Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII:

Kladderadatsch (1848 - 1944)

1. Jahrgang 1-22 : 1848 - 1869


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII: Kladderadatsch (1848 - 1944)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- 1. Jahrgang 1-22 : 1848 - 1869. -- Fassung vom 2010-01-14. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen131.htm   

Erstmals publiziert: 2004-04-30

Überarbeitungen: 2010-01-14 [Ergänzungen] ; 2008-01-01/02. [Ergänzungen]; 2007-12-31 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-21ff. [Ergänzungen]; 2007-11-22 [Ergänzungen]; 2005-02-06 [Ergänzungen]; 2004-12-24 [Ergänzungen]; 2004-11-20 [grundlegend erweitert und überarbeitet]; 2004-06-07 [Ergänzungen]; 2004-05-11 [Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelleiste von Nr 1, 1848

Kladderadatsch : humoristisch-satirisches. Wochenblatt. -- Berlin : Hofmann. -- 1848 - 1944

"Kladderadatsch, in Norddeutschland gebräuchlicher Ausruf, um einen mit klirrendem oder krachendem Zerbrechen verbundenen Fall zu bezeichnen; auch substantivisch gebraucht in der Berliner Redensart: »einen K. machen« (z. B. mit Fenster- und Laterneneinwerfen). Allgemeiner bekannt wurde das Wort als Titel des 1848 von David Kalisch (s. d.) gegründeten, in Berlin wöchentlich einmal im Verlage von A. Hofmann u. Komp. erscheinenden Witzblattes, das vorzugsweise die politische Satire kultiviert und besonders durch E. Dohm, R. Löwenstein und den Zeichner W. Scholz, dessen Karikaturen auf Napoleon III. und Bismarck große Popularität gewannen, zu literarischer und künstlerischer Bedeutung erhoben wurde. Auch die von den »Gelehrten« des K. erfundenen ständigen Figuren Müller und Schulze, Zwickauer, Karlchen Mießnik u. a. sind volkstümlich geworden. Gegenwärtig (1905) ist Joh. Trojan (s. d.) Redakteur des K. Die hervorragendsten künstlerischen Mitarbeiter sind G. Brandt und L. Stutz. Als Sonderausgaben erschienen unter anderm: »Bismarck- Album des K.« (300 Zeichnungen von W. Scholz, 1890; 27. Aufl. 1900), »Ein Kriegsgedenkbuch aus dem K. in Ernst und Humor aus den Jahren 1870 und 1871«, von J. Trojan und J. Lohmeyer (1891), »Die Kriegsnummern des K. 1870-1871« (1895), »Im tollen Jahr. 1. Jahrgang des K. 1848«, mit Anmerkungen und Erläuterungen (1898)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Alle Jahrgänge von 1848 - 1944 online: http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/kladderadatsch.html. -- Zugriff am 2007-12-21

Audiatur et altera pars = es soll auch die Gegenseite gehört werden: Eine ausführliche Darstellung der Zentrumspolitik aus der Hand eines gemäßigt-katholischen - trotzdem furchterregenden - Mitspielers ist:

Bachem, Karl <1858 - 1945>: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei : Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung, sowie zur allgemeinen Geschichte des neueren und neuesten Deutschland 1815-1914. -- Köln : J. P. Bachem, 1927 - 1931. -- 9 Bände : 26 cm.


1848


Interessante Notiz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 1, Nr. 8, S. 30. -- 1848-06-25

Folgende Zahlen sind uns mitgeteilt worden!

   

Kapital

 
  1. Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden. Präsident: Exminister Thiele
  2. Verein zur christlichen Fürsorge für jüdische Proselyten. Präsident: Focke, Kammergerichtsrat
  3. Berliner Frauen- und Jungfrauenverein für Bekehrung weiblicher Juden. Direktor: Dr. Couard
  4. Jaenekische Missionsgesellschaft. Dir.: Dr. Rückert
  5. Gesellschaft zur Beförderung der evangel. Mission unter den Juden. Dir.: Justizrat Göschel
  6. Frauenverein für christliche Bildung der Juden. Präs.: Madame Eichhorn
  7. Missionsverein für jüdische Kinder. Dr. Hennig
  8. Magdalenenstift. Gräfin Bohlen
circa
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84.000
18.000
13.000
60.000
24.000
48.000
8.000
76.000

Taler
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    331.000 Taler

Zum Kölner August-Karneval. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 1, Nr. 16, S. 63. -- 1848-08-20


In Frankfurt und zu Köln am Rhein
Ins Blaue wird gebaut hinein.
O wann, sag an, Du freier Strom,
Wird fertig unser Freiheit Dom? --
Mein Freund, kannst lang noch fragend gaffen,
Der Dom gibt dir die Antwort nicht:
Was hat die Freiheit denn zu schaffen
mit solchem starren Steingedicht?
Er ist der deutschen Langmut wohl,
jedoch der Einheit kein Symbol:
Der Dom ist nur gebaut für Pfaffen.

Erläuterung: Bezieht sich auf den Fertigbau des Kölner Doms:

"1814 wird die eine Hälfte des 4,05 m großen überarbeiteten Fassadenplanes [des Kölner Doms] des 3. Nachfolgers Gerhards, Dombaumeister Johannes, von G. Moller in Darmstadt wiederentdeckt, die andere 1816 von Sulpiz Boisserée in Paris. Um die Wende zum 19. Jahrhundert lenkten außerdem Romantiker in ihrer Begeisterung für das Mittelalter das öffentliche Interesse erneut auf den unvollendeten Dombau. Neben anderen war Sulpiz Boisserée die treibende Kraft für die Vollendung, so dass letztlich am 4. September 1842 durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. und den Erzbischof Johannes von Geissel der Grundstein für den Weiterbau des Kölner Doms gelegt werden konnte. ".. . Hier, wo der Grundstein liegt, dort mit jenen Türmen zugleich, sollen sich die schönsten Tore der ganzen Welt erheben.. .".

Am 15. Oktober 1880 kann der Dom nach über 600 Jahren vollendet werden, getreu den Plänen der Kölner Dombaumeister des Mittelalters und dem erhaltenen Fassadenplan aus der Zeit um 1310. Dabei wurden die modernsten Techniken, insbesondere für den Dachbau - eine neuzeitliche Eisenkonstruktion - durch die Dombaumeister Zwirner und Voigtel eingesetzt. Nach der Fertigstellung war der Dom acht Jahre lang das höchste Gebäude der Welt. Die verbaute Steinmasse sind ca. 300.000 t"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6lner_Dom. -- Zugriff am 2004-11-09]

[Quelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- S. 225.]


1849


Geheimrats Abendgebet. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 2, Nr. 25, S. 99. -- 1849-06-24

Herr, in deinen Himmelshöhen,
Mächt'ger Gott von eignen Gnaden,
Lass mich bitten, lass mich flehen:
Schütze uns vor Demokraten!

Schütze mir den alten Degen,
Der die Anarchie erdrücket,
Der, versteh' mir recht, verwegen
Preußen einmal noch geflicket!

Schütze meinen Potentaten,
Seine Frau und seine Muhme,
Lass den Wein auch gut geraten,
Gib ihm eine schöne Blume!

Lass den Jung1 und Waldeck2 fallen,
Nimm zu Dir in deinen Himmel
Den Jacoby3 nur vor Allen,
Diesen frechen Judenlümmel!

Lass den Bund der Treuen4 grünen,
Doch die Demokraten bammeln,
Wenn sie jemals sich erkühnen,
In 'nem Club sich zu versammeln!

Lass es werden, Gott der Güte,
Wie es war; -- und wenn's geworden,
Als das Ende von dem Liede
Schaff mir einen neuen Orden!

Erklärungen:

1 Georg Jung, Jurist, Politiker, Publizist, 1814 - 1886. Gehörte zum Kreis der Junghegelianer und war 1842/43 an der Gründung der "Rheinischen Zeitung", dem wichtigsten Oppositionsblatt des Vormärz, beteiligt. Freund von Karl Marx und Moses Hess. Radikaldemokrat und Sozialist. Ab 1846 in Berlin tätig, distanzierte er sich von kommunistischen Positionen, trat aber als Präsident des Politischen Klubs und als Vertreter des linken Flügels in der preuß. konstituierenden Versammlung für eine demokratische Verfassung ein. Nach dem Scheitern der Revolution zog er sich zunächst aus der Politik zurück, kehrte 1863 jedoch als Abgeordneter der Deutschen Fortschrittspartei ins preuß. Parlament zurück, dem er, seit 1867 als Vertreter der Nationalliberalen, bis 1876 angehörte. (Deutsche Biographische Enzyklopädie)

2 Benedikt Franz Leo Waldeck

"Waldeck, Benedikt Franz Leo, preuß. Politiker, geb. 31. Juli 1802 in Münster, gest. 12. Mai 1870 in Berlin, stand im Justizdienst und war Obertribunalsrat, als er 1848 in die preußische Nationalversammlung gewählt wurde. Als Führer der äußersten Linken und als Präsident des Verfassungsausschusses entfaltete W. eine außerordentliche Tätigkeit, so daß die Verfassung, auch in der oktroyierten Form, wesentlich als sein Werk galt und »die Charte W.« genannt wurde. Er nahm am Steuerverweigerungsbeschluß teil, unterzeichnete die Proklamation an das Volk vom 27. Nov. nach der Sprengung der Nationalversammlung und verfasste die Anklageschrift auf Hochverrat gegen das Ministerium Brandenburg- Manteuffel. Nach Eröffnung des Landtags 1849 wurde W. 16. Mai plötzlich verhaftet, und zwar auf Grund eines gefälschten Briefes des in die Schweiz entflohenen Abgeordneten D'Ester an einen jüdischen Handlungsdiener, Ohm, worin W. als Eingeweihter in gewisse hochverräterische Pläne bezeichnet war. Am 7. Dez. durch die Geschwornen freigesprochen, kam W. 1860 wieder in das Abgeordnetenhaus und war einer der schlagfertigsten Führer der Fortschrittspartei. Namentlich in der Zeit des Verfassungskonflikts 1862–1866 spielte er eine hervorragende Rolle. Während er 1866 für die Annexionen stimmte, erklärte er sich auf dem norddeutschen Reichstag gegen die Bundesverfassung, gab aber 1869 wegen Kränklichkeit seine parlamentarische Tätigkeit auf. 1889 ward sein Marmorstandbild auf dem ehemaligen Jakobikirchhof (Oranienstraße) in Berlin enthüllt. »Briefe und Gedichte« von W. gab Schlüter heraus (Paderb. 1883)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Johann Jacoby

"Jacoby, Johann, preuß. Politiker, geb. 1. Mai 1805 in Königsberg als Sohn jüdischer Eltern, gest. daselbst 6. März 1877, studierte Medizin, ließ sich 1830 als Arzt in seiner Vaterstadt nieder und kam bei der Bekämpfung wirklich vorhandener oder vermeintlicher, auch staatlicher Missstände wiederholt m Konflikt mit der Zensur. An den Zeitfragen beteiligte er sich mit seinen Broschüren: »Über das Verhältnis des Oberregierungsrats Streckfuß zu der Emanzipation der Juden« (1833) und »Der Streit der Pädagogen und der Ärzte« (1836). In größern Kreisen bekannt machten ihn »Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen« (Mannh. 1841), worin er das Verlangen des preußischen Volkes nach einer Verfassung rechtfertigte. Wegen Hochverrats vom Berliner Kriminalgericht zu 21/2 jähriger Festungsstrafe verurteilt, wenn auch das Obertribunal 1843 das Urteil aufhob, kam er in neuen Konflikt mit den Behörden durch die Schriften: »Das königliche Wort Friedrich Wilhelms III.«, eine Mahnung an das Verfassungsversprechen dieses Königs, »Preußen im Jahre 1845« und »Beschränkung der Redefreiheit« (1846). Im I. 1848 tätiges Mitglied der Reformpartei, beteiligte er sich am Vorparlament, kam in den Fünfzigerausschuss und trat in die preußische Nationalversammlung ein. Obwohl er nur selten sprach, ein hervorragendes Mitglied der Linken, war er Mitglied der Deputation, die den König im November 1848 um Bildung eines volkstümlichen Ministeriums statt des eben ernannten Brandenburg-Manteuffelschen ersuchte und rief dem König die taktlosen Worte nach: »Das eben ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen«. 1849 in die deutsche Nationalversammlung gewählt, nahm er am Rumpfparlament teil und fand in Genf Zuflucht. Von der Anklage des Hochverrats vom Geschwornengericht in Königsberg 8. Dez. 1849 freigesprochen, kehrte I. zu seiner ärztlichen Praxis zurück. Beim Sturz des Ministeriums Manteuffel veröffentlichte I. die Schrift »Die Grundsätze der preußischen Demokratie« (Berl. 1859), kam aber erst nach Ausbruch des Militärkonfliktes 1863 in das Abgeordnetenhaus und gehörte zur entschiedensten Opposition. Wegen einer Rede an seine Wähler, worin er Steuerverweigerung als letztes Mittel zur Lösung des Konflikts anriet, wurde er 1864 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, die er 1866 abbüßte. Den Umschwung der Dinge durch den Krieg 1866 nicht anerkennend, trat er im Landtag wie in seiner Zeitung »Die Zukunft« aufs entschiedenste der Regierung entgegen, bekannte sich zuletzt zu republikanischen, ja antinationalen Grundsätzen, erklärte die Einigung Deutschlands für das Grab der Freiheit und wurde m seinen Ansichten um so schroffer, je mehr er sich vereinzelt sah. Beim Ausbruch des Krieges 1870 als Stimmführer der internationalen Demokratie verhaftet und einige Zeit in der Festung Lötzen interniert, erklärte er sich auch sofort gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen. 1871 nicht wiedergewählt, zog er sich ganz vom politischen Leben zurück. Er veröffentlichte noch die Biographie »Heinrich Simon« (Berl. 1865, 2 Bde.) und seine »Gesammelten Schriften und Reden« (Hamb. 1872, 2 Bde.; Nachträge 1877). Aus seinem Nachlaß gab F. Rühl heraus: »Geist der griechischen Geschichte« (Berl. 1884)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 d.i. der Treubund

"Treubund, ein zu Ende 1848 in Berlin gegründeter antidemokratischer Verein; Zwiespalt zwischen den Anhängern der Konstitution und denen des Absolutismus führte zu einem Bruch, worauf Ende 1849 ein neuer (absolutistischer) Bund: »Die Treue mit Gott für König und Vaterland«, ins Leben trat, der sich aber bald wieder auflöste, während der T. weiterbestand. Auch in Kurhessen bestand 1850–53 ein T. Vgl. Kunze, Der T. für König und Vaterland (Berl. 1849)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Aufnahme in den Treubund1 / Karikatur von
Wilhelm Scholz (1824 - 1893). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 2, Nr. 31, S. 124. -- 1849-07-29

Präsident: Sie schwören also: Treu bis in den Tod, mit Gott für den König, und wär's auch gegen das Vaterland.
Schultze: Ick schwöre -- aber Herr Präsident, die Hauptsache, wie is et denn nu wegen den Kümmel un wegen die Patenstelle?

Erklärung:

1 Treubund: siehe zum Vorhergehenden


 


Abb.: Der neue Peter von Amiens und die Kreuzfahrer / Karikatur von Wilhelm Scholz (1824 - 1893) -- In Kladderadatsch. -- Jg. 2, Nr. 45, S. 180. -- 1849-11-04

Es hält Sankt Stahl des Esels Zaum, Sankt Gerlach führt die Truppen,
Zur Seite steht Herr Bismarck treu, der Erzschelm, in Panzer und Schuppen.
Und die sich als Lanzknecht dort mit ihren Mähren quetschen,
Das ist Herr Wagner-Don Quixote mit Sancho Pansa-Gödschen.

Erläuterungen:

"Diese Nummer enthält die erste bildliche Darstellung des künftigen »Hauptmitarbeiters« des Kladderadatsch, Otto von Bismarck, der damals Abgeordneter in der zweiten Kammer war. Sein Panzer hat die Form eines Krebses - als Symbol des Rückschritts -; in der linken I land hält er seinen Stammbaum, in der rechten eine Geißel. Im Mittelpunkt des Bildes steht der Präsident des Magdeburger Oberlandesgerichts, Ernst Ludwig von Gerlach, in der Gestalt des mittelalterlichen Kreuzfahrers Peter von Amiens; der Mitbegründer der Neuen Preußischen [Kreuz-]Zeitung war einer der»radikalsten und konsequentesten« Vertreter konservativer Anschauungen in Preußen (Hans-Joachim Schoeps). Rechts von ihm erblickt man den an der Berliner Universität lehrenden Staatsrechtler Friedrich Julius Stahl, dessen starker Einfluss auf den preußischen König und seinen engsten Kreis, die »Camarilla« (spanische Bezeichnung für Kämmerchen), nach 1848 offensichtlich geworden war. Er tritt als Jesuit auf. Im Hintergrund reiten als Don Quixote und Sancho Pansa, das heißt als Herr und Knecht der Chefredakteur der Kreuz-Zeitung Hermann Wagener, und der Leiter der Rubrik »Berliner Zuschauer«, Hermann Ottomar Friedrich Goedsche. Die Kreuz-Zeitung war und blieb für den Kladderadatsch auf dem Gebiet der Presse die »öffentliche Feindin Nr. 1«."

[Quelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 367]

"Neue Preußische  Zeitung (gewöhnlich nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), zweimal täglich in Berlin erscheinende politische Zeitung, das Organ der evangelischen Hochkonservativen. Sie wurde 1848 gegründet und bis 1853 von dem spätern Geheimen Oberregierungsrat Herm. Wagener redigiert, dem Beutner (bis 1872), Ph. v. Nathusius-Ludom (bis 1876), Oberregierungsrat v. Niebelschütz (bis 1881), Freiherr v. Hammerstein (s. d. 2), nach dessen Suspension im Juli 1895 Professor Kropatscheck (s. d.) und 1906 J. Hermes folgten. Seit 1899 gehört sie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer der Rittergutsbesitzer Otto v. Rohr in Dannenwalde ist."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

"Die Begeisterung [für den ersten Kreuzzug] ward besonders durch Peter von Amiens in den Grenzlanden zwischen Deutschland und Frankreich weiter geweckt, während im erstern, wo Bürgerkrieg herrschte, wenig sich rührte; nur aus Schwaben kamen starke Scharen. Noch vor dem festgestellten Ausbruchstermin (15. Aug. 1096) machten sich Haufen von Bauern unter Walter Habenichts, Gottschalk, Graf Emicho von Leiningen u. a. auf, die, nachdem sie auf ihrem Marsche die Juden massakriert hatten, für ihre Zuchtlosigkeit in Ungarn fast völlig aufgerieben wurden. Peter von Amiens brachte seine Scharen leidlich bis nach Konstantinopel; als sie aber auf dem kleinasiatischen Ufer einen Vorstoß in der Richtung auf Nicäa unternahmen, wurden sie größtenteils vernichtet (21. Okt. 1096)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Kreuzzüge"]


1850



Abb.: Die Reaktion am Baume der Freiheit / Karikatur von Wilhelm Scholz (1824 - 1893). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 3, Nr. 3, S. 12. -- 1850-01-19

Da schlagen sie und nagen sie
An Wurzel, Stamm und Krone,
Vernichtet hätten sie gern den Baum —
Die lustigen Patrone!

Und Blatt um Blatt und Zweig um Zweig,
Sie fallen und verdorren,
Und von dem frischen Baum blieb nichts
Als ein entlaubter Knorren.

Nun ist er einmal faul -- drum lasst
Sie ruhig fällen und roden!
Ein neuer Same keimt bereits
Im gut durchwühlten Boden.

Und wenn der Schnee von den Bergen geht,
Und es Frühling wird auf Erden,
Dann sprengt er die Decke und bricht hervor,
Ein neuer Baum zu werden.

Und wird auch der zum zweiten Mal
Zerfressen und gestohlen:
Dann seid ihr ein Jammergeschlecht, und dann
Mag euch der Teufel holen!



Abb.: Berliner Winterbilder: Eine Berliner Urchristen-Versammlung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 3, Nr. 4, S. 16. -- 1850-01-27


Abb.: Ein Auto-da-fé im Jahre 1850 / Karikatur von Wilhelm Scholz (1824 - 1893). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 3, Nr. 5, S. 20. -- 1850-02-03

Vom Holzstoß lohet die Flamm' empor!
Die Schergen stehen bereit;
Man gibt dem Todesopfer
Zur Schädelstätte das Geleit.

Die Hände gefesselt, ins Sterbegewand
Gehüllt den schönen Leib -
Das ist die deutsche Freiheit,
Das einst so viel umfreiete Weib!

Die Herren und Ritter mit dem Schwert -
Die warfen sie in den Staub;
Dickbäuchig Pfaffengesindel,
Das mästet sich feig' an fremdem Raub.

Vom Holzstoß lohe die Flamm' empor!
Ihr Schergen seid bereit!
Wir sind gelehrige Schüler -
Und einstmals kömmt auch unser Zeit!


1851



Abb.: Aufforderung zur Wiederherstellung der Berliner Currende1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 4, Nr. 12, S. 48. -- 1851-03-23

"Durch guten Straßengesang würden, wie in England durch Straßenpredigten, die verwildertsten Stadtviertel in kurzer Zeit besänftigt und moralisch gehoben werden." (Wörtlich aus dem Berliner "Kirchlichen Anzeiger" vom 13. März)

Erklärung:

1 Currende = Kurrende

"Kurrénde (v. lat. currere, »laufen«), früher Name des Singchors Bedürftiger, der unter Leitung eines ältern Schülers (des Präfekten) gegen Geldgaben auf den Straßen vor den Häusern, bei Begräbnissen etc. geistliche Lieder sang. Die Kurrendaner oder Kurrendschüler trugen kleine schwarze Radmäntel und flache Zylinderhüte und haben sich in Thüringen und Sachsen bis in das 19. Jahrh. hinein gehalten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Kreuzzüge"]



Abb.: Wie sich die verschiedenen Parteien in Preußen das Standbild Friedrichs des Großen gedacht haben <Ausschnitt>: Die Lichtfreunde1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 4, Nr. 22, S. 88. -- 1851-06-01

Erklärung:

1 Lichtfreunde

"Freie Gemeinden, religiöse Gemeinschaften, die sich von den bestehenden protestantischen Landeskirchen losgesagt und selbständig konstituiert haben (s. ð Freikirchen). In Preußen rief seit Friedrich Wilhelms IV. Thronbesteigung die pietistisch-orthodoxe Partei durch ihren Anspruch auf Alleinberechtigung in der Kirche eine Reaktion hervor, deren erstes Stadium das Auftreten der Protestantischen Freunde oder, wie sie bald im Volke genannt wurden, der Lichtfreunde bezeichnet. Den Anstoß gab die Maßregelung des Predigers Sintenis in Magdeburg (1840), der gegen die Anbetung Christi gesprochen hatte, und eine daraufhin von dem Prediger Uhlich (s.d.) und 15 andern Geistlichen zu Gnadau abgehaltene Konferenz (1841). Dieser freie Verein, zunächst bestimmt, die Lehrfreiheit der Geistlichen gegen die Konsistorien zu schützen, wuchs sich unter Uhlichs geschickter Leitung zu einer allgemeinern Bewegung aus. Zu Köthen (1844) beantwortete vor etwa 3000 Gesinnungsgenossen der Prediger Wislicenus (s.d.) aus Halle die Frage, ob die Heilige Schrift noch die Norm unsers Glaubens sei, zugunsten des in der Menschheit, insbes. der christlichen, fort und fort lebendigen Geistes der Wahrheit und der Liebe, der auch die Heilige Schrift wesentlich hervorgebracht habe. Dagegen behandelte Guericke (s.d.), Professor in Halle, in der »Evangelischen Kirchenzeitung« die Lichtfreunde als vom Christentum gänzlich Abgefallene. Die Regierungen Preußens und Sachsens schritten gegen die Versammlungen ein. Eine Protestbewegung führte 22. Aug. 1845 zu einer Eingabe des Berliner Magistrats an den König, worin, als dem Charakter des Protestantismus entsprechend, vollkommene Freiheit der Forschung und der Mitteilung auf religiös-kirchlichem Gebiet beansprucht wurde. Der König wies die Einmischung zurück und rügte die damit verbundene Anklage gegen die Kirchenzeitung. Wislicenus wurde 1846 wegen öffentlich ausgesprochener »unchristlicher« Ansichten seines Amtes entsetzt. Inzwischen entstanden F. G. 1846 in Königsberg (Rupp), Halle (G. A. Wislicenus), 1847 in Marburg (Bayrhoffer), Nordhausen (Eduard Baltzer), Halberstadt (E. Wislicenus) u. in Magdeburg (Uhlich, s. diese Artikel). Diese Freien Gemeinden erlangten durch das königliche Patent vom 30. März 1847 in Preußen freie Religionsübung. 1848 spielten die Führer der Lichtfreunde politisch eine große Rolle; Baltzer, Uhlich, Wislicenus saßen im Frankfurter Parlament. Die Zahl der Gemeinden belief sich auf 40. Mit dem Eintreten der politischen Reaktion wurde die Bewegung noch lebhafter; die Demokratie schloss sich offen an das Frei-Gemeindetum an, die immer heftiger werdende Polemik begann sich gegen das Christentum selbst zu richten. 1850 kam es in Köthen zu einer Vereinigung mit den Deutsch-Katholiken (s.d.). Aber die aus dieser Vereinigung hervorgegangene »Religionsgesellschaft freier Gemeinden« fand wenig Anklang, weil man glaubte, dass sie weniger religiöse als politische Zwecke verfolge. Diese Befürchtung veranlasste auch die Regierungen der meisten deutschen Staaten, seit 1850 gegen die Freien Gemeinden einzuschreiten: in Bayern wurde die Gültigkeit ihrer Taufe nicht anerkannt, in Hessen untersagte man das Auftreten der Reiseprediger, in Sachsen wurden die Freien Gemeinden aufgelöst und verboten, in Preußen bekämpfte man sie mit allen gesetzlichen Mitteln. So wurden sie, auch infolge innerer Streitigkeiten, immer schwächer. 1859 schlossen sich 54 Gemeinden in Gotha zu einem Bund freireligiöser, seit 1862 freier religiöser Gemeinden zusammen, die als ihren ersten Grundsatz die freie Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten anerkannten. Ein die Gemeinschaft bindendes Bekenntnis wurde vermieden. Die Bundesversammlung in Braunschweig 1885 war von über 100 Gemeinden und Vereinen beschickt. 1891 betrug die Zahl der Gemeinden 55, zu denen noch 7 außerhalb des Bundes stehende kamen. 1899 wurde sie auf 48 mit rund 22,000 Mitgliedern, 1903 auf 38 mit rund 8800 selbständigen Mitgliedern und rund 22,500 Seelen angegeben. In nähern Beziehungen zum Bunde stehen weitere 11 Gemeinden mit 800, bez. 1500 Mitgliedern. Vorsitzender des Bundes ist Prediger Tschirn in Breslau. Als Zeitschriften freireligiöser Tendenz sind zu nennen: »Die Morgenröte des 20. Jahrhunderts« (Offenbach), »Ostdeutsche Reform« (Königsberg), »Sonntagsblatt für F. G. und deren Freunde« (Breslau), »Das freie Wort« (Frankfurt a. M.). Vgl. Kampe, Geschichte der religiösen Bewegung der neuern Zeit (Leipz. 1852–60, 4 Bde.); die Jubiläumsschriften der Gemeinden Berlin, Frankfurt a. M., Königsberg, Magdeburg, Mannheim, Offenbach a. M. anlässlich ihres 50jährigen Bestehens; Drews in der »Zeitschrift für Theologie und Kirche«, 1901."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Kreuzzüge"]


Merkwürdige Beobachtungen bei der Sonnenfinsternis <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 4, Nr. 32, S. 128. -- 1851-08-10

Eulen, Fledermäuse, Duckmäuser und andere Nachtvögel kommen aus ihren Verstecken hervor, selbst ein Adler verlässt in der Verwirrung seine Pickelhaube


Rococo-Arbeiten im neuesten Stil. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 4, Nr. 35, S. 137. -- 1851-08-31

Romulus und Remus, von der Wölfin gesäugt. (Historisches Bild aus dem Jahre 1851.)


1852



Abb.: Neuestes Befestigungsmittel: Ein Montalembert'scher1 Turm. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 5, Nr. 1, S. 3. -- 1852-01-04

Erklärung:

1 Montalembert

Montalembert, Charles Forbes de Tryon, Graf von, franz. Publizist und Staatsmann, Sohn des französischen Gesandten in Stockholm, Grafen Marc René Anne Marie von M., geb. 29. Mai 1810 in London, wo sein Vater im Exil lebte, gest. 13. März 1870 in Paris. Er war zuerst Mitarbeiter Lamennais' (s. d.), von dem er sich erst nach den »Worten eines Gläubigen« trennte. Seit 1831 Pair von Frankreich, gab er 1843 durch eine Broschüre über »Die Pflichten der Katholiken« das Signal zum Ausbruch des Kampfes um die Unterrichtsfreiheit, verteidigte 1845 den Jesuitenorden und gründete 1847 den »Ausschuss für Religionsfreiheit«. Auch für die Katholiken in Polen, Syrien, Griechenland und der Schweiz erhob sich seine beredte Stimme. Am 28. Febr. 1848 erklärte er sich für die Republik Frankreich, nahm in der Nationalversammlung auf der äußersten Rechten Platz und ward nach dem Staatsstreich auch in den Gesetzgebenden Körper gewählt. Seit 1852 Mitglied der Akademie, wurde M. einer der Begründer derjenigen Partei, die gleichgültig gegen politische Prinzipien, mit den Mitteln der modernen Freiheit in Presse und Vereinsorganisation einzig und allein für die Rechte und die Macht der katholischen Kirche kämpft. Mit um so größerm Schmerz erfüllte es ihn, dass diese Partei, durch die von ihm verteidigten Jesuiten verleitet, sich selbst mit Proklamation der päpstlichen Unfehlbarkeit einen »tödlichen Schlag« versetzte. Vergeblich protestierte er gegen die Pläne der Jesuiten und das Dogma in einem Briefe vom 7. März 1870."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Kreuzzüge"]


Abb.: Ein gelungener Einfall. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 5, Nr. 24, S. 95. -- 1852-06-13

Die Wölfe brechen durch Riegel und Schloss
Und wirtschaften nach Belieben.
Im Bullarium1 steht's und in Tante Voß2
Mit römischen Lettern geschrieben.

Erläuterungen:

1 Bullarium = Sammlung päpstlicher Erlasse (Bullen)

2 Tante Voß = Vossische Zeitung (eigentlich »Königlich privilegierte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen«)



Abb.: Extra-Züge des Jahres 1852 <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 5, Nr. 26, S. 104. -- 1852-06-27

Erläuterung:

Loyola = Jesuiten (nach ihrem Gründer Ignatius von Loyola)



Abb.: Die neue Brüderschaft. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 5, Nr. 28, S. 112. -- 1852-07-11

"Im Vergleich mit den 'Freien' sind die Jesuiten unsere Freunde und Brüder." (Rundschauer der Kreuzzeitung1.)

Erläuterung:

1 Kreuzzeitung = Neue Preußische Zeitung (nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), Organ der evangelischen Hochkonservativen.



Abb.: Die Gegenwart der Presse in Europa <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 5, Nr. 35, S. 140. -- 1852-08-22

Italien:
Beim Schreiben und beim Setzen ist
Der Pfaffe nur beteiligt:
So wird die Presse, lieber Christ,
Und auch der Druck geheiligt.


Die Renatus-Spiele zu Aix <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 5, Nr. 43, S. 169. -- 1852-10-10

Ein Bischof:

Heissa, Juchheissa! Dideldumbel:
Das geht ja hoch her! bin auch dabei!
Wir segnen alle Zusammenkünfte,
Wo unsre Kutte gelangt zum Ziel:
Heut Louis und morgen Heinrich der Fünfte.
Und übermorgen Herr Joinville1!
Jetzt für, dann wider die Demokraten,
So sorgen wir für der Kirche Rum:
Der legitimste von allen Staaten
Ist doch und bleibt das Kirchentum.

Erklärung:

1 Franz Ferdinand Philipp Ludwig Maria von Orléans, Prinz von Joinville (1818 - 1900): dritter Sohn des Königs Ludwig Philipp von Frankreich und der Prinzessin Marie Amalie von Sizilien


1853



Trauriges Ende eines wahrhaften Gothaers2! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 6, Nr. 4, S. 16. -- 1853-01-23

"Gervinus1 Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts ist in Heidelberg mit Beschlag belegt worden."

