Internationale Kommunikationskulturen

9. Kulturelle Faktoren: Essen, Trinken, Geselligkeit

2. Teil II: Speisen und Fasten


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 9. Kulturelle Faktoren: Essen, Trinken, Geselligkeit. -- 2. Teil II: Speisen und Fasten. -- Fassung vom 2001-04-16. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur092.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-04-16

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Speisen


Auch bei uns galt bis in die 1960er Jahre hinein nicht nur für Bauern das Sprichwort: "Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht". So hat meine Großmutter, eine saarländische Bäuerin, erst im Alter von 80 Jahren das erste Mal in ihrem Leben Reis gegessen. Seither hat sich bei den Wohlhabenden dieser Welt die Speisenwahl so völlig globalisiert, wie es Reay Tannahill beschreibt:

"Wenn Brillat-Savarin [Anthelme Brillat-Savarin, 1755 - 1826, Verfasser von Physiologie des Geschmacks, 2ÿBände, 1825] heute lebte, würde er sich zweimal besinnen, bevor er seinen berühmten Ausspruch wiederholte: »Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.« Gewiss würde er sich vorsichtiger ausdrücken, denn heute könnte man von keinem Analytiker der gastronomischen Geschichte erwarten, dass er von Joghurt und ungeschältem Reis auf einen Popsänger aus Liverpool schließt und von Felderbsen und Kutteln auf einen Millionär aus Manhattan. Oder dass er bei schottischem Whisky an einen Franzosen denkt und bei Pariserbrot an einen Japaner. Diese offenbar völlig willkürlichen Abweichungen von der Logik der Tafel - die mehr mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun haben als mit dem Essen an sich spiegeln eine neue aufgeschlossenere Einstellung wider, die man in den reichen Ländern und in den wohlhabenden Schichten der Entwicklungsländer findet. Im Jahre 1972 ergab, zum Beispiel, eine Umfrage in Großbritannien, dass 62 Prozent der befragten Hausfrauen gelegentlich Speisen wie Spaghetti oder Frankfurter (bzw. »Wiener«) versuchen, während 28 Prozent regelmäßig Knoblauch, Olivenöl, Currypulver, Wurstwaren vom Kontinent und Pizza kaufen.


Abb.: Exotisch essen, USA, 1950er Jahre

[Bildquelle: Kirsten, Sven A.: The book of Tiki : the cult of Polynesian pop in fifties America. -- Köln [u.a.] : Taschen, ©2000. -- ISBN 382286417X. --  S. 79. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Diese Fähigkeit und Bereitschaft, sich umzustellen, geht teils zurück auf die psychologische Auswirkung einer immer größeren Auswahl an fremden und »exotischen« Nahrungsmitteln, die in Büchsen, tiefgekühlt oder, dank dem Lufttransport, in frischem Zustand angeboten werden, und teils auch auf die geradezu hektische Betriebsamkeit von Fernsehköchen und anderen Experten, die in den Massenmedien zu Wort kommen. Schließlich mag auch noch eine Rolle spielen, dass im Augenblick das Durchschnittsalter der Bevölkerung sinkt, das heißt, dass der Anteil der jungen Menschen zunimmt, die von Natur aus zum Experimentieren neigen.

Daneben sind jedoch noch tiefergehende Einflüsse am Werk. Menschen, die in einem kalten, feuchten Klima leben, brauchen heute nicht mehr kräftige, fette Speisen zu sich zu nehmen. Viele arbeiten in Werkstätten und Büros, in denen das Bedürfnis nach Wärme und Behaglichkeit durch die Zentralheizung befriedigt wird. Der Landarbeiter, der früher beim Mähen des Getreides und beim Binden der Garben Kalorien verbrannte, steuert heute einen Mähdrescher, was erheblich weniger Energie verbraucht. Und in heißen Ländern ist das Schwitzen nicht mehr die einzige Methode, den Körper abzukühlen. Mit Klimaanlagen erreicht man dieses Ziel bequemer und besser.

Gewiss, Zentralheizungen, Mähdrescher und Klimaanlagen sind noch Privilegien der Reichen, obwohl Büroangestellte an dem ersten und dem dritten teilhaben. Aber die Bereitschaft, sich bei freier Wahl auf andere Nahrungsmittel umzustellen, ist im allgemeinen ohnehin ein charakteristisches Merkmal wohlhabender Gesellschaften. Hunger macht konservativ. Nur der Gutgenährte kann es sich leisten, einmal etwas Neues auszuprobieren, denn nur er kann es sich leisten, wegzuwerfen, was ihm nicht schmeckt.

Zusammen haben die größere Aufgeschlossenheit und Vorurteilslosigkeit in Ernährungsfragen einerseits und die radikale Veränderung der Lebensbedingungen andererseits dazu geführt, dass zwischen der aufgenommenen Nahrung und dem tatsächlichen Nahrungsbedarf kein vernünftiges Verhältnis mehr besteht. Es ist unsinnig, wenn ein Büroangestellter, der um 7 Uhr 30 gefrühstückt hat, um 11 Uhr mittags Gerichte zu sich nimmt, die vor Jahrhunderten erdacht wurden, um Bauern, die sich seit dem frühen Morgengrauen auf den Feldern abgerackert hatten, mit neuer Energie zu versorgen. Gerade das aber tun täglich unzählige Menschen, und die Folge davon ist nicht nur eine verminderte geistige Leistung am Nachmittag, sondern auch eine geschädigte Verdauung. Dieses Missverhältnis zwischen tatsächlichem Kalorienbedarf und aufgenommener Kalorienmenge ist auch in den Bevölkerungsschichten mit einem niedrigeren Einkommen, deren Speisegewohnheiten an sich starrer sind, in einer nur geringfügig abgeschwächten Form zu beobachten. In Ländern mit aufstrebender Wirtschaft geht man zwar gewöhnlich von der Kohlehydratnahrung mehr zur Fleischnahrung über, aber ein Lammkotelett mit einem Fettrand enthält schließlich ebenso viele Kalorien wie eine Schnitte Weißbrot mit Butter, und die Mägen der Reichen und nicht ganz so Reichen werden gleichermaßen sehr oft mit mehr Brennstoff gefüllt, als sie brauchen und verarbeiten können. Wenn Skorbut und Rachitis die typischen Krankheiten des 19. Jahrhunderts waren, so ist die des 20. Jahrhunderts gewiss die allzu reichliche Nahrungsaufnahme."

[Tannahill, Reay: Kulturgeschichte des Essens : von d. letzten Eiszeit bis heute. -- München : dtv, 1979. -- (dtv ; 1430). -- ISBN 3-423-01430-X. -- Originaltitel: Food in history (1973). -- S. 348 - 350]

Allerdings ist die Küche in chinesischen, italienischen und anderen Spezialitätenrestaurants in Deutschland und anderswo oft dem lokalen Geschmack angepasst. Deshalb soll man auch auf keinen Fall z.B. chinesische Gäste in Deutschland in ein China-Restaurant einladen: sie werden höchstwahrscheinlich das Essen dort als ganz schlecht empfinden.

Neben Spezialitätenrestaurants mit Essen aus aller Welt gibt es in Deutschland eine unüberschaubare Zahl von Büchern zu ausländischen Küchen. Sehr empfehlenswert ist die opulent ausstaffierte preiswerte Reihe Culinaria des Könemann Verlags. Bisher sind erschienen:

Für einen Mitteleuropäer gibt es deshalb kaum mehr Schwierigkeiten mit fremden Küchen, es sei denn es handelt sich um

Die verschiedenen regionalen und statusabhängigen Küchen der Welt befinden sich zwischen zwei Polen:


2. Essen und Prestige


"Die meisten Materialien und Veredelungstechniken werden nicht deswegen hochgeschätzt, weil sie zu besonders guten Geschmacksergebnissen führen, sondern allein weil sie erkennbar teuer und arbeitsaufwendig herzurichten sind. Dies gilt genauso für Speisen wie für Tafelgerät. Es ist immer das Geld, das zählt, nicht der Geschmack. Der Geschmack tritt an Bedeutung zurück, wenn Geltungssucht sich vordrängt; dann schmeckt es eben, weil es teuer ist. Die Küche des quod rarus, est carus beherrschte Rom. Das zähe, tranige Pfauenfleisch war als Prestigeessen eine gesuchte Delikatesse und blieb es lange in römischer Tradition, obwohl Horaz [84 - 8 v. Chr.] spottend vermutete, dass der Pfau dem Huhn vorgezogen wird

 ». . . weil der seltene Vogel mit Gold bezahlt wird und mit einem prächtigen Schweif Parade macht - als ob das was zur Sache täte? Du issest doch die schönen Federn nicht, und frikassiert gilt beider Fleisch dir gleiches. So leitet also bloß dein eitles Auge das Urteil deiner Zunge. Doch sei es drum! . . . Das Ungewöhnliche ist also was dich reizt!« (II, 2, 27 ff.). 

