Internationale Kommunikationskulturen

9. Kulturelle Faktoren: Essen, Trinken, Geselligkeit


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 9. Kulturelle Faktoren: Essen, Trinken, Geselligkeit. -- Fassung vom 2001-04-16. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur09.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-04-16

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht


Teil I: Tischsitten und Gastlichkeit. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur091.htm

Teil II: Speisen und Fasten. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur092.htm

Teil III: Beispiele. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur093.htm


1. Einleitung


"Wie zart schmiegt sich der Geburt eines Menschen der Taufschmaus an! Wie bedeutend berührt sich das Brautbette und die Tafel des Hochzeitmahls! Wie tröstend wird selbst der bittre Schmerz tiefbetrübter Trauergäste durch süße Torten und Kuchen und herzerquickende Weine gemildert und beschwichtigt! Das kleinste Familienereignis wie die wichtigste weltgeschichtliche Begebenheit, eine Verlobung wie eine Krönung, eine gewonnene Schlacht wie eine verlorne Doktordisputation, der Ausbau einer Kleinkinderschule wie eines Ständehauses, eine silberne oder goldene Hochzeit wie ein Friedensschluss, ein Reichstag wie ein Meisterwerden - wie wird, wie kann alles das anders zelebriert, ja überhaupt festlich verwirklicht werden, als durch Essen? Hält doch selbst der Ärmste einen Festtag ohne Braten für einen Widerspruch. >Vor Tisch und nach Tisch< nennt man schön und passend die zwei Hälften des Tages als der Zeit, in welcher der Mensch wacht, wirkt und isst. Mit dem Abendessen nimmt der Mensch vom Tage wie vom Essen Abschied, und der Schlaf wird deshalb auch mit Recht Bruder des Todes genannt."

Antonius Anthus

[Anthus, Antonius [= Blumröder, Gustav] <1802 - 1853> : [Vorlesungen über Esskunst] Des Antonius Anthus Vorlesungen über Esskunst : darin zum ersten Male die Weltanschauung des Esskünstlers, die Prinzipien der Esskunst und ihre Beziehungen zur Geschichte, den anderen schönen Künsten, der Moral und vieles mehr umfassend dargestellt wird. -- Leipzig 1838. Neu ed.. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1962. -- Zitiert in: Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X. -- S. 9]

Essen und Trinken sind sowohl zutiefst kulturell geprägt als auch zentral in menschlicher Kommunikation.


2. Essen, Trinken und Kultur


"Ein Schweinsbraten kommt in der Natur nicht vor"

Peter Kubelka (geb. 1934)

"Wir leben heute auf einer dicken Schicht Reste von Verhaltensweisen, Erwartungen, Standards, Traditionen und Geräten. Zweckbestimmung und Sinn sind meist vergessen oder haben sich gewandelt. Alles wird gleichzeitig und in 
Rudimenten gebraucht, die Dinge werden als äußere Zeichen eingesetzt, ohne dass ihre wirkliche Verwendung zustande käme. Mit diesen Zeichen wird die Konformität gegenüber gesellschaftlichen Normen signalisiert: Der Gastgeber zeigt an, dass er weiß, wie man es macht, wie es sich gehört und wie es richtig ist. Die Tendenz zur Überladung der Tafel ohne Sinn und Verstand zeigt deutlich die Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Konventionen und Funktionen der Dinge."

[Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X. -- S. 254]

Die Verbindung von Essen und Trinken zu Kultur wird noch dadurch verstärkt, dass der Geruchssinn -- der wichtigste Sinn bei Essen und Trinken -- ein historischer Sinn ist.

"Wie wir im Gesicht den Sinn des Verstandes, im Gehör den der Vernunft erkannt haben, so könnte man den Geruch den Sinn des Gedächtnisses nennen; weil er unmittelbarer, als irgend etwas Anderes, den specifischen Eindruck eines Vorganges, oder einer Umgebung, selbst aus der fernsten Vergangenheit, uns zurückruft."

