht zuletzt deshalb sieht man ihn oft als Filmkulisse. Hollywood signalisiert mit dem Großraumbüro gern die Leistungsfähigkeit der Amerikaner. Hier dürfen sie fröhliche Urständ feiern: die Betriebsamkeit und das kollektive, energische Zupacken, das den modernen Menschen auszeichnet."

[Pélegrin-Genel, Élisabeth: Büro : Schönheit, Prestige, Phantasie. -- Köln : DuMont, ©1996. -- ISBN 3770138155. -- S. 84 - 87. -- Originaltitel: L'art de vivre au bureau (1995). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


9. Wettbewerb um Macht


"Topmanager [sind] nicht für die Unternehmen da, sondern die Unternehmen [dienen] zur Befriedigung der Machtgelüste von Topmanagern."

[Ogger, Günter <1941 - >: Macher im Machtrausch : Deutschlands Manager auf gefährlichem Kurs. -- München : Droemer, ©1999. -- ISBN 3426271672. -- S. 102. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Eines der wichtigsten Motive für viele Menschen ist Macht. Manager aller Stufen können  "Macher im Machtrausch" (Günter Ogger) sein.

"Geruhen nämlich die Herren Topmanager, ihren Untergebenen überall in der Welt die Bereitschaft zur Teamarbeit zu verordnen, so sind sie selber offenbar weder willens noch in der Lage, einen anderen neben sich gelten zu lassen."

[Ogger, Günter <1941 - >: Macher im Machtrausch : Deutschlands Manager auf gefährlichem Kurs. -- München : Droemer, ©1999. -- ISBN 3426271672. -- S. 105. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Macht will man nicht teilen, deshalb gibt es die verschiedensten Strategien der Konkurrenz. Im Streben um Macht gibt es unterschiedliche Typen. Wilbert Moore unterscheidet in

Moore, Wilbert Ellis: The conduct of the corporation. -- Westport, CN : Greenwood Press, ©1962. -- 292 S.

folgende Haupttypen von Karrieristen:

[Zitate in: Steinberg, Rafael: Mensch und Organisation. -- Amsterdam : Time-Life, ©1976. -- (Menschliches Verhalten). -- S. 51 (ohne Stellennachweis)]


Abb.: Vom Rollkragen-Revoluzzer zum Kaschmir-Kanzler: Gerhard Schröder (geb. 1944) (Bildquelle: Presseamt)

"Wie der Kanzler, so sein Fußvolk. Kaum hatte Gerhard Schröder, als Juso-Vorsitzender im Rollkragenpulli zu Hause, nach der gewonnenen Bundestagswahl im November 1998 das Bonner Kanzleramt erobert, zeigte er sich im perfekten Outfit der italienischen Maßschneiderei Brioni. Auch wenn ihn fortan die Parteilinken als »Kaschmir-Kanzler« schmähten, so hatte Sozialdemokrat Schröder die Zeichen der Zeit ganz richtig erkannt: Wer Karriere machen will, braucht ordentliche Klamotten.

Schon äußerlich bieten Deutschlands Führungskräfte heute ein anderes Bild als noch vor zehn Jahren. Kamen ihre Vorgänger oft recht buntscheckig daher - in karierten Sakkos, gestreiften Hemden und braunen Schuhen --, so legen heutzutage schon die jüngsten Trainees, kaum der Uni entwachsen, großen Wert auf ihre Garderobe. Zwar stecken sie alle in grauen oder blauen Anzügen, doch der zweite Blick offenbart die Nuancen. Wer »in« sein will, wählt ein gedecktes Tuch aus italienischen Manufakturen, achtet auf den Schnitt der Bundfalten wie auf die richtige Ärmellänge, lässt die Hemden nach Maß fertigen und drückt mit der Wahl der Seidenkrawatte sein exquisites Stilempfinden aus.

Galt die Sorgfalt, mit der Italiener und Franzosen schon immer ihre »bella figura« pflegten, bei den »deutschen Bullen« einst als Ausweis fachlicher Inkompetenz, so kann es sich heutzutage kein ernsthafter Anwärter auf einen Chefposten mehr leisten, wie ein heruntergekommener Provinzler aufzutreten. Seit Rationalisierungs- und Fusionswellen die Zahl der Spitzenjobs drastisch verringerten, bekam der Ausleseprozess eine neue Dynamik. Im Gerangel der Kandidaten zählt nicht mehr nur die fachliche Qualifikation -- die wird einfach vorausgesetzt --, sondern immer mehr das, was man als »Persönlichkeit« bezeichnet.

Manager dürfen sich keine Schwachpunkte leisten, sie müssen, zumindest nach außen hin, fast perfekt erscheinen. Weil aber kein Mensch perfekt ist, achten sie mehr denn je darauf, dass zumindest die Fassade glänzt. Das Bedürfnis der Führungskräfte nach einem tadellosen Auftritt ernährt mittlerweile eine kopfstarke Branche von Mode-, Farb-, Stil-, Einrichtungs- und Benimmberatern, die den aufstiegshungrigen Betriebs- und Volkswirten zu gesellschaftlichem Schliff verhelfen sollen. Sabine Meister aus München zum Beispiel, die einst PR für Markenartikler machte, hat sich auf die Runderneuerung einer gehobenen Klientel spezialisiert: »Die Beratung deckt, falls erwünscht, das gesamte Lebensspektrum ab: Gastgeberschaft, Esskultur, Hobbys, Allgemeinwissen.« Einen ähnlichen Rundumservice bietet die Schweizerin Lucia Bleuler an, die zusammen mit dem Butler Peter M. Isler den Führungskadern der Großbanken in Basel und Zürich zu gesellschaftlichem Schliff verholfen hat.
Persönlichkeit ist angesagt, und als eine solche muss der Manager lernen, nicht nur der Konkurrenz, sondern bei Tische auch dem Hummer den Garaus zu machen. Äußerlichkeiten sind, so scheint es, für den angestellten Erfolgsmenschen wichtiger denn je, so dass man den hässlichen Verdacht nicht los wird, in den Firmen werde deshalb soviel Leerlauf produziert, weil die leitenden Angestellten vor allem damit beschäftigt sind, einen guten Eindruck zu machen. Dazu gehört heutzutage natürlich ein bisschen mehr als eine dezent gemusterte Krawatte.


Abb.: Erfolgsrezept im Machtkampf: "Die Stimme seines Herrn" (Emailschild, 1925)

Wer im Management reüssieren will, muss vor allem eines wissen: wie man die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten erregt. Gelingt dies nicht mit beruflicher Leistung, dann vielleicht mit gepflegten Manieren, lockeren Sprüchen und dem passenden Hobby. Das ganze Beiwerk einer sogenannten Persönlichkeit gewann in den letzten Jahren, das bestätigen Personalchefs wie Personalberater, erheblich an Bedeutung. Und so stapfen sie denn über den Golfplatz, hecheln über den Tenniscourt, joggen durch den Stadtpark, immer in der Hoffnung, den wohlgefälligen Blick eines ranghöheren Standesgenossen zu erhaschen."

[Ogger, Günter <1941 - >: Macher im Machtrausch : Deutschlands Manager auf gefährlichem Kurs. -- München : Droemer, ©1999. -- ISBN 3426271672. -- S. 203 - 205. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


10. Taylorismus



Abb.: Werbeplakat für Taylorismus, Deutschland 1920er-Jahre

[Bildquelle: Hughes, Thomas P.: Die Erfindung Amerikas : der technologische Aufstieg der USA seit 1870. -- München : Beck, ©1991. -- ISBN 3406349234. -- S. 290. -- Originaltitel: American genesis (©1989)]

"In the past the man has been first; in the future the system must be first." "In der Vergangenheit kam der Mensch zuerst, in der Zukunft muss das System zuerst kommen."
Taylor, Frederick Winslow <1856 - 1915>: The principles of scientific management. -- New York : London : Harper & Brothers, 1911. -- Introduction


Abb.: Zeitlupenaufnahmen: Bewegungsablauf beim Feilen (Ausschnitt), 1929

[Quelle der Abb.: Rationalisierung 1984 / Staatliche Kunsthalle Berin ... -- Berlin : Staatliche Kunsthalle, ©1983. -- S.84]

Taylorismus ist eine andere Bezeichnung für scientific management, benannt nach dem Begründer Frederick Winslow Taylor (1856 - 1915). Taylor hat seit 1881 im Midway Stahlwerk in Philadelphia, USA, Zeitlupenaufnahmen aufgenommen und Bewegungsabläufe der Arbeiter untersucht, um zu zeigen, wie Arbeiter am effektivsten tätig werden können. Sein wichtigstes Werk ist:

Taylor, Frederick Winslow <1856 - 1915>: The principles of scientific management. -- New York : London : Harper & Brothers, 1911. -- 144 S. -- Online edition: http://pantheon.cis.yale.edu/~thomast/texts/taylor/title.html. -- Zugriff am 20001-01-02

Ziel des Taylorismus ist die Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit durch:

Taylor spottet über die Ineffizienz der

"Betriebsführer der  alten Schule, die der Meinung sind .. es sei besser, jedem Arbeiter die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Individualität zu geben, indem sie ihn mit den Geräten und Methoden arbeiten lassen, die ihm am meisten zusagen." (F. W. Taylor)

Statt dessen ist das Grundprinzip:

"Es kommt darauf an, die Planung der Arbeit von ihrer Ausführung zu trennen und für die erstere ausgebildete Experten mit der richtigen geistigen Ausrüstung, für die letztere hingegen Leute mit den entsprechenden körperlichen Voraussetzungen heranzuziehen." (Henry Robinson Towne <1844 - 1924>)

Taylorismus ist heute noch die grundlegende Betriebskultur in vielen Produktionsstätten in Billiglohnländern und Billigstlohnländern.