 

Erläuterung:

1 Gervinus: Georg Gottfried Gervinus (1805 - 1871): deutscher Historiker und nationalliberaler Politiker.

"1853 wurde er wegen demokratischer Publikationen (Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts) vom Mannheimer Hofgericht wegen Hochverrats zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt und erneut aus dem Universitätsdienst entlassen. Dieses Urteil wurde jedoch kurz darauf vom Oberhofgericht in Mannheim für nichtig erklärt, weil die auf Hochverrat lautende Anklage nicht hätte vom Hofgericht angenommen werden dürfen. Die Anklage wurde daraufhin aus nicht genannten Gründen gänzlich zurückgezogen und fallen gelassen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Gervinus. -- Zugriff am 2007-11-22]

2 Gothaer: bezieht sich auf das Gothaer Nachparlament 1849

"Gothaer hießen die Abgeordneten der erbkaiserlichen Partei der deutschen Nationalversammlung, die nach dem Scheitern der in Frankfurt beschlossenen Reichsverfassung 26.–28. Juni 1849 in Gotha zusammenkamen und sich mit 130 von 148 Stimmen dahin vereinigten, das preußische Unionsprojekt vom Mai 1849 und die Wahlen zum Erfurter Parlament zu unterstützen; Gagern, Dahlmann, Beckerath, Beseler, J. Grimm, Mathy, R. Mohl, Simson, L. Häuser waren die hervorragendsten Vertreter dieser durch die geistige Bedeutung ihrer Mitglieder ausgezeichneten Partei. Auf dem Erfurter Parlament setzten sie 17. April die Annahme der vorgelegten unionistischen Verfassung durch, aber mit der Vertagung des Parlaments und dem Scheitern der Unionspolitik verlor die Bezeichnung Gothaer ihren ursprünglichen Sinn, da sie keine parlamentarische Partei mehr bedeutete. Man bezeichnete seitdem diejenigen Mitglieder der verschiedenen deutschen Landtage so, die eine bundesstaatliche Verfassung mit einem Parlament und dem Präsidium Preußens unter Ausschluss Österreichs, also das sogen. Kleindeutschland, erstrebten. In der Reaktionszeit der 1850er Jahre sehr zurückgedrängt, spielte die Partei unter Georg v. Vinckes Leitung seit 1858 im preußischen Landtag unter der neuen Ära noch einmal eine Rolle, bis sie in Preußen durch die Fortschrittspartei, in Deutschland durch den Nationalverein abgelöst wurde. Die jetzige nationalliberale Partei kann eine Wiederbelebung der Gothaer genannt werden."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.:
Schreibebrief an den Erzbischof von Besançon1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 6, Nr. 7, S. 25. -- 1853-02-13

Erklärung:

1 d.i. Jacques-Marie-Adrien-Césaire Mathieu (1796 - 1875), Erzbischof von Besançon von  1834 bis 1875

"Jacques-Marie-Adrien-Césaire Mathieu a été archevêque de Besançon et cardinal.

Biographie

Né à Paris le 20 janvier 1796, Jacques-Marie-Adrien Mathieu est issu d’une famille de négociants en soieries originaire de Lyon mais installée dans la capitale après 1789. Après des études de droit, il est reçu avocat le 16 avril 1817 et entre comme clerc chez Me Peytel, avoué à Paris. Mais il choisit d'entrer au séminaire de Saint-Sulpice le 1 janvier 1819. A peine ordonné le 20 juin 1822, il est nommé chanoine titulaire de Notre-Dame de Paris et conseiller de Mgr de Quélen, puis un mois plus tard, il est appelé à Evreux par Mgr Salmon du Châtelier , auprès duquel il occupe les fonctions de secrétaire, de vicaire général honoraire et de supérieur du séminaire. Le 4 août 1828, il retrouve les charges de chanoine titulaire et de vicaire général honoraire auprès de Mgr de Quélen. Enfin, dernière marque de confiance de la part de l’archevêque de Paris, il est nommé curé de l’importante paroisse de la Madeleine le 18 avril 1831.

Le 23 septembre 1832, une ordonnance royale nomme l’abbé Mathieu évêque de Langres. Mais il est promu au siège archiépiscopal de Besançon dès le 23 juin 1834 et s'y installe le 25 novembre 1834. Proche de l'internonce, et lié aux milieux gouvernementaux, il acquiert une grande influence dans la désignation des évêques. Créé cardinal le 30 septembre 1850, il est installé lors du consistoire du 18 mars 1852, avec le titre de prêtre de Saint-Sylvestre in capite. En plus, en vertu de la constitution de 1852, le cardinal Mathieu devient, de droit, membre du Sénat, où il intervient à plusieurs reprises.


Mgr Mathieu

Prélat très actif et remarquable administrateur, son épiscopat est surtout marqué par un activisme bâtisseur – 320 églises construites, reconstruites ou restaurées dans le diocèse. Son influence internationale n'était pas non plus négligeable.

Evêque gallican modéré, proche de Mgr Dupanloup, il refuse d'adopter la liturgie romaine dans son diocèse jusqu'en 1874. S'il a toujours défendu la souveraineté temporelle du pape, il appartient à la minorité lors du Concile de 1870 mais se soumet aussitôt à la définition du dogme de l'infaillibilité pontificale.

Il meurt le 9 juillet 1875 à Besançon.

Sources

Mgr Louis Besson, Vie de Mgr Mathieu, Paris, Retaux-Bray, 1882, 2 vol. ; René Surugue, Les archevêques de Besançon. Biographies et portraits, Besançon, 1931 ; Maurice Rey (sous la direction de), Histoire des diocèses de Besançon et de Saint-Claude, Paris, Beauchesne, 1977 : Jacques-Olivier Boudon, L'épiscopat français à l'époque concordataire, Paris, Cerf, 1996."

[Quelle: http://fr.wikipedia.org/wiki/Jacques-Marie-Adrien-C%C3%A9saire_Mathieu. -- Zugriff am 2007-12-22]


In: Kladderadatsch. -- Jg. 6, Nr. 44/45, S. 175. -- 1853-09-25

Frage.

Es tagt und tagt im schwarzen Frack
Vier Tage lang der Kirchentag;
Gewiss kann er uns sagen:
Wie? wo? und wann wird es tagen?

Antwort.

Schweig still, du sündiger Gesell,
Es sieht die Welt schon viel zu hell!
Und hat des Lichts mehr als genug --
Wir halten's mit der Dämmerung.



Abb.: Schwäbische Studien über geistliche Haushälterinnen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 6, Nr. 47, S. 188. -- 1853-10-09

Wie sie nach der Beschreibung aussieht - Wie sie in natura ist


1855


Occidentalische Glossen zu einem orientalischen Text <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 8, Nr. 34, S. 133. -- 1855-07-22

Spricht die Lieb' auch ihr Geheimnis
Stets bei unverschlossnen Türen:
Kann Verstand, wie sehr er lauschet,
Nimmer doch die Lieb' kapieren.
(Aus der "Blütensammlung orientalischer Mystik".)

Das Pfäfflein.

Alles, was wir tun, ist Liebe!
Wenn Borzinsky's Leib in Ketten
Lebenslang im Kerker bliebe:
Seine Seele gilt's zu retten --
Was ihm auch geschieht, 's ist Liebe!
Suchen wir auch ohne Säumnis
Sünd'gen Abfall, Pflichtversäumnis
Heim an unsern räud'gen Schafen;
In sotanen Bess'rungsstrafen
Spricht die Lieb' auch ihr Geheimnis!



Abb.: Ein Haupt-Witz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 8, Nr. 58, S. 232. -- 1855-12-23

Wie ein Staat nach dem Konkordat beleuchtet ist


1856



Abb.: Illustrierte Bilder aus der Gegenwart <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 9, Nr. 9/10, S. 37. -- 1856-03-02

Der Wagnersche Antrag, "jede amtliche Stellung in Preußen ist vom christlichen Bekenntnisse abhängig," veranlasst einige Nichtchristen, ihre bisherige Stellung zu verlassen.



Abb.: Zwei Friedenspredigten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 9, Nr. 20, S. 78. -- 1856-05-04

Erklärung:

Bezieht sich auf den Frieden von Paris am 1856-03-30, der den Krimkrieg beendete, der seit 1853 zwischen Russland einerseits und der Türkei und ihren Verbündeten (England, Frankreich und Sardinien) anderseits geführt wurde

"Krimkrieg, der zwischen Russland einerseits und der Türkei und ihren Verbündeten (England, Frankreich und Sardinien) anderseits 1853–56 geführte Krieg, der seine Entscheidung auf der Halbinsel Krim fand. Der Kaiser Nikolaus von Russland betrachtete, nachdem die Revolution mit seiner Hilfe niedergeworfen war, Preußen und Österreich als seine Vasallen; England hielt er nicht für willens, Frankreich nicht für fähig, sich ihm zu widersetzen, die Türkei aber der Auflösung nahe. Er wollte die Donaufürstentümer, Serbien und Bulgarien, als selbständige Staaten unter russischen Schutz stellen. Da England eine Vereinbarung über die Teilung der Türkei ablehnte, schickte er im Februar 1853 den Fürsten Menschikow nach Konstantinopel, um neben der Anerkennung des Rechtes der griechischen Kirche auf die heiligen Stätten in Jerusalem den Abschluss eines förmlichen Vertrags über die Garantie der Privilegien der griechischen Kirche in der Türkei zu verlangen. Menschikow brachte diese Forderungen überdies in so herausfordernder Weise vor, dass die Pforte sie trotz der Zurückhaltung der Westmächte ablehnte, worauf Russland 2. Juli 1853 unter Gortschakow 40,000 Mann in die Donaufürstentümer einrücken ließ. Obwohl Russland erklärte, dass die Fürstentümer nur ein Pfand für die Erfüllung seiner Forderungen sein sollten, nahmen die Russen förmlich von der Regierung Besitz. Da erklärte der Sultan Abd ul Medschid 4. Okt. an Russland den Krieg, während eine englische und eine französische Flotte, die schon seit dem Frühjahr in der Besikabai ankerten, in den Bosporus einliefen. Erst als die russische Flotte unter Nachimow 30. Nov. eine türkische bei Sinope vernichtete und Nikolaus einen neuen Friedensvorschlag der Wiener Konferenz hochmütig zurückwies, ließen die Westmächte ihre Flotten in das Schwarze Meer einlaufen und schlossen 12. März 1854 mit der Türkei ein Bündnis.

Weder empörten sich die Radschas in den türkischen Provinzen, wie Russland gehofft hatte, noch leisteten Österreich und Preußen den erwarteten Beistand, vielmehr vereinigten sie sich 20. April zur Forderung der Räumung der Donaufürstentümer und erklärten deren Einverleibung und die Überschreitung des Balkans für einen Kriegsfall; auch verteidigten sich die Türken tapfer und brachten den Russen wiederholt Verluste bei. Paskewitsch konnte Silistria nicht erobern; 21. Juni musste die Belagerung aufgehoben werden. Nur in Armenien hatte Russland Erfolge. Daher nahmen die Russen die Sommation Österreichs vom 14. Juni zum Vorwande, die Donaufürstentümer zu räumen. Die Westmächte schickten eine Flotte nach der Ostsee, die nur die Festung Bomarsund auf den Ålandsinseln (16. Aug.) eroberte, sonst aber ebensowenig ausrichtete wie die Engländer im Nördlichen Eismeer und in Asien. Das Landheer, 40,000 Franzosen unter Saint-Arnaud und 20,000 Engländer unter Raglan, kam erst im Juli 1854 nach Warna, als die Russen bereits nach Bessarabien zurückgegangen waren. Der Einfall des Generals Espinasse in die Dobrudscha missglückte.

Daher entschlossen sich die Westmächte zu einem Angriff auf Sebastopol. Die Landung in der Bucht von Eupatoria wurde 14. Sept. bewerkstelligt und das russische Heer unter Menschikow 20. Sept. an der Alma von den Franzosen und Türken geschlagen. Aber die Überrumpelung Sebastopols misslang, da die Russen durch Versenkung der Flotte den Hafen gesperrt und die Nordseite desselben gut befestigt hatten. Die Alliierten mussten die Festung von der Südseite zernieren, während dieselbe von der Nordseite her mit Baktschisarai, wohin sich Menschikow zurückgezogen, und mit dem Innern Russlands in Verbindung blieb. Am 9. Okt. begann unter dem Oberbefehl Canroberts, der seit Saint-Arnauds Tode (29. Sept.) die Franzosen befehligte, und Raglans die Belagerung Sebastopols. Die Versuche der Russen, durch den Angriff auf die Engländer bei Balaklawa (25. Okt.) und durch die Schlacht auf dem Plateau von Inkerman (5. Nov.) die Verbündeten vom Meer abzuschneiden, misslangen; aber der strenge Winter richtete unter den Truppen der Verbündeten durch Krankheiten furchtbare Verheerungen an. Namentlich die Engländer erlitten ungeheure Verluste. Jedoch erhielten die Verbündeten bis zum Frühjahr 1855 bedeutende Verstärkungen. Die Russen ergänzten und erweiterten unter General Totlebens genialer Leitung während des Winters die Befestigungswerke. Ihre Ergänzungstruppen wurden aber in den verschneiten Steppen fast aufgerieben, und die Verpflegung der Festung war mangelhaft.

Obwohl die Stimmung in Deutschland und Österreich entschieden für die Westmächte war, welche die Sache der Zivilisation gegen den russischen Despotismus zu verteidigen schienen, blieben Österreich und Preußen doch untätig; nur Sardinien schloss sich 26. Jan. 1855 den Westmächten an und schickte im Mai 15,000 Mann nach der Krim. Am 17. Febr. wurde ein russischer Angriff auf die Türken in Eupatoria zurückgeschlagen. Die Alliierten richteten jetzt auf General Niels Rat ihren Angriff gegen den Malakow. Der neue Befehlshaber Pélissier leitete den Kampf mit stürmischer Energie. Die Russen bauten in der Nacht die am Tage zerstörten Festungswerke wieder auf. Nachdem 18. Juni ein Sturm der Verbündeten auf den Malakow und den Redan abgeschlagen war, erlitten die Russen unter Gortschakow 16. Aug. an der Tschernaja eine Niederlage, und 8. Sept. eroberten die Franzosen den Malakow, während der Sturm der Engländer unter Simpson (Raglan war 28. Juni gestorben) auf den Redan misslang. In der Nacht sprengte Gortschakow die Festungswerke der Südseite in die Luft, versenkte den Rest der Flotte und zog sich auf die Nordseite der Bucht von Sebastopol zurück. Am 10. Sept. besetzten die Verbündeten die rauchenden Trümmer der Stadt.

Frankreichs Kriegslust und Ruhmsucht waren hiermit gestillt, und auch Alexander II., der am 2. März auf Nikolaus gefolgt war, zeigte sich zum Frieden geneigt, nachdem durch die Eroberung von Kars 28. Nov. der russischen Waffenehre Genüge getan war. Russland nahm daher auf Österreichs Anregung 16. Jan. 1856 die am 22. Juli 1854 von den Westmächten als Zweck des Krieges und Grundlage des Friedens formulierten vier Punkte an, und 25. Febr. trat in Paris der Friedenskongress zusammen. Am 30. März 1856 wurde der Friede von Paris unterzeichnet. Russland trat die Donaumündungen nebst einem Landstrich Bessarabiens an die Donaufürstentümer ab, lieferte Kars wieder aus und verzichtete auf das Protektorat über die Donaufürstentümer und die Christen in der Türkei; eine Organisation der erstern sollte von sämtlichen kontrahierenden Mächten ausgehen und von diesen auch gemeinsam die Reformen der Türkei, die selbst in das europäische Konzert aufgenommen wurde, überwacht werden. Die Schifffahrt auf der Donau wurde für frei erklärt, das Schwarze Meer neutralisiert und Russland untersagt, mehr Kriegsschiffe auf demselben zu halten als die Türkei (welche Beschränkung 1871 auf der Londoner Konferenz wieder aufgehoben wurde). Den meisten Vorteil trug augenblicklich Napoleon III. davon, dessen Heer mit Ruhm für eine zivilisatorische Idee gekämpft hatte, und der nun der mächtigste Herrscher Europas geworden war."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 9, Nr. 29/30, S. 116. -- 1856-06-29

In einem feierlichen Erlass (Hat-Humayum) wird vom Sultan die Gleichstellung der Christen im Orient mit den Mohammedanern ausgesprochen.



Abb.: Rückblicke auf das Sommervierteljahr <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. --  Jg. 9, Nr. 44/45, S. 130. -- 1856-09-28

Nach langen Forschungen ist es dem Herrn Professor Vilmar1 in Kassel gelungen, den Teufel beim rechten Namen zu nennen und seine Familienspezies genau festzustellen.

Erläuterung:

1 Vilmar:

"Vilmar, August Friedrich Christian, Theolog und Literarhistoriker, geb. 21. Nov. 1800 zu Solz in Kurhessen, gest. 30. Juli 1868 in Marburg, studierte in Marburg Theologie, trat 1821 in den Kirchen- und Schuldienst, 1831 in die kurhessische Ständeversammlung und wurde, nachdem er sich vom Liberalismus abgewandt, kurz darauf Mitglied der obern Kirchen- und Schulkommission und 1833 Direktor des Gymnasiums in Marburg. Im März 1850 wurde er mit dem Prädikat Konsistorialrat zum vortragenden Rat in das Ministerium des Innern berufen. Mit dem Rücktritte des Ministeriums Hassenpflug fiel auch er 1855 und wurde Professor der Theologie in Marburg. In seinen amtlichen Stellungen wie auch als Herausgeber der Wochenschrift »Der hessische Volksfreund« (1848–51) und der »Pastoral-theologischen Blätter« (1861–66) hat Vilmar auf die Entwickelung einer streng hierarchischen Richtung hinzuwirken gesucht, einer Richtung, die auch in seinen »Schulreden über Fragen der Zeit« (Marb. 1846; 3. Aufl., Gütersl. 1886) und in der »Theologie der Tatsachen wider die Theologie der Rhetorik« (Marb. 1856; 4. Aufl., Gütersl. 1876) hervortritt. Erfreulicher war sein Wirken auf dem Gebiete der deutschen Literaturgeschichte, namentlich zeichnen sich die Vorlesungen über die »Geschichte der deutschen Nationalliteratur« (Marb. 1845; 26. Aufl., fortgesetzt von A. Stern, 1905) durch Lebendigkeit der Darstellung und durch seines Verständnis für die altdeutsche Dichtung aus. Kleinere Arbeiten sind: »Anfangsgründe der deutschen Grammatik« (8. Aufl., neu bearbeitet von Kauffmann, Marb. 1888); »Deutsche Altertümer im Heliand« (das. 1845, 2. Aufl. 1862); »Zur Literatur Johann Fischarts« (das. 1846, 2. Aufl. 1865); das »Deutsche Namenbüchlein« (das. 1855, 6. Aufl. 1898); »Handbüchlein für Freunde des deutschen Volksliedes« (das. 1867, 3. Aufl. 1886); »Idiotikon von Kurhessen« (das. 1868; Nachträge von Pfister, 1886 u. 1894) und »Lebensbilder deutscher Dichter und Germanisten« (Frankf. 1869; 2. Aufl. von Koch, 1886). Die Schrift »Zur neuesten Kulturgeschichte Deutschlands« (Frankf. 1858–67, 3 Tle.) stellt seine Wirksamkeit in den Revolutions- und Restaurationsjahren dar. Aus seinem Nachlaß wurden herausgegeben: »Die deutsche Verskunst« (hrsg. von Grein, Marb. 1870; neu bearbeitet von Kauffmann u. d. T.: »Deutsche Metrik«, 2. Aufl. 1907); »Theologische Moral« (Gütersl. 1871, 3 Bde.); »Lehrbuch der Pastoraltheologie« (das. 1872); »Kirche und Welt oder die Aufgaben des geistlichen Amtes« (das. 1872–73, 2 Bde.); »Dogmatik« (das. 1874–75, 2 Bde.; im Auszug 1895) und »Collegium biblicum. Praktische Erklärung der Heiligen Schrift« (das. 1879–88, 6 Bde.; 1. Bd. in 2. Aufl. 1908). Seine Biographie schrieb Leimbach (Hannov. 1875). Vgl. auch Dietz, Vilmar als Hymnolog (Marb. 1899); »Dr. A. F. C. Vilmar, Züge aus seinem Leben und Wirken« (Kassel 1900); Grebe, A. F. C. Vilmar als Oberhirte der Diözese Kassel (Marb. 1904)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Eine Paraphrase. -- In: Kladderadatsch. --  Jg. 9, Nr. 53, S. 209. -- 1856-11-16

Erklärung:

1848 begründete Sebastian Brunner, der Sohn eines Seidenfabrikanten, als Privatmann die "Wiener Kirchenzeitung für Glauben, Wissen, Freiheit und Gesetz"

"Brunner, Sebastian, kath. Theolog und Schriftsteller, geb. 10. Dez. 1814 in Wien, gest. 26. Nov. 1893 in Währing bei Wien, studierte Theologie, wurde 1838 zum Priester geweiht, stand 1843–48 in Metternichs Diensten, begründete 1848 die »Wiener katholische Kirchenzeitung«, die er bis 1865 herausgab, und wurde Doktor der Theologie, bekleidete darauf 1853–65 die Stelle eines Universitätspredigers zu Wien und wurde dann zum apostolischen Protonotar und päpstlichen Hausprälaten, 1875 zum fürsterzbischöflichen Konsistorialrat in Wien ernannt. In seinen zahlreichen Schriften, Kapuzinaden gröbsten Stils, bekämpft B. mit ultramontanem Fanatismus alle Erscheinungen des modernen Lebens. Wir nennen: das didaktische Gedicht »Die Welt ein Epos«, eine geistlose Verketzerung der Philosophie (Wien 1844; 4. Aufl., Regensb. 1857); die gegen die politischen, literarischen und religiösen Zustände gerichteten Dichtungen: »Der Nebeljungen Lied« (das. 1845, 4. Aufl. 1891) und »Der deutsche Hiob« (2. Aufl., das. 1846; daraus besonders abgedruckt: »Johannes Ronge, der Luther des 19. Jahrhunderts«); ferner »Blöde Ritter. Poetische Galerie deutscher Staatspfiffe« (das. 1848); mehrere Romane, die skandalösen »Keilschriften« (Wien 1856); »Woher? Wohin?«, eine Art Selbstbiographie (das. 1855, 2 Bde.; 3. Aufl. 1891). Später folgten Reisebeschreibungen, wie: »Kennst du das Land? Heitere Fahrten durch Italien« (Wien 1857), »Aus dem Venediger- und Longobardenland« (das. 1860), sowie historische Werke, wie: »Klemens Maria Hoffbauer und seine Zeit« (das. 1858), »Die theologische Dienerschaft am Hofe Josephs II.« (das. 1868), »Die Mysterien der Aufklärung in Österreich 1770–1800« (Mainz 1869), »Der Humor in der Diplomatie und Regierungskunde des 18. Jahrhunderts« (das. 1872, 2 Bde.), »Joseph II.« (Freiburg 1874, 5. Aufl. 1885), »Ein Benediktinerbuch«, Geschichte etc. der Benediktinerstifter (Würzb. 1830), »Ein Cistercienserbuch« (das 1881), »Ein Chorherrenbuch« (das. 1883) und Schmähschriften gegen Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Schopenhauer, Börne, Heine etc. Nicht ohne Interesse für die Kunstgeschichte sind: »Die Kunstgenossen der Klosterzelle« (Wien 1863) und »Heitere Studien und Kritiken in und über Italien« (das. 1866, 2 Bde.). Auch gab B. die »Correspondances intimes de l'empereur Joseph II avec son ami le comte de Cobenzl et son premier ministre le prince de Kaunitz« (Mainz 1871) heraus. Seine »Gesammelten Erzählungen und poetischen Schriften« erschienen in 18 Bänden (Regensb. 1863–77, neue Ausg. 1890ff.). Vgl. Scheicher, Seb. B., ein Lebensbild (Wien 1888)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 9, Nr. 58/59, S. 232. -- 1856-12-21

In Rom wird der Sicherheitszustand immer bedenklicher. Es stellt sich nach polizeilichen Berichten heraus, dass der dritte Mann immer ein Spitzbube ist.


1857



Abb.: Aus dem inneren Asien. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 10, Nr. 3, S. 12. -- 1857-01-18

"Bei den stets fortschreitenden Erfolgen Russlands von der einen und Englands von der andern Seite zu dem Zweck, das herrliche Asien aus den Banden der Barbarei und des Heidentums zu erlösen, lässt sich ein Zusammenstoß beider christlicher Mächte nicht gut vermeiden" (Köln. Ztg.)



Abb.: Wie die Schwaben Anhänger ´der strengen Kirchenzucht werden. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 10, Nr. 11, S. 44. -- 1857-03-08

Pastor: Kerl, Er sieht schon eine halbe Stunde zu, wie wir uns quälen; kann er nicht helfen den Wagen herausarbeiten?
Bauer: Noi, Herr Pastor! Heut ischt Sonntag, da derfe mer nit arbeite; aber ich will 'mal beim Pfarrgemeinderat in Heilbronn anfrage gehe.



Abb.: Wer hat nun Recht? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 10, Nr. 18, S. 72. -- 1857-04-19

Da schreien nun die Jesuiten, dass die Steinkohlen, Eisenbahnen, usw. reines Teufelswerk sind; und in Rom lässt der Papst1 eine Eisenbahn bauen und stellt sich an die Spitze der Gesellschaft. Wenn man das liest, möchte man wirklich des Teufels werden. Wer hat nun Recht, der Papst oder die Jesuiten?

Erklärung:

1 d. i. Pius IX., Papst von 1846 - 1878


1858



Abb.: Karnevals-Bilder. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 11, Nr. 9, S. 36. -- 1858-02-21

Der Oberpfarrer Frantz in Sangerhausen bemüht sich, um seine Zwecke zu fördern, die Erde festzubannen und die Sonne um sie herum zu drehen. Dagegen setzt irgendwo anders Jemand Himmel und Erde in Bewegung, um ebenfalls seine Zwecke zu fördern.

Erklärung:

Bezieht sich auf:

Frantz, A. (Anton): Die Prätensionen der exacten Naturwissenschaft beleuchtet und mit polemischen Glossen wider Herrn Professor Dr. Schleiden begleitet. -- Nordhausen, Büchting, 1858. -- 136 S.  : 8°



Kosmopolitische Ansicht von Vorarlberg. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 11, Nr. 11, S. 100. -- 1858-05-30

Frei nach einer Katheder-Äußerung des Paters Burgstaller über A. von Humboldt



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 11, Nr. 44/45, S. 176. -- 1858-09-26

In Rothenmoor zerbricht man sich stark die Köpfe über die wichtige Frage: Wer ist ein Ketzer

Erklärung:

Rothemoor, Gemeinde Dahmen, Mecklenburg-Vorpommern

"Eine Versammlung von strengen Lutheranern, Geistlichen u. Laien am 18. August 1858 auf dem Gute Rothenmoor erregte wegen der im Geiste der Unduldsamkeit geführten Verhandlungen, welche sich unter Anderem auch um die Frage drehte, wer ein Ketzer sei, Aufsehen u. hatte zur Folge, dass beim nächsten Landtage zu Malchin im Nov. d.i. der Antrag gestellt wurde, die Landesversammlung möge an die Landesherren die Bitte ergehen lassen, sie möchten als Oberbischöfe des Landes die Prediger u. Lehrer der christlichen Religion ermahnen, sich ihres Berufes, die Nächstenliebe zu lehren u. zu verbreiten, recht angelegen sein zu lassen. Dies gab Veranlassung zu sehr stürmischen Szenen in der Landesversammlung. In der Baumgartenschen Angelegenheit fasste der Landtag den Beschluss, dass die Stände durch die in der Baumgartenschen Sache gefasste großherzogliche Entschließung ohne vorhergegangenes kirchenordnungsmäßiges Verfahren u. durch die ausgesprochene Verurteilung der Lehren desselben ihre Rechte verletzt hielte u. aus eigenem Antriebe für denselben die Einleitung des kirchenordnungsmäßigen Verfahrens beantragte, während dagegen neun Mitglieder eine Erklärung zu Protokoll gaben, worin sie der Regierung für ihr Verfahren in dieser Sache dankten."

[Quelle: Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe.  -- 4., umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. -- Altenburg: Pierer, 1857 - 1865. -- 19 Bde. -- Bd. 11, S. 55. -- Online: http://www.zeno.org/Pierer-1857/A/Mecklenburg+%5B2%5D. -- Zugriff am 2007-12-22]


Old Mecklenburg for ever. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 11, Nr. 55, S. 219. -- 1858-11-28

Das war die Synode von Rothenmoor,
Die macht dem Landtag Schrecken;
Die Maltzans1 halten die Lanzen vor,
Die alten Hünen-Recken.

Das war der Plüskow2 heißes Blut;
So mannlich unerschrocken
Warf es den Handschuh hin voll Wut
Dem kalten Blut der Poggen3.

Wie haben sie durcheinander geschrie'n
Wie zornentbrannt gewettert!
Wie ritterlich und homerisch kühn
Einander behundsföttert!

Sie haben einander coramiert,
Touchiert und revocieret,
Wie krasse Füchse4 sich geriert
Und scheußlich nachtouchieret.

Das hohe Directorium,
Es focht mit Beinen und Armen;
Die Zöpfe hingen noch vorn herum --
Es war zum Steinerbarmen!

Der Landtag wusste nicht, was zu tun:
Das war ihm zu persönlich;
Er ließ die Arm' und Beine ruhn,
Den Kopf auch -- wie gewöhnlich.

O fromme Synode von Rothenmoor,
Was machst du uns für Schrecken?
Du hast vergiftet den ganzen Humor
Der tapfern Malchiner5 Recken!

Erklärungen:

siehe zum Vorhergehenden.

1 Maltzan: Herren von Rothenmoor

2 Plüskow: mecklenburgisches Adelsgeschlecht; die hier gemeinte Person kann ich nicht identifizieren

3 Pogge: mecklenburgische Familie

4 Füchse = neue Mitglieder einer Studentenverbindung

5 Malchin: Stadt in Mecklenburg-Vorpommern



Abb.: Variationen á la Schlippenbach1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 11, Nr. 55, S. 220. -- 1858-11-28

Die Mucker2 kreischen und die Junker schrei'n,
Kreuzspinne3 ihre Kreise langsam zieht;
Die Eulen klagen: Weh der Tag bricht an!

Erklärungen:

1 Albert Ernst Ludwig Karl Graf von Schlippenbach (1800 - 1886): dichtete Lieder, besonders Studentenlieder

2 Mucker: "Spottname für die Anhänger einer ungesunden und exklusiven Frömmigkeit." [Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Kreuzspinne = Kreuzzeitung (Neue Preußische  Zeitung)


1859


O sancta Simplicitas1 <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 12, Nr. 26, S. 101. -- 1859-06-05

Sprich, Pfäfflein, wie denkst Du am heutigen Tage
Von unsrer verzwickten politischen Lage?
"Ich halte bei meinen Schäflein Wache
Und denke: es siegt doch die gute Sache!
Und welcher als Sieger hervor wird treten,
Für den will als treuer Hirte ich beten.
Sie meinen es ja auf dem Kriegstheater
Doch alle so gut mit dem heiligen Vater:
Zu Leide tut keiner dem Guten was" -- -- --
O sancta, sancta Simplicitas!

Erklärungen:

Bezieht sich auf den Krieg zwischen Frankreich + Sardinien-Piemont und Österreich um Norditalien.

1 (lateinisch) = O heilige Einfalt!



Abb.: Hirtenbriefe. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 12, Nr. 51/52, S. 208. -- 1859-11-06

Szene aus dem neuen Arkadien.

Erklärung:

"Hirtenbrief (Pastoralschreiben), Circularschreiben eines katholischen Bischofs od. eines obersten evangelischen Geistlichen an die ihm untergebene Geistlichkeit über kirchliche od. seculare Gegenstände."

[Quelle: Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe.  -- 4., umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. -- Altenburg: Pierer, 1857 - 1865. -- 19 Bde. -- s.v.]


An unsre lieben Paderborner. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 12, Nr. 57, S. 225. -- 1859-12-11

Gelesen haben wir mit Schmerz
Die rührenden Adressen,
Und alles Leid, das euer herz
Durchdolcht, gar wohl ermessen.
Wir wollen auch, ihr frommen Herrn,
Euch kondolieren herzlich gern,
Und hälfen euch noch gerner --
Ihr lieben Paderbörner!

Wir sind verpflichtet, eurem Weh
Zu steuern! -- Warum? Darum!
Wir haben ja die Bulle "de
Salute animarum!"1
Ja wir, ein protestant'scher Staat,
Wir schlossen einst ein Konkordat1
Und denken dess' auch ferner --
Ihr lieben Paderbörner!

Wir sind verpflichtet, gegen die
Kathol'schen Staatgewalten,
Wir Ketzer, gegen Anarchie
Den röm'schen Stuhl zu halten!
Geduld! Geduld! wir stoßen gleich
Für des heil'gen Vaters weltlich Reich
In unsre Kriegeshörner --
Ihr lieben Paderbörner!

Wir ziehen ihm zu Hilfe aus,
Ist's auch nicht heut und morgen!
Wir haben erst im eignen Haus
Noch Einiges zu besorgen.
Und bis dahin fällt, glaubt es nur,
In der Geschichte Stundenuhr
Wohl manches Hundert Körner --
Ihr lieben Paderbörner!

Auch fehlen uns zum Kriege bloß
Ein Taler und acht Groschen!
Sind die erst da, dann geht es los,
Dann tapfer drauf gedroschen!
Dann geht im Rosinantentrott
Ganz Deutschland drauf, als Don Quixote,
Und zwar als ganz moderner --
Ihr lieben Paderbörner!

Einstweilen fasst euch mit Bedacht,
Und bombardiert indessen
Des bösen Feindes Übermacht
Mit feurigen -- Adressen!
Denkt: Jedem ist sein Ziel gesetzt;
Auch Satanas läuft noch zuletzt
Sich selber ab die Hörner --
Ihr lieben Paderbörner!

Kladderadatsch.

