Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII:

Kladderadatsch (1848 - 1944)

2. Jahrgang 23 - 40 : 1870 - 1887


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII: Kladderadatsch (1848 - 1944)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- 2. Jahrgang 23 - 40 : 1870 - 1887. --  Fassung vom 2010-01-14. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen132.htm    

Erstmals publiziert: 2004-04-30

Überarbeitungen: 2010-01-14 [Ergänzungen]; 2008-08-22 [Ergänzungen]; 2008-01-10 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2008-01-02ff. [Ergänzungen]; 2007-12-31 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-21ff. [Ergänzungen]; 2007-11-22 [Ergänzungen]; 2005-02-06 [Ergänzungen]; 2004-12-24 [Ergänzungen]; 2004-11-20 [grundlegend erweitert und überarbeitet]; 2004-06-07 [Ergänzungen]; 2004-05-11 [Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelleiste von Nr 1, 1848

Kladderadatsch : humoristisch-satirisches. Wochenblatt. -- Berlin : Hofmann. -- 1848 - 1944

"Kladderadatsch, in Norddeutschland gebräuchlicher Ausruf, um einen mit klirrendem oder krachendem Zerbrechen verbundenen Fall zu bezeichnen; auch substantivisch gebraucht in der Berliner Redensart: »einen K. machen« (z. B. mit Fenster- und Laterneneinwerfen). Allgemeiner bekannt wurde das Wort als Titel des 1848 von David Kalisch (s. d.) gegründeten, in Berlin wöchentlich einmal im Verlage von A. Hofmann u. Komp. erscheinenden Witzblattes, das vorzugsweise die politische Satire kultiviert und besonders durch E. Dohm, R. Löwenstein und den Zeichner W. Scholz, dessen Karikaturen auf Napoleon III. und Bismarck große Popularität gewannen, zu literarischer und künstlerischer Bedeutung erhoben wurde. Auch die von den »Gelehrten« des K. erfundenen ständigen Figuren Müller und Schulze, Zwickauer, Karlchen Mießnik u. a. sind volkstümlich geworden. Gegenwärtig (1905) ist Joh. Trojan (s. d.) Redakteur des K. Die hervorragendsten künstlerischen Mitarbeiter sind G. Brandt und L. Stutz. Als Sonderausgaben erschienen unter anderm: »Bismarck- Album des K.« (300 Zeichnungen von W. Scholz, 1890; 27. Aufl. 1900), »Ein Kriegsgedenkbuch aus dem K. in Ernst und Humor aus den Jahren 1870 und 1871«, von J. Trojan und J. Lohmeyer (1891), »Die Kriegsnummern des K. 1870-1871« (1895), »Im tollen Jahr. 1. Jahrgang des K. 1848«, mit Anmerkungen und Erläuterungen (1898)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Alle Jahrgänge von 1848 - 1944 online: http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/kladderadatsch.html. -- Zugriff am 2007-12-21

Eine wichtige Quelle für 1870 bis 1910 ist auch der Sammelband:

Zentrums-Album des Kladderadatsch 1870 - 1910. -- Berlin: A. Hofmann, 1912. -- 286 S. : 300 Ill.

Für die Zeit bis 1890 kommt dazu:

Bismarck-Album des Kladderadatsch / mit dreihundert Zeichnungen von Wilhelm Scholz. -- 2. Auflage. -- Berlin : A. Hofmann, 1890. -- 184 S. : 300 Ill.

Nachdruck: Die schönsten Bismarck-Karikaturen : ein Bismarck-Album des Kladderadatsch. -- Nachdruck der Ausg. Berlin 1890. -- Hildesheim : Olms, 1981. -- ISBN 3-487-08228-4

Audiatur et altera pars = es soll auch die Gegenseite gehört werden: Eine ausführliche Darstellung der Zentrumspolitik aus der Hand eines gemäßigt-katholischen - trotzdem furchterregenden - Mitspielers ist:

Bachem, Karl <1858 - 1945>: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei : Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung, sowie zur allgemeinen Geschichte des neueren und neuesten Deutschland 1815-1914. -- Köln : J. P. Bachem, 1927 - 1931. -- 9 Bände : 26 cm.


1870


Syllabus Syllaborum Serenissimi Patris Kladderadtaschii1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 7, S. 25. -- 1870-02-13

(Frei nach dem Bericht der A. A. Z.2)

Kanon I.

So Einer sollte zu behaupten wagen
In gegenwärt'gen oder künft'gen Tagen,
Dass aller Fehl' und alles Irrtums frei,
Mit einem Wort, dass er unfehlbar sei;
Wer Solches spräch', ja wer's auch nur gedacht —
Der sei verlacht!

Kanon II.

So Einer spräch' von Pflichten oder Rechten
Des Rinen, Andersglaubende zu ächten,
Und ein Gebot, ein göttliches, geweiht,
Sei jedem Gläub'gen die Unduldsamkeit;
Wer also blinden Eifers Wut entfacht --
Der sei verlacht!

Kanon III.

So Einer sich vermisst, zum Heil der Seelen
Wahrheit zu künden nicht, nein zu befehlen,
Und alle, die nicht folgen seinem Zwang,
Durch Richterspruch und äuß'rer Strafen Drang
Zu zücht'gen — der — trotz Pomp und Flitterpracht —
Der sei verlacht!

Kanon IV.

So Einer sich erkühnt, des Staates Rechte,
Die ewig von Geschlecht sich zu Geschlechte
Forterben als der Menschheit heilig Pfand,
Zu höhnen nur als eitel Lug und Tand,
Trüg' nicht von Ihm zu Lehn der Staat die Macht —
Der sei verlacht!

Kanon V.

So Einer an der Lehre sich beteiligt,
Die kündet, dass der Zweck die Mittel heiligt,
So, aller Sitte bar und aller Scham,
Er peterspfennigfuchst mit Ablasskram
Für jeden Unfug, jede Niedertracht --
Der sei verlacht!

Kanon VI.

So Einer aber freundlichst wollt versuchen,
Der Menschheit Hälfte liebend zu verfluchen,
Und wähnt, dass auf der Feinde Haupt zumal
Blitzzündend seines Bannes Donnerstrahl,
Die sünd'ge Welt vertilgend, niederkracht --
Der sei verlacht!

Erläuterung: Angriff auf Papst Pius IX. und das Erste Vatikanische Konzil,

"Vatikanisches Konzil, nach der Zählung der römischen Kirche die 20. ökumenische Kirchenversammlung, tagte vom 8. Dez. 1869 bis 20. Okt. 1870 und brachte die katholische Lehrbildung durch Definierung der päpstlichen Unfehlbarkeit zum Abschluss. Seit dem Scheitern der großen Reformkonzile des 15. Jahrh. war die absolute Bedeutung des Papsttums auch auf dem Gebiete der Lehre tatsächlich entschieden. Sie auch kirchenrechtlich vollzogen zu sehen, gehörte schon lange zu den Lieblingsideen Pius' IX. Seit 1864 war der Entschluß in ihm gereist, zu diesem Zweck ein Konzil zu berufen. Das vage Programm des Einberufungsschreibens vom 29. Juni 1868 unzweideutig auszulegen übernahmen die Jesuiten in der »Civiltà cattolica«. Die in jenem Schreiben erwähnte Heilung der allgemeinen Weltübel sollte durch Bestätigung des Syllabus (s. d.) vom 8. Dez. 1864, durch die Dogmatisierung der Himmelfahrt Marias und vornehmlich der päpstlichen Unfehlbarkeit erfolgen. Dass dadurch das Verhältnis der Kirche zum Staate von dem modernen Rechtsboden wieder auf denjenigen der mittelalterlichen Theorie, wie sie Gregor VII., Innozenz III. und Bonifatius VIII. formuliert hatten, zurückgeführt werde, machte trotz des am 9. April 1869 erlassenen Rundschreibens des bayrischen Ministers v. Hohenlohe den Regierungen wenig Sorge. Aber die Zusammensetzung des Konzils wies ein wenig verheißungsvolles Gepräge auf. Zur Teilnahme berechtigt waren gegen 1050 Prälaten; es erschienen 774, davon viele nur vorübergehend. Darunter befanden sich 276 Italiener, dem Papst meist unbedingt ergeben; dasselbe galt von den 41 Spaniern, 83 Asiaten, 14 Afrikanern, 13 Australiern. Deutsche Mitglieder waren nur 19, österreichisch-ungarische 48, französische 84 vorhanden und auch unter diesen nicht wenige, die zur unbedingt päpstlichen Partei gehörten. Diese letztere setzte sofort eine an den Papst gerichtete Petition um Definierung der Unfehlbarkeit in Umlauf. Für eine Gegenadresse fanden sich nur 137 Unterschriften, und auch innerhalb dieser Minorität war man über den Standpunkt, von dem aus die Unfehlbarkeit zu bekämpfen sei, keineswegs einverstanden. Unter solchen Umständen konnte schon 21. Jan. den Vätern ein »Schema der dogmatischen Konstitution über die Kirche Christi« zugehen, das über die letzten Absichten der Kurie keine Zweifel mehr ließ. Nun regten sich freilich die Regierungen; aber der im Sommer ausbrechende Deutsch-französische Krieg ließ es zu keinem energischen und gemeinsamen Vorgehen kommen. Die Kurie ihrerseits hatte den Gang der Verhandlungen durch eine neue, die Minorität lahm legende Geschäftsordnung beschleunigt und hierauf dem Konzil 6. März einen Zusatzartikel zu jenem Schema vorgelegt, dass der Papst in Sachen des Glaubens und der Moral nicht irren könne. Nach einigen Redaktionsmanövern wurde 24. April die Konstitution über den katholischen Glauben, 13. Juli die Konstitution über die Kirche Christi genehmigt, jene einstimmig, diese mit 451 unbedingten gegen 62 bedingte Placet und 88 Non placet. Mit dieser Tat war der Mut der Opposition erschöpft, das Schreckgespenst eines drohenden Schismas lähmte ihre letzten Kräfte. Die Opponenten verließen Rom, und in der entscheidenden vierten öffentlichen Sitzung 18. Juli stimmten 533 Väter mit Placet, nur 2 mit Non placet. Das neue Dogma wurde nach und nach auch von den Bischöfen der Opposition in ihren Diözesen verkündigt, der Widerspruch schlug sich im Altkatholizismus (s. d.) nieder."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

1 Syllabus Syllaborum Serenissimi Patris Kladderadtaschii (lateinisch): Syllabus aller Syllabuse des Durchlautigsten Vaters Kladderadatsch

Zum Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08) siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm

2 Augsburger Allgemeine Zeitung


Die Kunst, verflucht zu werden. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 7, S. 27. -- 1870-02-13

(Praktischer Anhang zu unserm Syllabus Syllaborum.)

Einleitung.

Mach dir keine Illusion
In Betreff der Zukunft, Sohn!
Unter uns gesagt: ich fürcht,
Dass auch dich der Böse würgt.
Steht doch klar im Syllabus,
Wie und was man glauben muss.
Spitz die Ohren also, hör!
Ganz verflucht klingt es, auf Ehr!

1. Satz

Wer der neuen Wissenschaft
Lehren hält für vorteilhaft,
Wer mit Hegel, Schelling, Kant
Achtung hat vor dem Verstand;
Wer nach Darwins Theorie
Forsch nach dem Warum und Wie,
Oder wer Karl Vogt1 besucht --
Sei verflucht, verflucht, verflucht!

2. Satz.

Wer den heil'gen Arbues2
Hält für nichts Erfreuliches;
Wer nicht an den Knochen3 glaubt,
Noch an Zauber überhaupt;
Wer den Lappen4 nicht verehrt;
Wer der Klosterwirtschaft Wert
Leugnet trotzig und verrucht --
Sei verflucht, verflucht, verflucht!

3. Satz.

Wer -- ein Höllenbrand und Tor --
Glaubt, die Staatsgewalt geht vor
Vor der edlen Klerisei;
Wer den Staat -- o Ketzerei! --
Wenn der Papst nicht eben das
Wünschen sollt -- zu irgendwas
Irgendwie hält für befugt --
Sei verflucht, verflucht, verflucht!

4. Satz.

Ja sogar, wer lammesfromm
Glaubt, dass er zu Gnaden komm,
Weil er fest zu Wantrup5 steht
Und mit Knak6 die Sonne dreht:
Der auch, wenn er nicht aufs Haar
Hält den Papst für unfehlbar --
Ist er sonst auch ausgesucht --
Sei verflucht, verflucht, verflucht!

Schluss.

Wen'ge, Söhnlein, bleiben nur,
Als der Ausschuss der Natur,
Wie der Syllabus uns lehrt,
Die nicht sind verfluchenswert.
Siehst du dir die Wen'gen an,
Sicher, glaub ich, stimmst du dann
Mit mir in den Hymnus ein:
Ha, welch Glück verflucht zu sein!

Erklärungen:

1 Karl Vogt (1817 - 1895)

"Vogt, Karl, Naturforscher, geb. 5. Juli 1817 in Gießen, gest. 5. Mai 1895 in Genf, studierte seit 1833 in Gießen Medizin, arbeitete in Liebigs Laboratorium und machte seit 1835 in Bern anatomische und physiologische Studien. Seit 1839 beteiligte er sich in Neuenburg an den Arbeiten von Agassiz und Desor und an Agassiz' Gletscherexpeditionen, lieferte den 1. und einen großen Teil des 2. Bandes von dessen »Histoire naturelle des poissons d'eau douce« 1844–46 lebte er in Paris und 1847 wurde er Professor in Gießen. 1848 von Gießen in das Vorparlament und in die deutsche Nationalversammlung gesendet, gesellte er sich hier zur äußersten Linken und war einer der gewandtesten und schlagfertigsten Redner der Versammlung. Er folgte dem Parlament auch nach Stuttgart, wo er in die Reichsregentschaft gewählt wurde. Seines Lehramtes in Gießen enthoben, lebte er bis 1850 in Bern, machte dann in Nizza Untersuchungen über die Seetiere und ging 1852 als Professor der Geologie nach Genf. Später erhielt er auch die Professur der Zoologie und wurde zum Mitglied des Großen Rates sowie zum eidgenössischen Ständerat, 1878 zum schweizerischen Nationalrat erwählt. Er trat als einer der eifrigsten Vorkämpfer des Materialismus und später des Darwinismus auf und zog dessen letzte Konsequenzen mit großer Klarheit. 1861 leitete er eine Expedition nach dem Nordkap, über die er in der »Nordfahrt« (Frankf. 1863) berichtete. Er schrieb: »Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der Geburtshelferkröte« (Soloth. 1842); »Im Gebirg und auf den Gletschern« (das. 1843); »Lehrbuch der Geologie und Petrefaktenkunde« (Braunschw. 1846, 2 Bde.; 4. Aufl. 1879) und »Physiologische Briefe für Gebildete aller Stände« (Stuttg. 1845–46; 4. Aufl., Gieß. 1874); »Zoologische Briefe« (Frankf. 1851, 2 Bde.); »Ozean und Mittelmeer«, Reisebriefe (das. 1848, 2 Bde.); »Bilder aus dem Tierleben« (das. 1852); die mit beißender Satire versetzten »Untersuchungen über Tierstaaten« (das. 1851), später zusammengefasst als »Altes und Neues aus dem Tier- und Menschenleben« (das. 1859, 2 Bde.); »Köhlerglaube und Wissenschaft« (Gieß. 1855, 4. Aufl. 1856), eine Streitschrift gegen Rudolf Wagner; »Die künstliche Fischzucht« (Leipz. 1859, 2. Aufl. 1875); »Grundriß der Geologie« (Braunschw. 1860); »Vorlesungen über den Menschen, seine Stellung in der Schöpfung und in der Geschichte der Erde« (Gießen 1863, 2 Bde.); »Vorlesungen über nützliche und schädliche, verkannte und verleumdete Tiere« (Leipz. 1864); »Über Mikrokephalen oder Affenmenschen« (Braunschw. 1867; franz., Basel 1867); »Die Herkunft der Eingeweidewürmer des Menschen« (Basel 1877); »Die Säugetiere in Wort und Bild« (mit Bildern von Friedr. Specht, Münch. 1883); »Lehrbuch der praktischen vergleichenden Anatomie« (mit E. Yung, Braunschw. 1885–94, 2 Bde.; franz. Ausg., Par. 1883–94) und »Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rückblicke« (Stuttg. 1895). Vgl. William Vogt (Sohn), La vie d'un homme. Carl V. (Par. 1896)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Heiliger Peter Arbues (1411 - 1485)

"Arbuës, Peter de, span. Inquisitor, geb. mit 1411 zu Epila in Aragonien, Augustiner-Chorherr in Saragossa, ward 1484 zum ersten Inquisitor für Aragonien berufen und erwarb sich als solcher den Ruf eines unermüdlichen Verfolgers der Ketzer. Die Freunde und Verwandten seiner zahlreichen Opfer verschworen sich gegen ihn, und er starb 17. Sept. 1485 infolge eines Attentats, das in der Kirche vor dem Altar auf ihn gemacht worden war. A. wurde bald nach seinem Tod ein hochgefeierter Wundermann. Papst Alexander VII. sprach ihn 1661 selig, und Pius IX. nahm ihn 29. Juni 1867 in die Zahl der Heiligen auf. W. v. Kaulbach hat ihn auf seinem Bilde: Peter A. von Epila verurteilt eine Ketzerfamilie zum Tode, nach dem Typus von Schillers Großinquisitor dargestellt. Vgl. Zirngiebl, Peter A. (3 Aufl., Münch. 1872)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Knochen = Reliquien

4 Lappen = Hl. Rock zu Trier

5 Wantrup: Urheber der West-Preussischen Zeitung. -- Danzig   1.1865 - 1895: so konservativ wie die Kreuzzeitung

6 Gustav Friedrich Ludwig Knak (1806 - 1878): evangelischer Erweckungsprediger, Förderer des Missionsgedankens und viel beachteter Kirchenlieddichter. Vertrat und verteidigte das biblisch-antike Weltbild. Die Evangelischen gedenken seiner am 27. Juli.


Der "Verräter". -- In Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 10, S. 37. -- 1870-02-27

Das war der heilige Vater zu Rom,
Der hatte zu den Stufen
Des Alters in Sankt Peters Dom
Ein groß Konzil berufen.
Sie kamen aus aller Welt herbei,
Die frommen Väter, unzählbar;
Es sollte die ganze Klerisei
Der Welt verkünden: Der Papst, er sei
Unfehlbar.

Und sintemal und alldieweil
Für gar hochwichtig gegolten
Die Dinge, so zu der Seelen Heil
Verhandelt werden sollten:
Drum durft' von all der Herrlichkeit
Kein Sterbenswörtlein hören
Die böse Welt; drum mussten den Eid
Der allerstrengsten Verschwiegenheit
Sie schwören.

Die frommen Hirten der Christenheit,
Die braven biedern Alten,
Sie haben auch den heil'gen Eid
Wie's ihnen ziemt, gehalten
Denn kaum sprach drinnen ein leises Wort
Nur Einer der Herrn Prälaten,
So war's in die böse Welt sofort
Hinaus, gen Ost, Süd, West und Nord,
Verraten.

Gedruckt auf weißem Papiere stand's
Mit dicken schwarzen Lettern;
In allen Schänken las es Hans
Und Kunz in in Zeitungsblättern.
Die Mägde schwatzten's aus am Born,
Und auf dem Dach die Spatzen,
Die Buben pfiffen's hinten und vorn --
Der heilige Vater wollt vor Zorn
Schier platzen.

Und stieß aus seinem heiligen Mund
Groß Fluchen und Gezeter:
Aufspüren sollt sogleich man und
Bestrafen die "Verräter".
Ausweisen sollte man sie All,
Insonderheit den Einen,
Den Allerschlimmsten auf jeden Fall,
Den Schreiber der Augsburger All-
gemeinen!

Gesagt, getan! Verbannt sofort
Ward, für den heil'gen Glauben,
Ein Blinder hier, ein Andrer dort,
Unschuldig wie die Tauben.
Allein, wie Viele sie wiesen aus,
's ist nach wie vor geblieben:
Ein jedes Wörtlein ward -- o Graus! --
Sogleich in alle Welt hinaus
Geschrieben.

Verschließt nur hinter eh'renem Tor
Euer heiliges Geheimnis;
Ihr tut's umsonst -- es dringt hervor
Zu Tag ohn' alle Säumnis.
Sucht den Verrat: ihr findet nichts
Als -- eurer Furcht Gespenster!
Die Luft verrät's, der Strahl des Lichts;
Sperrt fest die Türen zu, dann bricht's
Durch Fenster!

Und wollt ihr wissen, wie er heißt?
Und wollt ihr ihn erkennen? --
Ich bin's, ich selbst, den sie den Geist,
Den Geist der Zeiten nennen!
Nun kennt ihr mich, ihr heiligen
Geheimnisfrommen Väter!
Jetzt sperrt mich ein, den eiligen,
Abscheulich unverzeihlichen
"Verräter"!


Die Helden der Diplomatie. (Europäisches Zwiegespräch.). -- In Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 11, 2. Beiblatt. -- 1870-03-06

Rom.
Verflucht, wer meinem Willen
Nicht stramm sich unterwirft.

Bayrischer Diplomat.
Ein Wort nur ganz im Stillen --
Wenn ich Dich bitten dürft.

Rom.
Verflucht, wer den Gesetzen
Fortan gehorcht im Staat.

Französischer Diplomat.
Ich möcht Dich nicht verletzen,
Doch höre meinen "Rat".

Rom.
Auch Du verfällst dem Fluche,
wenn Du zu murren wagst.

Französischer Diplomat.
Ich murren? -- Ich ersuche
Nur, dass Du Dich "vertagst".

Rom (empört).
Fluch Dir und Fluch den Deinen,
Und Fluch der Gegenwart.
 

Österreichischer Diplomat (höflichst).
Die "Konsequenzen" scheinen
Mir freilich etwas hart.

Rom (zuvorkommend).
So ruf ich zur Empörung
Die Völker rings umher!

Österreichischer Diplomat (erschöpft).
Doch halte die Erklärung
Nur möglichst "doktrinär!"

(Allgemeines Kreuzkriechen und Pantoffelküssen.)


Guckkastenlied1 <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 13, S. 49. -- 1870-03-20

Raritäten fein zu sehn,
Schöne Raritäten!
Vite, éh bien, Messieurs, Mesdames!
Muss heran sik treten!
Schauen hier für Lumpengeld
Ganze große Lumpenwelt
In die Guckekasten.

Nur heran! Belieben hier
Durch der Glas zu gaffen:
Sein versammelt hier in Rom
Ganzes Rudel Pfaffen
Sein Achthundert nik zu viel
Bei die heilige Konzil.
Is sik ökumenisch.

Heil'ger Vater, alter Herr,
Fast schon h'infallibel2,
Will unfehlbar sein; soll Staat
Putzen ihm die Stiebel!
Aber Staat is nik so dumm
Wie er aussieht! Sagt darum:
Bange machen gilt nicht!

"Pfaffe Dollingerius3,"
Sonst ein frommer Hetzer,
Werden hier verrufen als
Liberaler Ketzer!
Steht als Märtyrer jetzt da;
"Unitá cattolica"4
Schimpft ihn -- "Lola Montez!"5

"Pfaffe Dollingerius!" --
Selik Heinrik Heine
Dreht sik um in seine Grab,
Klappert mit Gebeine:
"Pauvre Dollingerius!
Dass ik erst als Toter muss
Solchen Spaß erleben!"

[...]

Erklärungen:

1 Guckkasten

"Ein Guckkasten ist ein Schau- und Betrachtungsgerät, das einen Blick in sein Inneres erlaubt und dem Betrachter Grafiken mit täuschend echter perspektivischer Weite darstellt. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Guckkasten eine beliebte Jahrmarktsattraktion in ganz Europa. Die Guckkastenbilder mit Ansichten von europäischen Sehenswürdigkeiten, aber auch exotischen Szenen und theatralischen Darstellungen, prägten das Bild breiter Volksschichten von der „weiten Welt“. Der Guckkasten gilt somit als eines der ersten Massenmedien."


Guckkasten auf einem Jahrmarkt, um 1840

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Guckkasten. -- Zugriff am 2008-01-03]

2 h'infallibel: Wortspiel mit infallibel = unfehlbar

3 Ignaz Döllinger (1799 - 1890)

"Döllinger, Johann Joseph Ignaz, berühmter katholischer Theolog, Sohn des vorigen, geb. 28. Febr. 1799 in Bamberg, gest. 10. Jan. 1890 in München, ward 1822 Kaplan in der Bamberger Diözese, 1823 Lehrer am Lyzeum zu Aschaffenburg, 1826 außerordentlicher und 1827 ordentlicher Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts in München. Zu dieser Würde traten mit der Zeit die eines Mitgliedes der Akademie der Wissenschaften (1838), Propstes zu St. Cajetan (1847) und Reichsrates (1868). Auch war er Mitglied der bayrischen Ständekammer seit 1845 und dann wieder seit 1849 sowie 1848 und 1849 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Für die durchaus ultramontane Tendenz, von der seine damalige Wirksamkeit geleitet war, sind unter seinen zahlreichen Schriften am bezeichnendsten: »Lehrbuch der Kirchengeschichte« (Regensb. 1836; 2. Aufl. 1843, 2 Bde.); »Die Reformation, ihre innere Entwickelung und ihre Wirkungen« (das. 1846–48, 3 Bde.; Bd. 1, 2. Aufl. 1851) und »Luther, eine Skizze« (Freiburg 1851, neuer Abdruck 1890). Aber seit seiner Romreise von 1857, seit dem italienischen Kriege von 1859 und noch mehr seit dem vatikanischen Konzil von 1870 trat ein Umschwung in Döllingers Überzeugungen ein, der sich zuerst 1861 in zwei zu München gehaltenen Vorträgen offenbarte, in denen die Möglichkeit einer völligen Aufhebung der weltlichen Gewalt des Papstes dargelegt war. Schon jetzt stark angefeindet, unterwarf er sich zwar und zog in der Schrift »Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchenstaat« (Münch. 1861) noch einmal gegen den Protestantismus zu Felde, nachdem schon gründliche wissenschaftliche Leistungen in seinen Schriften: »Hippolytus und Kallistus« (Regensb. 1853), »Heidentum und Judentum, Vorhalle zur Geschichte des Christentums« (das. 1857), »Christentum und Kirche in der Zeit der Grundlegung« (das. 1860, 2. Aufl. 1868) erschienen waren. Einen neuen Schritt vorwärts tat er aber 1863, als er auf der Versammlung katholischer Gelehrten in München eine Rede über »Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie« (Regensb. 1863) hielt und bald darauf sein Werk »Die Papstfabeln des Mittelalters« (Münch. 1863; 2. Aufl., Stuttg. 1890) erscheinen ließ. Eine scharfe Kritik des Syllabus und auch der bereits in der Luft liegenden Unfehlbarkeitslehre enthielt das von ihm und seinen Kollegen Friedrich und Huber ausgearbeitete Buch »Janus« (Leipz. 1869; 2. Aufl. u. d. T.: »Das Papsttum«, Münch. 1891). Während des Konzils erhob er von München aus in zwei Gutachten vergeblich seine warnende Stimme gegen die Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit und gab das Signal zur Entstehung des ð Altkatholizismus (s. d.). Dieser nahm nun freilich schon auf seinem ersten Kongress zu München durch sein Vorgehen zu selbständiger Gemeindebildung (23. Sept. 1871) eine Wendung, in deren Folge D., der bloß den Standpunkt der Notwehr innerhalb der alten Verfassung einzuhalten gedachte, sich nicht mehr persönlich an der Weiterentwickelung der Sache beteiligte. Wie wenig aber damit ein Rückschritt in der Richtung nach Rom verbunden und beabsichtigt war, zeigten gleich 1872 seine Vorträge über »Die Wiedervereinigung der christlichen Kirche«, ein wahrhaft versöhnender Abschluss der hochbedeutenden und in vieler Beziehung tragischen Wirksamkeit Döllingers, dem um diese Zeit die Universitäten zu Wien, Marburg, Oxford und Edinburg den juristischen und philosophischen Doktorhut verliehen, während die zu München ihn zum Rektor wählte. Als Frucht seiner gelehrten Muße erschienen noch: »Ungedruckte Berichte und Tagebücher« (Nördlingen 1876, 2 Tle.) mit der Fortsetzung »Briefe und Erklärungen über die vatikanischen Dekrete« (Münch. 1890); »Akademische Vorträge« (Nördling. 1888–91, 3 Bde.; 1. Bd. in 2. Aufl. 1890); »Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert« (mit Reusch, das. 1888, 2 Bde.); »Beiträge zur Sektengeschichte« (Münch. 1889); die »Selbstbiographie des Kardinals Bellarmin« (mit Reusch, Bonn 1886). »Kleinere Schriften« von ihm gab Reusch heraus (Stuttg. 1890). Vgl. Luise v. Kobell, Ignaz v. D., Erinnerungen (Münch. 1891); Friedrich, Ignaz v. D. (das. 1899–1901, 3 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Unità cattòlica: Tageszeitung (1863 - 1929)

5 Lola Montez (1820 - 1861)

"Montez, Lola, eine durch ihre Abenteuer bekannte Tänzerin, geb. 1820 zu Montrose in Schottland, gest. 30. Juni 1861 in New York, war die illegitime Tochter eines schottischen Offiziers, namens Gilbert, und einer Kreolin, wurde in Bath erzogen und heiratete 1837 einen Leutnant, namens James, dem sie 1838 nach Ostindien folgte. Im Herbst 1840 verließ sie ihren Gatten, vertauschte in Paris ihren englischen Namen Mrs. James mit dem Namen Lola oder Dolores M. und bereiste als spanische Tänzerin einen großen Teil von Europa. Ihre Konflikte mit der deutschen und russischen Polizei, die zahlreichen Duelle, die um ihretwegen ausgefochten wurden, verschafften ihr einen gewissen Ruf; zuletzt aber wurde sie fast überall ausgewiesen. Als sie 1846 in München als Tänzerin auftrat, gewann sie die Gunst des Königs Ludwig I., reizte aber durch ihr übermütiges, emanzipiertes Betragen die Bevölkerung, und als das ultramontane Ministerium ð Abel (s. d. 3) sich der Indigenatserteilung an sie widersetzte, bestimmte sie den König zu dessen Entlassung und terrorisierte an der Spitze der Studentenverbindung Alemannia den König und die Beamten. Unter dem neuen Ministerium Öttingen- Wallerstein erhielt sie zwar den bayrischen Indigenat und den Titel und Rang einer Gräfin von Landsfeld; als aber im Februar 1848 durch sie veranlasste studentische Konflikte zur Schließung der Universität führten, musste sie der König, um der Gärung im Volke zu steuern, 11. März entfernen. Nach Ludwigs Abdankung ward Lola auch der bayrische Indigenat offiziell entzogen. Sie wandte sich nun nach mancherlei Irrfahrten nach London, wo sie 1849 den Leutnant der Garde Heald heiratete; doch trennte sich dieser 1850 in Spanien von ihr. 1852 betrat sie in Nordamerika wieder die Bühne, veröffentlichte »Memoiren« und spielte sogar in eigens dazu verfassten Stücken ihre Erlebnisse in Bayern, wobei sie als vom Volk hochgefeierte Befreierin dieses Landes vom ultramontanen Joch erschien. Im Sommer 1853 reiste sie nach Kalifornien und verheiratete sich hier noch zweimal, mit dem Zeitungsredakteur Hull und einem deutschen Arzt. Nach des letztern Tod kehrte sie nach New York zurück, wo sie endlich in großer Dürftigkeit starb. Über die Münchener Zeit vgl. »Graf Otto von Bray-Steinburg. Denkwürdigkeiten aus seinem Leben« (Leipz. 1901). Sonst vgl. Fournier, Lola M. (im Augustheft der »Deutschen Revue« 1902); Fuchs, Ein vormärzliches Tanzidyll. L. M. in der Karikatur (Berl. 1904)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Ergo damnamus!1 -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 17, S. 65. -- 1870-04-10

Concilianter Rundgesang, nach bekannter Weise2 zu singen.

Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun,
Drum Brüderchen, ergo damnamus!
Der heilige Eifer lässt nimmer uns ruhn,
Beherziget: Ergo damnamus!
Das ist doch ein braves, ein tüchtiges Wort,
Das passt zu dem heil'gen, dem christlichen Ort;
So einer nicht gläubet, erschallt es sofort
Unisono: Ergo damnamus!

Wir sitzen so fröhlich zusammen in Rom
Beim lustigen: Ergo damnamus!
Hinaus in Sankt Peters geräumigen Dom
Klingt schallend das Echo: Damnamus!
Des harrenden Volke andächtige Meng,
Im Vorhof sich scharend in dichtem Gedräng',
Vernimmt nur den einen, den ew'gen Refrain:
Damnamus! Damnamus! Damnamus!

Wir sind eine heilige Rauf-Kumpanei,
Die Losung: Ergo damnamus!
Es ist die großmäulige Stroßmayerei3
Ein Gräuel uns -- ergo damnamus!
Und spricht so ein Freigeist, vor welchem uns graust,
Dann schrei'n wir und trampeln und droh'n mit der Faust;
Hätt' keine Tonsur er, so würd' er gezaust
Beim heulenden Ergo damnamus!

Der Papst ist unfehlbar, und wer es nicht gläubt,
Ein Ketzer -- nos illum damnamus!4
Wir sind ökumenisch, und wer sich drob sträubt,
Ein Frevler -- quem omnes damnamus!5
Doch ha! wer naht dort mit gepanzertem Schritt:
Diabolus6 ist's -- Garibaldi7 kommt mit!
Weh! Schmollis! Fiducit! Anathema sit!8
Wir sterben mit
Ergo damnamus!

Erklärungen:

1 Ergo damnamus (lateinisch): Also verdammen wir

2 Parodie auf Johann Wolfgang von Goethe: "Ergo bibamus" (1810), vertont 1813 von Max Eberwein (1777 - 1831):

Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun,
Drum, Brüderchen! Ergo bibamus.
Die Gläser, sie klingen, Gespräche, sie ruhn,
Beherziget Ergo bibamus.
Das heißt noch ein altes, ein tüchtiges Wort:
Es passet zum ersten und passet so fort,
Und schallet ein Echo vom festlichen Ort,
Ein herrliches Ergo bibamus.

Ich hatte mein freundliches Liebchen gesehn,
Da dacht ich mir: Ergo bibamus
Und nahte mich traulich; da ließ sie mich stehn.
Ich half mir und dachte: Bibamus.
Und wenn sie versöhnet euch herzet und küsst
Und wenn ihr das Herzen und Küssen vermisst,
So bleibet nur, bis ihr was Besseres wisst,
Beim tröstlichen Ergo bibamus.

Mich ruft mein Geschick von den Freunden hinweg;
Ihr Redlichen! Ergo bibamus.
Ich scheide von hinnen mit leichtem Gepäck;
Drum doppeltes Ergo bibamus.
Und was auch der Filz von dem Leibe sich schmorgt,
So bleibt für den Heitern doch immer gesorgt,
Weil immer dem Frohen der Fröhliche borgt;
Drum, Brüderchen! Ergo bibamus.

Was sollen wir sagen zum heutigen Tag!
Ich dächte nur: Ergo bibamus.
Er ist nun einmal von besonderem Schlag;
Drum immer aufs neue: Bibamus.
Er führet die Freude durchs offene Tor,
Es glänzen die Wolken, es teilt sich der Flor,
Da scheint uns ein Bildchen, ein göttliches, vor;
Wir klingen und singen: Bibamus.

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/hiersind.html. -- Zugriff am 2008-01-03]

 

3 Joseph Georg Stroßmayer (1815 - 1905)

"Stroßmayer, Joseph Georg, kath. Bischof und kroatischer Politiker, geb. 4. Febr. 1815 zu Essek in Slawonien, gest. 8. April 1905 in Djakovár, studierte in Pest und Wien Theologie, empfing 1838 die Priesterweihe und ward Professor am Seminar in Djakovár, dann kaiserlicher Hofkaplan und Direktor des Augustinums in Wien und 1849 Bischof in Djakovár. 1860 war er föderalistisch gesinntes Mitglied des verstärkten Reichsrates. Auf dem Vatikanischen Konzil trat er mit ungewöhnlichem Freimut gegen das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit auf und hielt am längsten von allen seinen Widerspruch aufrecht, musste sich aber schließlich unterwerfen und führte 1881 eine slawische Pilgerschar nach Rom. Agitatorisch widmete sich S. der kroatischen Volkssache, ward einer der Führer der kroatischen Nationalpartei, errichtete Volksschulen, gründete ein Seminar für die bosnischen Kroaten und stellte das alte nationale Kapitel der Illyrier, San Girolamo degli Schiavoni in Rom, her (das ihnen später entzogen wurde). Durch A. Theiner ließ er die »Vetera monumenta Slavorum meridionalium historiam illustrantia« (Rom 1863) herausgeben und veranstaltete selbst eine Sammlung der kroatischen Lieder und Volksbücher. Er opferte große Summen für die Errichtung der südslawischen Akademie und kroatischen Landesuniversität in Agram und baute eine prächtige Kathedrale in Djakovár. Auch war er eifrig bemüht, durch Zulassung der slawischen Liturgie die griechisch-orientalischen Südslawen der römisch-katholischen Kirche zuzuführen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 nos illum damnamus = wir verdammen ihn

5 quem omnes damnamus = den wir alle verdammen

6 Diabolus = der Teufel

7 Giuseppe Garibaldi (1807 - 1882): italienischer Freiheitskämpfer

8 Schmollis! Fiducit! Anathema sit!

"Schmollis (auch Smollis, angeblich von sis mollis, »sei mir freundlich« [?] oder vom altniederdeutschen smullen-schmausen, zechen), Trinkgruß bei Studentenkommersen; S. trinken (schmollieren), soviel wie Brüderschaft trinken, sich auf Du- und -Du stellen."
"Fiduzit, in der Studentensprache Antwort auf den Trinkgruß Schmollis"

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Anathema sit: er sei gebannt


Zu Deutsch. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 17, S. 66. -- 1870-04-10

"Der heilige Vater soll gegenüber der hochwichtigen und zuversichtlich erwarteten Unfehlbarkeitserklärung auf die anderen Arbeiten des Konzils (resp. Verfluchungen) keinen besonderen Wert legen."