[Schopenhauer, Arthur <1788 - 1860>: Die Welt als Wille und Vorstellung. -- 3. vermehrte und verbesserte Aufl. --  Leipzig  : Brockhaus, 1859. -- In: In: Philosophie von Platon bis Nietzsche. -- Berlin : Directmedia, 1998. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 2). -- ISBN 3932544110. -- S. 64213. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]

Die Herausgeber des hochinformativen Katalogs zu einer Ausstellung zu Esskultur und Tafelsitten im Münchner Stadtmuseum [Webpräsenz: http://www.stadtmuseum-online.de/. -- Zugriff am 2001-03-15], 1993

Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X

schreiben in der Darstellung der Ausstellungskonzeption:

"Geschmack und Geruch sind also unwillkürlich konservative Sinne, welche Gegenwart und Vergangenheit miteinander vergleichen und in Bezug setzen. Geschmacksidentität beschreibt auch Identität in höherem Sinne: 

definieren sich über gemeinsame Erinnerungen, Familientraditionen, Gruppenzugehörigkeiten, regionale Bindungen und Nationalcharaktere. 

Im steten Wechsel der erlebten Empfindungen entstehen dazu Regional- und Nationalküchen, die sich in Kochbüchern als Spezialitäten und in Nostalgieküchen offenbaren. 

Spezialitäten der Region identifizieren und verurteilen seine Bewohner: 

schimpfen sich Regionen und Nationen. Nationale Küche wird zeitweise verachtet, von feiner fremder Kochkunst verdrängt und gewinnt nach geraumer Zeit mit Finessen angereichert die Luxusküchen zurück. Jahrhundertelang lässt sich der Wechsel der Moden am Einfluss und der Wirkung fremder Küchen in Deutschland verfolgen. Italien, Ungarn, die Länder der Atlantikküste, Böhmen, immer wieder Frankreich und jedes erlebte Reiseland fordert und fördert den Geschmack. Chauvinismus in Essensfragen ist ein tief empfundenes Gefühl. Aufgehoben wird der Fremdenhass durch die Liebe zum Fremden im Essen.

Alle Bestandteile der mit dem Geschmack verbundenen geschichtlichen Tischkultur haben sich an irgendeiner Stelle und in irgendeiner Form noch erhalten. Das gilt sowohl für die Nahrungsmittel wie für das Tischgerät, ebenso für Manieren wie für Bezeichnungen. Wenn unsere Ausstellung ein durchgehendes einheitliches Moment hat, dann ist es dies: wir essen Geschichte. Geschmack ist der historische Sinn, es sind alle Elemente noch da, wenn auch der Sinnzusammenhang vergessen wurde, die Sache selbst bleibt und wird weiter überliefert.

Essgewohnheiten unterscheiden gesellschaftliche Klassen und legen sie fest. Auf der Tafel des Adels waren über Jahrhunderte einfache Suppen, Schlachtfleisch, Eingeweide sowie Schweinefleisch und Huhn verpönt. Stattdessen werden als Herrenessen Wild, Wildgeflügel, Fische, Austern und Krebse bevorzugt, die durch Jagd- und Fischrechte mit dem Eigentum an Grund und Boden verbunden waren. Auch die patrizische Oberschicht distanzierte sich von den Nahrungsmitteln des Volkes. Eine Dame von Welt aß weder Kohl noch Bohnen, niemals Zwiebeln, Lauch oder gar Knoblauch. Die Autoren der Rezepturen und Kochbücher des14., 15. und 16. Jahrhunderts sowie die Köche des Adels oder des Patriziats legen mit ihren Anweisungen den standesgemäßen Gebrauch und die Zubereitung der Nahrungsmittel fest. Diese Köche verstehen sich als Meister ihres Faches und Repräsentanten ihrer Herrschaft." [S.8]


3. Formen von Geselligkeit


Dieses Kapitel konzentriert sich auf Geselligkeit bei Speisen und Trinken. Selbstverständlich ist dies nicht die einzige Art von für internationale bzw. interkulturelle Kommunikation wichtiger Geselligkeit. Der folgende Bilderbogen weist -- ziemlich willkürlich ausgewählt -- auf einige Formen von Geselligkeit hin:

Essen und Trinken


Abb.: Kaffeetratsch, auch bei Malzkaffee


Abb.: Larwin, Hans: Beim Heurigen (diesjährigen Wein), Grinzing, Wien

Ausflüge


Renoir, Pierre Auguste <1841 - 1919>: Mahlzeit auf dem Bootsausflug, 1881

Tanzen


Abb.: Katsushige, Iwasa <1578 - 1650>: Drei tanzende Samurai, Japan, 1. Hälfte 17. Jhdt.