Erklärungen:

1 De salute animarum: Zirkumskriptionsbulle vom 1821-06-16 für Preußen von Papst Pius VII., am 1821-08-23 erhält sie königliche Billigung und Sanktion.


In: Kladderadatsch. -- Jg. 12, Nr. 57, S. 226. -- 1859-12-11

Der Geistl. Rat und Pfarrer, Lic. Wick zu Breslau veröffentlicht in Nr. 566 der Schlesischen Zeitung einen Erlass "an die katholischen Männer in der Provinz Schlesien," betreffend die Beitrittserklärungen zu der Adresse an an den Papst, in welchem er vor den Bestrebungen der Gegner dieser Demonstration und vor den "aberwitzigen Schreckmitteln" warnt, wodurch diese "Katholiken von Kopf und Herz verführen zu können wähnen," womit man aber "höchstens Gimpel fängt."

Notwendige Erklärung.

Der Gimpel (dieses Vögelein
Heißt Loxia Pyrrhula auf Latein)
Wird, wie wohl männiglich bekannt
Zu Deutsch -- Dompfaffe auch genannt.

Die ornithologischen Gelehrten des Kladderadatsch.

Dr. Gotthilf Heinrich von Schubert1, der Stolz und die Wonne aller christlichen Naturforscher, bemerkt in seinem "Lehrbuch der Naturgeschichte für Schulen und zum Selbstunterricht" (11. Auflage S. 319): "Bei diesem Vogel ist es ganz gut, wenn man immer nur bei dem bleibt, was er auswendig gelernt hat, und von eignem Senfe so wenig als möglich hinzutut. Denn sein eigner Gesang ist gar zu einfach und gleicht nur den auf- und niederknarrenden Tönen einer Türe" etc. etc.

Erklärung:


Abb.: Pyrrhula pyrrhula = Gimpel = Dompfaff, Männchen
[Bildquelle: Wikipedia]

1 Gotthilf Heinrich von Schubert

"Gotthilf Heinrich von Schubert (* 26. April 1780 in Hohenstein; † 30. Juni 1860 in Laufzorn bei München) war ein deutscher Arzt, Naturforscher und Naturphilosoph der Romantik. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet „Schub.“.

Leben

Er begann zuerst Theologie zu studieren, wechselte aber 1801 zur Medizin und ließ sich anschließend als praktizierender Arzt in Altenburg (Thüringen) nieder. Er gab seine Praxis allerdings auf und widmete sich in Dresden einer freien wissenschaftlichen Tätigkeit. 1809 wurde er Direktor der Realschule in Nürnberg, 1816 Erzieher der Kinder des Großherzogs Ludwig von Mecklenburg-Schwerin in Ludwigslust.

Er hielt vielbeachtete Vorträge über die Nachtseiten der Naturwissenschaft (animalischer Magnetismus, Hellsehen, Träume). 1819 bekam er in Erlangen einen Lehrstuhl für Naturgeschichte. Er las dort u. a. über Botanik, Geognosie, Mineralogie und Forstwissenschaften und wechselte 1827 letztmalig seinen Wohnort, da er als Professor für Allgemeine Naturgeschichte nach München berufen wurde, wo er in Lorenz Oken einen erbitterten Gegner fand. 1836/1837 leitete er eine Expedition nach Palästina, wo zoologisches und botanisches Material gesammelt wurde. Dabei wurde auch die Erkenntnis gewonnen, dass es sich beim Toten Meer um eine knapp 400 m tiefe Depression handelt.

Schubert galt als Genie der Freundschaft.

Werk

Sein Interesse galt einer religiös fundierten Gesamtdeutung des Kosmos. Sein 1814 erschienenes Hauptwerk Die Symbolik des Traumes gehörte zu den einflussreichsten Büchern seiner Zeit, dessen Wirkung über E.T.A. Hoffmann bis zu Sigmund Freud und C.G. Jung reicht. Angeregt von den Philosophen der Romantik, erschloss Schubert seinen Schülern im Verweis auf die Spuren Gottes in der Natur und in der menschlichen Seele ein „erweckliches Christentum“ von ökumenischer Weite. Durch seine Synthese von einfachem Bibelglauben und Schellingscher Naturphilosophie wurde er schließlich zu einem erfolgreichen Überwinder der Spätaufklärung. In seinem 1830 erschienenen Werk Die Geschichte der Seele, unternahm Schubert einen letzten Versuch, die romantisch-idealistische Natur- und Kulturphilosophie Herders und Schellings einer christlichen Gesamtdeutung zu unterziehen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Gotthilf_Heinrich_von_Schubert. -- Zugriff am 2007-12-23]



Abb.: Von der Donau. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 12, Nr. 58, S. 232. -- 1859-12-18

Dass die Büros nur bis drei Uhr geheizt werden, ist schon ganz gut. Aber nun das Licht! Mit dem Licht treiben's doch einen argen Luxus. Blasen wir's aus; man kann ja im Finstern auch sehen!


1860



Abb.: Zeitrevue. -- In: Kladderadatsch-Volkskalenders für das Jahr 1860

"Hier kommt die arge Klerisei —
Der Alp, der dir die Brust bedrückt,
Das Herz zerstückt, den Kopf verrückt,
Mit Nacht das Auge dir bedeckt,
Der Zwietracht Brand ins Haus dir steckt.
Du hast von ihm gar arg gelitten!
Zwar hab' ich ihn schon stark beschnitten:
In Welschland hab ich ihm zuletzt
Den Daumen auf das Aug' gesetzt.
Doch hilft das nichts: ihm wachsen wieder,
Gleich wie dem Bandwurm, neue Glieder,
Sodass er jedes Schnittes spottet,
Solang das Haupt nicht ausgerottet."

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 108.]


Eine Paraphrase. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 4, S. 15. -- 1860-01-22

(Vgl. Voss. Ztg. No. 16, p. 6-7.)

Sie haben sich zusammengesellt,
Geschrieben erzbischöflich,
Dem Herren ein Aut-Aut1 gestellt,
Und zwar nicht allzuhöflich:
Bring', um zu stützen Petri Stuhl,
Ein Heer schnell auf die Sohlen,
Und stürze in den Höllenpfuhl
Die bösen Romagnolen.

Du zahlst an Talern für den Dom
Uns fünfzig Tausend jährlich;
Zweihundertmal soviel an Rom,
Scheint uns nicht zu begehrlich.
Es blieb ja von der Kriegsanleih'
Zurück ein hübsches Restchen;
Das gib der biedern Klerisei,
Ihr Reich neu zu befest'gen.

Bedenke, mit dem heil'gen Sitz
Auch wanken andre Sitzchen;
Scheu'n Ketzer auch nicht Petri Blitz,
So scheu' doch unser Blitzchen.
Ein gutes Drittel der Nation
Muss sich an uns anklammern;
Mit der katholischen Fraktion
Beherrschen wir die Kammern.

O seht nur, wie mit frommer Wut
Die Gläub'gen sich bewegen,
Und mit erhabnem Opfermut
Uns bringen ihr Vermögen.
Wie lang' ist schon der Brief spediert,
Wie leserlich geschrieben!
War er auch nicht recommandiert2 --
Wo ist die Antwort blieben?

Und gibt sie keine Antwort nicht,
Die säumige Regierung --
So schreibt das Aachner Kirchenlicht
In tragikomischer Rührung:
Dann wehe dir mit Mann und Maus,
Du ketzerischer Preuße!
Mit deiner Großmacht ist es aus,
So wahr ich -- Prisac3 heiße!

Erklärung:

1 aut-aut (lateinisch) = entweder - oder

2 recommandiert = eingeschrieben

3 Wilhelm Prisac (1803 - 1870): war 1846 Pfarrer zur Hl. Adelgunde in Rheindorf im Dekanate Solingen.



Abb.: Die traurige Geschichte vom armen Gimpel. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 6, S. 22. -- 1860-02-05



Abb.: Ein Artikel im Stil der Wiener Kirchenzeitung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 7, S. 26. -- 1860-02-12


Müder Stoßseufzer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 10, S. 39. -- 1860-02-26

Wie müssen wir klagen, wie müssen wir jammern,
Zu sitzen in konstitutionellen Kammern!
So erringen wir nimmer, was wir verloren,
Wir sind zwei Jahrhunderte zu spät geboren!

Statt mit Reformjuden uns herumzuschlagen,
Ergötzten wir dann uns an peinlichen Fragen;
Statt ein schlecht Ehegesetz zu zerschmeißen,
Verurteilten wir zum Stäupen und Zangenreißen.

Oh Uhlich1, o Uhlich, du schlechter Gesell,
Wie gern traktierten wir dich, wie einst Crell2!
Viel lieber als um Dissidenten zu streiten
Würden wir Ihnen Servet's3 Schicksal bereiten.

Viel lieber als schändliche Messaliance
Bereiteten den Bauern wir andern Tanz:
Bei Jagdfrond sie lustig mit Peitschen zu schlagen,
Auf ihren Feldern und Äckern zu jagen.

Die Ehebrecher -- es ist unerhört --
Traktiert man nicht mehr mit Hürde und Schwert!
O heiliger Stryck3 -- man will es gestatten,
Dass sie sich erwählen 'nen anderen Gatten!

Nicht mal 'nen Juden man mehr verbrennt,
Zu Schulzen und Schöffen man gar sie ernennt!
Erlöste doch aus so antichristlichem Jammer
Uns unser Evangelium -- der Hexenhammer4!

Etliche theologische Rechtsgelahrte.

Erklärungen:

1 Leberecht Uhlich (1799 - 1872)

"Uhlich, Leberecht, freigemeindlicher Theolog, geb. 27. Febr. 1799 in Köthen, gest. 23. März 1872 in Magdeburg, ward 1824 Prediger in Diebzig bei Aken, 1827 in Pömmelte bei Schönebeck und 1845 an der Katharinengemeinde in Magdeburg. Er gab die Veranlassung zu den Versammlungen der »protestantischen Freunde« (s. ð Freie Gemeinden) seit 1841 und ward, da er das apostolische Symbol bei der Taufe nicht nach Vorschrift der Agende anwendete, 1847 suspendiert, worauf er aus der Landeskirche trat und Pfarrer der Freien Gemeinde in Magdeburg wurde. Als solcher hat er fortwährend in Konflikt mit den Behörden und oft als Angeklagter vor Gericht gestanden. 1848 war er Mitglied der preußischen Nationalversammlung. Sein Hauptorgan war das »Sonntagsblatt«; von seinen Schriften nennen wir: »Bekenntnisse« (4. Aufl., Leipz. 1846); »Sendschreiben an das deutsche Volk« (Dess. 1845); »Die Throne im Himmel und auf Erden« (das. 1845); »Das Büchlein vom Reiche Gottes« (ein Katechismus, Magdeb. 1845 u. ö.); »Sonntagsbuch« (Gotha 1858); »Handbüchlein der freien Religion« (7. Aufl., Berl. 1889). Sein Leben hat er selbst beschrieben (Gera 1872)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Nikolaus Crell

"Crell, Nikolaus, kursächs. Kanzler, geb. um 1551 in Leipzig, studierte seit 1571 die Rechte und wurde 1580 zu Dresden Hofrat und Sekretär des Kurprinzen Christian, der ihn nach seinem Regierungsantritt 1586 zum Geheimrat und 1589 zum Kanzler erhob. Vom Adel und der Kurfürstin Sophie als Emporkömmling gehasst, zog er sich durch seinen Widerstand gegen die lutherische Orthodoxie und durch Besetzung hoher geistlicher Ämter mit Kryptocalvinisten, durch Einführung eines neuen Katechismus, durch Veranstaltung einer Bibelausgabe mit Glossen (der sogen. Crellschen) auch den Haß des Volkes zu. Als 1591 nach Christians Tode Herzog Friedrich Wilhelm von Weimar, ein eifriger Lutheraner, die vormundschaftliche Regierung übernahm, ward C. gestürzt und auf dem Königstein 4 Jahre gefangen gehalten. Erst im August 1595 brachte man eine Anklageschrift gegen ihn zustande. Seinen Freunden hatte C. insgeheim eine Instruktion zukommen lassen, wonach seine Gattin beim Reichskammergericht in Speyer eine Beschwerde wegen verzögerten Rechtsganges einreichte, worauf dieses wiederholte Mandate zu Crells gunsten erließ. Allein die sächsische Regierung bestritt die Kompetenz des Reichsgerichts. Durch kaiserliches Reskript vom 2. Mai 1601 wurde der Prozeß den kursächsischen Gerichten überwiesen, aber diese überließen das Urteil der böhmischen Appellationskammer zu Prag. Auf deren Spruch fällte der Administrator über C. das Todesurteil, das am 9. Okt. 1601 zu Dresden vollstreckt wurde. Vgl. Richard, Der kurfürstlich sächsische Kanzler Nikolaus C. (Dresd. 1859, 2 Bde.); Brandes, Der Kanzler C., ein Opfer des Orthodoxismus (Leipz. 1873)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Samuel Stryk (auch: Sticke, Stryck) (1640 - 1710): deutscher Jurist. Sein Werk Speciem usus moderni Pandectarum (1690) wurde zum Namensgeber für eine ganze Epoche der europäischen Rechtswissenschaft, usus modernus pandectarum, der Praxis und Wissenschaft des römischen Rechts in seiner Anwendung in Kontinentaleuropa.

4 Hexenhammer: Malleus Maleficarum von Heinrich Kramer (lat. Henricus Institor) aus dem Jahr 1486, bis ins 17. Jahrhundert hinein in 29 Auflagen erschien. Darin wird die Hexenverfolgung legitimiert.


Mignon-Cavour1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 12, S. 45. -- 1860-03-11

Kennst du da Land, wo Konkordate blühn,
In heißem Grimm Kapuz' und Kutte glühn,
Ein eis'ger Wind vom kalten Norden weht,
Der Lorbeer schlecht, doch hoch das Silber steht?
Kennst du es wohl? Dahin, dahin
Möcht' siegend ich mit dir, mein Victor ziehn!

Kennst du das Haus? -- es wankt sein Säulendach;
Verlässt's der "Freund", so stürzt es mit Gekrach,
Der Papa2 fleht zum kalten Marmormann --
Was hat man dir, du armer Greis getan?
Kennst du es wohl? Dahin, dahin
Möcht' ich mit dir, o du Befreier, ziehn!

Kennst du den Berg mit seinem Lavasteg?
Im finstern sucht der Späher seinen Weg;
Die Asche deckt des alten Grimmes Glut,
Doch stets tobt der Vulkan mit neuer Wut.
Kennst du es wohl? Dahin, dahin
Lasst uns den Weg, und nicht den kürzern ziehn!

Erklärung:

Parodie auf Goethe's Ballade "Mignon": "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn ..." (Ausgabe letzter Hand 1827)

1 Camillo Benso Conte di Cavour (1810 - 1861): Staatsmann, der die Italienische Einheit vorantrieb, Architekt der italienischen Verfassung, erster Ministerpräsident des neuen Königreiches Italien.

2 Papa = Papst Pius IX., Herrscher über den Kirchenstaat



Abb.: Wie sich Schultze denkt, dass Lamoricière1 zur Büchse greift, um für den Papst zu fechten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 19, S. 76. -- 1860-04-22

Erklärung:

1 Christophe Leon Louis Juchault de Lamoricière (1806 - 1865)


Abb.: Christophe Leon Louis Juchault de Lamoricière
[Bildquelle: Wikipedia]

"Lamoricière (spr. -rißjǟr'), Christophe Leon Louis Juchault de, franz. General, geb. 5. Febr. 1806 in Nantes, gest. 10. Sept. 1865, trat in das Geniekorps. Beim Ausbruch der Revolution von 1830 wurde er als Leutnant zur Armee von Algerien versetzt. Er ward 1840 Gouverneur der Provinz Oran, befehligte die siegreichen Expeditionen 1842 nach Maskara und 1844 nach Marokko und wurde während Bugeauds Abwesenheit in Frankreich 1845 zum provisorischen Generalgouverneur von Algerien und infolge der Expedition nach Tlemsen im Oktober 1846 zum Generalleutnant ernannt. In die Kammer gewählt, schloss er sich der dynastischen Opposition an. Ende 1846 ging er zum drittenmal nach Algerien und nahm 1847 teil an der Expedition gegen Abd el Kader, der sich ihm 22. Dez. als Gefangener ergab. 1848 Oberbefehlshaber der Nationalgarde, ward L. zugleich Mitglied der Nationalversammlung, wo er sich zu der Partei Cavaignacs hielt. Beim Juniaufstand 1848 kommandierte er den Angriff gegen die Barrikaden des Bastilleplatzes und des Faubourg St.-Antoine. Unter der Administration Cavaignacs ward er Kriegsminister und blieb es bis 20. Dez. 1848. Beim Staatsstreich 2. Dez. 1851 ward er verhaftet und über die Grenze gebracht. Seitdem hielt er sich in Deutschland, Belgien und England auf, bis er 1857 die Erlaubnis zur Rückkehr nach Frankreich erhielt. Am 7. April 1860 zum Kommandeur der päpstlichen Armee ernannt, trat er der beginnenden Insurrektion im Kirchenstaat zwar energisch entgegen, verlor aber 18. Sept. gegen den sardinischen General Cialdini die Schlacht bei Castelfidardo und mußte 29. Sept. die Festung Ancona übergeben. Er zog sich nun in das Privatleben zurück. Vgl. Keller, Le général de L., sa vie militaire, politique et religieuse (Par. 1873, 2 Bde.; neue Ausg. 1891); Rastoul, Le général de L. (das. 1894); Flornoy, Lamoricière (das. 1903, in der Sammlung »Les grands hommes de l'Église au XIX. siècle«)"

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Der Jude soll nicht mit singen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 20, S. 78. -- 1860-04-29

"So z.B. habe ich gehört, dass Juden und Jüdinnen in der Messe von Beethoven mitsingen." (Abg. von Blanckenburg1 im Hause der Abgeordneten, 11. Sitzung)

Es soll vor allen Dingen
Der Jude nicht mit singen.
Was schert ihn der Beethoven?
Soll alte Kleider koofen!
Es hat für ihn die Messe
In Leipzig nur Interesse!
Auch soll sich nicht erfrechen
Der Jude mitzusprechen.
Der Jude soll nicht brummen,
Der Jude soll verstummen,
Der Jude soll verkrummen,
Der Jude soll verdummen!
Er soll nicht renitieren,
Wenn wir ihn malträtieren;
Der Jude soll nicht mucken,
Nicht blinzeln und nicht gucken;
Der Jude soll parieren,
Nicht dichten, komponieren,
Nicht denken und nicht schreiben,
Nicht Wissenschaften treiben,
Nicht bauen, meißeln, malen:
Der Jude soll -- bezahlen!

Erklärung:

1 Moritz Karl Henning von Blanckenburg (1815 - 1888)

"Blanckenburg, Moritz Karl Henning von, konservativer Politiker, geb. 25. Mai 1815 auf dem Familiengut Zimmerhausen in Pommern, gest. daselbst 3. März 1888, studierte die Rechte, verließ aber 1843 den Justizdienst, um die Verwaltung der väterlichen Güter zu übernehmen. 1851–73 Mitglied des Abgeordnetenhauses, 1867–73 auch des norddeutschen und deutschen Reichstags, schloss er sich der äußersten Rechten an und ward allmählich ihr Führer. Als Bismarck den Kampf gegen die römische Hierarchie begann und die Gesetze über Schulaufsicht, Zivilehe u. a. vorlegte, zog sich B. vom politischen Leben gänzlich zurück, da er sich an dieser Politik des ihm befreundeten Reichskanzlers nicht beteiligen mochte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


An ††† in Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 22/23, S. 86. -- 1860-05-13

Die Schäflein sollst du suchen, die verirrten,
Mit Liebe hüten die vertraute Herde,
Sollst wachen, dass der Wolf sie nicht gefährde,
Und schirmen sie -- so ziemt's dem guten Hirten.

Des Hirten Auge ist an allen Ecken,
Des Hirten Stimme hält vereint die Massen;
Und will der böse Geist sich blicken lassen,
So jagt ihn in die Flucht des Hirten Stecken.

So ist es Brauch, so weit die Menschen wohnen,
Si ist's vor tausend Jahren schon gewesen,
Und niemals hab ich in der Schrift gelesen,
Dass man die Schafe weide -- mit Kanonen!

Erklärung:

Bezieht sich auf Frankreichs und des Papstes Versuch, mit Waffengewalt den Kirchenstaat gegen die nationale Einigung Italiens zu schützen.


Tetzel1 in Berlin. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 29/30, S. 114. -- 1860-06-24

Es ruft das märkische Kirchenblatt
Lautjubelnd in alle Winde:
"Es hat in Berlin, der gottlosen Stadt,
Sich geschart das Weibsgesinde.

Es hat, von frommem Feuer entflammt,
Gebildet eine Verein'gung,
Eine neue Art von Tetzel-Amt
Zu Tetzels Ehrenrein'gung. --

Zu Tetzels, des vielgeschmähten Manns,
Der einst auch die Mark durchreiste
Und gewirkt hat für Sankt Peters Glanz
Mit heiligem Kastengeiste.

Dem neuen Tetzel bringen herbei
Die Mägdlein Ablasssteuer
Und kaufen sich von Sünden frei
Und von dem höllischen Feuer.

Und was ein Mägdlein sündigt hier
Mit Kürass und Musketieren,
Der neue Tetzel muss es schier
In Gnaden absolvieren.

Sie bringt den Peterspfennig mit,
Den sie erschwänzelt eben;
Und was sie sündigt in Moabit,
Wird ihr in Rom vergeben.

Erhebt euch drum vom Sündenpfuhl,
Ihr andern Stadtbewohner,
Und seht, wie um Sankt Peters Stuhl
Sich scharen Küchen-Dragoner!" -- --

So ruft das märkische Kirchenblatt,
Und Luthers Frevel rächt sich
Trotz Doktor Stahl2 in unsrer Stadt
Anno 1860.

Erklärungen:

1  Johann Tetzel (1465 - 1519): berüchtigter Ablasshändler

"Tetzel, Johann, kath. Theolog, geb. um 1465 in Pirna (nicht Leipzig), gest. wahrscheinlich 4. Juli (nicht August) 1519 in Leipzig, trat um 1489 in den Dominikanerorden und wurde 1509 zum Inquisitor für Sachsen ernannt. Von 1504–10 predigte er den Ablass für den Deutschen Ritterorden in Sachsen, am Unterrhein, in Schlesien und Franken, seit 1514 den Ablass für die Peterskirche als Unterkommissar des Erzbischofs Albrecht von Mainz, bis Luther 31. Okt. 1517 mit seinen Thesen gegen das beim Ablasshandel eingerissene Unwesen auftrat. 1518 wurde T. in Frankfurt a. O. Doktor der Theologie. Dass er in Innsbruck wegen Ehebruchs zum Tode mittels Ersäufens verurteilt worden sei, ist Legende. Vgl. Kawerau, Sobald das Geld im Kasten klingt (Barm. 1890); Paulus, Johann T. (Mainz 1899)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Friedrich Julius Stahl (1802 - 1861)

"Stahl, Friedrich Julius, hervorragender Schriftsteller im Fache des Staatsrechts und Kammerredner, geb. 16. Jan. 1802 in München von jüdischen Eltern, gest. 10. Aug. 1861 in Brückenau, trat 1819 in Erlangen zur protestantischen Kirche über und habilitierte sich im Herbst 1827 als Jurist in München. In demselben Jahr erschien seine erste größere Schrift: »Über das ältere römische Klagenrecht« (Münch. 1827). Von Schelling angeregt, schrieb er: »Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht« (Heidelb. 1830–1837, 2 Bde. in 3 Abtlgn.; 5. Aufl. 1878), sein wissenschaftliches Hauptwerk, das trotz großer Mängel epochemachend für die Geschichte der Staatswissenschaft ist. S. trat darin der naturrechtlichen Lehre schroff entgegen und begründete seine Rechts- und Staatslehre »auf der Grundlage christlicher Weltanschauung«. 1832 ward S. zum außerordentlichen Professor in Erlangen, im November zum ordentlichen Professor für Rechtsphilosophie, Pandekten und bayrisches Landrecht in Würzburg ernannt. Später kehrte er nach Erlangen zurück und lehrte hier Kirchenrecht, Staatsrecht und Rechtsphilosophie. 1840 als Professor der Rechtsphilosophie, des Staatsrechts und Kirchenrechts nach Berlin berufen, 1849 von König Friedrich Wilhelm IV., der ihm seine Gunst zuwandte, zum lebenslänglichen Mitgliede der damaligen Ersten Kammer, des spätern Herrenhauses, ernannt, wurde S. hier und 1850 im Erfurter Parlament, dem er angehörte, der Hauptwortführer der Reaktion. Auch auf kirchlichem Gebiete benutzte er seine Stellung als Mitglied des evangelischen Oberkirchenrats (1852–58) zur Lockerung der Union, zur Stärkung des lutherischen Konfessionalismus und zur Erneuerung der Herrschaft der orthodoxen Geistlichkeit über die Laienwelt. Der politische Umschwung infolge der Erhebung des Prinz-Regenten und der Sturz des Ministeriums Manteuffel brachen auch Stahls Herrschaft im Oberkirchenrat und veranlassten 1858 seinen Austritt aus dieser Behörde. Von seinen Schriften sind noch hervorzuheben: »Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten« (Erlang. 1840, 2. Aufl. 1862); »Über Kirchenzucht« (Berl. 1845, 2. Aufl. 1858); »Das monarchische Prinzip« (Heidelb. 1845); »Der christliche Staat« (Berl. 1847, 2. Aufl. 1858); »Die Revolution und die konstitutionelle Monarchie« (das. 1848, 2. Aufl. 1849); »Was ist Revolution?« (1.–3. Aufl., das. 1852); »Der Protestantismus als politisches Prinzip« (das. 1853, 3. Aufl. 1854); »Die katholischen Widerlegungen« (Berl. 1854); »Wider Bunsen« (gegen dessen »Zeichen der Zeit«, 1.–3. Aufl., das. 1856); »Die lutherische Kirche und die Union« (das. 1859, 2. Aufl. 1860). Nach seinem Tod erschienen: »Siebenzehn parlamentarische Reden« (Berl. 1862) und »Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche« (2. Aufl., das. 1868). Vgl. die anonyme Schrift »Pernice, Savigny, S.« (Berl. 1862)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Neue Gäste. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 13, Nr. 48, S. 191. -- 1860-10-21

Hör', o Deutschland, frohe Kunde
Aus der Fama schnellem Munde:
Aus Neapel und Sizilien
Sind nebst andern Utensilien
Jetzt durch eines Mannes Kraft
Knall und Fall hinweggeschafft
Hundert Jesuiten.

Und du, Deutschland, sollst sie haben,
All' die netten schwarzen Knaben.
O, wie müssen sie dich lieben,
Dass sie dort hinweggetrieben,
Kommen flugs in deine Gauen,
Deine Herrlichkeit zu schauen --
Hundert Jesuiten.

Fratres ex societate1!
In des alten Fritzen Staate,
Dem verketzerten, verpönten,
Lassaulx-Brunnerlich1 verhöhnten,
Blüht euch Freiheit noch allein --
Kommt, ihr sollt willkommen sein,
Hundert Jesuiten!

Erklärungen:

1 Fratres ex societate (lateinisch) = Brüder aus der Gesellschaft [Jesu]

2 Lassaulx-Brunnerlich: kann ich nicht deuten


1861



Abb.: Dringende Bitte an edle Menschenfreunde. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 11, S. 43. -- 1861-03-10



Abb.: Irdische Unvollkommenheit. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 13, S. 52. -- 1861-03-24

In Österreich herrscht bekanntlich das innigste Verhältnis zwischen Staat und Kirche, doch leider keine Gütergemeinschaft.



Abb.: Eine Ballade im höheren Blödsinns-Stile. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 16, S. 62. -- 1861-04-07



Abb.: Aller Anfang ist schwer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 18, S. 72. -- 1861-04-21

Wiener Schnittzel ohne Worte.

Erklärung:

Am 1861-04-08 erlässt Kaiser Franz Joseph I. von Österreich das Protestantenpatent. Es sichert den Protestanten der Monarchie "die prinzipielle Gleichheit vor dem Gesetz und hinsichtlich der Beziehungen ihrer Kirchen zum Staate" zu.


Neuester Tiroler Jodler. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 29/30, S. 115. -- 1861-06-30

Wenn der Schnee von der Alma wega geht,
Und der Erzherzog an unsrer Spitze steht,
Darf kein Ketzer wagen
Hier die Gams zu jagen,
Nur katholisch sind wir allzumal.
Holdria, ia, ia, ia!

Als der Herrgott schuf der hohen Berge Pracht,
Hat katholischer dies schöne Land gemacht;
Darum soll hier Kaner,
Jud' noch Lutheraner,
Niederlassen sich an kanem Ort.
Holdria, ia, ia, ia!

Wenn der4 Schmerling1 uns mit Freiheit will vexier'n,
Lasst die Polizei sein Blattel konfiszier'n;
Denn wir sind tirolisch,
Fest und streng katholisch,
Und die Glaubenseinheit unsre Freud.
Holdria, ia, ia, ia!

Wenn die liebe Sonn' im Alpenglühen thront
Hoch auf unsern Bergen, wo die Freiheit wohnt,
Will's der Himmel schicken
Nur für Katholiken;
Und wie's Pfäfflein pfeift, so singen wir:
Holdria, ia, ia, ia!

Erklärungen:

1 Anton Ritter von Schmerling (1805 - 1893)

"Schmerling, Anton, Ritter von, österreich. Staatsmann, geb. 23. Aug. 1805, gest. 23. Mai 1893 in Wien, entstammte einer alten niederösterreichischen Adelsfamilie, studierte in Wien die Rechte, trat 1829 in den Staatsdienst und war 1846 bereits Appellationsrat. 1847 wählten ihn, dessen liberale Gesinnung und Gegnerschaft gegen das Metternichsche System bekannt war, die niederösterreichischen Stände in den Landtag, woselbst er die Interessen des Bürger- und Bauernstandes vertrat und für die Pressfreiheit wirkte. An der Bewegung der Märztage von 1848 hatte er lebhaften Anteil, war Mitglied der Deputation, die mit dem Hofe wegen einer Verfassung verhandelte und half bei der Organisation der Nationalgarde mit. Von dem neuen Ministerium wurde er im April 1848 nach Frankfurt gesandt, um hier als Vertrauensmann den Beratungen über einen neuen Verfassungsentwurf für Deutschland beizuwohnen. Nach Colloredos Rücktritt übernahm er 19. Mai 1848 für die letzten Wochen der Bundesversammlung das Präsidium. Von der Stadt Tulln in Niederösterreich in das deutsche Parlament gewählt, schloss er sich hier der Partei der konstitutionellen Monarchie an. Am 15. Juli von Erzherzog Johann zum Reichsminister ernannt, verwaltete er anfangs das Innere und Äußere, behielt aber nachher nur das letztere bei. Da er jedoch seinen großdeutschen, österreichischen Standpunkt energisch vertrat und von der preußischen Hegemonie nichts wissen wollte, entzweite er sich mit den meisten seiner bisherigen Parteigenossen, legte 15. Dez. 1848 sein Ministerium nieder und kehrte nach Wien zurück, welche Stadt ihn in den Kremsierer Reichstag entsandte. Von der österreichischen Regierung als Bevollmächtigter bei der Zentralgewalt nach Frankfurt zurückgesandt, arbeitete er nun als Führer der Österreicher in der Paulskirche dem preußischen Erbkaisertum eifrig entgegen. Nachdem dennoch 27. März 1849 die preußische Partei die Oberhand behalten, schied er Ende April aus der Versammlung und ging wieder nach Wien, wo er 28. Juli 1849 als Justizminister ins Kabinett Schwarzenberg eintrat und der Schöpfer der Geschwornengerichte wurde. Mit der von Schwarzenberg verfolgten reaktionären Politik nicht einverstanden, nahm er im Januar 1851 seinen Abschied und ward bald darauf Senatspräsident des obersten Gerichtshofs und 1858 Präsident des Oberlandesgerichts in Wien. Nachdem das föderalistische Oktoberdiplom auf Widerwillen in der Bevölkerung gestoßen war, wurde S. 13. Dez. 1860 zum Staatsminister ernannt und arbeitete die zentralistischen Staatsgrundgesetze für die Reichs- und die Landesvertretungen aus, die mit dem kaiserlichen Patent vom 26. Febr. 1861 bekannt gemacht wurden (s. ð Österreich, S. 198). Diese Februarverfassung stieß aber auf den Widerstand vorzüglich Ungarns, dem gegenüber S. eine unfruchtbare, abwartende Haltung einnahm, die sich in seinem Ausspruch: »Wir können warten!« ausdrückte. Aber auch in der westlichen Hälfte standen die Slawen in Opposition gegen den Reichsrat und die Verfassung. Die ungünstige Finanzlage des Reiches, die unsicher gewordene Stütze der Deutschliberalen und ein geschickter Vorstoß der ungarischen Adelspartei unter Moritz Esterházy, die den Kaiser zu einer Reise nach Pest bestimmte, brachten S. zu Falle. Zuerst wurde das ganze Ministerium entlassen (27. Juli 1865), dann auch (20. Sept.) die Februarverfassung sistiert. S. übernahm sodann die Würde eines ersten Präsidenten des obersten Gerichtshofs; 1861–65 war er auch Mitglied des böhmischen, 1861–67 des niederösterreichischen Landtags und ward 1867 lebenslängliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses, dessen erster Vizepräsident er wiederholt war, und in dem er seit 1879 die Opposition gegen das Taaffesche System führte. Am 11. Nov. 1891 trat er als Präsident des obersten Gerichtshofs in den Ruhestand und behielt nur das Kuratorium der Theresianischen Ritterakademie bei. Seinem politischen Liberalismus ist S. ebenso treu geblieben wie seiner gut österreichischen Gesinnung. Er hinterließ Memoiren, die noch nicht veröffentlicht sind. Ein Teil davon fand Benutzung durch A. v. Arneth, Anton Ritter von S. Episoden aus seinem Leben. 1835, 1848–1849 (Prag u. Wien 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 29/30, S. 116. -- 1861-06-30

Der heilige Vater prüft persönlich ein neu erfundenes Instrument, welches allen, die damit in Berührung kommen, den tiefsten Frieden verschafft, und freut sich innig über die Wirkungen desselben.