10.1. Sowjetischer Taylorismus



Abb.: Der erste in der Sowjetunion am Fließband produzierte Traktor, um 1930

[Bildquelle: Portisch, Hugo: Hört die Signale : Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. -- Wien : Kremayr & Scheriau, ©1991. -- ISBN 3-218-00535-3. -- S. 231]

Wladimir Iljitsch Lenin (1870 - 1924) war ein begeisterter Anhänger des Taylorismus. 1918 schrieb er programmatisch in seinen "Thesen: über die Aufgaben der Sowjetmacht im gegenwärtigen Augenblick", die am 1918-04-26 vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion einstimmig gebilligt und zur Veröffentlichung bestimmt wurden:

"Die klassenbewussteste Vorhut des russischen Proletariats hat sich bereits die Aufgabe gestellt, die Arbeitsdisziplin zu heben. So hat man zum Beispiel sowohl im Zentralkomitee des Metallarbeiterverbands als auch im Zentralrat der Gewerkschaften mit der Ausarbeitung entsprechender Maßnahmen und Dekretentwürfe begonnen. Diese Arbeit.. muss unterstützt und mit allen Kräften vorwärtsgebracht werden. Man muss den Stücklohn, die Anwendung von vielem, was an Wissenschaftlichem und Fortschrittlichem im Taylorsystem enthalten ist, die Abstimmung des Verdienstes mit den Gesamtergebnissen der Produktionsleistung bzw. mit dem Betriebsertrag der Eisenbahnen, der Schifffahrt usw. usf. auf die Tagesordnung setzen, praktisch anwenden und erproben.

Der russische Mensch ist ein schlechter Arbeiter im Vergleich mit den fortgeschrittenen Nationen. Und anders konnte das auch nicht sein unter dem Regime des Zarismus und angesichts so lebendiger Überreste der Leibeigenschaft. Arbeiten lernen -- diese Aufgabe muss die Sowjetmacht dem Volk in ihrem ganzen Umfang stellen. Das letzte Wort des Kapitalismus in dieser Hinsicht, das Taylorsystem, vereinigt in sich -- wie alle Fortschritte des Kapitalismus -- die raffinierte Bestialität der bürgerlichen Ausbeutung und eine Reihe wertvollster wissenschaftlicher Errungenschaften 


Abb.: Vermessung des Menschen für "wissenschaftliches Management", USA

Die Sowjetrepublik muss um jeden Preis alles Wertvolle übernehmen, was Wissenschaft und Technik auf diesem Gebiet errungen haben. Die Realisierbarkeit des Sozialismus hängt ab eben von unseren Erfolgen bei der Verbindung der Sowjetmacht und der sowjetischen Verwaltungsorganisation mit dem neuesten Fortschritt des Kapitalismus. Man muss in Russland das Studium des Taylorsystems, die Unterweisung darin, seine systematische Erprobung und Auswertung in Angriff nehmen. Indem wir zur Steigerung der Arbeitsproduktivität schreiten, müssen wir gleichzeitig die Besonderheiten der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Sozialismus berücksichtigen, die einerseits erfordern, dass die Grundlagen geschaffen werden für die sozialistische Organisierung des Wettbewerbs, anderseits aber die Anwendung von Zwang erheischen, damit die Losung der Diktatur des Proletariats nicht beschmutzt werde durch die Praxis eines breiartigen Zustands der proletarischen Macht."

[Lenin, Wladimir Iljitsch <1870 - 1924>: Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht : die internationale Lage der russischen Sowjetrepublik und die Hauptaufgaben der sozialistischen Revolution. -- In: Prawda. -- Nr. 83 (1918-04-28. -- Wieder abgedruckt in Werke, Bd. 27. -- Übersetzt in: Lenin, W. I.: Ausgewählte Werke. -- Moskau : Progress, 1987. -- S.414 - 415]

Der erste Fünfjahresplan der Sowjetunion wurde unter Beratung durch amerikanische Fachleute für wissenschaftliche Betriebsführung (Taylorismus) erstellt: der Taylorismus wurde auf die gesamte Wirtschaft des Landes angewandt. 


Abb.: So wurde der sowjetische Taylorismus Bestand der Betriebskulturen der DDR: Plakat der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, DDR


11. Fordismus



Abb.: Fließbandproduktion in Elektronikfabrik (©Corbis)

Fordismus ist die Bezeichnung für die technischen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Grundsätze von Henry Ford (1863 - 1947), der u.a. 1913 in seinem Detroiter Automobilwerk das erste Montagefließband in Betrieb nahm. Fordismus wurde zur wichtigsten Betriebskultur arbeitsteiliger Produktion. 

In seinen Memoiren 

Ford, Henry <1863 - 1947>: My life and work / by Henry Ford ; in collaboration with Samuel Crowther. -- Garden City, NY : Garden City, ©1922. -- 289 S.

beschreibt Henry Ford die Prinzipien des Fordismus so:

"Wir müssen die Ungleichheit der menschlichen Begabung als Voraussetzung anerkennen. Wenn jede Verrichtung unseres Betriebes Können erforderte, wäre unser Betrieb niemals zustandegekommen. Geschulte Arbeiter hätten sich in den Mengen, wie wir sie dann benötigt hätten, nicht in hundert Jahren heranziehen lassen. Zwei Millionen gelernter Arbeiter wären außerstande mit der Hand auch nur annähernd unsere tägliche Produktionsmenge zu schaffen. Keiner vermöchte außerdem eine Million Mann zu dirigieren. Wichtiger aber noch ist die Tatsache, dass die Produkte dieser Millionen isolierter Hände sich nie und nimmer zu einem der Kaufkraft entsprechenden Preise herstellen lassen würden. Aber selbst wenn es möglich wäre, eine derartige Massenanhäufung sich vorzustellen und eine richtige Anleitung und Zusammenarbeit zu erzielen, so bedenke man das Areal, das zu ihrer Aufnahme erforderlich wäre! Wie groß wäre allein die Anzahl, die nicht mit produktiver Arbeit, sondern ausschließlich damit beschäftigt wäre, die Produkte der anderen von einer Stelle zur anderen zu schaffen? Ich sehe  keine Möglichkeit, unter solchen Verhältnissen den Betreffenden mehr als 10 bis 20 Cent Tageslohn zu zahlen -- denn natürlich ist es in Wirklichkeit nicht der Arbeitgeber, der die Löhne zahlt . . . Das Produkt bezahlt die Löhne, und die Leitung organisiert die Produktion so, dass das Produkt dazu imstande ist."

"Menschen mit, sagen wir, schöpferischer Begabung, denen infolgedessen jegliche Monotonie ein Gräuel ist, neigen sehr leicht zu der Ansicht, dass ihre Mitmenschen ebenso ruhelos sind, und spenden ihr Mitgefühl ganz unnötigerweise dem Arbeiter, der tagaus, tagein fast die gleiche Verrichtung tut . . . . Die erste Bedingung ist, dass kein Arbeiter in seiner Arbeit überstürzt werden darf, -- jede erforderliche Sekunde wird ihm zugestanden, keine einzige darüber hinaus." 

"Ich ahnte nicht . . . dass eine so streng durchgeführte vielfältige Teilung möglich war; aber mit der wachsenden Produktion der vermehrten Abteilungen hörten wir auf, Automobile zu produzieren und wurden eine Fabrik zur Herstellung von Automobilteilen."

[Zitiert in: Paturi, Felix R.: Chronik der Technik. -- 2., verbesserte Aufl. -- Dortmund : Chronik Verlag, ©1988. -- ISBN 3-611-00033-7. -- S. 390 (Ohne Stellennachweis)]

Henry Ford betonte auch den absoluten Vorrang der Arbeit gegenüber dem Kapital. Seine Ansichten lesen sich wie eine "linke" Kritik am Turbokapitalismus:

"Der Einfluss des Kapitals -- der Zwang, mit einer Investition Gewinn zu erzielen -- führt u. a. dazu, dass Arbeit gering geschätzt und möglichst vermieden wird. Darunter leidet natürlich der Service. Überhaupt scheint mir der Einfluss des Kapitals der Grund für die meisten Probleme zu sein. Er sorgt für niedrige Löhne, denn nur für sinnvoll eingesetzte Arbeit kann man hohe Löhne bezahlen - und wenn man der Arbeit nicht die volle Aufmerksamkeit widmet, kann man sie nicht sinnvoll einsetzen. Die meisten Leute wollen frei arbeiten können -- in dem damaligen System konnten sie das nicht. In der Detroit Automobile Company war ich nicht frei, dort konnte ich meine Vorstellungen nicht verwirklichen. Alles war darauf ausgerichtet, Geld zu verdienen, die Arbeit stand immer an letzter Stelle. Höchst merkwürdig: Alle bestanden darauf, dass Geld zählte und nicht die Arbeit. Niemand schien das unlogisch, auch wenn jeder zugab, dass der Gewinn sich aus der Arbeit ergeben musste. Anscheinend hoffte man, eine Abkürzung zum Geld zu finden. Die offensichtlichste Abkürzung -- über harte Arbeit -- wollte man vermeiden."

"In jenem Jahr lernte ich sehr viel über das Geschäftsleben. Seitdem habe ich jedes Jahr dazugelernt, doch meine Schlussfolgerungen von damals musste ich nie korrigieren. Sie lauten:

  1. Kapital wird höher geschätzt als Arbeit. Deshalb würgt es die Arbeit ab und zerstört die Grundlage für den Dienst am Kunden.
  2. Die Denkweise, dass Kapital wichtiger ist als Arbeit, führt zu Versagensangst. Diese Angst versperrt alle geschäftlichen Möglichkeiten, denn sie lässt den Menschen vor Wettbewerb, neuen Methoden und jeder Veränderung einer Situation zurückschrecken.
  3. Wer aber zuerst an den Kundendienst denkt, wer seine Arbeit so gut wie möglich erledigt, dem stehen alle Türen offen."

[a.a.O. -- Zitiert in: Faszination Business : was sie von den Legenden der Wirtschaft lernen können / [hrsg. von] Peter Krass. -- 2. Aufl. -- Landsberg : mi, ©1999. -- ISBN 3478368804. -- Originaltitel: The book of business wisdom (1998). -- S. 301, 303. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Die Herausforderung durch Taylorismus und Fordismus in den USA führten u.a. dazu, dass 1921 in Berlin das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk (RKW) gegründet wurde (heute: Rationalisierungs- und Innovationszentrum der deutschen Wirtschaft e.V. -- Webpräsenz: http://www.rkw.de/. -- Zugriff am 2001-01-02. -- Dort auch ausführliche Geschichte des RKW).


12. Human Relations



Abb.: "Human relations" um 1900:

"Ein wahres Glück, dass unser Buchhalter einen steifen Hals hat! Da wird er doch endlich mit dem Jahresabschluss fertig werden."
"Ja, was hat denn der steife Hals damit zu tun?"
"Jetzt kann er sich doch nicht jeden Augenblick nach dem hübschen Schreibmaschinenfräulein umdrehen!"