Bis weit in die Neuzeit hinein maß sich der Tafelluxus stets am römischen Vorbild, das in Berichten, Satiren und Rezepten überliefert war. Dem verdankt der Pfau sein Überleben auf der fürstlichen Tafel, ebenso das Füllen eines Tieres mit einem andern und das Kombinieren von seltenen Ingredienzen mit der Absicht, ein Gericht sichtbar teuer zu machen, bis hin zu der Sitte, Tribute ferner Kolonien auf dem Teller als Ausdruck der Handelsmacht und der schnellen Wege zu häufen. Einen besonderen Reiz hat es bis heute, Erdbeeren im Dezember zu essen oder Austern weit ins Land zu holen. Gegen den Raum und gegen die Zeit zu essen demonstriert vor allem die Ungebundenheit des Geldes.

Gastrosophen kritisierten das Prestigeessen und verwiesen auf die Produkte der Region und die jeweils beste Jahreszeit dafür. Seitdem wird dieser Streit zwischen Geltungsbedürfnis und wirklichem Geschmack ebenso beharrlich wie vergeblich geführt. Was selten ist, bleibt lieb und teuer.

Dabei dürfen Tafeldekorationen und festlicher Raumschmuck nicht zurückstehen. "

[Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X. -- S. 10]


3. Esstabus und Trinktabus


"Paris assiégé -- Das belagerte Paris" (1871)
Les Comestibles -- Die Essbaren/Esswaren

"Mon pauvre Médor, je vais ètre forcé de te manger pour te conserver ton pauvre maimaître" -- Mein armer Médor, mir bleibt nichts anderes übrig, als dich zu verzehren, um dein armes Herrchen zu erhalten." "Ah, s'ils savaient avec quoi je fais mes conserves de boeuf!" -- "Na, wenn die wüssten, woraus meine Rindfleischkonserven sind!"
Abb.: Karikaturen zur Ernährung im 1871 von Deutschen belagerten Paris von Jules Draner <1833 - 1926>, Paris 1871 [Quelle der Abb.: Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X. -- S. 572f.]

Esstabus und Trinktabus müssen respektiert werden, sonst kann dies zu ernsthaften Problemen bei der Kommunikation bis zum Abbruch der Kommunikation oder zu Aggression führen  (z.B. Eklat, wenn bei einem Empfang für hochkastige Inder Rindfleisch serviert wird, oder wenn in Gegenwart von Muslimen Schweinefleisch gegessen wird, oder wenn fanatischen Vegetariern Fleisch serviert wird).


3.1. Diät


"Diät = Das selbstkasteiende Gegenteil von der Freiheit eines Essers oder gar Gourmets, das mehr oder weniger ritualisierte Essen aus Vernunft oder Wahn." [Pini, Udo <1941 - >: Das Gourmethandbuch. - Köln : Könemann, ©2000. -- ISBN 3829014430. -- S. 218. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Die Hauptformen von Diät sind:


3.2. Vegetarismus


"Fleischnahrung mindert die Fruchtbarkeit der Frauen."

Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1934 (!)

"Das Festmahl der Vegetarianer in Amsterdam am 12. des Erntemonats 1879 
bot folgende Abwechslung: Senfsuppe, Linsenpastete, Wassermorchel mit Salzkartoffeln, Ragout von hartgekochten Eiern mit Stachelbeersauce, Blumenkohl., Gebratener Jeed (eine in Holland viel vorkommende Art Unkraut) mit Kartoffeln, Indischer Reis mit Melochi und Kerri, Gefrorener Käsepudding, Dessert, Pumpernickel. 

Gleich nach der indischen Schüssel ergriff der javanische Radja Kasa Tjoeng das Wort: seit einigen Monaten erst Vegetarianer, fühle er sich schon physisch wie moralisch so gestärkt, daß seine Untergesetzten in Indien sofort desselben Glückes teilhaftig werden sollten; worauf Mynheer Jut, ein bekehrter ehemaliger Schlachtermeister aus Leemvarden, durch das Festmahl zu einer entsprechenden Rede begeistert wurde."

[Zweites Zitat aus: Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X. -- S. 534.]


Abb.: Vegetarisches Kochbuch, Leipzig, 1913

Vegetarismus bedeutet zunächst, nichts von getöteten Tieren zu essen. Innerhalb des Vegetarismus gibt es mehrere Stufen:

  1. Buddha's Vorschrift für Mönche: man isst, was man vorgesetzt bekommt, also auch Fleisch; man lehnt nur ab, dass Tiere speziell für die Mönche getötet werden (Sowieso schon getötete Tiere werden nicht mehr lebendig, auch wenn man ablehnt, ihr Fleisch zu essen. Mönche sollen nicht den Laien, die sie ernähren, zur Last fallen, indem für die Mönche extra vegetarisches Essen zubereitet werden muss. )

  2. Vegetarismus vieler indischer Brahmanen: man isst kein Fleisch und keine Eier, aber Fisch, Milch und Milchprodukte. (Ein brahmanischer Universitätsprofessor beantragte seine Wegversetzung aus dem indischen Bundesstaat Jamnu, weil er sich dort nicht vegetarisch ernähren könne, da es auf den Märkten keinen Fisch gäbe!)

  3. Ovo-lakto-Vegetarismus: man isst kein Fleisch oder Fisch, aber Milch, Milchprodukte und Eier; eventuell Ablehnung von Käse, der mittels Lab aus Mägen von  getöteten Tieren hergestellt wird (gegenüber synthetischem Lab dürften keine Bedenken bestehen)


    Abb.:  Wird von Ovo-lakto-Vegetariern gegessen (evtl. mit Ausnahme des Käses) (©IMSI)

  4. Lakto-Vegetarismus: man isst kein Fleisch oder Fisch und keine Eier, jedoch Milch und Milchprodukte (außer Käse, der mit tierischem Lab hergestellt wird)

  5. Veganismus: man isst keinerlei tierische Produkte, sondern nur rein pflanzliche Kost (auch Produkte wie Wolle, Seide oder Honig lehnt man ab)

Vegetarier haben meist eines oder mehrere der folgenden Motive:


Abb.: Plakat: Vegetarisches Restaurant Ethos, München, um 1914


Abb.: Fidus [ = Höppener, Hugo] <1868 - 1948>: Vignette für Speisekarte des "Vegatrisches Speisehaus von Rudolf Kronberg, Berlin", um 1900


3.3. Antialkoholismus und Alkoholverbote



Jordaens, Jacob <1593 - 1678>: Der König trinkt, 1. Hälfte 17. Jhdt.


Abb.: "Kein Geld versaufen! Bücher Kaufen!". -- Anzeige der Redaktion. -- In: Junge Menschen. -- Jahrgang 1926

 


Abb.: Wilke, Georg: Der Alkohol-Kapitalismus : Karikatur. -- In: Junge Menschen. -- Jahrgang 1927

Einerseits wird in vielen Teilen der Welt bei bestimmten Anlässen keine Rücksicht darauf genommen, dass jemand aus bestimmten Gründen keinen oder nur wenig Alkohol zu sich nehmen will oder kann, andererseits kommen sich viele Westler besonders schlau vor, wie sie in muslimische Länder Alkohol schmuggeln und dort genießen können. Beide Verhaltensweisen zeugen von einer Verachtung der Partner.

In den "trockenen" Staaten der USA, in Kanada und Australien umgehen Restaurants, die keine Schanklizenz haben, dies durch BYO (= Bring your own!): der Gast bringt sein alkoholisches Getränk selbst mit und kann es zum Essen im Restaurant trinken. Stammgäste geben ihre Flasche zum Temperieren sogar schon Tage oder Stunden vorher im Restaurant ab.