Schreibt mir nur gleich den Blanko-Wechsel hier,
Dann will ich nichts mehr weiter von euch borgen;
Die andern Kleinigkeiten kann ich mir
Viel besser dann allein besorgen.



Abb.: Grenzen der Menschheit1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 17, S. 68. -- 1870-04

Den Infallibeln2

Denn mit den Göttern
Soll sich nicht messen
Irgendein Mensch

Hebt er sich aufwärts
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde.
Steht er mit festen,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten,
Dauernden Erde,
Reicht er nicht auf,
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.

Goethe1

Erklärung:

1 Goethe: Grenzen der Menschheit. Dargestellt sind Pius IX. und Bismarck.

2 infallibel = unfehlbar


Vom Konzil. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 17, 2. Beiblatt. -- 1870-04-10

Sie saßen in concilio,
Beschäftigt mit dem Schema1,
Beriten eben frisch und froh
Ein angebrochnes Thema.
Zum Fluchen war viel Anlass da,
Das Thema hieß: Anathema
Sit2 Protestant und Heide!

Stroßmayer3 ohne Zagen spricht
Das Wort mit mildem Munde:
"Es sind doch protestantes nicht
Durchgängig Höllenhunde.
Sehr edle Geister, sag ich frei,
Und fromme Männer sind dabei."
Er nannt' Leibniz und Guszot [??].

Ein wilder Lärm erhob sich jetzt,
Fürwahr nicht viel geringer,
Als wären in Musik gesetzt
11.000 Meistersinger.
"Damnamus eum!"4 brüllt es laut,
In hundert Sprachen schrien sie: "Haut,
Haut ihn, den Freund der Ketzer."

Sie sprangen auf mit Ungestüm,
Den Redner zu umdrängen;
Sie drohten mit den Fäusten ihm
Und schrien: "Man soll ihn hängen!"
Wohl unter mancher Stola war
Ein Stahl gezückt; kaum der Gefahr
Entging der wackre Bischof.

Als nun das Volk, das draußen stund,
Den wüsten Lärm vernommen:
Der Eine rief mit bleichem Mund:
"Bismarck und Lasker5 kommen!"
Dem Zweiten fiel was Andres ein:
Es müsste wohl Mazzini6 sein;
Der Dritte kam auf Schweitzer7.

Ja, ein ganz Schlauer war dabei,
der glaubt es zu erraten:
"Das ist Prinz Peter8, meiner Treu,
Und schießt auf die Prälaten."
So riet man draußen hin und her,
Was des Getümmels Ursach wär,
Bis dass es wieder still ward.

Als man den wahren Grund sodann
Vernommen von dem Toben,
Da fing das Volk andächtig an,
Zu danken und zu loben:
"Vivat ecclesia militans9,
Durch Haun wird erst bewährt der Glanz
Infallibilitatis10."

Erklärungen:

1 Schema = Vorlage

2 Anathema sit: er sei gebannt

3 Joseph Georg Stroßmayer (1815 - 1905): siehe oben

4 Damnamus eum = wir verdammen ihn

5 Eduard Lasker (1829 - 1884)

"Lasker, Eduard, deutscher Politiker, geb. 14. Okt. 1829 in Jarotschin (Posen) von jüdischen Eltern, gest. 5. Jan. 1884 in New York, studierte seit 1847 in Breslau und in Berlin Mathematik und Rechtswissenschaft, beteiligte sich im Oktober 1848 in der akademischen Legion an den Kämpfen in Wien, wurde 1851 Auskultator am Berliner Stadtgericht, lebte drei Jahre in England, kehrte 1856 als Referendar in den preußischen Staatsdienst zurück und wurde 1858 Assessor am Berliner Stadtgericht. Mehrere Abhandlungen in Oppenheims »Deutschen Jahrbüchern« (1861–64), die später u. d. T.: »Zur Verfassungsgeschichte Preußens« (Leipz. 1874) gesammelt erschienen, machten L. zuerst bekannt. 1865 in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt, hielt er sich zur Fortschrittspartei und zählte bald zu deren hervorragendsten Persönlichkeiten. 1866 war L. einer der Gründer und seitdem einer der Führer der national- liberalen Partei im Abgeordnetenhaus und im norddeutschen wie im deutschen Reichstag und hatte an dem Zustandekommen der zahlreichen organisatorischen Gesetze hervorragenden Anteil. In der hohen Politik vertrat er die Sache der nationalen Einigung wie der konstitutionellen Freiheit. Großes Aufsehen erregte seine Rede vom 7. Febr. 1873 über die schwindelhaften Gründungen, namentlich die Beteiligung des Geheimrats Wagener. Nachdem er 1870 Rechtsanwalt beim Stadtgericht geworden, trat er 1873 als Syndikus des Pfandbriefamtes in den Dienst der Stadt Berlin und ward 1876 Mitglied des Verwaltungsgerichts. 1873 ward er von der Leipziger Juristenfakultät zum Doktor der Rechte und 1875 von der Freiburger Universität zum Ehrendoktor der Philosophie promoviert. In seiner Partei sank Laskers Einfluss, als ihn der Reichskanzler wegen seiner Opposition gegen Regierungsvorschläge wiederholt heftig angriff. Da L., seit 1879 dem Abgeordnetenhause nicht mehr angehörig, in wichtigen Fragen, wie der Wirtschafts- und Steuerreform, dem Sozialistengesetz u.a., nicht mehr mit der Mehrheit der nationalliberalen Reichstagsfraktion übereinstimmte schied er im März 1880 aus derselben aus und schloss sich den Sezessionisten an. Seit längerer Zeit kränkelnd, reiste er 1883 nach Nordamerika, wo er, im Begriff, in die Heimat zurückzukehren, an einem Schlaganfall starb. Er ward 28. Jan. in Berlin beigesetzt. Das Repräsentantenhaus in Washington beschloss 9. Jan. für L. eine Resolution und übermittelte sie zur Abgabe an den Reichstag dem Reichskanzler, der sie aber nicht annahm. Von den Schriften Laskers sind noch zu erwähnen: »Zur Geschichte der parlamentarischen Entwickelung Preußens« (Leipz. 1873); »Die Zukunft des Deutschen Reichs« (das. 1877); »Wege und Ziele der Kulturentwickelung«, Essays (das. 1881); außerdem (anonym) »Erlebnisse einer Mannesseele« (hrsg. von B. Auerbach, Stuttg. 1873; von L. selbst aus dem Buchhandel zurückgezogen). Aus dem Nachlass erschien: »Fünfzehn Jahre parlamentarischer Geschichte, 1866–1880« (hrsg. von Cahn, Berl. 1902). Vgl. Bamberger, Eduard L., Gedenkrede (Leipz. 1884); A. Wolff, Zur Erinnerung an E. L. (Berl. 1884); Freund, Einiges über E. L. (Leipz. 1885)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

6 Giuseppe Mazzini (1805 - 1872)

"Mazzīni, Giuseppe, ital. Agitator, geb. 22. Juni 1805 in Genua, gest. 10. März 1872 in Pisa, widmete sich dem Rechtsstudium, ward Advokat in Genua und arbeitete daneben für den »Indicatore Genovese« und nach dessen Unterdrückung 1829 für den »Indicatore Livornese«, der dasselbe Schicksal hatte. Als Carbonaro verraten, saß M. 1830 mehrere Monate im Kerker zu Savona. Freigelassen, aber verbannt, begab er sich nach Marseille, forderte den König Karl Albert von Sardinien in einem berühmten Brief zur Befreiung Italiens auf und gründete den Bund des Jungen Italien sowie die Zeitung »La giovine Italia«, um für die geeinigte Republik Italien und für Freiheit und Gleichheit durch die Presse und durch Verschwörungen zu wirken (vgl. Junges Europa). Nachdem zwei Verschwörungen, in Genua und Savoyen, welch letztere M. 1834 von Genf aus leitete, mißglückt waren, wurde er in Sardinien in contumaciam zum Tode verurteilt und 1836 auch aus der Schweiz verwiesen. Nach langem Umherirren ließ er sich 1842 in London nieder, gab dort eine Zeitung unter dem Namen »L'Apostolato popolare« heraus und unterhielt eine lebhafte Korrespondenz mit italienischen Unzufriedenen. Nach dem Aufstand in Mailand im März 1848 begab sich M. dahin und gründete daselbst ein Journal, »L'Italia del popolo«, und einen politischen Klub, den »Circolo nazionale«; doch wurde er von den Gemäßigten in den Hintergrund gedrängt. Nach der Kapitulation Mailands im August 1848 trat er in die Garibaldische Legion ein, musste aber bald auf Schweizer Gebiet flüchten. Sobald er von der Flucht des Großherzogs von Toskana gehört hatte, begab er sich nach Florenz, wurde in Livorno zum Abgeordneten gewählt und von der provisorischen Regierung nach Rom geschickt, um mit der dortigen Republik Verbindungen anzuknüpfen. Hier ward er im März 1849 mit Armellini und Saffi zum Triumvir ernannt und leitete die Verteidigung der Republik gegen die Franzosen. Nach dem Fall Roms (3. Juli) ging er nach der Schweiz und später nach London, wo er mit Kossuth, Ledru-Rollin und Ruge zum Zweck republikanischer Agitation das »Comitato europeo« gründete, während er durch eine Anleihe (Mazzinische Anleihe) unter den Radikalen aller Länder die Mittel zu einer neuen Schilderhebung in Italien zu erlangen suchte. Der unbesonnene Mailänder Insurrektionsversuch vom 6. Febr. 1853 sowie die Bewegungen in Genua 29. und 30. Juni 1857 waren sein Werk. Beim Beginn des italienischen Krieges 1859 erklärte er sich gegen das Bündnis Sardiniens mit Frankreich. Dagegen unterstützte er Garibaldis Expedition nach Sizilien und feuerte ihn an, auch Rom und Venedig durch einen Handstreich zu befreien. Nach Garibaldis Gefangennahme bei Aspromonte (August 1861) sagte er sich und seine Partei von der Monarchie für immer los. 1866 wurde er in Messina zum Abgeordneten in das italienische Parlament gewählt; die Wahl wurde zweimal für ungültig erklärt und erst, als sie zum drittenmal wiederholt war, anerkannt, von M. aber 7. Febr. 1867 wegen seiner republikanischen Überzeugung abgelehnt. Erst kurze Zeit vor seinem Tode kehrte M. nach Italien zurück. Nach seinem Tode feierte die italienische Presse seine Verdienste um Italien in schwungvollen Worten, und die italienische Kammer sprach offiziell ihren Schmerz über sein Ableben aus. Sein Begräbnis zu Genua, wo ihm 1882 ein Denkmal errichtet wurde, war feierlich. M. war lange Zeit der Schrecken der Polizei; er war ein schwärmerischer Idealist, der mit bewunderungswürdiger Selbstverleugnung und Ausdauer, wenn auch oft mit den bedenklichsten und nicht zu rechtfertigenden Mitteln, für seine Ziele wirkte. Eine Ausgabe seiner »Scritti editi ed inediti« erschien in Mailand, später in Rom (1861–1891, 18 Bde.), in Auswahl deutsch von L. Assing (Hamb. 1868, 2 Bde.) und englisch (»Life and writings of Jos. M.«, Lond. 1870–91, 6 Bde.). Briefe Mazzinis gaben unter andern Giurati (Turin 1887), Melegari (Par. 1895) und Mazzatinti (Rom 1905) heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Jean Baptista von Schweitzer (1833 - 1875)

"Schweitzer, Jean Baptista von, Politiker und dramat. Dichter, geb. 12. Juli 1833 in Frankfurt a. M., gest. 28. Juli 1875 in der Villa Gießbach am Brienzer See, war der Sprössling eines alten katholischen Patriziergeschlechts, studierte in Berlin und Heidelberg die Rechte, ließ sich als Advokat in seiner Vaterstadt nieder, wendete sich aber bald der Politik und literarischen Beschäftigungen ausschließlich zu. Anfang der 1860er Jahre trat er in die sozialdemokratische Arbeiterbewegung ein, wurde nach Lassalles Tod 1864 Präsident des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins und des Verbandes deutscher Gewerk- und Arbeiterschaften in Berlin und gab als solcher den »Sozialdemokrat« heraus, was ihn in häufige Konflikte mit der preußischen Regierung brachte. Von seiner Partei wurde er 1867 in den norddeutschen Reichstag gewählt; als er darauf 1871 bei der Wahl zum deutschen Reichstag durchfiel, legte er das Präsidium des Arbeitervereins nieder und zog sich ganz vom politischen Leben zurück. Als Schriftsteller ist S., abgesehen von politischen Schriften (»Zur deutschen Frage«, Frankf. 1862; »Der Zeitgeist und das Christentum«, Leipz. 1861, u. a.), mit einer Anzahl von Dramen (»Friedrich Barbarossa«, Frankf. 1858; »Canossa«, Berl. 1872) und Lustspielen (»Alcibiades«, Frankf. 1858; »Die Darwinianer«, Berl. 1875; »Die Eidechse«, das. 1876; »Epidemisch«, das. 1876) aufgetreten, von denen sich einige längere Zeit als Zugstücke behauptet haben. Auch veröffentlichte er einen sozialpolitischen Roman: »Lucinde, oder Kapital und Arbeit« (Frankf. 1864, 2 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8 Prinz Peter

9 Vivat ecclesia militans: Es lebe die streitende Kirche

10 infallibilitatis = der Unfehlbarkeit


Nachruf auf Paulus (weiland Selig) Cassel1, den Prediger in der Wüste des Missions-Vereins2 -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 21, S. 83. -- 1870-05-08

Ob er sich jetzt auch Paulus schreibt --
Die Nas, die jüd'sche Nase bleibt,
Es bleibt, ob er's auch leugnen mag,
Etwas vom "jüd'schen Herzensschlag".
Er hat, ob er sich auch getrennt,
Ob er sich Paul, ob Peter nennt,
Nur einen höchsten Wunsch auf Erden:
Er will einst wieder -- Selig werden.

Erklärung:

1 Paulus Stephanus (früher: Selig) Cassel

"Cassel, Paulus Stephanus (früher Selig), Gelehrter, Bruder des vorigen, geb. 27. Febr. 1821 in Glogau, gest. 23. Dez. 1892 in Friedenau bei Berlin, studierte in Berlin, führte 1851–56 die Redaktion der »Erfurter Zeitung« und erhielt, nachdem er 1855 zum evangelischen Glauben übergetreten war, eine Bibliothekarstelle in Erfurt. Seit 1859 in Berlin ansässig, 1866–67 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, wirkte er 1868–91 als Prediger an der Christuskirche daselbst. Er veröffentlichte eine große Anzahl religions- und kulturgeschichtlicher, besonders symbolischer Abhandlungen (teilweise gesammelt u. d. T.: »Vom Wege nach Damaskus, apologetische Abhandlungen«, Gotha 1872; »Aus Literatur und Symbolik«, Leipz. 1884; »Aus Literatur und Geschichte«, das. 1885), Gedichte, auch einige Dramen, und suchte während mehrerer Jahrzehnte durch seine wissenschaftlich-populären Vorträge, von denen ein Teil (wie die »Deutschen Reden«, Berl. 1871, 2 Tle.) ebenfalls im Druck erschien, auf die Volksbildung zu wirken. Der 1. (und einzige) Band seiner »Gesammelten Schriften« erschien in den »Jahrbüchern der königlichen Akademie der Wissenschaften« zu Erfurt von 1892; ebenda 1893 ein Nekrolog auf C. und Verzeichnis seiner Schriften von Tettau."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Cassel war Missionar im Dienst der Londoner Missionsgesellschaft; Missions-Verein = Allgemeiner evangelisch-protestantischer Missionsverein


Zum Beginn der Unfehlbarkeitsdebatte am 14. Mai 1870. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 24, S. 93. -- 1870-05-22

Begonnen hat die Disputation,
Und von des Saals Tribüne hört man lesen:
"Unfehlbar ist Sankt Peters hehrer Thron,
Wie es Sankt Peter selber einst gewesen!
Wie er unfehlbar ist der Gläubgen Haupt,
So steht's gedruckt im neusten Glaubensbuche.
Und wer der neuen Satzung stumm nicht glaubt,
Der sei belegt mit hundertfachem Fluche!"

— "Unfehlbar ich?" — so ruft aus selger Fern,
Erstaunt ob dem Geschwätz, der heilge Peter.
Judas verriet nur einmal seinen Herrn1,
Ich aber ward eins dreifach sein Verräter2.
Mir ward verziehn; und so mög euch verzeihn
Der Geist, den ihr zu leugnen euch vermessen.
Ihr dürft zu diesem Tore nicht hinein,
Bis eure Schuld verziehn euch und vergessen.

Die Nebel fliehn, schon hat der Hahn gekräht,
Im Frührot weiden meiner Wolken Herden,
Die Sonne steigt empor in Majestät,
Denn Tag geworden ist es jetzt auf Erden!
— Dort naht ein Häuflein mit getrostem Mut
Dem Himmelstor. — Wer seid ihr, liebe Leute?
Ein Protestant, ein Kaffer und ein Jud!
Euch allen steh mein Himmel offen heute!

Ihr wart — ich seh's euch an — auf Erden noch,
Gleich mir, behaftet auch von Sünd und Fehle,
Ihr fühltet einst, gleich mir, das irdsche Joch,
Doch auch die Gotteskraft der Menschenseele.
Kommt denn herein, ihr Flüchtgen jener Welt,
Wes Glaubens ihr auch seid, kommt ohne Sorgen!
Doch wer von euch sich für unfehlbar hält,
Der bleibe hübsch da draußen3! — Guten Morgen!

Erläuterungen:

Unfehlbarkeit:

"Unfehlbarkeit

Römisch-katholische Kirche

Grundlagen und Definitionen

Nach römisch-katholischer Lehre ist der Papst als Stellvertreter Christi auf Erden unfehlbar. Die Unfehlbarkeit des Papstes bezieht sich aber nur auf Glaubens- und Sittenfragen und wurde mit dem Konzilsdekret Pastor aeternus auf dem 1. Vatikanischen Konzil 18. Juli 1870 unter Papst Pius IX. als (unfehlbarer) Glaubenssatz verkündet. Die Definition lautet:

Zur Ehre Gottes, unseres Heilandes, zur Erhöhung der katholischen Religion, zum Heil der christlichen Völker lehren und erklären wir endgültig als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, in treuem Anschluss an die vom Anfang des christlichen Glaubens her erhaltene Überlieferung, unter Zustimmung des heiligen Konzils:
Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (= ex cathedra) spricht, das heißt: wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er auf Grund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich.

Nur wenn in aller Form ("Ex cathedra") eine Glaubensüberzeugung zum Dogma erklärt wird, gilt diese als verbindlich und irrtumsfrei. Es dürfen jedoch nur solche Glaubensüberzeugungen zum Dogma erklärt werden, die nicht im Widerspruch zur Hl. Schrift und zur apostolischen Tradition stehen, die in der ganzen katholischen Kirche geglaubt (sensus fidei) und von der Mehrheit der Bischöfe akzeptiert werden. Die Intention der päpstlichen Unfehlbarkeit ist also, dass der Papst bei einem Streit innerhalb der Kirche das "letzte Wort" hat. Das Unfehlbarkeitsdogma will nicht als Freibrief für willkürliche Erfindungen verstanden sein.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in der römisch-katholischen Kirche lediglich zwei (Marien-)Dogmen ex cathedra verkündet: das Dogma der Unbefleckten Empfängnis 1854 durch Papst Pius IX. sowie das Dogma Mariä Himmelfahrt, der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel, durch Papst Pius XII. (1950).

Die Katholische Kirche partizipiert an dem Dogma insofern, als dadurch Glaubenszweifel ausgeräumt werden, entsprechend Katechismus von 1992, Paragraph 889:

"Um die Kirche in der Reinheit des von den Aposteln überlieferten Glaubens zu erhalten, wollte Christus, der ja die Wahrheit ist, seine Kirche an seiner eigenen Unfehlbarkeit teilhaben lassen."
Ausformungen und theologische Diskussion

Es verwundert nicht, dass die Unfehlbarkeit auch innerhalb der katholischen Kirche zu einem kontroversen Meinungsaustausch führte. So wurde die Unfehlbarkeit einerseits vehement abgelehnt und führte beispielsweise zur Abspaltung der Altkatholiken (siehe weiter unten). Andererseits ging die Definition des Ersten Vatikanischen Konzils anderen nicht weit genug. Über die Definition des Konzils hinaus wird die Unfehlbarkeit gelegentlich auch anderen Rechtsinstanzen der katholischen Kirche zugeschrieben. In jedem Fall gelten jedoch die Elemente obiger Definition für die Unfehlbarkeit als unverzichtbar. So muss die als unfehlbar vorgetragene Lehre vom Papst (mit-)verkündet werden und bei der Verkündigung der Lehre muss hinreichend deutlich auf die Unfehlbarkeit der Lehrentscheidung verwiesen werden.

Der Papst im allgemeinen

Nach obiger Definition der Unfehlbarkeit ist der Papst in Glaubensfragen nur dann unfehlbar, wenn er ex cathedra spricht. Dies beinhaltet, dass er seine Aussage sinngemäß als endgültig und verbindlich bezeichnen muss. Darüber hinaus wird gelegentlich die Meinung vorgetragen, er sei immer dann unfehlbar, wenn er sein Lehramt ausübe, beispielsweise bei Predigten, Apostolischen Rundschreiben und dergleichen. Allerdings finden sich in der Kirchengeschichte Lehrmeinungen von Päpsten, die später von anderen Päpsten als Irrlehren beurteilt wurden, so bei Johannes XXII., Honorius I. und Nikolaus I.; diese Lehrmeinungen wurden auch als Predigten und somit im Rahmen des ordentlichen Lehramts vorgetragen. Somit wird dem Papst in Ausübung seines ordentlichen Lehramts keine Unfehlbarkeit zugestanden. Trotzdem ist im Allgemeinen zu vermuten, dass die Bischöfe oder der Papst in Ausübung des ordentlichen Lehramtes die korrekte Lehre verkünden - dies gilt nicht bei bekannten Häretikern. Auch ist der Papst nicht sündenfrei, weshalb er wie andere Gläubige die Beichte ablegt.

Bischöfe

Gelegentlich wird einzelnen Bischöfen oder bestimmten Bischofsversammlungen die Unfehlbarkeit zugesprochen. Allerdings wurden in der Kirchengeschichte jedoch sowohl von einzelnen Bischöfen als auch von Bischofskollegien Meinungen gelehrt, die später von der Kirche als Häresie abgelehnt wurden. Ein Beispiel sind die Beschlüsse einer Synode von Ephesus im Jahr 449, die im Jahr 451 vom Konzil von Chalkedon abgelehnt und zurückgewiesen wurden. Aus diesem Grund wird einzelnen Bischöfen und Bischofssynoden nicht die Unfehlbarkeit zugestanden. Den Bischöfen im Allgemeinen und in ihrer kollegialen Gesamtheit wird die Unfehlbarkeit nur insoweit zugestanden, als sie eine unfehlbare Lehrentscheidung in Einheit mit dem Papst vortragen. Die Unfehlbarkeit wird dann durch die Mitwirkung des Papstes sichergestellt.

Konzilien

Konzilien besitzen gemäß katholischer Lehre dann die Unfehlbarkeit, wenn sie eine Lehre als endgültig und verbindlich bezeichnen und wenn der Papst dem jeweiligen Dokument zustimmt. Allerdings bezieht sich die Unfehlbarkeit nicht auf alle Konzilstexte, sondern lediglich auf die hinreichend als unfehlbar gekennzeichneten Passagen. Auch in diesem Fall wird die Unfehlbarkeit durch die Mitwirkung des Papstes sichergestellt. Interessant ist, dass der Papst ohne Zustimmung eines Konzils, das Konzil jedoch nur in Einheit mit dem Papst Glaubenssätze dogmatisieren kann; somit ist die Zustimmung eines Konzils irrelevant.

Konzilstexte im allgemeinen werden nicht als unfehlbar angesehen. Darüber hinaus wird es bei der großen Menge veröffentlichter Konzilstexte als vermessen angesehen, alle Texte wären vollkommen fehlerfrei. Die Dogmatisierung umfangreicher Abhandlungen würde eher zu Glaubensunsicherheit denn zu einer Präzisierung des Glaubens führen, insbesondere wenn der jeweilige Text mehr als eine Interpretation zulässt. Im Gegenzug wurde in vielen Konzilsdokumenten (beispielsweise in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Christi des ersten vatikanischen Konzils) genau festgelegt, welche Absätze unfehlbar sind. Außerdem werden die als dogmatisch verkündeten Glaubensinhalte besonders prägnant formuliert, um den Interpretationsspielraum zu reduzieren.

Ein besonderes Beispiel ist das zweite vatikanische Konzil, es verzichtete vollkommen darauf, neue Glaubenssätze zu verkünden und als dogmatisch, endgültig oder verbindlich einzustufen. Formulierungen wie "wir erklären feierlich", "wir lehren endgültig" fehlen. Papst Johannes XXIII brachte dies zum Ausdruck, indem er das Konzil als pastoral (im Gegensatz zu dogmatisch) einberief. Da den Konzilsvätern andererseits die einschlägigen theologischen Argumente und Formfragen zur Unfehlbarkeit bekannt waren, wird davon ausgegangen, dass sie absichtlich auf die Dogmatisierung einzelner Aussagen verzichteten.

Allgemeines Glaubensgut und Tradition

Allgemein nimmt die römisch-katholische Kirche an, dass das gesamte, von Gott geoffenbarte Glaubensgut (auch Depositum fidei) seit der Urkirche vorhanden ist, soweit es für die Kirche notwendig ist. Sie nimmt ferner an, dass die an sich fehlerfreie, göttliche Offenbarung zwar örtlich und zeitlich begrenzt von Häretikern verfälscht wurde, aber von der kirchlichen Tradition im allgemeinen korrekt weitergegeben wurde. Glaubenssätze dürfen folglich nicht dem widersprechen, was "immer und überall" von der Kirche geglaubt worden ist. Dies bedeutet, dass der betreffende Glaubenssatz bereits vor seiner Dogmatisierung wahr war, dass nur lediglich die Kirche kein Urteil darüber abgegeben hatte.

Hierbei werden gelegentlich die Unfehlbarkeit dieser göttlichen Offenbarung mit der päpstlichen Unfehlbarkeit verwechselt oder gleichgesetzt. Hierbei bezieht sich jedoch die päpstliche Unfehlbarkeit auf das päpstliche Urteil, welche Glaubensinhalte nun der göttlichen Offenbarung entstammen, und welche Aussagen Verfälschungen darstellen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Unfehlbarkeit. -- Zugriff am 2004-11-12]

1 Matthäusevangelium 26, 14-16; 47-49: "Da ging hin der Zwölf einer, mit Namen Judas Ischariot, zu den Hohenpriestern und sprach: Was wollt ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten. Und sie boten ihm dreißig Silberlinge. Und von dem an suchte er Gelegenheit, dass er ihn verriete." ... "Und als er noch redete, siehe, da kam Judas, der Zwölf einer, und mit ihm eine große Schar, mit Schwertern und mit Stangen, von den Hohenpriestern und Ältesten des Volks. Und der Verräter hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist's; den greifet. Und alsbald trat er zu Jesus und sprach: Gegrüßet seist du, Rabbi! und küsste ihn."

2 Matthäusevangelium 26, 69- 75: "Petrus aber saß draußen im Hof; und es trat zu ihm eine Magd und sprach: Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa. Er leugnete aber vor ihnen allen und sprach: Ich weiß nicht, was du sagst. Als er aber zur Tür hinausging, sah ihn eine andere und sprach zu denen, die da waren: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. Und er leugnete abermals und schwur dazu: Ich kenne den Menschen nicht. Und über eine kleine Weile traten die hinzu, die dastanden, und sprachen zu Petrus: Wahrlich du bist auch einer von denen; denn deine Sprache verrät dich. Da hob er an sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne diesen Menschen nicht. Uns alsbald krähte der Hahn. Da dachte Petrus an die Worte Jesu, da er zu ihm sagte: »Ehe der Hahn krähen wird, wirst du mich dreimal verleugnen«, und ging hinaus und weinte bitterlich."

3 Papst Pius IX., der Unfehlbarkeitspapst, wurde am 3. September 2000 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.


Nach fünfhundert Jahren1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 28, S. 110. -- 1870-06-19

Das waren die bösen Juden
In Brüssel im Belgerland,
Das waren die bösen Juden,
Die einstmals auf sich luden
Gar arge Schmach und Schand.

Sie hatten viel Geld im Kasten;
Allein die frommen Herrn,
Die feisten Pfäfflein hassten
Das Geld in der Juden Kasten --
Sie hätten's wohl selber gern.

Drob sie verklagen ließen
Die Juden in frommer Wut:
Sie täten die Hostien spießen
Und freventlich vergießen
Das draus geflossne Blut!

Da ward zu blutgem Grimme
Das gläubge Volk entflammt,
Das Judenpack, das schlimme,
Durch Priester- und Volkesstimme
Einmütiglich verdammt.

Man tät am Bart sie raufen,
Hepp, hepp!2 durchs ganze Land;
Spießruten mussten sie laufen,
Es wurden auf Scheiterhaufen
Viel Hundert Juden verbrannt.

Nur Wenige schnürten ihr Bündel
Und machten sich ledig und frei.
Der "liberale Schwindel",
Das "skrophulöse Gesindel",
Sie nannten's Barbarei.

Allein die "Zionswache"3,
Die lieben "Stillen im Land"4 --
Nur eine gerechte Rache
Für eine heilge Sache.
So haben Die's genannt.

Fünfhundert Jahr sind heuer
Verflossen seit jener Zeit.
Zu ihrem Gedächtnis teuer
Hält jetzt eine glänzende Feier
Die hohe Geistlichkeit.

Fünfhundert lange Jahre!
Gefeiert der Judenmord!
In Rom der Unfehlbare!
Und in Berlin? -- -- -- Bewahre!
Ich sage ja kein Wort!

Erklärungen:

1 Bezieht sich auf einen angeblichen Hostienfrevel in Brüssel:

"1369 soll in Brüssel der Küster der Kapelle der Heiligen Katharina sechzehn Hostien für 30 Silberstücke an den obersten Rabbiner der jüdischen Gemeinde verkauft haben. Als eine zum Judentum übergetretene Frau an diesen Hostien „Blut“ bemerkte, beschuldigte sie die Juden vor dem zuständigen christlichen Pfarramt, die Hostien „gestochen’’ zu haben. Auf Grund dieser Anzeige wurden viele Juden ermordet."

[Quelle: http://www.aerztekammer-hamburg.de/funktionen/aebonline/pdfs/1182260635.pdf. -- Zugriff am 2008-01-03. -- Dort Quellennachweis]

2 Hepp, hepp!: Schlachtruf der sog. Hepp-Hepp-Krawalle von 1819 gegen Juden in vielen Städten Deutschlands, in Amsterdam, Kopenhagen und einigen Orten in Polen. Sie gingen vor allem von Handwerkern, Händlern und Studenten aus, die sich teils spontan, teils verabredet zu antijüdischen Demonstrationen versammelten, jüdische Bürger beschimpften, bedrohten, misshandelten, ihre Synagogen, Geschäfte und Wohnungen angriffen und teilweise zerstörten. Dabei gab es eine unbekannte Anzahl von Todesopfern und Verletzten unter Juden und Nichtjuden. (Wikipedia)

3 Zionswache

"Zionswächter, Einer, welcher für seinen positiven Glauben allenthalben Gefahren sieht u. gegen dieselben wächterhaft nach allen Seiten ausschauend Andere von der einzigen Wahrheit seines Glaubens zu überzeugen sucht."

[Quelle: Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe.  -- 4., umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. -- Altenburg: Pierer, 1857 - 1865. -- 19 Bde. -- Bd. 19, S. 652. -- Online: http://www.zeno.org/Pierer-1857/A/Zionsw%C3%A4chter. -- Zugriff am 2008-01-03]

4 Stillen im Land = Erweckte



Abb.: Schenken und Plazieren Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 28, S. 112. -- 1870-06-19

Ich schenke Ihnen die Infallibilität1.
Legen Sie ihr man dahin!

Erklärung:

1 Infallibilität = Unfehlbarkeit


Zum 29. Juni1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 29/30, S. 113. -- 1870-06-26

Abergläubische Verehrer
Gab's die Jahre her genug,
In den Köpfen eurer Lehrer Lasst
Gespenst und Wahn und Trug.

Goethe (Aus dem "Gesetz der Trübe")2

Werden's wirklich noch ergründen
Bis dahin die frommen Väter?
Wird er's noch an Sankt Paul und Peter
Noch ex cathedra verkünden?
Sei's! Ich habe nichts dagegen;
Alles Heil und allen Segen
Ihm des Gottesreiches Mehrer!
Item diesem allerletzten,
Allerlustigsten und nettsten
Ökumenischen Konzile
Wünsch ich recht von Herzen viele
Abergläubische Verehrer!

Mach die Woche mir zu Nutze,
Da ein Wörtlein noch gewährt ist?
Wenn das Dogma erst erklärt ist,
Steht's in des Gesetzes Schutze.
Ja, ich will's, will heut mich eilen;
Glaubt mir, der schon zuweilen
Eines Wortes Kosten trug.
Denn der Denuziationen
Und der Konfiskationen
Und der angenehm gedeihlichen
Gastlichkeit, der stadtvogteilichen,
Gab's die Jahre her genug!

Also wenn der Hundstagswonne
Höchste Grade wir erreichen,
Und wenn in des Löwen Zeichen
Tritt am Firmament die Sonne,
Siegt in Rom der unfehlbare
Papst, der heilige und wahre
Geist- und Wissenschaft-Umkehrer!
Dann, ihr gläubigen Gemeinden,
Wird bei allen euren Feinden
Jubel herrschen und Entzücken,
Und ein großes Hirnverrücken
In den Köpfen eurer Lehrer!

Aber wir -- mit heitren Mienen
Spotten ihrer wir im Stillen,
Wissend, dass sie wider Willen
Unsrer guten Sache dienen.
Immer munter nur! Je krasser
Desto besser! Denn zu Wasser
Geht nur, bis er bricht, der Krug.
Brechen wird er! Und mit Lachen
Sehn wir ihn zusammenkrachen.
Darum lasst -- ihr sollt uns loben --
Lustig bis zu Ende toben
Lasst Gespenst und Wahn und Trug!

Erklärungen:

1 29. Juni: Fest der Apostelfürsten Peter und Paul. Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes wurde erst am 18. Juli 1870 verkündet.

2 Goethe: Zahme Xenien VI

Freunde, flieht die dunkle Kammer,
Wo man euch das Licht verzwickt
Und mit kümmerlichstem Jammer
Sich verschrobnen Bildern bückt.
Abergläubische Verehrer
Gab's die Jahre her genug,
In den Köpfen eurer Lehrer
Lasst Gespenst und Wahn und Trug.

Wenn der Blick an heitern Tagen
Sich zur Himmelsbläue lenkt,
Beim Sirok der Sonnenwagen
Purpurrot sich niedersenkt,
Da gebt der Natur die Ehre,
Froh, an Aug und Herz gesund,
Und erkennt der Farbenlehre
Allgemeinen, ewigen Grund.



Abb.: Illustrierte Rückblicke >Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 29/30, S. 117. -- 1870-06-26

Eritis sicut Deus scientes bonum et malum.1 — Oder der neue Sündenfall.

Erläuterung: Die jesuitische Schlange verführt den Papst mit dem Apfel der Unfehlbarkeit, die Vernunft mit dem Apfel der Erkenntnis bleibt unbeachtet.

1 Eritis sicut Deus scientes bonum et malum (Vulgata) = Ihr werdet wie Gott sein und wissen, was gut und böse ist

Genesis, 3, 1-5: "Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten? Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esst nicht davon, rührt's auch nicht an, dass ihr nicht sterbt. Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben; sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esst, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist."


Ultramontaner1 Ehrenspiegel. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 31, S. 122. -- 1870-07-03

Das katholische "Märkische Kirchenblatt"2 zeigt an, dass in Prag bei Hunger Gedichte von Berg3 erschienen seinen, in denen endlich einmal Tilly4 nach Verdienst gefeiert werde. Das Müller-Strobel'sche5 Organ knüpft daran den Wunsch, es möchten doch bald auch Tetzel6 und andere Koryphäen der Ultramontanen in würdiger Weise poetisch verherrlicht werden.