Abb.: Tanz (©ArtToday)

Spielen


Abb.: Cézanne, Paul <1839 - 1906>: Kartenspieler, 1890/92


Abb.: Daumier, Honoré <1808 - 1879>: Schachspieler, 1863

Sport


Abb.: Golf (©ArtToday)


Abb.: Fußball (©ArtToday)

Hobby


Abb.: Astronomie (©ArtToday)


Abb.: Briefmarkensammeln (©ArtToday)

Musik


Abb.: Die Araber in Paris : Karikatur. -- In: Charivari, 1845-01-18 [sic!]

"Nach Frankreich gekommen, um alles zu sehen und sogar alles zu hören, waren die arabischen Häuptlinge zu mutig, um vor der Ankündigung eines großen Konzertes zurückzuschrecken. Sie begaben sich also zu einem großen Festival Bédouino-musical. Fast alle Stücke schienen ihnen sehr starken Eindruck zu machen und sie versprachen, ihnen ein dauerndes Andenken zu bewahren."

Religiöse Anlässe


Abb.: Gemeinsame Meditation, Versammlungshalle, Dhammakaya Foundation / Wat Phra Dhammakaya, Pathumthani,
Thailand [Bildquelle: http://www.dhammakaya.or.th/tour/assemblyhall.htm. -- Zugriff am 2001-03-19]


4. Essen und Trinken als Mittel der Kommunikation


Übersetzung des chinesischen Textes: "Um die Götter zu ehren, muss man Vieh opfern. Die Bewirtung von Gästen verlangt guten Wein und gutes Essen. Der japanische Kaiser feierte am 16. September 1884 Geburtstag. Aus diesem Anlass gab der japanische Gesandte in Peking, Herr Enomoto Takeaki, in seiner Residenz ein Gastmahl, zu dem die Gesandten zahlreicher fremder Länder und Beamte des Auswärtigen Amtes (Tsungli Yamen) eingeladen waren. Sie brachten ihre Glückwünsche dar. Es wurde chinesisches und europäisches Essen serviert, so dass jeder nach seiner Gewohnheit dinieren konnte. Die Pflege der Freundschaft und der Gedankenaustausch geben dem Gastmahl seinen Sinn. Diese Gesandten sind doch auserkorene Leute."

[Tien-shih-chai Hua-pao [Bildzeitung aus dem Steindruck-Studio]. -- Shanghai. -- 1885-01. -- In: Briessen, Fritz van: Shanghai-Bildzeitung 1884 - 1898 : eine Illustrierte aus dem China des ausgehenden 19. Jahrhunderts. -- Zürich : Atlantis, ©1977. -- ISBN 3-7611-0523-1. -- S. 34f.]


Pastor. "Alles, was groß ist, geschieht bei Tische. Das Paradies ging bei Tisch verloren, Monarchien und Regenten entstanden und gingen unter bei Tafel; alle Ehen werden im Himmel und bei Tische geschlossen. Jemanden zu Tische bitten, ist die feinste Art zu bestechen; hat man den Revisionskommissairen nur einmal zu essen gegeben, ist das Spiel gewonnen. Bei Tische kommt der Mensch seinem natürlichen Zustande näher. Der Vornehme sieht, dass er hier mit dem Geringeren gleichen Appetit hat; da er mit ihm aus einer Schüssel isst, aus einer Flasche trinkt, fängt er an, ihn für seines Gleichen zu halten. Alle Herzenssachen, wozu ich den größten Teil der Religion zähle, gehören vor einen weißbedeckten und mit Essen und Trinken besetzten Tisch. Die christliche Religion gibt uns hierzu viele Gelegenheit."