3.3.1. Zum Beispiel: Alkohol im islamischen Orient


"Der Orient kennt vielerlei Sorten alkoholischer Getränke, als deren Sammelbegriff Wein (khamr) gilt. In einigen Ländern des Orients wird Wein aus Trauben (nabith), Rosinen (zabib) oder Datteln (araq) hergestellt. Auch Bier wird im Orient (z. B. in Ägypten) produziert. Die Herstellung und der Konsum von alkoholischen Getränken ist nur in jenen Ländern möglich, wo das Gesetz den Handel mit solchen Erzeugnissen nicht untersagt. In diese Länder werden auch außerarabische, «ausländische» Alkoholika, in erster Linie Whisky, weiterhin Cognac, Vermouth, Champagner usw. importiert. Jedoch hält der islamische Glaube den Handel mit Alkohol auch dort in Grenzen. Angeboten werden und verfügbar sind derart kostspielige Substanzen nur in den großen internationalen Hotels, in Nachtclubs und Spezialgeschäften. In den Lebensmittelläden wird normalerweise kein Alkohol verkauft.

Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Inhaber von Weingeschäften in der Regel keine Moslems sind (überwiegend Griechen). Ein frommer Moslem betrachtet den Handel mit Wein, auch wenn das Gesetz diesen erlaubt, als Sünde, da der Wein im Islam generell als unrein gilt. Jede Berührung mit ihm führt zur Verunreinigung, was wiederum mit den vorgeschriebenen alltäglichen religiösen Übungen, etwa dem Gebet, nicht vereinbar ist.

In den Ländern hingegen, die der islamischen Jurisdiktion allein unterstehen, wird das Alkoholverbot strikt eingehalten, was Herstellung wie Einfuhr von Alkohol unmöglich macht. So wird beispielsweise in Afghanistan kein Wein gekeltert, obwohl dort mehr als 30 Traubensorten im Anbau sind.

Die Ablehnung des Alkohols betrifft nicht nur alkoholhaltige Getränke, sondern überdies alle Lebens- und Genussmittel, bei deren Zubereitung Alkohol Verwendung findet. Als Beispiel genannt seien mit Weinbrand gefüllte Pralinen und Schokoladen."

"Das bisher Gesagte hat gezeigt, dass man den Konsum von Alkohol im Orient nicht verallgemeinert, sondern differenziert sehen muss. 

In den orientalischen Ländern mit islamischem Gesetz (z. B. Saudi-Arabien, Kuwait, Arabische Emirate und Iran nach der islamischen Revolution) legen die Behörden Wert auf die Beachtung des Alkoholverbots. Dieses Verbot wird dort auch von den Bewohnern, mit wenigen Ausnahmen, strikt eingehalten. In einigen dieser Länder gibt es jedoch Sonderregelungen, nach denen Alkohol ausnahmsweise in internationalen Hotels, aber dann nur an nicht-islamische Gäste, verkauft werden darf.

 Dagegen existieren in den islamischen Ländern mit weltlich-modernisierten Gesetzbüchern keine Alkoholverbote; der Alkoholgenuss unterliegt nicht der Strafbarkeit. Jeder, der es sich gesellschaftlich, vor allem aber finanziell, leisten kann, hat die Möglichkeit, sich Alkohol in beliebiger Menge zu verschaffen. Jedoch wird diese Möglichkeit von der Mehrzahl der Einwohner dieser Länder, zur Hauptsache aus gesellschaftlichen Gründen, nicht wahrgenommen: Ein Trinker (nicht als «Alkoholiker» im westlichen Sinne misszuverstehen) wird dort heute noch verachtet und als unzuverlässiger, wenn nicht gar als schlechter Mensch betrachtet. Dies gilt auch für den nichtmoslemischen Bevölkerungsteil (Kopten, integrierte Juden, Griechisch-Orthodoxe, frühchristliche Splittersekten etc.). Es wird deshalb nicht öffentlich getrunken, d. h. es werden in den Straßencafés keine Spirituosen serviert, auch bei Festlichkeiten, Feierlichkeiten u. ä. wird normalerweise kein Alkohol angeboten. Weine und andere geistige Getränke werden mehr oder weniger heimlich in wenigen Haushalten, zumeist beim Besuch Gleichgesinnter und aus besonderen Anlässen, getrunken. Außer in großen und exklusiven Hotels und Restaurants wird Alkohol auch in einigen wenigen Weinstuben angeboten und konsumiert. Diese Weinstuben werden im allgemeinen von Gewohnheitstrinkern besucht, die sich dort in der Regel betrinken und über längere Zeit aufhalten. Türen und Fenster sind normalerweise verhängt, die Spirituosen werden mit Beilagen wie Nüssen, Kichererbsen und verschiedenen Salaten zum Vertreiben des bitteren Nachgeschmacks serviert. Von Interesse ist, dass das Bier im Laufe der Zeit erheblich an Popularität gewonnen hat. In etlichen ägyptischen Lebensmittelläden und Restaurants z. B. wird Bier verkauft, dennoch aber wird es sich in einem islamischen Land des heutigen Orients nie zu einem nationalen Getränk, wie das etwa in Deutschland der Fall ist, entwickeln. Da die Preise der verschiedenen angebotenen Alkoholika, insbesondere der importierten, verhältnismäßig hoch sind, gelten sie für den Großteil der Bevölkerung als Luxus und werden dementsprechend nur von der bekanntlich an Zahl recht geringen Oberschicht dieser Länder konsumiert."

[Saleh, Ahmed: Alkohol und Haschisch im heutigen Orient. -- In: Rausch und Realität : Drogen im Kulturvergleich / hrsg. von Gisela Völger .. Reinbeck : Rowohlt, 1982. -- Bd. 2. -- (rororo ; 34006). -- ISBN 3499340062. -- S. 836 - 839]


3.4. Speisen und Getränke mit abstoßenden Assoziationen


Ekelfood: "Partygespräch  nicht nur unter Globebetrottern über die Grenzen ihres eigenen Geschmacks und denen [!] fremder Kulturen. Im Internet ist die Sammelwut von Informationen über disgusting food zur Marotte geworden, die den jeweiligen Ekel anderer Nationen vor Liebhabern der Landesspezialitäten ausdrücken. So gesehen wären 


Abb.: Eingelegte Kobras, Dalat, Vietnam (©Corbis)


Abb.: Raupen, Markt, Chiang Saen, Thailand (©Corbis)


Abb.: Gebratene Fledermäuse, Thailand (©Corbis)

zunächst »eklig«, bei Kulturwechsel gewöhnungsbedürftig, aber dann unbestritten köstlich. Selbst deutscher »Wtirchwitzer Spinnenkäse«, den erst die mitzuessenden Milben färben, ist ohne näheres Hinsehen pikant."

[Pini, Udo <1941 - >: Das Gourmethandbuch. - Köln : Könemann, ©2000. -- ISBN 3829014430. -- S. 260. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Knoblauch: In Deutschland war nach dem Ersten Weltkrieg die Benutzung von Knoblauch verpönt, da er als Gewürz des Erzfeindes Frankreich galt, im Dritten Reich galt Knoblauch als Judenspeise, erst in den 1950er Jahren wurde Knoblauch in Deutschland wieder gesellschaftsfähig (mit Ausnahme des Gestanks).

Durian: Frucht des Zibetbaums (Duria zibethinus), geschmacklich beliebte Frucht, die wegen ihres Geruchs verpönt ist. In Thailand verbieten Verbotsschilder das Mitbringen von Durian in Hotelzimmer:


Abb.: "Mitbringen von Durian verboten!"

Ausführlich zu "Ekelfood":

Hopkins, Jerry: Strange food : skurille Spezialitäten. Insekten, Quallen und andere Köstlichkeiten. -- Frechen : Komet, ©1999. -- 232 S. : zahlreiche Ill. -- ISBN 3898361063. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}


4. Speisen und Getränke, denen besondere Wirkungen zugeschrieben werden


4.1. Rauschmittel, besonders Alkohol


Ergo bibamus! [= Lasst uns darum Trinken!]

Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun,
Drum, Brüderchen! Ergo bibamus.
Die Gläser, sie klingen, Gespräche, sie ruhn,
Beherziget Ergo bibamus.
Das heißt noch ein altes, ein tüchtiges Wort:
Es passet zum ersten und passet so fort,
Und schallet ein Echo vom festlichen Ort,
Ein herrliches Ergo bibamus.