Wir kommen den Wünschen des ehrbaren Blattes entgegen, indem wir eine kleine Sammlung von Liedern veröffentlichen, die sich vorzüglich dazu eignen, von Müllers5 "Knechten" in fromm-fröhlichen Versammlungen abgesungen zu werden.

1. Vom wilden Tilly4.

Auf, senget und brennet,
Den Ketzern zum John!
Erhebet den Tilly,
Der war ein Patron!
Er ehrte die Priester,
Die Säuglinge spießt er.
Juchheirassassa!

In Magdeburg zeigt' er's,
Wie schön er's verstund;
Das Ketzernest brannt' er
In Boden und Grund.
Da fanden hinförder
Kein Brot mehr die Mörder.
Juchheirassassa!

Der König von Schweden7,
Der war nur ein Tropf,
Hatt' nur Gustav-Adolfs-
Vereine8 im Kopf.
Der Tilly war nobel,
Ein Kerl wie der Strobel5.
Juchheirassassa!

Auf, senget und brennet
Im trauten Verein!
Es lebe der Tilly!
So donnert darein,
Undd gießt dazu munter
Den Gilka9 hinunter!
Juchheirassassa!

2. Vom verkannten Tetzel6.

Mit seinem Ablasskasten
Zieht Tetzel wohl über's Land.
Er hält nicht viel vom Fasten --
Und doch ist er sehr verkannt.

Den Handel versteht er gründlich,
Wird nicht, wie Quistorp10, bankrott.
Er lebt -- um nicht grad sündlich
Zu sagen -- ein Bisschen flott.

Er nährt sich vom frommen Bettel
Und sonst von kräftger Kost.
Acht Gute kostet ein Zettel --
Auswärtge auch per Post.

Und wer sich hat versehen
Mit einem Zettel -- juchhei!
Der kann getrost begehen
Ein Mördlein oder auch zwei.

Mit sich führt er sein Schätzel --
Der Tetzel ist ncht dumm.
Du armer, verkannter Tetzel,
Wie warst du doch so frumm!

3. Frühling in Spanien.
Aus der guten alten Zeit.

Im Myrtenhain da brodelt es,
Da kocht etwas ganz entschieden.
Da ist der Peter Arbues11,
Der lässt einen Ketzer sieden.
Zum Teufel fuhr die arme Seel --
Das kann uns völlig gleich sein!
Der Ketzer siedet in gutem Öl
Und wird in 'ner Stunde weich sein.

Im Rosenhag da brätelt es --
Was ist das? könnt ihr's erraten?
Das ist der Peter Arbues,
Der lässt einen Juden braten.
Frühmorgens wurd er aufgespießt --
Das musst ein Lust zu schaun sein!
Wenn man ihn gut mit Fett begießt,
So kann er auf Mittag braun sein.

Am Veilchenbach da duftet es
Nach langsam geschmorten Mohren.
Das ist der Peter Arbues,
Der lässt einen Mohren schmoren.
Im Schmortopf steckt der feiste Mohr
Mit Zwiebeln und mit Gewürzen.
Die Jesuiten stehn davor
Mit weißen Küchenschürzen.

Wie lieblich doch in der Natur
Erschallen des Priesters Flüche,
Wenn leise ziehn über Hain und Flur
Die brenzlichen Gerüche.
Wie blühet und strotzt von Herrlichkeit
Der fromme Jesuitenorden.
Der Frühling ist doch die beste Zeit,
Da kann man im Freien morden!

Erklärungen:

1 Ultramontan

"Ultramontanismus (lat.), diejenige Auffassung des Katholizismus, die dessen ganzen Schwerpunkt nach Rom, also jenseits der Berge (ultra montes), verlegen möchte; ultramontan ist somit das ganze Kurial- oder ð Papalsystem (s. d.). Vgl. v. Hoensbroech, Der U. (2. Aufl., Berl. 1898); L. K. Goetz, Der U. als Weltanschauung (Bonn 1905)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Märkisches Kirchenblatt. -- Berlin. -- 1858 - 1895; 39.1896 - 62.1919; damit Ersch. eingest. -- Vorgänger: Kirchlicher Anzeiger für die Katholiken

3 Berg: ich kann den Gedichtband nicht bibliographisch nachweisen.

4 Johann Tserklaes, Graf vonTilly (1559 - 1632)

"Tilly, Johann Tserklaes, Graf von, berühmter Feldherr des Dreißigjährigen Krieges, geb. im Februar 1559 auf dem Schloss Tilly in Brabant, gest. 30. April 1632 in Ingolstadt, ward in einem Jesuitenkloster erzogen, trat zuerst in spanische, dann in lothringische, 1598 in kaiserliche Dienste, focht 1600 als Oberstleutnant in Ungarn gegen die Insurgenten und Türken, stieg 1601 zum Obersten eines Wallonenregiments und nach und nach zum Artilleriegeneral auf und erhielt 1610 von Maximilian I. von Bayern die Reorganisation des bayrischen Kriegswesens übertragen. Beim Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zum Feldmarschall der katholischen Liga ernannt, gewann er 8. Nov. 1620 die Schlacht am Weißen Berg, verfolgte 1621 den Grafen Ernst von Mansfeld bis in die Oberpfalz. dann in die Rheinpfalz, wurde 27. April 1622 von dem Markgrafen Georg Friedrich von Baden-Durlach und Mansfeld bei Wiesloch geschlagen, besiegte aber dann den erstern 6. Mai bei Wimpfen am Neckar, hier auf den Herzog Christian von Braunschweig 20. Juni bei Höchst a. M. und eroberte Heidelberg, Mannheim und Frankenthal. Infolge des entscheidenden Sieges 5. und 6. Aug. 1623 bei Stadtlohn im Münsterschen über den Herzog von Braunschweig ward T. vom Kaiser in den Grafenstand erhoben. Er blieb zunächst in Niedersachsen stehen, wo er die gewaltsame Restitution der protestantischen Bistümer und Klöster an die katholische Kirche und die Jesuiten ins Werk setzte, schlug 27. Aug. 1626 den Dänenkönig Christian IV. bei Lutter am Barenberg, eroberte mit den Kaiserlichen unter Wallenstein Schleswig-Holstein und Jütland und zwang den König 12. Mai 1629 zum Abschluss des Friedens von Lübeck. 1630 an Wallensteins Stelle zum Generalissimus der ligistischen und kaiserlichen Truppen ernannt, übernahm er die Durchführung des Restitutionsedikts in Norddeutschland und begann zu diesem Zweck die Belagerung von Magdeburg, das nach der Einnahme 20. Mai 1631 in Flammen ausging. Da er Gustav Adolfs Vordringen in Pommern nicht hatte hindern und sich an der Niederelbe nicht hatte behaupten können, fiel er plündernd und verwüstend in Sachsen ein, trieb aber hierdurch den sächsischen Kurfürsten zum Bündnis mit Gustav Adolf, deren vereinigtem Heer er 17. Sept. 1631 in der Schlacht bei Breitenfeld, in welcher der König seine überlegene Kriegskunst entwickelte, erlag; T. selbst wurde verwundet, sein Heer löste sich auf. Er eilte hierauf nach Halberstadt, wo er Verstärkungen an sich zog, und brach dann nach dem von den Schweden bedrohten Bayern auf. Bei Verteidigung des Lechübergangs bei Rain 5. April 1632 ward ihm durch eine Falkonettkugel der rechte Schenkel zerschmettert, was seinen Tod herbeiführte. T. hasste Aufwand und äußere Ehrenbezeigungen, verschmähte es, sich an der Kriegsbeute zu bereichern, und hielt auch in seinem Heere strenge Manneszucht. Die Ausrottung der Ketzerei in Deutschland war ihm Gewissenssache; er hat dem Kampf den fanatisch religiösen Charakter ausdrücken helfen. Die neuern katholischen Schriftsteller, insbes. O. Klopp (»T. im Dreißigjährigen Kriege«, Stuttg. 1866, 2 Bde.; neue Bearbeitung, Paderb. 1891–96, 3 Bde.) und Villermont (»Tilly«, Tournai 1859, 2 Bde.; deutsch, Schaffh. 1860), haben T. von manchem unberechtigten Vorwurf gereinigt, gehen aber in ihrer sonstigen Rettung zu weit. Vgl. auch Magdeburg, S. 61. 1843 ward ihm in der Feldherrenhalle zu München eine Statue (Modell von Schwanthaler) errichtet. Sein Bildnis s. Tafel ð »Feldherren des Dreißigjährigen Krieges« (im 5. Bd.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Eduard Müller (1818 - 1895)

"Müller, Eduard, kath. Theologe, Politiker, geb. 15.11.1818 Quilitz (Kr. Glogau, Schlesien), gest. 6.1.1895 Neisse (Oberschlesien)

Nach den Studium der Theologie in Breslau und der Priesterweihe 1843 war M. Kaplan in Löwenberg und Sagan. Seit 1852 "Missionsvikar" in Berlin, baute er dort das kath. Vereinswesen und die kath. Presse auf. 1853-91 gab er das "Märkische Kirchenblatt", 1863-83 den "Bonifatiuskalender" heraus. 1870 gehörte M. zu den Initiatoren der Gründung einer kath. Partei, gewann bei den Wahlen zum ersten Reichstag als Kandidat des Zentrums den oberschlesischen Wahlkreis, musste jedoch infolge des Kulturkampfes 1891 auf Druck des Breslauer Fürstbischofs sein Mandat und sein kirchliches Amt niederlegen und lebte danach im Kloster der Grauen Schwestern in Neisse."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

Johannes Strobel: Schlossermeister

6 Johann Tetzel (1465 - 1519)

"Tetzel, Johann, kath. Theolog, geb. um 1465 in Pirna (nicht Leipzig), gest. wahrscheinlich 4. Juli (nicht August) 1519 in Leipzig, trat um 1489 in den Dominikanerorden und wurde 1509 zum Inquisitor für Sachsen ernannt. Von 1504–10 predigte er den Ablass für den Deutschen Ritterorden in Sachsen, am Unterrhein, in Schlesien und Franken, seit 1514 den Ablass für die Peterskirche als Unterkommissar des Erzbischofs Albrecht von Mainz, bis Luther 31. Okt. 1517 mit seinen Thesen gegen das beim Ablasshandel eingerissene Unwesen auftrat. 1518 wurde T. in Frankfurt a. O. Doktor der Theologie. Dass er in Innsbruck wegen Ehebruchs zum Tode mittels Ersäufens verurteilt worden sei, ist Legende. Vgl. Kawerau, Sobald das Geld im Kasten klingt (Barm. 1890); Paulus, Johann T. (Mainz 1899)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 König von Schweden: Gustav Adolf (1594 - 1632)

"Gustav (II.) Adolf, König von Schweden, geb. 19. (9.)Dez. 1594 in Stockholm, gest. 16. (6.) Nov. 1632, Enkel des vorigen, genoss eine ausgezeichnete wissenschaftliche und militärische Erziehung, die seine hervorragenden Anlagen zur glänzendsten Entwickelung brachte. Als er nach einer kurzen Vormundschaftsregierung im Dezember 1611 seinem Vater Karl IX. (s. d.) folgte, war das schwedische Reich zu gleicher Zeit in drei gefährliche Kriege verwickelt. Der Krieg gegen die Dänen, die bei seinem Regierungsantritt ganz Südschweden besetzt hielten, endete damit, dass Schweden im Frieden von Knäröd (30. Jan. 1613) Elfsborg und einige andre Gebiete für 1 Mill. Tlr. zurückkaufen musste, was sich wegen der kurzen Zahlungsfrist (6 Jahre) und der Erschöpfung des Staatsschatzes nur durch persönliche Opferwilligkeit des Königs und seiner Untertanen erreichen ließ. Der Krieg gegen die Russen, dessen Leitung G. Adolf 1614–15 selber übernahm, verlief dagegen glücklich und führte im Frieden zu Stolbowa (9. März 1617) zur Einverleibung von Karelien und Ingermanland. Mit seinem polnischen Vetter, dem katholischen Wasaspross König Siegmund III. (s. d.), der sein Anrecht auf den schwedischen Thron bestritt, stand G. Adolf, trotz wiederholter Waffenstillstände, von Anfang an auf gespanntem Fuße. Nachdem schon 1617 Pernau in seine Hand gefallen war, landete er im Sommer 1621 an der Dünamündung und brachte in mehreren Feldzügen (1621–22, 1625–26) Livland, Kurland und Estland sowie die wichtigen preußischen Städte Memel, Pillau, Braunsberg und Marienburg in seine Gewalt. Zu diesen auswärtigen Errungenschaften gesellte sich eine nicht minder erfolgreiche Reformtätigkeit im Innern. Für die Hebung des Volkswohlstands wurde durch Unterstützung von Handel, Gewerbe und Schifffahrt, Verbesserung der Verkehrswege, Städtegründungen, Berufung kundiger Ausländer zur Einführung neuer Industrien etc. trefflich gesorgt, die Organisation der Zentral- und Lokalbehörden neu geregelt, die Rechtspflege durch Einführung einer neuen Prozessordnung (1614) sowie durch Errichtung von Hofgerichten in Stockholm (1614), Åbo (1623) und Dorpat (1629) wesentlich verbessert, die geistige Bildung auf mannigfaltige Art gefördert, die Kompetenz der Volksvertretung durch die Reichstagsordnung von 1617, die den Reichstag in vier Stände einteilte, gesetzlich festgelegt, der Adel durch neue Vorrechte (Ritterhausordnung von 1626) völlig für das Königtum gewonnen, dessen Hauptstütze er fortan im Heer wie in der Verwaltung bildete. So hatte G. Adolf in wenigen Jahren nicht nur das Ziel seiner auswärtigen Politik, die Ostseeherrschaft, fast erreicht, sondern auch ein blühendes nordisches Reich geschaffen, dessen gewaltige, in vielen Schlachten erprobte und von tüchtigen Feldherren geleitete Kriegsmacht bald eine hervorragende Rolle in der Geschichte Europas zu spielen berufen sein sollte.

Schon während des polnischen Krieges war G. Adolf ein aufmerksamer Beobachter des Krieges gewesen, der seit 1618 Deutschland verheerte, zumal der Kaiser den Polen offen Beistand leistete, selber die Ostseeherrschaft zu erlangen suchte und die in Schweden regierende protestantische Wasalinie bedrohte. Infolge der Ablehnung aller schwedischen Friedensvorschläge polnischerseits hatte er jedoch die wiederholte Aufforderung Frankreichs und der Niederlande, sich an die Spitze der deutschen Protestanten zu stellen, ablehnen müssen und den Hilferufen seiner verjagten mecklenburgischen Verwandten, des Böhmenkönigs Friedrich V. von der Pfalz sowie der Stadt Stralsund nur teilweise entsprechen können (s. ð Dreißigjähriger Krieg, S. 190 f.). Erst der durch französische Vermittelung 26. Sept. 1629 in Altmark (Westpreußen) auf sechs Jahre abgeschlossene schwedisch-polnische Waffenstillstand ermöglichte es ihm, nach Vollendung seiner Rüstungen sich mit Zustimmung des Reichstages nach Deutschland zu wenden. Es waren nicht bloß religiöse, aber auch keineswegs lediglich politische Beweggründe, die ihn zu diesem Schritt bestimmten, vielmehr gingen beide Motive nebeneinander her.

Am 5. Juli 1630 mit 13,000 Mann auf deutschem Boden gelandet, bemächtigte er sich der Inseln Usedom, Wollin und Rügen sowie, nach Unterwerfung des Herzogs Bogislaw XIV. von Pommern, der Stadt Stettin (vgl. Bogislaw 2). Hierauf durch Zuzüge aus den Ostseeprovinzen auf 40,000 Mann verstärkt, begann er schrittweise die Eroberung ganz Pommerns, Mecklenburgs sowie Brandenburgs und erhielt durch den Vertrag von Bärwalde (23. Jan. 1631) von Frankreich die zur Fortführung des Krieges erforderlichen Hilfsgelder zugesichert. Sein Plan, Magdeburg zu entsetzen, wurde durch Brandenburg und Sachsen, die ihm den Durchmarsch verweigerten, vereitelt. Vergebens machte er, um Tilly abzulenken, im April eine Demonstration gegen Schlesien und erstürmte Frankfurt a. O. sowie Landsberg a. W. Als sein brandenburgischer Schwager, Kurfürst Georg Wilhelm (s. ð Georg 4), sich endlich (14. Mai) durch schwedische Gewaltmaßregeln genötigt sah, den Schweden vertragsmäßig den Durchzug durch sein Gebiet zu gestatten und ihnen die Festung Spandau als militärischen Stützpunkt einzuräumen, war es schon zu spät. Gerade die Zerstörung Magdeburgs (20. Mai) führte indessen eine für G. Adolfs Bestrebungen günstige Wendung herbei. Die Bildung einer protestantischen Mittelpartei war fortan unmöglich. Vielmehr schlossen Brandenburg (21. Juni) und Sachsen (11. Sept.), dessen Kurfürst Johann Georg I. seine Lande, trotz seiner Neutralitätserklärung, durch Tilly hart bedrückt sah, ein Bündnis mit G. Adolf, der in Sachsen einrückte. Der am 17. Sept. erfochtene glänzende Sieg des Schwedenkönigs bei ð Breitenfeld (s. d.) über Tilly befreite mit Einem Schlage ganz Norddeutschland von den Kaiserlichen. Die deutschen Fürsten, von denen sich ihm bisher, außer Landgraf Wilhelm von Hessen und Herzog Bernhard von Weimar, nur die aus ihren Ländern vertriebenen angeschlossen hatten, suchten nunmehr eifrig seinen Schutz oder sein Bündnis, und die evangelische Bevölkerung, besonders die Bürgerschaft der Reichsstädte, begrüßte ihn als Befreier. Als er im Herbste durch Thüringen nach Franken und dem Mittelrhein zog, stieß er fast nirgends auf erheblichen Widerstand. Würzburg, Hanau und Frankfurt fielen rasch in seine Hand, Nürnberg begab sich in seinen Schutz, und die fränkischen Stände huldigten ihm als Herzog von Franken. In Mainz, wo er während des Winters blieb, fasste er den Plan, den Evangelischen einen für immer gesicherten Frieden zu erkämpfen und sie zu einem Bund unter Schwedens Führung zu einigen. Zu diesem Zwecke vereinigte er sich im März 1632 bei Kitzingen mit seinem General Horn, folgte Tilly über Nürnberg und Donauwörth zum Lech, dessen Übergang er erzwang, und hielt Mitte Mai seinen Einzug in München. Erst das Wiederauftreten Wallensteins setzte seinem weitern Vordringen ein Ziel. Zwei Monate lang standen beide in befestigten Lagern bei Nürnberg einander gegenüber. Nach einem vergeblichen Versuch, das feindliche Lager zu erstürmen, wandte sich G. Adolf Anfang September nach Schwaben, rückte aber, infolge der Kunde von Wallensteins Einfall in Sachsen, in Eilmärschen dorthin, um seine eigne Stellung in Norddeutschland zu sichern und Kurfürst Johann Georg vom Abfall abzuhalten, und vereinigte Anfang November seine Streitkräfte in Erfurt. Wenige Tage später fiel er in der Schlacht bei ð Lützen (s. d.).

Für den Glanz seines Namens starb G. Adolf zur rechten Stunde: er strahlte fortan im Andenken der Protestanten als Glaubensheld, der für das Evangelium den Heldentod erlitten. Dieser Nimbus wäre aber zweifellos verblichen, hätte er seinen Plan, durch Eroberungen an Deutschlands Küsten die Alleinherrschaft im Baltischen Meer (dominium maris baltici) zu erringen, verwirklicht, wodurch er so manche Interessen verletzen und große Schwierigkeiten hervorrufen musste. Gleichwohl war sein Tod für die Sache des deutschen Protestantismus, dem von nun an eine einheitliche, zielbewusste Leitung fehlte, wie für die junge schwedische Großmacht ein unersetzlicher Verlust. – In religiöser Hinsicht fromm, aber nicht unduldsam, als Staatsmann besonnen und umsichtig, war er als Krieger tapfer bis zur Tollkühnheit, aber gerade deshalb bei seinem Heer wie beim deutschen Volk sehr beliebt. Seine Leistungen in der Taktik, seine Neuerungen in der Bewaffnung, Einteilung und Ausstellung der einzelnen Truppengattungen sowie im Geschützwesen waren epochemachend, seine Soldaten in Bezug auf Manneszucht und moralische Tüchtigkeit damals unerreicht. Feldherren wie Johan Banér, Nils Brahe, Gustav Horn, Torstensson und Karl Gustav Wrangel waren seine militärischen Schüler, während er selber in der Politik den Reichskanzler A. ð Oxenstierna (s. d.) zum Lehrmeister hatte. – Seit 1620 mit der brandenburgischen Prinzessin Maria Eleonora vermählt, hinterließ er nur eine Tochter, ð Christine (s. d.). Außerdem hatte er einen unehelichen Sohn, den spätern Grafen G. Gustafsson von Wasaborg (geb. 1616 oder 1617, gest. 1653). In Schweden und Deutschland wurden ihm mehrere Denkmäler errichtet. Ein dauerndes Andenken fand er in Deutschland durch den ð Gustav Adolf-Verein (s. d.). Sein Bildnis s. auf Tafel ð »Feldherren des Dreißigjährigen Krieges« (Bd. 5)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8 Gustav-Adolf [!]-Vereine

"Gustav Adolf-Verein (Evangelischer Verein der Gustav Adolf-Stiftung) ist eine Vereinigung innerhalb der evangelisch-protestantischen Kirche mit dem auf Gal. 6, 10 gegründeten Zweck, den kirchlichen Bedürfnissen der in der ð Diaspora (s. d.) lebenden Glaubensgenossen nach Kräften Abhilfe zu leisten. Im Anschluss an die zweite Säkularfeier des Todes Gustav Adolfs (6. Nov. 1832) erließen Superintendent ð Großmann (s. d. 2), der Archidiakonus Goldhorn und der Kaufmann Lampe zu Leipzig einen Ausruf zur Beteiligung an dem Unternehmen, das zunächst fast auf Leipzig und Dresden beschränkt blieb, von dem aber bis 1840 bereits 31 Gemeinden mit 1233 Tlr. unterstützt wurden. Als zum Reformationsfest 1841 der Darmstädter Hofprediger Zimmermann, ohne von dem sächsischen Unternehmen zu wissen, einen Ausruf zur Begründung eines Vereins mit gleichem Zweck erließ, verständigte man sich gegenseitig und gründete 16. Sept. 1842 zu Leipzig den Evangelischen Verein der Gustav Adolf- Stiftung. Nach den zu Frankfurt 1843 festgestellten Satzungen umfasst die Wirksamkeit des Vereins lutherische, reformierte, unierte sowie solche Gemeinden, die ihre Übereinstimmung mit der evangelischen Kirche glaubhaft nachweisen. Die Mittel dazu werden erlangt durch die jährlichen Zinsen vom Kapitalfonds des Vereins sowie durch jährliche Geldbeiträge von völlig beliebigem Betrag, durch Schenkungen, Vermächtnisse, Kirchenkollekten etc. In jedem Bundesstaat (bei größern in jeder ihrer Provinzen) wird die Bildung von Hauptvereinen angestrebt, denen sich Zweigvereine in einzelnen Orten angliedern. Ihr gemeinsamer Mittelpunkt ist der aus 24 Mitgliedern bestehende Zentralvorstand mit dem Sitz in Leipzig (Vorsitzender bis 1857 Großmann, bis 1875 Geheimer Kirchenrat Hoffmann, bis 1900 Geheimer Kirchenrat Professor D. Fricke, zurzeit Geheimer Kirchenrat D. Pank). Das Zentralbureau befindet sich in Leipzig. Von den Einnahmen der Zweigvereine steht ein Drittel diesen zu freier Verfügung, zwei Drittel sind an den Hauptverein abzuführen, der wiederum ein Drittel dem Zentralvorstand zu überweisen hat.

Während die bayrische Regierung dem G. die Bildung von Zweigvereinen zunächst untersagte und erst im September 1849 gestattete, wurde die Genehmigung in Preußen schon im Februar 1844 erteilt. Im September 1844 erfolgte zu Göttingen der Anschluss der preußischen Vereine an den Gesamtverein. In Österreich konnte der Verein erst nach den 1861 erlassenen Religionspatenten seine Wirksamkeit beginnen. Allmählich traten dem Verein in Ungarn und der Schweiz, in Frankreich, Russland, Schweden, Rumänien, Italien und Holland Hilfsvereine zur Seite; die protestantischen Gemeinden Belgiens und die Evangelisationsgesellschaft im Elsass (1890) schlossen sich ihm an. Die seit 1851 bestehenden Frauenvereine haben sich den Schmuck und die Ausstattung der Gotteshäuser, die Pflege der Konfirmandenanstalten, die Unterstützung von Predigerwitwen und -Waisen zur besondern Aufgabe gemacht. 1903 zählte der Verein 45 Haupt- und 1943 Zweigvereine, dazu 632 Frauenvereine. Die Einnahmen betrugen 2,402,742 Mk. Im letzten Vereinsjahr wurden 1,738,525 Mk. an Unterstützungen aufgewendet, im ganzen bis 1903: 43,566,700 Mk., die über 5302 Gemeinden verteilt wurden. Das Gesamtvermögen der Vereine und des Zentralvorstandes betrug 1903: 5,148,047 Mk. Organe des Gustav Adolf-Vereins sind die von mehreren Hauptvereinen herausgegebenen »Boten des Evangelischen Vereins der Gustav Adolf-Stiftung«; ferner erscheinen alljährlich vom Zentralvorstand herausgegebene »Fliegende Blätter«, mehrere Gustav Adolf-Kalender, Berichte über die Hauptversammlungen und andre Vereinsschriften. Vgl. Zimmermann, Der G. nach seiner Geschichte, seiner Verfassung und seinen Werken (Darmst. 1878) und Die Bauten des Gustav Adolf- Vereins (das. 1850–76, 2 Bde.); Zenker, Der G. in Haupt und Gliedern (Leipz. 1882); Blanckmeister, Gustav Adolf-Stunden (das. 1894); v. Criegern, Geschichte des Gustav Adolf-Vereins (das. 1903); Pank jun., Gustav Adolf-Verein (das. 1904) und Gustav Adolf-Atlas (das. 1903)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

9 Gilka: Getreidekümmelschnaps aus der Fabrik von Gilka in Berlin

10 Johann Quistorp: Bankier

11 Heiliger Peter de Arbuës (1411 - 1485)

"Arbuës, Peter de, span. Inquisitor, geb. mit 1411 zu Epila in Aragonien, Augustiner-Chorherr in Saragossa, warb 1484 zum ersten Inquisitor für Aragonien berufen und erwarb sich als solcher den Ruf eines unermüdlichen Verfolgers der Ketzer. Die Freunde und Verwandten seiner zahlreichen Opfer verschworen sich gegen ihn, und er starb 17. Sept. 1485 infolge eines Attentats, das in der Kirche vor dem Altar auf ihn gemacht worden war. A. wurde bald nach seinem Tod ein hochgefeierter Wundermann. Papst Alexander VII. sprach ihn 1661 selig, und Pius IX. nahm ihn 29. Juni 1867 in die Zahl der Heiligen auf. W. v. Kaulbach hat ihn auf seinem Bilde: Peter A. von Epila verurteilt eine Ketzerfamilie zum Tode, nach dem Typus von Schillers Großinquisitor dargestellt. Vgl. Zirngiebl, Peter A. (3 Aufl., Münch. 1872)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Die ganze Bande / Karikatur von Wilhelm Scholz (1824 - 1893). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 38/39, S. 156. -- 1870-08-21

 Und das wollte, "an der Spitze der Zivilisation marschierend" Deutschland überschwemmen!.

Erläuterung:

"Der Kladderadatsch bringt ein »Gruppenbild mit Damen«, auf dem sämtliche ihm verhassten Vertreter des bonapartistischen Frankreichs dargestellt sind. Im Vordergrund sieht man die Kaiserliche Familie - Napoleon III., Eugenie, deren Sohn »Lulu« -, dahinter die Vettern, Prinz Pierre Bonaparte (mit Bart), der einen Journalisten erschossen hatte und straffrei ausgegangen war, dann »Plonplon«, das heißt Jérôme Napoleon, der intrigierende Senator, bekannt durch seine Ähnlichkeit mit Napoleon I. Neben der Kaiserin erkennt man die Cousine Mathilde Bonaparte, die eine bedeutende mondäne Rolle gespielt hatte. Links und rechts: echt Pariser Kokotten. Im Hintergrund, von links nach rechts: Mönche als Fabrikanten des Chartreuse-Likörs, dann der Redakteur des Journal officiel, der Niederlagen als Siege verkündet, daneben sein Kollege, der Polemist Adolphe Granier de Cassagnac, vom Scharfmacherblatt Le Pays, dann ein Mobilgardist (Landsturmmann) mit Champagnerglas und Freiheitsmütze; hinten links zwei Turkos (afrikanische Hilfstruppen). Das Ganze wird überragt von der Tiara des Papstes, der am 18. Juli 1870 durch das I. Vatikanische Konzil das Unfehlbarkeits-Dogma hatte beschließen lassen. Die wehende Damenunterwäsche, gekrönt von einer Lockenperücke mit Haube und Bändchen, symbolisiert das »Weibische« der französischen Nation. Die randvolle Zeichnung ist ein typisches Beispiel der deutschen Karikatur; sie unterscheidet sich von der wesentlich großflächiger und beweglicher angelegten französischen Lithographie."

[Quelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 367]


Rom, am zweiten Oktober1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 47, S. 185. -- 1870-10-09

Nicht wie ein Held, der tantenruhmumglänzt
Im Männerkampf von Feindesmacht erschlagen,
Mit Sang und Klang, die Stirn lorbeerumkränzt,
Auf blankem Schild zu Grabe wird getragen --

Kein Märtyrer, der zur Blutzeugenschaft
Die Folter der Inquisition gefordert,
Der, von des Scheiterhaufens Loh' entrafft,
In flammender Majestät zum Himmel lodert --

Nicht wie der Eiche tausendjährger Stamm,
Den eines Blitzes jäher Strahl zersplittert;
Nicht wie des Bergs urfester Felsendamm,
Bei dessen Einsturz rings die Erd erzittert --

Nicht wie der Tag, der seinen Lauf vollbracht,
Im Glorienschein der Abendsonnengluten,
Ein strahlender Prophet der Sternennnacht,
Hinscheidend sinkt in heilge Meeresfluten --

Nein, wie ein welkes Laub, am frischen Ast
Noch hangend mit den grünen Blättern allen,
Verweht, von leisen Windes Hauch erfasst,
Bist du vom Baum des Lebens abgefallen.

Verdorrt am Boden und zernagt vom Wurm
Des Hochmuts längst entschwundner Majestäten,
Hat, vorwärts eilend in der Schlachten Sturm,
Der Weltgeist im Vorbeigehn dich zertreten.

Am Wege, kaum beachtet, eingescharrt
Von Tritten Derer, die vorüberschreiten,
Liegst du, ein Ärgernis der Gegenwart
Und eine Torheit all den künftgen Zeiten.

Ein Szepter und ein strahlend Diadem,
Dem Ehrfurcht die Jahrhunderte bezeugten;
Ein Herrscherstuhl, ein Thron der Macht, vor dem
Die Mächtigen der Erde stumm sich beugten --

So war es einst! Und heut? -- Ein Schemen nur,
Ein blasses Schattenbild vergangner Zeiten,
Verblichen fast bis auf die letzte Spur
Der Zauberglanz all seiner Herrlichkeiten!

Sein Krummstab herrscht, ein gar zerbrechlich Ding,
Nur in dem ihm gewiesenen Asyle;
Sein Reif -- ein Ring, wie jeder andre Ring,
Sein Thron -- ein Stuhl, wie all die andern Stühle!

"Non possumus!"2 und "Sit anathema!"3
Das, sagt man, waren seine letzten Worte.
Gleichgültig hört's die Welt, und -- siehe da!
Schon sitzt ein Andrer an demselben Orte!

So ohne Sang und Klang, mit einem Schlag
Ward all' die alte Herrlichkeit zunichte;
Und offenbaret ward an einem Tag
Als Weltgericht an ihm die Weltgeschichte.

Erläuterung:

1 Am 20. September 1870 wurde Rom von italienischen Truppen besetzt und zu Hauptstadt Italiens erhoben. Pius IX. erklärt sich zum Gefangenen im Vatikan. Der alte Kirchenstaat hört auf zu existieren. Bei einer Volksabstimmung am 2. Oktober 1870 sprechen sich 167.000 Stimmberechtigte für die Eingliederung des Kirchenstaats in das Königreich Italien aus, 1507 stimmen dagegen.


Abb.: Der Kirchenstaat. -- [Bildquelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchenstaat. -- Zugriff am 2004-10-29]

"Kirchenstaat (Stato della Chiesa, Stato Pontificio, Patrimonium Sancti Petri), der geistliche Staat in Mittelitalien (s. die Geschichtskarten bei »Italien«), über den der Papst als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche die Souveränität ausübte. Er erstreckte sich vor 1859 von 41°10'-44°50' nördl. Br. und von 11° 25'-13°50' östl. L., wurde östlich vom Adriatischen, südwestlich vom Tyrrhenischen Meer bespült, im übrigen von Neapel, dem Lombardisch-Venezianischen Königreich, Toskana und Modena begrenzt, und war 1859 eingeteilt in fünf von Kardinälen regierte Legationen (Rom und Provinz, Romagna, Marken, Umbrien, Campagna und Maritima), die in 20 von Prälaten verwaltete Delegationen (außer Rom und der Comarca sowie Bologna, die unmittelbar unter dem Kardinallegaten standen, Viterbo, Civitavecchia, Orvieto, Ferrara, Forli, Ravenna, Urbino- Pesaro, Macerata, Loreto, Ancona, Fermo, Ascoli, Camerine, Spoleto, Perugia, Rieti, Velletri, Frosinone, Benevent) zerfielen, mit einem Areal von 41,187 qkm (748 QM.) und einer Bevölkerung von 3,125,000 Seelen. Vor der französischen Revolution gehörten noch die Grafschaften Avignon und Venaissin in Südfrankreich mit 2200 qkm (40 QM.) und 55,000 Einw. zum K. Infolge der Ereignisse von 1859 und 1860 schrumpfte das päpstliche Gebiet auf Rom mit der Comarca und die Delegationen Viterbo, Civitavecchia, Orvieto, Velletri und Frosinone mit 12,803 qkm (214,4 QM.) und 692,100 Einw. zusammen, und im September 1870 wurde auch dieser Rest des Kirchenstaats dem Königreich Italien einverleibt (s. unten, Geschichte). Seit der Begründung der weltlichen Herrschaft des Papstes ist der K. eine Wahlmonarchie gewesen. Die Verfassung, nach der er während der letzten 21 Jahre seines Bestehens regiert worden ist, wurde von Pius IX. 12. Sept. 1849 gegeben. Der Papst, der von dem Kollegium der Kardinäle (Sacro collegio) gewählt wurde, war unumschränkter Monarch. An der Spitze der Verwaltung stand als erster Minister ein Kardinal-Staatssekretär, der insbesondere die auswärtigen Angelegenheiten leitete; auch die übrigen Minister gehörten dem geistlichen Stand an und waren ihm untergeordnet. Neben dem Ministerrat bestand ein Staatsrat von 15 zum Teil weltlichen Mitgliedern als beratende Behörde in der Gesetzgebung und den Finanzangelegenheiten und als entscheidende bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen den höhern Verwaltungsbehörden. Die Finanzen wurden seit 1850 von der Finanzkonsulta geleitet, deren Mitglieder vom Papst zum größern Teil auf Vorschlag der Provinzialräte, zum kleinern (ein Viertel) unmittelbar ernannt wurden. Die den Provinzen als Statthalter vorstehenden Kardinäle verkehrten nur mit dem Staatssekretär. Die Provinzen waren in Governi geteilt, deren Governatori auch Laien sein konnten. Provinzialräte, deren Mitglieder auf Vorschlag der Gemeindebehörden vom Papst ernannt wurden, standen den Legaten und den Delegaten zur Seite. In der Rechtspflege fand ein dreifacher Instanzenzug statt; die letzte Instanz bildeten die Obertribunale der Rota, der Segnatura di Giustizia und der Sacra consulta in Rom. Die Finanzverhältnisse waren stets misslich und bereiteten der Regierung oft Verlegenheiten. Die Staatsschuld erforderte 1867 einen Zinsbetrag von ca. 37,400,000 Lire, von dem aber ein großer Teil 1861 von Italien übernommen war. Das Defizit, das zum Teil durch den Peterspfennig gedeckt wurde, pflegte erheblich zu sein (Budget von 1868: 28,845,359 Lire Einnahme gegen 73,949,803 Lire Ausgabe). Die päpstliche Armee wurde wesentlich durch fremde Soldtruppen rekrutiert und zählte 1869: 15,670 Mann. Päpstliche Orden: der Christusorden, der Orden vom goldenen Sporn, Orden des heil. Johann vom Lateran, des heil. Gregor und der Piusorden (s. Tafel »Orden II«, Fig. 19). Landesfarben waren Gold und Silber.