[Hippel, Theodor Gottlieb von <1741-1796>: Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beylagen A, B, C. -- Berlin : C.F. Voss, 1778 - 1781. -- Zitiert in: Die Freud des Essens : ein kulturgeschichtliches Lesebuch vom Genuss der Speisen aber auch vom Leid des Hungers / von Herbert Heckmann. -- Frankfurt am Main : Büchergilde Gutenberg, 1980. -- ISBN 3-7632-2404-1. -- S. 278]

Der französische Sozialist und Utopist Charles Fourier (1772 bis 1837) sieht den Zusammenhang zwischen Essen und Gastfreundschaft so: 

"Die Angelegenheiten der Liebe und der Feinschmeckerei finden in der Zivilisation nicht allzuviel Beachtung, weil man nicht weiß, welche Bedeutung Gott unseren Vergnügen zumisst. Die Wollust ist das einzige Mittel, durch das Gott uns beherrschen und zur Erfüllung seines Wollens bringen kann. Durch Anziehungskraft und nicht durch Zwang regiert er die Welt. Die Genüsse seiner menschlichen Geschöpfe sind das wichtigste Moment göttlichen Planens . . .

Die Tafelfreuden bestehen nur zur Hälfte aus der guten Küche. Was sie vollendet, ist eine kluge Auswahl der Gäste. die die Zivilisation nicht gewährleisten kann. Selbst der verschwenderischste und raffinierteste Lebemann ist nicht in der Lage, eine so harmonische Gesellschaft um sich zu versammeln, wie dies in der neuen Gesellschaftsordnung möglich ist. Auch der Ärmste wird sich in ihr bei seinen Mahlzeiten wohlfühlen. Sie werden das ganze Jahr hindurch wechseln.

Der Mangel an Gesellschaftlichkeit bei unseren Festen ist mit der Grund, weswegen Frauen der zivilisierten Gesellschaft so wenig für Tafelfreuden übrig haben. Sie legen mehr Gewicht auf eine Auswahl der Gäste, während die Männer vor allem auf die Köstlichkeit des Essens aus sind. Diese beiden Freuden: eine vorzügliche Küche sowie eine stimulierende und abwechslungsreiche Zusammensetzung der Gäste gehören in der neuen Gesellschaftsordnung zusammen. Die Zivilisation hingegen kann keine dieser Freuden bieten."

[Fourier, Charles <1772-1837>: Théorie des quatre mouvemens et des destinées générales : prospectus et annonce de la découverte.  -- Leipzig [i.e. Lyon : Pelzin], 1808. -- Zitiert in: Die Freud des Essens : ein kulturgeschichtliches Lesebuch vom Genuss der Speisen aber auch vom Leid des Hungers / von Herbert Heckmann. -- Frankfurt am Main : Büchergilde Gutenberg, 1980. -- ISBN 3-7632-2404-1. -- S. 218]

Heinrich Heine betont die einigende Wirkung des Essens:

"Hamburg ist die beste Republik. Seine Sitten sind englisch, und sein Essen ist himmlisch. Wahrlich, es gibt Gerichte zwischen den Wandrahmen und dem Dreckwall, wovon unsere Philosophen keine Ahnung haben. Die Hamburger sind gute Leute und essen gut. Über Religion, Politik und Wissenschaft sind ihre respektiven Meinungen sehr verschieden, aber in betreff des Essens herrscht das schönste Einverständnis. Mögen die christlichen Theologen dort noch so sehr streiten über die Bedeutung des Abendmahls; über die Bedeutung des Mittagmahls sind sie ganz einig. Mag es unter den Juden dort eine Partei geben, die das Tischgebet auf deutsch spricht, während eine andere es auf hebräisch absingt; beide Parteien essen und essen gut und wissen das Essen gleich richtig zu beurteilen. Die Advokaten, die Bratenwender der Gesetze, die so lange die Gesetze wenden und anwenden, bis ein Braten für sie dabei abfällt, diese mögen noch so sehr streiten, ob die Gerichte öffentlich sein sollen oder nicht; darüber sind sie einig, dass alle Gerichte gut sein müssen, und jeder von ihnen hat sein Leibgericht. Das Militär denkt gewiss ganz tapfer spartanisch, aber von der schwarzen Suppe will es doch nichts wissen. Die Ärzte, die in der Behandlung der Krankheiten so sehr uneinig sind und die dortige Nationalkrankheit (nämlich Magenbeschwerden) als Brownianer durch noch größere Portionen Rauchfleisch oder als Homöopathen durch 1/10000 Tropfen Absinth in einer großen Kumpe Mockturtlesuppe zu kurieren pflegen, diese Ärzte sind ganz einig, wenn von dem Geschmacke der Suppe und des Rauchfleisches selbst die Rede ist. Hamburg ist die Vaterstadt des letztern, des Rauchfleisches, und rühmt sich dessen, wie Mainz sich seines Johann Fausts und Eisleben sich seines Luthers zu rühmen pflegt. Aber was bedeutet die Buchdruckerei und die Reformation in Vergleichung mit Rauchfleisch? Ob beide ersteren genutzt oder geschadet, darüber streiten zwei Parteien in Deutschland; aber sogar unsere eifrigsten Jesuiten sind eingeständig, dass das Rauchfleisch eine gute, für den Menschen heilsame Erfindung ist."