Ich hatte mein freundliches Liebchen gesehn,
Da dacht ich mir: Ergo bibamus.
Und nahte mich traulich; da ließ sie mich stehn.
Ich half mir und dachte: Bibamus.
Und wenn sie versöhnet euch herzet und küsst
Und wenn ihr das Herzen und Küssen vermisst,
So bleibet nur, bis ihr was Besseres wisst,
Beim tröstlichen Ergo bibamus.

Mich ruft mein Geschick von den Freunden hinweg;
Ihr Redlichen! Ergo bibamus.
Ich scheide von hinnen mit leichtem Gepäck;
Drum doppeltes Ergo bibamus.
Und was auch der Filz von dem Leibe sich schmorgt,
So bleibt für den Heitern doch immer gesorgt,
Weil immer dem Frohen der Fröhliche borgt;
Drum, Brüderchen! Ergo bibamus.

Was sollen wir sagen zum heutigen Tag!
Ich dächte nur: Ergo bibamus.
Er ist nun einmal von besonderem Schlag;
Drum immer aufs neue: Bibamus.
Er führet die Freude durchs offene Tor,
Es glänzen die Wolken, es teilt sich der Flor,
Da scheint uns ein Bildchen, ein göttliches, vor;
Wir klingen und singen: Bibamus.

Goethe, Johann Wolfgang von <1749 - 1832>: Ergo bibamus. -- Erstdruck 1811. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 45630f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}] 


Abb.: Deutsche Leitkultur: Beginn der Vertonung obigen Lieds von Goethe durch Max Eberwein, 1813

In vielen Kulturen und Gesellschaften zeigt man bei bestimmten Anlässen wenig oder keine Toleranz gegenüber Gästen, die keinen oder nur mäßig Alkohol zu sich nehmen wollen. Ablehnung, am Besäufnis teilzunehmen, gilt als Beleidigung. Oft nimmt man nicht einmal auf Autofahrer und Alkoholkranke Rücksicht. In solchen Fällen helfen oft nur Tricks, wie das alkoholische Getränk heimlich weggießen. Oder man zeigt so viel Selbstachtung, dass man sagt, meine Kultur verbietet mir Besäufnis bzw. Alkohol, wenn euch das nicht passt, dann seid halt beleidigt. Wenn ihr mich zum Saufen zwingen wollt, ist es für mich eine Beleidigung. Oder man schickt zu bestimmten Anlässen nur trinkfeste Kollegen (so ist es z.B. in Verhandlungen mit Russen u.U. sehr hilfreich, wenn man die Verhandlungspartner unter den Tisch trinken kann -- der österreichische Bundeskanzler Leopold Figl soll bei Verhandlungen in den 1950er-Jahren mit der Sowjetunion besonders erfolgreich gewesen sein, weil er noch mehr saufen konnte als der KP-Sekretär Nikita Chruschtschow). Viele Kulturen sind bei bestimmten Anlässen reine Saufkulturen. 

Neben der berauschenden Wirkung hat Alkoholkonsum in Kulturen, die Alkohol zumindest bei bestimmten Anlässen zulassen bzw. fordern, u.a. noch folgende Funktionen:


Abb.: Sich-Besaufen als Ritual der Männlichkeit Deutsches Studentenlied "Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann, wer seinen Durst mit Achteln labt, fang lieber gar nicht an", Text von Joachim Perinet, Melodie von Wenzel Müller, 1794


Abb.: Trinken als gesellschaftliche Pflicht. -- Abb. in: Fliegende Blätter. -- Nr. 3418 [1910/11]. -- S.49


4.2. Anregungsmittel



Abb.: Früh übt sich ... -- Titelvignette der Zeitschrift: Das Kränzchen : illustrierte Mädchen-Zeitung. -- 1922


Abb.: In ein russisches Heim gehört der Samowar


Abb.: Trinkgefäß für Maté mit Trinkröhrchen


Abb.: Karen-Frau beim Betelkauen, Chiang Rai, Thailand (©Corbis)

Brainfood: soll innere Bilder und Phantasien durch Nahrungsmittel stimulieren, z.B. sollen Ananas die Intelligenz fördern, Sauerkraut und Avocado die Hirnleistung steigern, Dinkel und Chilis glücklich machen


4.3. Potenzmittel und Libidosteigerer



Abb.: Coclers, Jean Baptiste Bernard <1741 - 1817>: Ein Austernessen zu zweit [Ausschnitt], 1870

Als Lust steigernd gelten in verschiedenen Kulturen unter anderen:

Deswegen werden manche Inder z.B. strikt ablehnen, Zwiebeln oder Spargel (sieht einem Penis ähnlich!) zu essen.

Ausführlich zu diesem Thema:

Rätsch, Christian <1957 - >: Pflanzen der Liebe : Aphrodisiaka in Mythos, Geschichte und Gegenwart. -- Bern [u.a.] : Hallwag, ©1990. -- 208 S. : Ill. -- ISBN 3-444-10367-0


4.4. Gesundheitskost 


"Functional food: Neudeutsche Bezeichnung für Lebensmittel, die nicht nur schmecken und satt machen, sondern auch der Gesundheit auf die Sprünge helfen. Was mit Kalzium angereichertem Orangensaft, jodiertem Speisesalz und Multvitamindrinks eher harmlos begann und mit den probiotischen Joghurtkulturen weiterging, wird in gar nicht ferner Zukunft zur Impfbanane führen, die man einfach isst, um gegen eine bestimmte Krankheit immun zu werden.


Abb.: Glückliches finnisches Paar frühstückt ®Benecol 
[Bildquelle: http://www.benecol.fi/index2.html. -- Zugriff am 2001-03-21]


Abb.: ®FOSHU-Label 

Die deutsche Stiftung Warentest hat inzwischen 33 Müslis, Milchgetränke, Kekse und Bonbons mit diversen Anreicherungen getestet. Das Ergebnis: Die deklarierten Stoffe sind nur schwer über den Verzehr genau zu dosieren, es kommt in vielen Fällen zu Überdosierungen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen frage man den Lebensmittelhändler nach dem Lieferanten." 

Pini, Udo <1941 - >: Das Gourmethandbuch. - Köln : Könemann, ©2000. -- ISBN 3829014430. -- S. 342. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


4.5. "Heiße" und "kalte" Lebensmittel


Ebenso wie in Europa vom  Altertum bis weit in die Neuzeit werden z.B. in Indien und China Lebensmittel in "heiße" und "kalte" eingeteilt. Die Zuordnung der Speisen zu diesen Kategorien ist sehr unterschiedlich (und beruht auf reinem Aberglauben), hat aber große Bedeutung dafür, was man wann essen und trinken soll: so soll man z.B. in China Hundefleisch -- welches als heiß gilt -- im Winter essen.


5. Essen, Trinken und Religion


Das Schwein: Für viele ein Festtagsschmaus bzw. Kuscheltier und Sympathieträger -- für Juden und Muslime ein unreines, verachtetes Tier


Abb.:  Philippinen (©IMSI)


Abb.:  (©IMSI)


Abb.: (©IMSI)


Abb.: Rindfleisch: vielerorts Inbegriff guten Essens. für Hindus als Heilige Kuh tabu (©Corel)


5.1. Judentum



Abb.: McDonald's kosher, Israel

Du darfst nichts von dem essen, was ein Gräuel ist.

Dies sind die Vierfüßler, die ihr essen dürft:

  • Rind
  • Schaf
  • Ziege
  • Hirsch
  • Gazelle
  • Rehbock
  • Wildziege
  • Dischon
  • Wildschaf
  • Antilope
  • alle Vierfüßler, die gespaltene Klauen haben, und zwar ganz durchgespaltene Klauen, und die zugleich wiederkäuen

Nur folgende von den Wiederkäuern und denen, die ganz durchgespaltene Klauen haben, dürft ihr nicht essen:

  • Kamel
  • Hasen
  • Klippdachs ...
  • Schwein ...

Das Fleisch all dieser Tiere dürft ihr nicht essen und ihr Aas nicht berühren.

Dies dürft ihr nicht essen von dem, was im Wasser lebt:

Alles, was Flossen und Schuppen hat, könnt ihr essen.

Was aber keine Flossen und Schuppen trägt, dürft ihr nicht essen. Als unrein hat es euch zu gelten.

Alle reinen Vögel dürft ihr essen, jedoch nicht:

  • roten Milan
  • Königsweih
  • alle Rabenarten
  • Strauß
  • Eule
  • Trümmereule
  • Aasgeier
  • Storch
  • Reiher
  • Wiedehopf
  • Manteltier

Alle geflügelten Kleintiere sollen euch als unrein gelten; sie dürfen nicht gegessen werden.