[Quelle: Fliegende Blätter. -- Nr. 3419 [o.J.]]

In den Jahren 1927 - 1932 führten Elton Mayo (1880-1949), Fritz Jules Roethlisberger (1898 - 1974) und William John Dickson  (geb. 1904) in den Hawthorne Werken der Western Electric Company in Chicago Untersuchungen durch zur Verbesserung von Arbeitsleistung, Verhalten und Gesundheit einer Gruppe von Frauen durch Veränderung  verschiedener Umweltbedingungen.

Die Forscher stellten für die Untersuchungen eine Arbeitsgruppe von Frauen zusammen, die Telephonrelais montierten. Die Frauen wurden vollständig über den Zweck der Untersuchungen informiert. 


Abb.: Arbeiterinnen bei Hawthorne-Experiment, Chicago, zwischen 1927 und 1932 (Bild: Gene Laurents)

Jede der im Folgenden genannten Bedingungen wurde 4 bis 12 Wochen aufrecherhalten und die Produktivität der Gruppe gemessen.

Arbeitsbedingungen Produktivität
Normale: 48-Stunden-Woche, Samstagsarbeit, keine Pausen 2400 Relais pro Woche
Akkordarbeit erhöht
Täglich zwei Arbeitspausen á 5 Minuten erhöht
Arbeitspausen bis zu 10 Minuten stark erhöht
Täglich sechs Arbeitspausen á 5 Minuten fällt (Arbeiterinnen beklagen sich, dass der Arbeitsrhythmus zu oft unterbrochen wird)
Täglich zwei Arbeitspausen, warme Zwischenmahlzeit wird von Firma bezahlt erhöht
Arbeitsende um 16:30 statt um 17:00 erhöht
Arbeitsende um 16:00 keine Erhöhung gegenüber vorigem
Alle Arbeitsverbesserungen werden gestrichen, Rückkehr zur 48-Stunden-Woche ohne Pausen ohne freie Mahlzeit höchste Produktivität von allen Bedingungen! 3000 Relais pro Woche

Diese unerwarteten Ergebnisse deutete man schließlich als Effekte der sozialen Situation: im Verlauf der experimentellen Veränderungen kam es zu einer Vielzahl informeller Beziehungen zwischen den Arbeiterinnen sowie zwischen den Arbeiterinnen und den Forschern. In zwei weiteren Experimenten konnte man diese Deutung erhärten. Damit sah man, dass man nicht nur -- wie bei Taylorismus und Fordismus -- den Arbeiter als Individuum sehen darf, sondern als Mitglied in einem komplexen sozialen und organisatorischen System mit all seinen persönlichen, emotionalen und motivationalen Beziehungen. Die Folge war ein neues Menschenbild in der Arbeitswissenschaft, das man als social man bezeichnet. Die verschiedenen Konzepte, die daraus entwickelt wurden, nennt man Social Relations Konzepte, da die Beziehungen innerhalb der Arbeitsgruppe als zentral angesehen werden.


13. Humanisierung der Arbeit (Neo-Human Relations)



Abb.: Arbeitszufriedenheit (©Corbis)

Ende der 1950er Jahre und Anfang der 1960er Jahre rückten Arbeiten der Psychologen Abraham H. Maslow (1908 - 1970), Frederick Herzberg (1923 - 2000), Douglas McGregor (geb. 1906), Chris Argyris (geb. 1923) und anderer die Bedürfnisse von Beschäftigten nach Selbstverwirklichung und psychischer Entwicklung (Wachstum)  in den Vordergrund des Interesses. Das "neue" Menschenbild war das des Menschen, der vor allem nach Selbstverwirklichung und Autonomie strebt (selfactualizing man).

Hier sei kurz die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg und anderen wiedergegeben:

Herzberg und seine Mitarbeiter kamen aufgrund von empirischen Untersuchungen zur Überzeugung, dass Zufriedenheit und Unzufriedenheit an der Arbeit von zwei verschiedenen Faktorengruppen beeinflusst werden. Unzufriedenheit entsteht also nicht einfach durch Abwesenheit oder ungenügende Ausprägung von Faktoren, die andernfalls Zufriedenheit bewirken.

Die Faktoren, die Zufriedenheit bewirken, nannten Herzberg Satisfiers (Kontentfaktoren, Motivatoren). Die Faktoren, die Unzufriedenheit erzeugen, nannte Herzberg Dissatisfiers. Sie sind eher der Arbeitsumgebung zuzuordnen und werden deshalb auch als Kontextfaktoren bezeichnet. Da die positive Ausprägung dieser Faktoren vorbeugend wirkt, um unangenehme Situationen zu vermeiden, wurden sie auch als Hygienefaktoren bezeichnet.

Die wichtigsten Faktoren der beiden Gruppen sind nach Herzberg:

Herzberg rückt also den Inhalt der Arbeitstätigkeit ins Zentrum des Interesses. Das  führte zu verschiedenen Job-enrichment-Konzepten.

Die Schwachstelle all dieser Human-Relations-Konzepte ist, dass sie die individuellen Unterschiede der Arbeitnehmer in ihren

weitgehend unberücksichtigt lassen. (Vgl. das Zitat von Hugo Münsterberg aus dem Jahr 1912 zur Kritik an unzulässigen Generalisierungen, oben).


14. Die Überwindung einseitiger  Menschenbilder in Betriebskonzepten



Abb.: Menschen sind nicht nur in ihrer Hautfarbe unterschiedlich (©ArtToday)

Edgar H. Schein begründet, warum es kein allgemein gültiges Menschenbild und darum auch keine allgemein gültigen Handlungsanweisungen für Arbeitsgestaltung geben kann:

  1. " Menschliche Bedürfnisse lassen sich in viele Kategorien einteilen und verändern sich im Laufe der menschlichen Entwicklung und der Entwicklung der Lebenssituation. Die Bedürfnisse und Motive haben von Person zu Person unterschiedliche Bedeutung. Sie bilden eine Art Hierarchie, die wiederum von Person zu Person, aber auch von Situation zu Situation und von einem Zeitraum zum anderen variiert.
  2. Weil Bedürfnisse und Motive miteinander interagieren und sich zu komplexen Motivationsmustern, Werten und Zielen kombinieren, muss man grundsätzlich entscheiden, auf welcher Ebene man menschliche Motivation eigentlich verstehen will. Zum Beispiel kann Geld viele, sehr unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen, in einigen Fällen sogar das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Auf der anderen Seite können soziale Bedürfnisse oder Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung durch eine große Vielfalt von Wegen und auf verschiedenen Wegen zu verschiedenen Lebenszeiten erfüllt werden.
  3. Arbeitstätige sind fähig, durch organisationale Erfahrungen neue Motive zu lernen. Das heißt auch, dass das Gesamtmuster von Motiven und Zielen in einer bestimmten Karriere- oder Lebensphase ... aus einer komplexen Sequenz von Interaktionen zwischen anfänglichen Bedürfnissen und organisationalen Erfahrungen resultiert.
  4. Ein und dieselbe Person kann in verschiedenen Organisationen oder in verschiedenen Teilen der gleichen Organisation durchaus unterschiedliche Bedürfnisse aufweisen; jemand, der in der formalen Organisation entfremdet ist, mag Erfüllung seiner bzw. ihrer sozialen und Selbstverwirklichungsbedürfnisse in der Gewerkschaft oder einer informalen Arbeitsgruppe finden. Wenn die Arbeitstätigkeit eine Vielfalt von Fähigkeiten verlangt, können viele verschiedene Motive zu verschiedenen Zeiten und für verschiedene Aufgaben aktiviert werden.
  5.   ...
  6. Beschäftigte können, abhängig von ihren eigenen Motiven und Fähigkeiten und der Art der Aufgabe, auf sehr verschiedene Arten von Managementstrategien reagieren; d.h. es gibt keine Managementstrategie, die für alle Menschen und alle Zeiten als sinnvoll und erfolgreich bezeichnet werden kann."

[Schein, Edgar H.:. Organizational psychology. --  3. ed. -- Englewood Cliffs, N.J. : Prentice-Hall, ©1980.  -- (Prentice-Hall foundations of modern psychology). --  ISBN 0136413404. -- S. 93f. -- Übersetzt und zitiert in: Ulich, Eberhard <1929 - >: Arbeitspsychologie. -- 4., neu überarbeitete und erweiterte Aufl. -- Stuttgart ; Schäffer-Poeschel, 1998. -- ISBN 3971011448. -- S. 51f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


15. Teamarbeit und Gruppenarbeit



Abb.: Teamarbeit (©ArtToday)
"Heute gibt es kaum noch Stellenanzeigen, in denen nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass der neue Mitarbeiter unbedingt teamfähig sein muss. ... 

Da in Stellenanzeigen meist unerwähnt bleibt, was eigentlich unter »Team« oder »Teamgeist« oder »Teamfähigkeit« verstanden wurde, muss man davon ausgehen, dass heute jeder weiß, was damit gemeint ist. Vermutlich glauben etliche Bewerber, es soll damit lediglich gesagt werden, dass außer ihnen noch andere Personen in der Nähe ihres zukünftigen Arbeitsplatzes tätig sind und man mit diesen Leuten keinen Streit anfängt. Wahrscheinlich trifft es auch das, was die personalsuchenden Chefs selbst unter »Teamfähigkeit« verstehen: »Seid fleißig und zankt euch nicht.«

Nur eine Softwarefirma drückte sich deutlicher aus: »Die XY AG erwartet Teamgeist und Kollegialität; jeder hilft dem anderen, einen aggressionsfreien Raum der Zusammenarbeit zu gestalten.«

Bei der Formulierung von Stellenanzeigen wurde in der Regel wohl nicht sonderlich intensiv darüber nachgedacht, was nun unter »Teamfähigkeit« zu verstehen ist und wie der Bewerber diese Qualifikation nach seiner Einstellung zu leben habe. Wahrscheinlich wurde einfach ein Textbaustein in die Anzeige eingebaut, oder es wurden die Formulierungen von Anzeigen vergleichbarer Firmen abgeschrieben."