[Heine, Heinrich <1797 - 1856>: Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski. -- Erstdruck in: Der Salon. -- Bd. 1. --  Hamburg : Hoffmann und Campe,  1834. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 77252ff. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]


Abb.: Essen mach friedfertig: Reklame für Gänseleberpastete, Straßburg, o.J.

Hermann Marggraf schildert 1845 in den Fliegenden Blättern die friedensstiftende Wirkung gemeinsamen Essens sowie die Vorzüge der Zweckesser:

"Man betrachte nur eine Gesellschaft Deutscher vor, während und nach einer tüchtigen Mahlzeit! Vorher bewegen sie sich durch, unter und gegen einander wie steife leblose Marionetten, die ein verborgener Lenker am Drahte zieht, damit sie sich verbeugen, die Hände ausstrecken, die Lippen öffnen oder sich um ein paar Zoll von ihrem Platze fortschieben. Man betrachte sie während der Mahlzeit! Allmählich bildet sich ein Glorienschein um ihre Häupter, sie sehen wie verklärte Engel aus, sie lächeln einander wie die Seligen zu, und auf dem höchsten Stadium sind sie förmlich in einen Lichtschimmer getaucht, der sie wie eine Strahlenatmosphäre einhüllt und aus allen Poren ihres mit Trank und Speise redlich angefüllten Körpers zu dringen scheint. Und nach der Mahlzeit - hier versagt mir die Feder ihren Dienst. Man drückt einander die Hände, man umarmt, man küsst sich, man sagt sich die schönsten Liebesworte, man deklamiert, man lacht, man tanzt, man singt, die Decke des Zimmers ist gesprengt, und herab lächeln wohlgefällig die Engel des Himmels, die immer ihre Freude daran haben, wenn Glück, Frieden und Verträglichkeit unter den Menschen herrschen.


Abb.: Zweckesser: Daumier, Honoré <1808 - 1879>: Les philanthropes: "Messieurs ... il nous reste un quarante-troisiéme toast à porter: à la Société de Tempérance!" -- "Meine Herren, wir müssen nun einen 43. Toast erheben: Auf den Mäßigungsverein!"

In jüngster Zeit ist man jedoch noch weiter gekommen, man isst und trinkt nicht mehr, um zu essen, zu trinken und guter Dinge zu sein, man isst einer Idee zu Ehren, und hat diesen Mahlzeiten den Namen von Zweckessen gegeben, das heißt man isst zu einem Zweck, obgleich andere behaupten, man schütze einen Zweck vor, um zu essen, und man sollte daher von Essenszwecken statt Zweckessen sprechen. Was man jedoch von solchen Verleumdungen zu halten habe, das wissen diejenigen am besten, die einer Idee, einem Zwecke das große Opfer bringen, ein brüderliches Mahl zu halten, um den Gaumen, der von den vielen Toasten und Lebehochs trocken zu werden droht, mit Wein anzufeuchten."