Kein Aas dürft ihr essen.

Deuteronomium 14, 3-21

Ausführlich zu den Speisevorschriften im Judentum:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- 4. Kaschrut -- die Speisegesetze. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/jud504.htm


5.2. Islam



Abb.: Ramadan (Bildquelle: http://www.epi.sc.edu/news/winter98/winter98_around.html#ramadan. -- Zugriff am 2001-03-09)

Für Muslime unrein sind folgende Speisen und Getränke unrein und dürfen deshalb nicht genossen werden:

Außerdem ist Kot und Harn unrein. Da man seine Ausscheidungsorgane mit der linken Hand reinigt, darf man die linke Hand nie zum Essen oder Trinken benutzen.

Wichtig ist auch der Monat Ramadan, der 9. Monat des muslimischen Mondkalenders: Jeder erwachsene gesunde Muslim muss während des Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf jegliche Nahrungsaufnahme und den Genuss von Nikotin verzichten sowie sexuell enthaltsam sein. Der Ramadan gilt als besonders gnadenreiche Zeit, weil er als der Monat der Offenbarung des Korans gilt.

Die Daten des Ramadan für das laufende Jahr findet man für die verschiedenen Gebiete der Welt unter: http://www.ummah.org.uk/ramadhan/. -- Zugriff am 2001-03-19


5.2.1. Zum Beispiel: Der Fastenmonat Ramadan in Ägypten



Abb.: Karte von Ägypten (©MS-Encarta)

"Fasten und Völlerei: Ramadan. Einen kulinarischen Höhepunkt erreicht das Jahr während des Fastenmonats, des Ramadan. So paradox es klingen mag, der Fastenmonat ist zugleich Zeit der Abstinenz und der Völlerei. Während des Fastenmonats sind Muslime verpflichtet, sich tagsüber jeglicher Nahrungsaufnahme zu enthalten. Mit Tagesanbruch, sobald man »einen weißen Faden von einem schwarzen unterscheiden kann«, beginnt das strenge Fasten, das neben dem vollständigen Verzicht von Speisen und Getränken auch die Abstinenz von sexuellem Kontakt, Wohlgerüchen und Tabakwaren beinhaltet. Für den Gläubigen bedeutet das Fasten den Sieg des Willens über die Sinne, eine Gelegenheit und Verpflichtung, über sich hinauszuwachsen und daran erinnert zu werden, was der Hunger für die Armen bedeutet. Fällt der Ramadan in die heißen Monate des Sommers, und damit in die Phase langen Tageslichts, kann insbesondere der Durst qualvoll werden. Trotzdem ist der Fastenmonat für die Muslime eine Zeit der Freude und der religiösen Einkehr, der Familientreffen und des ausgiebigen nächtlichen Beisammenseins. Da sich während des Ramadan der gesamte Tagesrhythmus zugunsten der langen Abendstunden verschiebt, sind in den Städten viele Geschäfte, Restaurants und Kaffeehäuser bis tief in die Nacht geöffnet, während tagsüber Geschäfts- und Büro- und  Schulzeiten reduziert werden. Das tägliche Fasten wird erst nach Sonnenuntergang, wenn der Muezzin zum Abendgebet ruft, gebrochen. Da während des Ramadan großer Wert darauf gelegt wird, das iftar, die Mahlzeit, mit der das Fasten am Abend gebrochen wird, im Kreis der Familie einzunehmen, vollzieht sich in Kairo und anderen Städten ein bemerkenswertes Ritual. Kurz vor Sonnenuntergang erreicht das Verkehrchaos seinen Höhepunkt. Jeder versucht, rechtzeitig zur ersehnten Mahlzeit nach Hause zu kommen. Busse sind heillos überfüllt, nervöse Taxifahrer verweigern Fahrten, die nicht auf dem Nachhauseweg liegen. Vor Lokalen und Garküchen sind Tische gedeckt, an denen bereits Gäste hungrig auf die Speisen blicken. Versinkt dann die Sonne und erschallt der Ruf zum Gebet aus den unzähligen Moscheen tritt ungewöhnliche Stille ein. Die Straßen sind wie leergefegt. Streift man durch die Straßen und Gassen, sieht man allerorts Grüppchen bei der gemeinsamen Mahlzeit. Vor den Moscheen, in den Straßen und auf Plätzen sind lange Tischreihen aufgebaut, die »Tische des Gnädigen« (midan el-rahman), die jedem eine kostenlose Mahlzeit sichern. Diese Volksspeisungen werden aus Geld- und Naturalspenden finanziert. Großhändler geben den Moscheen, die teilweise Tausende von Essen an einem Abend ausgeben, Extra-Rabatte auf Lebensmittel. Viele, die es sich leisten können, bringen mehrmals im »Heiligen Monat« Speisen in die Nachbarschaftsmoschee, wo sie an Bedürftige verteilt werden. Barmherzigkeit und Almosen (fitr) gehören insbesondere während des Ramadan zur religiösen Pflicht. Die Volkspeisungen stellen sicher, dass auch die Ärmsten nicht vom kollektiven Ritual des iftar, in dem neben der islamischen auch die nationale Einheit zum Gegenstand erhoben wird, ausgeschlossen bleiben.

Wird das iftar zu Hause mit der Familie eingenommen, bedeutet das zunächst einmal stundenlange Arbeit für die Frauen. Vorausschauend müssen zum Teil beachtliche Einkäufe getätigt und Ideen für die ausgiebigen Mahlzeiten entwickelt werden. Nachbarinnen treffen sich, um aufwendige Arbeiten wie etwa die Zubereitung von mahshi, gefülltem Gemüse, gemeinsam zu erledigen und dabei Rezepte und Einkaufstipps auszutauschen. Oft wird schon am Vormittag damit begonnen, die Speisen für den Abend vorzubereiten. Fleischgerichte, Gebäck und Süßspeisen haben Hochkonjunktur. Bevor man sich an den reichgedeckten Tisch begibt, wird das Fasten meist durch ein Getränk gebrochen. Klassiker sind amar el-din, ein dickflüssiger Aprikosensaft, der aus Aprikosenpaste zubereitet wird, und khoschaf, für den Trockenfrüchte, vor allem Datteln, in Zuckerwasser eingelegt werden. Als appetitanregende Beilage zu den Speisen dürfen Mixed Pickles nicht fehlen. Der krönende Abschluß einer Mahlzeit besteht häufig aus kunafa, einem sirupgetränkten Kuchen oder ataif, kleinen, mit Nüssen und Rosinen gefüllten, Teigtaschen, die in heißem Fett ausgebacken werden.

Obwohl vielen Angestellten und Arbeitern Sondergratifikationen gezahlt werden, übersteigen die Ausgaben während des Ramadan oftmals bei weitem das monatliche Familienbudget, auch wenn für die Extraausgaben für Lebensmittel das ganze Jahr hindurch gespart wird.

Allerdings wird die Entwicklung hin zum verschwenderischen Konsum, der Völlerei und der Demonstration von Luxus während des Ramadan in den letzten Jahren mehr und mehr zum Thema kritischer öffentlicher Debatten. Sowohl staatliche als auch religiöse Instanzen beklagen -- wenn auch aus unterschiedlichen Motiven -- die Sinnentleerung des Heiligen Monats. Nicht mehr die religiöse Einkehr und kontemplative Auseinandersetzung mit den Inhalten der Religion stehe im Mittelpunkt dieser Zeit, sondern der vordergründige Konsum und die kulinarische Ausschweifung.

Konsequenzen für Reisende

All diese Aspekte des Ramadan haben auch für Besucher des Landes Konsequenzen. Diese fallen jedoch je nach Kontext unterschiedlich aus. Während man in Touristenrestaurants und -hotels nichts vom Ramadan spürt, verändert sich dies, sobald man diese Sphäre verlässt. Falls man während der Fastenzeit tagsüber eine muslimische Familie besucht, wird man trotz oder vielleicht gerade wegen des Ramadan besonders üppig bewirtet, und es wird von den fastenden Gastgebern erwartet, dass man die angebotenen Speisen und Getränke konsumiert, während die anwesenden Ägypter lediglich zuschauen. Wer denkt, er müsse sich aus Gründen der Pietät zurückhalten, liegt falsch. Man sollte das Angebotene dankend annehmen und die Gastfreundschaft respektieren.