Erklärung:

Aufschrift auf der Kanone: "Pax vobiscum" (lateinisch) = "Friede sei mit euch!"



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 29/30, S. 117. -- 1861-06-30

Wir machen hiermit Freunden und Bekannten als Anzeige, dass unsere projektierte Verbindung glücklich zurüc1kgegangen ist.

Rom und Stuttgart.

K. Irche und S. Taat


Ein altes Kinderlied1 nach neuer königsberger Weise. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 32, S. 126. -- 1861-07-14

Ringel, Ringel, Rosenkranz2!
Ich geh' auf Kant'scher3 Weide
Und spinn' ästhet'sche Seide.
Mit Gut und Blut
In treuer Hut
Schirm ich das Fakultätsstatut.
Keine Katholiken
Soll man uns schicken!
Wie kann die Wissenschaft bestehn,
Wenn Professoren zur Messe gehn?

Ringel, Ringel, Rosenkranz!
Vivat die Glaubenseinheit
In protestant'scher Reinheit!
Ihr seht doch wohl,
Wie in Tirol
Man streitet für des Glaubens Wohl!
Apostel Hegels
Am Strand des Pregels4,
Sag' ich: durch Glaubenseinheit bloß
Wird unsre Albertina5  groß.

Erklärung:

1 altes Kinderlied:

"Ringeltanz der Kinder in Mähren.

[...]

Die Kinder drehen sich im Reigen und singen:

[...]

b. Aus Pralitz:

Ringel, Ringel, Rosenkranz!
Wir treten auf die Kette,
Dass die Kette klingen soll.
Ara, jara!
Sieben Jahr hat's geregnet,
Sieben Jahr sind schon da,
Angel Juljus dreh dich um!"

[Quelle: Böhme, Franz Magnus <1827 - 1898>: Deutsches Kinderlied und Kinderspiel : Volksüberlieferungen aus allen Landen deutscher Zunge / Gesammelt, geordnet und mit Angabe der Quellen, erläuternden Anmerkungen und den zugehörigen Melodien hrsg. Franz Magnus Böhme. -- Leipzig : Breitkopf & Härtel, 1897. -- LXVI, 756 S. ; 23 cm. -- S. 452.]

2 Karl Rosenkranz

"ROSENKRANZ, Johann Karl [Carl] Friedrich, evangelischer Theologe, Philologe und Philosoph, geheimer Regierungsrat, * 23.4. 1805 in Magdeburg, † 14.6. 1879 in Königsberg. - R. entstammt einer Königsberger Beamtenfamilie; sein Vater war Steuersekretär, verheiratet mit Marie Katharine Grüson. Nach dem Studium der Theologie (das R. jedoch bald aufgibt) und Philosophie in Berlin (1824), Halle (1826) und Heidelberg promoviert R. Anfang Februar 1828 in Halle bei Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs (1797-1861), der ihn zur Auseinandersetzung mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel (s.d.) anregte, mit einer Arbeit über Titurel im Vergleich zu Dantes Göttlicher Komödie; sie ist gleichsam der Grundstock für R.' Poesiegeschichte des Mittelalters (s.u.). Am 28. Juli verteidigt R. seine Habilitationsthesen über Baruch Spinoza (s.d., s.u.). Um 1830 gehört R. neben (s.d.) Albrecht Ritschl, Arnold Ruge, Hinrichs, Heinrich Leo und Ernst Theodor Echtermeyer der hegelianischen Gartengesellschaft (»Gesellschaft zum ungelegten Ei«) an. 1831 wird R. ao. Professor, 1833 dann Ordinarius für Philosophie und Lehrstuhlnachfolger Johann Friedrich Herbarts (s.d.) in Königsberg, wechselt dann 1848 (R. hatte die Märzereignisse im Königsberger Konstitutionellen Club begleitet) nach Berlin, wo er zum vortragenden Rat im Kultusministerium ernannt worden war (die Ernennung zum Kultusminister hatte R. ausgeschlagen); eine Tätigkeit, die er jedoch im darauffolgenden Jahr genauso wie sein erst 1849 erworbenes Abgeordnetenmandat für Memel und Tilsit im preußischen Landtag (R. vertritt das linke Zentrum) niederlegt und auf eigenen Wunsch an die Königsberger Universität zurückkehrt, wo er 1850, auf dem Höhepunkt seines philosophischen Schaffens, das Prorektorat und zeitweise auch die Aufgaben eines Kurators wahrnimmt. 1878 erlebte R., dessen zunehmende Sehschwäche zur fast völligen Erblindung führte, noch die Erneuerung seines Halle-Wittenberger Promotionsdiploms. - R. wirkte sowohl als (1.) Theologe wie auch als (2.) Philosoph und (3.) Germanist. - (1.) In seiner dreigliedrigen »Encyklopädie« (Enc., s.u.) mit ihrem spekulativen, historischen (biblische Theologie, Kirchengeschichte) und praktischen Teilen überwindet R. Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (s.d.) Theorie des Gefühls mit ihrem immanenten Widerspruch, Theologie philosophisch begründen und doch von der Philosophie unabhängig machen zu wollen, durch die Deutung von Theologie als spekulativ-vernünftiger Wissenschaft der Religion des reines Geistes (»Gnosis« statt »Pistis«), der ein dialektisches Verständnis des Denkens zugrundeliegt. Systematische Theologie (Dogmatik und Moral werden von R. als Disziplin mit Spekulation gefaßt) erhält bei R. die Leitfunktion zurück, die Schleiermacher ihr abrogiert hatte; ihre Relation zur historischen Theologie verhält sich nach R. wie das Wesen (»Idee«) zur Erscheinung von Religion. Der Praktischen als reinstem Resultat der spekulativen und historischen Theologie prognostiziert R. zunehmende Bedeutung als Theorie künftiger Gestaltung von Kirche; allerdings bleibt R. in der Einteilung dieser Disziplin noch hinter dem Entwurf Philipp Konrad Marheinekes (s.d.) zurück. Skeptisch steht R. vulgärrationalistischen Tendenzen gegenüber: 1845 weigert sich R., auf Veranstaltungen Johannes Ronges (s.d.) und des rasch populär werdenden Reformkatholizismus aufzutreten. - (2.) R. selbst rechnet sich zu den älteren Hegelianern und ist als sein Schüler auch Hegels erster Biograph. Seine Übertragung Hegelscher Kategorien auf die Theologie eröffnet ihr eine organische Struktur; ihre Anwendungen auf die Psychologie mutet dagegen skurril an und blieb nicht unwiderspruchen. Die Kontroversen um David Friedrich Strauß (s.d.) anlässlich dessen »Leben Jesu« und die Auseinandersetzungen mit den Berliner Hegelianern, die sich um die »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik« (JwK) sammelten und die sich am deutlichsten in den Modifikationen R.s in der zweiten Auflage seiner Enzyklopädie niederschlagen, verarbeitete R. sowohl in Komödienform (»Centrum«, [s.u.]) als auch in treffsicherer Kritik der Straußschen Terminologie; allerdings hat R. die Positionierung nicht soweit vollzogen, daß er dem Mitarbeiterkreis von Ruge, mit dem er aus Hallenser Tagen eng befreundet und in regem Schriftverkehr stand, und dessen linkshegelianischen »Hallischen Jahrbücher« hätte beitreten können. R.' Versuch, im idealistischen Geist aus der kantianischen Logik und im Rückgriff auf Aristotelisches die Dialektik Hegels weiterzuentwickeln schlägt sich in seiner »Aesthetik des Hässlichen« (s.u.) nieder, die den formalen und kategorialen Mittelteil seiner dreigliedrig gedachten Ästhetik (Das Schöne/Häßliche/Komische) im Sinne der aristotelischen Vorstellung zwischen Schönheit und Komik einnimmt. - (3.) Als Literaturhistoriker macht R. es sich zur Aufgabe, literaturästhetisch die Dichter und ihre Werke aus ihrer Zeit und Umwelt heraus zu begreifen und darzustellen: ein Konzept, das R. später durch die logisch-systematische Reflexion ersetzt und ihm dadurch Rechnung trägt, dass sein Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie durch »Die Poesie und ihre Geschichte« (s.u.) abgelöst wird. 1838 gründet R. in Königsberg den Dichterbund; Rudolf Gottschall (1823-1909) und Wilhelm Jordan (1818-1904) sind R.' exponierte Schüler."

[Quelle: Klaus-Gunther Wesseling. -- http://www.bautz.de/bbkl/r/rosenkranz_j_k.shtml. -- Zugriff am 2007-12-26]

3 Immanuel Kant war 1770 - 1796 Professor für Logik und Metaphysik an der Universität Königsberg

4 Pregel: Fluss, der durch Königsberg fließt

5 Albertina = Universität Königsberg


Im Jahr des Heils 1861. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 36, S. 143. -- 1861-08-11

Hör' was ich lese: "Dichte Volkesmassen
Hinwälzten sich zur heil'gen Tempelstätte.
Schlagt tot die Juden! schrie man um die Wette.
Die Juden tot! so heult es durch die Gassen.

Zur selben Zeit -- geschmiedet an die Kette
Sah man von Blutrichtern einen Greis man fassen,
Weil einem Ketzer, einem todesblassen,
Die Hostie er gereicht am Sterbebette!"

-- -- ""Halt ein! mich überläuft ein Graus, ein kalter!
Lies weiter nicht, mein Freund, vom Mittelalter,
Von böser fluchbeladnen Schreck-Epoche!"" ---

-- -- Du irrst, o Freund! Sieh dort den Datums-Schalter,
Was ich gelesen, ist geschehen halter
Zu Prag und Rom erst in der letzten Woche.

Erklärung:

Bezieht sich auf den Tod Camillo Benso Conte di Cavour's (geb. 1810) am 6. Juni 1861: Cavour war vom Papst exkommuniziert worden, hatte aber mit einem Geistlichen (Fra Giacomo da Poirino) die Abmachung getroffen, dass er auch im Falle der Exkommunikation die Sterbesakramente erhalte. Das Prager antijüdische Vorkommnis kann ich nicht identifizieren.


Rosen auf den Weg gestreut,
Und des Harms vergessen1!
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 40, S. 159. -- 1861-09-01

Ist ein Pfäfflein -- Gott erbarm's --
Schreibt die Zeitung von Jeetzel2 --
Wut im Blick, benamset Harms3,
Ein lutherischer Tetzel4;
Predigt frisch in Dannenberg
Wider Baals- und Teufelwerk,
Wider Demokraten.

Spricht: Wenn ich dem König frei
Dürft itzunder raten,
Riet ich; schickt nach Dahomey5
Alle Demokraten,
Dort im West von Afrika,
Dass der liebe König da
Sie zu Blutwurst hacke.

Solcher Rat ist wahrlich grob,
Du zelot'scher6 Schwätzer;
Und doch lächeln noch darob
Demokrat'sche Ketzer.
Singen: Lustig, liebe Leut',
Rosen auf den Weg gestreut,
Und des Harms vergessen!1

Erklärungen:

1 Beginn von Ludwig Christian Hölty's (1748 - 1776) Höltys 1776 gedichtetem Lied "Lebenspflichten"

2 Jeetzel: Weiler bei (Ortsteil von) der Stadt Lüchow im Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen

3 Ludwig Harms (1808 - 1865): "Erwecker der Heide", einer der bedeutendsten deutschen Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts, gründete in Hermannsburg in der Lüneburger Heide die Hermannsburger Mission, und machte Herrmannsburg zum bedeutensten Zentrum der Erweckungsbewegung in Niedersachsen.

4 Johann Tetzel (1465 - 1519): berüchtigter Ablasshändler

5 Königreich Dahomey = heutiges Benin in Westafrika

6 Zelot (von griechisch ζῆλος = Eifer) =  religiöser Eiferer, Fanatiker; zelotisch = fanatisch


Was sich die Isar erzählt. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 43, S. 169. -- 1861-09-22

Und sie saßen da kongresslich,
Höchst erbaulich und beschaulich,
Und sie sprachen unermesslich
Fromm, doch etwas unverdaulich.

Machten den gepressten Herzen
Luft in salbungsvollen Worten;
Schilderten mit tiefen Schmerzen
Die Verderbnis aller Orten.

Schnoben Wut und spien Geifer,
Geißelten mit scharfem Spotte,
Schlugen los mit heil'gem Eifer
Auf der "Fortschrittsmänner Rotte."

Schleudern ihres Bannes Blitze
Gegen sie -- ein weiser Nathan
Sah sogar an ihrer Spitze
Stehen den leibhaft'gen Satan --

Sah ihn üben seines Amtes
Volksverführerische Pflichten;
Denn sie wollen ein verdammtes
Lumpenregiment errichten.

Ihre Freiheit -- nichts als Meineid,
Nur Verrat und Schufterei;
Ihre Ehre -- nur Gemeinheit
Und zivile Kuppelei!

Also täten sich die feisten
Frommen Herrn im Schlamme baden,
Und es leisteten die Meisten
Herrliche Kapuzinaden.

Sprachen viel von ihrer Sendung,
Von den Siegen ihrer Fahnen,
Und mit attisch feiner Wendung
Von den "Ochsen-Cismontanen".

Nannten Wissenschaft Aufkläricht,
Wie es oft schon dagewsen;
Fegten all den alten Kehricht
Wieder mit den alten Besen.

Nach banalen Dankes Stammlung
Kehrt dann jeder zu den Seinen.
Dieses heißt: Generalversammlung
Von katholischen Vereinen!



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 14, Nr. 44/45, S. 177. -- 1861-09-29

Improptu eines Fotografen bei Gelegenheit der Versammlung katholischer Vereine in München: "500 Platten, und doch kein Lichtbild herzustellen!"


1862


Eine Legende. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 15, Nr. 13, S. 50. -- 1862-03-23

Ein frommer Priester kam ans Himmelstor,
Sankt Peter saß auf einer Bank davor
Und schlummerte. Die lichten Englein flogen
Heran zu ihm vom blauen Sternenbogen,
Und jedes brachte aus dem stillen Raum
Dem heil'gen Peter einen stillen Traum.

Der Priester sieht#s und fragt sich demutsvoll:
Ob ich ihn meinethalb jetzt wecken soll?
Dann klopft er auf die Schulter ihm ganz sacht,
Sankt Peter reibt die Stirn sich und erwacht,
Reicht ihm die Hand und fragt: "Was störest du
Mich grade jetzt in meiner besten Ruh'?"

Der Priester drauf: Ich schwankte lang genug;
Doch musst ich's tun -- Gefahr ist im Verzug.
Man will -- o schaut Euch nur auf Erden um --
Euch rauben Euer Patrimonium1!

"Main Patrimonium?" -- lächelt Der indessen --
"Mein Vater hat auf Erden nichts besessen!
Ich hab' geerbt nach jüdischem Gesetze
Nur Angeln, Reusen und geflickte Netze."

Ganz recht; doch ward ein erbgut Euren lieben
Nachfolgern erst von frommer Hand verschrieben;
Und jetzt will man sie stürzen von dem Thron.
Lest nur die Rede von Napoleon2,
Von jenem Häuptling aller Pharisäer
Und Heuchler -- --
         "Still!" -- versetzt der Galiläer --
"Nicht ziemt solch Wort hier in des Friedens Äther!"
O steig nur einmal nieder, heil'ger Peter,
Ein einzig Mal -- so fleht der fromme Mann --
Und schaue dir der Kirche Jammer an:
Nach deinem Tempel3 trachtet man zu Rom -- --
"Mein tempel ist der ganze Himmelsdom!"
Den Purpur raubt man deinem Sohn, o Schande! --
"Ich ging dereinst in härenem Gewande." --
Den Kardinälen raubt man ihre Pfründen!
"Je wen'ger Mammon, desto wen'ger Sünden!" --
Kaum können sie die Schnallenschuh' bezahlen! --
"Wir gingen einstmals höchstens in Sandalen!" --
Und deine Schlösser plündert man verwegen! --
"Wir hatten nicht, wohin das Haupt zu legen!" --
Die Lehnen werden deinem Stuhl entrissen ..
"Das beste Kissen ist ein gut Gewissen!" --
O hilf, und stärke du die fremden Waffen --
"Mein Reich hat mit Kanonen nichts zu schaffen!" --
Schon weigert man der Kirche Gut und Geld --
"Die Kirche, Freund, ist nicht von jener Welt!" --
So willst du nicht hinab und Rache üben? --
"Wir haben nichts zu tun mit Denen drüben!
Geh, Freund, nur still zur Pforte dort hinein!" --
Sankt Peter sprach's und -- nickte wieder ein.

Erklärungen:

1 Patrimonium Petri

"Patrimonium Petri (lat.), »Erbgut Petri«, d.h. des Stuhles Petri (s. ð Päpstlicher Stuhl), auch Patrimonium ecclesiae, Erbtum der Kirche, der Kirchenstaat, besonders jener Gebietsteil, den Pippin als Besitz des heil. Petrus und seiner Nachfolger (daher Patrimonium Petri) der Kirche schenkte (donatio Pipini 755) und damit zuerst die weltliche Herrschaft und Souveränität der Päpste begründete. Im engern Sinne das Gebiet der Stadt Rom und seiner Umgebung, das der Papst 1870 als letzten Rest des Kirchenstaates an Italien verlor. "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Napoleon III. (Charles-Louis-Napoléon Bonaparte) (1808 - 1873): 1849 bis 1852 französischer Präsident, 1852 bis 1870 Kaiser der Franzosen.

3 d. i. der Petersdom


Jesuiten-Moral. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 15, Nr. 17, S. 66. -- 1862-04-13

O großes Wort, o kleiner Satz,
O Wahrheit, leicht zu fassen,
Den uns Loyola's1 Weisheitsschatz
Auf Erden hinterlassen:
"Willst du vor Denen sicher ruhn,
Die mahnend dich umketten,
So musst du manchmal Manches tun,
Nur -- "um den Schein zu retten!"

Bebt auch, gleich Falstaff2, deine Brust
Vor blut'gen Kriegswerken,
So lass, wenn in dis Schlacht du musst,
Die Furcht doch niemand merken!
Und zittert dir auch Bein und Mark,
Und wackeln die Manschetten:
Verbirg die Angst, schrei Hurrah stark,
Nur -- "um den Schein zu retten!"

Du  liebst Wein, Weiber und Gesang
Gar heiß, trotz Doktor Luthern:
O lass dich beim geheimen Gang
Ertappen nie von "Muttern";
Versäum darob die Kirche nie,
Und wirf beim Klang der Metten
Inbrünstig büßend dich aufs Knie,
Nur -- "um den Schein zu retten!"

Du bist Banauser, hast spekuliert,
Und plötzlich mit Erblassen
Stehst du verzweifelnd, ruiniert,
Vor deinen leeren Kassen.
Zur Börse schnell! Was schwanks du noch,
Das Letzte zu verwetten?
Va banque!3 -- Die Pauk' hat doch ein Loch --
Nur -- "um den Schein zu retten!"

Und bist du ein Minister gar,
So üb dich im Versprechen
Und zittre nicht, wenn die Gefahr
Dich zwingt, dein Wort zu brechen!
"Wenn wir nun nicht"-- so sagt dein Geist --
"So viel versprochen hätten!" --
Was tut's? -- Versprich noch einmal dreist,
Nur -- "um den Schein zu retten!"

Und will man jemals an dem Hals
Die freie Presse packen,
So beug die Presse ebenfalls
Nur scheinbar ihren Nacken,
Und sag auf Pfaden, steil und krumm,
In Witzen und Vignetten
Die Wahrheit dennoch hintenrum,
Nur -- "um den Schein zu retten!"

Erklärungen:

1 Ignatius von Loyola (1491 - 1556): Gründer des Jesuitenordens

2 Sir John Falstaff

"Falstaff, Sir John, ein humoristischer Charakter, der zuerst in Shakespeares »König Heinrich IV.« auftritt, als der stete Begleiter des Prinzen Heinz: ein prahlerischer Soldat, feig und lüderlich, alt und dickwanstig, aber voll Witz, so dass er jeden Moralisten entwaffnet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 va banque

"Va banque (franz., spr. wa bánk'), beim Hasard: »es gilt die Bank«, d. h. die ganze Summe des Bankhalters im Hasardspiel; daher V. b. spielen, alles aufs Spiel, auf eine Karte setzen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Die projektierte "freie" katholische Universität. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 15, Nr. 57, S. 227. -- 1862-12-14

Hübsch gesagt, obgleich der Ausdruck neu ist;
Frei -- wovon? von alledem was frei ist!
Frei -- für wen? für den, dem Jeder Knecht ist,
Der nicht frei von Freiheit, Licht und Recht ist.


1863



Abb.: Wo möcht ich nicht sein <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 16, Nr. 37, S. 148. -- 1863-08-16

In Tirol --
Wo populi vox1 nicht dei vox1 ist,
Und Grund und Boden selbst orthodox ist,
möcht ich nicht sein.

Erklärung:

1 populi vox (lateinisch) = Stimme des Volkes; dei vox (lateinisch) = Stimme Gottes


Stahl1, ins Römische übersetzt. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 16, Nr. 48, S. 190. -- 1863-10-18

Beschlossen ist's! Der Wissenschaft Berater,
Sie schlugen selbst die Wissenschaft in Bande:
Der Kirche Sklav ward sie am Isarstrande,
Und seinen Segen gab der heil'ge Vater.

Hör's Aristoteles! Hör's Humboldt! Bleichen
Soll euer Licht, und das Panier erliegen,
Das ihr geschwungen? -- Nein, Wahnwitz'ge! siegen
Wird doch der Geist -- des haben wir ein Zeichen!

Wird denn die Erde weniger sich regen,
Weil man zu Rom einst "Halt!" ihr wollte rufen?
Als Galilei auf des Kerkers Stufen
Gefoltert stöhnt: Sie muss sich doch bewegen!

Wie kann die Kirche ihren frommen Schafen
Den Fortschritt wehren, dem ihr Fürst muss weichen,
Der -- Ironie des Schicksals sonder Gleichen! --
Den Segen sandte durch den -- Telegraphen!

Erklärung:

1 Friedrich Julius Stahl (1802 - 1861): protestantischer Rechtsphilosoph und führende Gestalt des Konfessionalismus, Antiliberalismus und der Reaktion.


1864



Abb.: Illustrierte Korrespondenzen <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 17, Nr. 38/39, S. 153. -- 1864-08-21

Rom: Das unter der Firma "Mortara1 und Sohn" hinlänglich bekannte Geschäft wird hier mit ungeschwächten Mitteln rüstig fortgesetzt.

Erklärung:

1 Edgardo Mortara

"Edgardo Mortara (August 27, 1851 – March 11, 1940) was a Jewish-born Italian Catholic priest, who became the center of an international controversy when, as a six-year-old boy, he was seized from his Jewish parents by the Papal States authorities and taken to be raised as a Catholic. The Mortara case was the catalyst for far-reaching political changes, and its repercussions are still being felt within the Catholic Church and in relations between the Church and some Jewish organizations.

The Mortara case

On the evening of 23 June 1858, in Bologna, then part of the Papal States, police arrived at the home of a Jewish couple, Salomone ("Momolo") and Marianna Padovani Mortara, to seize one of their eight children, six-year-old Edgardo, and transport him to Rome to be raised by the Catholic Church.

The police had orders from Inquisition authorities in Rome, authorized by Pope Pius IX. Church officials had been told that a Catholic servant girl of the Mortaras, Anna Morisi, had baptized Edgardo while he was ill because she feared that he would otherwise die and go to Hell. Under the law of the Papal States, Edgardo's baptism, even if illegal under secular law, was valid under canon law, and made him a Christian. Under the canon law, Jews could not raise a Christian child, even their own. In 1912, in his relation in favour of the beatification of Pope Pius IX, Edgardo himself noted that the laws of the Papal States did not allow Catholics to work in the homes of Jewish families. That law was widely disregarded.

Edgardo was taken to a house for Catholic converts in Rome, maintained by taxes levied on Jews. His parents were not allowed to see him for several weeks, and then not alone. Pius IX took a personal interest in the case, and all appeals to the Church were rebuffed. Church authorities told the Mortaras that they could have Edgardo back if they converted to Catholicism, but they refused.

The incident soon received extensive publicity both in Italy and internationally. In the Kingdom of Piedmont, the largest independent state in Italy and the centre of the liberal nationalist movement for Italian unification, both the government and the press used the case to reinforce their claims that the Papal States were ruled by medieval obscurantists and should be liberated from Papal rule ("tyranny").

Protests were lodged by both Jewish organizations and prominent political and intellectual figures in Britain, the United States, Germany, Austria, and France. Soon the governments of these countries added to calls for Edgardo to be returned to his parents. The French Emperor Napoleon III, whose troops garrisoned Rome to protect the Pope against the Italian anti-clerical unificationists, also protested.

Pius IX was unmoved by these appeals, which mostly came from non-Catholics, and were thus considered without moral force for him. When a delegation of prominent Jews saw him in 1859, he told them, "I couldn't care less what the world thinks." At another meeting, he brought Edgardo with him to show that the boy was happy in his care. In 1865 he said: "I had the right and the duty to do what I did for this boy, and if I had to, I would do it again." In a speech in 1871 he called the Jews of Rome "dogs" and said: "of these dogs, there are too many of them at present in Rome, and we hear them howling in the streets, and they are disturbing us in all places."

The Mortara case served to harden the already prevalent opinion among liberals and nationalists in both Italy and abroad that the rule of the Pope over a large area of central Italy was an anachronism and an affront to human rights in an "enlightened" age of liberalism and rationalism. It helped persuade opinion in both Britain and France to allow Piedmont to go to war with the Papal States in 1859 and annex most of the Pope's territories, effectively leaving him with only the city of Rome in the end. When the French garrison was withdrawn in 1870, Rome too was annexed by the new, unified, liberal Kingdom of Italy.

In 1859, after Bologna had been annexed to Piedmont, the Mortara parents made another effort to recover their son, but he had been taken to Rome. In 1870, when Rome was captured from the Pope, they tried again, but Edgardo was then 19 and therefore legally an adult, and had declared his firm intention of remaining a Catholic. In that year, he moved his residence to France. The following year, his father died. In France, he entered the Augustinian order, being ordained a priest at the age of 23, and adopted the spiritual name Pius. He is also known as Pio Maria. Fr. Edgardo Mortara was sent as a missionary to cities such as Munich, Mainz and Breslau to preach to the Jews there, however in most cases with little effect. He became fluent in a variety of languages.

In 1912, in his written statement in favor of the beatification of Pius IX, Mortara recalled his own feelings about the abduction: "Eight days later, my parents presented themselves to the Institute of Neophytes to initiate the complex procedures to get me back in the family. As they had complete freedom to see me and talk with me, they remained in Rome for a month, coming every day to visit me. Needless to say, they tried every means to get me back — caresses, tears, pleas and promises. Despite all this, I never showed the slightest desire to return to my family, a fact which I do not understand myself, except by looking at the power of supernatural grace."

During a public-speaking engagement in Italy he reestablished communications with his mother and siblings. In 1895, he attended his mother's funeral. His nieces and nephews, as adults, sadly recalled the frequent visits from the priest. It is not clear whether they knew him as a relative or "family friend."

In 1897, he preached in St. Patrick's Cathedral New York, but the Bishop of New York told the Vatican that he opposed Mortara's efforts to evangelise the Jews on the grounds that such efforts embarrassed the Church in the view of the United States government. Mortara died in 1940 in Belgium, after spending some years in a monastery.

Pius IX and the Jews

At Pius IX's accession in 1846, Jews in Rome were required to live in a ghetto, a separated quarter of the city. At first Pius showed some liberalising tendencies towards the Jews. In particular, he relaxed laws requiring them to live in specified neighborhoods and repealed laws requiring them to attend meetings where priests encouraged their religious conversion. But after the attempted republican liberal revolution in Rome in 1848, Pius changed his mind: like most conservatives at this time, he associated the Jews with radicalism and revolution. Jews continued to be taxed to pay for schools for ethnic Jewish converts to Catholicism. Their testimony against Christians was still not admitted in courts of law.

The Mortara case has attracted new attention in recent years because of the campaign to secure canonisation for Blessed Pius IX, a campaign driven by Pope John Paul II and other Catholic faithful. Jewish groups and others, led by several descendants of the Mortara family, protested the Vatican's beatification of Pius in 2000. In 1997 David Kertzer published The Kidnapping of Edgardo Mortara, which brought the case back into public attention. The story became the subject of a play, Edgardo Mine by Alfred Uhry.

In Italy, Jewish leaders and some Catholic scholars have warned that the canonisation of Pius IX will undermine the goodwill engendered by recent Vatican attempts to atone for Christian Europe's history of anti-Semitism. B'nai B'rith [בני ברית], a prominent Jewish group based in the United States, has also protested against the campaign to canonise Pius. The Mortara case is thus once again a live issue in Jewish-Catholic relations.

Some senior Catholics continue to defend Pius's actions in the Mortara case. Monsignor Carlo Liberati, the church official who advanced Pius IX's beatification, said Pius should not be judged by the Mortara case: "In the process of beatification, this wasn't considered a problem because it was a habit of the times" to take baptised Jews and raise them as Catholics. "We can't look at the Church with the eyes of the year 2000, with all of the religious liberty that we have now," Liberati said.

Liberati also said: "The servant girl wanted to give the grace of God to the child. She wanted him to go to heaven… [and] at the time, the spiritual paternity was more important than civil paternity."

Jesuit Father Giacomo Martina, a professor at the Pontifical Gregorian University in Rome, wrote in a book about Pius's life, "In perspective, the Mortara story demonstrates the profound zeal of Pius IX [and] his firmness in carrying out what he perceived to be his duty at the cost of losing personal popularity." He also said the beatified pope regarded his critics as "unbelievers… [operating] a war machine against the church."

In 1912 Mortara testified in writing that he thought Pius IX should be canonized: "I am firmly convinced, not only by the deposition I have given, but by the entire life of my august protector and father, that the Servant of God [Pius IX] is a saint. I have the almost instinctive conviction that one day he will be raised to the glory of the altars. For me it will be an intimate joy for my entire life and a great comfort in the hour of my death to have cooperated to the limits of my strength toward the success of this cause. I pray to God by the intercession of his Servant to have mercy on me and forgive my sins, and make me rejoice in his presence in Paradise."

Elena Mortara, a great-great-granddaughter of one of Edgardo's sisters, and a professor of literature in Rome, continues to campaign for an apology from the Vatican for Edgardo's abduction and against the canonisation of Pius IX. She has said she is "appalled at the idea that the Catholic Church wants to make a saint out of a Pope who perpetuated such an act of unacceptable intolerance and abuse of power." She explained that she "feels historically obliged in the name of my generation to ask [the Church] if this is the example you want to give.""

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Edgardo_Mortara. -- Zugriff am 2007-12-27]


Stoßseufzer der frommen Väter der "Chartreuse"1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 17, Nr. 49/50, S. 195. -- 1864-10-23

Was fällt dem heiligen Vater ein,
Dass er so bitterböse
In Bann tut unsern Branntewein,
Den herrlichen "Chartreuse"?

Was ihn daran nur ärgern muss?
Was sollen wir nun anfangen?
Es war der einz'ge Spiritus2,
Der von uns ausgegangen.

O heil'ger Gilka3, unser Hort,
Erbarm dich unser! Erlöse
Uns von dem Bann, schick uns sofort
Ein Fass von -- deinem "Chartreuse!"