Abb.: Die Truppen des Kirchenstaates empfangen auf dem Petersplatz in Rom den Segen des Papstes. -- 1870...

"Ein Aufruhr zwang nun den Papst, das radikale Ministerium Mamiani zu ernennen; 25. Nov. aber floh Pius IX. nach Gaeta und erklärte alle Handlungen des neuen Ministeriums für nichtig. Die römische Kammer setzte darauf eine provisorische Regierung ein und beschloss die Berufung einer konstituierenden Nationalversammlung, die am 9. Febr. 1849 die Errichtung der Römischen Republik verkündete. Sie hatte die Absicht, Sardinien in dem neuen Feldzug gegen Österreich Hilfe zu leisten, doch die Schlacht bei Novara (23. März) vernichtete die nationalen Hoffnungen. Inzwischen hatte der Papst die Intervention der Mächte angerufen. Der französische Präsident Louis Napoleon beeilte sich, um sich die Gunst des Klerus zu erwerben, dem Hilferuf Folge zu leisten. Eine französische Flotte landete 24. April im Hafen von Civitavecchia ein Expeditionskorps unter General Oudinot. Die Römer hatten schon 24. März ein Triumvirat unter dem Vorsitz Mazzinis ernannt und übertrugen Garibaldi die Verteidigung der Stadt. Nach einem vergeblichen Sturm begannen die Franzosen eine regelrechte Belagerung und erzwangen 3. Juli die Übergabe der Stadt. Gleichzeitig unterdrückten die Österreicher und Neapolitaner im übrigen K. die Revolution.

Eine Regierungskommission von drei Kardinälen, das »rote Triumvirat« genannt, verhängte über alle Teilnehmer an den politischen Bewegungen seit 1847 ein strenges Strafgericht. Unter dem Schutz der Franzosen, die Rom und Umgebung, und der Österreicher, welche die Romagna und Ancona besetzt hielten, führte Pius IX., der am 12. April 1850 nach Rom zurückkehrte, ein hartes Regiment, dessen innere Schwäche sich durch die unheilbare Finanznot offenbarte. Verblendet durch die Erfolge seiner kirchlichen Reaktionspolitik, verweigerte er alle Reformen im K. Als 1859 der Krieg zwischen Österreich und dem durch Frankreich unterstützten Sardinien ausbrach, verhielt sich der Papst neutral. Als aber die Österreicher nach der Schlacht bei Magenta (4. Juni) ihre Truppen aus Ancona und der Romagna zurückgezogen hatten, erhob sich die Romagna gegen die päpstliche Regierung und rief Viktor Emanuel zum Diktator aus. Eine von dem Kommissar des Königs berufene Nationalversammlung beschloss 1. Sept. die Vereinigung der Legationen mit Sardinien; am 11. und 12. März 1860 bestätigte eine Volksabstimmung diesen Beschluss, worauf sardinische Truppen in die Romagna einrückten. Alle Bemühungen Napoleons III., den Papst zur Nachgiebigkeit gegen die nationalen Wünsche zu bewegen, um den K. zu erhalten, wurden von Pius IX. zurückgewiesen. Inzwischen hatte Garibaldi das Königreich beider Sizilien erobert und bedrohte Rom selbst. Um dies zu sichern und dem Umsichgreifen der revolutionären Bewegung vorzubeugen, gestattete Napoleon im August, dass die sardinischen Truppen durch die Marken und Umbrien nach Neapel vordringen dürften. Diese rückten 11. Sept. in den K. ein, schlugen 18. Sept. die päpstliche Armee unter General Lamoricière bei Castelfidardo und zwangen Lamoricière, der sich nach Ancona warf, 29. Sept. zur Kapitulation. Dem Papst verblieb nur das sogen. Patrimonium Petri, das die Franzosen schützten.

Die nationale Partei in Italien forderte stürmisch Rom als Hauptstadt; Napoleon aber verlangte entschieden, dass der Rest des Kirchenstaats unangetastet bleibe, und die italienische Regierung musste sich fügen. Als Garibaldi 1862 von Kalabrien aus einen Zug gegen Rom antrat, wurde er 29. Aug. bei Aspromonte von italienischen Truppen angegriffen und gefangen genommen. Durch die Septemberkonvention (15. Sept. 1864) schien Italien mit der Verlegung der Hauptstadt nach Florenz auf Rom zu verzichten, wogegen Frankreich die Räumung des Kirchenstaats versprach, die Ende 1866 erfolgte. Sofort bereitete die italienische Aktionspartei, von dem Ministerium Rattazzi heimlich ermuntert, einen neuen Freischarenzug gegen Rom vor. Im Oktober 1867 brach Garibaldi in den K. ein und rückte bis wenige Stunden von Rom vor, wurde aber bei Mentana 3. Nov. von den päpstlichen Truppen, verstärkt durch ein eiligst nach Civitavecchia geschicktes französisches Korps, geschlagen und auf dem Rückzug von den Italienern gefangen genommen und entwaffnet. In Rom wurden scharfe Strafen über alle Aufständischen verhängt; doch war die päpstliche Herrschaft nur noch durch den französischen Schutz aufrechtzuhalten. Kaum waren Anfang August 1870 die französischen Truppen aus Civitavecchia abgezogen und die ersten Siege der Deutschen erfochten, als die Aktionspartei die Besetzung Roms forderte. Nach dem Sturz des französischen Kaiserreichs ließ die Regierung, da Pius IX eine gütliche Vereinbarung ablehnte, 11. Sept. italienische Truppen in den K. einrücken, die 19. Sept. vor den Toren Roms ankamen. Der päpstliche General Kanzler (s. d.) erhielt Befehl, nur der Gewalt zu weichen, und übergab daher erst, nachdem die Italiener an der Porta Pia Bresche geschossen hatten, 20. Sept. die Stadt. Die Volksabstimmung 2. Okt. ergab 133,681 Stimmen für, 1507 gegen die Vereinigung mit Italien, und 6. Okt. wurde diese durch königliches Dekret ausgesprochen. Der K. hatte aufgehört zu bestehen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Non possumus (lateinisch) = Wir können nicht: mit Anwendung der Stelle aus Apostelgeschichte 4, 20 ("Denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden"), Antwort des Papstes Clemens VII. auf die drohende Aufforderung des Königs Heinrich VIII. von England, ihn von seiner Gemahlin Katharina zu scheiden; seitdem allgemeine Formel für jede Weigerung des päpstlichen Stuhles, einer den Grundsätzen der katholischen Kirche widersprechenden Forderung nachzugeben. Von Pius IX. ständig verwendet gegenüber allen Forderungen der Neuzeit.

3 sit anathema = sei gebannt, sei mit dem Bannfluch belegt


Auch eine Invasion. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 49, S. 195. -- 1870-10-23

Es bricht aus Rom ein Menschenstrom;
Langröckig, mit breiten Hüten,
Drängt sich hervor ein schwarzes Corps --
Das sind die Herrn Jesuiten!

Dem Nachtgezücht ist es zu licht,
Zu hell in Rom geworden;
Sie brechen auf in flüchtgem Lauf
Und ziehn hinauf nach Norden.

"Was kann da sein? Auf an den Rhein!
Da ist es noch gemütlich,
Wo unbetört man uns noch ehrt,
Da hausen wir fromm und friedlich."

Gesagt, getan! Ich seh sie nahn --
Rom ist der Schwarzen ledig!
Schon ziehn am Rhein die Ersten ein --
Gott sei uns Deutschen gnädig!



Abb.: Umzug mit Hindernissen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 51, S. 204. -- 1870-11-06

Victor Emanuel1. Heiliger Garibaldi2! Jetzt soll ich in die neue Wohnung, und der alte Mieter will nicht heraus!

Erklärungen:

1 Victor Emanuel II. (1820 - 1878): König von Italien

2 Giuseppe Garibaldi (1807 - 1882): italienischer Freiheitskämpfer


Aus Rom, An die guten Deutschen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 52/53, S. 207. -- 1870-11-13

Der heilge Vater liegt "gefangen",
In einem Turm bei Kröten und bei Schlangen,
Ganz ähnlich wie der alte Moor1 --
Verriegelt, ach! sind Tür und Tor.
Des Papstes Not ist jetzt am größten!
Nur Eines kann vielleicht ihn trösten,
Nur Eines gibt's, das ihn vielleicht noch hält:
Schickt Geld, ihr Deutschen, Geld und wieder Geld!

Erklärung:

1 Maximilian, regierender Graf von Moor. Person in Schillers Schauspiel: Die Räuber.


Im Museum. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 23, Nr. 54, S. 215. -- 1870-11-20

Verhüll dich, Venus, schaumgeborne Frau,
In Linnen birg den holden Leib, ich bitte!
Du, Herkules, senk deiner Glieder Bau
In einen Frack von christgermanschem Schnitte!
Ihr Grazien, Nymphen, und du kleiner Mann,
Amor, mitsamt der Schar von Amorettchen --
Herr Mühler1 kommt! Geschwind zieht Hosen an,
Und gürtet euren Leib mit Feigenblättchen!

Im tiefsten Innern schaudert meine Seel --
Pfui über euch, wollüstge  Volksverführer!
Pfui Tizian, Palma2 und pfui Raphael,
Pfui über Holbein, über Albrecht Dürer!
Ihr malt die Menschen, selbst die Engel nackt --
Muss das ein wahrhaft frommes Herz nicht fuchsen?
Ihr malt das erste Paar beim Schöpfungsakt -- --
Herr Mühler kommt! -- Rasch, Adam, in die Buxen!

Erklärungen:

1 Mühler

"Mühler, Heinrich von, preuß. Kultusminister, Sohn des vorigen, geb. 4. Nov. 1813 in Brieg, gest. 2. April 1874 in Potsdam, studierte 1830–35 die Rechte, kam 1840 als Hilfsarbeiter ins Kultusministerium und wurde besonders bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung der evangelischen Kirche beschäftigt, 1846 auch der Generalsynode als Sekretär beigegeben; damals schrieb er auch eine »Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der Mark Brandenburg« (Weim. 1846). 1846 vortragender Rat im Kultusministerium, 1849 Mitglied des Oberkirchenrats geworden, half er diese neue Behörde organisieren und ihren Geschäftsbereich abgrenzen. Zugleich bildete sich unter dem Einfluss seiner ehrgeizigen, frömmelnden Gattin Adelheid, geborne v. Goßler (gest. 4. Okt. 1901), eine Hinneigung zum Pietismus aus, die seine liebenswürdigen Eigenschaften, Geist, Gemüt und gesellige Talente, wie sie seine »Gedichte« (Berl. 1842; 2. Aufl., Jena 1879) bekunden, unterdrückte. Als er 18. März 1862 im Ministerium Hohenlohe die geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten übernahm, trat er als gewandter Jurist mit wohlgebildeten Phrasen über die Pflichten der von Gott eingesetzten Regierung den ebenfalls vagen Angriffen der Opposition entgegen, tat aber in der eigentlichen Verwaltung seines Amtes im wesentlichen nichts, ging der Entscheidung aller Prinzipienfragen aus dem Wege, kam den kirchlichen Behörden stets in geradezu verderblicher Weise entgegen und gestattete seiner Frau in wichtigen Dingen entscheidenden Einfluss. Immer größer wurde die Missstimmung gegen ihn, die auch sein schwächlicher Versuch, nach dem Vatikanum der katholischen Hierarchie entgegenzutreten, nicht beschwichtigte. Im Januar 1872 entlassen, schrieb er in Potsdam »Grundlinien einer Philosophie der Staats- und Rechtslehre nach evangelischen Prinzipien« (Berl. 1873)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Jacopo Palma: zwei italienische Maler


Abb.: Jacopo Palma: Venus und Amor


1871


Neues Tiroler Nationallied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 4, Beiblatt. -- 1871-01-22

(Nach der Weise des alten1 zu singen.)

Wo der Gamsbock springt und der Ferner winkt
Und die Glöckli gehn bei Tag und Nacht;
Wo der Greuter2 schnaubt und manch kahles Haupt
Unsre Glaubens-Einheit streng bewacht --
Dieses schöne Land ist mein Heimatland,
Ist mein liebes teures Land Tirol.

Wo der Arm voll Mark und die Wade stark,
Und der Busen quillt im Kamisol3;
Wo die Sennrin leicht Zither zwickt und streicht
Und das Echo wecke mit Gejohl --
Dieses schöne Land ist mein Heimatland,
Ist mein liebes teures Land Tirol.

Wo das Pfäfflein haust, dass dem Ketzer graust,
Und kein Jud darf seinen Knoblauch baun;
Wo der Nonnen Psalm tönt von Stadt und Alm
Und die Kutte wallt schwarz, grau, weiß, braun --
Dieses schöne Land ist mein Heimatland,
Ist mein liebes teures Land Tirol.

Wo der Hofer4 stand und mit fester Hand
Jeder Mann auch seinen Stutzen schwingt;
Wo fürs Kaiserhaus Jeder zieht hinaus
Wenn's -- der Kirche nur auch Vorteil bringt --
Dieses schöne Land ist mein Heimatland,
Ist mein liebes teures Land Tirol.

Wo der Gamsbart blüht und die spitzen Hüt,
Und die Dirn die Zöpfe wundersam
Rot mit Schleifen putzt, und sich Jeder duzt
In majorem Dei gloriam5 --
Dieses schöne Land ist mein Heimatland,
Ist mein liebes teures Land Tirol.

Erklärungen:

1 d.h. nach der Melodie von "Hoch vom Dachstein aus", was allerdings ein Steirerlied ist!

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/hochvomd.html. -- Zugriff am 2008-01-04]

2 Joseph Greuter (1817 - 1888)

"Greuter, Joseph, österreich. Abgeordneter, geb. 1817 zu Tarrenz im Oberinntal, gest. 22. Juni 1888 in Innsbruck, ward 1850 zum Priester geweiht und als Professor am Gymnasium zu Innsbruck angestellt. 1861 in den Tiroler Landtag gewählt, erlangte er die Führung der ultramontanen Majorität, die ihn 1864 in den Wiener Reichsrat sandte, wo er mit Ignaz Freiherr von Giovanelli (1815–89) den äußersten rechten Flügel der Ultramontanen führte. Er zeichnete sich durch grobkörnige, kapuzinerhafte Redeweise aus, das geflügelte Wort von den »Auchdeutschen« wurde von ihm provoziert."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Karmisol = Kurze Jacke

4 Andreas Hofer (1767 - 1810): Tiroler Freiheitskämpfer.

5 In majorem Dei gloriam = Zur größeren Ehre Gottes


Kein Frieden! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 12, S. 45. -- 1871-03-12

Die Friedenstaube1 kam von Westen her,
Des Ölbaums offizielles Blatt im Schnabel;
Das Land eratmet, freudger rauscht das Meer --
Fürwahr, heiß war der Kampf und schwer,
Bis wir den Fuß gesetzt auf Babel.

Mit Frankreich Frieden! Wohl! Nun werd erprobt,
Ob auch daheim das Glück uns hilft zum Siege.
Den Waffenstillstand, den ich gelobt,
Solang der äußre Krieg getobt,
Ich heb ihn auf und ruf zum Kriege.

Zum Krieg, zum Krieg ruf' ich der Helfer Schar:
Schwört es beim heil'gen Spinngerät der Parzen2,
Hell muss es werden, wo es dunkel war,
Wir müssen noch in diesem Jahr
Aufräumen mit dem Heer der Schwarzen

Kein Frieden mit dem schleichenden Gezücht,
Kein Frieden mit dem Hochmut der Bornierten!
Greift an, greift an! durch Finsternis zum Licht3!
Die Feinde sind so schrecklich nicht —
Wir haben Pallas4 zur Alliierten.

Ihr Streiter, deren Feldruf lautet "Durch!"
Die ihr das Schwert der Rede wisst zu führen,
Euch sei nicht bang vor Fledermaus und Lurch,
Schnell geht daran, die alte Burg --
Die Eulenburg5 zu bombardieren.

Dort naht ein Fähnlein sich im Dämmerschein,
Geführt von Adelheid6, der Selten-Frommen --
Reichstagsulanen, legt die Lanzen ein!
Trompeter, schmettert lustig drein!
Hurrah! ´das Fähnlein wird genommen!

Reaktionär ballt mit Ultramontan7
Zusammen sich zum fürchterlichen Klumpen!
Mit einem Hieb schlag beide durch, Kumpan!
Das fördert, das gibt freie Bahn
Und Anrecht auf den Siegeshumpen.

Wohl wird's noch kosten manchen scharfen Streich,
Doch endlich wird uns voller Sieg belohnen;
Dann wird groß sein das neue Reich,
Nein -- glaubt mir's, Freunde -- auch zugleich
Wird's möglich sein darin zu wohnen.

Erläuterungen:

1 Am 1871-02-26 beendete der Vorfrieden von Versailles die Kampfhandlungen im Deutsch-französischen Krieg

2 Spinngerät der Parzen

"Moiren (griech. Moirai, bekannter unter dem lat. Namen Parcae, Parzen), die griechischen Schicksalsgöttinnen, die jedem sein Geschick zuteilen. Bei Homer ist Moira das personifizierte Verhängnis, das dem Menschen von Geburt an nach dem Ratschluß der Götter beschieden ist. Hesiod kennt der M. drei: Klotho (Spinnerin), die den Lebensfaden spinnt, Lachesis (Erlosung), die seine Länge bestimmt, Atropos (die Unabwendbare), die ihn abschneidet. Sie heißen bald Töchter der Nacht, bald Töchter des Zeus und der Themis. Als das Schicksal von der Geburt bis zum Tod bestimmend, stehen sie mit der Geburtsgöttin Eileithyia und mit den Keren in Verbindung. Bald erscheinen sie als unparteiische Vertreterinnen der Weltordnung, bald als grausam und neidisch, bald als von Zeus' Willen abhängig, bald über ihm stehend. In der ältern Kunst erscheinen sie mit Zeptern als Zeichen der Herrschaft, später Klotho spinnend, Lachesis mit Lostäfelchen oder auf dem Globus mit einem Griffel schreibend, Atropos mit Schriftrolle, Schrifttäfelchen oder Sonnenuhr. "

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3 durch Finsternis zum Licht: Zitat aus Johann Gottfried Herders Kirchenlied "Du Morgenstern, du Licht vom Licht" (1817)-, 4. Strophe [Evangelisches Gesangbuch Nr 74]:

Bleib bei uns, Herr, verlass uns nicht,
führ uns durch Finsternis zum Licht,
bleib auch am Abend dieser Welt
als Hilf und Hort uns zugesellt.

4 Pallas: Pallas Athene: Göttin der Weisheit und Personifikation des Sieges

5 Eulenburg = die Graf-von-Eulenburg-Sippe

"Eulenburg, 1) Botho Heinrich, Graf von E.-Wicken, preuß. Staatsmann, geb. 27. Dez. 1804, gest. 17. April 1879, Mitglied der Landesverwaltung des Herzogtums Schleswig während des Waffenstillstandes (25. Aug. 1849 bis 15. Juli 1850), seit August 1850 Präsident der Regierung zu Marienwerder, Landtagsmarschall und Oberburggraf von Preußen, präsidierte 1855–58 dem Abgeordnetenhaus, war seit 1864 Mitglied des Herrenhauses, 1867–78 auch Reichstagsmitglied und wurde im September 1874 Präsident der Staatsschuldenverwaltung.

2) Friedrich Albrecht, Graf von, preuß. Minister, Vetter des vorigen, geb. 29. Juni 1815 als Sohn des Grafen Friedrich (gest. 1845), gest. 2. Juni 1881 in Schöneberg bei Berlin, seit 1849 Hilfsarbeiter im Ministerium des Innern, trat 1852 in den diplomatischen Dienst über, ward preußischer Generalkonsul in Antwerpen und 1858 in Warschau, begleitete im Oktober 1859 die ostasiatische Expedition als bevollmächtigter Minister bei den Höfen von China, Japan und Siam und schloss Freundschafts- und Handelsverträge ab mit Japan (24. Jan. 1861) und China (2. Sept. 1861). Nach Europa zurückgekehrt, übernahm er 8. Dez. 1862 im Ministerium Bismarck das Innere, war in den Konfliktsjahren eine Stütze Bismarcks, aber bei den Abgeordneten wenig beliebt. Nach 1866 war die Einordnung der 1866 annektierten Länder in das preußische Verwaltungssystem seine Hauptaufgabe; 1872 begann er die seit langem geforderte Verwaltungsreform, ließ sich aber zu den Reformen mehr drängen, als dass er selbst die Initiative ergriff. Als Bismarck seiner Städte- und Gemeindeordnung die Zustimmung versagte, forderte er seine Entlassung, die er 30. März 1878 erhielt. Seine Briefe aus Ostasien gab Graf Philipp zu E.-Hertefeld in »Ostasien 1860–1862 in Briefen« (Berl. 1900) heraus, seine Reden sind in »Zehn Jahre innere Politik 1862–1872« (das. 1872) gesammelt.

3) Botho, Graf, preuß. Minister, geb. 31. Juli 1831 als Sohn von E. 1), studierte die Rechte, ward Landrat, gehörte 1865–70 dem Abgeordnetenhaus, dessen zweiter Vizepräsident er in einer Session war, und dem konstituierenden Reichstag an. Vom Grafen Friedrich E. 1864 als Hilfsarbeiter ins Ministerium des Innern berufen, ward er vortragender Rat, 1869 Regierungspräsident in Wiesbaden, 1872 Bezirkspräsident in Metz, 1873 Oberpräsident in Hannover und als Nachfolger seines Vetters 31. März 1878 Minister des Innern, als welcher er das Sozialistengesetz im Reichstag im Oktober 1878 vertrat und die Verwaltungsreform weiter führte. Da E. hierbei dem Fürsten Bismarck zu nachgiebig schien, nahm er im Februar 1881 seine Entlassung als Minister, wurde bald Oberpräsident von Hessen-Nassau, aber nach dem Rücktritt des Grafen Caprivi vom Ministerpräsidium im März 1892 Ministerpräsident und im August Minister des Innern. Wegen der sogen. Umsturzvorlage (s.d.) mit Caprivi in Meinungsverschiedenheit geraten, erhielt E., nachdem der Kaiser Caprivis Ansicht gebilligt, gleichzeitig mit diesem 29. Okt. 1894 als Ministerpräsident und Minister des Innern die Entlassung, ward aber 1899 aus besonderm königlichen Vertrauen zum Herrenhausmitglied ernannt.

4) August, Graf zu, geb. 22. Okt. 1838 in Königsberg, jüngerer Bruder des vorigen, Oberhof- und Hausmarschall des Kaisers Wilhelm II., trat 1858 als Leutnant in das 1. Garderegiment, begleitete 1860–62 seinen Vetter, den Grafen Friedrich zu E., nach Ostasien, ward 1865 Adjutant, 1868 Kammerherr und Hofmarschall des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, 1883 Oberzeremonienmeister und rückte 1890 in seine jetzige Stellung ein.

5) Philipp, Graf zu, seit 1. Jan. 1900 Fürst zu E. und Hertefeld, Graf von Sandels mit dem Prädikat »Durchlaucht«, deutscher Diplomat, geb. 12. Febr. 1847 zu Königsberg i. Pr., Sohn des Grafen Philipp zu E. auf Liebenberg, trat 1866 in das Regiment Gardedukorps, mit dem er auch den Krieg 1870/71 mitmachte, unternahm 1871–72 Reisen im Orient und studierte darauf die Rechte. 1877 ging er zur Diplomatie über, wurde 1879 Botschaftssekretär in Paris, 1881 in München, 1888 preußischer Gesandter in Oldenburg, 1890 in Stuttgart, 1891 in München, 1894 deutscher Botschafter in Wien, schied aber im November 1902 wegen schwerer Erkrankung aus dem diplomatischen Dienst aus. Vertrauter des Kaisers Wilhelm II., der ihn 27. Jan. 1900 zum erblichen Mitgliede des preußischen Herrenhauses ernannte und ihn wiederholt zum Begleiter auf den Nordlandreisen erwählte, machte sich E. auch als Dichter und Liederkomponist (»Rosenlieder«) bekannt. Er veröffentlichte: »Skaldengesänge« (Braunschw. 1892, illustriert von O. Seitz), »Das Weihnachtsbuch« (Stuttg. 1892), »Abenderzählungen, Märchen und Träume« (das. 1894) und gab die Briefe des Grafen Friedrich von Eulenburg aus Ostasien heraus (s. oben, E. 2)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

6 Adelheid Mühler, geborne v. Goßler (gest. 4. Okt. 1901); Gattin von Heinrich Mühler, preußischer Kultusminister

7 ultramontan

"Ultramontanismus (lat.), diejenige Auffassung des Katholizismus, die dessen ganzen Schwerpunkt nach Rom, also jenseits der Berge (ultra montes), verlegen möchte; ultramontan ist somit das ganze Kurial- oder Papalsystem (s. d.). "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Der Kampf um die Grundrechte!. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 17, S. 65.-- 1871-04-09

Von Recken will ich singen, von Helden im Heilgenglanz.
Drei Tage währte das Ringen der ecclesia militans1;
Sie war wohl auf dem Platze mit glaubensstarken Sinnen,
Man sah von mancher Glatze Angstströme heißen Schweißes rinnen.

Voran dem Zuge ragte, mit Krummstab hoch und hehr,
Von Mainz der Unverzagte, der Bischof Ketteler2,
Des Ruhm von Kirchengiebeln und des Rheines Türmen schallt;
Es fügen die Infalliblen3 sich willig seines Stabs Gewalt.

Doch eh zum Streit sie zogen, ward auf des Mainzers Gebot
Ein Kriegsrat weise gepflogen durch Pater Mallinckrodt4;
Und also ging die Rede: "So uns nicht möglich ist,
Zu siegen in offener Fehde, so lasst uns siegen durch Kriegeslist.

Confratres4a! Lasst uns schreiben "Freiheit" auf unser Panier!
Das wird die Massen treiben auf unsre Seite schier.
Und dass für jeden mundrecht die heilge Sache sei,
So soll das "Deutsche Grundrecht" Parole sein und Feldgeschrei!

Auch lasst uns zu unsrem Wohle abtun das Priestergewand,
So Skapulier5 als Stole6, die Hüt mit breitem Rand,
Barett und Kutt und Bäfflein7, dass man nicht möge sehn,
Dass wir bei dem Pantöfflein Petri in Dienst und Würden stehn.

Dass man uns möge nennen Streiter für Recht und Licht.
Nun lasst den Kampf entbrennen! Dixi8! Tut eure Pflicht!" —
Da krähten die Kampfeshähne vor Lust und Beifall rings,
Und riefen: Bene! Perbene9! — Doch nun zum lustgen Strauße gings.

Da stunden Linke und Rechte, geschart zu gleichem Werk:
Aus adligem Geschlechte die Stauffen-10 und Frankenberg11,
Renard12 und andre Streiter, mit Marquardt13, Treitschke14, Kiefer15,
Löw16, Schultze17 und so weiter, geschart aus bürgerlichem Geziefer.

Am Tage Sanctae Balbinae18 begunnt der Kampf nach zwölf:
Hie stund der Ghibelline19 und hie der grimme Welf20.
Von Olpe21 der Reichensperger22 zuerst den Feind anrennt,
Worauf der Treitschke14 vor Ärger sowie der Löwe16 vor Zorn entbrennt.

Hie Welf20! — schrie Windthorst23 heiser — hie Papst und Römisch Reich!
Hie Ghibellin19 und Kaiser — rief Recht und Linke zugleich.
Hierher zum Christussymbole! — rief der von Mainz2 alsdann —
Grundrecht ist die Parole! — Doch glaubte ihm nur Sonnemann24.

Soweit des Auges Sehfeld nur reicht - Gewühl der Schlacht!
Der Reichensperger22 von Crefeld — hei, wie das Herz ihm lacht!
Wie zweimal kühn ausleget sein Schwert der Episkopus25!
Hei, wie sich tapfer reget von Bayer Sanctus Greilius26!

Es wurde zur Synode27 das deutsche Parlament!
Als ging es schier zum Tode, hat tapfer bis zu End
Gewehrt der Römer Zunft sich. — Doch nach drei Tagen
Da lagen fünfzig und neun28 elendiglich geschlagen.

Die Sieger riefen heiter: Nun solln die Völker sehn,
Dass wie als Grundrechts-Streiter für wahre Freiheit stehn,
Dass nicht von Romas Knechten dem Reich erwachse Schaden. —
Vor ihnen und ihren Rechten der Himmel behüt' uns in Gnaden.

Erläuterung: Die Zentrumspartei vermisste in der Gesetzesvorlage betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches (April 1871) eine Garantie der Freiheit und Autonomie der christlichen Kirchen. Peter Reichensperger brachte deshalb einen Antrag ein, dass als Grundrechte in die Deutsche Reichsverfassung aufgenommen werden:

Am 1. April 1871 wurde nach heißen Wortegefechten dieses Antrag in zweiter Lesung mit 223 Stimmen gegen 59 abgelehnt.

1 ecclesia militans (lateinisch): streitende Kirche

2 Wilhelm Emanuel von Ketteler (1811 - 1877), seit 1850 Bischof von Mainz

3 Infalliblen: Unfehlbaren


Abb.: Windthorst, von Mallinckrodt, August Reichensperger, Peter Reichensperger

4  Hermann von Mallinckrodt, ultramontaner Politiker

"Mallinckrodt, Hermann von, ultramontaner Politiker, geb. 5. Febr. 1821 in Minden, gest. 26. Mai 1874, studierte in Berlin und Bonn die Rechte, trat in den Staatsverwaltungsdienst, war 1850-1851 kommissarischer Bürgermeister in Erfurt, 1859 bis 1860 Hilfsarbeiter im Ministerium des Innern, 1860-67 Regierungsrat in Düsseldorf, seit 1867 in Merseburg und nahm 1872 seinen Abschied. Bereits 1852-63 Mitglied des Abgeordnetenhauses, gehörte er zu der gemäßigt liberalen Partei, ward 1867 in den norddeutschen Reichstag und 1868 wieder in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt und spielte nun als Mitbegründer und Führer der katholischen, spätern Zentrumspartei eine bedeutende Rolle. Seit Ausbruch des Konflikts der Ultramontanen mit der preußischen Regierung steigerte sich sein Eifer zu leidenschaftlichstem Fanatismus; er verkündete den unerschütterlichen Widerstand des katholischen Volkes gegen die Maigesetze, der mit dem sichern Siege der Kirche enden werde, und bekämpfte die ganze neuere Entwickelung Deutschlands als ein Werk des Unrechts und der Gewalt. Bismarck griff er mit besonderer Erbitterung an."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4a Confratres (lateinisch): Mitbrüder

5 Skapulier: Teil des Ordensgewandes: ein körperbreiter Tuchstreifen, der durch den inmitten befindlichen Kopfschlitz auf Hals und Schultern gelegt, vorn und hinten über die Kutte bis fast zur Länge derselben herabhängt.

6 Stole: Stola: Teil des priesterlichen Ornats, bestehend aus einem handbreiten, langen, verzierten Streifen in Farbe und Stoff des Messgewandes, der, nach Art einer Schärpe um den Nacken gelegt, beim Bischof vorne frei herabhängt, beim Priester, wenn mit Alba bekleidet, über der Brust und beim Diakon an der Hüfte gekreuzt wird.

7 Bäfflein = Beffchen (Bäffchen): die beiden kleinen, viereckigen Läppchen, die die christlichen Geistlichen vorn am Hals über der Amtskleidung tragen

8 dixi (lateinisch): Ich habe gesprochen

9 bene, perbene (lateinisch): gut, sehr gut

10 Franz August, Freiherr Schenck von Stauffenberg

"Stauffenberg, Franz August, Freiherr Schenck von, deutscher Politiker, geb. 3. Aug. 1834 in Würzburg, gest. 2. Juni 1901 auf seinem Schlosse Rißtissen bei Ehingen, studierte die Rechte, war bis 1866 Staatsanwalt in Augsburg, gehörte seit 1866 dem bayrischen Abgeordnetenhaus an und war 1873 bis 1875 dessen Präsident. Führer der bayrischen Fortschrittspartei, kam er 1868 in das Zollparlament, 1871 für München in den deutschen Reichstag, wo er als Nationalliberaler 1876-79 erster Vizepräsident war. 1880 Mitglied der liberalen Vereinigung (Sezessionisten) geworden, gehörte S. 1884-93 der Deutsch-freisinnigen Partei an."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

11 Frankenberg

"Frankenberg und Ludwigsdorf, Fred, Graf von, Freiherr von Schellendorf, geb. 5. Febr. 1835 in Breslau, gest. 30. Dez. 1897 auf Schloss Slawentzitz, studierte 1853-54 die Rechte, dann Land wirtschaft und übernahm 1856 die Verwaltung der Herrschaft Tillowitz und des Ritterguts Ochotz in Oberschlesien. Er bereiste Europa und den Orient und machte den Krieg von 1866 als Ordonnanzoffizier beim Generalkommando des 6. Korps und den von 1870/71 als Armeedelegierter der freiwilligen Krankenpflege beim Oberkommando der dritten Armee mit. Seit 1867 gehörte er dem Reichstag und preußischen Abgeordnetenhaus als freikonservatives Mitglied an, er war mit Bismarck eng befreundet und wurde Mitglied des Staatsrats und Herrenhauses. Seine »Kriegstagebücher von 1866 und 1870« gab Poschinger heraus (Stuttg. 1896)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

12 Renard: konnte ich nicht identifizieren

13 Marquardt: konnte ich nicht identifizieren

14 Treitschke

"Treitschke, Heinrich von, deutscher Geschichtschreiber, geb. 15. Sept. 1834 in Dresden, gest. 28. April 1896 in Berlin, Sohn des sächsischen Generalleutnants v. T. (gest. 1867), studierte 1851-55 in Bonn, Leipzig, Tübingen und Heidelberg, habilitierte sich 1858 für Geschichte in Leipzig mit der Schrift »Die Gesellschaftswissenschaft« (Leipz. 1859), wurde 1863 außerordentlicher Professor in Freiburg, verließ 1866 Baden wegen seiner Haltung in der deutschen Krisis, übernahm die Leitung der »Preußischen Jahrbücher« in Berlin und wurde im Herbst 1866 ordentlicher Professor in Kiel. 1867 als Häussers Nachfolger nach Heidelberg berufen, ging er 1874 nach Berlin, 1871-88 war er nationalliberales Mitglied des Reichstags. 1889 legte er die Redaktion der »Preußischen Jahrbücher« nieder. Nach Rankes Tod wurde er Historiograph des preußischen Staates, 1895 Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Obwohl seit seiner Jugend am Gehör leidend, im spätern Alter ganz taub, war er ein glänzender, von der studentischen Zuhörerschaft hochverehrter Lehrer und hat zur Verbreitung politischer Bildung viel beigetragen. Sein Hauptwerk ist die »Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert«, von der 5 Bände (Leipz. 1879-94, bis 1848 reichend; Bd. 1 in 7. Aufl. 1904, Bd. 5 in 4. Aufl. 1899) erschienen sind. In diesem glänzend geschriebenen Buch prägen sich leidenschaftlicher Patriotismus und Abneigung gegen den Liberalismus aus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

15 Kiefer

"Kiefer, Friedrich, deutscher Politiker, geb. 14. Jan. 1830 zu Mappach im badischen Oberland, gest. 2. Sept. 1895 zu Freiburg i. Br., studierte 1850-54 die Rechte, trat in den Staatsjustizdienst, ward 1864 Staatsanwalt in Offenburg, 1867 Ministerialrat im Justizministerium, wurde 1868 als Geheimer Regierungsrat zur Generaldirektion der Verkehrsanstalten versetzt, schied deswegen aus dem Staatsdienst und wurde Rechtsanwalt in Offenburg, aber schon 1870 Oberstaatsanwalt am Kreis- und Hofgericht in Mannheim, 1880 Landgerichtsdirektor in Freiburg und 1885 Landgerichtspräsident in Konstanz. Seit 1865 war K. ununterbrochen Mitglied der badischen Zweiten Kammer, seit 1875 auch ihr Vizepräsident, 1871-74 sowie 1877-84 Mitglied des deutschen Reichstags und zählte zu den Führern der nationalliberalen Partei."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

16 Löw: konnte ich nicht identifizieren

17 Schultze: konnte ich nicht identifizieren

18 Tag Sanctae Balbinae: das Fest der Heiligen Märtyrin Balbina ist der 31. März

19 20  Ghibellinen: im Mittelalter seit der Zeit der staufischen Kaiser Parteiname der Anhänger des Kaisers, im Gegensatz zu den Guelfen oder Welfen, den Verfechtern der päpstlichen Interessen.