[Marggraf, Hermann <1809 - 1864>: Die Zweckesser. -- In: Fliegende Blätter. -- 1845. -- Zitiert in: Die Freud des Essens : ein kulturgeschichtliches Lesebuch vom Genuss der Speisen aber auch vom Leid des Hungers / von Herbert Heckmann. -- Frankfurt am Main : Büchergilde Gutenberg, 1980. -- ISBN 3-7632-2404-1. -- S. 218]

Einladungen zu Essen können buchstäblich bestechend sein. Nicolai Gogol beschreibt in seinem satirischen Roman Die toten Seelen 1842 einen solchen Bestechungsversuch:

"Der Hammelkeule folgten quarkgefüllte Pfannkuchen, von denen jeder größer war als ein Teller, dann eine Pute, fast so groß wie ein Kalb und gefüllt mit Eiern, Reis, Leber und vielen anderen leckeren Dingen, die einem hinterher wie Steine im Magen lagen. Damit war das Mittagessen zu Ende, und als man wieder vom Tisch aufstand, fühlte sich Tschitschikow um einen guten Zentner schwerer geworden. Man begab sich in den Salon zurück, wo schon eine Schale mit Eingemachtem von unbekannter Zusammensetzung bereitstand. Die Hausfrau verließ das Zimmer, um Teller für den Nachtisch herbeizuholen. Tschitschikow benutzte ihre Abwesenheit, um sich an Sobakewitsch zu wenden, der in einem Lehnstuhl lag und nach diesem üppigen Mahl nur noch stöhnen konnte. Manchmal gab er auch unverständliche Laute von sich, wobei er sich die Hand vor den offenen Mund hielt und sich fortwährend bekreuzigte. »Ich hätte gern mit Ihnen über eine gewisse Angelegenheit gesprochen«, sagte Tschitschikow.

»Hier ist noch Eingemachtes«, bemerkte die Hausfrau, die mit einer weiteren Schale zurückkehrte, »in Honig gekochter Rettich.«

»Später, später!« sagte Sobakewitsch. »Zieh du dich jetzt in dein Zimmer zurück, Pawel Iwanowitsch und ich werden unsere Fräcke ablegen und uns ein wenig erholen.«

Die Hausfrau zeigte sich bereit, Kissen und Federbetten bringen zu lassen, aber Sobakewitsch sagte: »Nicht nötig, wir werden uns in den Lehnstühlen ausruhen«, und die Hausfrau verließ den Salon.

Sobakewitsch beugte den Kopf ein wenig vor, zu hören, worum es sich handelte.

Tschitschikow fing bei Adam und Eva an, kam dann auf das russische Reich zu sprechen, dessen gewaltigem Umfang er Worte des Lobes und der Bewunderung widmete, hob hervor, dass sogar die allerälteste römische Monarchie keineswegs größer gewesen sei, und betonte, dass die Ausländer sich mit Recht darüber wunderten. (Sobakewitsch lauschte mit vorgebeugtem Kopf.)"

[Gogol, Nikolaj V. <1809 - 1852>: Die toten Seelen. -- München : Winkler, 1965. -- Originaltitel: Pochozdenija Cicikova, ili Mertvyja duši (1842). -- S. 124]

Wie sehr gemeinsames Essen Gemeinschaft bedeutet zeigt der Ausdruck das Tischtuch zerschneiden, was  Exkommunikation, Ausstoßung aus der Gemeinschaft bedeutet.


Abb.: Jüttner, Franz: Der Vater zerschneidet das Tischtuch zwischen Vater und Sohn. -- In: Lustige Blätter. -- 1911.

In Württemberg bekannt ist der Auftritt zwischen Graf Eberhard und seinem Sohn Ulrich nach der für Ulrich unglücklichen Schlacht bei Reutlingen 1377, den Uhland in seiner Ballade Graf Eberhard der Rauschebart folgendermaßen erzählt:

"Als nun von seinen Wunden Graf Ulrich ausgeheilt,
Da reitet er nach Stuttgart, er hat nicht sehr geeilt;
Er trifft den alten Vater allein am Mittagsmahl,
Ein frostiger Willkommen! kein Wort ertönt im Saal.

Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an dem Tisch,
Er schlägt die Augen nieder, man bringt ihm Wein und Fisch;
Da fasst der Greis ein Messer und spricht kein Wort dabei,
Und schneidet zwischen beiden das Tafeltuch entzwei."