[Kellner, Hedwig: Die Teamlüge : von der Kunst, den eigenen Weg zu gehen. -- Frankfurt a. M. : Eichborn, ©1997. -- ISBN 3821805064. -- S. 9f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Hedwig Kellner stellt folgende häufigen Begriffsbestimmungen von Team zusammen:

Damit unterscheidet sich ein Team sehr wohl von der traditionellen Organisationseinheit. Es wird ein ungleich höheres Maß an Flexibilität, Selbstantrieb und Eigenverantwortung verlangt. Man geht davon aus, daß ein Team eine Gruppe von Personen ist, die sich selbst organisiert, selbst steuert und gemeinsam die Verantwortung für eine bestimmte Aufgabe trägt.

Leider müssen viele Unternehmen feststellen, daß es gar nicht so einfach ist, jeden Mitarbeiter »teamfähig« zu machen. Viele Menschen sind immer noch an Obrigkeitsdenken, an klare Anweisungen und Befehle gewöhnt. Wenn sie plötzlich erfahren, daß ihnen nicht mehr eine Führungskraft als »Aufpasser« auf die Finger schaut, dann ist es um ihre Disziplin gleich schlechter bestellt. Die angeblich so motivierende Chance zur Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit scheint befehlsgewohnte Mitarbeiter schlicht zu überfordern.

In etlichen Firmen konnte man nach Einführung der Teamarbeit beobachten, wie Mitarbeiter »Teamwork« verstanden:

So war das natürlich nicht gemeint. Einige Mitarbeiter können sich jedoch nur schwer von der traditionellen Arbeitsweise in festgefügten Abteilungen oder sonstigen Organisationseinheiten umstellen.

Die typischen Merkmale für traditionelle Organisationseinheiten [Arbeitsgruppen] sind: 

Nicht jede Führungskraft weiß allerdings zwischen »Team« und »Org.-Einheit« zu unterscheiden. Chefs nennen ihre Mitarbeiter »mein Team« und führen genau so, wie sie es von ihren Vorgesetzten gewöhnt sind. Sie verstehen unter »Teamfähigkeit« die Neigung zu Harmonie und den Verzicht auf individuelle Ziele. Fleißig sollen die Mitarbeiter sein, sich anpassen und auf keinen Fall Konflikte oder Reibungsverluste produzieren. Niemand soll sich über die anderen erheben. Alle müssen dem Durchschnitt angepasst sein."

[Kellner, Hedwig: Die Teamlüge : von der Kunst, den eigenen Weg zu gehen. -- Frankfurt a. M. : Eichborn, ©1997. -- ISBN 3821805064. -- S. 11 - 13. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Da  auch für Teams die Regeln der Gruppendynamik und Verhaltensbiologie -- z.B. mit Herausbildung eines Alphatiers -- gelten,  betont Hedwig Keller zu Recht:

"Ein Team kann somit eine Zusammenstellung von »gleichwertigen« oder »gleichberechtigten« Mitgliedern sein. »Gleichmächtigkeit« gibt es in einem Team aber niemals." [a.a.O., S. 57]


15.1. Zum Beispiel: Anrede mit Vornamen bzw. Duzen


Ein häufiges Missverständnis amerikanischer Betriebskulturen ist, dass die Tatsache, dass man selbst den obersten Chef mit dem Vornamen -- möglichst noch in der Koseform (z.B. Bob) -- anspricht, gleichbedeutend mit dem deutschen Duzen sei. Auf Deutsch darf man aber normalerweise auch einen amerikanischen Chef nicht duzen, ganz einfach weil zwischen Duzen in Deutsch und der Anrede mit Vornamen in Amerikanisch ein himmelweiter Unterschied besteht.

Allerdings wird deutschen Führungskräften manchmal im Training empfohlen, ihre Mitarbeiter zu duzen:

"Kommen wir auf das »Du« am Arbeitsplatz zurück. Das Duzen und die Anrede mit dem Vornamen fördert keineswegs den Teamgeist. Es führt statt dessen zu einer viel zu persönlichen und emotionalen Bindung, die schnell von Vorgesetzten und Kollegen ausgenutzt wird.

In einem Führungstraining für zukünftige Vorgesetzte eines boomenden Medien-Unternehmens wurde den Teilnehmern psychologisch verdeutlicht, wieviel leichter es ist, aus geduzten Mitarbeitern unbezahlte Überstunden, Einsatz auch am Wochenende etc. herauszuholen, und wieviel schwerer geduzte Mitarbeiter sich damit tun, dem Chef gegenüber Bitten um Gehaltserhöhungen oder sonstige Dinge zu äußern.

Wenn Sie sich durch die gute Zusammenarbeit mit Kollegen auch persönlich näherkommen und anfreunden, dann ist ein Du sicher in Ordnung. Aber hüten Sie sich vor betont jugendlich lockeren und fortschrittlichen Chefs. Wer mit moralischem Druck (»Wir duzen uns hier alle«) diese Gleichschaltung durchzusetzen versucht, hat seine Gründe!

Vergessen Sie nicht: Ein Arbeitsvertrag dokumentiert eine geschäftliche Beziehung. Sie verkaufen gegen Geld Ihre Zeit, Ihr Können und Ihre Kraft. Mit der Unterschrift darf nicht automatisch eine »Zwangsfreundschaft« eingeleitet werden. Das geht immer unter dem Deckmäntelchen von außerordentlichem Teamgeist zu Ihren Ungunsten aus."

[Kellner, Hedwig: Die Teamlüge : von der Kunst, den eigenen Weg zu gehen. -- Frankfurt a. M. : Eichborn, ©1997. -- ISBN 3821805064. -- S. 18. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


15.2. Zum Beispiel: Beförderung zum Arbeitsgruppenleiter und Kollegenneid


"Es geschieht jeden Tag in irgendeinem Unternehmen: Der Leiter einer Arbeitsgruppe verlässt den Betrieb oder wird befördert. Daraufhin suchen die Personalverantwortlichen aus seinen ehemaligen Teammitgliedern einen Nachfolger aus. Auf diese Weise hofft das Management, die Gruppe möglichst schnell wieder zu ihrem Alltagsgeschäft zurückzuführen. Doch diese Hoffnung kann in der Realität schnell enttäuscht werden.

Der 28-jährige IT-Fachmann war als Letzter in die sechsköpfige Abteilung der EDV-Firma gekommen. Entsprechend groß war die Verwunderung seiner Kollegen, als er plötzlich und ohne «Vorwarnung» zum Vorgesetzten der Gruppe befördert wurde. Nach nur vier Monaten der Zusammenarbeit mit den anderen Datenspezialisten übertrug der Bereichsleiter der Sektion dem Neuen die Leitung für das gesamte Team. Dabei wurden gleich zwei andere Mitarbeiter in der Senioritätsliste übersprungen, die, zumindest auf dem Papier, die gleiche Qualifikation aufwiesen wie er. Einer der übergangenen Kollegen wollte sich diese Entscheidung nicht gefallen lassen und meldete in der Gruppe seinen Einspruch an.

Bestens bekannt ist das Problem des Kollegenneids dem Führungskräftetrainer Helmut Hofbauer, der sich in seiner Arbeit auf die speziellen Probleme frisch ernannter Führungskräfte spezialisiert hat: «In vielen Fällen einer Stellenneubesetzung gibt es mindestens einen Mitarbeiter, der sich für besser geeignet hält als der Auserwählte.» So gesehen wäre es günstig, die Personalverantwortlichen könnten die Stellenbesetzung zusammen mit dem Team von langer Hand vorbereiten. Dann wären die Gründe für die Personalwahl schon im Vorfeld für alle Beteiligten transparent, und die Gruppe hätte Gelegenheit, sich offen damit auseinanderzusetzen. Nach Hofbauers Erfahrung sind die Verantwortlichen in den Betrieben aber in der Regel derart überlastet, dass sie einer möglicherweise zeitaufwendigen Auseinandersetzung mit einem Team lieber ausweichen. Auch scheuen sich Führungskräfte davor, bei der Begründung ihrer Entscheidung die nicht berücksichtigten Anwärter mit ihren Schwächen konfrontieren zu müssen. Dennoch erweist sich nach Hofbauers Erfahrung der Verzicht auf Transparenz und Offenheit meist schnell als die schlechtere Wahl. Das vermeintlich Effiziente und Zeitsparende legt nämlich häufig die Basis für einen lange schwelenden, kreative Kräfte bindenden Streit im Team -- über den Sinn und die «Rechtmäßigkeit» der Personalie.

Der deutsche Unternehmerberater Kotschenreuther berichtet aus seiner Beratungspraxis den Fall, dass in der Fertigungswerkstatt eines Automobilzulieferers ein Mitarbeiter überraschend die Teamleitung übertragen bekam, während ein anderer im Unternehmen sich schon lange berechtigte Hoffnung auf den Posten gemacht hatte. Da die beiden auch nach der Personalentscheidung miteinander arbeiten mussten und nun häufig aneinander gerieten, kam es zu einem Dauerkonflikt, der sich in ständigen Reibereien niederschlug. Immer wieder mussten Aussprachen angesetzt werden, die mitunter das ganze Team lahmlegten. Trotz zahlreichen Vermittlungsversuchen ihres Vorgesetzten erwies sich der Konflikt als nicht lösbar: Der unzufriedene Mitarbeiter fühlte sich weiterhin zu Unrecht zurückgesetzt und verließ wenige Monate später auf eigenen Wunsch hin das Unternehmen.

Damit es nicht zu solch kostspieligen Auseinandersetzungen kommt, rät Hofbauer der neuen Führungskraft, möglichst schnell das Einzelgespräch mit den Betroffenen zu suchen. In einem solchen Vier-Augen-Gespräch muss zusammen mit dem «Verlierer» der Personalentscheidung eine neue Perspektive für seinen Karriereweg erarbeitet werden. Signalisiert die neue Führungskraft auf diese Weise ihre Unterstützung, um dem Übergangenen zukünftig Erfahrungen und Qualifikationen zugänglich zu machen, was dessen Karriere vorwärts bringt, kann es gelingen, den Mitarbeiter schnell wieder in der Gruppe einzubinden. Wird dies allerdings versäumt, ist es nach Hofbauers Erfahrung wahrscheinlich, dass der übergangene Mitarbeiter aktiv gegen die neue Führungskraft arbeitet oder, wenn er nicht zur Konfrontation neigt, in der äußeren oder inneren Kündigung Zuflucht sucht.