21Olpe: Kreisstadt im (damals) preußischen Regierungsbezirk Arnsberg, an der Bigge

22 Reichensperger: die Brüder Reichensperger (der eine von Olpe, der andere von Krefeld)

"Reichensperger, 1) August, ultramontaner Politiker, geb. 22. März 1808 in Koblenz, gest. 16. Juli 1895 in Köln, studierte die Rechte und stand bis 1879 im Staatsdienst, erst als Landgerichtsrat in Trier und seit 1849 als Appellationsgerichtsrat in Köln. In seiner Jugend für Frankreich schwärmend und nicht besonders kirchlich gesinnt, mehr erst seit 1837, hielt er sich 1848 als Mitglied des Frankfurter Parlaments zur Rechten, stimmte als Mitglied des Erfurter Parlaments 1850 gegen die Union und war 1850-63 Mitglied der preußischen Zweiten Kammer, 1867-84 Mitglied des Reichstags und seit 1879 auch wieder Mitglied des Abgeordnetenhauses. Während er früher mit seinem Bruder Peter (s. unten) die Manteuffelsche Reaktion bekämpft und die Zivilehe verteidigt hatte, stiftete er 1852 die katholische Fraktion, die sich 1861 Zentrum nannte, und ward einer der begabtesten Redner dieser 1871 erneuerten und im Abgeordnetenhaus und Reichstag mächtigen Partei.

2) Peter Franz, Bruder des vorigen, geb. 28. Mai 1810 in Koblenz, gest. 31. Dez. 1892 in Berlin, war seit 1850 Appellationsgerichtsrat in Köln, dann bis zur Auflösung des Obertribunals (1879) Obertribunalsrat in Berlin. 1848 Mitglied der preußischen Nationalversammlung, 1850 des Volkshauses in Erfurt, seit 1858 des preußischen Abgeordnetenhauses und seit 1867 des Reichstags, gehörte er anfangs zur liberalen Opposition, dann zum Zentrum wie sein Bruder (s. oben) und ließ seit 1866, namentlich aber seit dem Kulturkampf, seine ultramontane Gesinnung mehr hervortreten, wenn auch mit Mäßigung. Er schrieb: »Die Agrarfrage« (Trier 1847); »Die freie Agrarverfassung« (Regensb. 1856); »Deutschlands nächste Aufgaben« (mit seinem Bruder August R., Paderb. 1860); »Gegen die Aufhebung der Zinswuchergesetze« (Berl. 1861); »Kulturkampf oder Friede in Staat und Kirche« (1.-4. Aufl., das. 1876); »Die Zins- und Wucherfrage« (das. 1879) und »Erlebnisse eines alten Parlamentariers im Revolutionsjahr 1848« (das. 1882). Eine Sammlung der »Parlamentarischen Reden der Gebrüder August und Peter Franz R.« erschien Regensburg 1858.

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

23 Windthorst

"Ludwig Windthorst (* 17. Januar 1812 auf Gut Kaldenhof bei Osnabrück; 14. März 1891 in Berlin) war ein deutscher Politiker.

Er war Vorsitzender der katholischen Zentrumspartei und war nach Gründung des Deutschen Reiches ein wesentlicher Gegenspieler Otto von Bismarcks. Für die Stadt Meppen saß er im deutschen Reichstag.

Windthorst war gelernter Jurist. Von 1851 bis 1853 und von 1862 bis 1865 bekleidete er das Amt des Justizministers im Königreich Hannover. Dort diente er auch als Rechtsberater und Beauftragter des abgesetzten Königs Georg V. von Hannover. Von 1867 an saß er als Abgeordneter im Reichstag und im Preußischen Abgeordnetenhaus.

Im Kulturkampf, den Bismarck gegen den Einfluss der katholischen Kirche führt, ist er der führende Repräsentant des deutschen Katholizismus. Vehement setzte er sich für eine religiöse Grundlage des Schulwesens ein. Deshalb sind heute mehrere katholische Schulen in Deutschland nach Ludwig Windthorst benannt. Sein Grab befindet sich in der St. Marienkirche zu Hannover.

Nach Windthorst ist der Windthorstbund, die Jugendorganisation des Zentrums benannt."

[Quelle. http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Windthorst. -- Zugriff am 2004-11-12]

24 Leopold Sonnemann (1831 - 1909)

"Sonnemann, Leopold, Journalist, geb. 29. Okt. 1831 zu Höchberg in Unterfranken von jüdischen Eltern, lernte als Kaufmann, gründete 1856 die »Frankfurter Zeitung« (s. d.) und ist seit 1867 deren alleiniger Eigentümer und Herausgeber (vgl. »Geschichte der Frankfurter Zeitung«, Frankf. 1906). Mitbegründer des volkswirtschaftlichen Kongresses, wirkte er lange als Berichterstatter über Bankwesen bei dessen Tagungen, gehörte 1871-76 und 1878-84 dem deutschen Reichstag an, half die deutsche Volkspartei begründen und ist einflußreiches Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

25 Episkopus: Bischof, d.h. Ketteler

26 Greilius (Greil?): konnte ich nicht identifizieren

27 Synode: Kirchenversammlung

28 59: Der Antrag Reichenspergers wurde mit 223 Stimmen gegen 59 abgelehnt


Unfehlbar?!? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 18, 2. Beiblatt. -- 1871-04-16

Helle glänzt im Kerzenschimmer durch die Nacht der Quirinal1,
Fröhliche Musik erschallt in dem reichgeschmückten Saal;
Alexander2 aus dem Hause Borgia, Papst von Gottes Gnaden,
Hat drei hohe Kardinäle heut zum Abendmahl geladen.

Welch ein Rennen, welch Getöse, welch ein plötzlich Angstgeschrei?
Durch die Stadt hin läuft die Kunde, dass der Papst gestorben sei.
Einen Fluch noch auf den Lippen, war er jählings umgesunken;
An dem Gift, bestimmt den Gästen, hat er sich den Tod getrunken.

Als man mit dem größten Pompe diesen Papst zu Grabe trug,
Stand im Dom ein loser Spötter -- ihrer gibt's in Rom genug;
Lächelnd sagt er seinem Nachbar, flüstert ihm ins Ohr hinein:
Der im Gifte fehlgegriffen, sollte der unfehlbar sein?

Erklärungen:

1 Quirinal: 1574 [!] erbaute päpstliche Sommerresidenz Palazzo Quirinale auf dem Quirinal-Hügel Roms

2 Alexander VI.

"Alexander VI., Papst 1492–1503, vorher Kardinal Rodrigo Borgia, geb. 1430 oder 1431 in Jativa bei Valencia, gest. 18. Aug. 1503, studierte anfänglich die Rechte, wurde dann durch seinen Oheim Papst Calixtus 111. 1456 zum Kardinal und 1458 zum Erzbischof von Valencia erhoben. Er führte auch als solcher ein wüstes Leben. Die schöne Vanozza de Cataneis war seine anerkannte Konkubine und gebar ihm drei Söhne und eine Tochter; auch aus andern Verbindungen hat er Kinder gehabt, und noch als Papst ward ihm ein Sohn geboren, den er durch eine Bulle vom Jahre 1501 legitimirte. Nach Innocenz' VIII. Tod erkaufte er die Tiara und ward unter großen Festlichkeiten 26. Aug. 1492 gekrönt. Klug, kräftig, umsichtig und berechnend, war er zugleich maßlos ehrgeizig und habsüchtig, treulos und schamlos, grausam und wollüstig. Sein Ziel war die Erhebung seines Hauses, der ð Borgia (s. d.), zu einer mächtigen Dynastie; daher war er tief verflochten in die verwickelten politischen Kämpfe, deren Schauplatz damals Italien war. Trotz Alexanders Sittenlosigkeit und Entartung dauerte der politische Einfluß der Kirche unter ihm fort. A. entschied den Streit zwischen Spanien und Portugal über die Teilung der Neuen Welt (vgl. Demarkationslinie). Unter seiner Regierung wurde die Bücherzensur verschärft und Savonarola 1498 als Ketzer verbrannt. Sein Tod wurde nicht durch Gift, wie man geglaubt hat, sondern durch das römische Fieber herbeigeführt. Vgl. Gregorovius, Lucrezia Borgia (3. Aufl., Stuttg. 1875); Leonetti, Papa Alexandro VI (Bologna 1880, 3 Bde.); Clément, Les Borgia (Par. 1882); Höfler, Don Rodrigo de Borja und seine Söhne (Wien 1888); Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 3 (Freib. 1895). Die Rettungsversuche von Ollivier (Par. 1870), Kayser (Regensb. 1878) und Nemec (Klagenf. 1879) sind ohne jeden wissenschaftlichen Wert."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Vindelicische1 Schnaderhupfeln2. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 19, 2. Beiblatt. -- 1871-04-23

Der Pfarrer von Mehring3
Is a kreuzbraver Mo.
Hat Kurasch in die Lendn
Und sagt Ihne's no.

Der hat's an nen Sunnda
Von der Kanzel verkündt:
"Dös, was in Rom gsagt habn.
Dös glaubts net so gschwind!"

Kreuz Dunner! Wie dö Gschicht
Is ruchbar nu worn,
Da glüht der Pancrazi4
In Ausgburg von Zorn.

Und d' Dumhhern sand gsprunga,
Dass Kitteln grad staubn;
Dös kunnt von an Pfarrer
Koa Mensch ja net glaubn!

Auf d' Eisbahn sinds gsessn,
Nach Münka sinds gfahrn,
Und erzähln dem Gregori5
Ganz fuchti den Schmarrn.

Der sagt: "Gehts zum Minister6,
Nacha wirds vielleicht gricht't;
Pfui Teufl, no, dös is
A saubere Gschicht!"

Zu dem sinds a ganga
Und derzähln ihms net schlecht.
der sagt: "Meine Herrn ja,
Da habens ganz Recht!"

Jetzt tuans dem Herrn Pfarrer
Glei d' Kanzel verwehrn;
Koa Mess darf er lesn,
Koa Beichtkind mehr hörn.

Do denkt si der Pfarrer:
Dös wär mir scho z' dumm!
Jetzt geh i auf der Stell ins
Mi-ni-ste-ri-um.

Und zum Minister is er ganga
Und derzählt ihms net schlecht.
Der sagt: "Mein Herr Pfarrer,
Ja, da habens ganz Recht!"

Und der Bischof wird kreuzfalsch,
Der Pfarrer liest Mess,
Und der mehringer denkt si:
"Ja, was is denn dös?"

Jetz bitt i, wenns Oana
So wissn grad möcht,
Wer recht hat, i glaubet,
Der krieget a Recht.

Erklärungen:

1 Vindelicisch

"Vindelicĭen, die Hochebene zwischen Donau und Alpen, Inn und Bodensee, die von den vier keltischen Stämmen der Licates, Catenates, Consuanetes und Rucinates bewohnt wurde, die den gemeinsamen Namen Vindelici führten. Das Land wurde 15 v. Chr. von Tiberius unterjocht, zu dem gleichzeitig unterworfenen Rätien geschlagen und erst unter Diokletian als Raetia secunda wieder davon getrennt. Der Hauptort war Augusta Vindelicorum (Augsburg), das frühzeitig emporblühte; eine Reihe befestigter Orte schützte die Donau von der Quelle bis Regina Castra (Regensburg); weiter östlich lagen noch die befestigten Orte Sorviodurum (Straubing) und Castra Batava (Passau) mit der keltischen Vorstadt Bojodurum (Innstadt). Nach dem Sturze der römischen Herrschaft nahmen germanische Baiwaren das Land östlich, Alemannen das Land westlich vom Lech in Besitz und verdrängten die vorgefundenen Kelten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Schnadahüpfeln

"Schnaderhüpfeln (Schnadahüpfeln), bei den Alpenbewohnern in Bayern, Tirol und Steiermark improvisierte epigrammartige Gedichte, die immer aus Einer (vierzeiligen) Strophe bestehen und nach einer bestimmten, doch mannigfach modifizierten Melodie gesungen werden, wobei eine Person oder Partei die eine Strophe singt und eine andre Person oder Partei darauf antwortet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Anklicken, um die Melodie zu hören

Die in Österreich meist verbreitete Schnaderhüpfel-Melodie

[Quelle der midi-Datei: http://de.wikipedia.org/wiki/Gstanzl.  -- Zugriff am 2008-01-06]

 

3 Mehring

4 Pankratius von Dinkel (1811 - 1894): Bischof von Augsburg 1858–1894

"Dinkel, Pankratius von, Bischof von Augsburg, geb. 9.2.1811 Staffelstein (Oberfranken), gest. 11.10.1894 Augsburg
Nach dem Studium der Theologie und Philosophie und der Priesterweihe (1834) war D. zunächst als Kaplan in Forchheim tätig, bevor er 1843 die Stelle des Stadtpfarrers in Erlangen antrat. Seit 1858 amtierte er infolge kgl. Ernennung als Bischof von Augsburg, gründete in dieser Funktion 1862 ein Knabenseminar in Dillingen, führte im folgenden Jahr die Pfarrvisitationen wieder ein, restaurierte den Dom und die Ulrichskirche in Augsburg und gründete 1871 den Cäcilienverein. Als Mitglied des bayerischen Reichsrats (1861-82) setzte sich D. für die Erhaltung der christlich-konfessionellen Schule ein und nahm während des Kulturkampfes zahlreiche aus Preußen ausgewiesene Priester und Theologiestudenten in seiner Diözese auf."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

5 Gregor von Scherr OSB (1804 - 1877): Erzbischof von München und Freising 1856–1877

"Scherr, Gregor von, Benediktiner, Theologe, Erzbischof von München und Freising, geb. 22.6.1804 Neunburg vorm Wald (Oberpfalz), gest. 24.10.1877 München
Aus einer Gastwirtsfamilie stammend, studierte S. an der Univ. Landshut und am Lyzeum in Regensburg, wurde 1829 zum Priester geweiht, war in der Seelsorge tätig und trat 1832 in die Benediktinerabtei Metten ein. Er wurde Pfarrer in Metten, 1838 Prior und Pfarrer im Kloster Scheyern und kehrte im selben Jahr als Prior nach Metten zurück, wo er seit 1840 Abt war. 1856 wurde S. Erzbischof von München und Freising. 1860 wurde er nobilitiert. S. nahm am Ersten Vatikanischen Konzils 1869/70 teil, lehnte die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit ab, unterwarf sich jedoch und exkommunizierte Ignaz von ->Döllinger und Johann ->Friedrich. Als Abt von Metten baute er die Lateinschule zu einem Vollgymnasium aus, richtete ein Priesterseminar ein, war an der Gründung der Klöster Weltenburg (1842) und St. Bonifaz in München (1850) beteiligt und setzte sich für die Wiedererrichtung der bayerischen Benediktinerkongregation ein."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

6 Johann Freiherr von Lutz (1826 - 1890): bayrischer Kultusminister 1867 - 1890

"Lutz, Johann, Freiherr von, bayr. Staatsminister, geb. 4. Dez. 1826 zu Münnerstadt in Unterfranken, gest. 3. Sept. 1890 in Pöcking am Starnberger See, Sohn eines Lehrers, studierte 1843–48 in Würzburg die Rechte, wurde 1852 Rechtskonzipient und 1854 Richter beim Kreis- und Stadtgericht in Nürnberg. 1857 war er Protokollführer der in Nürnberg tagenden Konferenz für Bearbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuchs, begleitete sie auch nach Hamburg zur Bearbeitung des Seerechts und gab 1861 die Konferenzprotokolle der Handels- und Seerechtskonferenz und einen Kommentar zu dem bayrischen Einführungsgesetz für das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch (Würzb. 1863–66) heraus. Nach seiner Rückkehr nach Bayern als Hilfsarbeiter in das Justizministerium berufen, ward er 1863 Sekretär im Privatkabinett des Königs Max und unter Ludwig II. im Dezember 1866 Chef des Kabinetts. Aber schon 1. Okt. 1867 übernahm L. das Portefeuille der Justiz im Ministerium Hohenlohe, führte unter großen Schwierigkeiten einen neuen Zivilprozeß in Bayern ein und übernahm 20. Dez. 1867 auch das Ministerium des Kultus. Hervorragend an den Verhandlungen über die Begründung des Deutschen Reichs, erst in München, dann in Versailles, beteiligt, verteidigte er den Vertrag vom 23. Nov. 1870 im Dezember 1870 und Januar 1871 vor den bayrischen Kammern. Bei der Neubildung des Ministeriums im August 1871 gab L. die Justiz ab, behielt aber im neuen Kabinett Hegnenberg-Dux das bei dem beginnenden kirchlichen Kampf besonders wichtige Ministerium des Kultus. Zur Abwehr der ultramontanen Herrschaftsgelüste veranlaßte er im November 1871 den Beschluß des sogen. ð Kanzelparagraphen (s. d.) durch Bundesrat u. Reichstag, der die politischen Ausschreitungen des Klerus im Zaume halten soll. Auch in Bayern selbst trat er der anmaßenden Forderung der Bischöfe, dass die Regierung den Altkatholizismus unterdrücken solle, entgegen, wenngleich die Altkatholiken selbst von seinem durch Rücksichten beschränkten Verhalten nicht zufriedengestellt wurden. Durch die Besetzung der erledigten Bistümer mit gemäßigten, friedliebenden Männern suchte L. den klerikalen Hetzereien ein Ende zu machen, zog sich aber dadurch den Haß der extremen Ultramontanen zu, die ihn im Landtag heftig angriffen und wiederholt vom König seine Entlassung forderten. Der König lehnte dies nicht nur ab, sondern ernannte ihn auch 1880 nach Pfretzschners Rücktritt zum Präsidenten des Ministeriums und versetzte ihn 1884 in den erblichen Freiherrenstand. Auch nach der Entsetzung Ludwigs II. unter dem Regenten Prinz Luitpold blieb L. im Amt und wurde 1886 Mitglied der Reichsratskammer. Erst 21. Mai 1890 nahm er wegen Kränklichkeit seine Entlassung und starb bald darauf."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Banale Scherze. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 20, S. 77.  -- 1871-04-30

Ist's wahr? Ist's wahr? Ist's wirklich wahr?
Ich kann's nicht fassen, nicht glauben
Und doch möcht ich um keinen Preis
Den Spaß mir lassen rauben.

Der Bann — wer lacht da? — der große Bann
Jetzt wirklich ausgesprochen
Über die Zwei in München,
Die nicht gleich zu Kreuz gekrochen?

Der Friedrich1 und der Döllinger2,
Der Döllinger und der Friedrich,
Benahmen sich gegen Rom etwas
Comment- und regelwidrig.

Sie glaubten sonst Alles, die frommen Zwei,
Nach Kirchenlehr und Bibel,
Nur eins nicht, -- dass der alte Herr
Rebb Pius infallibel3.

Sie haben dem ökumenischen
Concilium opponieret,
Und seine Definition
Bass ad absurdum geführet.

Das ärgert die Väter in Rom, dass just
Aus Bayerland, dem frommen
Aus München, der frommen Isarstadt,
Solch Ärgernis musst kommen.

Besonders von Döllinger,
Dass Der vom Zweifel geraubt war,
Der in der der ecclesia militans4
Gar ein gefürchtet Haupt war.

Es ward der Greis im Vatikan
Erfasst von jähem Grimme;
"Anathema sit!5 Anathema sit!" --
Flucht' er mit kreischender Stimme.

"Anathema! Anathema!" --
So hört man's von allen
Katholischen Kanzeln der Christenheit
Eintönig wiederhallen.

Dem Volk verkünden den Urteilsspruch
Vom allerheiligsten Forum
viel Hirtenbriefe -- epistolae
Virorum obscurorum6,

Es ward den Zwei'n, zu retten des Volks
Seelenheil und Gewissen,
Die excommunicatio
Major7 an den Kopf geschmissen.

So sehen wir als ein Ketzerpaar
Die sonst so frommen Herrn am
Pranger stehn propter haeresin
Formalem et externam8.

Gemieden und ausgestoßen, gleichwie
Die Pest des Menschengeschlechtes;
Und wer sie tötet, ist Mörder nicht
Im Sinn kanonischen Rechtes.

Im Leben geweiht dem geistigen
Und leiblichen Verderben,
Ist christlich Begräbnis ihnen versagt,
Wenn einst sie kommen zu sterben.

Vor Staunen dreht sich im Grabe rum
der selige Heinrich Heine9;
er hält sich vor Lachen den seligen Bauch,
Es klappern die sel'gen Gebeine.

Ist das derselbe -- o tempora!
Wie hat die Welt sich gewandelt! --
Der "Pfaffe Dollingerius",
den ich so schlecht behandelt?

Den ich "mit dem Armensündergesicht
Sah am Karfreitag wallen";
Den ich den Dunkelsten genannt
Von den dunklen Männern allen?

Der jetzt ein Freiheitskämpe? Fürwahr,
Toll scheint mir Alles auf Erden.
Wär ich nicht selig verstorben -- bei Gott,
Ich könnte jetzt Papst noch werden!

Erläuterungen:

1 Friedrich: Johannes Friedrich, der am 1871-04-17 vom Fürstbischof von München-Freising München exkommuniziert worden war

"Friedrich, Johannes, kath. Theolog und Führer des Altkatholizismus, geb. 1836 zu Poxdorf in Oberfranken, wurde 1862 Privatdozent, 1865 außerordentlicher, 1873 ordentlicher Professor der Theologie in München. Ein besonderer Schüler und Freund Döllingers, begleitete er 1869 den Kardinal Hohenlohe zum vatikanischen Konzil und lieferte in seinem »Tagebuch« (Nördling. 1871, 2. Aufl. 1873) und seinen »Documenta ad illustrandum Concilium Vaticanum« (das. 1871) wertvolle Beiträge für unbefangene Würdigung der Vorgänge in Rom. Den Beschlüssen des Konzils weigerte er wie Döllinger die Unterwerfung und wurde mit jenem 17. April 1871 exkommuniziert. Als lebhafter Verfechter der altkatholischen Ideen nahm er auch an der Gründung der altkatholischen Fakultät in Bern teil und hielt dort 1875 ein Semester Vorlesungen. Im I. 1882 wurde er in die philosophische, Fakultät der Münchener Universität versetzt. Aus seinen zahlreichen Schriften sind weiter hervorzuheben: »Kirchengeschichte Deutschlands« (Bamb. 1867-69, 2 Bde.); »Beiträge zur Kirchengeschichte des 18. Jahrhunderts« (Münch. 1876); »Der Mechanismus der vatikanischen Religion« (Bonn 1876); »Geschichte des vatikanischen Konzils« (das. 1877-87, 3 Bde.); »Zur ältesten Geschichte des Primats« (das. 1879); »Beiträge zur Geschichte des Jesuitenordens« (Münch. 1881); »Die Konstantinische Schenkung« (Nördling. 1889); »Joh. Adam Möhler, der Symboliker« (Münch. 1894); »Ignaz von Döllinger« (das. 1899-1901, 3 Tle.). Außerdem gab F. eine Neubearbeitung von Döllingers »Janus« u. d. T.: »Das Papsttum« (Münch. 1892) und die 2. Auflage von Döllingers »Papstfabeln des Mittelalters« (das. 1890) heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Döllinger: Ignaz Döllinger, der am 1871-04-17 vom Fürstbischof von München-Freising München exkommuniziert worden war

"Döllinger, Johann Joseph Ignaz, berühmter katholischer Theolog, Sohn des vorigen, geb. 28. Febr. 1799 in Bamberg, gest. 10. Jan. 1890 in München, ward 1822 Kaplan in der Bamberger Diözese, 1823 Lehrer am Lyzeum zu Aschaffenburg, 1826 außerordentlicher und 1827 ordentlicher Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts in München. Zu dieser Würde traten mit der Zeit die eines Mitgliedes der Akademie der Wissenschaften (1838), Propstes zu St. Cajetan (1847) und Reichsrates (1868). Auch war er Mitglied der bayrischen Ständekammer seit 1845 und dann wieder seit 1849 sowie 1848 und 1849 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Für die durchaus ultramontane Tendenz, von der seine damalige Wirksamkeit geleitet war, sind unter seinen zahlreichen Schriften am bezeichnendsten: »Lehrbuch der Kirchengeschichte« (Regensb. 1836; 2. Aufl. 1843, 2 Bde.); »Die Reformation, ihre innere Entwickelung und ihre Wirkungen« (das. 1846-48, 3 Bde.; Bd. 1, 2. Aufl. 1851) und »Luther, eine Skizze« (Freiburg 1851, neuer Abdruck 1890). Aber seit seiner Romreise von 1857, seit dem italienischen Kriege von 1859 und noch mehr seit dem vatikanischen Konzil von 1870 trat ein Umschwung in Döllingers Überzeugungen ein, der sich zuerst 1861 in zwei zu München gehaltenen Vorträgen offenbarte, in denen die Möglichkeit einer völligen Aufhebung der weltlichen Gewalt des Papstes dargelegt war. Schon jetzt stark angefeindet, unterwarf er sich zwar und zog in der Schrift »Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchenstaat« (Münch. 1861) noch einmal gegen den Protestantismus zu Felde, nachdem schon gründliche wissenschaftliche Leistungen in seinen Schriften: »Hippolytus und Kallistus« (Regensb. 1853), »Heidentum und Judentum, Vorhalle zur Geschichte des Christentums« (das. 1857), »Christentum und Kirche in der Zeit der Grundlegung« (das. 1860, 2. Aufl. 1868) erschienen waren. Einen neuen Schritt vorwärts tat er aber 1863, als er auf der Versammlung katholischer Gelehrten in München eine Rede über »Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie« (Regensb. 1863) hielt und bald darauf sein Werk »Die Papstfabeln des Mittelalters« (Münch. 1863; 2. Aufl., Stuttg. 1890) erscheinen ließ. Eine scharfe Kritik des Syllabus und auch der bereits in der Luft liegenden Unfehlbarkeitslehre enthielt das von ihm und seinen Kollegen Friedrich und Huber ausgearbeitete Buch »Janus« (Leipz. 1869; 2. Aufl. u. d. T.: »Das Papsttum«, Münch. 1891). Während des Konzils erhob er von München aus in zwei Gutachten vergeblich seine warnende Stimme gegen die Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit und gab das Signal zur Entstehung des Altkatholizismus (s. d.). Dieser nahm nun freilich schon auf seinem ersten Kongress zu München durch sein Vorgehen zu selbständiger Gemeindebildung (23. Sept. 1871) eine Wendung, in deren Folge D., der bloß den Standpunkt der Notwehr innerhalb der alten Verfassung einzuhalten gedachte, sich nicht mehr persönlich an der Weiterentwickelung der Sache beteiligte. Wie wenig aber damit ein Rückschritt in der Richtung nach Rom verbunden und beabsichtigt war, zeigten gleich 1872 seine Vorträge über »Die Wiedervereinigung der christlichen Kirche«, ein wahrhaft versöhnender Abschluss der hochbedeutenden und in vieler Beziehung tragischen Wirksamkeit Döllingers, dem um diese Zeit die Universitäten zu Wien, Marburg, Oxford und Edinburg den juristischen und philosophischen Doktorhut verliehen, während die zu München ihn zum Rektor wählte. Als Frucht seiner gelehrten Muße erschienen noch: »Ungedruckte Berichte und Tagebücher« (Nördlingen 1876, 2 Tle.) mit der Fortsetzung »Briefe und Erklärungen über die vatikanischen Dekrete« (Münch. 1890); »Akademische Vorträge« (Nördling. 1888-91, 3 Bde.; 1. Bd. in 2. Aufl. 1890); »Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert« (mit Reusch, das. 1888, 2 Bde.); »Beiträge zur Sektengeschichte« (Münch. 1889); die »Selbstbiographie des Kardinals Bellarmin« (mit Reusch, Bonn 1886). »Kleinere Schriften« von ihm gab Reusch heraus (Stuttg. 1890)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 infallibel: unfehlbar

4 ecclesia militans: kämpfenden Kirche

5 Er sei gebannt (mit dem Kirchenbann belegt)

6 epistolae obscurorum virorum = Dunkelmännerbriefe

7 excommunicatio maior = völliger Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft (im Unterschied zur excommunicatio minor, dem Ausschluss von den Sakramenten)

8 propter haeresin formalem et externam (lateinisch) = wegen ausdrücklicher und öffentlicher Häresie

9 Heine: Heinrich Heine (1797 - 1856): Der Ex-Nachtwächter:

Apropos! Der erzinfame
Pfaffe Dollingerius —
Das ist ungefähr sein Name —
Lebt er noch am Isarfluss?

Dieser bleibt mir unvergesslich!
Bei dem reinen Sonnenlicht!
Niemals schaut ich solch ein hässlich
Armesünderangesicht.

Wie es heißt, ist er gekommen
Auf die Welt gar wundersam,
Hat den Afterweg genommen,
Zu der Mutter Schreck und Scham.

Sah ihn am Karfreitag wallen
In dem Zug der Prozession,
Von den dunkeln Männern allen
Wohl die dunkelste Person.

Siehe: Heine, Heinrich <1797 - 1856>: Religionskritische Gedichte. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/heine02.htm. -- Zugriff am 2004-11-08       



Abb.: Geschäftliches aus Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 20, 1. Beiblatt.  -- 1871-04-30

"Die Nachfrage nach Reliquien ist augenblicklich so gesteigert, dass man nur mit größter Anstrengung im Stande ist, die Besteller zu befriedigen."


Die schwarze Jagd. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 21, S. 81.  -- 1871-05-07

(Nach bekannter Weise1 zu singen.)

Was glänzt dort im Reichstag im Mondenschein
Der kahl geschorenen Glatzen?
Sie sitzen gescharet in düsteren Reihn,
Die einen fanatisch, mit dürrem Gebein,
Die andern gemästet zum Platzen.
Und wenn ihr die frommen Gesellen fragt --
Das ist Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Was schleicht, wie Gespenster in nächtlichem Graus,
Und kriecht in Kutten und Roben?
Sie kommen, schmeißt Einer von vorn sie hinaus,
Ganz sacht durch die Hintertür wieder ins Haus,
Doch der Segen kommt ihnen von oben.
Und wenn ihr die frommen Schleicher fragt --
Das ist Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Was flüstert im Beichtstuhl? Was gellet und schallt
Die Kanzel von lautem Gezeter?
Sie werden den Mann mit des Bannes Gewalt,
Die Frauen mit listigem Hinterhalt
Für Rom und den heiligen Peter.
Und wenn ihr die frommen Werber fragt --
Das ist Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Wo die Reden dort glühen, dort brauset der Rhein,
Wo der Schinken wächst in Westfalen,
Wo Bayerlands mächtige Knödel gedeihn,
Da drängten und fraßen sie emsig sich ein
Und wurden die Sieger der Wahlen.
Und wenn ihr die frommen Gewählten fragt --
Das ist Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Wer glüht für die Grundrecht in heiligem Zorn
Und sprühet Flammen und Funken?
Wer stieß -- Sankt Gerlach3 reitet jetzt vorn --
Mit mächtiger Lung in der Freiheit Horn?
Das sind die biedern -- Majunken4!
Und wenn ihr die frommen Majunken fragt --
Das ist Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Sie priesen das Recht und die Freiheit so laut,
Grundrechtliche Freiheitsverfechter!
Doch über ein Kleines, und lustig schaut
Der Wolf aus des Schafes wolliger Haut;
Rings tönt olympisch Gelächter.
Und wenn ihr die Schaf und die Pelze fragt --
Das ist Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Und stille ward es im Zentrum5 zumal,
Und rückwärts wichen die Recken.
Sankt Kettler6 verließ den unheimlichen Saal,
Einzog die Krallen, was klerikal,
Samtpfötchen jetzt uns zu strecken.
Und wenn ihr die frommen Geschlagnen fragt --
Das ist Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Ins Zentrum, ins schwarze, drum fliege, mein Pfeil,
Und triff mit tötendem Witze
Die Ritter alle vom heiligen Greil7,
Bis sie zu des Reiches endlichem Heil
Verjagt von erschlichenem Sitze --
Dass lachend die Welt, die befreite, sagt:
Das war Pii2 schwarze verlogene Jagd!

Erklärungen:

1 Lützows wilde, verwegene Jagd / Text: Theodor Körner (1791 - 1813), 24. 4. 1813 ; Melodie: Karl Maria von Weber (1786 - 1826), 1814

Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?
Hör's näher und näher brausen.
Es zieht sich herunter in düsteren Reihn,
Und gellende Hörner schallen darein,
Erfüllen die Seele mir Grausen.
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das ist,
|: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. :|
 

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/wasglanz.html. -- Zugriff am 2008-01-05]

2 Pii = des (Papstes) Pius IX. (1792 - 1878)

3 Ernst Ludwig von Gerlach (1795 - 1877)

"Gerlach, Ernst Ludwig von, preuß. Politiker, Bruder von G. 1), geb. 7. März 1795 in Berlin, gest. 18. Febr. 1877, machte 1813–15 die Kriege gegen Frankreich mit, trat in den Justizdienst, wurde 1823 Oberlandesgerichtsrat in Naumburg, 1829 Land- und Stadtgerichtsdirektor in Halle und 1835 Vizepräsident des Oberlandesgerichts in Frankfurt a. O., 1842 Geheimer Oberjustizrat, bald darauf Mitglied des Staatsrates und der Gesetzgebungskommission und 1844 Chefpräsident des Oberlandesgerichts zu Magdeburg. Bereits in Frankfurt war er Mitglied des Klubs in der Wilhelmsstraße, der sich die Rekonstruierung des christlich-germanischen Staates als Aufgabe gesetzt hatte, und Mitarbeiter des »Politischen Wochenblattes«, gründete 1849 mit andern die »Neue Preußische Zeitung« (»Kreuzzeitung«), deren Redaktion sein Verwandter Wagener übernahm, und schrieb für die monatliche oder vierteljährliche »Rundschau«, worin er eine pikante Übersicht über die Zeitereignisse im Sinne der ultrakonservativen, feudalen Richtung zu geben pflegte. Als Mitglied der Ersten Kammer seit 1849 zur äußersten Rechten haltend, führte er einen beharrlichen Kampf gegen den Konstitutionalismus und für die Herstellung mittelalterlicher Adelsprärogativen, war 1850 Mitglied des Erfurter Parlaments sowie 1851 und 1852–58 wieder Mitglied der Ersten Kammer. Beim Beginn der Regentschaft 1858 trat er von der Führung seiner Partei zurück, machte aber als Verfasser der »Rundschau« seine politischen Anschauungen noch immer geltend. Auch den Ereignissen von 1866 gegenüber an seinen legitimistischen Grundsätzen festhaltend,-missbilligte er die Annexionen und den Ausschluss Österreichs in der Broschüre »Die Annexionen und der Norddeutsche Bund« (Berl. 1866). Im preußischen Landtag seit 1873 einer der heftigsten Gegner der neuen Kirchengesetze, bekämpfte er diese gegen Falk und Bismarck. Noch 1865 zum Wirklichen Geheimen Oberjustizrat befördert, wurde er 1874 wegen einer Flugschrift gegen die Regierung gerichtlich bestraft und erhielt seine Entlassung als Präsident in Magdeburg, wurde aber im Januar 1877 mit Unterstützung der Ultramontanen in Osnabrück zum Reichstagsabgeordneten gewählt. Er starb aber bald in Berlin infolge eines Unglücksfalles. Vgl. »Ernst Ludwig v. G. Aufzeichnungen aus seinem Leben und Wirken« (hrsg. von Jak. v. G., Schwerin 1903, 2 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Paul Majunke (1842 - 1899)

"Majunke, Paul, ultramontaner Publizist, geb. 14. Juli 1842 zu Groß-Schmograu in Schlesien, gest. 21. Mai 1899 in Hochkirch bei Glogau, studierte 1861 bis 1866 in Breslau die Rechte, dann katholische Theologie, wurde Kaplan in Neusalz a. O. und Breslau, war 1869–70 Redakteur der »Kölnischen Volkszeitung«, dann Kaplan in Grottkau und seit März 1871 Chefredakteur des ultramontanen Zentralorgans »Germania« in Berlin, das er bis 1. Okt. 1878 mit Geschick, aber in schroffer Opposition gegen das neue Deutsche Reich und Preußen leitete. In seinem ultramontanen Eifer machte sich M. sogar zum Verteidiger der Louise ð Lateau (s. d.), über die er eine besondere Schrift herausgab (»Luise Lateau«, 2. Aufl., Berl. 1875). 1874 in den Reichstag und 1878 in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt, wurde er 1874 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und während der Reichstagssession verhaftet. 1884 zum Pfarrer in Hochkirch bei Glogau ernannt, legte er seine Mandate nieder und zog sich vom politischen Leben zurück. Er schrieb: »Geschichte des Kulturkampfes in Preußen« (Paderb. 1886, Volksausgabe in 2. Aufl. 1902), »Geschichtslügen« (anonym, 17. Aufl., das. 1902), »Ludwig Windthorst« (Frankf. 1891), »Luthers Lebensende« (5. Aufl.), »Luthers Testament an die deutsche Nation« (mit noch andern als »Gesammelte Lutherschriften«, Mainz 1894), insgesamt ultramontane Tendenzschriften."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 die klerikal-katholische Zentrumspartei: sie hatte bei den ersten Reichstagswahlen am 3. März 1871 18,7% der Stimmen und 61 Mandate gewonnen: Damit war sie nach der Nationalliberalen Partei (30,2%, 125 Mandate) die zweitstärkste Partei im Reichstag

6 Wilhelm Emanuel Kett(e)ler (1811 - 1877)

"Ketteler (Kettler), Wilhelm Emanuel, Bischof von Mainz, geb. 25. Dez. 1811 in Münster, gest. 13. Juli 1877, wurde in der Jesuitenanstalt zu Brig in der Schweiz erzogen, studierte die Rechte, war 1834–38 Referendar in Münster, schied aber infolge des Kölner Bischofstreites aus dem Staatsdienst, studierte in München und Münster Theologie, erhielt 1844 die Priesterweihe und wurde 1846 Pfarrer. 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, erregte er Aufsehen durch eine freimütige Rede, die er am Grabe des ermordeten Fürsten Lichnowski hielt. 1849 Propst an der Hedwigskirche in Berlin geworden, im Juli 1850 auf den Bischofssitz zu Mainz berufen, verfolgte er konsequent das Ziel, die Staatsgewalt zur Dienerin der Kirche zu machen. Durch Einführung von Schulbrüdern und Schulschwestern, die Errichtung von katholischen Waisen- und Rettungshäusern, eines Priesterseminars und Knabenkonvikts brachte er die Jugenderziehung in die Gewalt des Klerus, durch Stiftung klösterlicher Institute, auch einer Jesuitenniederlassung in Mainz (1858), und mannigfaltiger religiöser Vereine erzog er die Bevölkerung in ultramontanem Geiste. Die rechtlichen Zustände in der oberrheinischen Kirchenprovinz bekämpfte er in der Schrift »Das Recht und der Rechtsschutz der katholischen Kirche in Deutschland«. Von der katholischen Großherzogin unterstützt, errang er von dem reaktionären Minister Dalwigk in einer geheimen Konvention vom 23. Aug. 1854 bedeutende Zugeständnisse: der Staat verzichtete auf seine Patronatsrechte, seine Mitwirkung bei der Besetzung des Bistums, das Placet, das Aufsichtsrecht über das katholische Vereinswesen und die geistlichen Lehranstalten, überließ dem Bischof die Heranbildung des Klerus allein (die katholisch-theologische Fakultät in Gießen ging ein), gestattete freien Verkehr mit Rom und die Herstellung einer geistlichen Gerichtsbarkeit. Daneben suchte K. durch eine vielseitige Beteiligung an der sozialen Bewegung (z. B. »Die Arbeiterfrage und das Christentum«, 4. Aufl., Mainz 1890) dem Einfluß der Kirche auf den Arbeiterstand die Wege zu bahnen. Auch fügte er sich rasch und mit Geschick in die 1866 in Deutschland eingetretene Wendung der politischen Verhältnisse (»Deutschland nach dem Krieg von 1866«, 6. Aufl., Mainz 1867). Als treuer Anhänger des Papsttums wohnte er 1854 der Publikation des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis in Rom bei, feierte im Juni 1855 mit großem Pomp das 1100jährige Säkularfest des heil. Bonifatius und war 1860 und 1867 wieder in Rom. Auf dem Konzil 1870 bekämpfte er das Unfehlbarkeitsdogma als nicht zeitgemäß, tat noch 15. Juli einen (vergeblichen) Fußfall vor Pius IX., unterwarf sich aber schon im August und verteidigte das Dogma in verschiedenen Hirtenbriefen. Seitdem stand er an der Spitze der ultramontanen Partei im Kampfe gegen das Deutsche Reich und die preußische Kirchengesetzgebung, ward 1871 in den deutschen Reichstag gewählt, legte aber sein Mandat bald zugunsten seines Domkapitulars Moufang nieder. An den Versammlungen der preußischen Bischöfe in Fulda nahm er regelmäßig teil und vertrat hier die Politik des unbedingten Widerstandes gegen die staatliche Gesetzgebung, untersagte 1874 sogar in den Kirchen seiner Diözese die Feier des Sedantages und nannte den Rhein einen katholischen Strom. Er starb auf der Rückreise von Rom im Kloster Burghausen in Oberbayern. K. besaß bedeutende Gelehrsamkeit, große geistige Begabung, Gewandtheit und Schlagfertigkeit im mündlichen wie schriftlichen Gebrauch der Rede und hielt als hartköpfiger Westfale zäh an seinen Zielen fest, bis er sie erreichte. Von seinen zahlreichen Schriften sind noch zu erwähnen: »Freiheit, Autorität und Kirche« (7. Aufl., Mainz 1862); »Die wahren Grundlagen des religiösen Friedens« (3. Aufl. 1868); »Die Katholiken im Deutschen Reiche, Entwurf zu einem politischen Programm« (5. Aufl. 1873); »Das allgemeine Konzil und seine Bedeutung« (5. Aufl. 1869); »Die Zentrumsfraktion auf dem ersten deutschen Reichstage« (Mainz 1872). Kettelers »Predigten« (Mainz 1878, 2 Bde.), »Briefe von und an W. E. Freih. v. K.« (das. 1879) und »Hirtenbriefe« (das. 1904) gab Raich heraus. Vgl. Pfülf, Bischof von K., 1811 bis 1877 (Mainz 1899, 3 Bde.); Greiffenrath, Bischof K. und die deutsche Sozialreform (Frankf. 1893); Kannengießer, K. et l'organisation sociale en Allemagne (Par. 1894); Girard, K. et la question ouvrière (Bern 1896); Lionnet, Un évêque social (Par. 1903)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Greil: Zentrumsführer und  Abgeordneter


St. Gerlach1 unter den Schwarzen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 21, 1. Beiblatt.  -- 1871-05-07

Legende.