[Uhland, Ludwig <1787 - 1862>: Graf Eberhard der Rauschebart. -- 1815. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 167407f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]

Das Gegenteil dazu ist das Essen und Trinken aus gemeinsamem Geschirr:


Abb.: Den Skorpion-Coktail genießt man aus der gemeinsamen Schale

[Bildquelle: Kirsten, Sven A.: The book of Tiki : the cult of Polynesian pop in fifties America. -- Köln [u.a.] : Taschen, ©2000. -- ISBN 382286417X. --  S. 172. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Die Gemeinschaft durch Essen wurde in folgendem Gedicht auf den monatlichen Eintopfsonntag im Dritten Reich mit unfreiwilliger Komik mystifiziert (und pervertiert):

"Wir schreiten vorwärts in Schritt und Tritt
Und reißen den letzten Zagen mit!
Ein Wollen, ein Streben hält uns frisch,
Wir sitzen zusammen an einem Tisch,
Ganz Deutschland saß gestern Kopf an Kopf
In Einheit zusammen um einen Topf!"

[Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung. -- 1939. -- Zitiert in: Horbelt, Rainer ; Spindler, Sonja: Tante Linas Kriegskochbuch : Kochrezepte, Erlebnisse, Dokumente. -- Augsburg : Bechtermünz, ©1999. -- ISBN 3828910394. -- S. 33f.  -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Orte des Essens und Trinkens sind nicht nur Orte der persönlichen Kommunikation, sondern auch Orte des Zugangs zu Medien der Massenkommunikation (Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Video).


Abb.: Das Kaffeehaus als Zugangspunkt zu Medien der Massenkommunikation: Myrbach, Felician von <1853 - 1940>: Zeitungsleser im Wiener Café Griensteidl


Abb.: Ungeselligkeit

Salzmann, Alexander von <1870 - >: Münchner Künstler-Versammlung. -- In: Jugend. -- Nr. 14. -- 1908
"Herr Wirt, wir brauchen noch mehr Tische!" -- "Aber die Tische sind ja noch lange nicht besetzt!" -- "Ja, aber an jedem Tisch sitzt eine Künstler-Gruppe."


5. Orte und Anlässe für mit Essen und Trinken verbundene Kommunikation


Die folgende Auswahl von Orten und Anlässen für mit Essen und Trinken verbundene Kommunikation soll eine kleine Vorstellung von deren Vielfalt geben:


Abb.: Marilyn Monroe auf Cocktail-Party (©Corbis)


Abb.: Hey, Paul: Der Empfangstag. -- In: Die Gartenlaube. -- 1898

Zu obigem Bild schreibt Die Gartenlaube: "Eine Form der Geselligkeit, die sich neuerdings auch in unseren Grosstädten schnell eingebürgert hat, ist der »bestimmte Tag«. Die Hausfrau bezeichnet den Bekannten und Freunden des Hauses einen Tag in der Woche, dessen Nachmittagsstunden sie regelmäßig zum Empfang freundschaftlichen Besuches offen hält. Es entwickelt sich daraus ein Verkehr von anspruchsloserem Charakter, als ihn die eigentlichen Gesellschaften zulassen; die näheren Bekannten gruppieren sich nach eigner Wahl, wie es uns der Künstler hier im Bilde zeigt. Eine zahlreiche Gesellschaft, alt und jung, füllt den großen Salon; im Hintergrund haben sich die Musikalischen zu Gesang und Spiel des Flügels bemächtigt, im Vordergrund plaudern und lachen die anderen dabei unbekümmert weiter; sie sind eben bei den höchst interessanten Erinnerungen vom letzten Balle, und die Mädchen haben genug zu tun, um sich vereint gegen die Anzüglichkeiten des stets zu Späßen aufgelegten Lieutnants zu wehren. Weiterhin wird von poetischen Seelen ein literarisches Gespräch gepgflegt, auf dem Sofa aber und am Kamin flüstern die älteren Herrschaften leise und angelegentlich von Familien- und Gesundheitsverhältnissen. So kommt jeder zu seinem Rechte, und alle haben sich zum Schlusse gut unterhalten."