In Ägypten ist es nicht üblich, nicht-muslimischen Europäern die für Muslime gültigen Ge- und Verbote des Ramadan aufzuzwingen. Es wird hier als angemessen empfunden, dass Nicht-Muslime tagsüber Nahrung zu sich nehmen, rauchen etc., solange sie nicht versuchen, einen Muslim dazu zu bewegen, es ebenfalls zu tun. Die den Besuchern gegenüber erwiesene Toleranz sollte natürlich auch umgekehrt gelten und zu einer erhöhten Sensibilität bei Reisenden führen. Bevor man öffentlich raucht, sollte man sein muslimisches Gegenüber fragen, ob es gestattet ist, ähnliches gilt für die Handhabung des Essens und Trinkens. Mit ein wenig Taktgefühl kann Ramadan für den Reisenden zu einem wunderbaren Monat werden, denn wie oben bereits ausführlich dargestellt, sind die Menschen während dieser Zeit besonders festlich gestimmt. Um sich das lebendige Geschehen während der Nachtstunden nicht entgehen zu lassen, empfiehlt es sich, sich am frühen Abend etwas auszuruhen, um nachts am überschäumenden Straßenleben teilnehmen zu können."

[Jödicke, Dörte <1962 - > ; Werner, Karin <1960 - >: KulturSchock Ägypten. -- Bielefeld/Brackwede : Rump, ©1996. -- (Reise-Know-how). -- ISBN 3894160802. -- S. 174 - 176. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


5.3. Christliche Religionen


5.3.1. Hl. Abendmahl


Für christliche Religionen gehört Speise und Trank in Form des Abendmahls -- der Hl. Kommunion = Gemeinschaft -- zu den zentralen Riten. Die Verweigerung der Abendmahlsgemeinschaft vor allem durch die römische Kirche wird als tiefster Ausdruck der Kirchenspaltung interpretiert.


Meister des  Hausbuches <ca. 1445 - 1505>: Das Abendmahl, um 1480/1485


5.3.2. Tischgebet und Speisesegen


Neben dem Abendmahl -- dem Tisch des Herrn -- sind von besonderer Wichtigkeit Tischgebet und Speisesegen: 


Abb.: Traditionelles katholisches Tischgebet, Schweiz, 20. Jhdt.: auch die Sitzordnung ist in der traditionell patriarchalischen Form (Vater am Kopf des Tisches unter Kreuz usw.)

[Bildquelle: Handbuch der schweizerischen Volkskultur / hrsg. von Paul Hugger. -- Zürich : Offizin, ©1992. -- Bd I. -- ISBN 3-907-495-36-5. -- S. 278]


5.3.3. Der gottgefällige Esser


Christen waren auch immer um die rechte Einstellung zu Essen und Trinken besorgt:

Der gottgefällige Esser
"Docuisti me, pater bone: »omnia munda mundis, sed malum esse homini qui per offensionem manducat«; et »omnem creaturam tuam bonam esse nihilque abiciendum, quod cum gratiarum actione percipitur«; et quia »esca nos non conmendat deo«, et ut »nemo nos iudicet in cibo aut potu«; et ut »qui manducat non manducantem non spernat, et qui non manducat manducantem non iudicet«. Didici haec, gratias tibi, laudes tibi, deo meo, magistro meo, pulsatori aurium mearum, inlustratori cordis mei: eripe me ab omni temptatione. Non ego inmunditiam obsonii timeo, sed inmunditiam cupiditatis. Scio Noe omne carnis genus, quod cibo esset usui, manducare permissum, Heliam cibo carnis refectum, Iohannem mirabili abstinentia praeditum animalibus, hoc est locustis in escam cedentibus, non fuisse pollutum: et scio Esau lenticulae concupiscentia deceptum et David propter aquae desiderium a se ipso reprehensum et regem nostrum non de carne, sed de pane temptatum. Ideoque et populus in heremo non quia carnes desideravit, sed quia escae desiderio adversus dominum murmuravit, meruit inprobari.

In his ergo temptationibus positus certo cotidie adversus concupiscentiam manducandi et bibendi: non enim est quod semel praecidere et ulterius non attingere decernam, sicut de concubitu potui. Itaque freni gutturis temperata relaxatione et constrictione tenendi sunt. Et quis est, domine, qui non rapiatur aliquantum extra metas necessitatis? Quisquis est, magnus est, »magnificet nomen tuum«, Ego autem non sum, »quia peccator homo sum«.

"Du hast mich belehrt, guter Vater, dass »den Reinen alles rein ist, aber dennoch vom Übel, wenn ein Mensch durch Essen Anstoß gibt« [Römer 14,20]; und dass »Deine gesamte Schöpfung gut und nichts verwerflich ist, was man mit Danksagung entgegennimmt« [Timotheus 4,4]; und dass »Speise uns keinen Wert vor Gott verleiht« [1. Korinther 8,8]; und dass »niemand über uns richten soll wegen Speise und Trank« [Kolosser 2,16]; und dass »der, der alles isst, den nicht verachten soll, der nicht alles isst, und dieser wieder nicht richten soll über jenen« [Römer 14,3]. Das habe ich gelernt, und Dank Dir, Preis Dir, meinem Gott, meinem Lehrer, der an mein inneres Ohr pocht, und mir das Herz erleuchtet. Mach mich frei von aller Versuchung! Was mich in Furcht setzt, ist nicht Unreinheit des Fleischgenusses, sondern die Unreinheit der Genussgier. Ich weiß, dass dem Noe jede Art von Fleisch, die zur Nahrung dienen kann, zu essen erlaubt war [Genesis 9,2f.], dass Elias an Fleischnahrung sich stärkte [3. Könige 17,6], dass Johannes, dem eine so wunderbare Enthaltungsgabe verliehen war, sich nicht verunreinigte an tierischen Wesen, an den Heuschrecken, die ihm zur Speise dienten [Matthäus 3,4]. Aber ich weiß auch, dass Esau sich durch die Gier nach Linsenmus betören ließ [Genesis 25,34], dass ein David das Gelüste nach einem Trunk Wasser sich zum Vorwurf machte [2. Könige 23,15ff.] und dass unser König nicht mit Fleisch, sondern mit Brot versucht ward [Matthäus 4,3]. So hat sich auch das Volk in der Wüste Strafe nicht deshalb zugezogen, weil es nach Fleisch begehrte, sondern weil es in der Begier nach Speise murrte wider den Herrn [Numeri 11]

Solchen Versuchungen ausgesetzt, führe ich einen täglichen Kampf wider das Gelüst nach Essen und Trinken; denn hier geht es nicht, durch Willensentschluss auf einmal abzubrechen und nicht mehr darauf zurückzukommen, wie ich es beim geschlechtlichen Umgang vermochte. Also gilt es, dem Gaumen maßvoll die Zügel bald zu lockern, bald zu straffen. Und wo wäre, Herr, der Mensch, der nicht um ein kleines über die Grenzen des Notwendigen sich fortreißen ließe? Wenn es einen gibt, er ist groß, »groß mache er Deinen Namen« [Psalm 33,4]. Ich bin es nicht, »denn ich bin ein sündiger Mensch« [Lukas 5,8]."

Augustinus, Aurelius <354 - 430>: Confessiones. -- [Geschrieben 397 - 398].-- X., 31, 46 - 47. -- Text und Übersetzung nach:  Augustinus, Aurelius: Confessiones : Lateinisch u. deutsch = Bekenntnisse / Aurelius Augustinus. Eingeleitet, übersetzt u. erläutert von Joseph Bernhart. - München : Kösel, ©1955. -- S. 558 - 561

5.3.4. Fasten


Das Kirchenjahr ist durch Fastenzeiten geprägt: 


Abb.: Katholisches Fastenkochbuch, 1877

Die vollständige Fastenküche oder praktische Anleitung zur Bereitung von Fastenspeisen : zugleich ein Anhang zu jedem Kochbuche / von Anna Huber, seit vielen Jahren Pfarrhofköchin. -- 6., vermehrte und verbesserte Aufl. -- Regensburg : Alfred Coppenrath, 1877

Bis ca. 1968 galten für Katholiken strenge Fastengebote. Die Übertretung von Fasten- und Nüchternheitsgeboten wurde von wohl den meisten Katholiken als viel schwerere Sünde angesehen als z.B. Sünden gegen die Nächstenliebe. Der folgende Text von 1716 gibt einen guten Eindruck, von der Mentalität, die religiös begründetes Fasten im Christentum bestimmte.