Doch auch wenn sich eine neue Führungskraft aus den eigenen Reihen gefunden hat und die Gruppenmitglieder diese akzeptieren, sind damit nicht alle Probleme gelöst. War der Chefnachfolger vorher Gleicher unter Gleichen, der mit seinen Kollegen in einem Boot saß, so muss er nun explizit Unternehmensinteressen vertreten. An die Stelle kollegialer Verbundenheit tritt damit professionelle Distanz. Denn aus der neuen Position heraus muss der ehemalige Kollege Kritik äußern, Leistung fordern und Arbeit bewerten.

So fühlten sich die Mitarbeiter einer Arbeitsgruppe in der Dienstleistungsbranche untereinander sehr wohl. Man schätzte die freundlichen Kollegen und die gute Stimmung im Team. Als aber einer der Ihren zur Führungskraft bestellt wurde, wurde ihm schnell klar, dass die Ergebnisse in der Gruppe nicht so waren, wie sie sein sollten: Um der Harmonie willen scheuten die Teammitglieder die sachliche Auseinandersetzung und hatten das eigentliche Ziel, die Leistung, aus den Augen verloren. Während der neue Chef dies vorher als Teammitglied übersehen konnte, musste er nun die Problematik in der Gruppe ansprechen und gemeinsam nach einer Lösung suchen.

Probleme im Team anzusprechen, kann für eine neue Führungskraft besonders dann schwierig sein, wenn eine persönliche Freundschaft zu einem Teammitglied besteht. Helmut Hofbauer berichtet von dem Fall in einem Elektronikunternehmen, in dem ein Mitarbeiter schlechte Arbeit leistete. Während der frisch ernannte Vorgesetzte früher als Freund darüber hinwegsehen konnte, musste er nun als Chef mehr Qualität und Sorgfalt fordern. Im vorliegenden Fall bestand der Ausweg darin, dem Mitarbeiter und Freund Verständnis für seine Situation zu signalisieren, weil dieser, wie der Chef wusste, im Privatleben unter starker Belastung stand. Andererseits verpflichtete sich der neue Leiter aber auch, zusammen mit dem Freund und Teamkollegen kontinuierlich an dessen Schwächen zu arbeiten, soweit sie die Qualität seiner Arbeit beeinflussten.

Doch die neue Führungskraft muss sich nicht nur nach innen, in der Arbeit mit dem Team, behaupten, sondern auch nach außen. Häufig muss der Neuling einen hohen Erwartungsdruck seitens seines Vorgesetzten aushalten: Er soll das Team besser führen als sein Vorgänger. «Aber zu gute Arbeit abliefern, soll er auch nicht», so Hofbauer -- damit der Neue nicht etwa seiner eigenen Führungskraft zur Konkurrenz wird. Dies ist eine schwierige Situation, in der ein Neuling nur schwer gewinnen kann.

In Anbetracht der zahlreichen Schwierigkeiten und Fallstricke, die mit einem Aufstieg aus dem Kreis der Kollegen zum Teamleiter verbunden sind, ist es wenig überraschend, dass Unternehmensberater Kotschenreuther neben der Gruppe karrierewilliger Aufsteiger, die schnell in eine vakante Führungsposition drängen, inzwischen eine andere Spezies ausgemacht hat: «Kollegen, die froh sind, dass andere sich bereit finden, den frei gewordenen Posten zu übernehmen.» Viele Mitarbeiter, so Kotschenreuthers Erfahrung, verstecken sich lieber hinter einem versierten Macher, als es mit den zahlreichen Problemen aufzunehmen, die mit der Position der neuen Führungskraft untrennbar verbunden sind."

[Hübner, Thomas: Wenn das Team den Kopf verliert : die Ernennung ist das eine, als neuer Chef akzeptiert zu werden das andere. -- In: Neue Zürcher Zeitung. -- Internationale Ausgabe. -- © 2001.01.10. -- S. 37. -- Online: http://www.nzz.ch/2001/01/10/ma/page-article6WMC8.html. -- Zugriff am 2001.01.10]


16. Turbokapitalismus



Abb.: Turbokapitalismus (©ArtToday)

"Nicht Sozialpflichtigkeit, sondern schlichte Gewinnmaximierung und Kapitalvermehrung gelten vielfach als der beste Weg in der Unternehmenspolitik."

"Entlassungen gelten als Erfolgsausweis eines Betriebes."

Bundespräsident Roman Herzog (geb. 1934; deutscher Bundespräsident 1994 - 1999) am 12.12.1996 bei der Jahrestagung der Arbeitgeberverbände als Kritik an moderner Betriebskulturen.

"Der Begriff vom »Turbokapitalismus« macht die Runde. Er wurde 1995 von dem amerikanischen Ökonomen Edward Luttwak geprägt 

[Luttwak, Edward: Turbo-Kapitalismus : Gewinner und Verlierer der Globalisierung. - Hamburg ; Wien : Europa-Verlag., 1999. - 448 S.  -- ISBN 3203795493. -- Originaltitel: Turbo capitalism. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

und bezeichnet eine Situation, in der die wirtschaftliche Ertragslage von Unternehmen allen anderen Funktionen übergeordnet wird. Gerade in Großkonzernen sind die Auswirkungen scheinbar paradox. Selbst wenn die Gewinne insgesamt steigen, werden unrentable Unternehmensbereiche identifiziert, analysiert und dann dichtgemacht. Die Lage des gesamten Unternehmens wird in alle Winkel durchleuchtet, und in vielen Fällen wird mit solchen Firmen oder Firmenteilen kurzer Prozess gemacht, die als weniger wirtschaftlich gelten. In der Folge kommt es zu Entlassungen, selbst wenn die Firma schwarze Zahlen schreibt. Das mag paradox sein, doch es wird als wirtschaftlich logisch betrachtet. Es geht um Kostensenkung um jeden Preis. Das zeichnet den wilden Kapitalismus aus: Die sozialen Funktionen des Arbeitslebens werden vom Management dem ökonomischen Profit des Unternehmens untergeordnet. Als Selbstzweck haben sie keine längerfristige Bestandsberechtigung.

Die Fixierung auf den Profit und die Vernachlässigung sozialer Funktionen einer Firma widersprechen vielem, was in den vergangenen Jahrzehnten von Wirtschaftsführern über ethische Grundlagen des Wirtschaftens philosophiert wurde:

»Der kommerzielle Erfolg ist für uns wichtig, weil er für uns lebensnotwendig ist, aber er ist nicht das einzige und er bedeutet uns nicht alles. Denn in unserer Marktwirtschaft können Wirtschaftsunternehmen letztlich nur als sozial verantwortliche Institutionen verstanden werden, deren Handeln im sozial verträglichen Kontext zu beurteilen ist.«

... Wenn man das Handeln bundesdeutscher Unternehmen im sozial verträglichen Kontext beurteilt, dann muss man immer dort von einer Ethiklüge sprechen, wo mit wohlklingenden Worten der eigentliche Zweck der Unternehmen übertüncht werden soll."

[Staute, Jörg <1964 - >: Das Ende der Unternehmenskultur : Firmenalltag im Turbokapitalismus. --  Frankfurt a. M. [u.a.] : Campus, ©1997. -- ISBN 3593357909. -- S. 20f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


17. Faktoren, die zur Zeit zur Änderung der Betriebskulturen führen


"Was sich an der Basis großer Unternehmen tut, ist nur noch mit großen Worten zu beschreiben. So meint der Aufsichtsratsvorsitzende bei VW, Klaus Liesen: 

»Der Trend zu flachen Hierarchien und zur Verlagerung von Entscheidungskompetenzen an die Front sowie die Bildung von Teams, die sich selbst organisieren, stellen schon eine Art industrieller Revolution dar.«

 Es vollzieht sich also eine Revolution, und die wirkt, so will es der militaristische Sprachgebrauch, bis an die Front. Das einzige Problem ist der Mensch. Managementtrends hören sich toll an und vermitteln betriebswirtschaftliche Heilsbotschaften. Nur die Belegschaft ist nicht immer so, wie es sich die Managementgurus vorstellen. Also muss das Personal verändert werden: »Den Menschen reengineeren - geht das denn?« Forsch werden Ideen vorgestellt, mit denen man Spaß am Wandel vermitteln könne. Doch in Wirklichkeit ist alles anders. Die Belegschaft ist nur bedingt eine Knetmasse, die sich nach den Vorstellungen von Wirtschaftstheoretikern modellieren lässt."

Staute, Jörg <1964 - >: Das Ende der Unternehmenskultur : Firmenalltag im Turbokapitalismus. --  Frankfurt a. M. [u.a.] : Campus, ©1997. -- ISBN 3593357909. -- S. 87. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Folgende Faktoren führen gegenwärtig zu einem grundlegenden Wandel der Betriebskulturen:

[Teilweise in Anlehnung an: Staute, Jörg <1964 - >: Das Ende der Unternehmenskultur : Firmenalltag im Turbokapitalismus. --  Frankfurt a. M. [u.a.] : Campus, ©1997. -- ISBN 3593357909. -- S. 58 - 84. --{Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


18. Virtuelle Unternehmen


"Stephan Jansen: Ist denn adidas wirklich ein virtuelles Unternehmen? Könnten Sie einige typische Virtualisierungsstrategien beschreiben?

Robert Louis-Dreyfus [geb. 1946, seit 1993 Vorstandsvorsitzender der Adidas AG, seit 1998 Adidas-Salomon AG. -- Webpräsenz: http://212.114.93.196/. -- Zugriff am 2001-01-09]  Ein Ideal der Virtuellen Unternehmung haben wir verwirklicht. Wir haben keine eigenen Fabriken. Unsere Designer arbeiten auf Basis einer Trendinformation mit CAD [Computer-aided design]-Systemen. Diese Information kommt von einem Scout, der irgendwo in einer amerikanischen Großstadt im Ghetto sitzt und beobachtet, was die Kids da anziehen. Dann machen wir hier Entwürfe und verfeinern das. Wir beauftragen einen Hersteller, und das Produkt kann in den Markt.

Stephan Jansen: Was hat adidas dann konkret mehr zu bieten als eine Marketingagentur?