Hielten einst die Schwarzen Sitzung unter sich mit Wispern, Flüstern,
Krähen ähnlich, welche flattern um die Gipfel alter Rüstern2,
Oder ähnlich Fledermäusen, die sich gern in Höhlen drängen,
Durcheinander schwirren oder angekrallt herunterhängen.

Plötzlich geht die Tür auf -- Einer tritt herein. Beim heilgen Knochen!
's ist St. Gerlach1, das Gespenst ist's längst begrabner Zeitepochen!
Wenn's der heilge Vater selber wäre, könnt nicht mehr erstaunen
Die Versammlung -- augenblicklich hört das Flüstern auf und Raunen.

Mit der Rede weißer Salbe, mit dem üblichen Brimborium
Von banalen Floskeln grüßt er das lichtscheue Auditorium!
"Seht, ich bin gekommen" -- ruft er -- "zwischen euch, Sankt Petri Knechten,
Und den Altkonservativen3, uns, ein Bündnis fest zu flechten."

"Ah!" und "Oh!" tönt es im Kreise mit Geräusper und Gehüstel,
Ähnlich klingend wie der Ostwind, wenn er pfeift um trockne Distel.
"Sei willkommen!" -- so entschlüpft des Grußes Wort schon manchem Munde,
Wie ein Schlänglein, und ein Schauer weht andächtig in der Runde.

"Denn" -- so spricht St. Gerlach weiter -- "dem Unglauben muss gewehrt sein,
Und das Heer der Glaubenslosen muss vertilgt mit Feu'r und Schwert sein.
Dazu helft uns, Infallible4, dass wir aus dem Schwefelpfuhle
Uns erretten!" .. Also sprechend stieg er von dem Rednerstuhle.

Da umringten freundlich schmunzelnd ihn die Schwarzen, höflich grinsend,
Seiner salbungsvollen Rede ungemessnen Beifall zinsend,
Glück ihm wünschend, dass auch er sich endlich ein Bekehrter zeige,
Und, wie es auch Schuldigkeit und Pflicht sei, vor dem Papst sich neige.

Doch im Hintergrund ein Pfäfflein sprach zu sich -- denn Zweifel regte
Sich in ihm: "Was kann uns helfen dieser in den Scat5 Gelegte?
Dieser Uhu, dessen Fänge lang schon keinen Spatz mehr würgten?
Dieser Popanz, den schon längst nicht mehr die kleinen Vögel fürchten?

Der von seinen einstgen Freunden ist zerzaust, zerhackt, zerbissen?
Eigentlich wohl könnte Rom ihn auch so gut wie Deutschland missen.
Doch zurückgewiesen werde bei uns Keiner! Mag er laben
Sich an unserm Schatten! Lasst ihn, lasst ihn seinen Willen haben!"

Also trat St. Gerlach kürzlich bei den Schwarzen auf- Majunken6
Schien es gut, er schrieb darüber in sein Blatt7 begeistrungstrunken.
Aber du, o Deutschland freu dich, dass sich Schwarz und Schwarz gesellen;
Denn der Tag kommt, der das Dunkel scheucht. Bald wirst du stehn im Hellen!

Erklärungen:

1 Ernst Ludwig von Gerlach (1795 - 1877): siehe zum Vorhergehenden

2 Rüster = Ulme

3 Altkonservative: sie hatten bei der Reichtagswahl 14,% der Stimmen und 57 Mandate gewonnen. Sie waren nach dem Zentrum die drittstärkste Partei im Reichtag.

"Die Konservative Partei entwickelte sich 1848 in Preußen aus der relativ losen Zusammenarbeit konservativer Vereine, Gruppierungen und Abgeordneter. Zu ihnen gehörten unter anderem der "Verein zu Wahrung der Interessen des Grundbesitzes", Friedrich Julius Stahl und die Brüder Ludwig Friedrich Leopold von Gerlach und Ernst Ludwig von Gerlach, die in der „Kreuzzeitung“ publizierten. Nach dieser wurde die Gruppierung ab 1851 „Kreuzzeitungspartei“ genannt.

Ihre Ziele waren die Verteidigung der Monarchie und die Bewahrung der Vorrechte des Adels. Wirtschaftsliberalismus und Demokratisierung lehnten sie ab. Auch finden sich bereits früh schon antisemitische Anklänge. Für ihre Mitglieder spielte eine christliche Grundhaltung eine wichtige Rolle. Doch schlossen sich die katholischen Mitglieder nach der Gründung des Zentrums diesem an.

Bismarck war ein aktiver Abgeordneter dieser Partei, doch hielt sie nach seiner Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten erst einige Distanz zu ihm, wurde aber im Laufe des Verfassungskonflikts eine wichtige Stütze für ihn. 1866 trennte sich die Freikonservative Partei von den Konservativen, die danach Altkonservative genannt wurden. Ab 1876 formierten sie sich als Deutschkonservative Partei."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Konservative_Partei_%28Preu%C3%9Fen%29. -- Zugriff am 2008-01-05]

4 Ifallible = unfehlbare

5 Scat (griechisch σκάτος) = Kot

6 Paul Majunke (1842 - 1899): siehe zum Vorhergehenden

7 sein Blatt: Germania

"Germanĭa, am 1. Jan. 1871 begründete, täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung, vertritt die Interessen der deutschen Zentrumspartei und des römischen Stuhles unter jesuitischem Einfluss. Eine hervorragende Rolle spielte sie während des Kulturkampfes unter der Leitung Paul Majunkes, der 1878 aus der Redaktion ausschied."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Aus Rottenburg. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 22, 1. Beiblatt.  -- 1871-05-14

Das war der Bischof Hefele1; aus Furcht vor Himmels-Sträfele und Höllenpfuhls Schwefele, sandt er, als kluges Pfäffele, dem Papst ein Telegräphele, dass er zur rechten Lehre sich plötzlich wieder bekehre.

Der Papst sprang auf vom Täfele, erweckt vom Mittagsschläfele, und sandt, entzückt an Hefele ein artig Telegräphele: Ich reinge und entschwefele und sprech dich frei vom Sträfele und grüß dich liebes Pfäffele. Nun weide deine Schäfele, du treustes Schaf, mein Hefele!

Erklärung:

1 Karl Joseph von Hefele (1809 - 1893): Bischof von Rottenburg 1869 - 1893

"Hefele, Karl Joseph von, kath. Theolog, geb. 15. März 1809 zu Unterkochen in Württemberg, gest 5. Juni 1893 in Rottenburg, wurde 1834 Repetent am theologischen Konvikt, 1840 ordentlicher Professor an der theologischen Fakultät zu Tübingen und 1869 Bischof von Rottenburg. 1842–43 war er auch Mitglied der württembergischen Ständeversammlung. Unter seinen Werken sind zu nennen die Ausgabe der Apostolischen Väter (»Patrum apostolicorum opera«. Tübing. 1839; 4. Aufl. 1855) und der »Chrysostomus-Postille« (Übersetzung von 74 Predigten, das. 1845; 3. Aufl. 1857); »Geschichte der Einführung des Christentums im südwestlichen Deutschland« (das. 1837); »Der Kardinal Ximenes und die kirchlichen Zustände Spaniens im 15. Jahrhundert« (das. 1844; 2. Aufl., das. 1851); »Beiträge zur Kirchengeschichte, Archäologie und Liturgik« (das. 1864–65, 2 Bde.); vor allem die »Konziliengeschichte« (Freiburg 1855–1869, 7 Bde.; 2. Aufl. 1873–79, 4 Bde.; Fortsetzungen beider Auflagen von Hergenröther, 8. und 9. Bd. 1887–90, und von Knöpfler, 5. und 6. Bd., 1886 bis 1890). Als ein gefährlicher Gegner der Infallibilitätslehre erwies er sich in seinen beiden Schriften über die Honoriusfrage (»Honorius und das sechste allgemeine Konzil«, Tübing. 1870, und »Causa Honorii papae«, Neapel 1870; deutsch von Rump, Münster 1870). 1871 unterwarf er sich dem neuen Dogma, indem er ihm in einem Hirtenbrief eine gezwungene Auslegung gab. Immerhin verschonte er seine Professoren und Pfarrer mit der Forderung ausdrücklicher Zustimmung und bewahrte auf solche Weise Württemberg vor dem Schisma."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


"Wer regiert heute?" -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr. 24/25, S. 99.  -- 1871-05-28

Ein mit dieser Überschrift versehenes Gedicht in dem ultramontanen "Tyroler Volksblatt" liefert folgende Anfangs-  und Schlussstrophe:

"Wer schaltet und wer waltet
Allheut in jedem Reich?
Nicht Kaiser und Minister,
Noch hoher Rat zugleich,
Die Loge1 und der Jude
Regieren alle Welt:
Die Loge nimmt den Glauben,
Der Jude nimmt das Geld!"

Das gottesfürchtige Blatt hat vergessen, eine Strophe anzureihen, etwa folgenden Inhalts:

Doch ärger als die Beiden
Treibt es die Pfaffenzunft;
Die nähm' samt Geld und Glauben
Uns gern auch die Vernunft!

Erklärung:

1 Loge = Freimaurer


Den schwarzen Reichs-Rebellen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.31, S. 123.  -- 1871-07-02

Da habt ihr's nun! Papa1 missbilligt euch.
Papa nahm euer Vorgehn ernstlich übel,
Papa begrüßt voll Sympathie das Reich!
Papa ist unser Freund und -- infallibel2.

Was soll das Brummen noch? Majunke3, still!
Stumm in den Stand, gehorsame Heiducken4!
Wenn euch Papa einmal verleugnen will,
So habt ihr nicht zu belfern und zu mucken.

Die Glatzen in den Staub! Wer wagt ein Nein?
Ballt meinethalb die Fäuste in der Tasche,
Und Jeder bete für des Reichs Gedeihn
Dreimal den Rosenkranz in Sack und Asche!

Mein braver Windthorst5! Nur hübsch national!
Wozu das ewge Jammern um die Welfen6?
Papa befiehlt's, Papa verlangt's einmal --
Was können ihm die Herrn in Hietzing7 helfen?

Mein Ketteler8, mein vielgetreuer Sohn,
Und ihr vor allen, tapfre Reichensperger!
Geht, holt von Lasker9 euch Absolution,
Und reizt den Kanzler10 nicht zu neuem Ärger.

Hört ihr? Vor allem reizt den Kanzler10 nicht!
Papa befiehlt's -- braucht Gründe ihr zu wissen?
Und tritt Papa euch manchmal ins Gesicht,
Dürft ihr dabei ihm -- den Pantoffel küssen!

Erklärungen:

1 Papa = Papst Pius IX.

2 infallibel = unfehlbar

3 Paul Majunke (1842 - 1899): siehe oben

4 Heiducken, Haiduken, Hajduci oder Heyducken, Singular Hajduk (von serbisch und kroatisch hajduk, хајдук, bulgarisch хайдут, rumänisch: haiducvon albanisch:Hajduk), wurden in Südosteuropa die Treiber riesiger Viehherden bezeichnet, zu deren Aufgaben es zählte, die Herden vor Dieben oder bewaffneten Räubern zu schützen. Auf dem Balkan werden die Hajduken traditionell als Heldengestalten gesehen, die mit ihren Kriegern gegen die osmanischen Unterdrücker vorgingen. (Wikipedia)

5 Ludwig Windthorst (1812 - 1891)

"Windthorst, Ludwig. deutscher Politiker, geb. 17. Jan. 1812 in Osterkappeln bei Osnabrück, gest. 14. März 1891 in Berlin, wurde auf dem Carolinum in Osnabrück für den geistlichen Stand vorbereitet, studierte 1831-34 die Rechte, wurde Rechtsanwalt in Osnabrück, dann ritterschaftlicher Syndikus und vorsitzender Rat des katholischen Konsistoriums daselbst und 1848 Oberappellationsgerichtsrat in Celle. Seit 1849 Mitglied der hannoverschen Zweiten Kammer, im unterstützte W. die partikularistische, preußenfeindliche Politik Stüves, wurde 1851 als Führer der ministeriellen Partei Präsident der Kammer, 22. Nov. Justizminister und setzte die Errichtung des katholischen Bistums Osnabrück durch. 1853 schied er aus dem Ministerium und ward wieder Abgeordneter, 1862 in dem Ministerium Brandis-Platen Justizminister, unterstützte die Bemühungen Österreichs, Hannover an seine Politik zu ketten, und ward 21. Okt. 1865 Kronoberanwalt in Celle. Nach der Annexion von 1866 legte er sein Amt nieder und führte 1867 die Verhandlungen mit Bismarck über die Abfindung des Königs Georg, die mit dem Vertrage vom 29. Sept. 1867 endeten. Seit 1867 auch Mitglied des norddeutschen Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses für Meppen (»Perle von Meppen«), hielt er sich anfangs zurück, nahm 17. Juni 1869 an dem anti-infallibilistischen Laienkonzil in Berlin teil, stellte sich aber zuerst im Reichstag im März 1871, dann auch im Abgeordnetenhaus entschieden an die Spitze der ultramontanen Partei, die er straff zusammenhielt, und mit der er die partikularistischen Elemente der Opposition (Polen und Welfen) gegen die Regierung verschmolz. Schlagfertig und witzig, in allen Künsten sophistischer Dialektik erfahren, errang W. als Führer der Opposition bedeutende rednerische Erfolge, und wenn er auch die Maigesetzgebung nicht hindern konnte, so bereitete er doch Bismarck und Falk durch seine scharfe Opposition manche Schwierigkeiten, verzögerte durch seine zahllosen Reden den Fortgang der Geschäfte und suchte jede Erstarkung der Reichsgewalt zu verhindern. Ein Staatsmann war W. nicht, aber ein ausgezeichneter Parlamentarier. Auf den jährlichen Katholikenversammlungen gab er die politische Parole für die ultramontane Partei aus. Nach seinem Tod erschienen seine »Ausgewählten Reden, gehalten in der Zeit 1851-1891« (Osnabr. 1901-02, 3 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

6 Welfen = ehemaliges Königreich (seit 1814) Hannover, das 1866 an Preußen gefallen war, Der entthronte König Georg V. Friedrich Alexander Karl Ernst August (1819 - 1878) förderte die Bildung einer welfischen Partei in Hannover (Deutschhannöversche Rechtspartei), die der Dynastie der Welfen das Königreich Hannover wiederzugewinnen strebt, und errichtete 1867 in Frankreich die sogen. Welfenlegion, wodurch er Preußen zur Stiftung des Welfenfonds herausforderte.

7 Hietzing: heute 13. Bezirk Wiens. 1866–71 Wohnsitz des entthronten Königs Georg V. von Hannover.

8 Bischof Wilhelm Emanuel Ketteler (1811 - 1877): siehe oben

9 Eduard Lasker (1829 - 1884)

"Lasker, Eduard, deutscher Politiker, geb. 14. Okt. 1829 in Jarotschin (Posen) von jüdischen Eltern, gest. 5. Jan. 1884 in New York, studierte seit 1847 in Breslau und in Berlin Mathematik und Rechtswissenschaft, beteiligte sich im Oktober 1848 in der akademischen Legion an den Kämpfen in Wien, wurde 1851 Auskultator am Berliner Stadtgericht, lebte drei Jahre in England, kehrte 1856 als Referendar in den preußischen Staatsdienst zurück und wurde 1858 Assessor am Berliner Stadtgericht. Mehrere Abhandlungen in Oppenheims »Deutschen Jahrbüchern« (1861–64), die später u. d. T.: »Zur Verfassungsgeschichte Preußens« (Leipz. 1874) gesammelt erschienen, machten L. zuerst bekannt. 1865 in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt, hielt er sich zur Fortschrittspartei und zählte bald zu deren hervorragendsten Persönlichkeiten. 1866 war L. einer der Gründer und seitdem einer der Führer der national- liberalen Partei im Abgeordnetenhaus und im norddeutschen wie im deutschen Reichstag und hatte an dem Zustandekommen der zahlreichen organisatorischen Gesetze hervorragenden Anteil. In der hohen Politik vertrat er die Sache der nationalen Einigung wie der konstitutionellen Freiheit. Großes Aufsehen erregte seine Rede vom 7. Febr. 1873 über die schwindelhaften Gründungen, namentlich die Beteiligung des Geheimrats Wagener. Nachdem er 1870 Rechtsanwalt beim Stadtgericht geworden, trat er 1873 als Syndikus des Pfandbriefamtes in den Dienst der Stadt Berlin und ward 1876 Mitglied des Verwaltungsgerichts. 1873 ward er von der Leipziger Juristenfakultät zum Doktor der Rechte und 1875 von der Freiburger Universität zum Ehrendoktor der Philosophie promoviert. In seiner Partei sank Laskers Einfluss, als ihn der Reichskanzler wegen seiner Opposition gegen Regierungsvorschläge wiederholt heftig angriff. Da L., seit 1879 dem Abgeordnetenhause nicht mehr angehörig, in wichtigen Fragen, wie der Wirtschafts- und Steuerreform, dem Sozialistengesetz u.a., nicht mehr mit der Mehrheit der nationalliberalen Reichstagsfraktion übereinstimmte schied er im März 1880 aus derselben aus und schloss sich den Sezessionisten an. Seit längerer Zeit kränkelnd, reiste er 1883 nach Nordamerika, wo er, im Begriff, in die Heimat zurückzukehren, an einem Schlaganfall starb. Er ward 28. Jan. in Berlin beigesetzt. Das Repräsentantenhaus in Washington beschloss 9. Jan. für L. eine Resolution und übermittelte sie zur Abgabe an den Reichstag dem Reichskanzler, der sie aber nicht annahm. Von den Schriften Laskers sind noch zu erwähnen: »Zur Geschichte der parlamentarischen Entwickelung Preußens« (Leipz. 1873); »Die Zukunft des Deutschen Reichs« (das. 1877); »Wege und Ziele der Kulturentwickelung«, Essays (das. 1881); außerdem (anonym) »Erlebnisse einer Mannesseele« (hrsg. von B. Auerbach, Stuttg. 1873; von L. selbst aus dem Buchhandel zurückgezogen). Aus dem Nachlas erschien: »Fünfzehn Jahre parlamentarischer Geschichte, 1866–1880« (hrsg. von Cahn, Berl. 1902). Vgl. Bamberger, Eduard L., Gedenkrede (Leipz. 1884); A. Wolff, Zur Erinnerung an E. L. (Berl. 1884); Freund, Einiges über E. L. (Leipz. 1885)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

10 Kanzler = Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815 - 1898): Reichskanzler 1871 - 1890



Abb.: Prise gefällig? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.36, 1. Beiblatt.  -- 1871-08-06

München, 29. Juli. Bei der heutigen Wahl des Rektors für die hiesige Universität wurde Professor Döllinger1 mit 54 gegen 6 Stimmen gewählt.

Erklärung:

1 Ignaz Döllinger (1779 - 1890): siehe oben



Abb.: Der arme Mann! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.37, S. 148.  -- 1871-08-13

Der Verlust, welchen der Bischof1 von Bourges bei dem Brande seines Palastes erlitt, beträgt eine halbe Million!

Erklärung:

1 Charles-Amable de la Tour d'Auvergne Lauragais: Erzbischof von Bourges 1861-1879


Den Halben. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.37, 1. Beiblatt.  -- 1871-08-13

Genug des schimpflichen Betragens,
Genug der feigen Heuchelei,
Genug des Schwanken und Vertagens --
Rom gibt nicht nach, Rom lässt nicht frei.

Hier hilft kein Fliehn mehr und Entreinnen,
Nur immer enger schließt der Kreis;
Kein Zaudern mehr und kein Besinnen --
Ja oder Nein! Schwarz oder Weiß!

Rom fordert bare nackte Klarheit,
Ob ihr verleugnet, ob bekennt,
Ob ihr den Wahnwitz höchste Wahrheit,
Und Wahrheit Trug und Lüge nennt.

Ob ihr Verfluchte, ob Bekenner,
Ob Feinde oder Freunde seid,
Ob Sklavenseelen oder Männer --
Rom fordert ehrlichen Entscheid.

 

Entsagt der Menschheit höchsten Schätzen,
Verfluchet Wissen und Vernunft,
Stürzt in den Staub vor Roma's Götzen
Und seiner schwarzen Muckerzunft!

Gesteht, dass ihr als Idioten
Dem Unfehlbaren dienen wollt,
Und seinen donnernden Geboten
Lautlose Unterweisung zollt!

Nur zu! Nur zu! Nur Eins von Beiden,
Roms Todfeind oder treuer Knecht;
Nur offnes männliches Entscheiden!
So oder so -- uns ist es recht!

Lieb oder Hass! Tod oder Leben!
Klar scheide sich der Menschheit Strom!
Fluch nur dem feig verzagten Beben!
Seid ehrlich wenigstens -- wie Rom!


Aus Vörde1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.38/39, 2. Beiblatt.  -- 1871-08-20

In Vörde ward mit Prangen
Das Friedensfest2 begangen,
Doch ach! der Pfarr zu Vörde,
Der sprach zu seiner Herde:
Solch sündgem Festestreiben
Sollt Lämmlein fern ihr bleiben,
Dieweil solch Festgetute
Nur zeugt vom Übermute,
Wie ihn oftmals, ihr Lieben,
Der Bonapart3 getrieben.
Darum ist euch das Beste:
Nehmt teil nicht an dem Feste;
Insonders ihr, ihr Kleinen,
Sollt nicht dabei erscheinen!
Ihr frommen Konfirmanden,
Bleibt fern vom Fest der Schanden,
Das Sinneskitzel reget
Und böse Lüste pfleget.
Euch sei durch meine Noten
Das Fest direkt verboten!
Dass Keiner es besuche,
Bei meinem Zorn und Fluche,
Bei meinem Amt und Namen! --
Ich hab gesprochen! Amen!

* * *

Hört 's, Völker dieser Erde!
Dies ist geschehn in Vörde,
Und Vörde liegt bei Wesel,
Und Schutze heißt der -- Pfarrer.

Erklärungen:

1 Voerde (Niederrhein) ist eine Stadt am unteren Niederrhein im Nordwesten des Ruhrgebiets in Nordrhein-Westfalen. Sie ist eine Mittlere kreisangehörige Stadt des Kreises Wesel im Regierungsbezirk Düsseldorf.

2 Am Friedensfest 1871 wurde die Heimkehr der Soldaten aus dem Deutsch-französischen Krieg von 1870/71, der Sieg über Frankreich und die Gründung des Deutschen Reiches gefeiert.

3 Bonapart = Napoleon III. (Charles-Louis-Napoléon Bonaparte) (1808 - 1873): 1852 bis 1870 Kaiser der Franzosen.


Graefe1. Eine Geisterstimme. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.38/39, 2. Beiblatt.  -- 1871-08-20

Ich sah euch stehn an meinem Grabe,
Euch, meiner treuen Freunde Schar;
Was ich gewirkt auf Erden habe,
Das legte Langenbeck2 euch dar.
Doch sagt -- ich schlaf schon fünfzig Wochen,
Und bin gespannt auf den Bericht! --
Warum hat Langenbeck gesprochen?
Warum denn sprach Freund Traube3 nicht?

Vernimm! -- Gern hätt gesprochen Traube
Zu deinem Ruhm von ganzer Seel;
Doch sieh, ihm fehlt der rechte Glaube,
Er ist ein Sohn von Israel!
Zwar wär schon mancher bei den Toten,
Wenn nicht der Jude Traube wär;
Doch ward zu reden ihm verboten,
Wo Christen schlafen rings umher.

O schweigt! Vergebens hab durchbrochen
Ich manchen Auges dunkle Nacht.
Vergebens, ach! den Star4 gestochen
Und Licht und Leben neu gebracht.
Vergebens ist, was ich geschaffen --
Seht, dass wir Alle Stümper sind!
Denn keiner von euch heilt die Pfaffen,
Die sind und bleiben ewig -- blind!

Erklärungen:

1 Albrecht von Gräfe (1828 - 1870-07-20)

"Gräfe, Albrecht von, Mediziner, Sohn des vorigen, geb. 22. Mai 1828 in Berlin, gest. daselbst 20. Juli 1870, studierte seit 1843 in Berlin, Prag, Wien, Paris, London, Dublin und Edinburg Medizin, speziell Augenheilkunde, errichtete 1850 in Berlin eine Privataugenheilanstalt, die das Vorbild für eine große Reihe ähnlicher Institute in Deutschland und der Schweiz wurde, habilitierte sich 1853 als Privatdozent an der Universität, wurde 1858 außerordentlicher Professor, erhielt bald darauf eine Abteilung für Augenkranke in der königlichen Charité und wurde 1866 ordentlicher Professor. Mit sich fortreißend als Lehrer, unübertroffen als scharfer Beobachter, unermüdlich und energisch im Handeln als Arzt, erwarb er sich bald einen über die Grenzen Europas hinausreichenden Ruf, und in überraschend kurzer Zeit erhob er die Augenheilkunde, indem er namentlich auch der Helmholtzschen Erfindung des Augenspiegels sich bemächtigte, zu der exaktesten und vollendetsten Disziplin der gesamten Medizin. Er operierte zuerst den bis dahin unheilbaren grünen Star mit Erfolg und erfand eine neue Operationsmethode des grauen Stars (sogen. peripherer Linearschnitt im Gegensatz zu dem frühern Lappenschnitt), durch welche die Gefährlichkeit des frühern Verfahrens so weit beseitigt wird, dass 94–96 Proz. aller Operierten ein gutes Sehvermögen wiedererlangen. Auch wies er zuerst auf die Bedeutung der Augenerkrankungen für oie Diagnose der Hirnaffektionen und verschiedener Erkrankungen des Gesamtorganismus hin. G. war ein durchaus allseitiger Mediziner und besonders auch auf dem Gebiete der Nerven- und Gehirnkrankheiten Autorität. Seine zahlreichen klassischen Arbeiten auf dem Gebiete der Augenheilkunde sind fast alle in dem von ihm gegründeten, in Gemeinschaft mit Arlt und Donders herausgegebenen »Archiv für Ophthalmologie« erschienen. Vgl. Alfr. Gräfe, Ein Wort der Erinnerung an Albr. v. G. (Halle 1870); Michaelis, A. v. G., sein Leben und Wirken (Berl. 1877); Jacobson, A. v. Gräfes Verdienste um die neue Ophthalmologie (das. 1885); »Erinnerungen an A. v. G.«, zusammengestellt aus Werken und Briefen L. Jacobsons (Königsb. 1895). Am 22. Mai 1882 wurde sein Denkmal in Berlin, modelliert von Siemering (s. Tafel ð »Bildhauerkunst XVII«, Fig. 3), enthüllt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Bernhard Rudolf Konrad von Langenbeck (1810 -1887): Direktor des königlichen chirurgischen Klinikums in Berlin.

3 Ludwig Traube (1818 - 1876)

"Traube, Ludwig, Mediziner, geb. 12. Jan. 1818 in Ratibor, gest. 11. April 1876 in Berlin, studierte in Breslau und Berlin, ließ sich daselbst 1841 als Arzt nieder, habilitierte sich 1848 als Privatdozent, wurde 1849 Assistent Schönleins, 1853 dirigierender Arzt an der Charité, 1857 außerordentlicher Professor, 1862 ordentlicher Professor am Friedrich Wilhelms- Institut und 1872 an der Universität. Mit seinen experimentellen Studien an Tieren wurde er der Begründer der experimentellen Pathologie in Deutschland. Zu seinen wichtigsten Untersuchungen gehören die über Digitalis und das Fieber, durch welch letztere er der Begründer der wissenschaftlichen Thermometrie in der Medizin wurde. Daran schließen sich die Arbeiten über die Lungen-, Herz- und Nierenkrankheiten. Die exakte wissenschaftliche Methode, die er selbst übte, hat er in Norddeutschland allgemein gemacht. Seine Verdienste um die physikalische Diagnostik stellen ihn neben Laënnec und Skoda. Er schrieb: »Über den Zusammenhang von Herz- und Nierenkrankheiten« (Berl. 1856); »Die Symptome der Krankheiten des Respirations- und Zirkulationsapparats« (das. 1867); »Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie« (das. 1871, 2 Bde.). Mit Virchow und Reinhardt gab er »Beiträge zur experimentellen Pathologie« (Berl. 1846–47, 2 Hefte) heraus. Vgl. die »Gedächtnisreden auf L. T.« von Leyden (Berl. 1876) und Freund (Bresl. 1876)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 grauer Star (Katarakt)


Das Konzil von Mainz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.44/45, S. 174. -- 1871-09-24

Es saßen zusammen zornesvoll
Die finsteren Ketzerrichter,
Sie flammten auf in heilgem Groll
Die ranzigen Kirchenlichter:
Und Lieder sang man zu Ruhm und Ehr
Dem Knechte der Knechte Gottes.
Vor allen glänzte Herr Ketteler1,
Der Mann des schneidigen Spottes.
Nette Gesellschaft!

Sie waren gekommen von nah und fern
Die infalliblen1a Lehrer;
Aus Bayern kamen viel geistliche Herrn
Und aus der Schweiz Graf Scheerer2.
Das war ein Eifern und Geifern nun,
Ein Blitzezucken und Zischen!
Dazwischen kräht Stadtpfarrer Huhn3
Und er Auer4 kollert dazwischen.
Saubere Musikanten!

Bannflüche wurden geschleudert viel
Auf alle Verächter der Messe,
Verflucht auf ewig mit Stumpf und Stiel
Die liberale Presse.
Sie ist — sprach Huhn — bös von Natur,
Erfüllt vom Geist der Verneinung;
Doch ist sie "ein Packträger nur
Der öffentlichen Meinung".
Gut gekräht Hühnchen!

Wir sind — ich schwör's auf Enzyklika4a
Und bei des Syllabus Strahlen —
Nur wir — sprach Ketteler — wir sind ja
Die wahrhaft Liberalen!
Zum Teufel mit der frivolen Zunft
Der literarischen Schwätzer!
Zum Teufel auch mit der Vernunft
Der Denker und der Ketzer!
Prosit Fegefeuer!

Graf Scheerer aber öffnet den Mund
Als feuriger Zornesschnauber:
"Es fahre zum tiefsten Höllengrund
Der Kronen- und Kirchenrauber!" —
Bravo! — rief da der ganze Chor
Der Zeter- und Mordiobrüller;
Bravo rief Domherr Molitor5
Zu deutsch benamst Herr Müller
Bravo Müller! — sagt Schultze.

Und Grimm und Holzwart6, Speil7 und Hach8,
Bareis, Potthoff und Auer4,
Sie seufzten erschrecklich Weh und Ach
Und saßen in tiefster Trauer.
Und heulten Angst und sprachen Blech
In salbungsvollsten Weisen,
Und der und jener schalt etwas frech
Den "Mann von Blut und Eisen"8a
Welche Courage!

Und setzten auf ein Schriftstück dann,
Darin der Welt verkündigt:
Die Fürsten haben Mann für Mann
Sich wider Gott versündigt,
Dieweil dem Papst sie halfen nicht
In seinen ärgsten Wehen;
Es wird deshalb ein streng Gericht
Einst über sie ergehen.
Wer weiß, ob's wahr ist!

Zum Schluss vereinte ein Bankett
Die Frommen des Konziles,
Und Lieder tönten hell und nett
Zum Klang des Saitenspieles.
Und Treue schwur man feierlich
Dem Papst bei kühlem Trunke,
Und in den Armen lagen sich
Der Ketteler1 und Majunke9
Par nobile fratrum10!

Erläuterungen: Bezieht sich auf die Generalversammlung der deutschen Katholiken (Katholikentag) in Mainz, die am 1871-09-10 eröffnet worden war.