"Fasten Jejunare, französisch jeuner)« heißt aller Speise sich eine Zeitlang enthalten, und dieses zwar aus unterschiedlichen Beweg-Ursachen: 

  1. als vornehmlich zur Buße; Wie solchergestalt das Ninivitische Fasten in der Heiligen Schrift bekannt ist

  2. Um 2. dadurch dem Magen einigen Anstand zu geben, damit er die darin restirende [bleibende] Cruditäten [Grobheiten] desto besser verdauen könne; Also heißt es: Multi morbi curantur media. Viele Krankheiten werden durch Fasten und Enthaltung von der Speise kuriert [geheilt]. 

  3. Ist 3. ein gezwungenes Fasten, wann nämlich einem die benötigte Speise zur Strafe eines Verbrechens entzogen und er eine Zeitlang durch Hunger gequält wird oder sich gar zu Tode fasten muss. 

  4. Und 4. fallen bei manchem Armen, der nicht viel zu beißen und zu brechen hat, sehr viele Fasttage auch wider seinen Willen ein. 

Unter allen Fasten ist das gewöhnlichste, welches der Buß- und Andachts-Bezeugung halber (damit man sich nämlich desto besser zum Gebet bereiten und einiger Meinung nach durch solch Kasteien [Abtötung] seines Leibes ein verdienstliches Werk tun möge) geschieht, sonderlich bei den Katholischen als welche es nicht allein ihren beichtenden Sündern als ein Stück der Buße auflegen, sondern auch als ein zur Seligkeit notwendiges Werk einschärfen; Dahero auch das Übertreten vor eine Todsünde geachtet wird; 

Es sind die 40 Tage vor Ostern, die Quatember, die Vigilien, welche den Apostel- und einigen andern Fest-Tagen vorgehe; das vierzigtägige Fasten vor Ostern / Jejunium quadragesimae genannt ist der gemeinen Meinung nach zur Ehre des Leidens unsers Herrn und Seligmachers Jesu Christi von den Aposteln selbst eingesetzt worden. 

Um die Quatember oder Änderungen der vier Jahrs-Zeiten, das ist in dem März, Juni, September und Dezember, und zwar allemal an einer Mittwoch fastet man, damit bei diesem Saisonswechsel Gott gebührend angerufen werde. Hierzu kommet auch, dass solcher wegen die Kirche auch faste und bete, damit keine unwürdige oder gar schädliche Personen zu den heiligen Würden und Ämtern gelangen mögen.

Ferner ist zu merken, dass das Fasten eigentlich in dem bestehe, dass man sich gewisser Speisen enthalte, zu einer bestimmten Zeit seine Refektion oder Mahlzeit einnehme, vor solcher aber nicht das geringste genieße, auch mit derselben sich vergnüge, und weiters nur bloß bei einer kalten Collation mehrenteils von Früchten bewenden lasse. Woraus dann erhellet, dass die Freitage und Samstage in Römischen Kirchen nicht eigentlich für Fasttage zu rechnen seien, ob sie zwar insgemein so genannt werden; denn an denselben ist man weiteres nichts schuldig als Abstinenz zu machen. 

Was nun die an den Fasttagen verbotene Speisen betrifft, so sind für solche  nicht allein alles Fleisch  der auf Erden und in der Luft sich aufhaltenden Tiere, als nämlich der Vierfüßigen und der Vögel, sondern auch das, was von fleischigen Tieren herkommt, als Eier, Milch, Butter, Käse zu zählen; Die Fische aber, ob man zwar meinen möchte, dass sie ein Fleisch an sich haben, darf man essen, denn es haben solche kein rechtes wahres Fleisch; wozu auch kommt, dass wie Gott nach dem Fall unserer ersten Eltern die Erde und was von solcher bewohnet wird verfluchet, er die Wässer und alles, was in demselben lebt, ausgenommen und wegen der Heiligen Taufe, zu der sie künftig dienen sollten als heilig ausgesetzt. Wie dann auch solcher Ursache willen der Heilige Geist im Anfang aller Dinge auf den Wassern geruhet. 

Die Zeit, wann die erlaubte Mahlzeit der Refektion einzunehmen ist, hat kein Gesetz und kann nach Belieben bestimmt werden, nur dass man innerhalb 24 Stunden, das ist von einem Punkt der Mitternacht, an welchem sich der Tag anhebt, bis zu dem andern nur einmal Mahlzeit halte, die aber rechtschaffen und auch ein herrliches in Fastenspeisen bestehendes Gastmahl sein darf. Bei der Collation zu Abends genießt man angezeigter maßen der Früchte, als der Oliven, Mandeln, Feigen, Rosinen, Äpfel; Birnen; Pflaumen; Rüben; und in Spanien irgendwo der Eicheln und Boxhörner oder des Johannisbrotes und anderer dergleichen Sachen samt des trockenen Brots. Alle Arten Weines darf man sowohl bei der Refektion als Collation trinken, und dieses zur Genüge; Wie dann auch dazwischen zwar nicht zu essen, jedoch zu trinken erlaubt ist. Es handelt einer, wann er sich an einem Fasttag bezechet, zwar wider die Nüchternheit, nicht aber wider das Fasten. 

Von dessen Rigor ausgenommen sind, die so das 21ste Jahr des Alters noch nicht zurücke gelegt,  und die so das 60ste Jahr überschritten,  indem jene wegen des Wachstums, diese wegen der Schwäche des Leibes die zum Speisen gewöhnliche Mittagsstunde oft nicht erwarten können; Gleiche Bewandtnis hat es auch mit denen Schwangern und Säugenden, welche schwere Arbeit verrichten müssen, wie auch die Bettler, als denen es oft an Speise gebricht.

So ist auch, wann man bei einer vornehmen Gastung sich befindet, nicht eben vonnöten die Unhöfflichkeit zu begehen, dass man die Speise, welche man, wann das Zeichen der zwölften Stunde gegeben wird, wirklich in dem Munde hat, ausspeien muss. Sondern man kann ohne Verletzung des Gewissens dieselbe wohl gar zu sich nehmen. Jedoch mit einem Becher Weins,  den man halb ausgetrunken, hat es eine andere Beschaffenheit, und muss man solchergestalt zu trinken absetzen.

Solcher willen wird die Fasten nicht gebrochen, wann man gleich frühe in Gedanken an den Nägeln, Haaren, Schreibfedern, hartem Holz oder Tabaksblättern nage und kaut oder in ein Wasser fällt und dessen nicht wenig einschluckt, auch nicht, wann einem eine Mücke in den Hals flöge, sollte sie gleich hernach zum Elefanten geworden sein. Wurde einen von der Speise, die er des Tages vorher genossen, etwas zwischen den Zähnen hangen bleiben, und er solches hinabschlingt, so wird darum die Fasten auch nicht gebrochen, weil es als zur gestrigen Mahlzeit gerechnet wird.

Es ist auch wohl ganzen Nationen, zu Linderung der harten Fasten eine gewisse Freiheit zugestanden worden; 

Einige Mönchsorden, als die Kartäuser, Pauliner oder Minimi, so in Franckreich les Bons hommes genannt werden, und die Camaldulenser enthalten sich stets während ihrer ganzen Lebenstage des Fleischessens und die beiden letzteren noch über dieses der Lacticiorum, das ist der Milch, Butter, Käse und Eier.

Denen Kartäusern,ob zwar deren Orden für den allerschwersten gehalten wird, sind die Lacticinia erlaubt; Was aber insgesamt von ihnen ausgegeben wird, dass sie / wann der Christtag auf einem Freitag fällt, Fleisch speisen, ist eine große Unwahrheit und Unwissenheit. Wie dann auch die Kartäuser einen so großen Abscheu vor dem Fleische haben, dass sie auch in der großen Kartause zu Grenoble das Heilige Abendmahl abmalen lassen, als wann an statt des Lamms ein Fisch wäre aufgetragen worden. 

Der eine fastet, um dass er krank ist, der andere fastet keiner andern Ursachen halber, als weil er zuvor so viel gegessen,  dass er einen Verdruss hat über die Speisen, und weil er nicht essen kann; Andere fasten nur darum, weil sie nicht gerne den Beutel fahren noch Geld ausgeben wollen; Andere fasten nur darum eine Zeitlang, damit sie hernach desto tauglicher und bequemer sein können zum Vielfressen und Saufen. 