Erklärungen:

1 Chartreuse

"Chartreuse, La Grande (spr. schartrös', die große Kartause), das älteste Kloster des Kartäuserordens (s. ð Kartäuser), im französischen Depart. Isère, Arrond. Grenoble (Gemeinde St.-Pierre- de-Chartreuse), in enger Talschlucht gelegen, von Wäldern und den steil abfallenden Felswänden des Grand Som (2033 m) umgeben, ein großer Bau aus dem 15.–17. Jahrh. mit Kirche und Bibliothek. 2 km davon befindet sich eine 1820 restaurierte Kapelle, angeblich an der Stelle der Einsiedelei des heil. Bruno. Die Mönche der C. bereiten (in dem benachbarten Orte Fourvoirie) den unter dem Namen Chartreuse bekannten und beliebten (grünen, gelben und weißen) Kräuterlikör sowie andre diätetische Mittel."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Spiritus (lateinisch) = Geist

3 Gilka: Getreidekümmel aus der Fabrik von Gilka in Berlin


1865


Encyclopaedia, d. i. Enzyklika wider die abscheulichen Irrtümer der Philosophen, Astronomen, Geo-, Philo-, Theo-, Zoo-, Minera-, Historio- und Kosmologen des neunzehnten Jahrhunderts. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 18, Nr. 2, S. 7. -- 1865-01-08

Ihr Naturalisten und Sozialisten, ihr Pantheisten und Antichristen, die ihr die Wunder findet erklärlich, sogar als Plunder schier entbehrlich, die ihr ableugnet die Offenbarung, gestützt auf Wissenskram und Erfahrung, die ihr verwerft der Propheten Martyrium, ihr raset und tobt in blinden Delirium. Es wäre besser, man ins Wasser euch würfe mit einem Stein der Mühle1,
auf dass sich euer Wahnsinn kühle. Ihr Zungendrescher und leeren Wäscher, ihr Frevel-Schwätzer und Schwefelketzer, genährt in Satans Refektorium, die ihr zu unserm Sturz euch einigt, und die nicht Seife und Purgatorium2 von ihren schwarzen Lastern reinigt, ihr sollt im Pfuhl der Sünde ersaufen und braten auf wildem Scheiterhaufen, und euern Schmerzschrei ersticke die Flamm -- in majorem Dei gloriam3! Ich möcht, dass eure Professoren in heißem Öle sötten und schmoren, dass eure Doktoren, die Lehrer der Lüge, man wie vor Zeiten an Kreuze schlüge, dass man sie tränke aus siedender Pfanne und ihr Gebein auf die Folter spanne, und dann in Stücke sie zerhiebe, verbrenn und ihre Asche zerstiebe, dass kein Atomchen übrig bliebe! Das will ich, ich, im Geist der -- Liebe. Zum Henker die Denker! In Satans Ofen die kirchengefährlichen Philosophen, und in Beelzebubs glühendste Esse die Bücher mitsamt der ganzen Presse! Hinein in des Teufels Höllenfeuerungen all die Erfindungen und Neuerungen, die Eisenbahnen und Dampfmaschinen, die nur dem wütigen Fortschritt dienen, die Telegraphen, den den Blitz gestohlen von des Himmels Sitz, die jammernden Photographen-Seelen, die keck die Sonne selbst bestehlen, die Astronomen, die es wagen, den ewigen Sternen nachzujagen und die mit ihren gezogenen Röhren die Ruhe der Spären dort oben stören; die materiellen Spießgesellen, die alle Lehren der Schrift zerfetzen und sich, beschirmt von ihrem Fetisch, bald analytisch, bald synthetisch, die ganze Welt zusammensetzen -- ins Feuer mit euch allesamm' -- in majorem Dei gloriam2!

Wer wagt noch des Zweifels Regung jetzt gegen Unsre Widerlegung? Imperium nostrum est laudandum. Punctum! Quod erat demonstrandum.4

Erklärung:

Bezieht sich auf die 1864-12-08 erschienene Enzyklika Quanta cura mit dem Syllabus.

Siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- Fassung vom 2004-04-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm

"In der Enzyklika Quanta Cura von 1864 verurteilt Papst Pius IX. die Religionsfreiheit und die Trennung von Kirche und Staat. Damit stellt er sich offen gegen die Entwicklung zu säkularisierten Staaten in Europa. In einem getrennten Anhang, der unter dem Namen Syllabus errorum bekannt wurde, werden unter anderem die Idee der Redefreiheit, der Religionsfreiheit, des Protestantismus und der Trennung von Kirche und Staat ausdrücklich als Irrtum bezeichnet. Als letzten Punkt in der 80 Einträge zählenden Liste wird die Idee verworfen, dass sich die päpstliche Lehre auf Grund von neuen Erkenntnissen revidiert werden solle."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Quanta_Cura_%28Pius_IX.%29. -- Zugriff am 2007-12-28]

1 Matthäusevangelium 18,6: "Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist."

2 Purgatorium = Fegfeuer

3 in majorem Dei gloriam (lateinisch) = zur größeren Ehre Gottes

4 Imperium nostrum est laudandum. Punctum! Quod erat demonstrandum (lateinisch) = Unser Reich muss man loben. Punkt! Was zu beweisen war.


Unerwartete Hilfe. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 18, Nr. 4, S. 15. -- 1865-01-22

Rom hat gesprochen, heil'gen Amts zu walten,
Gewissensfreiheit und Vernunft zu ächten;
Fast, schien's, als ob in dieser Welt, der schlechten,
Die Donnerworte wirkungslos verhallten.

Doch sie, da meldet in des Kreuzblatts1 Spalten
Laut jubelnd sich ein Häuflein der Gerechten,
Von Mut beseelt, Roms Sache zu verfechten
Und Petri Stuhl, den schwankenden, zu halten.

Schnell bieten sie als Schürer sich und Hetzer
Dem heil'gen Vater an. Die lang Verkannten!
Nicht fühlen sie sich mit verdammt als Ketzer.

Sie stehn zu Rom moralisch und politisch;
Sie führen nur den Namen Protestanten;
Von Herzen sind sie stets -- gut jesuitisch.

Erklärung:

1 Kreuzblatt = Kreuzzeitung = Neue Preußische  Zeitung: Organ des protestantischen Hochkonservatismus.


In den Fasten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 18, Nr. 10, S. 38. -- 1865-02-26

Drei Tage noch dich auszutoben
In Faschingskluft sei dir erlaubt;
Dann richt fromm den Blick nach oben,
Und Asche streu dir auf das Haupt.

Zur Buße musst du dich bereiten,
Abwaschend deiner Süden Rost;
Jedoch in Anbetracht der Zeiten
Verbiet ich nicht des Fleisches Kost.

Und weil so reich an Geld und Lasten
Doch schon der Menschen Leben ist,
So will ich's auch für diese Fasten,
Gestatten, dass man trinkt und küsst.

Um Eins nur bitt ich dich -- ermesse,
Wie es befördern wird dein Heil:
Enthalte gänzlich dich der -- Presse,
Die stets dich führt am Narrenseil!

Nicht eitle Lust mehr darf dir machen
Des Kreuzblatts1 ritterlicher Wahn,
Nicht reize dich zu lautem Lachen
Wantrup's2 erheiterndes Organ.

Zu deiner Seele Heil und Wohle
Leg ich dir auf als Pönitenz3:
Lass dich nicht lüstern nach dem Kohle
Der Provinzialcorrespondenz4.

Und was man sonst dir bringt zu lesen,
Angeblich aus dem Quell des Lichts,
Von Offiziellen, Offiziösen --
Von all dergleichen halte nichts.

Nur einer ist's, von dem du Reue
Und Büßung deiner Sünden lernst,
Der wahrhaft Ehrliche, Getreue,
Der Einz'ge, dem es wirklich Ernst --

Der dich emporzieht aus dem Staube,
Der dich erhebt aus seichtem Klatsch --
Dem schließ dich an, den lies, dem glaube!
Sein Nam'? Wer rät ihn? --

Kladderadatsch.

Erklärungen:

1 Kreuzblatt = Kreuzzeitung = Neue Preußische  Zeitung. -- Berlin 1848 - 1929: Organ des protestantischen Hochkonservatismus.

2 Wantrup: Urheber der West-Preussischen Zeitung. -- Danzig   1.1865 - 1895: so konservativ wie die Kreuzzeitung

3 Pönitenz = Buße

4 Provinzial-Correspondenz. -- Berlin : Decker   1.1863,1(1.Juli) - 22.1884,26(25.Juni)

Online zugänglich: http://amtspresse.staatsbibliothek-berlin.de/index.html. -- Zugriff am 2007-12-28

"Die Provinzial-Correspondenz war ein halbamtliches preußisches Presseorgan, das von 1863 bis 1884 erschien. Da es in enger Verbindung mit der preußischen Regierung herausgegeben wurde, galt sie wie auch die Neuesten Mitteilungen, die von 1882 bis 1894 erschienen, als Sprachrohr Otto von Bismarck.

Die Provinzial-Correspondenz

Die Provinzial-Correspondenz war wie das Literarische Büro (Presseagentur der Regierung) und die Norddeutsche Allgemeine Zeitung der Versuch Bismarcks die Meinungsführerschaft der einflussreichen liberalen Presse zu brechen. Die Provinzial-Correspondenz lieferte wie eine Nachrichtenagentur amtliche Anzeigen, Dokumente sowie politische Mitteilungen und bildete eine wöchentliche Beilage in den vor allem in den ländlichen Teilen Preußens verbreiteten Kreisblätter. Die kleinen Provinzblätter waren zum großen Teil abhängig von der Provinzial-Correspondenz und übernahmen die politischen Artikel vollständig.

Die Provinzial-Correspondenz war zwar mit einer Auflage von teilweise bis über 150.000 Exemplaren eine der größten Wochenzeitungen ihrer Zeit, erreichte aber nur eine vergleichsweise geringe Gesamtverbreitung. Diese lag zwischen einem Fünftel und einem Drittel der gesamten preußischen Presse.

Als halboffizielles Publikationsorgan fand sie über Preußen hinaus in den übrigen deutschen Staaten und im Ausland Beachtung. Gegründet wurde das Blatt in der Zeit des preußischen Heereskonfliktes und war als Propagandawaffe der Regierung gegen die liberale Opposition gedacht. Die Provinzial-Correspondenz ergriff dabei offen Partei für Bismarck und trug zur Verbreitung von dessen Ansichten bei. Verantwortlich war der geheime Oberregierungsrat Ludwig Ernst Hahn („Preß-Hahn“). Nachdem diese Art der offenen Propaganda an Wirksamkeit verloren hatte, wurde die Provinzial-Correspondenz eingestellt."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Provinzial-Correspondenz. -- Zugriff am 2007-12-28]


Von der mexikanischen Bischöfe Gewissensnot. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 18, Nr. 32, S. 125. -- 1865-07-09

Im Lande der Azteken war
Ein Kaiser1 und sein Ehegemahl.
Es war das junge Kaiserpaar
Geliebt vom Volke, und zumal
Gepriesen und hoch gebenedeit
Von der hochwürdigen Geistlichkeit.
Allsonntäglich ward comme il faut
In Mexiko
Für sie gebetet, frisch, frei, fromm, froh.

Da fiel einmal dem Kaiser ein:
Es möchte für des Volkes Heil
Gar fördersam und ersprießlich sein,
Wenn auch die Kirch ein bescheiden Teil
Von ihres reichen Schatzes Gold
Dem Land zum Opfer bringen wollt.
So ward's durch ein Gesetz bestimmt;
Gleich war verstimmt
Die Klerisei und bass ergrimmt.

Sie sprachen mit tiefem Herzeleid:
Zwar wissen wir, 's ist ein Gebot:
"Seid untertan der Obrigkeit!"1;
Doch fühlen wir Gewissensnot,
Zu beten für Den, der sich erfrecht,
So anzutasten unser Recht!
Nicht mögen wir bieten unsre Hand,
Zum Fluch dem Land,
Zu segnen Den, den Gott gebannt!

Und der Bischöfe fromme Schar
Verordnet, wie's zu lesen steht,
Die Bitte für das Kaiserpaar
Fortan zu meiden im Kirchengebet!
Der Klerus, zuvor so schwer bedroht,
Hat fürder keine Gewissensnot.
Dies ist geschehen in Mexiko;
's ist anderswo
Zwar umgekehrt, doch ganz ebenso.

Erklärung:

1 Kaiser: Erzherzog Ferdinand Maximilian Joseph von Österreich (1832 - 1867): der jüngere Bruder von Kaiser Franz Joseph von Österreich. Von 1864 bis 1867 war er von den Franzosen als "Kaiser von Mexiko" eingesetzt.


Roma locuta est1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 18, Nr. 49, S. 193. -- 1865-10-22

Roma locuta est! -- Ist's Täuschungswahn?
Donnernder Fluch und polterndes Gezeter!
Es wackelt von dem Fluch der Vatikan,
Und sie Balken krachen von Sankt Peter.

Es gilt der Forschung und der Wissenschaft,
Des Völkergeistes nahender Befreiung
Aus schwerem Druck, aus dunklen Kerkers Haft
Die allerheiligste Vermaledeinung.

Kaum noch mit einem Fuß im heil'gen Rom,
Und dennoch nichts als Fluchen, heil'ger Vater?
Es fließet der Verwünschung Lavastrom
Aus des zahnlosen Mundes offnem Krater!

Er fließt und fließt, doch nicht, wie ehemals,
Ein sichrer Bote drohender Vernichtung.
Ein Blitz! -- Still schaut das Zucken seines Strahl
Die Welt, und heiter folgt sie seiner Richtung.

Ein kalter Schlag, hernieder fährt der Blitz --
Gar trefflich weiß den Blitz man heut zu leiten --
Kaum würdigen, wie einen guten Witz,
Ihn eines Lächelns die Vermaledeiten.

Mit stolzer Würde hört, Den er verflucht,
Des Anathems machtloses Zornesstammeln.
Und seine Rache? -- Feur'ge Kohlen sucht
Er auf das kahle Haupt zu sammeln!

"Es dauert" -- spricht er -- "mich als guter Christ
Der armen Seel' unglückliche Verblendung,
Des würd'gen Greises, der missleitet ist
Zu Fluches statt zu frommen Segens Spendung!" --

So fluch' er lustig weiter wie zuvor,
Bis ihm das Unvermeidliche begegnet!
Er flucht der Zeit -- und das ist der Humor --
Bis er zuletzt -- das Zeitliche gesegnet.

Erklärung:

1 Roma locuta est

"Roma locūta est (causa finīta est)!, »Rom (d.h. der Papst) hat gesprochen (die Sache ist entschieden)!«, ins Lateinische übersetztes Zitat aus der gegen die Jesuiten gerichteten Satire »Philotanus« (1720) des Abbé Grécourt (Vers 784: »Rome a parlé, l'affaire est terminée«), dem Sinne nach schon bei Augustin (Sermo 131) nachweisbar."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Vor der neuen Berliner Synagoge. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 18, Nr. 53, S. 212. -- 1865-11-19

Der Tempel ist nun schon so lange fertig; warum geht ihr nicht Hinein?
Wir können nicht darüber einig werden, wer von uns vorgeht!

Erklärung:

Bezieht sich auf die Neue Berliner Synagoge, die erst am 5. September 1866 eingeweiht wurde. Dargestellt ist ein liberaler Jude (mit Orgel) und ein orthodoxer ("Der alte Ritus").

Der Bau "löste aber auch heftige Diskussionen unter der jüdischen Bevölkerung aus. Liberal Denkende äußerten den Einwand, der ungewohnte maurische Baustil betone die Fremdartigkeit der jüdischen Religion und behindere so den angestrebten Integrationsprozess. Konservative Juden meldeten Vorbehalte gegen die verschiedenen Neuerungen im Gottesdienst und in der Innenausstattung an. Der Gemeindevorstand hatte den reformorientierten Rabbiner Josef Aub an die Neue Synagoge berufen. Der Gottesdienst wurde nach dem Neuen Ritus abgehalten. Es kam darüber zu Spannungen in der Gemeinde, insbesondere einen Gottesdienst mit Orgelmusik – das Instrument wurde 1868 eingebaut - fanden viele nicht angemessen. In dem Neubau sahen sie ein „schönes Theater, aber keine Synagoge...“. Die Meinungsverschiedenheiten führten schließlich zur Spaltung. 1869 formierte sich Adass Jisroel, eine Gruppe unzufriedener konservativer Mitglieder, die 1872 aus der Gemeinde austrat und 1885 die offizielle Zulassung als Israelitische Synagogengemeinde erhielt."

[Quelle:  http://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Synagoge_(Berlin). -- Zugriff am 2007-12-28]   


1866



Abb.: Merkwürdiger Unterschied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 19, Nr. 8/9, S. 38. -- 1866-02-25

In Österreich beten sie zu viel in der Woche und in Preußen arbeiten sie zu viel am Sonntag

Anfrage an den österreichischen Finanzminister Herrn von Larisch1 und Komplizen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 19, Nr. 28, S. 110. -- 1866-06-24

Ihr nehmt den Klöstern ihren Goldesglanz
Und schmelzt zu Münzen selbst die Gold-Monstranz!
Erzittert ihr an Gliedern nicht und Haupt,
Dass ihr die Kirchen ihres Staats beraubt?

Antwort.

Wenn durch den Raub die Kirchen wir entweihn,
So wird's der heil'ge Vater uns verzeihn;
Denn es geziemt sich, dass das Konkordat
Gerettet werde durch den -- Kirchen-Staat.

Erklärung:

1 Johann Graf Larisch-Mönnich (1821 – 1884): k.k. Kämmerer und Obersthofmarschall des Kaisers, Landeshauptmann von Schlesien, zwischen 1865 und 1867 Finanzminister.


1867



Abb.: Überall Karneval! <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 6, S. 30. -- 1867-02-10

Victor Emanuel1, welcher ein Tänzchen nicht scheut, fängt an mit den Pfaffen umzuspringen.

"Not macht erfinderisch" -- sagt Österreich, und ahmt Italien nach, indem es sich einer Extra-Tour nicht abgeneigt zeigt.

Erklärung:

1 Viktor Emanuel (Vittorio Emanuele) II.  (1820 - 1878): von 1849 bis 1861 König von Piemont-Sardinien und von 1861 bis zu seinem Tod 1878 auch König des als konstitutionelle Monarchie neu proklamierten Nationalstaats Italien, in dem Piemont-Sardinien als Teilprovinz aufging.


Abb.: Vittorio Emanuele II.
[Bildquelle: Wikipedia]


Ceterum censeo, Romam esse delendam.1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 12, S. 61. -- 1867-03-17

Woher kam die Zerrüttung des Deutschen Reiches?
Von dem Abfall der Welfen und dem Sieg der Ultramontanen.
Graf Bismarck in der Reichtagssitzung vom 12. März.

I.

Von Anbeginn war es dein einzig Streben,
Die Freiheit von der Erde zu verdrängen,
Den Geist in deiner Formeln Joch zu zwängen,
Und ihn mit finstren Schleiern zu umweben.

Du wusstest schlau, je nach den Zeiten eben,
Bald an das Kleid der Großen dich zu hängen,
Bald unter Pöbelhaufen dich zu mengen,
Zu bücken dich und dann zu überheben.

Und als die Wahrheit doch begann zu schimmern,
Fiel eine nach der andern deiner Stützen,
Dich zu begraben unter ihren Trümmern.

Auch deine Flüche sollten dich nicht schützen!
Was kann's die Sonne hoch im Äther kümmern,
Wenn dunkle Wolken in der Tiefe blitzen?

II.

Allein wozu die alten Sünden nennen,
Die du im Lauf der Zeiten hast begangen,
Und die im Buche der Geschichte prangen,
Wenn sie schon nicht auf deiner Seele brennen!

Magst du sie leugnen oder sie bekennen:
Der Schuld Verzeihung wirst du nie erlangen;
Du hast ja selber damit angefangen,
Erbarmungslos den Sünder zu verbrennen.

Drum keinen Pakt mit dir und mit den Deinen!
Vorbei ist deine Zeit; nun magst du sterben,
Und keine Träne wird man nach dir weinen.

Denn Heil ist für die Menschen dein Verderben;
Und eine bessre Zukunft wird erscheinen,
Wenn dein Gebäude geht in Schutt und Scherben.

Erklärung:

1 Ceterum censeo, Romam esse delendam (lateinisch) = Im Übrigen beantrage ich, dass Rom zerstört werde; Vorlage: ceterum censeo, Carthaginem esse delendam = Im Übrigen beantrage ich, dass Karthago zerstört werde, stehender Schlußsatz der Senatsreden des ältern Cato (Vgl. Plutarchos, Cato maior 27,2)


Für die Weltausstellung1. (Zu der bevorstehenden Kanonisation2 der Fünfundzwanzig3.). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 22, S. 87. -- 1867-05-19

"Was schicken" -- spricht der heil'ge Vater
Auf Petri Stuhl zum Kardinal,
Dem allertreuesten Berater --
"Denn nach Paris Wir allzumal?

Von allen Ländern unsrer Erde
Schickt jedes, was ihm Ehre macht,
Dass es nicht übertroffen werde
In dem, was es hervorgebracht.

Nun rede, sprich! -- Du wirst verlegen?
Im ersten Staat der Christenheit,
In dem ich weil mit Meinem Segen,
Wär' nicht die größte Herrlichkeit?" --

Der Kardinal senkt scheu die Blicke,
Er weiß nicht, was er sagen soll.
Doch, halt! zu seinem größten Glücke
Fällt ihm was ein, gar hoffnungsvoll.

Er hebet seine Augen wieder
Und sagt mit stolz verklärtem Blick:
"O heil'ger Vater, lächle wieder!
Aus deinen Landen strömt das Glück.

Was Bilder, Tempel, Eisenschienen,
Teppiche, Kleider, Perlenpracht?
Rom hat, ohn' Dampf und ohn' Maschinen
Die meisten -- Heiligen gemacht!" --

Da lächelt stolz der heil'ge Vater
Und spricht: "Ein guter Einfall dies!
Mein treuer, trefflicher Berater,
Wir schicken -- Heil'ge nach Paris!"

"Respekt vor Roms Produktionen!" --
Sagt Pius still vergnügt und lacht --
"Und dass die Heiligen sich lohnen,
Schnell -- fünfundzwanzig noch gemacht!"

Erklärungen:

1 Exposition Universelle de Paris 1867

2 Kanonisation = Heiligsprechung

3 Fünfundzwanzig: ich kann nicht feststellen, um welche Heilige es sich handelt.


Die sieben Schläfer. Eine Legende. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 32, S. 126. -- 1867-07-14

Es zogen sieben Mönchlein
Nach Rom vor langer Zeit;
Doch in den Schweizer Bergen
Da sind sie eingeschneit.

Dreihundert Jahre hatte
Der Schnee sie zugedeckt,
Bis endlich die frommen Schläfer
Der Sonnenschein erweckt.

Sie pilgern rüstig weiter,
Sie haben bei sich gedacht:
Das war ein kräftig Schlafen
Und eine lange Nacht!

Es lässt sich nicht beschreiben,
Welch Staunen sie ergriff,
Als unten am Fuß der Berge
Die -- Lokomotive pfiff.

Und als sie kamen zu betteln
An eine Klosterpfort',
Vernahmen sie, die Mönche,
Die seinen lange fort!

Als nach Florenz sie kamen,
Sa schrie ein kecker Gesell:
"Hoch leb Italiens König,
Victor Emanuel!"

Sie frugen nach Pius dem Fünften
"Dreihundert Jahre tot!" --
So hieß es da -- "der Neunte
Schwebt jetzt in großer Not!"

Nach vielem Hungern und Dürsten
Gelangten sie nach Rom;
Es leuchtete glücksverheißend
Die Kuppel vom Petersdom.

Da war noch Alles beim Alten:
Die Straßen im alten Schmutz;
Es fuhren die Kardinäle
Im altertümlichen Putz.

Es ging der Papst vorüber --
Ein bunter, glänzender Zug;
Er sprach über Rom den Segen
Und über die Ketzer den Fluch.

Kapuzen, Dirnen und Räuber,
Jesuiten und Lotterie;
Ein Volk, das zornig knirschte
Und hungernd um Hilfe schrie.

Da sagten die sieben Mönchlein:
"Rom blieb allein, wie's war;
Sie haben hier verschlafen,
Wie wir, dreihundert Jahr!"


Gespräch auf der Reise. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 32, S. 127. -- 1867-07-14

Erster Peterspfennig1.

Wo kommst du her?

Zweiter Peterspfennig.

Aus der Witwe Haus!
Da sah es kahl und erbärmlich aus.
Eigentlich sollt ich den kleinen Kindern
Brot schaffen und den Hunger lindern.
Macht mich los von dem armen Pack! --
Woher du?

Erster Peterspfennig.

Aus des Wuchrers Sack!
Ungern ließ er mich freilich los,
Meint doch, der Schaden wär nicht groß,
Wenn ich ihm hälf' zum Himmelreich.

Dritter Peterspfennig.

He, Kameraden, ich geh mit euch! --
Wo ich herkomm'? -- Was fragt ihr viel?
Vor'ge Nacht erst im Kartenspiel
Hat mich gewonnen ein Kind des Glücks;
Warf mich stracks in die Sammelbüchs.

Alle Drei.

Auf! Jetzt geht es zum heil'gen Rom!
Seht, da winkt schon St. Peters Dom!
Woll'n uns heut noch des Lebens freu'n.
Werden nicht lang mehr beisammen sein.
Denn in Rom gehn ohn' allen Zweifel
Unser Einer sofort zum -- -- --

Erklärung:

1 Peterspfennig: freiwillige Abgabe an den Papst. Wird am 29. Juni, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, eingesammelt.


Nachbarliches Stillleben. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 47, S. 257. -- 1867-10-13

Die frommen Herren, zornbeseelt,
Vereinten zu festem Kranz sich;
Es kamen zusammen, genau gezählt,
Bischöfe fünfundzwanzig.

"Wie stürzen wir" -- so fragten sie --
 Den Konkordats-Verletzer,
Das aufgedrungne Staatsgenie,
Den protestantischen Ketzer?"

Da sprach zum hohen Concilium
Ein Mann in edlem Zorne:
"Versuchen wir es hinten 'rum,
Zumal 's nicht geht von vorne!" --

"Ja, hinten'rum! -- Ja, das ist schlau,
Beim heiligen Isidorus!
So stürzen wir ihn und seinen Bau!" --
Auf jauchzte der ganze Chorus.

Und ein Adresslein säuberlich
Ward nun gesetzt zusammen,
Gar sanft  und turteltäuberlich,
Doch auch voll Zornesflammen --

Zwar demutsvoll und kriecherlich,
Doch auch gar fromm krakelig,
Ein wenig ketzerriecherlich
Und fast autodafélig.

Und all ihr hass und all der Groll,
Den sie so lang verhalten,
Ward ausgegossen salbungsvoll
In netto sechzehn Spalten.

"Weh, Weh!" -- so lautet übersetzt
In Kürze die Adresse --
"Die Welt, sie ist verpestet jetzt
Von der Schand- und Judenpresse!

Weh, wenn ihr in verruchter Tat
Lagt Hand ans Konkordat an!
Es sinkt dann Schule, Kirch und Staat
Hinab zum Raub dem Satan!

Dann wird leibhaftig der Antichrist
Hinauf zur Erde kommen,
Verführen mit Gewalt und List
Die Schäflein all, die frommen!

Er wird verwirren euch verrucht
So Herzen als Verständnis,
Und brechen die verbotne Frucht
Vom Baume der Erkenntnis!

Wird fahren durch der Städte Tor,
Vergöttert von den Massen,
Wird flüstern in der Fürsten Ohr
Und predigen auf den Gassen!

Wird schrei'n von den Kathedern laut
Und von den Kanzeln wettern;
Wird, was wir mühsam aufgebaut,
In einem Tag zerschmettern!

Und Jude, Heid' und Protestant,
Sie werden im Lande hausen;
Sie werden vergiften Leut' und Land
Zu aller Frommen Grausen!

Nichts Heiliges gibt es dann fürwahr,
Die Welt gehört den Spöttern!
Schon wird gebaut ja der Altar
Den neuen heidnischen Göttern!" --

Als dies Adresslein wundersam
War von den Herrn vollendet,
Ward 's -- in majorem gloriam --
Mundiert und abgesendet.

Ist denn -- so fragt mich Der und Die --
Der Brief auch angekommen?
Und wie -- so fragt ihr weiter -- wie,
Wie ward er aufgenommen?

Ich weiß es nicht, ihr lieben Leut';
Man meldet mir indessen:
Das Ketzerlein - sitzt sichrer heut,
Als es vordem gesessen.

Erklärung:

Bezieht sich auf den Streit um das österreichische Konkordat, das dann durch die Dezemberverfassung vom 1867-12-21 teilweise außer Kraft gesetzt wurde.



Abb.: Europäischer Situations-Plan <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 48, S. 266. -- 1867-10-20

In Österreich ist jetzt die Parole: Entweder -- oder!

Erklärung:

Bezieht sich auf den Streit um die neue österreichische Verfassung.



Abb.: Politische Flickarbeit. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 51, S. 284. -- 1867-11-10

So Alterchen! Für den Augenblick wäre Euer Stuhl wieder einmal geleimt. Wenn nur die Beiden hier nicht wider herangehen und noch einmal dran wackeln, dann hält er wohl noch so lange wie -- Ihr selber.

Erklärung:

Bezieht sich auf die Schlacht bei Mentana (1867-10-14), in der italienische Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi, der in den Kirchenstaat einmarschiert war, von päpstlichen und französischen Streitkräften besiegt und zum Rückzug gezwungen wurden. Dargestellt sind der greise Ptius IX. (1792 - 1878), der französische König Napoléon III. (zurechtweisend), sowie die beiden italienischen Freiheitskämpfer Garibaldi und (vermutlich) Benedetto Cairoli.


Schwarzer Schmerzensschrei. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 53/54, S. 210. -- 1867-11-24

Wie? Unterschriften mehr als dreißigtausend
Zu antikonkordatlichen Adressen?
Das ist ein Unheil, herzerschütternd, grausend --
Weh! -- dessen Folgen nimmer zu ermessen!
Weh! die Proteste wachsen zu Folianten,
Und Östreich zählt bald nur noch -- Protestanten!


An die schwarzen Biedermänner von Aachen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 20, Nr. 53/54, S. 210. -- 1867-11-24

Wollen beweisen, das schwarze Gesindel,
Dass des "Affenprofessors"1 Lehre nur Schwindel;
Nehmen sich aber so hirnverbrannt,
Treiben so tolle Affenschand',
Dass ich erst jetzt, Gott soll mich verdammen
Glaube, dass sie -- von Affen stammen!

Erklärung:

1 Affenprofessor: Ernst Haeckel (1834 - 1919)


1868



Abb.: Deutscher Einigkeitseifer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 11, S. 64. -- 1868-03-08

Die Bairischen Abgeordneten für das Zollparlament1 packen bereits ihre Reisetaschen.

Erklärung:

1 Das Zollparlament war in den 1860er Jahren Teil eines Reformversuchs des Deutschen Zollvereins. Es tagte zwischen 1868 und 1870.


Ein edles Wort. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 24, S. 94. -- 1868-05-24

"Welches immer die Religion sei, welche unsere Untertanen bekennen, als Kinder eines Vaterlandes dürfen sie uns keine aus der Verschiedenheit der Religion geschöpften feindlichen Gefühle einflößen. Jeder folgt seinem Glauben."

Das edle Wort, das wir als Motto setzen,
Vor dieses Lied, weitleuchtend soll es prangen!
Das Volk, an das dies hohe Wort ergangen,
Vor jedem Volk mag es sich glücklich schützen!

Wer nicht verblendet ist und in den Netzen
Unsel'ger Vorurteile ganz gefangen,
Der hört es gern; doch mit geheimem Bangen,
Wer Lust hat am Verketzern und Verhetzen.

Ein christlich Wort! -- Den hohen Sprecher ahnend,
Ruft ihr: So sprach ein christlicher Gebieter,
Vielleicht sogar der Kirche höchster Hüter!

Ach nein! Ihr irrt! Dies Wort, zur Duldung mahnend,
Verheißend Freiheit und humanes Wirken --
Der Sultan1 sprach es jüngst zu seinen Türken.

Erklärung:

1 عبد العزيز (Abdülaziz) (1830 - 1876): 32. Sultan (1861 - 1876) des Osmanischen Reichs



Abb.: Neu-Mond. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 24, S. 148. -- 1868-05-24

Wie der Türkische Sultan1 vor versammeltem Divan2 die neue Aufklärungslampe, welche er von der großen Pariser Ausstellung3 mitgebracht, zum Schrecken der Alt-Türken anzündet.

Erklärung:

1 عبد العزيز (Abdülaziz) (1830 - 1876): 32. Sultan (1861 - 1876) des Osmanischen Reichs

2 دیوان (Dīvān): türkischer Staatsrat beim Sultan

3 Exposition Universelle de Paris 1867 (eröffnet 1867-04-01)


Knak1 contra Copernicus. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 25, S. 153. -- 1868-05-31

So ist's schon viele tausend Jahr
Und immerdar gewesen,
Und seit Jahrhunderten hat man's klar
In allen Schriften gelesen,
Und jedes Kindlein spricht davon:
Es kreiset die Erde um die Sonn'.
Die stille steht
Stets, früh und spät,
Nicht bloß im Tal von Ajalon2.

Da kommt die Mauerstraß' entlang
Gerollt ein lustig Pfäfflein,
Hoch tragend das Haupt, in stelzendem Gang,
Dem macht gar christlichen Verdruss
der Heide, der Copernicus,
Der's hat entdeckt
Und ausgeheckt,
Dass die Erd um die Sonne sich drehen muss.

Darob entbrennt in heiligem Zorn
Das Herz des Orthodoxen,
Und mit dem weiland Weisen von Thorn3
Beginnt er ein geistlich Boxen:
"Zum Satan deine Astronomie!
Zum Heil der wahren Orthodoxie
Tu ich gleich hier
Ein Wunder dir,
Trotz Steffan4 und Leocadie5!"

Er spricht's, und mit gespreiztem Schritt
Und dick vernagelter Sohle,
Festhaltend der Erde Achse, tritt
Er auf die beiden Pole,
So steht das fromme Pfäfflein da,
Ein umgekehrter Josua2:
"Erde, steh still!
Sonne, ich will,
Du sollst dich drehen, wie's eh' geschah!"