1 Wilhelm Emanuel von Ketteler (1811 - 1877), seit 1850 Bischof von Mainz

1a infalliblen: unfehlbaren

2 Graf Theodor Scheerer-Boccard (1816 - 185), Präsident des Schweizer Piusvereins

3 Adalbert Huhn (1839 - 1914), Zeitschriftenverleger

4 Ludwig Auer (1839 - 1903), Lehrer, Zeitschriftenherausgeber

4a Enzyklika und Syllabus: Enzyklika Quanta Cura und Syllabus errorum, die am 8. Dezember 1864 veröffentlicht wurden. Siehe

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm. -- Zugriff am 2004-11-12 

5 Wilhelm Molitor (1819 - 1880), Domkapitular in Speyer, Gründer des Pressvereins, Herausgeber einer katholischen Zeitung

6 Josef Holzwarth, Instruktor

7 Ferdinand Speil (1835 - 1907), Domkapitular in Breslau

8 Heinrich Hach, Schuhmacher

8a Bismarck

9 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der katholischen Zeitung "Germania"

10 par nobile fratrum (lateinisch): ein edles Brüderpaar



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.44/45, S. 177. -- 1871-09-24

Die wahre Internationale, die der Schwarzen, entlarvt sich auf einigen Herbstversammlungen. Bei dieser Gelegenheit geht einem ein Licht darüber auf, dass man sich bisher die Schwarzen noch immer nicht schwarz genug vorgestellt hat.


Kampfgesang der Jesuiten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.46, S. 183. -- 1871-10-01

Vertreiben wollt ihr uns aus dem Reich,
Der Jesuiten Orden?
Wohlan, ihr Herrn, erprobt sogleich
Die Stärke eurer Horden!
Du schwarzes Häuflein, tummle dich
Nach unsres Meisters Sitten!
Wir sind gefasst auf Hieb und Stich,
Auf jeden Weg und Steg und Schlich --
Juchhe! -- wir Jesuiten!

Austilgen könnt ihr Luchs und Bär,
Ausmerzen Greif und Schlangen
Mit Schling und Netz und Mordgewehr;
Doch uns könnt ihr nicht fangen.
Wir hausen in den Landen frei,
Und, muss denn sein gestritten;
So forscht, wo unser Orden sei,
Und dann versucht 's und kommt uns bei,
Ja uns, den Jesuiten!

Zerstört des frommen Klosters Wand,
Ihr wilden Jagdgesellen,
Und werft der Fackel Feuerbrand
In die geweihten Zellen!
Und ob die Flammen voller Wut
Von Dach zu Dache schritten;
Wir lächeln mit getrostem Mut:
Gerettet ist die junge Brut, --
Die Brut der Jesuiten!

Unfassbar sind wir, wie der Hauch,
Der Nachts sich senkt mit Schweigen,
Wie Düfte, die aus Moor und Strauch
Und giftgen Kelchen steigen.
Und glaubt ihr uns zu halten fest,
Sind wir euch schon entglitten,
Entschlüpft in ein unsichtbar Nest;
Ausräuchern könnt ihr eh' die Pest,
Als uns, die Jesuiten!

Man hat uns, ach! mit Hass und Groll
Gehetzt von allen Seiten,
Und wie uns jetzt geschehen soll,
Geschah uns schon vor Zeiten.
Wir haben der Verfolgung Graus
Mit frommem Sinn gelitten:
Wie Schafe trieb man uns hinaus,
Als Wölfe kehrten wir ins Haus
Zurück, wir Jesuiten!

Wir sind die Könige der Welt!
Im Weltbuch steht geschrieben:
Erst wenn der letzte Herrscher fällt,
Dann werden wir vertrieben.
Denn höher als der Pontifex1
Steht fest undunbestritten
Als Summus Rex2 doch Pater Beckx!
Summa iniuria, summa lex,
Lex nobis3 -- uns Jesuiten!

Erklärungen:

1 Pontifex (maximus) = höchster Priester = Papst

2 summus rex = höchster König

3 P. Pierre Jean Beckx (1795 - 1887)

"Beckx, Pierre Jean, Jesuitengeneral, geb. 8. Febr. 1795 zu Sichem bei Löwen in Belgien, gest. 4. März 1887, ward 1819 zu Hildesheim in die Gesellschaft Jesu aufgenommen, nach dem Übertritte des Herzogs Ferdinand von Anhalt-Köthen zur katholischen Kirche diesem als Beichtvater beigegeben, siedelte später mit dessen Witwe, der Herzogin Julie, nach Wien über, ward 1847 zum Prokurator der Provinz Österreich gewählt und wohnte in dieser Eigenschaft der Kongregation der Prokuratoren in Rom bei; schon reichte sein Einfluß bis in das Metternichsche Kabinett. Bei Vertreibung der Jesuiten aus Österreich 1848 begab er sich nach Belgien und ward Rektor des Kollegiums in Löwen. Nach Zurückrufung der Jesuiten nach Österreich wurde er erst Superior für Ungarn, dann Provinzial für Österreich. 1853 bei der zweiten Generalkongregation in Rom anwesend, ward er hier an Roothaans Stelle 2. Juli d. I. zum Ordensgeneral gewählt. Die große Regsamkeit des Ordens in neuester Zeit, die häufigen Jesuitenmissionen in protestantische Gegenden und der bedeutende Einfluß, den der Orden besonders seit Ende der 1850er Jahre gewonnen hat, sind vornehmlich seiner geschickten Leitung der Ordensangelegenheiten zuzuschreiben. Wegen seines hohen Alters trat er Anfang 1884 zurück. Sein Nachfolger war ð Anderledy (s. d.). Er schrieb das in mehrere Sprachen übersetzte Erbauungsbuch »Monat Mariä« (17. Aufl., Freiburg 1901). Unter seinen Auspizien wurde in Rom die »Civiltà cattolica« gegründet. Vgl. A. M. Verstraeten, Leven van den hoogeerwaarden Pater Petrus B. (Antwerp. 1889; deutsch von Martin, Ravensburg 1897)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Sankt Peter Schlemihl1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.46, S. 184. -- 1871-10-01

Das Patrimonium Petri2 gehört zu dem Papsttum wie der Schatten zum Körper. (Mainzer Infallibilisten-Versammlung3)

Erklärungen:

1 Schlemihl

"Schlemihl, im jüdisch-deutschen Jargon ein Mensch, der viel Missgeschick hat, Pechvogel. Ob das Wort von dem hebräischen Eigennamen Schlumiel (4. Mos. 1, 6), »Gottheil«, abzuleiten sei und demnach eigentlich jemand bezeichne, der sein Heil ausschließlich von Gott erwarte, oder mit »Schlimm Massal«, d.h. Unglück, zusammenhängt, ist zweifelhaft. Bekannt wurde der Ausdruck besonders durch Chamissos Erzählung »Peter Schlemihl«, worin der volkstümliche Aberglaube, dass man seinen Schatten verlieren, und dass der Teufel ihn an sich nehmen könne, wenn er über den Menschen selbst nicht Gewalt habe, als Hauptmotiv verwendet ist."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Patrimonium Petri

"Patrimonium Petri (lat.), »Erbgut Petri«, d.h. des Stuhles Petri (s. ð Päpstlicher Stuhl), auch P. ecclesiae, Erbtum der Kirche, der Kirchenstaat, besonders jener Gebietsteil, den Pippin als Besitz des heil. Petrus und seiner Nachfolger (daher P. P.) der Kirche schenkte (donatio Pipini 755) und damit zuerst die weltliche Herrschaft und Souveränität der Päpste begründete. Im engern Sinne das Gebiet der Stadt Rom und seiner Umgebung, das der Papst 1870 als letzten Rest des Kirchenstaates an Italien verlor."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Infallibilisten = Vertreter der Unfehlbarkeit des Papstes = Römische Katholiken; Infallibilisten-Versammlung = Generalversammlung der deutschen Katholiken (Katholikentag) in Mainz



Abb.: Notschrei und Reklame. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.46, S. 184. -- 1871-10-01

Der Münchener "Volksbot"1 schreit in den letzten Zügen um Abonnenten, damit nicht Vaterland, Religion und Volksbote zusammen zu Grunde gehen.

Erklärung:

1 Der Volksbote für den Bürger und Landmann. -- München : Kirschbaum & Schuh. -- 1848 - 1872; dann Erscheinen eingestellt


Der Münchener Kongress. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.46, 2. Beiblatt. -- 1871-10-01

In München an dem Isarstrom
Die Altkatholiken1 tagen.
Nun weh dir, Papst, und weh dir, Rom!
Jetzt wird eure Macht geschlagen!

Jedoch sie meinen 's nicht so schlimm:
Sie mäßgen des Zornes Flammen;
Sie sind behutsam in ihrem Grimm,
Vorsichtig im Verdammen.

"In der Unfehlbarkeit allein
Liegt ja bekanntlich das Übel.
Ein Papst, der muss natürlich sein,
Nur sei er nicht infallibel2!

Und w bestimmt ist zu Trient3,
Das wollen wir unterschreiben,
Nur die Jesuiten -- Kreuz-Element! ---
Die soll der Bismarck vertreiben!"

Sie halten Reden, schön und glatt
Und füllen der Blätter Spalten;
Das Kind, das werfen sie aus dem Bad,
Und wollen das Wasser behalten.

Der Heilige Vater bleibt in Ruh: --
"Vor euch ist mir nicht bange!
Beratet und redet immerzu,
Eure Herrschaft währt nicht lange!

Es ist kein Luther unter euch
Ihr bleichen Schatten und Schemen!
Der wagte noch, mit Papst und Reich
Und Teufel es aufzunehmen.

Ein ganzer Mann und resolut
War der in allen Fällen;
In euch ist nichts von solchem Blut,
Ihr armen, dürftgen Gesellen.

Da bin ich doch ein andrer Held,
Als ihr, an Halbheit Siechen,
Der ich dem Fortschritt der ganzen Welt
Trotz biete mit meinen Flüchen.

Nichts fruchten wird, was ihr versucht
Bedenklich und mit Schwanken!
Müsst ich nicht sagen: Seid verflucht!
So möcht ich euch wahrlich danken."

Erklärungen:

1 Altkatholiken

"Altkatholizismus, Name für eine kirchliche Bewegung, die den von der nationalen Idee getragenen Widerstand der Gewissenhaftigkeit und der Wissenschaftlichkeit im deutschen Katholizismus gegen die im Unfehlbarkeitsdogma vollendete ultramontane Entwickelung der römischen Kirche darstellt. Bisher war es unter Beihilfe der Politik deutscher Regierungen der Kurie gelungen, den Widerspruch der deutschen Wissenschaft (Hermes, Günther, Frohschammer u.a.) zu unterdrücken, Männer, die sich römischen Zumutungen unfügsam zeigten, von den Bischofsstühlen zu entfernen oder zurückzuhalten (Sedlnitzky, Schmid) und in Klerus und Gemeinde den Ultramontanismus zur Herrschaft zu bringen. Als aber trotz der Einsprache der deutschen Theologie, trotz des Protestes einer starken Minorität auf dem vatikanischen Konzil 18. Juli 1870 das Dogma von der Unfehlbarkeit zu stande gekommen war, als dieselben deutschen Bischöfe, die sich vorher so entschieden dagegen ausgesprochen hatten, das Dogma dennoch (in Bayern mit Umgehung des Plazet) verkündigten und gegen die opponierenden Fakultäten von München, Bonn und Breslau sowie gegen einzelne Geistliche und Religionslehrer mit kirchlichen Zensuren einschritten, und als zugleich in dem Verhalten des Klerus und der katholischen Partei des Reichstags es sich unverhohlen zeigte, dass das Streben dahin gehe, den päpstlichen Willen auch zum obersten Gesetz der Staaten zu machen: da wurde es vielen der Besten zur Gewissenspflicht, sich der Einführung eines Dogmas zu widersetzen, das für den Papst eine schrankenlose Gewalt über jeden einzelnen wie über Kirche und Staat in Anspruch nehme, und mit dem kein Recht, keine Freiheit, keine Gewissenhaftigkeit bestehen könne. Ein Brief des Stiftspropstes Döllinger zu München vom 28. März 1871 an den Erzbischof Scherr, in dem er in schneidiger Sprache begründete, dass er als Christ, als Theolog, als Geschichtskundiger, als Bürger das Dogma nicht annehmen könne, und den der Erzbischof mit der Exkommunikation beantwortete, gab der in vielen Kreisen verbreiteten Stimmung Ausdruck und Anlass zu einer weiter gehenden Bewegung, die von einem Aktionskomitee in München geleitet wurde. Die anfängliche Hoffnung, die Annahme des Dogmas in der deutschen Kirche noch rückgängig machen zu können, schwand, als der deutsche Episkopat in einem gemeinsamen Hirtenbriefe seine Unterwerfung aussprach. Ihr stellte der Kongress der Altkatholiken in München (September 1871) die Behauptung entgegen, die Infallibilisten seien, durch den Jesuitismus verführt, vom Glauben der alten Kirche abgefallen, und diese bestehe rechtmäßig nur in ihnen fort. Damit war das Schisma ausgesprochen. Unter dem Schutz und der Begünstigung des Staates bildete sich eine Anzahl altkatholischer Gemeinden, deren kirchlichem Bedürfnis der Erzbischof von Utrecht (s. ð Utrechter Kirche) entgegenkam. In einer Reihe wissenschaftlicher und populärer Schriften entwickelten inzwischen die Führer der Bewegung, Schulte, Friedrich, Reinkens, Michaelis u.a., aus Kirchenrecht und Kirchengeschichte die Ungültigkeit und Unstatthaftigkeit des Dogmas, seinen Widerspruch mit Religiosität und Sittlichkeit. Der zweite Kongress, in Köln September 1872, hielt in seinen Anträgen an den Staat den bisherigen Anspruch, die rechte katholische Kirche zu sein, fest und beauftragte ein Komitee, die Einleitung zu einer Rekonstituierung der Kirche durch eine Bischofswahl zu treffen. Zugleich wurde auch die von Döllinger angeregte Frage nach der Möglichkeit einer Wiedervereinigung der getrennten Konfessionen ins Auge gefasst und offen ausgesprochen, dass man nicht, wie anfänglich beabsichtigt gewesen, nur auf den Zustand des 7. Jahrh., vor der Trennung von der griechischen Kirche, zurückgreifen könne, sondern dass eine Revision der Entwickelung in Lehre, Verfassung und Kultus notwendig sei.

Eine Delegiertenversammlung nahm 4. Juni 1873 in Köln ein Organisationsstatut an, nach dem die Leitung der Kirche bei dem Bischof ruht, dem ein Spezialausschuss von neun Personen, teils Geistlichen, teils Laien, zur Seite steht. Dieser Ausschuss wird von der Synode erwählt, die jährlich in der Pfingstwoche zusammentritt, und zu der sämtliche Geistliche und für jede Gemeinde, bez. für je 200 selbständige Männer ein Laiendeputierter berufen werden. Bei der Bischofswahl vereinigten sich die Stimmen auf den bisherigen Professor in Breslau, Jos. Hubert ð Reinkens (s. d.), der am 7. Okt. 1873 durch den preußischen Kultusminister in Berlin als Bischof der altkatholischen Gemeinden Preußens vereidigt wurde. Die neue Organisation hält an dem auch vom preußischen Obertribunal anerkannten Grundsatze fest, dass die Altkatholiken keineswegs aus der katholischen Kirche ausgeschieden seien, sondern dass sie nur durch Umstände außer ihrer Macht an der Teilnahme der vollen Gemeinschaft gehindert würden. Auf dem dritten Kongresse in Konstanz 1873 wurde eine Synodal- und Gemeindeordnung angenommen.

In Deutschland wurden seit 1874 alljährlich die kirchenverfassungsmäßigen Synoden in Bonn gehalten; ebenso fanden Kongresse statt 1876 in Breslau, 1877 Mainz, 1880 Baden, 1884 Krefeld, 1888 Heidelberg, 1890 Köln, 1892 Luzern, 1894 Rotterdam, 1897 Wien. Die schwierige Frage der Aufhebung des Zwangszölibats der Geistlichkeit, die Professor v. Schulte in Bonn (»Der Zölibatszwang und dessen Aufhebung«, Bonn 1876) im Prinzip bejahte, während er die praktische Ausführung als eine Sache der Zweckmäßigkeit hinstellte, beschäftigte mehrere Synoden. Endlich wurde auf der fünften Synode 1878 unter Hinweis darauf, dass die neue Reichsgesetzgebung (Gesetz über die Eheschließung 6. Febr. 1875) das Ehehindernis der Priesterweihe nicht mehr kennt, mit 75 gegen 22 Stimmen das Zölibat abgeschafft. Geistliche, welche die ideale Seite des Zölibats hervorhoben, wie Reusch und Tangermann, sind durch diesen Beschluss der Sache des A. entfremdet worden. Günstig wirkte dagegen das am 4. Juli 1875 vom König bestätigte preußische Gesetz über die Rechte der altkatholischen Kirchengemeinden an dem kirchlichen Vermögen. Überhaupt beharrten Staatsregierung und Gerichte auch noch nach der Schwenkung der innern Politik seit 1878 an der Auffassung, dass die Altkatholiken als katholische Christen zu betrachten und zu behandeln seien, während die bayrische Regierung sie 1890 zur aus der römisch-katholischen Kirche ausgeschiedenen Privatkirchengesellschaft mit sehr beschränkten Rechten umstempelte. In Preußen existierten 1901: 16 staatlich anerkannte Pfarren und 20 noch nicht förmlich konstituierte Gemeinden, in Baden 21 (17), in Bayern 4 (10), in Hessen 2 (2). Eine genaue Angabe der Seelenzahl ist deshalb nicht möglich, weil sich bei den Volkszählungen stets nur ein Teil der Altkatholiken als solche einträgt. Die Gesamtzahl wird sich auf rund 50,000 mit 54 Geistlichen belaufen. Bischof ist seit 1896 der frühere Professor der Theologie Th. ð Weber (s. d.).

Auch in andern Ländern hat sich die altkatholische Bewegung verbreitet. Besondere Ausdehnung und Bedeutung erlangte sie in der Schweiz. Die Synodalverfassung der dortigen »christkatholischen« Kirche von 1875 entspricht im allgemeinen der deutschen, und auch in Bezug auf die Zurückstellung der Ohrenbeichte hinter einer allgemeinen Bußandacht vor der Kommunion herrscht Übereinstimmung zwischen beiden Nationalkirchen. Übrigens hat diese Kirche in ihren auf der Synode zu Olten 1876 aufgestellten Prinzipien viel entschiedener mit der hierarchischen Tradition gebrochen, als dies den deutschen Altkatholiken möglich gewesen war. Die altkatholische Fakultät in Bern stellte sich derjenigen in Bonn würdig zur Seite. Bischof ist seit 1876 der bisherige Berner Pfarrer Eduard Herzog. 1901 zählte man 41 Gemeinden mit 56 Geistlichen und rund 50,000 Seelen. In Österreich wurde die altkatholische Religionsgemeinschaft durch Verordnung des Kultusministers vom 18. Okt. 1877 anerkannt. 1901 gab es dort, besonders in Nordböhmen, etwa 17,600 Altkatholiken mit 14 Geistlichen. Bistumsverweser ist M. Czech in Warnsdorf. In Holland gibt es etwa 8000 Altkatholiken mit 30 Geistlichen. Für die übrigen Länder ist die Statistik dadurch erschwert, dass die altkatholische Bewegung vielfach mit andern reformkatholischen Bestrebungen durcheinander geht. In Italien zählt man 8 Gemeinden mit ca. 10 Geistlichen, in Spanien 3000 Anhänger (1170 Kommunikanten) mit 11, in Portugal 330 Kommunikanten mit 5, in Mexiko 1000 mit 13 Geistlichen. – Altkatholische Zeitschriften: »Deutscher Merkur« (Münch., seit 1870), erscheint seit 1900 als wissenschaftliche Beilage zum »Altkatholischen Volksblatt« (Bonn, seit 1885); »Altkatholisches Kirchenblatt« (das., seit 1874); »Der Katholik« (Bern, seit 1877); »Revue Internationale de Théologie« (das., seit 1893); »De Oud-Katholiek« (Rotterdam, seit 1874); »La Luz« (Madrid); »La Riforma cattolica«. Vgl. Friedberg, Aktenstücke, die altkatholische Bewegung betreffend (Tübing. 1876); v. Schulle, Der A. (Gießen 1887); Herzog, Beiträge zur Vorgeschichte der christkatholischen Kirche der Schweiz (Bern 1896)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 infallibel = unfehlbar

3 Konzil von Trient: Konzil der Römisch-katholischen Kirche 1545 bis 1563; diente der Antwort auf die Reformation


Den Gleichgültigen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.47, 2. Beiblatt. -- 1871-10-08

Das schwarze Nachtgevögel muss verschwinden
Vor des Jahrhunderts hellem Wissenslicht;
Denn vor der Wahrheit zürnendem Gericht
Zerstiebt der Lüge Schwarm nach allen Winden.

Und mächtig strebt der Geist auf Riesenschwingen --
Genug! Genug! Wir sind der Phrasen müd!
Wie lang noch mit dem alten Zauberlied
Lasst täglich neu ihr in den Schlaf euch singen?

Indessen rüstet sich die schwarze Bande
Mit allen Waffen ihrer Lügenmacht,
Zur heißen, grimmigen Entscheidungsschlacht
Still und geräuschlos überall im Lande.

Schaut hin nach Östreich, wo in harten Qualen
Ein Brudervolk schon ringt mit ihrer Brut,
Und sprecht, bleibt euch noch immer frisch der Mut,
Den bittren Ernst mit Phrasen fortzuprahlen?

Nein, nein! Hier hilft kein vornehm Überheben!
Stählt euch das Herz! Mit Hass und Grimm erfüllt 's!
Denn mit der Hölle selbst zu ringen gilt 's,
Und einen Mutkampf gilt 's auf Tod und Leben.

In Reih und Glied, eh' sie zum Kampf sich scharten!
Seit Monden stoß' ich mahnend in das Horn.
Zertreten könnt ihr das Gewürm im Zorn,
Doch blast ihr's nimmer fort mit -- Redensarten!

Erläuterung: gegen die Jesuiten gerichtet. Im Anschluss an den Deutschen Protestantentag (3. bis 5. Oktober 1871) in Darmstadt, wo Johann Kaspar Bluntschli (1808 - 1881), Staatsrechtprofessor an der Universität Heidelberg, die Parole ausgegeben hatte: "Fort mit den Jesuiten!"


Nachruf1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.48, S. 190. -- 1871-10-15

Weiße Beffchen und Krawatten,
Röcke von bigottem Schnitte,
Aus der breiten Krempen Schatten
Gleißt der Blick demütger Sitte.
Und das Haar, à la Johannes
Stirngescheitelt, ohrgestriegelt,
Dass das Bild des Gottesmannes
Jedes Löcklein wiederspiegelt.
dass sich gleich als fromme Hirten
Würd und Amt von fern bezeugen,
Und die Schäflein, die verirrten,
Sich in schwerer Ehrfurcht beugen.
Frommer Denkung Milchgestalten,
Kaum -- so schien 's -- von gläubgem Häuchlein
In den Fugen noch gehalten,
Doch auch manch schmermastig Bäuchlein
Sah ich durch die Straßen schleichen,
Sah manch frommen Scheitel glänzen;
Doch ich hielt mich fern den bleichen,
Den kurzatmigen Existenzen.
Denn ich wollt, da sie zu Gast hier,
Sie in Frieden wandeln lassen,
Und nicht stören ihre Rast hier,
Doch mich freut 's, dass sie mich hassen,
Dass sie einen losen Schwätzer,
Sünder mich und Spötter schelten;
Doch ich mag -- so sind wir Ketzer! --

Nicht mit gleichem Maß vergelten.
Und mich freut 's, dass sie in Hitze
Den Karikaturen fluchen,
So durch Bilder oder Witze
Unsre Zeit zu prangern suchen.

Wandelt denn, ihr schwarzen Scharen,
Ruhig auf einsamen Spuren,
Ihr, des großen Unfehlbaren
Kleinliche -- Karikaturen!

Erklärung:

1 Nachruf auf den Kongress der Altkatholiken in München im September 1871.



In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.53/54, S. 216. -- 1871-11-19

Jesuitenlob, garstig Lob.

Die Kind, kein Engel ist so rein,
Lasst eurer Huld empfohlen sein!1

Die sieben † Weisen

Aus Österreich.

Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.

Erklärung:

1 Friedrich Schiller (1759 - 1805): Der Gang nach dem Eisenhammer (1797), letzte Strophe

Und gütig, wie er nie gepflegt,
Nimmt er des Dieners Hand,
Bringt ihn der Gattin, tiefbewegt,
Die nichts davon verstand.
»Dies Kind, kein Engel ist so rein,
Lassts Eurer Huld empfohlen sein,
Wie schlimm wir auch beraten waren,
Mit dem ist Gott und seine Scharen.«


A bas les voleurs!1 -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 24, Nr.56, S. 221. -- 1871-12-03

"A bas les voleurs! Die Hallunken,
Die Diebe nieder!" -- gellt 's im Chor,
Im tausendstimmigen, zornestrunken,
Und sprühend heilgen Zornes Funken,
Loht der Empörung Flamm empor.

Genug des Frevels und der Schande.
Der allzu lang getragnen Schmach!
Zu Wasser ging -- Schmach unsrem Lande --
Der Krug der schwarzen Diebsbande,
Bis endlich jetzt der Henkel brach.

Der Oberdieb2, Genie im Rauben --
Wer wagt zu sagen, dass er stahl?
Er hat nur, schuldlos wie die Tauben,
Doch schlangenklug, im frommen Glauben
"Christianisiert das Kapital!"

Der Juden Gold als Fuchs, als schlauer,
Hätt er "verchristlicht" gar zu gern,
Verschmäht auch nicht den reichen Bauer;
Doch ach! die Trauben waren sauer
Und hingen gar zu hoch dem Herrn.

Im frommen Eifer nun, dem warmen,
Sucht bei den Kleinen er sein Glück;
Er wies in christlichem Erbarmen
Den Pfennig auch des ärmsten Armen,
Der Witwe Scherflein nicht zurück.

Er stärkt die Schwachen im Vertrauen
Und macht sie aller Zweifel bar:
"Die Kirch allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen" --
Das ist je und gewisslich wahr!

So macht, in Glauben spekulierend,
Er, nur zu Gottes größrem Ruhm,
Des Papstes Segen negotiierend,
"Das Kapital christianisieren;"
Zu Kapital sein Christentum.

Wer an ihm zweifelte, den trafen
Des Fluches Blitz aus heilger Hand;
Der Feinde Frevelmut zu strafen,
Hat ihn -- vernimm 's, o Welt -- zum Grafen
Der heilge Vater selbst ernannt.

Der heilge Graf -- er ist verflossen,
Geborgen wohl an sichrem Ort;
Doch seiner Freund und Diebsgenossen
Rechtgläubge Schar setzt unverdrossen
Sein fromm Geschäft noch heute fort.

Minister, und in schamlos frecher
Verlogenheit des Landes Schmach --
Das Maß ist voll, und der Verbrecher
Wahnblinde Torheit rief als Rächer
Des Volks Gewissen endlich wach.

"A bas les voleurs! Die Hallunken,
Die Diebe nieder!" -- gellt 's im Chor,
Im tausendstimmigen, zornestrunken,
Und sprühend heilgen Zornes Funken,
Loht der Empörung Flamm empor.

Also geschah 's im Belgierlande,
Wo fröhlich, frisch, frei, fromm regiert
Der Pfaff, und wo, zu Schand und Schande,
Die schwarze Pest, Roms finstre Bande
"Das Kapital christianisiert!"

Erklärungen:

1 A bas les voleurs! (französisch) = Die Diebe nieder! Schlachtruf bei den Unruhen in Brüssel im November 1871 anlässlich der Ernennung von Pierre de Decker zum Gouverneur der Provinz Limburg.

"Decker, Pierre de, belg. Staatsmann und Schriftsteller, geb. 25. Jan. 1812 in Zele bei Dendermonde, gest. 5. Jan. 1891 in Brüssel, widmete sich, bei den Jesuiten erzogen, der Advokatenlaufbahn und erwarb sich als Mitherausgeber des »Journal des Flandres«, bez. Mitgründer der katholischen »Revue de Bruxelles« (1837) sowie durch die Gedichtsammlung »Religion et amour« (1835–36, 2 Bde.) bald einen literarischen Ruf. In der Kammer, der er 1839–66 angehörte, sowie in den weitverbreiteten Broschüren »Du pétitionnementen faveur de la langue flamande« (1840), »De l'influence du clergéen Belgique« (1843), »Quinze aus 1830–1845« (7. Aufl. 1846), »L'esprit de parti et l'esprit national« (5. Aufl. 1852) etc. vertrat er gemäßigt-klerikale und flamenfreundliche Anschauungen mit großem Eifer. 1846 auf Grund seiner »Études historiques et critiques sur les monts-de-piétéen Belgique« (1844) in die belgische Akademie gewählt und 1855 zum Minister des Innern im gemäßigt-klerikalen Kabinett Vilain XIIII. (s.d.) ernannt, musste er schon im Herbst 1857 infolge der Straßentumulte anläßlich des von ihm eingebrachten Gesetzes über die Organisation des Wohltätigkeits- und Stiftungswesens zurücktreten. Später an den berüchtigten Finanzoperationen von Langrand- Dumonceau (s.d.) beteiligt und Direktor der »Christlichen Bank«, ward er, nachdem seine Ernennung zum Gouverneur der Provinz Limburg (November 1871) einen Straßenkrawall in Brüssel und den Rücktritt des ultramontanen Ministeriums d'Anethan (s.d.) herbeigeführt hatte, in den Langrandschen Kriminalprozess verwickelt, 1877 aber außer Verfolgung gesetzt. Später schrieb er noch: »Étude politique sur le vicomte Ch. Vilain XIIII« (Brüss. 1879); »Les missions catholiques« ' (das. 1879); »Henri Conscience« (das. 1885); »L'Eglise et l'ordre social chrétien« (Löwen 1887)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Oberdieb = André Langrand-Dumonceau (1826 - 1900)

"Langrand-Dumonceau (spr. langgrang- dümongßō), André, belg. Abenteurer, geb. 5. Dez. 1826 in Vossem bei Lüttich, gest. 25. April 1900 in Rom, anfangs Kolporteur und Bäckerjunge, trat 1843 in die afrikanische Fremdenlegion. Seine Idee einer »Christianisierung des Kapitals« fand beim belgischen Klerus und bei Pius IX., der L. in den römischen Grafenstand erhob und seinen Finanzunternehmungen den apostolischen Segen erteilte, großen Beifall. Als die von ihm in Belgien und im Ausland mit dem Geld von Geistlichen, Bauern, Witwen, Waisen etc. gegründeten 24 Aktien- und Kommanditanstalten zahlungsunfähig wurden, fand L. bei den belgischen Klerikalen einen Rückhalt, so dass sein Prozess verzögert, einer seiner Hauptmitschuldigen 1871 Vorsitzender der Budgetkommission der Kammer und ein andrer, de Decker (s. ð Decker 4), Gouverneur der Provinz Limburg ward. Dies führte Ende des Jahres zu Volkstumulten und zum Sturz des Kabinetts d'Anethan, worauf L., der nach Brasilien geflüchtet war, in contumaciam zu langjährigem Gefängnis verurteilt ward."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


1872



Abb.: Neujahrs-Nacht-Träume sind Schäume <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 1, S. 4. -- 1872-01-07

Triumphierender Traum eines tief Schwarzen.

Erklärung:

O.A.M.D.G. (auf dem Beichtstuhl) = Omnia ad majorem Dei gloriam = Alles zur höheren Ehre Gottes. Wahlspruch der Jesuiten.



Abb.: Toleranz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 2, S. 8. -- 1872-01-14

Man hat in der Schweiz Abstand genommen, die Jesuiten zu verbannen, und ihnen, mit geringen Einschränkungen, den ferneren Aufenthalt gestattet.



Abb.: Zur Rache braucht man keine Bildung. Der französische Klerus. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 3, S. 12. -- 1872-01-21



Abb.: Dienst und Gegendienst. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 5, 1. Beiblatt. -- 1872-02-04

Die Kirche soll frei sein!
Deshalb muss der Staat aus der Kirche.

Dagegen verlangen wir nur eine Kleinigkeit:
Dass auch die Kirche aus der Schule bleibe.



Abb.: Das entschleierte Bild zu Sais1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 6, S. 23. -- 1872-02-11

Auch du, Brutus?2

Erklärungen:

Inschrift auf der Bismarck-Büste: Eccelsia taceat in politicis = die Kirche sollin politischen Fragen schweigen. In Anlehnung an 1. Korintherbrief 14,34:  Mulier taceat in ecclesia (Vulgate): "das Weib soll in der Kirche schweigen"

1 Nach Friedrich Schiller (1759-1805): Das verschleierte Bild zu Sais:

Ein Jüngling, den des Wissens heißer Durst
Nach Sais in Ägypten trieb, der Priester
[...]

Er sprichts und hat den Schleier aufgedeckt.
Nun, fragt ihr, und was zeigte sich ihm hier?
Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,
So fanden ihn am andern Tag die Priester
Am Fußgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
War seines Lebens Heiterkeit dahin,
Ihn riss ein tiefer Gram zum frühen Grabe.
»Weh dem«, dies war sein warnungsvolles Wort,
Wenn ungestüme Frager in ihn drangen,
»Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld,
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein.«

2 Auch du, Brutus?: Diese Worte soll Julius Cäsar ausgerufen haben, als mehrere Mörder auf ihn eindrangen, unter denen er auch seinen Freund, Brutus, erblickte. Verwendet, wenn man unter seinen Gegnern eine Person erblicken, die man bisher zu seinen Freunden gezählt hat.



Abb.: Chinesische Höflichkeit. Gewissen Herren zur Nachahmung empfohlen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 8/9, S. 33. -- 1872-02-25

Mandschu. Ach, was haben Sie dich für eine herrliche Religion!
Kandschu. Nun, lieber Freund, die Ihre ist auch nicht von schlechten Eltern
Mandschu. Bitte, bitte, ganz auf meiner Seite!


 
Abb.: Hinc illae lacrimae!1 -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 14/15, S. 60. -- 1872-03-31

Weshalb die Geistlichkeit am Rhein und in Schlesien den Bauern so angelegentlich das Lesen liberaler Zeitungen verbietet.



Abb.: Anti-Kladderadatsch. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, 18, S. 72. -- 1872-04-21

Die Unfehlbaren der "Germania"1 behaupten, dass ihr Humor der wahre sei, und wollen jetzt auch ein Witzblatt gründen. Die ultramontanen2 Scherze kennt man zur Genüge.

Erklärungen:

1 Germania

"Germania, am 1. Jan. 1871 begründete, täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung, vertritt die Interessen der deutschen Zentrumspartei und des römischen Stuhles unter jesuitischem Einfluß. Eine hervorragende Rolle spielte sie während des Kulturkampfes unter der Leitung Paul Majunkes, der 1878 aus der Redaktion ausschied. Gegenwärtig (1904) ist Chefredakteur H.ten Brink."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 ultramontan

"Ultramontanismus (lat.), diejenige Auffassung des Katholizismus, die dessen ganzen Schwerpunkt nach Rom, also jenseits der Berge (ultra montes), verlegen möchte; ultramontan ist somit das ganze Kurial- oder Papalsystem (s. d.). "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Eine alte Röm'sche Ode
Treu verdeutscht nach neu'ster Mode. (Horat. Carm. III., 18.)
. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, 18, S. 72. -- 1872-04-21

Faune, Nympharum fugientum amator,
Per meos finis et aprica rura
Lenis incedas abeasque parvis
Aequus alumnis:

Si tener pleno cadit haedus anno
Larga nec desunt Veneris sodali
Vina craterae, vetus ara multo
Fumat odore.
 

Ludit herboso pecus omne campo
Cum tibi nonae redeunt Decembres,
Festus in pratis vacat otioso
Cum bove pagus,

Inter audacis lupus errat agnos,
Spargit agrestis tibi silva frondes,
Gaudet invisam pepulisse fossor
Ter pede
terram.
Wie Gott Faun, der Gönner der demi-monde,
Durch die sonngen Felder, so schleichen leise
In den Deutschen Grenzen die schwarzen Brüder,
Segnend die Dummen.

Doch zu Hause da schäumt in dem Glas das Bockbier;
Wein auch kann nicht fehlen, noch Frauenzimmer,
Und es riecht die Stunde vom Duft der feinen
Cubazigarre.

Einge gar verspielen in Homburg Alles;
Andre auch, wenn irgend ein Kirchweihfest kommt,
Tummeln auf der Wiese sich, wo die Kuhmagd
Tanzend das Bein schwingt.

Wölfen gleich umlauern sie arme Herden,
Und den Feldzehnt stehlen sie. -- Weiser Kanzler,
Schick die schwarzen Brüder doch aus dem Land mit
Kräftigem Fußtritt!

Quintus Horatius Flaccus (65 - 8 v. Chr.): Carmina III,181  
Erklärung:

1 Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1751 - 1826):

An Faunus.

Faunus, du, der flüchtigen Nymphen hold ist,
Durch die Feldmark mir und die Sonnenäcker
Wolle sanft hinwandeln und hold den kleinen
        Zöglingen abziehn;

Wenn am Jahrfest blutet ein zartes Böcklein,
Und der Mischkrug dir, ein Genoss der Venus,
Reichen Weins nicht darbt, und des Moosaltares
        Vieler Geruch dampft!

Alles Vieh frohlockt in dem grünen Anger,
Wenn geehrt dir sind die Dezembernonen;
Müßig feirt durch Wiesen das Dorf, und müßig
        Weidet der Pflugstier.