Robert Louis-Dreyfus: Wir haben einen High-Performance-Anspruch in bezug auf Athleten. Natürlich wissen wir, dass 85% unserer Produkte nicht entscheidend für ihren Erfolg sind. Aber wir wollen eben auch Produkte haben, die für Athleten wirklich gut und wichtig sind, und so haben wir die Marke adidas entsprechend positioniert. Wir haben spezielle Laufschuhe für die Olympiade in Sydney entwickelt, die eindeutige Vorteile für die Athleten bringen. Und wir haben eine Menge Leute beschäftigt, die sich allein darüber Gedanken machen, was den Athleten nützen könnte. Und das ist dann wie in der Formel-1. Diese Fortschritte finden später ihren Weg in die Serienproduktion. Also: Wir haben echte Produktexpertise. Wir arbeiten mit neuen Materialien, wir suchen neue Anwendungen. Das unterscheidet uns von einer Marketingagentur."

[Littmann, Peter <1947 - > ; Jansen, Stephan A. <1971 - >: Oszillodox : Virtualisierung -- die permanente Neuerfindung der Organisation. -- Stuttgart : Klett-Cotta, ©2000. -- ISBN 3608942076. -- S. 192f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- Webpräsenz: http://www.oszillodox.com/. -- Zugriff am 2001-01-09]

Ein virtuelles Unternehmen ist der projektbezogene Zusammenschluss von rechtlich selbstständigen Einheiten (Subunternehmen, Selbständige). 

Bei Großprojekten (z.B. Kraftwerkbau, Anlagenbau, Tunnelbau) sind virtuelle Unternehmen notwendigerweise schon längst eine Selbstverständlichkeit. Sie heißen dann Konsortium, Arbeitsgemeinschaft (Arge) u.ä. Das folgende Organigramm zeigt die Grobstruktur der Projektorganisation beim Bau des Vereinatunnels der Rhätischen Bahn [s. http://www.rhb.ch/Autoverlad/Vereina/medien.html. -- Zugriff am 20001-01-04], wo unter Projektleitung der Elektrowatt Engineering [Webpräsenz: http://www.ewe.ch/. -- Zugriff am 2001-01-04] über 40 Unternehmungen (die teilweise wieder Arbeitgemeinschaften waren) als virtuelles Unternehmen zusammenarbeiteten.


Abb.: Generelles Organigramm der Projektorganisation Vereina

[Quelle der Abb.: [Schmid, Walter:] Vereina. -- 2. Aufl. -- Chur : Desertina, ©2000. -- ISBN 3-85637-251-2. -- S. 130] 

Seit ca. 1991 sucht man dieses Konzept unter dem Begriff Virtuelle Unternehmen über den Bereich der Großprojekte hinaus als Unternehmensbild der Zukunft auszuweiten. 

Befürworter schwärmen:

"Ein virtuelles Unternehmen ist von einem außen stehenden Beobachter fast nicht zu erkennen. Er sieht ein fast konturloses Gebilde mit durchlässigen und ständig wechselnden Trennlinien. Auch von innen ist das Bild formlos: Herkömmliche Arbeitsgruppen, Abteilungen und Unternehmensbereiche reformieren sich ständig nach Bedarf, Aufgaben und Einflussbereiche verschieben sich permanent. Selbst der Begriff des Mitarbeiters gewinnt eine neue Facette, weil einige Kunden und Lieferanten mehr Zeit im Unternehmen verbringen als manche Betriebsangehörige.

Die wichtigste Perspektive, ein virtuelles Unternehmen zu betrachten, ist das Informations- und Beziehungsgefüge. Jeder Hersteller, der seinen Kunden ein virtuelles Produkt anbieten will, muss integrierte und aktuelle Datenbanken über Kunden, Fabrikate und Fertigungs- und Konstruktionsverfahren unterhalten."

Als wichtigste "Antriebskräfte des Wandels" zum virtuellen Unternehmen werden folgende Konzepte genannt:

[Das große Handbuch der Strategiekonzepte : Ideen, die die Businesswelt verändert haben / Hermann Simon (Hrsg.). -- 2. Aufl. --  Frankfurt a. M. [u.a.] : Campus, ©2000. -- ISBN 3593364107. -- S. 145f., 152 ff. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Der Personalpool für virtuelle Unternehmen ist geteilt:

  1. Kernbelegschaft: fest beschäftigt, da wesentlich für Kernkompetenz des Unternehmens
  2. Hochspezialisierte freiberufliche Projektmitarbeiter auf Zeit
  3. Neue Selbständige und "Scheinselbständige" im Bereich Dienstleistungen und Information
  4. austauschbare, flexible Erwerbstätige auf Zeit für Routinearbeiten
  5. "Ersatzheer" der Arbeitslosen

Die neue Betriebskultur eines virtuellen Unternehmens malt ein Video über das Arbeitsleben bei Siemens im Jahre 2005 so:

"Palmen, rauschendes Meer, tropische Temperaturen und eine verzaubernde Landschaft. Schnitt. Die Kamera schwenkt auf den bereits etwas gelangweilt dreinschauenden Siemens Manager, nennen wir ihn Max Schnell, in einem Sonnenstuhl eines schön gelegenen Hotels. Schnitt. Die Kamera geht auf seine Tasche und verfolgt den Griff zum Multikommunikator, den Schnell zum Einwählen in das Firmennetz benötigt. Er holt seine Videobrille heraus und schaut sich darin einige aktuelle Projektausschreibungen an, denn zwei Wochen Entspannung sollen jetzt wieder spannenden neuen Herausforderungen weichen. Ein bestimmtes Projekt reizt ihn und er bewirbt sich online für die Projektleitung. Schnitt. Nach einigen Telefonaten und E-Mails ist die Entscheidung zu seinen Gunsten gefallen. Schnitt. Er sichtet die Skills-Datenbanken, die alle Profile, Projekterfahrungen, Kompetenzen und Verfügbarkeiten von Kooperationspartnern speichern. Nach einer Auswahl und Vorgesprächen mit den Beteiligten wird ein Virtuelles Team gebildet. Schnitt. Schnell lehnt sich zurück und genießt den letzten Ausblick auf das Meer, bevor er in den Flieger steigt. Wohin eigentlich? Zum Kunden? Gibt es Siemens eigentlich noch?

Das ist zugegebenermaßen eine virtuelle Vorstellung des Arbeitslebens bei Siemens Anno 2005: nämlich ein Video, das in den letzten Jahren wiederholt auf den einschlägigen Kongressen und Foren gezeigt wurde und für viel Schmunzeln sorgte."

[Littmann, Peter <1947 - > ; Jansen, Stephan A. <1971 - >: Oszillodox : Virtualisierung -- die permanente Neuerfindung der Organisation. -- Stuttgart : Klett-Cotta, ©2000. -- ISBN 3608942076. -- S. 213. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- Webpräsenz: http://www.oszillodox.com/. -- Zugriff am 2001-01-09]

Die Auswirkungen von virtuellen Unternehmen auf die Betriebskultur sind vor allem unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dass es keine gegenseitige Bindung von Betrieb und Beschäftigten gibt und dass -- zumindest unter dem Leitbild des Turbokapitalismus -- ein ständiger gnadenloser Konkurrenzdruck herrscht (Hire and fire). Auch führt die oft anzutreffende Selbstausbeutung der Zusammenarbeitenden schnell zu sozialen und gesundheitlichen Problemen. Das unterscheidet virtuelle Unternehmen von traditionellen projektbezogenen Zusammenschlüssen von Selbständigen (z.B. Handwerkern): diese hatten feste kulturelle Normen des Umgangs miteinander und der Bindung zueinander. Virtuelle Unternehmen müssen eine solche Interbetriebskultur noch entwickeln.


19. Telezusammenarbeit



Abb.: Telekonferenz (©ArtToday)

Obwohl Heimarbeit ein altes Unternehmenskonzept ist, erfordert Telezusammenarbeit wegen der neuen Möglichkeiten der Kommunikation die Entwicklung neuer Betriebskulturen.

Peter Gschaider (geb. 1969) nennt folgende Organisationsformen der Telearbeit:

"Telearbeit erfolgt in verschiedenen Organisationsformen. Zwischen den verschiedenen Organisationsformen können sich aber auch Mischformen oder Überschneidungen finden.

[Gschaider, Peter <1969 - >: Organisationsformen der Telearbeit. -- URL: http://www.its.at/idv/TELEARB/NOFRAME/23NF.HTM. -- Zugriff am 2001-01-09]

Weiterführende Ressourvcen:

Telearbeit-Informationscenter / Peter Gschaider. -- URL: http://www.its.at/idv/TELEARB/NOFRAME/1_0TEXNF.HTM. -- [Sehr inhaltsreich!]. -- Zugriff am 2001-01-09

Webportale:


19.1. Zum Beispiel: Telesiedlung Bruck an der Leitha, Österreich



Abb.: Lage von Bruck an der Leitha (©MS-Encarta)

"Das Projekt Bruck an der Leitung in Bruck an der Leitha war ursprünglich so gedacht, dass in einer Siedlung neu zu errichtender Wohnungen und Einfamilienhäuser bei der Planung und Ausstattung bereits auf die Bedürfnisse zukünftiger Telearbeiter und Verwender von Telekommunikationseinrichtung Rücksicht genommen werden sollte. So wurden bei der Errichtung der Bauten bereits die Telekommunikationseinrichtungen (z.B. Kabel) installiert und baulichen Erfordernissen von Telearbeitern entsprochen. Weiters war in dieser Telesiedlung ein Telearbeitszentrum geplant. Arbeits- und Wohnort sollten also in unmittelbarer Nähe zueinander gelegen sein. Mittlerweilen wurde von der Idee des Telezentrums in der Siedlung Abstand genommen. Im Zuge der Stadterneuerung des Stadtzentrum Bruck an der Leitha ist nunmehr das Telezentrum in Stadtkern geplant, an das auch die Telesiedlung angebunden werden soll. Derzeit läuft ein Bauträgerwettbewerb für den Umbau des entsprechenden Gebäudes. Weiters wird versucht, für das Telearbeitszentrum einen Betreiber zu finden, der in der Lage ist, es wirtschaftlich unabhängig zu führen."