Allein die Erde kehrt sich nicht daran,
Fährt fort in kreisendem Wallen.
Blanz! liegt er da -- der arme Mann
Ist auf den Kopf gefallen!
Und trägt zum Glück nicht im Barett
Vorm Kopf ein siebenzöllig Brett,
Ganz sicherlich
Der Ärmste sich
Den hohlen Schädel gespalten hätt.

So aber fällt er sanft -- er fällt
Dem Kladderadatsch in den Rachen;
Und rings erschallt in aller Welt
Ein gelles heitres Lachen:
Der Himmel lacht, und die Sonne lacht,
Und es grünt die Erd in lachender Pracht.
Gesegnet alltag'
Der brave Knak1,
Der uns den lachenden Mai gebracht!

Erklärungen:

1 Gustav Friedrich Ludwig Knak (1806 - 1878): evangelischer Erweckungsprediger, Förderer des Missionsgedankens und viel beachteter Kirchenlieddichter. Vertrat und verteidigte das biblisch-antike Weltbild. Die Evangelischen gedenken seiner am 27. Juli.


Abb.: Der neue Struwwelpeter. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 28, S. 111. -- 1868-06-21

2 Ajalon, Josua: siehe Josua 10, 12 -14, das Hauptargument der Fundamentalisten gegen das heliozentrische Weltbild: "12 Damals redete Josua zum HERRN, [und zwar] an dem Tag, als der HERR die Amoriter vor den Söhnen Israel dahingab, und sagte vor den Augen Israels: Sonne, stehe still zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon! 13 Da stand die Sonne still, und der Mond blieb stehen, bis das Volk sich an seinen Feinden gerächt hatte. Ist das nicht geschrieben im Buch Jaschar? Die Sonne blieb stehen mitten am Himmel und beeilte sich nicht unterzugehen, ungefähr einen ganzen Tag lang. 14 Und es war kein Tag wie dieser, weder vorher noch danach, dass der HERR [so] auf die Stimme eines Menschen gehört hätte; denn der HERR kämpfte für Israel." (Lutherbibel)
 

3 Nicolaus Copernicus war in Thorn (Toruń) geboren worden

4 Steffan

4,5 Nessel, Gottfried <= Steffan(n), Emil <1814 - >>: Leokadie. -- Leipzig : [s.n.], 1868. -- 472 S.

Emil Steffan war ab 1854 Prediger an der Bartholomäuskirche in Berlin. "Leokadie" löste einen Sturm des Unwillens bei der Berliner Bevölkerung und den Kirchenbehörden aus.


Eine feierliche Wormser1 Glosse. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 29/30, S. 113. -- 1868-06-28

Und wenn due Welt voll Teufel wär,
Und woll'n uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.2

Dr. Martin Luther

Zu Worms um Mitternacht, da rauschen
Viel Stimmen um das Lutherbild,
Und Geister-Red und Antwort lauschen,
Sie, denen heut die Feier gilt.
Doctor Martini fromme Stärke
Spricht zu Melanchthon3, mild an Lehr;
Wir halten fest an unsrem Werke,
und wenn die Welt voll Teufel wär!

Drauf Jener: Morgen soll sie fallen
Die Hülle unsres Konterfei;
Doch weiß ich nicht, ob unter Allen
Noch unser Name Feldgeschrei.
Die Welt ward anders: "Los von Rom!"
Will ihr gar alt jetzt klingen.
Ich fürcht, sie schwimmen mit dem Strom
Und woll'n uns gar verschlingen!

O zweifle, Freund, nicht -- "Los von Rom!"
Dies Wort harrt heut noch der Vollendung.
Denk nur, wie oft Sankt Peters Dom
Noch Ablass schaut und Rosenspendung!
Konzil4, Index prohibitorum5,
Der Pfennig zu Sankt Peters Ehr6!
Denk der virorum obscurorum7 --
So fürchten wir uns nicht so sehr!

O Schmach! Viri obscuri7 sind
Jetzt wieder stark in der Gemeinde;
Statt eines großen Papsts gewinnt
Die Deutsche Kirche tausend kleine.
Doch nein, mein Volk! Die wir gewagt,
Vom Wahn dich loszuringen --
Ob's auch in allen Fugen knackt,
Es soll uns doch gelingen!

Es tagt! Nur frisch, mein Volk, beim Schopf
Die Dummheit fasse sonder Zweifel!
Des Geistes Tintfass8 -- an den Kopf
Der Lüge wirf's, das ist der Teufel!
So tat auch ich, dem du in Treu
Dies Denkmal würdig hast erhoben,
Der, so du einig wirst und frei,
Dies Wort als Gruß dir schickt von oben:
Und wenn due Welt voll Teufel wär,
Und woll'n uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.2

Erklärungen:

1 Bezieht sich auf die Einweihung des von Ernst Rietschel geschaffenen Lutherdenkmals in Worms, das am 25. Juni 1868 enthüllt wurde


Abb.: Lutherdenkmal in Worms
[Bildquelle: Wikipedia]

2 Martin Luther (1483-1546): Ein' feste Burg ist unser Gott, 3. Strophe:

3. Und wenn die Welt voll Teufel wär
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
Wie sau'r er sich stellt,
Tut er uns doch nichts,
Das macht, er ist gericht',
Ein Wörtlein kann ihn fällen.

Für die Melodie hier anklicken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/einfest9.html. -- Zugriff am 2007-12-30] 

3 Philipp Melanchthon (1497 - 1560):  Humanist und Reformator. "Praeceptor Germaniae" (Lehrer Deutschlands).

4 Konzil: Das reaktionär-absolutistische Erste Vatikanische Konzil (1869/1870) war in Vorbereitung

5 Index Librorum Prohibitorum = Verzeichnis der für jeden Katholiken bei Strafe der Exkommunikation verbotenen Bücher (erst 1966 als verbindlich abgeschafft!).

6 Peterspfennig: eine Abgabe an den Papst

7 Viri obscuri (Genetiv: virorum obscurorum): Dunkelmänner: in der Reformationszeit durch die Satire Epistolae obscurorum virorum (Dunkelmännerbriefe) geläufige Bezeichnung, im 19. Jahrhundert besonders auf die Jesuiten angewandt.

8 Anspielung auf das Tintenfass, das Luther auf der Wartburg gegen den Teufel geschmettert haben soll.


Eine Allocution1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 31, S. 121. -- 1868-07-05

Roma locuta est!2 -- Und noch einmal
Hast, heil'ges Rom, zum Erdkreis du gesprochen?
Und wiederum hat deines Blitzes Strahl
Machtlos am -- Spott der Mitwelt sich gebrochen?

Der Kaiserstaat, der noch in zwölfter Stunde
Mit kühner Tat des Lebens schwindenden Rest
Erlöst aus deinem unheilschwangern Bunde,
Trotzt lächelnd deinem geifernden Protest.

Was Recht und Freiheit, Kunst und Wissenschaft
In tausendjähr'ger Arbeit aufzurichten
Gestrebt, das Werk vereinter Völkerkraft,
Wähnst du mit deinem Bannstrahl zu vernichten?

Quousque, Papa, tandem abutere
Patientia nostra?3 -- fragt die böse Welt.
Ist deiner Ohnmacht klägliche Misere
Noch zur Genüge nicht dir bloßgestellt?

Sieh! Zitternd sinkt herab der schwache Arm,
Der dräuend sich erhob in wüt'gem Grimme,
Und ungehört verhallt -- dass Gott erbarm! --
Fluchlallend deine greisenhafte Stimme!

Roma locuta est!2-- Hör auf zu schnauben
Und deines Fluchens finde bald den Schluss;
Denn eins steht fest in aller Menschheit Glauben:
Dein vielgepredigtes -- Non possumus!4

Erklärungen:

1 Allocution = Anrede, Zureden, Zuspruch

2 Roma locuta est (lateinisch)

"Roma locūta est (causa finīta est)!, »Rom (d.h. der Papst) hat gesprochen (die Sache ist entschieden)!«, ins Lateinische übersetztes Zitat aus der gegen die Jesuiten gerichteten Satire »Philotanus« (1720) des Abbé Grécourt (Vers 784: »Rome a parlé, l'affaire est terminée«), dem Sinne nach schon bei Augustin (Sermo 131) nachweisbar."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Quousque, Papa, tandem abutere Patientia nostra?(lateinisch) = Wie lange noch, Papst, willst du unsere Geduld missbrauchen. Nach den Anfangsworten von Ciceros erster Rede gegen Catilina: Quousque tandem, Catilina, abutere patientia nostra? ("Wie lange noch, Catilina, willst du unsre Geduld mißbrauchen?").

4 Non possumus (lateinisch) = Wir können nicht: mit Anwendung der Stelle aus Apostelgeschichte 4, 20 ("Denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden"), Antwort des Papstes Clemens VII. auf die drohende Aufforderung des Königs Heinrich VIII. von England, ihn von seiner Gemahlin Katharina zu scheiden; seitdem allgemeine Formel für jede Weigerung des päpstlichen Stuhles, einer den Grundsätzen der katholischen Kirche widersprechenden Forderung nachzugeben. Von Pius IX. ständig verwendet gegenüber allen Forderungen der Neuzeit.


Ein neue Lied nach beliebter alter Weise1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 31, S. 123. -- 1868-07-05

Wenn der Vater mit dem Sohne
Auf dem biblischen Kanone2
Orthodox sich überschmeißt,
Wenn des Philosophen Sprosse
Sich bekennt als Knaks3 Genosse,
Und der Vater -- Hegel heißt --
Dann ade, ade, ade,
Dann ade, Philosophie!

Wenn als Falsch- und Schlechtgesinnter
Herr von Bunsen4 gilt und Dinter5,
Und Herr Steffan6 Wonne trinkt,
Wenn in der Erinn'rung Schatten
Stahl7 und Wöllner8 sich begatten
Und Kreuzzeitung9 Psalmen singt --
Dann ade, ade, ade,
Dann ade, Philosophie!

Wenn in Worms ein frommer Enkel
Konfisziert die Schrift von Schenkel10,
Die erschien zu Luthers Ehr,
Wenn der bösen Schrift Verbreiter
Ins Gefängnis und so weiter
Muss marschieren hinterher --
Dann ade, ade, ade,
Dann ade, Philosophie!

Wenn als neuer Glaubensretter
Sich begeistert Jenkau's11 "Vetter"
Und in Zornesfeuer schwebt,
Wenn die Liberalen trauern,
Doch in sel'gen Wonneschauern
Sanft der Hengstenberg12 erbebt --
Dann ade, ade, ade,
Dann ade, Philosophie!

Erklärungen:

1 Wenn der Vater mit dem Sohne: Allgemeines Deutsches Kommersbuch (1858):

 786.     Höherer Sinn.

 Singw.: Prinz Eugen ec., und das Ade nach dem Ade in dem Volkslied: Wenn ich an den letzten Abend ec.
 

     1. Wenn der Vater mit dem Sohne auf dem Zündloch der Kanone
ohne Sekundanten paukt und die kleinste Kreature in dem Centrum der
Nature Thymian zu wittern glaubt — dann ade, ade, ade, dann ade,
ade, ade, dann ade, Schatz, lebe wohl!

     2. Wenn ergreift die Hyacinthe, ach! voll Wehmut ihre Flinte
und der Harung auch nicht faul, nimmt, das Vaterland zu retten,
nebst zehntausend Bajonetten noch ein Trommelfell ins Maul — dann
ade, ade, ade ec.

     3. Wenn die Sonn am Firmamente mit dem Mond im Viereck
rennte und ihm treue Liebe schwört und die Menschheit hoch beklommen
ob der Dinge, die da kommen, tiefe Seufzer fahren hört — dann
ade, ade, ade ec.

     4. Wenn der Engel mit dem Teufel auf dem Schneegebirg der
Eifel an der Schnapsflasch sich ergötzt, und St. Petrus dann im
Himmel wie ein Erzphilisterlümmel Hunde auf die Jungfraun hetzt —
dann ade, ade, ade ec.

     5. Wenn die Mosel mit dem Rheine in dem finstren Sonnen=
scheine überschwemmt der Tugend Pfad und der Senior der Westfalen
alle Pümper soll bezahlen, die die Krone Englands hat — dann ade,
ade, ade ec.

     6. Wenn das Meer mit allen Flüssen unter Wolkenregengüssen
sich in Bierstoff umgestalt’t und Vesuvius mit der Hölle sich zur köder=
reichen Quelle schaffen läßt durch Dampfgewalt — dann ade, ade, ade ec.

     7. Wenn das Krokodil mit Freuden ob der christkatholschen Leiden
Abdel=Kadern haranguiert und der Floh mit drei Läusen, nebst zwei
anglisierten Mäusen der Walhalla Fronten Ziert - dann ade,ade, ade ec.

     8. Wenn die Studio von Triere auf dem Fasse voler Biere
Alchemie studieren thun, und die Pfeifen in der Ecke ganz bedeckt mit
Staub und Drecke vollgepropft mit Knaster ruhn - dann ade, ade,
ade ec.

2 biblischen Kanone = biblischen Kanon

3 Gustav Friedrich Ludwig Knak (1806 - 1878): evangelischer Erweckungsprediger, Förderer des Missionsgedankens und viel beachteter Kirchenlieddichter. Vertrat und verteidigte das biblisch-antike Weltbild. Die Evangelischen gedenken seiner am 27. Juli.

4 Christian Karl Josias, Freiherr von Bunsen (1791 - 1860)

"Bunsen, Christian Karl Josias, Freiherr von, deutscher Staatsmann und Gelehrter, geb. 25. Aug. 1791 zu Korbach im Waldeckischen, gest. 28. Nov. 1860 in Bonn, studierte 1808–13 Theologie, dann Philologie und machte sich durch eine gekrönte Preisschrift: »De jure Atheniensium hereditario« (Göttingen 1813), in der gelehrten Welt bekannt. Dann begab er sich seiner Sprachstudien wegen nach Wien, an den Rhein und nach Holland, 1813 nach Kopenhagen (Isländisch) und lernte Ende 1815 in Berlin Niebuhr kennen. Im April 1816 ging er nach Paris, um Persisch und Arabisch zu treiben, und wandte sich Ende 1816 nach Rom. Hier verheiratete er sich 1. Juli 1817 mit einer reichen Engländerin, Fanny Waddington (geb. 4. März 1791), und wurde auf Niebuhrs Empfehlung 1818 Gesandtschaftssekretär. Für seine weitere Laufbahn wurde der Besuch König Friedrich Wilhelms III. in Rom entscheidend, wo B. dem König seine Ansichten über Agende und Liturgie darlegte. 1823 zum Legationsrat ernannt, übernahm er im Frühjahr 1824 die Geschäfte der Gesandtschaft, ward 1827 preußischer Ministerresident beim päpstlichen Stuhl, erhielt den Auftrag, die Unterhandlungen über die gemischten Ehen zu führen, und erwirkte von Pius VIII. das unklar gefasste Breve vom 25. März 1830, das Gregor XVI. später zu Ungunsten Preußens auslegte. B. förderte wissenschaftliche Bestrebungen (Lepsius); unter seiner Mitwirkung erfolgte 1829 die Gründung des vom damaligen Kronprinzen, nachherigen König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, in Anregung gebrachten Archäologischen Instituts. Auch gründete B. auf dem tarpejischen Felsen ein protestantisches Hospital. Daneben beteiligte er sich an der »Beschreibung der Stadt Rom« (1830–13, 3 Bde.); eine Frucht dieser Studien war auch das Prachtwerk »Die Basiliken des christlichen Rom« (mit 50 Kupfertafeln von Gutensohn u. Knapp, Münch. 1843; neue Ausg. 1864; franz. Ausg. von Ramée, Par. 1872). Nachdem er 1834 die Regierung zur Annahme des Breves Pius' VIII. und zur Übereinkunft mit den westdeutschen Bischöfen vom 19. Juni bestimmt hatte, veranlasste das schroffe Verhalten des Kölner Erzbischofs Droste zu Vischering (s.d.) 1837 doch den Streit zwischen der Kurie und Preußen. B., wieder nach Berlin berufen, rechtfertigte die Verhaftung des Erzbischofs in der »Denkschrift über die katholischen Angelegenheiten in den westlichen Provinzen Preußens vom 25. August«, wurde aber, 1838 nach Rom zurückgekehrt, vom Papst nicht empfangen und erhielt daher längern Urlaub, den er in München und England verbrachte. Ende 1839 erhielt er den Gesandtschaftsposten bei der Eidgenossenschaft in Bern, ward von da 1841 nach Berlin zurückberufen und von dem ihm befreundeten König Friedrich Wilhelm IV. mit einer außerordentlichen Mission zur Errichtung eines evangelischen Bistums in Jerusalem (vgl. Bunsens Schrift »Das evangelische Bistum zu Jerusalem«, Berl. 1842) nach London betraut, worauf 1842 seine Ernennung zum preußischen Gesandten daselbst erfolgte. Gegen den Verdacht, als befürworte er die Einführung anglikanischer Formen in der protestantischen Kirche, verteidigte er sich in dem Werk »Die Verfassung der Kirche der Zukunft« (Hamb. 1845). In den Verfassungsfragen 1844 vom König zu Rate gezogen, arbeitete er den Entwurf zu einer der englischen nachgebildeten preußischen Verfassung aus. 1848 von den Schleswigern in das deutsche Parlament gewählt, in das er aber nicht eintreten konnte, überreichte er 8. April 1848 Lord Palmerston sein »Memoir on the constitutional rights of the duchies of Schleswig and Holstein«, fand aber kein Verständnis für seine Pläne und ging deshalb 1848 und 1849 auf längere Zeit nach Deutschland. Trotz der österreichischen Ränke hielt ihn der König auf seinem Posten, und B. unterzeichnete, obwohl er 1850 die Beteiligung an den Londoner Konferenzen über Schleswig-Holstein abgelehnt hatte, doch das Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852. Im übrigen genoss B. die Freundschaft der Königin, des Prinzen Albert und Peels, war seinen deutschen Landsleuten stets ein treuer Berater und rief das deutsche Hospital zu Dalston bei London ins Leben. Beim Ausbruch des orientalischen Krieges befürwortete er ein Bündnis Preußens mit den Westmächten; doch der am Berliner Hofe mächtigere russische Einfluss bewirkte im Juni 1854 seine Abberufung. B. siedelte nach Heidelberg über, wo er gegen ultramontane und unionsfeindliche Ränke unter anderm »Die Zeichen der Zeit, Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das Recht der christlichen Gemeinde« (Leipz. 1855, 2 Bde; 3. Aufl. 1856) schrieb. Bei seiner Erhebung in den erblichen Freiherrenstand 1857 ward er Mitglied des Herrenhauses; wegen eines Leidens verbrachte er zwei Winter in Cannes und kaufte sich 1860 in Bonn an. Neben seiner diplomatischen Wirksamkeit und seiner ausgedehnten Korrespondenz über politische und kirchliche Angelegenheiten war B. unausgesetzt literarisch tätig. Sein bedeutendstes archäologisches Werk ist: »Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte« (Hamb. u. Gotha 1845–57, 5 Bde.); den Mittelpunkt seiner Bestrebungen aber bildeten biblische, kirchengeschichtliche und liturgische Studien. Seine wichtigsten Werke in diesem Fach sind: »Hippolytus und seine Zeit« (Leipz. 1853, 2 Bde.; in der zweiten englischen Ausgabe u. d. T.: »Christianity and mankind. Their beginnings and prospects« auf 7 Bände erweitert); »Ignatius von Antiochien und seine Zeit« (Hamb. 1847); »Die drei echten und die vier unechten Briefe des Ignatius von Antiochien« (das. 1847) und das unvollendete »Bibelwerk für die Gemeinde«, dessen Fortsetzung von Kamphausen und Holtzmann besorgt wurde (Leipz. 1858–1869, 9 Bde.). Den Briefwechsel Bunsens mit Friedrich Wilhelm IV. gab L. Ranke (Leipz. 1873), »Briefe an B. von römischen Kardinälen und Prälaten, deutschen Bischöfen und andern Katholiken aus den Jahren 1818–1837« Reusch (das. 1897) heraus. – Vgl. die Biographie von seiner (23. April 1876 in Karlsruhe verstorbenen) Witwe (»B. aus seinen Briefen und nach eignen Erinnerungen geschildert«, deutsch von Nippold, Leipz. 1868–71, 3 Bde.), dazu Hare, Freifrau v. B., ein Lebensbild aus ihren Briefen (deutsch, 6. Aufl., Gotha 1890); Bähring, Christian Karl Josias Freiherr von B. (Leipz. 1892.)"

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5 Christian Friedrich Dinter (1760 - 1831)

"Dinter, Christian Friedrich, namhafter Pädagog der rationalistischen Richtung, geb. 29. Febr. 1760 in Borna (Kursachsen), gest. 29. Mai 1831 in Königsberg (Preußen), besuchte die Fürstenschule in Grimma, studierte seit 1779 zu Leipzig Theologie und Philosophie, ward 1787 Pfarrer in Kitscher bei Borna und 1797 Direktor des Schullehrerseminars in Friedrichstadt-Dresden. 1807 wurde er Pfarrer zu Görnitz bei Borna, wo er aus Liebe zum Lehramt ein Progymnasium zur Vorbildung künftiger Kaufleute, Lehrer, Landwirte und Gymnasiasten eröffnete, und 1816 Konsistorial- und Schulrat für die Provinz Ostpreußen in Königsberg und daneben an der Universität Professor der Pädagogik und Theologie. Großes Aufsehen und viel Streit unter Rationalisten und Orthodoxen erregte seine praktische, aber nüchterne und oberflächliche »Schullehrerbibel« (Neustadt a. d. Orla 1826–30, 9 Bde.). Dinters Selbstbiographie (»Dinters Leben, von ihm selbst geschrieben, ein Lehrbuch für Eltern, Pfarrer und Erzieher«, Neustadt a. d. Orla 1829; 3. Aufl., Plauen 1860; neue Ausg., Wien 1879) spiegelt treu seinen verständigen, wohlwollenden Sinn wieder, wie seinen volkstümlichen Humor und harmlosen, etwas platten Witz. Als Pädagog war D. von den sogen. Philanthropen berührt, aber hauptsächlich Anhänger der Sokratik und als Theolog der Aufklärung. Er galt in Theorie und Praxis seiner Zeit als Meister der katechetischen Kunst. Von seiner Popularität zeugen mehrere seinen Namen tragende Stiftungen und das Standbild auf dem Dinterberge bei Görnitz. Von seinen Schriften sind zu nennen: »Die vorzüglichsten Regeln der Katechetik« (Neust. 1802; 13. Aufl., Plauen 1862); »Die vorzüglichsten Regeln der Pädagogik, Methodik und Schulmeisterklugheit« (Neust. 1806, 7. Aufl. 1836); »Kleine Reden an künftige Volksschullehrer« (das. 1803–1805, 4 Bde.; 3 Aufl. 1837–38, Langensalza 1897, 3 Tle.); »Predigten zum Vorlesen in Landkirchen« (das. 1809, 2 Bde.; 5. Aufl. 1844); »Anweisung zum Gebrauch der Bibel in Volksschulen« (das. 1814 bis 1815, 3 Bde.; 2. Aufl. 1822 ff.); »Malwina, ein Buch für Mütter« (das. 1818, 5. Aufl. 1860); »Unterredungen über die Hauptstücke des Lutherschen Katechismus« (über die vier letzten, das. 1806–18, 4 Bde.; 4. Aufl. 1830; über die beiden ersten, 1819–23, 9 Bde.; 2. Aufl. 1824–26); »Religionsgeschichte« (3. Aufl., das. 1836). Sein letztes Werk: »Die Bibel als Erbauungsbuch«, das er nur bis zum 55. Psalm ausarbeitete, ward von Brockmann und Fischer fortgesetzt (Neust. 1831–33, 5 Bde.). Seine »Sämtlichen Schriften« hat Wilhelm (Neust. 1840–51, 43 Bde.), eine Auswahl Seidel herausgegeben (2. Aufl., Langensalza 1887–89, 2 Bde.). Vgl. Amelungk, Dinters Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts (Plauen 1881); Fröhlich, Gustav D. (Klassiker der Pädagogik, Bd. 21, Langensalza 1901)."

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6 Nessel, Gottfried <= Steffan(n), Emil <1814 - >>: Leokadie. -- Leipzig : [s.n.], 1868. -- 472 S.

Emil Steffan war ab 1854 Prediger an der Bartholomäuskirche in Berlin. "Leokadie" löste einen Sturm des Unwillens bei der Berliner Bevölkerung und den Kirchenbehörden aus.

7 Friedrich Julius Stahl (1802 - 1861): protestantischer Rechtsphilosoph und führende Gestalt des Konfessionalismus, Antiliberalismus und der Reaktion.

8 Johann Christoph von Wöllner (1732 - 1800)

"Wöllner, Johann Christoph von, preuß. Staatsmann, geb. 19. Mai 1732 in Döbritz bei Spandau, gest. 10. Sept. 1800 in Großkietz bei Beeskow, Sohn eines Predigers, studierte seit 1749 in Halle Theologie, war Hofmeister beim General v. Itzenplitz, 1754–60 Prediger in Großbehnitz bei Berlin, pachtete die Itzenplitzschen Güter und heiratete 1768 die einzige Tochter des Generals v. Itzenplitz. Er schrieb: »Die Aufhebung der Gemeinheiten in der Mark Brandenburg« (1766) und für Nicolais »Bibliothek über landwirtschaftliche Fragen«. 1770 zum Rat bei der Domänenkammer des Prinzen Heinrich ernannt, erwarb er sich die Gunst des Thronfolgers Friedrich Wilhelm II., ward bei dessen Thronbesteigung Geheimer Finanz-, Kriegs- und Domänenrat sowie Oberhofbau-Intendant und erhielt den Adel. Seit 1788 Staats- und Justizminister und Chef des geistlichen Departements, erhielt er sich durch seine Teilnahme an vielen geheimen Ordensverbindungen in der Gunst des Königs, beeinflußte ihn stark und benutzte seine Macht, um die lutherische Orthodoxie zu fördern und die der Aufklärung zu bekämpfen; diesem Zwecke diente das berüchtigte sogen. Wöllnersche Religionsedikt vom 9. Juli 1788 (27. Dez. 1797 wieder aufgehoben), das jede Abweichung von den Lehren der symbolischen Bücher mit bürgerlichen Strafen und Amtsentsetzung bedrohte. Nach dem Tode Friedrich Wilhelms II. entlassen, lebte W. auf einem seiner Güter."

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9 Kreuzzeitung = Neue Preußische Zeitung (nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), Organ der evangelischen Hochkonservativen.

10 Daniel Schenkel (1813 - 1885)

Schenkel, Daniel, prot. Theolog, geb. 21. Dez. 1813 in Dägerlen (Kanton Zürich), gest. 19. Mai 1885 in Heidelberg, habilitierte sich 1838 als Privatdozent in Basel, ward 1841 Pfarrer in Schaffhausen, 1849 Professor in Basel und 1851 Professor, Seminardirektor und Universitätsprediger in Heidelberg. Unter seinen zahlreichen Schriften sind hervorzuheben: »Das Wesen des Protestantismus« (Schaffh. 1845–51, 3 Bde.; 2. verkürzte Aufl. in 1 Bd., 1862; dazu: »Das Prinzip des Protestantismus«, das. 1852); »Der Unionsberuf des evangelischen Protestantismus« (Heidelb. 1855); »Die christliche Dogmatik vom Standpunkt des Gewissens« (Wiesbad. 1858–59, 2 Bde.); »Das Charakterbild Jesu« (das. 1864, 4. Aufl. 1873), welches Werk dem Verfasser einen Angriff auf seine amtliche Stellung zuzog. Für die Zwecke des Protestantenvereins, an dessen Spitze er stand, wirkten seine in Elberfeld erscheinende »Allgemeine kirchliche Zeitschrift« (1860–72) sowie seine Schrift »Der Deutsche Protestantenverein und seine Bedeutung« (Wiesbad. 1868). Gleichzeitig redigierte er das »Bibellexikon, Realwörterbuch zum Handgebrauch für Geistliche und Gemeindeglieder« (Leipz. 1869–75, 5 Bde.). Später veröffentlichte er: »Friedrich Schleiermacher. Lebens- und Charakterbild« (Elberf. 1868); »Luther in Worms und in Wittenberg« (das. 1870); »Christentum und Kirche im Einklang mit der Kulturentwickelung« (Wiesbad. 1867, 2 Tle.); »Die Grundlehren des Christentums aus dem Bewusstsein des Glaubens dargestellt« (Leipz. 1878); »Das Christusbild der Apostel und der nachapostolischen Zeit« (das. 1879)."

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11 Jenkau's "Vetter": die Anspielung kann ich nicht erklären

12 Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802 - 1868)

"Hengstenberg, Ernst Wilhelm, Theolog, geb. 20. Okt. 1802 zu Fröndenberg in der Grafschaft Mark, gest. 28. Mai 1868 in Berlin, der einflussreichste Vorkämpfer der neulutherischen Orthodoxie des 19. Jahrh., widmete sich in Bonn philosophischen und orientalischen Studien und veröffentlichte schon in seinem 22. Jahr eine Übersetzung der »Metaphysik« des Aristoteles (Bonn 1824, Bd. 1) und eine Bearbeitung der »Moallakah« des Amrilkaïs (das. 1823). Während seines akademischen Lebens beteiligte er sich lebhaft an den damaligen burschenschaftlichen Bestrebungen. In Basel, wo er 1823–24 als Hauslehrer lebte, vollzog sich in ihm eine religiöse Wandlung nach der Seite der strengen Orthodoxie. Sofort habilitierte er sich 1824 an der philosophischen und 1825 (jetzt schon als ausgesprochener Gegner des Rationalismus und Hegelianismus) an der theologischen Fakultät zu Berlin, wo er 1826 außerordentlicher, 1828 ordentlicher Professor der Theologie wurde. Unter seinen wissenschaftlichen Arbeiten, die indessen vollständig im Dienste der dogmatischen Tendenz stehen, nennen wir: »Christologie des Alten Testaments« (Berl. 1829–35, 3 Bde.; 2. Aufl. 1854–58); »Beiträge zur Einleitung ins Alte Testament« (das. 1831–39, 3 Bde.); »Kommentar über die Psalmen« (das. 1842–47, 4 Bde.; 2. Aufl. 1849–52); »Das Hohelied Salomonis« (das. 1853); »Das Evangelium Johannis« (das. 1861–64, 3 Bde.; 2. Aufl. 1869–71, 2 Bde.); »Die Offenbarung Johannis« (das. 1849–1851, 2 Bde.; 2. Aufl. 1862); »Die Weissagungen des Propheten Ezechiel« (das. 1867–68, 2 Bde.). Den weitgreifendsten Einfluss hat H. durch seine 1827 gegründete »Evangelische Kirchenzeitung« ausgeübt, ein Parteiorgan der rücksichtslosesten Unduldsamkeit. Vgl. Bachmann und Schmalenbach, Ernst Wilhelm H. (Gütersl. 1876–92, 3 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Chorus mysticus. Für Berlin und seinen neuen bischöflichen Umkreis. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 32, S. 126. -- 1868-07-12

Es überwächst uns schon
An mächt'gen Gliedern,
Wird treuer Pflege Lohn
Reichlich erwidern!
Das Kuttenküttliche
Wird nun Ereignis,
Das Jesuitliche
Hüllt sich in Schweignis.
Das Zeitepochliche
Wird dunkelwolkig,
Das Wunderknochliche
Ganz markenmolkig!
Das schwarze Bandliche
Hier ist's getan;
Das Denunziantliche
Zieht uns hinan!


Aus höheren Regionen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 36, S. 143. -- 1868-08-09

(Vgl. die Volkszeitung vom 6. August.)

Sankt Peter guckt herab vom Wolkensitze:
"Gibt es denn gar nichts Neues bei der Hitze?" --
Ein Bote kommt und zeigt ein Blatt Papier
Dem Heil'gen vor: "Das Neuste, Herr, steht hier!
In Colberg1, so da liegt an der Persante1,
Sind aus der Junker Tanz-Constituante
Nicht bloß der alten Juden Stammgenossen,
Nein, auch "getaufte Juden" ausgeschlossen!"

Da lacht Sankt Peter: "Lass die Überfrommen
Zu meiner Reunion dereinst nur kommen!
Dann schließ ich ihnen zu die Himmelsbude;
Bin ich doch selbst nur -- ein getaufter Jude!"

Erklärung:

1 Colberg an der Persante: heute Kołobrzeg an der Parsęta (Woiwodschaft Westpommern (Województwo zachodniopomorskie; kaschubisch "Zôpadnopòmòrsczé wòjewództwò"))



Abb.: In den Hundstagsferien. Internationales Bade-Idyll <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 36, S. 144. -- 1868-08-09


Ein Anklang an Uhland1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 21, Nr. 40, S. 158. -- 1868-08-30

Der Stuhl erbebt, es gähnt das Grab
Nicht stützt ihn mehr der Fischerstab;
Doch wenn die letzte Brücke fiel,
Bleibt ihm ein Steg noch -- das Konzil2!
Das soll ihm retten Macht und Ehr!
O brich nicht, Steg, du zitterst sehr!

Der Felsen Petri schwankt zur Stund,
Geborsten bis zum tiefsten Grund,
Das Schifflein treibt, der Wogen Spiel --
O rette, rette ihn, Konzil!
Wild flutend stürmt heran das Meer --
O stürz nicht, Fels, du dräuest sschwer!