Abb.: Zubereitung von Leichenschmaus, Ifugao, Luzon, Philippinen  (©Corbis)


Abb.: Einladung zu Gebetsfrühstück (©ArtToday)


Abb.: Arbeitsessen  (©Corbis)


Abb.: Habisch, Kurt W.: Im Salon, 1928


Abb.: In der Kantine (©Corbis)


Abb.: Kantine für Uranbergwerksarbeiter, Rum Jungle, Australien, 1952

[Quelle der Abb.: Complete history of Australia. -- 2. impression. -- Sydney [u.a.] : Summit, 1978. -- Part 3. -- ISBN 0727102540. -- S. 1352]


Abb.: Betriebstratsch bei einem Glas Wasser (©ArtToday)


Abb.: Wiener Kaffeehausleben, um 1875


Abb.: Restaurant Chor Bizarre, New Delhi, Indien [Bildquelle: http://www.fhraindia.com/restaurant/delhi/broadway/. -- Zugriff am 2001-03-19]


Abb.: Straßenküche, Pakistan (©Corbis)


Abb.: Das erste McDonald's, Des Plaines, Illinois, eröffnet 1955-04-15 (Rekonstruktion im McDonald's Museum, ©Corbis), heute gibt es McDonald's in 120 Ländern

[Zur Erfolgsgeschichte von McDonald's siehe: McDonald's history. -- URL: http://www.mcdonalds.com/corporate/info/history/index.html. -- Zugriff am 2001-03-19]


Abb.: Diskothek, Thailand [Bildquelle. http://www.escati.com/photos/entertainment/disco.jpg. -- Zugriff am 2001-03-19]


Abb.: Karaoke-Raum, Hotel Asean International, Medan, Sumatra, Indonesien


Abb.: "Die Sau raus lassen": am berühmt-berüchtigten Ballermann 6, Mallorca [Bildquelle. http://www.ballermann.de/ballermann/ballermann-bilder-7-ballermann-gruppe6.htm. -- Zugriff am 2001-03-18] 


Abb.: An der Bar eines Nachtclubs, London, 1925


Abb.:Gavarni: Souper im Maison d'or, 1845


Abb.: Grill-Event (©ArtToday)


Abb.: Speisewagen des Palace on Wheels, Rajasthan, Indien


Abb.: Szinei-Merse, Pal <1845 - 1920>: Picknick, 1873


6. Weiterführende Ressourcen


6.1. Yahoo Categories



6.2. Körperschaften


CIA -- Culinary Institute of America. -- URL: http://www.ciachef.edu/. -- Zugriff am 2001-03-20. -- [Founded in 1946, The Culinary Institute of America is the only residential college in the world devoted entirely to culinary education. CIA's Hyde Park, NY campus offers bachelor's degree programs in culinary arts management and baking and pastry arts management, associate degree programs in culinary arts and baking and pastry arts, as well as continuing education courses for foodservice professionals. CIA's Napa Valley, CA campus (Greystone) offers continuing education courses for foodservice professionals, certificate program in baking and pastry arts and career discovery program for aspiring culinarians. The college's 34,000 graduates are the first choice of leading industry employers around the world."]


6.3. Ressourcen in Printform


Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- 631 S. : Ill.  -- ISBN 389409-074-X. -- Zugl. Ausstellungskatalog: Münchner Stadtmuseum

Die Freud des Essens : ein kulturgeschichtliches Lesebuch vom Genuss der Speisen aber auch vom Leid des Hungers / von Herbert Heckmann. -- Frankfurt am Main : Büchergilde Gutenberg, 1980. -- 501 S. : Ill. -- ISBN 3-7632-2404-1

Pini, Udo <1941 - >: Das Gourmethandbuch. - Köln : Könemann, ©2000. -- 1056 S. : Ill. -- ISBN 3829014430. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Tannahill, Reay: Kulturgeschichte des Essens : von d. letzten Eiszeit bis heute. -- München : dtv, 1979. -- 381 S. : Ill. --  (dtv ; 1430). -- ISBN 3-423-01430-X. -- Originaltitel: Food in history (1973)

Wolff, Inge: Umgangsformen : ein moderner Knigge. -- Niedernhausen : Falken, ©2000. -- 343 S. : Ill. -- ISBN 3806873917. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Wrede-Grischkat, Rosemarie: Manieren und Karriere : internationale Verhaltensregeln für Führungskräfte. - 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl.. -- Frankfurt am Main : Frankfurter Allgemeine Zeitung, © 1998. -- 405 S. -- ISBN 3409391460. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}


Zu Kapitel 9, Teil 1: Tischsitten und Gastlichkeit