[Quelle: http://www.its.at/idv/TELEARB/NOFRAME/5_0TEXNF.HTM. -- Zugriff am 2001-01-09]


19.2. Zum Beispiel: Integrata AG, Tübingen


"Die Integrata AG  [Webpräsenz: http://www.integrata.de/. -- Zugriff am 2001-01-09] ist ein mittelständisches Unternehmen im Bereich Weiterbildung, Beratung und Softwareentwicklung, das insgesamt 650 Personen beschäftigt. Gegründet 1963 besitzt sie mittlerweile überall in Deutschland Weiterbildungs- und Beratungszentren ebenso wie Tochtergesellschaften in der Schweiz und in Österreich. Seit 1989 besteht die Integrata AG erfolgreich in Form einer "Mitarbeitergesellschaft", d.h. ein Basiskapitel von 6 Mio. DM ist im Besitz von rund 200 Mitarbeitern.

Integrata zählt zu den Pionieren der Telearbeit in Deutschland, das Firmenkonzept ist vor allem gekennzeichnet durch einen hohen Grad an strategischer Dezentralisation. Die ersten Pilotprojekte zu Telearbeit wurden in den Jahren 1983/84 mit einigen Telearbeitsplätzen in Münster und Tübingen begonnen. Obwohl diese Projekte eine relativ kurze Laufzeit besaßen, war das Unternehmen bereits Mitte der achtziger Jahre in der Lage, fast allen Mitarbeitern die Möglichkeit zu Telearbeit anzubieten. Seitdem haben ca. 200 der 650 Beschäftigten eine Form von Telearbeit praktiziert.

Die Initiative gründete sich zunächst vornehmlich auf erwartete deutliche Auswirkungen hinsichtlich Produktivität, Flexibilisierung und Qualität ebenso wie ökonomische Effektivität. Dennoch war das entscheidende Argument für Integrata in dieser Zeit die Erhöhung ihrer regionalen Präsenz. Man erwartete, mit derartigen Projekten Kunden und Regionen erreichen und ansprechen zu können, die in der Vergangenheit allein aufgrund fehlender physikalischer Präsenz vernachlässigt worden waren. Die zu Hause arbeitenden Telearbeitnehmer sollten eine gewisse Form von Zweigstelle der Firma darstellen.

Auf der anderen Seite sollte Telearbeit neuartige individuellen Bedürfnissen von (weiblichen) Arbeitnehmern entgegenkommen. Das Unternehmen bot diese Möglichkeit vor allem qualifizierten Arbeitskräften, die andernfalls wahrscheinlich früher oder später die Firma verlassen hätten.

Heute liegt der Vorteil von Telearbeit für die Firma kaum noch in der Schaffung von regionalen Netzwerken gesehen, da sie in den letzten Jahren enorm expandiert ist und mehrere neue Filialen eröffnet hat. Zudem hat Integrata eine Reihe von anderen Softwarefirmen - frühere Geschäftspartner - übernommen.

Weitere früher formulierte Gründe für eine Einführung von Telearbeit aber sind unverändert gültig. Für die Firmenleitung sind dies vor allem ein Gewinn an Flexibilität, Produktivität und Effizienz. Die Implementation von Telearbeit korrespondiert sehr stark mit der Firmenpolitik der hochgradigen strategischen Dezentralisierung. ...

Bei Integrata ist Telearbeit eine Angelegenheit der freien Wahl. Angestellte und Vorgesetzte entscheiden die Durchführbarkeit von Telearbeit im jeweiligen Einzelfall. Prinzipiell erhält jeder Angestellte die Möglichkeit, auf Wunsch zu Hause zu arbeiten. Andererseits aber wird kein Arbeitnehmer gezwungen, Telearbeit zu leisten, wenn etwa kein angemessener Arbeitsraum vorhanden ist oder andere Gründe dagegen sprechen. Gleichwohl bestehen einige grundlegende Voraussetzungen: neue Mitarbeiter sind innerhalb der ersten sechs Monate ihrer Tätigkeit von Telearbeitsformen ausgeschlossen. Darüber hinaus gibt es einige spezifische Arbeitnehmergruppen (die in der Verwaltung beschäftigt sind beispielsweise, siehe unten), welchen Telearbeit ebenfalls nicht gestattet ist. Schließlich spielt auch die Kundenmeinung eine nicht zu unterschätzende Rolle: akzeptiert dieser das Modell der Telearbeit nicht und schreibt einen bestimmten Arbeitsort vor, sind die Möglichkeiten der Telearbeit für dieses Projekt hinfällig.

Ein anderes Prinzip bezüglich der "Philosophie" von Telearbeit bei Integrata definiert Telearbeit als "zusätzliche Gestaltungsoption", dies bedeutet konkret: einerseits wenige Vorgaben hinsichtlich des Organisationsrahmens, eine flexible und selbständige Planung des Arbeitsplatzes und -zeitraums durch den Mitarbeiter, andererseits der Verzicht auf einen festen Arbeitsplatz. Dieses Modell impliziert jedoch auch Konsequenzen auf materieller Ebene: keine Finanzierung des häuslichen Arbeitsplatzes, da die entsprechenden Räumlichkeiten ja schon innerhalb des Betriebes für die Mitarbeiter bereitgestellt werden  ...

Organisatorische Aspekte

Die eingeführte Form der Telearbeit lässt sich am treffendsten als 'alternierende Telearbeit' bezeichnen, bei der ein Teil der Arbeitszeit zu Hause und ein Teil innerhalb der Firmenräume erbracht wird.

Die Telearbeiter leisten eine durchschnittliche Arbeitszeit von etwa 8,5 Stunden pro Woche zu Hause - wobei einige Angestellte durchaus auch auf bis zu 30 oder 40 Stunden kommen können. Projekttreffen, Zusammenarbeit etc. erfordern mindestens einen "jour fix" im Zentralbüro. Um die betriebsinterne Kommunikation zu erleichtern, werden die Angestellten aufgefordert, generell freitags im Büro anwesend zu sein. Erfordert das jeweilige Projekt eine stärkere Präsens (oder an anderen Tagen), so ist es den Arbeitsgruppen erlaubt, angemessene eigene Regulationen zu finden.

Mitglieder von Projektteams müssen nicht unbedingt auch am selben Ort arbeiten. Ein Projektmanager übernimmt die Koordination der einzelnen Teilnehmer, mit Hilfe von eines zu Beginn aufgestellten Projektplanes wird der genaue zeitliche und inhaltliche Verlauf festgelegt. Alle Beteiligten erhalten wöchentliche Berichte und für diejenigen Personen, die mit einer aktuellen Aufgabe betraut sind, finden wöchentlich Treffen zur weiteren Absprache bzw. zum Austausch innerhalb der Firma statt.

Die Implementation von Telearbeit beinhaltete keine Veränderungen in der bestehenden Verteilung von Arbeit bei Integrata. Telearbeit wurde in allen drei Bereichen der Firmenaktivitäten praktiziert:

In der Verwaltung beschäftigte Personen praktizieren insgesamt deutlich seltener Telearbeit (13%), vor allem da dieser Bereich ausgesprochen eng mit der Infrastruktur des Betriebes verknüpft ist, so dass es für die Firma unmöglich erscheint, derartige Aufgaben an häusliche Arbeitsplätze zu verlagern. Die Datensicherheit und die notwendige Präsenz der Mitarbeiter stellen weitere entscheidende Gründe für die Ausschließung dieses Arbeitsfeldes für Telearbeit dar. Zudem ergeben sich hier auch potentielle Konflikte mit betrieblichen Anforderungen der Datensicherheit.

Insbesondere das geschäftsführende Personal jedoch profitiert zweifellos von der Möglichkeit flexibler Arbeitsformen. (54%). In der Geschäftsführung beschäftigte Angestellte und auch die Verkaufsabteilungen sind sehr stark in dieses Projekt involviert (33%). Je höher die Position innerhalb der Firma ist, desto höher ist auch der Anteil dezentralisierter Arbeitsleistung. Gleichzeitig jedoch ist auch die Präsenz im Zentralbüro gerade bei dieser Gruppe sehr hoch, was aber nicht ausschließlich in der tatsächlich hohen Arbeitsmenge begründet liegt: Vielmehr ist ihre Präsenz erwiesenermaßen für das Betriebsklima und die Demonstration der Führungsqualität höchst relevant. ...

Es existieren Standard- oder Durchschnittszeitwerte, welche die Effizienz einer bestimmten Tätigkeit bezeichnen, und darüber hinaus das jeweilige Feedback des Kundens, der für die Qualität der Arbeitsleistung bezahlt. Arbeitszeitkontrolle kann sich aber trotzdem nicht nur auf allgemeine Indizes der einzelnen Arbeitselemente beschränken: Mit Hilfe eines elektronischen Arbeitstagebuches lassen sich die Zeitbudgets der verschiedenen Aktivitäten miteinbeziehen und kontrollieren. Ein solches Tagebuch muss vom direkten Vorgesetzten des Mitarbeiters überprüft und gegengezeichnet werden. Zudem muss das Büro darüber in Kenntnis gesetzt werden, wann und wie der Mitarbeiter während der Kernarbeitszeit zwischen 9 Uhr und 15.30 Uhr erreicht werden kann.

Auf der geschäftsführenden Ebene sollten jährliche Treffen zwischen den Führungsverantwortlichen und den Angestellten die Basis für Arbeitsplanung und Weiterbildungsmaßnahmen sowie Gehaltsvereinbarungen und nicht zuletzt auch Übereinkommen bezüglich Telearbeitsformen sicherstellen und klären. Die Ergebnisse dieser Treffen werden in einer schriftlichen Dokumentation festgehalten. Außerdem dienen die Treffen der Auswertung der Bewältigung von Zielsetzungen. 

Psychologische Aspekte

Telearbeit stößt auf eine hohen Grad an Akzeptanz bei den Angestellten. Das lässt sich aus internen Befragungen schließen, die in den Jahren 1988, 1991 und 1994 durchgeführt worden waren. Die Arbeitnehmer betonten hierbei insbesondere die Tatsache, dass sie während der Arbeit am häuslichen Arbeitsplatz weitaus weniger gestört oder unterbrochen würden. Auch eine Reduzierung der Fahrzeiten ist als wichtiges Kriterium zu nennen sowie eine Bevorzugung der Telearbeit wurde als flexiblere Form der Arbeitszeitgestaltung. Insgesamt schätzten sich Telemitarbeiter als effizienter und produktiver als an betrieblichen Arbeitsplätzen ein. Das Argument einer besseren Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben hingegen war weniger relevant als angenommen.