Von Satanas zum Kampf gesellt,
Steht wider ihn die halbe Welt.
Bald tönt die Kunde des Gerichts,
Bald sinkt der morsche Stuhl ins Nichts;
Doch wir, die Humoristen, schrei'n:
Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein!

O halte fest noch, Weltenbau!
Send uns den Scherz als Himmelstau!
Lass Blödsinn blühn und Torenwahn!
Sankt Chassepot3, schirm den Vatikan!
Du, Garibaldi4, halt, halt ein,
Bis das Konzil wird fertig sein!

Erklärungen:

1 Ludwig Uhland (1787-1862): Heimkehr (Wanderlieder, 9.) (1811/1813):

O brich nicht, Steg, du zitterst sehr!
O stürz nicht, Fels, du dräuest schwer!
Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein,
Eh ich mag bei der Liebsten sein!

2 das bevorstehende Erste Vatikanische Konzil (1869/70)

3 Chassepot

"Antoine Alphonse Chassepot (* 4. März 1833 in Mutzig, Frankreich; † 5. Februar 1905 in Gagny, Frankreich) war ein französischer Erfinder.

Antoine Alphonse Chassepot war Arbeiter in der Waffenfabrik von Saint-Thomas in Paris. 1858 wurde er dort Beamter, und legte 1863 dem französischen Kriegsministerium das Modell eines Hinterladegewehrs, anfangs mit Perkussionszünder, ohne Einheitspatrone, später die Nachbildung eines Zündnadelgewehrs von Johann Nikolaus von Dreyse mit Einheitspatrone vor. Erst nachdem die Erfolge des preußischen Zündnadelgewehrs 1866 die Überlegenheit der Hinterlader bewiesen hatten, wurde sein Chassepotgewehr als Waffe für die französische Infanterie und leichte Kavallerie unter der offiziellen Bezeichnung fusil modèle 1866 eingeführt."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Chassepot. -- Zugriff am 2007-12-31]

4 Giuseppe Garibaldi (1807 - 1882): italienischer Freiheitskämpfer


1869


Die Sonntagsruhe. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 6, S. 22. -- 1869-02-07

Strafrechtliche Idylle im Stile des Herrn von Kleist-Retzow1.

§ 1.

Das Hussa und das Hörnerschallen
Der sunst so edlen Jagd,
Das Kläffen und Peitschenknallen
Am Sonntag ist's untersagt.

§ 2.

Und so ein Kutscher zum Wagen
Dass Rösslein zieht aus dem Stall,
Darf er das Rösslein schlagen,
Doch tu er keinen Knall.

§ 3.

Es sollen die Hunde befleißen
Sich strenger Zucht und Pflicht.
Sie dürfen am Sabbat beißen,
Doch bellen dürfen sie nicht.

§ 4. 

Der Kater um Erhörung
Darf knurren, doch nicht miaun,
Sunst wegen Sabbatstörung
Wird er sogleich verhaun.

§ 5.

Und wenn das Kirchenglöcklein
Vom Turm klingt wundersam,
Darf meckern frech kein Böcklein
Und blöken nicht Schaf noch Lamm.

§ 6.

Der Hahn darf sich nicht regen
Und will die Henne ein Ei
Durchaus am Sonntag legen,
So tu sie's ohne Geschrei.

§ 7.

Das Wiehern lassen die Pferde,
Die Esel ihr Y-a,
Die schnatternde Gänseherde
Halte die Schnäbel da.

§ 8.

Das Grunzen lasse im Koben
Das fette Elternpaar,
Das Ferklein richte nach Oben
Die Äuglein fromm und klar.

§ 9.

Andächtig schweigen die Ochsen
Und Bulle, Kalb und Kuh.
Das nennen die Orthodoxen
Die echte Sabbatruh.

Erklärung:

1 Hans Hugo von Kleist-Retzow (1814 - 1892)

"Kleist-Retzow, Hans Hugo von, deutscher Politiker, geb. 25. Nov. 1814 in Kiekow bei Belgard in Hinterpommern, gest. daselbst 20. Mai 1892, studierte die Rechte, ward 1844 Landrat des Kreises Belgard, trat 1848 an die Spitze der streng konservativen Junkerpartei und war einer der Begründer der »Kreuzzeitung«. 1849–52 der reaktionären Partei im Abgeordnetenhaus angehörig, 1850 Mitglied des Staatenhauses in Erfurt, ward K. 1851 Oberpräsident der Rheinprovinz, wo er rücksichtslos gegen den Liberalismus einschritt und zugleich zu dem Hofe des Prinzen von Preußen zu Koblenz in Gegensatz trat. Nach Einsetzung der Regentschaft 1858 sofort entlassen, zog er sich auf sein Rittergut Kiekow zurück, beteiligte sich, obwohl als Vertreter der Familie v. Kleist ins Herrenhaus berufen, nur wenig an den öffentlichen Angelegenheiten und trat erst in der Konfliktszeit wieder hervor, um sich nach 1866 an die Spitze der streng- oder altkonservativen Partei zu stellen; besonders die kirchliche Politik der Regierung bekämpfte er seit 1871 im Herrenhaus und war in der Generalsynode 1879 Führer der Strengkonfessionellen. Nach der Reorganisation der konservativen Partei 1876 trat er an die Spitze des äußersten rechten Flügels der Deutschkonservativen im Reichstag, dem er seit 1877 angehörte, betrieb eine Vereinigung mit dem Zentrum zu gemeinschaftlicher kirchlicher Politik und war ein Haupturheber des Zedlitzschen Volksschulgesetzentwurfs von 1891. Seit 1883 war er Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Frömmlers Stoßseufzer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 6, S. 23. -- 1869-02-07

Sagt mir nur, was ist das heute
Für ein Scheu'l und Greu'l und Graus!
Unsre allerfrömmsten Leute
Sucht sich Meister Satan aus.

Gestern freut ich noch beim Schmause
Mich mit X. aufs allerbest;
Heute war er nicht zu Hause --
Und warum? Man nahm ihn fest!

N. N., den ich trefflich kannte
Und mit dem ich einst studiert --
Eben les ichs in der Tante1 --
Ist gefasst und abgeführt.

Seh' ich einen Schutzmann wallen,
Wird mir gleich der Atem knapp.
Unter meinen Freunden allen,
Frag ich mich, wen holt er ab?

Ach so schroff und unerbittlich
Ist das Kriminalgericht!
Sind denn nur die Bösen sittlich?
Sind denn wir's, die Guten, nicht?

Ach, mir kommen arge Zweifel,
Schreckliches seh' ich gescheh'n. --
Hol die Andern, lieber Teufel!
Mich -- ich bitt dich -- mich lass geh'n!

Erklärung:

1 Tante = Vossische Zeitung ("Königlich privilegierte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen")


Geheime Instruktionen für Mucker1 und Solche, die es werden wollen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 7/8, S. 27. -- 1869-02-14

Offen pred'ge Sitt' und Zucht,
Aber heimlich magst Du naschen
Doppelt süß verbotne Frucht!
Lass Dich nur nicht überraschen!

Nur bei mitternächt'ger Stunde,
Um den durstgen Mund zu stärken,
Steig hinab zum Kellergrund --
Aber lass es Niemand merken!

Stell dich fromm als Hausfreund dar.
Aber willst du dich erfrischen
An des Weibchens Lippenpaar --
Tu's, doch lass dich nicht erwischen!

Sorge für der Seelen Wohl
Und zur Lust galanter Damen
Schreib Romane, hübsch frivol,
Doch verleugne Deinen Namen!

Tu als treuer Freund dich für
Kleiner Brüder auch und Schwestern,
Aber schleuß zuvor die Tür,
Dass die Bösen dich nicht lästern!

Trutze -- was auch immer komm --
Der Verleumdung gift'gen Bissen,
Sündigst du, so beicht es fromm
Nur dem "zärtlichen Gewissen"!

Und vertiefe dich in Ruh
In den Menschen, den innwend'gen.
Musst ins Ausland reisen du,
So vergiss nicht die Stipendien!

Niemand weiß, wann und warum
Sich die Menschen von uns wenden.
Nimmst du ein Viaticum2,
Nimm es nur aus -- frommen Händen.

Schwatzt die Welt; -- lass schwatzen sie
Dann von gleißenden Tartüffen3;
Dulde -- lächle -- bete -- flieh --
Aber -- lass dich nicht verblüffen!

Dann wirst du in Sicherheit
Wandeln selbst auf fernsten Wegen
Und des Kreuzes Zeitung4 weiht
Nachruf dir und frommen Segen.

Und es jauchzt der Freunde Schar;
Er, der ach in Leid verkettet
Und ein armer Sünder war,
Ist gerichtet -- ist gerettet!

Darum: kannst der Sünde Keim,
Kannst du Satan nicht besiegen,
Folg ihm, aber -- ganz geheim
Und lass dich von ihm nicht kriegen.

Erklärungen:

1 Mucker: allgemeiner Spottname für die Anhänger einer ungesunden und exklusiven Frömmigkeit.

2 Viaticum: Reisegeld, Zehrpfennig; bei den Katholiken das einem Sterbenden gereichte letzte Abendmahl.

3 Tartüffe (franz. Tartuffe, später auch Tartufe): Name der Hauptperson in Molières gleichnamigem Lustspiel; danach verallgemeinert soviel wie scheinheiliger Schurke

4 des Kreuzes Zeitung = Kreuzzeitung = Neue Preußische Zeitung (nach dem Eisernen Kreuz am Kopfe des Blattes Kreuzzeitung genannt), Organ der evangelischen Hochkonservativen.


Palinodie1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 7/8, S. 27. -- 1869-02-14

Ich lass nichts auf die Kutten kommen --
Vorurteil hielt mich lange blind.
Vergleich ich sie mit unsern Frommen,
Seh' ich, wie gut die Mönche sind.

Sie lassen doch die Welt sich drehen,
Freu'n sich an Himmel, Wald und Flur;
Doch unsre Dunkelmänner schmähen,
Beleid'gen, höhnen die Natur.

Aus unsrer Elends Wust und Schutte
Ringt sich kein Grün mehr himmelwärts --
Vielleicht schlägt unter einer Kutte
Schon insgeheim einfreies Herz.

Ein finstrer Geist drängt sich an's Ruder
Bei uns! Ein Narr, wer Bess'rung hofft!
Ich wollt, ich wär' ein Klosterbruder!
So ruf ich aus Verzweiflung oft.

Und wird's nicht bald, dass man getroster
Kann schauen auf der Zeiten Lauf,
Dann reit ich vor ein reiches Kloster
Und ruf: Ihr Mönchlein, riegelt auf!

Gelobt sei'n alle guten Geister!
Mich treibt zu euch des Herzens Zug.
Macht mich zum Bruder Kellermeister!
Seht, dazu bin ich fromm genug.

Erklärung:

1 Palinodie (griechisch): ein Gedicht des nach einem Schmähgedicht auf Helena als Anstifterin des Trojanischen Krieges erblindeten Stesichoros, das dieses widerrief, worauf er das Augenlicht wiedererhielt; daher überhaupt von jedem Widerruf gebraucht.


Zur Sekundizfeier am 11. April 18691. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 17, S. 65. -- 1869-04-11

Ein Jüngling war's, zu Lieb und Lust geschaffen,
Altedlen Stammes lebensfrischer Spross,
Ein schmucker Held im blanken Spiel der Waffen,
Geübt zu bändigen manch wildes Ross.

Doch eines neuen Geistes heilig Mahnen
Glaubt zu vernehmen er im Herzen tief,
Das jetzt zum Dienst ihn unter neuen Fahnen
Und auf ein andres Feld des Kampfes rief.

Dem Ruf gehorchend ohne Widerstreben,
Legt am Altar er ab den frommen Schwur;
Der Kirche opfert er fortan sein Leben
Und seines Hauptes Locken der Tonsur.

"Lebt wohl, Kameraden, die stets hold mir waren!
Mein Ross, ade, mein schneidiges Rappier2!"
Statt des betressten Dolmans3 der Husaren
Wirft um die Schulter er das Skapulier4.

Und so, versehen mit des Priesters Weihen,
Der Lust des Lagers und dem eitlen Glanz
Der Welt entsagend, tritt er in die Reihen
Der Streiter der Ecclesia militans5.

* * *

"Er ist's! Er ist es, er, der Tapfre, Brave!
Ein Mann, gegossen recht aus einem Guss!" --
So rief die Welt, als er aus dem Konklave6
Hervorging als Pontifex Maximus7.

Die Brust geschwellt von schaffenden Gedanken,
Vom frischen Hauch des Geistes angeweht,
So fordert seine Zeit er in die Schranken,
Der bessren Zukunft feuriger Prophet.

Nicht fremdem Zwang, nein, nur dem eignen Triebe
Gehorchend, brach er kühn dem Fortschritt Bahn;
Der Duldung pflanzt er und der Menschenliebe
Der Freiheit Banner auf im Vatikan.

Die Gegenwart schaut er, prophet'schen Blickes,
Von goldner Hoffnung Morgenrot umsäumt;
Ein Seher, hat er künft'gen Völkerglückes,
Erlöster Menschheit sel'gen Traum geträumt.

Geträumt -- ach! nur geträumt! Armse'ger Meister,
Zu schwach dem großen Werk war deine Macht!
Gern hätt'st du, die du selber riefst, die Geister
Wieder gebannt in ew'gen Schweigens Nacht!

* * *

Ein halb Jahrhundert -- und rückschauend steht er
Am Ziele seiner Bahn, ein müder Greis --
Urbi et orbi!8 -- spendend von Sankt Peter
Kraftlosen Priesterspruch dem Erdenkreis.
 

Längst wieder eingerollt der Freiheit Fahnen,
Mutlos verleugnet kühnen Schaffens Tat,
Verlassen längst des Fortschritts heitre Bahnen --
Seiner selbsteignen Schöpfung Apostat9!

Und wie vor tausend Jahren ruft die Kurie
Die Menschheit wieder heut vor ihr Gericht,
Und schleudert ihr in heil'gen Zornes Furie
Öhnmächt'gen Bannstrahl in das Angesicht.

Doch heiter lächelnd schau'n auf Roma's Drohen
Die Völker, wie auf eitel Kinderspiel;
Sie seh'n des Lämpleins letztes Flackerlohen
Im letzten ökumenischen Konzil10.

Die Nachwelt sagt eins -- accipe me vatem11:
Er war ein Streiter -- ecce syllabus12!
Von heft'gem Anlauf, aber kurz von Atem,
Und seine Signatur: Non possumus13!"

Erklärungen:

1 Sekundīz (lateinisch): bei den Katholiken die Feier des 50jährigen Priesterjubiläums, im Gegensatz zur Primiz, der ersten Messfeier eines jungen Priesters. Hier handelt es sich um daas 50. Priesterjübiläum von Papst Pius IX.

"Pius IX., 1846–78, vorher Giovanni Maria, Graf von Mastai-Ferretti, geb. 13. Mai 1792 in Sinigaglia, gest. 7. Febr. 1878, erzogen im Piaristenkollegium zu Volterra, studierte in Rom Theologie und begleitete 1823 den apostolischen Vikar Muzi nach Chile. Im Juli 1825 nach Rom zurückgekehrt, wurde Mastai zum Vorsteher des Michaelhospitals, 21. Mai 1827 zum Erzbischof von Spoleto, 17. Dez. 1832 zum Bischof von Imola und 1840 zum Kardinal ernannt. Als er nach Gregors XVI. Tode 16. Juni 1846 zum Papst gewählt wurde, hegten die Liberalen Italiens die kühnsten Erwartungen von ihm, da er die strengen reaktionären Maßregeln seines Vorgängers nicht gebilligt hatte. P. erließ auch sofort eine allgemeine Amnestie und begann durchgreifende Reformen im Kirchenstaat: 1847 gab er der Stadt Rom eine neue Munizipalverfassung, dem Kirchenstaat aber eine Staatskonsulta und im März 1848 sogar eine konstitutionelle Verfassung sowie ein teilweise weltliches Ministerium. Indes gingen die Wogen der radikalen Bewegung so hoch, dass die Verbannung der Jesuiten aus Rom 29. März von P. bewilligt werden musste, und nach der Ermordung Rossis (15. Nov.) floh der Papst nach Gaeta, von wo er erst 12. April 1850 nach Rom zurückkehrte, um unter dem Schutze französischer und österreichischer Bajonette eine rücksichtslose Reaktion durchzuführen. In dem kirchlichen System hatte P. von Anfang an keine Änderungen beabsichtigt. Obwohl persönlich liebenswürdig und mild sowie frei von jedem Zelotismus, bekannte sich P. doch durchaus zu den hierarchischen Grundsätzen seiner Vorgänger. Die Leitung der Welt durch die vom Nachfolger Petri geleitete römische Kirche erschien ihm als das einzige untrügliche Heilmittel gegen alle materiellen und geistigen Gebrechen der Menschheit, namentlich gegen die Pest des Liberalismus; und nach seiner Meinung unter dem besondern Schutz der Jungfrau Maria stehend, glaubte er sich berufen, die Welt durch ihre Unterwerfung unter den römischen Stuhl zum ewigen Heil zu führen. P. errang auch überraschende Erfolge, indem er sich nach 1848 in geschickter Weise zugleich die doktrinären Prinzipien der Liberalen und die reaktionären Bestrebungen der Regierungen zunutze machte. In England und den Niederlanden wurden nach dem Grundsatz unbedingter Religionsfreiheit katholische Bistümer errichtet, dagegen mit Österreich (1855), Württemberg (1857) und Baden (1859) Konkordate abgeschlossen. Überall wurde die Zahl und Tätigkeit der Orden vermehrt. Zu größerer Ehre seiner Schutzheiligen verkündete P. 8. Dez. 1854 in einer Versammlung von 167 Bischöfen das Dogma der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria; die Jesuiten, unter deren Einfluss er so Großes errungen hatte, begünstigte er immer entschiedener. Bei den politischen Umwälzungen in Italien 1859 und 1860, in denen ihm Napoleon III. gern eine einflussreiche Stellung an der Spitze eines italienischen Staatenbundes verschafft hätte, lehnte er alle Zugeständnisse ab, so dass der Verlust der Legationen und der Marken an das neue Königreich Italien nicht abzuwenden war. P. bezeichnete ihn zwar als einen schändlichen Kirchenraub, belegte die »subalpinische« Regierung mit dem Bann und erklärte den weltlichen Besitz für notwendig für den Bestand und das Heil der Kirche; sein Hilferuf an die katholischen Mächte war aber erfolglos. Um so leidenschaftlicher wandte er sich mit geistlichen Waffen gegen den kirchenfeindlichen Zeitgeist. Am 8. Dez. 1864 erließ er eine Enzyklika, worin er die freien Ansichten der Neuzeit über Religion und bürgerliche Gesellschaft verdammte. Dann schloss sich der »Syllabus complectens praecipuos nostrae aetatis errores« (s. ð Syllabus) an, ein Verzeichnis von 80 auf die Religion, die Wissenschaft und das bürgerliche Leben bezüglichen Irrlehren, worin sich der Papst ganz auf den mittelalterlichen Standpunkt stellte, indem er Unterordnung der Wissenschaft und des Staates unter die päpstliche Autorität verlangte. Am 8. Dez. 1869 eröffnete er das vatikanische Konzil, das trotz des Widerspruchs vieler angesehener Bischöfe aus den bedeutendsten Kulturländern unter dem persönlichen Einfluss des Papstes 18. Juli 1870 das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit annahm und den Absolutismus der römischen Hierarchie vollendete. Als nach dem Abmarsch der französischen Besatzung die Italiener 20. Sept. 1870 in Rom einrückten, schloss P. sich im Vatikan ein, wies das Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 zurück und griff die italienische Regierung bei jeder Gelegenheit mit den heftigsten Worten an. Auch mit dem deutschen Kaiserreich, dessen Gründung und Politik die jesuitischen Pläne unerwartet durchkreuzte, nahm er den Kampf auf. Er richtete 7. Aug. 1873 einen anmaßenden Brief an Kaiser Wilhelm I. und erklärte in der Enzyklika vom 5. Febr. 1875 die preußischen Maigesetze für ungültig. Mit unverwüstlicher Siegesgewissheit verfolgte er seine überspannten Ziele, und ungebrochen an Hoffnung und Selbstvertrauen feierte er 1877 sein 50jähriges Bischofsjubiläum. Ungeachtet des Verlustes der weltlichen Herrscherstellung hatten Einfluss und Bedeutung des Papsttums unter P. IX. sich ungemein gesteigert, und kaum ein Papst vor ihm hat eine so unbedingte Herrschaft über die Kirche ausgeübt. Vgl. »Pii IX Acta« (Rom 1854–65, 9 Bde.); die Biographien von M. Marocco (Turin 1856–59, 2 Bde.), Legge (Lond. 1875, 2 Bde.), Gillet (franz., Münster 1877), Trollope (Lond. 1877, 2 Bde.), Wappmannsperger (Regensb. 1878), R. Pfleiderer (Heilbr. 1878); Maguire, The Pontificate of P. IX (Lond. 1870); I. Zeller, Pie IX et Victor Emanuel (Par. 1879); Stepischnegg, Papst P. IX. und seine Zeit (Wien 1879, 2 Bde.); Pougeois, Histoire de Pie IX, etc. (Par. 1877–86, 6 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Rappier (Rapier): Fechtwaffe mit gerader Klinge zu Hieb oder Stich, vorzugsweise Hiebwaffe auf Universitäten und Militärbildungsanstalten.

3 Dolman (türkisch): eine mit Schnüren besetzte, kurzschößige Jacke, frühere Bekleidung der Husaren, ungarischen Ursprungs

4 Skapulier

"Skapulīer (neulat. Scapulare, v. lat. scapula, Schulterblatt), ein Teil der Mönchstracht, anfangs ein ärmelloser Überrock, dessen sich die Mönche bei körperlicher Arbeit im Freien bedienten, oft an beiden Seiten ganz aufgeschlitzt u. dann wieder durch mehrere Knöpfe mit Belassung vieler Armlöcher verbunden; jetzt ein körperbreiter Tuchstreifen gewöhnlich von Stoff und Farbe des eigentlichen Ordenskleides, der durch den inmitten befindlichen Kopfschlitz auf Hals und Schultern gelegt, vorn und hinten über die Kutte bis fast zur Länge derselben herabhängt. S. heißt in der katholischen Kirche auch ein Sakramentale (s. ð Sakramentalien), das aus zwei mit dem Bilde Mariens oder der Leidenswerkzeuge Christi versehenen Tuchflecken besteht und an zwei Bändchen unter den Kleidern auf Brust und Rücken getragen wird. Die Inhaber solcher Skapuliere gehören einer Skapulierbruderschaft (s. ð Bruderschaften, religiöse) an, deren vorzüglichste die »Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel« (daher Karmelitenskapulier, eingeführt 1587) ist mit dem Skapulierfest am dritten Sonntag im Juli."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Ecclesia militans (lateinisch) = die streitbare Kirche (d.h. die Kirche auf Erden) (Bonaventura, Collationes in hexaemeron 4.3,3)

6 Konklave: (lateinisch, "verschlossenes Gemach"): sowohl der Ort, an dem die Kardinäle (Konklavisten) zur Vornahme der Wahl eines neuen Papstes sich versammeln und eingeschlossen bleiben, als auch die Versammlung selbst

7 Pontifex Maximus = oberster Priester, Bezeichnung für den Papst

8 Urbi et orbi (lateinisch): der Stadt (Rom) und dem Erdkreis; Formel für den Papstsegen

9 Apostat (griechisch): Abtrünniger; vom Glauben Abgefallener

10 Das Erste Vatikanische Konzil (1869/70)

11 accipe me vatem (lateinisch): "nimm mich als Weissager"

12 ecce syllabus (lateinisch) = Siehe der Syllabus. Zum Syllabus siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- Fassung vom 2004-04-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm

13 Non possumus (lateinisch) = Wir können nicht: mit Anwendung der Stelle aus Apostelgeschichte 4, 20 ("Denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden"), Antwort des Papstes Clemens VII. auf die drohende Aufforderung des Königs Heinrich VIII. von England, ihn von seiner Gemahlin Katharina zu scheiden; seitdem allgemeine Formel für jede Weigerung des päpstlichen Stuhles, einer den Grundsätzen der katholischen Kirche widersprechenden Forderung nachzugeben. Von Pius IX. ständig verwendet gegenüber allen Forderungen der Neuzeit.


In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 17, S. 67. -- 1869-04-11

Grad aus dem Gesangbuch
Komm' ich heraus,
Preußen, wie wunderlich
Siehst du mir aus?


Bei der Fußwaschung in Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 26, S. 103. -- 1869-06-06

Wie? Leo Thun1 der Einzige von Allen,
Der seine Stirn fromm auf das Pflaster drückt,
Derweil kein Andrer sich zur Erde bückt? --
-- Er ist vielleicht nur auf den Kopf gefallen.

Erklärung:

1 Leo Graf von Thun (1811 - 1888)

"Thun, Leo, Graf von, österreich. Staatsmann, Bruder des vorigen, geb. 7. April 1811 in Tetschen, gest. 17. Dez. 1888 in Wien, erhielt gemeinsam mit seinen ältern Brüdern eine vorzügliche Erziehung, absolvierte die juridische Fakultät in Prag, machte weite Studienreisen und trat 1836 in den politischen Dienst. Daneben war er eifrig schriftstellerisch tätig, veröffentlichte: »Über den gegenwärtigen Stand der böhmischen Literatur« (Prag 1842), »Die Stellung der Slowaken in Ungarn« (das. 1843). 1845 zur niederösterreichischen Regierung nach Wien versetzt, begleitete er 1846 Stadion als Regierungssekretär nach Galizien, machte dort die Märztage des Jahres 1848 mit, ward 17. April als Gubernialpräsident nach Prag berufen, jedoch schon 19. Juli der Stelle enthoben. Er wandte sich nun wieder schriftstellerischen Arbeiten zu. Nach einem Jahre, 28. Juli 1849, wurde er im Ministerium Schwarzenberg zum Minister für Kultus und Unterricht ernannt. In dieser Stellung machte er sich namentlich um Durchführung der Unterrichtsreform verdient, indem er, unterstützt von Exner und Bonitz, die Gymnasien und die Hochschulen nach deutschem Muster, dasselbe wesentlich verbessernd, organisierte und viele hervorragende Lehrkräfte aus Deutschland berief. Anderseits aber wirkte er als Kultusminister wesentlich zum Abschluss des Konkordats mit. Nach seiner Enthebung, 20. Okt. 1860, war er als lebenslängliches Mitglied des Herrenhauses (seit 1861), in dem er ein Hauptvertreter der klerikalen und feudalen Interessen war, sowie als Abgeordneter des fideikommissarischen Besitzes im böhmischen Landtag, woselbst er sich der mit den tschechischen Föderalisten verbündeten Feudalpartei anschloss, parlamentarisch und politisch eifrig tätig; bei den staatsrechtlichen Verhandlungen des böhmischen Landtags 1865–66 war er Berichterstatter der Majorität. Der Ausgleich mit Ungarn fand in T. einen schroffen Gegner, wie er auch gegen das Ehe- und Schulgesetz von 1868 war. Nach dem Siege der Verfassungspartei über Hohenwart 1871 trat er aus dem böhmischen Landtag aus, in den er erst 1883 wiedergewählt wurde. Vgl. Helfert, Graf Leo T., Lehr- und Wanderjahre in Galizien (im »Österreichischen Jahrbuch«, 1891–93) und Fürst Alfred Windischgrätz und Graf Leo T. in den Prager Junitagen 1848 (Münch. 1886); Frankfurter, Graf Leo T.-Hohenstein, Fr. Exner und H. Bonitz (Leipz. 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Ein Schmerzensschrei. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 33, S. 129. -- 1869-07-18

Zu Hilfe! Hilfe! Feuerwehr! Scabell!
Schutzmänner und ihr grünen Herrn Gendarmen!
Herbei! Wollt unsrer Not euch doch erbarmen,
Und bringt uns Hilf und Rettung -- aber schnell!

"Wo brennt's denn schon? Wo ist denn die Gefahr?" --
Noch ist das Feuer zwar nicht ausgebrochen;
Allein vielleicht schon über zwanzig Wochen,
Schon im Dezember ist er -- unfehlbar!1

"Wer denn? Was denn? Wo denn?" -- Fragt nicht so viel!
Seht wie die Jesuiten agitieren,
Um sie als Glaubenssatz zu proklamieren
Beim nächsten ökumenischen Konzil!

Noch ist es Zeit: noch ist sie vogelfrei,
Noch preisgegeben jedes Angriffs Trutze;
Doch einmal proklamiert, steht unterm Schutze
Sie des Gesetzes und der Polizei!

Unfehlbarkeit des Papstes! Die Gefahr,
Mit der so Volk als Fürsten sie bedrohe --
Ein großer Staatsmann, Durchlaucht Hohenlohe2
Ward jüngst sogar in München sie gewahr.

Er wittert sie, es wird ihm angst und bang;
Er komponiert für alle gleich Bedrohten
Ein ganz Konzertstück voll der schwersten Noten --
Der gute Mensch in seinem dunklen Drang!

Wie beugt man vor -- ragt sein Notschreibebrief --
Ob mit Verwahrungen, ob mit Protesten?
Und wenn -- wie macht man's wohl am allerbesten,
Ob nur identisch oder kollektiv?

O große Durchlaucht, weiser homme d'état!
Warum so ängstlich in die Ferne schweifen?
So lerne klug das Gute nur ergreifen;
Schau um dich -- die Rettung ist dir nah!

Du bist von heut in unsern Schutz gestellt,
Und deiner weisen Politik Verfechter
Sind wir und -- das homerische Gelächter
Der ganzen weiten kultivierten Welt!

Uns reich die Hand, wir sind dir dienstbereit!
Zu uns komm her, mühselig und beladen;
Wir retten dich samt Fürst und Volk vor Schaden,
Selbst vor der schrecklichen -- Unfehlbarkeit.

Unfehlbarkeit! -- Kein Papst und kein Konzil,
Wir selber haben sie schon längst beschlossen:
Unfehlbar der Satire Wurfgeschossen
Ist er -- wie jedes uns gesteckte Ziel.

Dogmatisch fest geschient an Arm und Bein
Und jedem edlen Vor- und Hinterteile,
Wird für des Witzes scharf gespitzte Pfeile
Selbst die Unfehlbarkeit -- unfehlbar sein.

Erklärungen:

1 unfehlbar: am 18. Juli 1870 hat das Erste Vatikanische Konzil die Befürchtung des Kladderadatsch mit dem Dekret Pastor aeternus verwirklicht. Darin wird festgesetzt:

Itaque Nos traditioni a fidei christianae exordio perceptae fideliter inhaerendo, ad Dei Salvatoris nostri gloriam, religionis catholicae exaltationem et christianorum populorum salutem, sacro approbante Concilio, docemus et divinitus revelatum dogma esse definimus:

Romanum Pontificem, cum ex cathedra loquitur, id est, cum omnium Christianorum pastoris et doctoris munere fungens pro suprema sua Apostolica auctoritate doctrinam de fide vel moribus ab universa Ecclesia tenendam definit, per assistentiam divinam ipsi in beato Petro promissam, ea infallibilitate pollere, qua divinus Redemptor Ecclesiam suam in definienda doctrina de fide vel moribus instructam esse voluit; ideoque eiusmodi Romani Pontificis definitiones ex sese, non autem ex consensu Ecclesiae, irreformabiles esse.

(Canon.) Si quis autem huic Nostrae definitioni contradicere, quod Deus avertat, praesumpserit : anathema sit.
Zur Ehre Gottes, unseres Heilandes, zur Erhöhung der katholischen Religion, zum Heil der christlichen Völker lehren und erklären wir endgültig als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, in treuem Anschluss an die vom Anfang des christlichen Glaubens her erhaltene Überlieferung, unter Zustimmung des heiligen Konzils:

Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (= ex cathedra) spricht, das heißt: wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich.

Wenn aber jemand sich anmaßt, dieser unserer Erklärung zu widersprechen, was Gott verhüte, der sei mit dem Bannfluch belegt.