Es fasten auch die Krancken nicht darum, dass sie es gern tun, sondern zu Wiedererlangung der Gesundheit. Es fasten die Geizigen und wollen lieber dem Munde abbrechen, nur damit sie ihr zeitliches Gut vermehren können. 

Fasten erhält die fünf Sinne, es bezeuget und macht das Fleisch unterwürfig dem Geist. Das Fasten macht das Herz mürbe und müde, es tötet die Brunst der Geilheit, und es zündet an das wahre Licht der Keuschheit. Das Fasten liebet nicht viel Geschwätz noch Plauderwerk, es hält den Reichtum für einen Überfluss und unnötiges Ding, es verachtet die Hoffart, liebt die Demut, und gibt den Menschen Anleitung, sich selbst zu erkennen, dass er nämlich krank, schwach und unverständig sei.

Aber es ist auch fürnehmlich zu merken, dass das Fasten nicht allein sein, sondern begleitet werden muss mit Almosengeben und mit den Werken der Barmherzigkeit. Und daher spricht der Hl. Augustinus: Liebe Brüder, das Fasten ist gut, aber besser ist das Almosengeben. Woferne einer zugleich fasten und Almosen geben kann, so ist es ein sehr gutes Werk, aber woferne er beides zugleich nicht verrichten kann, so ist es besser, dass er Almosen gebe. Hat er die Macht nicht zu fasten, so ist es genug dass er nur Almosen gebe, aber wann einer fastet und keine Almosen gibt, so ist solches Fasten unerheblich und unverdienstlich.

Woferne derowegen das Fasten begleitet wird mit den Almosengeben, mit den Werken der Barmherzigkeit und mit dem Gebet, so ist nichts gewisseres zu gewarten als die ewige Gloria."

[Marperger, Paul Jakob <1656-1730>: Vollständiges Küch- und Keller-Dictionarium, in welchem allerhand Speisen und Beträncke, bekannte und unbekannte, gesunde und ungesunde, einheimische und ausländische, wohfeile und kostbare nothwendige und entbehrliche und andere wie sie Nahmen haben mögen mehr beschrieben. -- Hamburg : B. Schillers seel. Wittwe, 1716. -- Zitiert in: Horn, Erna <1904 - 1981>: Köstliches und Curieuses aus alten Kloster- und Pfarrküchen. -- München : Moderne Verlags-GmbH, ©1979. -- ISBN 3-478-05190-8. -- S. 43 - 48. -- Rechtschreibung und Interpunktion leicht modernisiert]

Fasten, besonders in Klöstern, war oftmals zu sinnloser Werkfrömmigkeit bzw. Heuchelei degeneriert:

"Mit welcher Spitzfindigkeit die Mönche die strengen Fastenregeln umgingen, zeigt die satirische Prosaerzählung Magister Golyas de quodam abbate (Magister Golyas über einen gewissen Abt), die wohl von dem Engländer Walter Mapes (um 1140 bis um 1209) stammt. Die Satiren auf die Esslust der Mönche waren sehr verbreitet. Sie zeigen mehr als andere dichterische Texte, wenn auch in grotesker Übertreibung, was damals gegessen wurde.

«Verzichtet er auf das Fleisch? Nein, nur auf das der Vierfüßler. Und wie steht es mit Geflügel? Auch darauf verzichtet er, es sei denn, es wurde gerupft und gekocht. Dann greift er zu, kommt es doch aus dem Wasser wie die Fische, gegen die ja nichts einzuwenden ist. Es gibt sogar eine Rechtfertigung seines Irrtums. Kein geringerer als Ambrosius legt sie vor: »Großer Gott, der du in deiner Allmacht das, was aus dem Wasser geboren wurde, zum Teil wieder den Wellen zurück gibst und zum Teil in die Lüfte erhebst!« Daher stopfe, Herr Abt, das, was in die Lüfte erhoben wurde, wieder in den Schlund, wie das, was Gott den Wellen zurückgab: beides nämlich stammt aus dem Wasser. Er lasse sich Pfauen, Störche, Kraniche und Gänse, Hühner und Kapaune schmecken. Einen Hahn jedoch isst er nicht. Warum nicht? Weil dessen Fleisch zäher ist und weniger wohlschmeckend. Und auch aus einem andern Grund. Wenn er Hähne und Hühner äße, würde er die ganze Art ausrotten, die er sich über dem Kaminfeuer gegrillt wünscht. Ein dritter Grund scheint am plausibelsten zu sein. Er isst deswegen keinen Hahn, weil sie weniger schmackhaft sind als die Kapaune, die ja bekanntlich Hähne waren, ehe sie verschnitten wurden. Wie auch immer, keinesfalls möchte er diese Sonderart missen, solange sie seinem Gaumen schmeichelt und seinen Kropf in Übung hält.»"

[Zitiert in: Die Freud des Essens : ein kulturgeschichtliches Lesebuch vom Genuss der Speisen aber auch vom Leid des Hungers / von Herbert Heckmann. -- Frankfurt am Main : Büchergilde Gutenberg, 1980. -- ISBN 3-7632-2404-1. -- S. 61]


5.3.5. Gnadenmittel zum Essen und Trinken


Neben dem Abendmahl gab es in christlichen Religionen eine große Zahl von essbaren bzw. trinkbaren Heilmittel, z.B. 

Esszettel und Schluckbildchen: 


Abb.: Schluckbildchen zum Ausschneiden, Mariazell, 2. Hälfte 19. Jahrhundert

 [Quelle der Abb.: Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X. -- S. 136]

Solche Schluckbildchen wurden durch Berührung mit Gnadenbildern (z.B. in Altötting) mit Gnade aufgeladen. Im Krankheitsfall schnitt man ein Bildchen ab und gab es dem erkrankten Menschen oder Vieh zum Essen.

Schabsteine oder Schabmadönnchen:

Abb.: Schabmadonna aus schwarzem Ton, Altötting, 2. Hälfte 19. Jahrhundert

 [Quelle der Abb.: Die anständige Lust : von Esskultur und Tafelsitten  / hrsg. von Ulrike Zischka ... -- München : Edition Spangenberg, ©1993. -- ISBN 389409-074-X. -- S. 136]

Schabmadönnchen wurden aus Lehm vom Wallfahrtsort in der Form des Gnadenbilds gepresst. Bei Bedarf schabte man Staub davon ab und aß ihn bzw. trank ihn in Flüssigkeit aufgelöst.

Ähnliche Heilmittel sind in der orthodoxen Kirche sowie in der katholischen Kirche in Lateinamerika und auf den Philippinen noch weit verbreitet.


5.4. Hindureligionen


Abb.: Heilige Kuh, Devotionalbild aus Bengalen

Hindus sind entgegen einer vielverbreiteten Ansicht nicht generell Vegetarier, Vegetarismus hängt u.a. von der Kaste ab (s. dazu unten bei den Beispielen). Für Hindus ist aber im Allgemeinen die Kuh heilig und damit Rindfleisch tabu. Ausführlich zur "Heiligen Kuh" siehe

Entwicklungsländerstudien / hrsg. von Margarete Payer. -- Teil I: Grundgegebenheiten. -- Kapitel 8: Tierische Produktion. -- 1. Rinder / verfasst von Sabine Madel. -- URL: http://www.payer.de/entwicklung/entw081.htm


5.5. Buddhismus


Mit Ausnahme vieler westlicher Buddhisten, die absolute Vegetarier sind, machen die meisten Buddhisten beim Essen keinerlei Probleme: man isst, was man vorgesetzt bekommt (und belästigt nicht seinen Gastgeber durch irgendwelche Nahrungsideologien). Anders steht es mit alkoholischen Getränken. Der fünfte buddhistische Trainingspunkt der  Sittlichkeit lautet: "Enthaltung von Rauschmitteln, die Anlass zu Nachlässigkeit sind." Da bei Asiaten im allgemeinen die Toleranzgrenzen für Alkohol sehr niedrig liegen (schon nach einem Glas Wein oder Bier beginnen erste Merkmale des Rauschzustandes), bedeutet dies für überzeugte Buddhisten Enthaltung von jeglichem Alkohol.


Zu Kapitel 9, Teil 3: Beispiele