Telearbeit als solche erweist sich als kein frauenspezifisches Arbeitsfeld, der Anteil telearbeitender Frauen beträgt lediglich etwa 25%. Es muss jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass ein Großteil der weiblichen Mitarbeiter klassische Büroarbeiten verrichtet, die oftmals von der Möglichkeit der Telearbeit explizit ausgeschlossen sind (s.o.).

Als problematisch wurde vor allem die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben genannt, daher sollten neue Mechanismen anstelle einer räumlichen Abtrennung eingesetzt werden. Auf der anderen Seite brachten die Angestellten zum Ausdruck, dass die Kinder bei Tele(heim)arbeit einen guten Einblick in die Tätigkeit ihrer Eltern und damit ein besseres Verständnis erhalten. Dennoch ist insbesondere die Isolation von den Bürokollegen ein wesentlicher Faktor für die Telearbeitnehmer, so dass in einigen Fällen um die Rückkehr in den Betrieb gebeten wurde.

Weitere Gründe hierfür waren: fehlende bzw. mangelhafte Informationen oder Unterlagen, fehlende Unterstützung durch eine Sekretärin, Probleme der telefonischen Erreichbarkeit für die Kunden, Raumprobleme. In einigen Fällen nannten die Mitarbeiter auch mangelndes Vertrauen des Vorgesetzten.

Zudem wurde die Frage gestellt, ob die Angestellten sich hinsichtlich ihres beruflichen Fortkommens durch die Telearbeit benachteiligt fühlen. Im allgemeinen wurde dies aber nicht befürchtet, insbesondere für Computerspezialisten mit hochgradigem Fachwissen erschien dieser Aspekt nicht relevant. ...

Resume: Regulationsbedürfnisse

Bei Integrata hat man bereits sehr früh versucht, Rahmenbedingungen für Telearbeit mittels interner Regelgebung zu erarbeiten. Diese jedoch sind vom Betriebsrat nicht akzeptiert worden, da dieser die Ansicht vertrat, eine "Philosophie" wie Telearbeit könne nicht von oben herab - von der Firmenleitung - eingeführt werden. Die Finanzierung war ein weiterer Punkt der Auseinandersetzung: während sich die Firma für ein Modell der "Amortisation der Kosten" aussprach, stimmte der Betriebsrat dagegen. Die Bereitstellung eines Teils der technischen Ausrüstung (Notebooks) ist nun als Zugeständnis der Geschäftsleitung zu verstehen, so dass diese Frage nicht mehr relevant zu sein scheint.

Trotzdem ist bislang noch kein gesetzlicher Rahmen geschaffen worden. Die regulatorischen Bedürfnisse werden im Gegenteil vom Management als nicht dringlich eingestuft, da die praktischen Erfahrungen durchweg positiv sind. Folglich wird Telearbeit unverändert individuell reguliert. Vereinbarungen zwischen dem einzelnen Mitarbeiter und seinem Vorgesetzten werden in Form von (Gesprächs-)Notizen niedergeschrieben und der Personalakte hinzugefügt. Ein kontinuierlicher Austausch zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Sektoren und ihren Vorgesetzten soll Zufriedenheit und einer funktionierenden Kooperation gewährleisten. Gleichwohl müssen einige Prinzipien befolgt werden:

Die Zeiterfassung muss nicht unbedingt über die bestehenden Regelungen hinaus vorgenommen werden. Der Arbeitgeber vertraut der Fähigkeit von Zeitmanagement und Selbstorganisation des einzelnen Mitarbeiters. Sollten trotzdem Problem auftreten, werden gegebenenfalls individuelle Absprachen erfolgen. Die Arbeitnehmer wollen nach Aussage der Geschäftsführung keinesfalls strengere Zeitregulationen, sie ziehen eine freie Ausgestaltung ihrer Arbeits- und Freizeit vor.

Der Arbeitgeber versichert, dass die einzelnen Mitarbeiter den Spielraum zu eigenständiger Arbeits- und Zeitorganisation besitzen. Falls Probleme auftreten, so würden diese mit Hilfe individueller Absprachen beseitigt.

Ein Defizit an Kommunikation und Information verursacht jedoch zweifellos größere Probleme. Ein wöchentlicher "Kommunikationstag" kann offenkundig die Bedürfnisse vor allem informeller Information nicht ausreichend befriedigen. Das Gefühl von Isolation, wie auch Probleme einer klaren Trennung zwischen Berufs- und Privatleben am außerbetrieblichen Arbeitsplatz haben einige Mitarbeiter dazu bewegt, ihre Arbeitsplätze zurück in die Firma zu verlegen.

Hinsichtlich der Integration insbesondere der Telemitarbeiter, die erst relativ kurz in der Firma sind, sehen sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer einen Handlungsbedarf, neue Regulationsformen müssen entwickelt werden. Ihre Angst besteht vor allem darin, dass die Identifikation mit der eigenen Firma am außerbetrieblichen Arbeitsplatz nur schwer möglich ist. Mitunter fühlen sich Mitarbeiter eher den Kundenfirmen als der eigenen verbunden. Aus diesem Grund achtet die Geschäftsführung besonders darauf, dass ein Angestellter nicht über Jahre hinweg stark an ein und denselben Kunden gebunden wird. Darüber hinaus legt man großen Wert auf regelmäßige Aktivitäten wie z. B. auf Gruppentreffen und Freizeitaktivitäten."

[Späker, Gaby: Fallstudie Integrata AG, Tübingen. -- In: MIRTI handbook implementing telework / MIRTI. -- ©1998. -- URL: http://www.telework-mirti.org/handbook/tedesco/case/2casinte.htm. -- Zugriff am 2001-01-09]


20. Führungspersonalstrategien internationaler Unternehmen


Um Führungskonzepte in international tätigen Unternehmen typisieren bzw. systematisieren zu können, entwarf Howard V. Perlmutter 1969 folgendes Schema:

"Hierbei unterscheidet Perlmutter eine ethnozentrische, eine polyzentrische, eine regiozentrische und eine geozentrische Ausrichtung einer Unternehmung, die er ursprünglich in dieser Reihenfolge als sukzessive Evolutionsstufen einer internationalen Unternehmenstätigkeit ansah. 

[Zentes, Joachim <1947 - > ; Swoboda, Bernhard <1965 - >: Grundbegriffe des internationalen Managements. -- Stuttgart  : Schäffer-Poeschel, ©1997. -- (Sammlung Poeschel). -- ISBN 3791092162. -- S. 71f. (dort Quellenangaben). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Die folgende Tabelle fasst wichtige Merkmale dieser Typisierung zusammen:

Merkmale Strategie
  ethnozentrisch polyzentrisch regiozentrisch geozentrisch
Komplexität der Organisation hohe Komplexität in der Zentrale, einfache Struktur in Auslandsgesellschaften unterschiedlich, kein durchgängiges Muster in der Regionalgesellschaft hoch mit hohen gegenseitigen Abhängigkeiten, sonst geringe Komplexität vergleichsweise hohe Komplexität, starke gegenseitige Abhängigkeiten
Entscheidungs-
kompetenzen
bei der Hierarchiespitze der Zentrale bei einer hierarchisch nachgelagerten Einheit der Zentrale Kompetenzbündelung in den Regionalzentralen oder arbeitsteilig bei den Auslandsgesellschaften weltweites Kompetenznetzwerk bestehend aus Einheiten der Zentrale und der Auslandsgesellschaften
Koordinations-
instrumente
weltweite Anwendung von im Stammland auf dessen Kontext bezogenen Standards Anwendung unterschiedlicher, für das jeweilige Ausland spezifischer Standards, die in den Auslandsgesellschaften festgelegt werden Anwendung von Standards, die auf die "kulturellen Blicke" des Weltmarkts abgestimmt sind Anwendung einheitlicher Standards, die auf die "Weltverhältnisse" zugeschnitten sind
Anreiz- und Entlohnungs-
niveau
hoch in der Zentrale; gering in den Auslandsgesellschaften uneinheitlich, auf lokale Verhältnisse abgestimmt, Orientierung am isoliert betrachteten Erfolg der Auslandsgesellschaft Entlohnung wird danach bemessen, inwieweit die überantwortete Einheit zum Erfolg der Regionaleinheit beiträgt Entlohnung wird danach bemessen, inwieweit die überantwortete Einheit zum Erfolg des Gesamtsystems beiträgt
Informations- und Kommunikations-
struktur
von Zentrale an Auslandsgesellschaften; zahlreiche Anweisungen und Richtlinien für den Leiter der Auslandsgesellschaft geringer Informationsaustausch zwischen Zentrale und Auslandsgesellschaften sowie zwischen den Auslandsgesellschaften geringeres Informationsvolumen zwischen Zentrale und Auslandsgesellschaften; dichte Informationsstruktur im Regionalsystem dicht gewobenes Informationssystem zwischen Zentrale und Auslandsgesellschaften sowie zwischen den Auslandsgesellschaften
Selbstverständnis bzw. Nationalität der Angehörigen der Auslandsgesellschaft Nationalität des Stammlandes Nationalität des Gastlandes Angehörige der jeweiligen Regionaleinheit des internationalen Unternehmens Angehörige eines globalen Unternehmens, das Grenzen überschreitet
Personalbeschaffung und -entwicklung sämtliche in- und ausländischen Schlüsselpositionen werden mit Stammlandsangehörigen besetzt Schlüsselpositionen der Auslandsgesellschaften werden mit Angehörigen des jeweiligen Gastlandes besetzt regional beschränkte Personalsuche, innerhalb der Region keine nationalen Präferenzen unabhängig von Nationalität, "weltweite" Suche
Entsendungsquote bzw. -richtung mittel; Entsendungen vom Stammland in Auslandsgesellschaften praktisch null auf regionaler Ebene hoch, sonst gering sehr hoch, in alle Richtungen

[Vorlage der Tabelle: Zentes, Joachim <1947 - > ; Swoboda, Bernhard <1965 - >: Grundbegriffe des internationalen Managements. -- Stuttgart  : Schäffer-Poeschel, ©1997. -- (Sammlung Poeschel). -- ISBN 3791092162. -- S. 33 (dort Quellenangabe). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


Zu Kapitel 7, Teil II: Entscheidungsfindung