2 Chlodwig Karl Viktor, Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819 - 1901)

"Chlodwig Karl Viktor, Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Prinz von Ratibor und Korvei, deutscher Reichskanzler, geb. 31. März 1819 in Rotenburg a. F., gest. 6. Juli 1901 in Ragaz, studierte in Göttingen, Heidelberg und Bonn die Rechte, trat 1842 in den preußischen Staatsdienst, wurde Referendar in Potsdam und Assessor in Breslau. Da jedoch sein älterer Bruder, Viktor, 1845 die Herrschaften Ratibor und Korvei als Herzog von Ratibor bekam (s. oben, S. 445), übernahm er 1846 die Verwaltung der Herrschaft Schillingsfürst und trat nun als Standesherr in den bayrischen Reichsrat ein, wo er eine nationale, aber preußenfeindliche Richtung verfolgte. 1849 Reichsgesandter in London, schloss er sich nach dem Kriege von 1866 an Preußen an, ward 31. Dez. 1866 bayrischer Ministerpräsident und vertrat, wie er 19. Jan. und 8. Okt. 1867 der Kammer erklärte, weder den im Prager Frieden vorbehaltenen und von den süddeutschen Partikularisten verlangten Südbund noch den deutschen Einheitsstaat, sondern eine föderative Einigung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde. Weniger die Abgeordneten als vielmehr die Reichsräte wollten anfangs den Zollverein und das Zollparlament ohne das liberum veto Bayerns genehmigen, gaben jedoch im Oktober 1867 nach, und dennoch war die nationale Partei im Zollparlament, dessen Vizepräsident H. war, in der Minderheit, so dass die Beratung unfruchtbar blieb. H., einträchtig mit dem Norddeutschen Bunde zusammengehend, erfüllte die durch das Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen von 1866 Bayern auferlegten Pflichten und gestaltete vor allem durch das Gesetz vom 30. Jan. 1869 das bayrische Heer nach dem Vorbilde des preußischen um. Als er aber durch ein neues Schulgesetz, das am Widerspruch der Reichsräte scheiterte, die Schule von der Kirche trennen wollte und nach der Berufung des vatikanischen Konzils durch ein Rundschreiben vom 9. April 1869 die europäischen Kabinette zu einem gemeinsamen Auftreten gegen die römischen Pläne aufforderte, zog er sich den unversöhnlichen Hass der Ultramontanen zu. Als diese nach den Neuwahlen im November 1869: 6 Stimmen Mehrheit erhielten, forderte H. seine Entlassung, blieb aber auf Veranlassung des Königs, bis im Januar 1870 erst die Reichsratskammer und nach einer langen. stürmischen Adressdebatte auch das Abgeordnetenhaus dem Ministerium H. ein ausdrückliches Misstrauensvotum erteilte. Nun nahm der König 7. März Hohenlohes Entlassung an. Als Reichsrat wirkte H. im Juli 1870 für die Teilnahme Bayerns am Krieg, im Winter 1870/71 für die Annahme der Reichsverfassung, ward zu Forchheim in den ersten deutschen Reichstag gewählt und wurde dessen erster Vizepräsident. Nach Arnims Entlassung im Mai 1874 auf den deutschen Botschafterposten in Paris berufen, stellte er ein befriedigendes Verhältnis zu der französischen Regierung her, wohnte dem Berliner Kongress 1878 als dritter deutscher Bevollmächtigter bei, wurde im Juli 1885 als Nachfolger Manteuffels Statthalter von Elsass-Lothringen und verstand es auch hier, durch Umsicht und Takt die Bevölkerung mit der deutschen Herrschaft zu versöhnen. Ende Oktober 1894 zum Reichskanzler und Präsidenten des preußischen Staatsministeriums ernannt, erwarb er sich durch seine auswärtige Politik das Vertrauen der nationalgesinnten Deutschen in wesentlich höherm Grad als sein Vorgänger Caprivi: die Besetzung von Kiautschau 1897, die Erwerbung Samoas 1898, der Kauf der Karolinen-, Palau- und Marianneninseln von Spanien 1899 vollzogen sich unter seiner Kanzlerschaft. Auf dringendes Bitten 17. Okt. 1900 seiner Ämter enthoben und durch den Schwarzen Adlerorden in Brillanten ausgezeichnet, zog er sich ins Privatleben zurück. Seine und seiner Gemahlin, der Prinzessin Marie von Sayn-Wittgenstein-Berleburg, geb. 16. Febr. 1829, gest. 21. Dez. 1897 in Berlin, Söhne sind: Fürst Philipp Ernst, geb. 5. Juni 1853; Prinz Moritz, geb. 6. Aug. 1862, königlich preußischer Rittmeister, und Prinz Alexander, geb. 6. Aug. 1862, Bezirkspräsident des Oberelsass u. 1893–1903 (wildes) Mitglied des Reichstags. Vgl. »Chlodwig Karl Viktor, Fürst von H.-Schillingsfürst, biographische Skizze« (Metz 1885); Ruft, Reichskanzler Fürst Chlodwig zu H. und seine Brüder (Düsseld. 1897); v. Völderndorff, Vom Reichskanzler Fürsten von H., Erinnerungen (Münch. 1902)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Unnötige Verwunderung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 33, S. 130. -- 1869-07-18

Dass auch ein Pfaff nicht Wahrheit spricht,
Das ist doch so Besondres nicht.
Ich möcht euch nur vertraulich fragen:
Glaubt ihr sonst Alles, was euch Pfaffen sagen?



Abb.: Drei moderne Ober-Kirchen-Lichter (Fenster). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 33, S. 132. -- 1869-07-18

Die Disziplin Die Lehre Die Moral

Erklärung:

Dargestellt sind:



Abb.: Warnung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 35, S. 140. -- 1869-08-01

Seid auf eurer Hut! Die Prozessions-Raupe1 nimmt jetzt mehr als je überhand in Deutschland.

Erklärung:

1 Wortspiel mit der Raupe der Prozessionsspinner (Thaumetopoea sp.), die starke Allergien hervorrufen und bei starkem Auftreten Schäden an Pflanzen anrichten können.


Abb.: Raupen des Pinienprozessionsspinners
[Bildquelle: Wikipedia]


In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 36, S. 142. -- 1869-08-01

Mönchsklöster? wie? in Moabit
Mit Kutte und mit Glatze?
Bin ich -- mon Dieu -- sagt mir, ich bitt --
Hier recht am Opernplatze?
Ist das die Spree? ist das mein Pferd,
Worauf ich im Sattel sitze?
Schnell meinen Krückstock und mein Schwert!
Parbleu! -- -- --

Der alte Fritze

Erklärungen:

Bezieht sich auf die Gründung des Dominikanerklosters St. Paulus in Moabit. Das Kloster wurde als erstes nachreformatorisches Kloster Berlins zur  Betreuung der überwiegend aus Schlesien stammenden katholischen Arbeiter der Moabiter Industriebetriebe gegründet. Unterstützung kam vom Fabrikanten August Julius Albert Borsig.

1 Parbleu! (französisch): potztausend!

2 Friedrich II. (1712 - 1786) = Friedrich der Große = der Alte Fritz


Klostergeschichte. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 36, S. 143. -- 1869-08-01

Abgesperrt vom Licht der Sonne,
Eingesargt in dumpfer Gruft,
Wimmert leis' die Mauer-Nonne --
Schauer rings und Moderduft.

In des Klosters Grabgewölben
Sieht man, wie ein Flämmchen zuckt.
Jede Nacht wird in denselben
Zwischen Elf und Eins gespukt.

Und im Kreuzgang gehn Gespenster
Auf und ab im Mondenschein
Huhuhu! am Klosterfenster
Steht ein klapperndes Gebein.

Folterschrauben -- Eisenruten --
An den Wänden angebracht;
Schädel grinsen, Nonnen bluten,
Weheruf dringt durch die Nacht.

Mordgeschichten und Mirakel --
Überall der Teufel los!
Welch ein wüstes Spukspektakel!
Welch Jahrhundert, frei und groß!

Erklärung:

Bezieht sich auf die wohl geistesgestörte Nonne Barbara Ubryk, die bei einer staatlichen Visitation des Karmelitenklosters in Krakau in erbärmlichem Zustand in einer Zelle eingesperrt aufgefunden wurde.

"Barbara Ubryk ist endlich in völliger Geistesumnachtung vom Tode erlöst worden. Wie man sich erinnert, wurde im Jahre 1869 durch eine Gerichtskommission ermittelt, dass in dem Karmeliterinnenkloster eine Nonne Namens Barbara Ubryk, seit einundzwanzig Jahren in einer finsteren kloakenähnlichen Zelle eingesperrt war. Die Nonne, welche sich in einem trostlosen körperlichen und geistigen Zustande befand, war damals 52 Jahre alt; sie war also seit ihrem 31. Lebensjahre aus den Reihen der Lebenden gestrichen worden. Es kam in Krakau zu großen Straßenexzessen, die nur durch ein starkes Aufgebot von Militär und Polizei bewältigt werden konnten. Die Menge wütete gegen die Klöster der Karmeliterinnen und der Jesuiten und wollte dieselben in Brand stecken; es musste mit blanker Waffe eingeschritten werden und erst, als die Unglückliche aus ihrem Grabe befreit und dem Irrenhause übergeben war, trat wieder Ruhe ein. Trotzdem Barbara Ubryk damals noch zuweilen vernünftige Momente hatte, erwies sich ihre Heilung als unmöglich. Sie versank immer tiefer in Geistesnacht, und nun hat der Tod sie erlöst."

[Quelle: Neueste Mittheilungen. -- Jg. X., No. 34. -- 1891-05-05. -- Online: http://amtspresse.staatsbibliothek-
berlin.de/vollanzeige.php?file=11614109/1891/1891-05-05.xml&s=4. -- Zugriff am 2008-01-01]


Bettelbrüderlied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 37/38, S. 145. -- 1869-08-15

Zu singen nach der lustigen Studentenweis1.

Was fang ich armer Frater an?
Jetzt in kathol'schen Landen
Sind wir verfolgt, gehetzt, in Bann
Durch Press- und Judenbanden!
Und daraus folgt der harte Schluss,
Dass ich gen Norden wandern muss.
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

Geschlossen die Inquisition,
Gelöscht die Scheiterhaufen!
Ich armer Bettelordenssohn --
Man kann sich nichts mehr kaufen!
Und wenn er sich nichts kaufen kann,
Was fängt der Bettelbruder an?
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

Verdammt die freie Denkerei!
Wer kauft noch Ablasszettel?
Verboten von der Polizei
Ist selbst der heil'ge Bettel!
Arbeit jetzt heißt das Losungswort --
Die hass' ich, und drum muss ich fort!
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

Weh! unter der Aufklärung Joch
Ist schlimm die Welt geworden!
Nur rote Adler will sie, doch
Nicht einen unsrer Orden!
Fort muss ich, doch mit trübem Sinn
Frag' zweifelnd ich: Wohin? Wohin?
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

Doch halt, ich hab's! Jetzt fällt mir's ein,
Vorbei sind Not und Sorgen.
Ein Dörflein weiß ich, traut und fein,
Am Sand der Spree verborgen.
Dort ist's wohin mein Herz mich zieht --
Salve, salve, mein Moabit!
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

In alten Zeiten sonder Harm
Zog Mittwochs um halb Viere
Dorthin die Köchin Arm in Arm
Mit ihrem Grenadiere;
Und abends wurden handgemein
Der Säbel und das Schemelbein.
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

In spätern Tagen ward der Ort
Der Arbeit freie Stätte;
Viel tausend Hände regen dort
Sich rüstig um die Wette.
Der Hammer pocht, die Esse glüht --
Das ist das neue Moabit.
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

Wo einst das Volk sich lüderlich
Besoffen und gehauen,
Da wollen bettelbrüderlich
Ein Kloster wir erbauen.
Wo jetzt der Arbeit Flammen glüh'n,
Da soll der Bettel wieder blüh'n!
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

Drum mit dem Luther nieder, und
Auch nieder mit dem Hutten2!
Es leb der Bettelbrüderbund
Der braun und weißen Kutten!
Dir klingt mein Sang, Dir tönt mein Lied,
Gelobtes Land, mein Moabit
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum!

Erklärungen:

Bezieht sich auf die Gründung des Dominikanerklosters St. Paulus in Moabit. Das Kloster wurde als erstes nachreformatorisches Kloster Berlins zur  Betreuung der überwiegend aus Schlesien stammenden katholischen Arbeiter der Moabiter Industriebetriebe gegründet. Unterstützung kam vom Fabrikanten August Julius Albert Borsig.

1 Was fang ich armer Teufel an; Melodie von O alte Burschenherrlichkeit

Was fang ich armer Teufel an?
Die Gelder sind verzehret;
mein Hab und Gut ist all vertan,
der Beutel ausgeleeret,
und daraus folgt der harte Schluss,
dass ich aus . . . wandern muss.
|: O jerum, jerum, jerum,
   o quae mutatio rerum! :|

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/oaltebur.html. -- Zugriff am 2008-01-01]

2 Ulrich von Hutten (1488 - 1523): reformatorischer Humanist und Reichsritter.



Abb.: Je länger der Tag (?) je schöner die Leute. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 37/38, S. 149. -- 1869-08-15

Eine Landpartie aus Österreich.

Erklärung: siehe zum Vorhergehenden!


Ein Berliner Wunderpastor1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 41, 2. Beiblatt. -- 1869-09-05

Ich bin Pastor und Journalist
Vide-vide-vid-band-bum!
Bekehr die Leute wie ihr wisst --
Vide-vide-vid-bum-bum!
In meinem "Schutz und Trutz"2 fürwahr
Mach ich die Wahrheit offenbar

In unsrer tiefgesunknen Stadt --
Vide-vide-vid-band-bum--
Schreib ich mein wundertätig Blatt --
Vide-vide-vid-bum-bum--
Mit gläub'gem Stiehl3 und frommem Stahl4 --
Acht Groschen kostet das Quartal.

Kommt her ihr Sünder und bestellt!
Vide-vide-vid-band-bum!
Ihr Frommen kriegt's für's halbe Geld,
Vide-vide-vid-bum-bum.
Hurra! zehn Abonnenten mehr!
Und nochmals zehn! das freut mich sehr!

Und wachs ich also weiter hier
Vide-vide-vid-band-bum--
Dann, schlechte Presse, wehe dir!
Vide-vide-vid-bum-bum!
Dann mach ich in der Residenz
Dem Kladderadatsch noch Konkurrenz --
Vide-vide-vid-band-bum!

Erklärungen:

Nachbildung zum Lied "Ich bin der Doktor Eisenbart".

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/IchBinDr.html. -- Zugriff am 2008-01-01]

 

1 wer der Herausgeber von "Schutz und Trutz" war, konnte ich nicht eruieren

2 Schutz und Trutz : ein Blatt zur Bewahrung und Bewährung evangelischen Christenthums. - Berlin : Matthies   1.1864 - 7.1870[?]

3 Ferdinand Stiehl (1812 - 1878)

"Stiehl, Ferdinand, preuß. Schulmann der sogen. Reaktionszeit, geb. 12. April 1812 in Arnoldshain am Feldberg im Taunus (Kreis Altenkirchen), gest. 16. Sept. 1878 in Freiburg im Breisgau, studierte in Bonn und Halle Theologie, ward 1835 Lehrer, 1839 Direktor am Seminar in Neuwied. Minister Eichhorn berief ihn 1844 ins Kultusministerium, in dem er bis zum Geheimen Oberregierungsrat (1855) stieg. S. war Verfasser der vielumstrittenen »Regulative für das Volksschul-, Präparanden- und Seminarwesen« vom 1., 2. und 3. Okt. 1854, hat aber anderseits anerkannte Verdienste namentlich um das Seminarwesen Preußens und der 1866 annektierten Provinzen. Bald nachdem Falk Minister geworden, trat (1. Jan. 1873) S. in Ruhestand. Er veröffentlichte: »Der vaterländische Geschichtsunterricht« (Kobl. 1842); »Aktenstücke zur Geschichte und zum Verständnis der drei preußischen Regulative« (Berl. 1855); »Die Weiterentwickelung der Regulative« (das. 1861); »Meine Stellung zu den drei preußischen Regulativen« (das. 1872). Auch begründete er 1859 das »Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Friedrich Julius Stahl (1802 - 1861): protestantischer Rechtsphilosoph und führende Gestalt des Konfessionalismus, Antiliberalismus und der Reaktion.


Das Deutsche Vorkonzil. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 42, Beiblatt. -- 1869-09-12

Zu Fulda im Talare
Und reichen Festornat,
Tagt in dem Seminare
Deutschlands Episkopat.
Doch was sie da berieten,
Hat noch kein Mensch entdeckt,
Nicht, was die Jesuiten
"Vermittelt" und "bezweckt".

Und weil sonst zu berichten
Vom Bischofstag nichts ist,
Folgt von den Kirchenlichten
Hier nun die Namenslist.
Zählt man sie all die Namen,
So sind es achtzehn Stück,
Die hin gen Fulda kamen:
Es kam von Osnabrück
Der Bischof, der von Trier
Und Eichstädt, eins, zwei, drei,
Und Mainz dazu sind vier,
Auch Würzburg war dabei.
Augsburg entsandt von Hessen
Pancraz1, den strengen Herrn,
Weih-Kübel2 kam indessen
Gewallt von Freiburgs Fern.
Den Vorsitz führt vom Rheine
Der Kölner Oberhirt,
der zur Eröffnung eine
Hochmesse zelebriert.
Das Protokoll führt Hasse
Von Kulm, und Molitor
Von Speyer spitzt in Masse
Ihm Gänsekiele vor.
Auch den Vikar von Dresden
Und den von Luxemburg
Bemerkt man bei den Gästen.
Es kam von Rottenburg
Der Bischof, der von Passau,
Erzmünchen, Ermeland,
Von Paderborn, doch Breslau
Den Fürstbischof entsandt.
Hei, was man da für feiste
Schmerbäuche wandeln sah!
Und wie, vom Feuergeiste
Gerötet sah man da
Hochwürd'ge Nasen ragen
In domdechant'schem3 Licht.
Mehr wag ich nicht zu sagen,
Hier endet mein Bericht.

Erklärungen:

1 Pankratius von Dinkel (1811 - 1894): Bischof von Augsburg 1858–1894. Als Mitglied des bayerischen Reichrats setzte er sich für die Erhaltung der Konfessionsschulen ein.

2 Dr. Lothar von Kübel (1823 - 1881): Bischofsverweser von Freiburg 1868 - 1882

3 Domdechant: Vorsitzender des Domkapitels



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 44/45, S. 176. -- 1869-09-26

Inzwischen wird im Vatikan an dem Liebestrank gebraut. welcher auf dem Konzil den Andersgläubigen gegeben werden soll, um sie in den alleinseligmachenden Schoß zurückzuführen. Lieb mich oder ich fress dich! Prosit die Mahlzeit!


In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 49, S. 194. -- 1869-10-24

In Sachsen ist ein artiges Verslein aufgekommen, welches lautet:

Seit Pius hier Gevatter stand
Kam lauter Unglück übers Land.



Abb.: Kein Vergnügen ohne Damen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 51, S. 204. -- 1869-11-07

-- Wie meine Damen, Sie sind nicht in Suez oder Rom?
Aber die ganze Welt kann doch nicht in Rom sein!
-- Gewiss nicht! -- ich meinte ja auch nur die halbe.


Ein Totenopfer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 52, S. 206. -- 1869-11-14

Seh ich, wie täglich hoch und höher schwillt
Der Kampf der Pharisäer und der Zöllner,
Dann taucht aus alter Zeit empor ein Bild,
Dein liebes Bild, Johann Christian von Wöllner1!

Das war ein Mann! Das Auge lieblich klar
Zum Himmel stets andächtig aufgeschlagen,
Demut im Gang, gescheitelt fromm das Haar --
Ein Glaubensritter ohne Furcht und Zagen.

Ein "Rosenkreuzer"2 -- für des Ordens Glanz
Und zu des frechen Zeitgeists Unterdrückung
Gewaffnet stets, doch hingegeben ganz
Im Kämmerlein hochseligster Verzückung.

Ein Mann des Worts, des Rede schneidig scharf
Die Zweifler traf und Heiligtums-Verletzer,
Ein Mann der Tat, der sich entgegen warf
Mit offner Brust der Schar abtrünn'ger Ketzer.

Auf seinen Feind hat furchtlos er geblickt,
Von allen Gläub'gen ward sein Mut bewundert,
Gleich Zeus dem Donn'rer warf er sein "Edikt"3
Ins Antlitz dem ungläubigen Jahrhundert.

Ja dem Jahrhundert bot er Trotz zumal
Und Trotz zumal dem Satan der Empörung,
Er schleuderte des Kirchenbannes Strahl
Auf seiner Zeit freigeistige Verschwörung.

Und wie ein Papst vom stolzen Kapitol
Sah er herab und hob zu neuer Ehre,
Zu neuen Herrlichkeiten, das Symbol4,
Den Syllabus5 der protestant'schen Lehre.

Weh Jedem, der nicht fromm für ihn gezeugt!
Weh Allen, die des Volkes Herz vergiften!
Weh dem, der sich dem Symbol4 nicht beugt
Und vor dem Worte der symbol'schen Schriften6!

Fluch jedem Geist, der als "Vernunft-Gesetz"
Sein spottgeboren, welsches7 Dasein fristet,
Und sich heimlich selbst in den Bosquets8
Von Potsdams lausch'gen Gärten eingenistet!

Zur Hölle sei der Spötter Chor verdammt!
Hei, welch ein frommes, frohgemutes Hetzen!
Die Zweifler jagen wir aus Brot und Amt!
Wir richten schon hienieden mit -- Entsetzen.

So sprach der große Mann, so herrschte er,
Gepriesen von befrackten Pharisäern;
Ihm huldigte das treu ergebne Heer
Von Augen-, Sonnen- und von Wortverdrehern.

Er war -- ihr seht! -- ein echter Mann der Zeit,
Und solch ein Mann ist manch bedräuten Landen
Auch heut vonnöten bei Sankt Adelheid9!
Vielleicht -- wer weiß -- ist er bereits erstanden.

Erklärungen:

1 Johann Christoph [!] von Wöllner (1732 - 1800)

"Johann Christoph von Wöllner (* 19. Mai 1732 in Döbritz; † 10. September 1800 in Großriez bei Beeskow) war ein preußischer Pastor und Staatsmann.

Wöllner war der Sohn eines Pastors. Nach Ablegung der Reifeprüfung 1749 begann Wöllner an der Universität Halle ein Studium der Theologie, das er 1754 erfolgreich beendete. Noch im selben Jahr betrief man ihn als Pastor in die Gemeinde Groß Behnitz bei Berlin. Parallel dazu bekam er eine Anstellung als Hauslehrer bei General Friedrich von Itzenplitz.

Als nach einigen Jahren General von Itzenplitz starb, legte Wöllner 1760 alle seine kirchlichen Ämter nieder und pachtete das Gut des Generals. 1768 heiratete er die Gräfin von Itzenplitz, die einzige Tochter seines ehemaligen Dienstherrns. Diese Mesalliance duldete König Friedrich II. nicht: er ließ "Frau Wöllner" enteignen und verbannte sie in die Berliner Hausvogtei. In dieser Zeit entstanden einige polemische Schriften Wöllners (z.B. Die Aufhebung der Gemeinheiten in der Mark Brandenburg). U.a. dieser Pamphlete wegen machte Wöllner die Bekanntschaft von Friedrich Nicolai und wurde auch Mitarbeiter bei dessen Bibliothek über landwirtschaftliche Fragen.

Der König Friedrich II. lehnte bis zu seinem Tod am 17. August 1786 kategorisch ab, Wöllner in den Adelstand zu erheben. Mehrmals nannte der König Wöllner "... einen hinterlistigen und intriganten Pfaffen". 1770 wurde er vom Prinzen Heinrich von Preußen zum Rat bei dessen Domänenkammer ernannt. Nachdem er zunächst wie der König Mitglied der Freimaurerloge Zu den Drei Weltkugeln war, zog sich Wöllner später zurück und wandte sich den Rosenkreuzern zu. Wöllner gründete bald eine eigene Loge und am 8. August 1781 wurde Kronprinz Friedrich Wilhelm dort Mitglied.

Mit der Zeit gewann Wöllner einigen Einfluss auf den Kronprinzen. Am 26. August 1786 wurde er vom neuen Herrscher zum Geheimen Finanz-, Kriegs- und Domänenrat sowie zum Oberhofbau-Intendanten ernannt. Am 2. Oktober desselben Jahres erhob man ihn in den Adelstand und erstattete ihm die enteigneten Güter zurück. Mit der Zeit entbrannte ein politischer Machtkampf zwischen den einzelnen Ressorts und erreichte 1788 den Höhepunkt, als Wöllner den Minister Karl Abraham Freiherr von Zedlitz aus dem Amt drängte. An dessen Stelle wurde nun er zum Justizminister. Da Wöllner zusammen mit seinem König in den verschiedenen Logen verkehrten, konnte er sich gerade dadurch dessen Gunst erhalten.

Der Einfluss Wöllners auf den König machte dann auch das Wöllnersche Religionsedikt vom 9. Juli 1788 möglich. Durch dieses Edikt sollte hauptsächlich die lutherische Landeskirche unterdrückt und der Aufklärung Einhalt zu geboten werden. Erst nach über fünf Jahren wurde es am 27. Dezember 1793 wieder aufgehoben und nun stellte Kritik an den drei Hauptkonfessionen eine Straftat dar und wurde letztendlich mit Amtsentsetzung bedroht. Von diesen Zensurmaßnahmen der Königlichen Examinations-Commission war auch Immanuel Kant betroffen.

Nach dem Tod von König Friedrich Wilhelms II. am 16. November 1797 war die politische Karriere Wöllners zu Ende. Am 11. März 1798 wurde er entlassen und lebte nun abwechselnd auf einem seiner Güter in Brandenburg; u.a. auf Groß-Rietz, das er 1790 gekauft hatte. Dort starb er dann auch im Alter von 68 Jahren am 10. September 1800."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Christoph_von_W%C3%B6llner. -- Zugriff am 2008-01-02]

2 Rosenkreuzer

"Rosenkreuzer heißen die Mitglieder einer theosophischen Geheimgesellschaft, die namentlich in Preußen zu Ende des 18. Jahrh. großen Einfluss besaß. Der Name wird zuerst von dem protestantischen Theologen Andreä (s. ð Andreä 2) in drei anonymen Flugschriften: »Fama Fraternitatis des löblichen Ordens der R.« (Kassel 1614), »Konfession der Societät der R.« (das. 1613) und »Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz« (1616) gebraucht, die als Satiren auf die Alchimisten und Astrologen gemeint waren. Ihre Wirkung war gerade gegenteilig, denn die als Übertreibung dargestellten Ideen fanden wirklich Anhänger, die seit 1622 in Holland Gesellschaften bildeten. Andreä nannte sich einen Ritter vom Rosenkreuz, weil er ein Andreaskreuz mit vier Rosen (den Symbolen der Geheimhaltung) in seinem Petschaft führte, woraus das Wappen der spätern R. (Andreaskreuz und Rose mit der Umschrift: »Crux Christi Corona Christianorum«) hervorgegangen ist. Die Mitglieder der alten, von Holland aus verbreiteten Gesellschaft, die übrigens nicht viel Anhänger fand, nannten sich »wahre« oder »echte« R., später auch »R. alten Systems« (so in der anonymen Schrift »Der R. in seiner Blöße«, Amsterd. 1781), und bis zur Mitte des 18. Jahrh. taucht der Name auch sonst immer wieder bei Gauklern auf. Um 1765 traten in Süddeutschland neue R. auf; für die Verbreitung ihrer Gesellschaft traten besonders die Ärzte Schleiß von Löwenfeld zu Sulzbach und Doppelmeyer zu Hof ein. Die bald zahlreichen Anhänger des Ordens huldigten katholischen Grundanschauungen, die Organisation war der des Jesuitenordens nachgebildet, und alchimistische Spielereien wurden getrieben. Bedeutung hat die Rosenkreuzerei dadurch gewonnen, dass der preußische Minister ð Wöllner (s. d.) und ð Bischofswerder (s. d.) der Gesellschaft angehörten. G. Schrepfer in Leipzig und Cagliostro gaben sich als Agenten des mit geheimen Kenntnissen ausgerüsteten Rosenkreuzerbundes aus und verübten in dieser Maske einträgliche Schwindeleien. Vgl. auch Péladan. – Im schottischen Titusorden ist der Ritter oder Prinz vom Rosenkreuz (le souverain prince Rosecroix) der 18. Grad, eine Erinnerungsfeier des Todes und der Auferstehung Jesu in katholisch-religiöser Weise. Vgl. E. Sierke, Schwärmer und Schwindler des 18. Jahrhunderts (Leipz. 1874); Waite, The real history of the Rosicrucians (Lond. 1887); Philippson, Preußisches Staatswesen vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen, Bd. 1 (Leipz. 1880). Viele Rosenkreuzeriana verzeichnet der Antiquariatskatalog N. S., Nr. 121, von T. O. Weigel (Leipz. 1906)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Wöllnersches Religionsedikt vom 1788-07-09:

4 Symbol = GLaubensbekenntnis

5 Syllabus: siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- Fassung vom 2004-04-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm

6 Symbolische Schriften = Bekenntnisschriften

7 welsch: fremdländisch, französisch

8 bosquet (französisch) = Baumgruppe

9 Adelheid Mühler, geborne v. Goßler (gest. 4. Okt. 1901); Gattin von Heinrich Mühler, preußischer Kultusminister



Abb.: Aus Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 52, S. 208. -- 1869-11-14

In einem Neste des St. Peter ist ein Ei gelegt worden, das auszubrüten die Tauben aus aller Welt zusammengelockt werden.


Fatale Lage. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 57, S. 226. -- 1869-12-12

Manchmal wird mir recht abscheulich
Wirr und schwindelhaft im Kopf!
Und ich fasste mich erst neulich
Zweifelnd an den eigenen Schopf,
Und ich fragte mich verwundert:
Bin ich', bin ich's nicht? ihr Leut!
Welches Datum, welch Jahrhundert --
Ich vergaß es -- schreibt man heut?

Welches Blitzen, welches Wettern,
Als ob mit des Sturmes Ton
Der Gerichtsposaune Schmettern
Durch die Lande zöge schon.
Orgelklang und Klang der Glocken
Weheklag und Trauer nur!
Hier gescheitelt lange Locken,
Dort im Mondglanz die Tonsur.

Welch ein Pochen und Gepolter,
Ist mir doch, als hört' zur Stund
Ich das Knarren schon der Folter
In des Kellers tiefstem Grund;
Als hört ich, wie sich's inwendig
Regt in Gräbern mit Gewalt,
Als säh' ich ersteh'n lebendig
Torquemadas1 Schreckgestalt.

Von des Weihrauchs Wolken gänzlich
Ist die Sonne finster schier,
Und es riecht so ketzerbrenzlich
Und so knoblauchduftig hier.
Judenhetzen und Gemetzel,
Zeterruf und Scheiterhauf -- --
Sag, wo bleibst du, heil'ger Tetzel2?
Tetzel, schlag den Kasten auf!

Stola, Glatze und Kapuze,
Pfäfflein rings, wohin ich seh,
Fromm geschart zu Schutz und Trutze --
Welch herrliche Armee!
Purpurröcke, graue Kutten,
Lange Rob' et cetera -- --
Und ich frag: wo bleibt mein Hutten3?
Ist denn noch kein Hutten da?

Sag mir: träum ich oder wach ich?
Endet meines Zweifels Not!
Sagt mir: wein ich oder lach ich,
Leb ich oder bin ich tot?
Nur nach einer Antwort lechz' ich:
Welche Jahrzahl führt die Zeit?
"Achtzehnhundertneunundsechzig"!
Schönsten Dank für den Bescheid!

Erklärung:

Am 8. Dezember 1869 war das Erste Vatikanische Konzil eröffnet worden.

1 Thomas de Torquemada (1420 - 1498)

"Thomas de Torquemada, span. Inquisitor, geb. 1420 in Valladolid, gest. 16. Sept. 1498 im Kloster von Avila, getaufter Jude, war 22 Jahre lang Prior des Dominikanerklosters in Segovia, 1482 Adjunkt der Inquisition, seit 1483 General- oder Großinquisitor in Kastilien und Aragonien. Als solcher hat er seinen Namen mit Fluch und Blut beladen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2  Johann Tetzel (1465 - 1519): berüchtigter Ablasshändler

3 Ulrich von Hutten (1488 - 1523): reformatorischer Humanist und Reichsritter.


In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 57, S. 228. -- 1869-12-12

So'n bisschen Lateinisch ist doch wunderschön!1

Der gebildete Hausknecht

Les beaux esprits se rencontrent2
Für die nicht Lateinisch sprechenden Spanischen, Französischen und Amerikanischen Bischöfe wird eine lateinische Exerzierstunde eingerichtet, damit dieselben auf dem Konzil wenigstens das Notwendigste in jener toten Sprache von sich geben können. Und darf ich fragen, mein schönes Fräulein, welches das Ziel Ihrer Reise ist?

Ebenfalls Rom, mein Herr, ich gehe auch auf das Konzil

Erklärunen:

1 Auf der Tafel steht "Non possumus"  = Wir können nicht: mit Anwendung der Stelle aus Apostelgeschichte 4, 20 ("Denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden"), Antwort des Papstes Clemens VII. auf die drohende Aufforderung des Königs Heinrich VIII. von England, ihn von seiner Gemahlin Katharina zu scheiden; seitdem allgemeine Formel für jede Weigerung des päpstlichen Stuhles, einer den Grundsätzen der katholischen Kirche widersprechenden Forderung nachzugeben. Von Pius IX. ständig verwendet gegenüber allen Forderungen der Neuzeit.

2 Les beaux esprits se recontrent (französische Redensart) = Schöne Seelen finden sich.



Abb.: Siehstewiedebist?! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 58, S. 231. -- 1869-12-19

"der Jesuiten-Orden ist eine zuverlässige Stütze der Regierung, und seine Lehre vom unbedingten Gehorsam ein notwendiges Fundament auch im Staatsleben." v. Bismarck, 1866.



Abb.: Concilium abeundi1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 22, Nr. 58, S. 232. -- 1869-12-19

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft!

Goethe2

Erklärungen:

1 Cocilium abeundi: Wortspiel mit consilium abeundi = Rat, wegzugehen (d.h. Ausschluss von der Schule)

2 Faust I, Studierzimmer:

MEPHISTOPHELES in Fausts langem Kleide.

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Lass nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab' ich dich schon unbedingt –


Zu Kladderadatsch 1870 - 1887

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