Ohne Furcht sehn Lämmer den Wolf gesellet;
Ehrend streut dir ländliches Laub die Waldung;
Fröhlich stampft Erdreich, das ihn quält, der Winzer,
        Hüpfend im Dreischlag.



Abb.: Arbeitsaufnahme. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 19, S. 76. -- 1872-04-26

Der Papst, des langen Fluchens müde, kehrt wieder an die Arbeit zurück und fängt mit einer Hand wieder an zu segnen.

Erklärung:

Abgebildet ist neben Pius IX. sein Kater (Pius IX. war für seine Katzenliebe bekannt)


Wie das Wiener "Vaterland"1 über den Ausbruch des Vesuv2 denkt. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 20, 2. Beiblatt. -- 1872-05-05

Was grollst und schnaubest du, Vesuv?
Warum erbebt die Hölle?
Was wirfst du empor mit wildem Ruf
Jetzt Schlacken und glühend Gerölle? --
"Ich seh von den Feinden groß und klein,
Bedrängt den heiligen Vater;
Da muss ich wohl Feuer und Flamme spein
Zur Strafe der Welt -- auf Krater!

Ich sah, wie man den Papst beraubt
Zum Schrecken aller Frommen,
Wie man von seinem heiligen Haupt
Die Krone frech genommen;
Wie man ihm weigert allerwärts
So Zehnten als Octava3;
Da muss ich brüllen wohl vor Schmerz
Zum Himmel hoch -- auf Lava!

Ich sah, wie ein König4 sich erfrecht,
Zu thronen -- o des Spottes! --
In Roma dort dicht neben dem Knecht,
Dem Knecht der Knechte Gottes.
Mich ekelt bass vor solcher Schand --
Er büße seinen Frevel!
Verderben spei ich auf sein Land!
Ich muss jetzt spein -- auf Schwefel!

Ich seh zu meinem Gipfel dreist
Verwegne Briten5 klimmen;
Sie halfen mit ihrem Gold und Geist
Einst Garibaldi6, dem Schlimmen.
Fluch über sie! Sie sein verdammt!
Zur Hölle mit diesem Packe!
Ich will sie begraben allesamt
In Schlacke -- Ja -- auf Schlacke!

Die ganze Welt ist von Teufelslust
Erfasst und falschem Wahne!
Die ganze Welt tanzt unbewusst --
Heidi! -- auf einem Vulkane.
O dass aus meinem Rachen hier
Ein Feuerstrom entquölle,
Zu tilgen des Papstes Feinde schier,
Ja alle -- alle -- auf Hölle!

O könnt ich mit der Felsen Geschoß
Des Kreuzbergs7 Haupt bedecken!
Dort lebt ein Feind ja, mächtig groß,
Der lässt durch nichts sich schrecken:
Durch Donner nicht noch Weheschrein;
Ob Nönnlein gleich und Pater
Gleich mir heut Feuer und Flamme spein:
Der -- Kladderadatsch -- auf Krater!"

Erklärungen:

1 Das Vaterland: Zeitung für die österreichische Monarchie. -- Wien. --  1860 - 1911; damit Erscheinen eingestellt. -- Erscheinungsweise: täglich. -- Online: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vtl. -- Zugriff am 2008-01-07

2 Ausbruch des Vesuv am 26. April 1872:  zerstörte die Orte Massa di Somma und San Sebastiano und tötete 20 unvorsichtige Schaulustige

3 Octava

"Oktave (octava, lat.), in der katholischen Liturgie zunächst der achte Tag (dies octava) nach einem Feste, dann überhaupt die achttätige Feier eines großen Kirchenfestes. Sich anlehnend an den alttestamentlichen Gebrauch (Osterfest, Versöhnungsfest, Laubhüttenfest, Tempelweihe), soll die O. die Feierlichkeit eines Festes in besonderer Weise erhöhen; solche Feste (cum octava) sind: Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Epiphanie, Fronleichnam, Christi Himmelfahrt, dann Empfängnis, Geburt, Himmelfahrt Mariä, ferner die Festtage der Heiligen: Stephanus, Johannis Evangelist, unschuldige Kinder, Johannes der Täufer, Peter und Paul, Laurentius, Allerheiligen, sowie einzelner Bistums-, Landes- und Ordensheiligen; auch Kirchweih- und Patroziniumsfest hat eine O."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Vittorio Emanuele II. (1820 -1878): 1861 - 1878 König Italiens

5 Seit ca. 1700 gehört der Vesuv zum klassischen Programm der Grand Tour, der obligatorische Reise der Söhne des britischen Adels, später auch des gehobenen Bürgertums durch Mitteleuropa und Italien

6 Giuseppe Garibaldi (1807 - 1882): italienischer Freiheitskämpfer

7 Berlin-Kreuzberg


Einfache Antwort. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 21, S. 83. -- 1872-05-12

Ob auch Sankt Peter, wo ihm prangt sein Dom,
Gewesen ist? Davon, ihr Herren, später!
Jetzt weiß ich, dass der Papst in Rom --
Und er hat nichts zu schaffen mit Sankt Peter.

Sankt Peter war, wie ihr es Alle wisst,
Ein Mann, der menschlich irren konnt und fehlen;
Jetzt aber in des Vatikans Sälen
Regiert ein Götze, der unfehlbar ist.



Abb.: Abkühlendes. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 22/23, S. 89. -- 1872-05-19

[Bismarck:] Cardinal gefällig?
[Pius IX.]: Danke, mache ich selber.


Die armen Biedermänner. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 22/23, S. 91. -- 1872-05-19

Wie haben wir sie so sehr verkannt
Die Herrn mit den breiten Hüten!
Sie sind so friedlich, so tolerant,
Die biederen Jesuiten!

Sie lieben das Vaterland so sehr --
Man kann 's kaum ärger lieben!
Sie haben von alten Zeiten her
Patriotismus getrieben!

Auch ihre Treu ist weit und breit
Im Reich berühmt geworden;
Wie heilig hält den geschworenen Eid --
Mit Vorbehalt -- der Orden!

Den Gury1 hat man stark verschrien
Als unmoralisch und scgändlich;
Doch was nichtswürdig uns erschien,
Ist uns nur -- unverständlich!

So hat der Moufang2 ein helles Licht
Im Reichstag uns angezündet:
Was man von den Jesuiten spricht,
Ist alles unbegründet!

Der Moufang2 tut noch Eins sogar:
Anstatt uns zu verfluchen,
Ersucht er uns, sein Seminar
In Mainz mal zu besuchen.

Wir sollen bei ihm zu Haus in Mainz
Ihn hören; es wird nicht fehlen
An einem guten Becher Weins
Für unsre durstigen Kehlen.

Nun wohl, o Moufang2! Wir werden sehn!
Du magst uns in Mainz erwarten,
Nur müssen wir den Wein verschmähn,
Und wär 's "Jesuitengarten".

Wir trinken nie Jesuitenwein,
Wir zähmen unser Gelüsten;
Sonst könnt es doch wohl möglich sein,
Dass wir -- dran glauben müssten!

Erklärungen:

1 P. Jean Pierre Gury SJ (1801 - 1866)

"Gury (spr. güri), Jean Pierre, kath. Moraltheolog, geb. 23. Jan. 1801 in Mailleroncourt (Franche-Comté), gest. 18. April 1866 in Vals, trat 1824 in den Jesuitenorden, ward 1833 Professor der Moral am Jesuitenkollegium in Vals bei Le Puy, 1847 am Collegium romanum in Rom, kehrte aber schon im folgenden Jahre, durch die Revolution vertrieben, nach Vals zurück. Sein nach A. v. Liguori gearbeitetes und in vielen Auflagen, auch in deutscher Übersetzung (Regensb. 1868) verbreitetes Hauptwerk ist das »Compendium theologiae moralis« (Lyon u. Par. 1850, 2 Bde.; beste Ausgabe von Ballerini, 6. Aufl., Rom 1882), ein System der katholischen Sittenlehre zum Gebrauch für Geistliche bei der Beichte und Absolution, das die altjesuitische Kasuistik und den Probabilismus erneuert und an vielen Seminaren (z. B. in Mainz) eingeführt worden ist. Ihm folgten 1863 die »Casus conscientiae« (Lyon u. Par., 2 Bde.; 8. Aufl. 1891). Vgl. A. Keller, Die Moraltheologie des Jesuitenpaters G. (2. Aufl., Aarau 1870)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Christoph Moufang (1870 - 1890)

"Moufang (spr. mu-), Christoph, kath. Geistlicher, geb. 12. Febr. 1817 in Mainz, gest. daselbst 27. Febr. 1890, ward 1839 Priester, 1845 Gymnasiallehrer in Mainz, 1851 Regens des bischöflichen Seminars, 1854 Mitglied des Domkapitels daselbst, 1863 Vertreter des Bischofs Ketteler in der hessischen Ersten Kammer, 1871–76 Mitglied des Reichstags, 1877–1886 von der Regierung nicht bestätigter Bistumsverweser und 1886 päpstlicher Hausprälat. Er veröffentlichte: »Aktenstücke, betreffend die Jesuiten in Deutschland« (Mainz 1872), »Die Mainzer Katechismen von Erfindung der Buchdruckerkunst bis zu Ende des 18. Jahrhunderts« (das. 1878), »Katholische Katechismen des 16. Jahrhunderts in deutscher Sprache« (das. 1881), »Officium divinum«, kathol. Gebetbuch, lat. u. deutsch (19. Aufl., das. 1905) und gab seit 1850 mit Heinrich die Zeitschrift »Der Katholik« heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Petition an den Reichstag. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 22/23, S. 92. -- 1872-05-19

Die siebente Bitte.1

Erklärung:

1 Die siebte Bitte des Vaterunser: "Erlöse und von dem Übel"


Eine wundersamb aber wahre Historia, so sich begeben zu Paris in diesem Jahr. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 26, S. 101. -- 1872-06-09

Frei nach "Le Monde" und der "Germania" in lustige Reimlein gebracht und zu singen nach der frummen Frei-Frau-von-Droste-Vischering-Weis1.

Der Knabe André in Paris --
Pi-Pu-Po-Paris,
Der hatte lahme Händ und Füß --
Hi-Ha-Händ und Füß
Auch war an Aug und Ohren
Er blind und taub geboren,
Kunnt stehen nicht und gehen,
Kunnt hören nicht und sehen.

Die Eltern, reich und edler Art --
I-A-edler Art,
Die hatten kein klein Geld gespart,
Gi-Ga-Geld gespart,
Heilung dem Sohn zu bringen,
Doch wollt es nicht gelingen;
All Kunst der Herrn Doktoren,
An ihm schien sie verloren.

Sogar der Doktor Nélaton2 --
Na-Nu-Nélaton
Erklärte: Euer armer Sohn --
I-A-armer Sohn
Behält die blinden Augen,
Die Ohren, die nichts taugen,
Die lahmen Füß und Hände
Bis an sein selig Ende!

Da führt ein altes frommes Weib --
Frou-Frou-rommes Weib
Das arme Kind zum Zeitvertreib
Zi-Za-Zeitvertreib
Zum Ort, wo sie begraben
Zehn Jesuiten haben:
Hier wirst vom bösen Wesen,
Mein Sohn, du bald genesen!

Am achtundzwanzigsten April --
I-A-I-April
War 's, als man gläubig, stumm und still --
Sti-Sta-stumm und still
Des Morgens gegen Achte
Das kranke Knäblein brachte
Aus seinem kleinen Wagen
Zum Wundergrab getragen.

Spektakel! Schon um halber Neun --
Hi--Ha-halber Neun,
Mocht kaum vorbei die Messe sein --
Mi-Ma-Messe sein,
Da sprang der kranke Knabe
Urplötzlich auf vom Grabe,
Kunnt hören stracks und sehen,
Kunnt stehen stracks und gehen.

Der Knabe André turnte keck --
Ti-Ta-turnte keck
Noch selben Tags an Barrn und Reck --
Bi-Bo-Barrn und Reck;
Er machte wunderschnelle
Kreuzbiege und Bauchwelle.
Im Wettlauf und Freispringen
Tät er den Preis erringen.

Auch hört er Alles, was man spircht --
Wie-Wa-was man spricht,
Hatt auch sein volles Augenlicht --
I-A-Augenlicht:
Er schmiss aus fernsten Weiten
Selbst nach den ältsten Leuten,
Und traf mit seinem Steine
Sie sicher an die Beine.

Der fromme Knabe André war --
I-A-André war
Also geheilt im zehnten Jahr --
Zi-Za-zehnten Jahr.
Und tausendfältig Zeugnis
Bestätigt dies Ereignis
Selbst in der glaubenslosen
Hauptstadt der Franzosen.

Moral:

Auf einem Jesuitengrab --
Ja -- Jesuitengrab
All dies Mirakel sich begab --
Sie-Sa-sich begab.
Ergo3: ihr heilgen Fratres,
Ihr infalliblen4 Patres,
Zum Heile frommer Knaben
Lasst -- Alle euch begraben!

Erklärungen:

1 Rudolf Löwenstein schrieb1844 folgendes Spottlied:

[Quelle: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten : Bd. 1 u. Bd. 2 reprinted u. zusammengebunden / Wolfgang Steinitz
Sonderausg. -- Frankfurt am Main : Zweitausendeins, 1979. --  XLIV, 630 S. : Noten ; 21 cm. --  Nebentitel: Der grosse Steinitz. -- ISBN: 3-88436-101-5. -- Bd. II, S. 146ff]

2 Auguste Nélaton (1807 - 1873)

"Nélaton (spr. -tóng), Auguste, Mediziner, geb. 18. Juni 1807, gest. 21. Sept. 1873 in Paris, studierte in Paris, ward 1836 Chirurg an verschiedenen Hospitälern und habilitierte sich zugleich als Privatdozent bei der medizinischen Fakultät daselbst. 1851 wurde er Professor der chirurgischen Klinik, 1866 Leibchirurg des Kaisers und 1868 Mitglied des Senats. Einer der ausgezeichnetsten Chirurgen der Neuzeit, hat er sich besonders um die Steinoperation verdient gemacht. Er schrieb: »Traité des tumeurs de la mamelle« (Par. 1839); »Parallèle des divers modes opératoires dans le traitement de la cataracte« (1850); »De l'influence de la position dans les maladies chirurgicales« (1851); »Éléments de pathologie chirurgicale« (1844–60, 5 Bde.; 2. Aufl. von Jamain, Péan u.a., 1868–85, 6 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 ergo (lateinisch) = folglich

4 infallibel = unfehlbar



Abb.: Temporaliensperre. -- In Kladderadatsch. -- Nr. Jg. 25, Nr. 27, S. 108. -- 1872-06-16

Eine ganz neue Variante des alten Liedes: "Friss, Vogel, oder stirb!"

Erklärung:

Bismarck droht mit einer Temporaliensperre.

1 Temporaliensperre

"Temporalĭensperre, die Einbehaltung der aus staatlichen Mitteln fließenden Zuschüsse zu dem Amtseinkommen der Geistlichen. Sie findet als repressives Zwangsmittel der Staatsgewalt gegen renitente Geistliche Anwendung. In umfassendem Maß ist sie namentlich in Preußen während des Kulturkampfes gehandhabt worden, indem durch Gesetz vom 22. April 1875 (sogen. Sperrgesetz) die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die im § 1 aufgezählten Bistümer, deren Institute und Geistlichen allgemein angeordnet worden war (vgl. Kirchenpolitik, S. 51). Ob und inwieweit die T. auch als bloße Verwaltungsmaßregel ohne eine (allgemeine oder spezielle) gesetzliche Ermächtigung zulässig sei, ist bestritten. Vgl. Kahl, Über die T., besonders nach bayerischem Recht (Erlang. 1876)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Radikal, nicht palliativ1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 29/30, S. 120. -- 1872-06-30

: Das Aufstöbern hilft nichts, sie werden nur noch bissiger dadurch. Man muss sie entweder ganz in Ruhe lassen oder vollständig ausrotten; einen Mittelweg gibt's nicht.

Erläuterung:

1 Am 14. Mai 1872 schreibt Bismarcks Mitarbeiter Karl Ludwig Aegidi (1825 - 1901) an Heinrich von Treitschke: "Ja 'palliativ' — möchte es nur nicht so mit den Jesuiten gemacht werden. Sondern radicitus... Die Jesuitensache ist eine solche, die man nicht anfassen darf, wenn man sie nicht gleich töten will. Das Schlimmste ist, sie anregen und dann nichts dagegen oder so gut wie nichts tun. In diesen Fehler soll die Regierung nicht verfallen. Entweder — oder. Aut Caesar aut nihil."

[Quelle für die Erläuterung: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 518; 752, Anm. 32]


Vatikannegießereien. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 31, S. 121. -- 1872-07-07

So spricht des Kirchenstaates
Exfürst im Fürstenwahn,
So spricht der römische Vates1
Vom hohen Vatikan:

Groß Unheil ist gekommen,
Verfolgung und Schmach zugleich,
Ach! über alle Frommen
Im neuen Deutschen Reich.

Von Ketzerwut, von blinder
Wird dort die Kirche geplagt,
Und meine treusten Kinder
Hat man hinausgejagt!

Sie müssen hungern und dürsten
Und leiden Not zur Frist.
Weh über Bismarck, den Fürsten!
Weh über den Antichrist!

Er ist emporgestiegen
Zum mächtige Herrn der Welt,
Und von Triumpgh und Siegen
Ist ihm der Kamm geschwellt!

Wie er mit seinen Gesellen
Gefällt den gallischen Stamm,
So will er schlagen und fällen
Jetzt auch Ecclesiam2!

Er strebt in frevler Begierde
Nach Ruhm und Herrlichkeit;
Ihm fehlt des Mannes Zierde,
Die echte Bescheidenheit!

Ja, durch sein sündhaft Walten
Und böser Diener Tross
Tät sich das Reich gestalten
Zum mächtigen Koloss!

Doch hört, was als Bewahrer
Der Himmelsschlüssel ich schau,
Und was als unfehlbarer
Prophet ich künde genau.

Ein Steinchen wird sich lösen,
Und rollen zum Abgrund schnell;
Das wird dem Koloss, dem bösen
zerschmettern das Fußgestell!

Es werden des Riesen Gebeine
Daliegen hingestreckt,
Wie einst von Davids Steine3
Der Goliath ist verreckt!

Es wird im Himmelsgebäude
Drob großer Jubel sein,
Und werden darob vor Freude
Laut singen die Engelein! —

So spricht des Kirchenstaates
Exfürst im Fürstenwahn,
So spricht der römische Vates1
Vom hohen Vatikan.

Zu Bismarck eilt ein Bote:
Lies, was dir prophezeit!
Das Reich schütz, das bedrohte,
O Fürst vor solchem Leid!

Wie willst die Katastrophe —
O sprich! — abwenden du? —
"Was ich mir davor koofe!"4
Sprach's, lacht und ging zur Ruh.

Erläuterungen:

Papst Pius IX. hatte am 1872-06-24 in einer Rede an die Mitglieder des Deutschen Lesevereins gesagt::

"Wir haben es [in Deutschland] mit einer Verfolgung zu tun, die von weitem vorbereitet und jetzt ausgebrochen ist. Es ist der erste Minister einer mächtigen Regierung, der nach seinem siegreichen Erfolge im Felde nun sich auch an die Spitze dieser Verfolgung stellt . . . Wer weiß, ob nicht bald sich das Steinchen von der Höhe loslöst, das den Fuß des Kolosses zerschmetterta  Aber wenn Gott auch zulassen will, dass weitere Verfolgung kommt — die Kirche hat keine Furcht."

a Anspielung auf Daniel 2,44f.: "Aber zur Zeit solcher Königreiche wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird; und sein Königreich wird auf kein ander Volk kommen. Es wird alle diese Königreiche zermalmen und verstören; aber es selbst wird ewiglich bleiben; wie du denn gesehen hast einen Stein, ohne Hände vom Berge herabgerissen, der das Eisen, Erz, Ton, Silber und Gold zermalmte. Also hat der große Gott dem König gezeigt, wie es hernach gehen werde; und der Traum ist gewiss, und die Deutung ist recht." (Lutherbibel 1912)

1 vates (lateinisch):Prophet, Weissager

2 ecclesiam (lateinisch): die Kirche (Wenfall)

3 1. Samuel, Kapitel 17, 49: "Und David tat seine Hand in die Tasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte und traf den Philister [den Riesen Goliath] an seine Stirn, dass der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht."

4 "was ich mir dafür kaufe (wat ick mir dafor koofe)!: Ausdruck der Geringschätzung und Ablehnung. Wohl hergenommen von einer solch geringen Geldgabe, dass man mit ihr nichts kaufen kann. Berlin, spätestens seit 1840" [Küpper, Heinz: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. -- Berlin : Directmedia Publ.2000. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 36). -- ISBN 3-89853-136-8. -- s.v. "kaufen"]


In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 32, 2. Beiblatt. -- 1872-07-14

In jesuitischen Angelegenheiten befragt, erteilte ein Echo folgende Antworten:

Scisne, quid sit Jesuita? -- -- Ita!
Nonne sunt boni religiosi? -- -- O, si!
Nonne bene docent et disputant? -- -- Putant!
Nonne veram fidem introducunt in alienas terras? -- -- Erras!
Quomodo sunt constituti eorum praelati? -- -- Elati!
Qualem habent erga pauperes naturam? -- -- Duram!
Nonne illos prosequuntur amore? -- -- Ore!
Quid debeo facere, dum video Jesuitem venire? -- -- Ire!
Sed quid Deus dicet, quando venient Jeuitae? -- -- Ite!
Et quid paratum est viris tam dignis? -- -- Ignis!
Ibi ardebunt ad stramen? -- -- Amen!


Schreckliche, aber wahre Geschichte, so sich zugetragen zu Lautenberg1 in Westpreußen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 33, S. 131. -- 1872-07-21

Der Pfarrer Gorski zu Lautenberg
Nahm Fledermaus- und Katzenknochen
Und tät am Kreuzweg im finstern Wald
Sich eine Zaubersuppe kochen.

Der Pfarrer Gorski übte so
Die Kunst, unsichtbar sich zu machen;
Zwar wusst 's ganz Lautenberg, doch blieb
Er ruhig im Amt -- ist 's nicht zum Lachen?

Der Pfarrer Gorski hat heimlich auch
Manch falsches Tälerchen geschlagen;
Als das im Städtchen ruchbar ward,
Gleich kriegt' ihn die Polizei am Kragen.

Der Pfarrer Gorski, der gar fromm
Und salbungsvoll so oft gesprochen,
Unfehlbar wär er unsichtbar jetzt,
Hätt er nur -- seinen Katzenknochen!

Moral.

O Pfarrer Gorski, merk dir 's und bleib
Doch künftig von solchen Zaubersachen!
Es ist wohl leicht, unfehlbar zu sein,
Doch schwer, unsichtbar sich zu machen.

Erklärung:

1 vermutlich richtig: Lautenburg (heute: Lidzbark)


 


Abb.: Zu früh! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 35, S. 140. -- 1872-07-04

Fürst Bismarck soll in Varzin1 begonnen haben, seine Memoiren zu schreiben. Da erscheint ihm eines Nachts ein Jesuit, um ihn daran zu erinnern, dass noch Viel zu tun übrig sei, ehe er an den Abschluss seiner sämtlichen Werke denken könne.

Erläuterung:

Nachgebildet dem Wurf Luthers mit dem Tintenfass gegen den Teufel auf der Wartburg.

1 Varzin: Dorf und Rittergut im preußischen Regierungsbezirk Köslin, Kreis Rummelsburg, seit 1867 in Bismarcks Besitz, wo er gern zur Erholung weilte, heute: Warcino (Polen)



Abb.: Frommes Werk. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 41, S. 164. -- 1872-09-08

Ein Jesuitenpater in Pechschwarzenhausen soll so fromm sein und stets so nach oben blicken, dass er bereits zwei Löcher durch seine Hutkrempe gesehen hat.


Zur Erinnerung an den Fuldaer Kongress1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 43, S. 169. -- 1872-09-22

Durch den Dom von Fulda traurig
Zieht der Waller fromme Menge,
Hoch zur Kuppel tönen schaurig
Orgelklang und Klaggesänge.
Matt nur flackern dürftge Kerzen,
Schwarz verhüllt sind die Altäre,
Und aus angsterfüllten Herzen
Schallt ein dumpfes Miserere2.

Und voran dem Zuge schreitet
Melchers3 mit dem Silberstabe,
Und die Hirtenbrüder leitet
Er zu Bonifacii4 Grabe.
Und der Krypta Marmorstufen
Steigen mit fürsichtger Zehe
Sie hinab, und schmerzlich rufen
Sie ein schrecklich: "Wehe! Wehe!"

"Weh!" -- so spricht der Herr vom Sande5,
So von Breslau kam schritten --
"Welches Unheil, welche Schande
Haben, Brüder, wir erlitten!
Denn in unsre Hürden kommen
Ist der Wolf, der Lämmerwürger!" --
Beifall nickten ihm die frommen
Straß-. Augs-, Würz- und Regensbürger.

"Weh dem Mann" -- beginnt ein Andrer,
So von München kam geschritten --
"Der hinaus als arme Wandrer
Jagt die biedren Jesuiten!
Dass er sie hinausgetrieben,
Ist ein Frevel, ein immenser!" --
Beifall nickten da die lieben
Rotten-, Frei- und Limburgenser.

"Weh!" -- so rief von Mainz der Kettler6 --
"Luch den übermütgen Großen!
Wie man jene hetzt als Bettler,
Wird man einst auch uns verstoßen.
Weh! Schon seh ich blutge Körner
Reifen aus dem blutgen Keime." --
Bravo! -- rief der Paderbörner,
Amen! -- der von Hildesheime.

Doch, entsandt vom Ermelander7
Bischof, rief Herr Pope8 grollend:
"Weh uns Allen miteinander!" --
Und, die Augen furchtbar rollend,
Sprach er: "Meinem lieben Herren
Droht Verhungern und Verdürsten;
Denn die Temporalia9 sperren
Will man meinem gnädgen Fürsten!"

Und Entsetzen hob und Murren
Sich da bei des Popen Klagen;
Manchem war, als hört er knurren
Schon vor Hunger seinen Magen.
Bamberg, Culm und Münster dachten:
Herr, erlös uns von dem Übel!
"Weh!" -- rief Fulda -- "Wir verschmachten!" --
"'s ist entsetzlich!" -- rief Herr Kübel10.

Drauf der Gruft entstiegen wieder,
Sangen sie in Trübsinns Schwere
Ihre alten Klagelieder:
Miserere! Miserere!2
Doch ich weih mitleidge Schmerzens-
Tränen dem Episkopate,
Und ich schreie vollen Herzens:
Völker Deutschlands, jubilate!11

Erklärungen:

1 der Fuldaer Bischofkonferenz 1872

2 Miserere!

"Miserēre (lat., »erbarme dich«), kath. Kirchengesang, dem als Text der 57. Psalm (in der Vulgata mit den Worten: »Misrere mei, Domine« beginnend) zugrunde liegt, und der an den Mittwochen und Freitagen der Fastenzeit, insbes. in der Karwoche, regelmäßig aber beim Begräbnisgang und als Bußgesang (besonders in Klöstern), gesungen wird. Berühmte M. sind die von Allegri, Palestrina, Baini, Orlando di Lasso."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Paulus Melchers (1813 - 1895): Erzbischof von Köln 1866 -1885. Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz 1867 - 1885

4 Hl. Bonifatius (672/75 - 754): Apostel der Deutschen. Seine Grabstätte ist im Dom zu Fulda.

5 nach der Breslauer Sand- und Dominsel. Fürstbischof von Breslau war 1873 - 1875 Heinrich Förster (1799 - 1881)

6 Wilhelm Emmanuel Freiherr von Kett(e)ler (1811 - 1877): Bischof von Mainz 1850 - 1877

7 Philipp Krementz (1819 - 1899): Bischof von Ermland 1868 - 1885. 1872 exkommunizierte er fünf Geistliche seiner Diözese, die die Unfehlbarkeit des Papstes leugneten, was zu einem Konflikt mit dem Preußischen Staat führte. Der Konflikt endete am 25. September 1872 mit der Sperrung der Temporalia.

8 Pope

9 Temporalia: staatliche Zuwendungen zum Unterhalt der Geistlichen

10 Lothar von Kübel (1823 - 1881): Bischofsverweser des  Erzbistums Freiburg 1868 - 1881



Abb.: Modern-Französisch. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 43, S. 172. -- 1872-09-22

Wallfahrt der ältesten Töchter1 der Kirche nach Lourdes, am kommenden 6. Oktober1.

Erklärung:

1 Frankreich trägt den Ehrennamen "älteste Tochter der Kirche" ("fille ainée de l'Eglise") (Ludwig IX. = Ludwig der Heilige, 1214 - 1270)

2 Damals kamen aus allen Gegenden Frankreichs Pilger nach Lourdes und trugen ihre regionalen Banner (Prozession der Banner), deshalb hieß diese Wallfahrt  «pèlerinage de bannières».



Abb.: Illustrierte Rückblicke vom 1. Juli bis Ende September. <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 44/45, S. 180. -- 1872-09-29

Die Reise-Saison beginnt schon früh. Es richtet sich der Hauptstrom der das Weite suchenden, mit dem vom Reichstage geschriebenen Führer aus Deutschland in der Hand, nach Tirol und dem schönen Italien.1 Der heilige Vater, welchem schon längere Zeit der Vatikan zu eng ist, sieht sich bei der jetzt herrschenden Wohnungsnot vergebens nach  einem bequemeren Unterkommen um. Pater Hyacinth3 tritt, um nicht den Beispielen Gabriels und Dufours zu folgen, in den Ehestand und gibt sich selbst den Segen. Als ob die Pfaffen sich nicht ohnehin schon über Gebühr vermehrten!
  Man sollte es mit den Herren Klerikalen nicht zu weit treiben! Es wäre doch entsetzlich, wenn sie, durch die Temporaliensperre2 gereizt, Streik machten, die Lokale schlössen und über uns eine Aeternaliensperre verhängten.  

Erklärungen:

1 durch Reichsgesetz vom 4. Juli 1872 wird im Deutschen Reich der Jesuitenorden verboten.

2 Temporaliensperre: Sperre der staatlichen Zuwendungen zum Unterhalt der Geistlichen. (Temporalia  = Zeitliches -- Aeternalia = Ewiges)

3 Pater Hyacinth = Charles Losyson (1827 - 1912) (siehe unten!)


Der  arme Krementz1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 46, S. 181. -- 1872-10-06

Ein neues Lied nach alter Melodei2.

Was fang ich armer Bischof an?
Erbarme dich o Herre!
Jetzt macht mich zum geschlagnen Mann
Die Temporaliensperre.
Nicht einen Groschen krieg ich mehr,
Das grämt mich und betrübt mich sehr.
O jerum, jerum, jerum!
O quae mutatio rerum!3

Dass just der Schlag mich treffen muss
In diesen schweren Zeiten!
Wie soll ich armer Klerikus
Den Haushalt nun bestreiten?
Allüberall die Wohnungsnot,
Das teure Bier, das kleine Brot!
O jerum, jerum, jerum!
O quae mutatio rerum!

O heilger Vater, nimm 's nicht schief,
Wenn ich dir nichts mehr sende;
Ich schickte dir ja manchen Brief
Mit mancher fetten Spende.
Jetzt hab ich nichts als mein Brevier --
Hast du was übrig, schick es mir!
O jerum, jerum, jerum!
O quae mutatio rerum!

Wer konnte denken, dass der Staat
Im Stande sei, Ernst zu machen?
Er hat sich aufgerafft zur Tat,
Nun ist vorbei mein Lachen.
Getroffen ist der wunde Punkt,
Jetzt bin ich arm wie ein Adjunkt4!
O jerum, jerum, jerum!
O quae mutatio rerum!

Hätt ich geahnt die Kümmernis,
Die plötzlich sollte kommen,
Ich hätt vielleicht, ich hätt gewiss
Ganz anders mich benommen.
Kein süßes Wort hätt ich gespart --
Ich war zu schroff, ich war zu hart!
O jerum, jerum, jerum!
O quae mutatio rerum!

Jetzt hab ich wieder traurig mich
Ums trockne Brot zu quälen.
Den Schaden hab ich, sicherlich
Wird auch der Spott nicht fehlen!
Nun wünsch ich nur -- des wär ich froh --
Den Andern ging 's auch ebenso!
O jerum, jerum, jerum!
O quae mutatio rerum!

Erklärungen:

1 Bischof Philipp Krementz von Ermeland (Bezirk Königsberg), der sich der Regierungsgewalt nicht fügen wollte. Darauf verhängte man über ihn die Temporaliensperre, d.h. es wurde ihm 1872-09-25 sein staatliches Einkommen von der preußischen Staatsverwaltung entzogen.

"Krementz, Philipp, Kardinal und Erzbischof von Köln, geb. 1. Dez. 1819 in Koblenz, gest. 6. Mai 1899 in Köln, Sohn eines Fleischers, studierte seit 1837 in Bonn und München Theologie und wurde 22. Okt. 1842 in Trier Priester. Nacheinander Kaplan an der St. Kastorkirche in Koblenz, seit 1846 Religionslehrer an der Ritterakademie in Bedburg, seit 1849 Pfarrer von St. Kastor in Koblenz, auch Dechant und Ehrendomherr, stand er als Prediger und Seelsorger in großem Ansehen. Am 22. Okt. 1867 zum Bischof von Ermeland gewählt und 24. Mai 1868 in Frauenburg inthronisiert, gehörte er auf dem vatikanischen Konzil 1869-70 zu der gegen die kurialistischen Tendenzen opponierenden Minderheit, veröffentlichte 19. Febr. 1870 eine Erklärung gegen Döllingers Kritik des die päpstliche Infallibilität betreffenden Antrags, unterzeichnete aber noch die Erklärung, die vor der entscheidenden Sitzung vom 18. Juli 1870 die Opposition dem Papst überreichte. Ende August d. J. nahm er an der Versammlung deutscher Bischöfe in Fulda teil, unterzeichnete den Hirtenbrief und verkündete das Infallibilitätsdogma bald darauf in seiner Diözese und schloss sich durch Unterzeichnung der Hirtenbriefe vom Mai 1871 den entschieden infallibilistischen Bischöfen an. Im März 1872 geriet K. in Konflikt mit der preußischen Staatsregierung, indem er sich hartnäckig weigerte, die Staatsgesetze ohne Vorbehalt anzuerkennen, und der am 25. Sept. 1872 mit der Sperrung der Temporalien endete. Weitere Konflikte vermeidend, entging K. der Absetzung und ward auf Wunsch der preußischen Regierung 1885 an Stelle von P. Melchers Erzbischof von Köln. 1893 erhielt er die Kardinalswürde."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Nach dem Studentenlied "Was fang ich armer Teufel an?"; Melodie: O alte Burschenherrlichkeit

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/oaltebur.html. -- Zugriff am 2008-01-09]

3 O quae mutatio rerum: O welche Änderung der Zustände!

4 Adjunkt = Amtsgehilfe


Wiener Geschichten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 46, S. 183. -- 1872-10-06

Ein böser Bub ward arretiert.
Was tat er?
Hat eine Dame attackiert
Im Prater.
Wild frevelnd -- denkt! -- bei Tageslicht
Ihr naht er.
Und wer war dieser Bösewicht?
Ein Frater
Vom Orden mit die bare Füß1.
O Pater!
Nun sitzt er, dass er schrecklich büß,
Der Kater.
Wenn nur die Dam -- so seufzet schwer
Der Pater --
Nicht gar so alt gewesen wär
Im Prater.

Erklärung:

1 d.h. vermutlich ein Franziskaner strenger Observanz.



Abb.: Endlich! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 46, S. 184. -- 1872-10-06

Der Fürst Bismarck wird es müde, seine Nase als ein öffentliches Vergnügungslokal betrachtet zu sehen.

Erläuterung:

Temporalia: alle mit der Verwaltung eines bestimmten kirchlichen Amtes verbundenen Einkünfte an Geld, Naturalien und sonstigen Gefällen, also die dem Amtsträger zustehenden individuellen Vermögensrechte (siehe unten!)


Die heilige Grotte von Lourdes1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 47, S. 185. -- 1872-10-13

War einst zu Lourdes ein Edeljungfräulein,
Des Herzlein Amors Feuerpfeil entflammten;
Sie liebte -- einen Rittersmann? O nein.
Sie liebte einen jungen Zollbeamten.

Sie durft es ihrer Sippe nicht gestehn,
Der altblaublütigem Geschlecht entstammten;
Nur heimlich und verstohlen konnt sie sehn
Den Mann der Liebe, ihren Zollbeamten.

An trautem Ort, von Efeu überdacht,
Ganz nah bei Lourdes ist eine stille Grotte;
Dort traf das Liebespaar sich manche Nacht
Und opferte dem Amor, ihrem Gotte.

Einst aber ward das süße Stelldichein
Gestört des Zöllners und der edlen Schönen;
Zur Grotte kam ein Bauernmägdelein2 --
Vielleicht, um gleichem Opferdienst zu fröhnen.

Der junge Zöllner eilt in stummer Hast
Erschreckt davon und mit verstörter Miene;
Das Edelfräulein, aber schnell gefasst --
Sie hatte wohl schon einige Routine --

Gar schnell gefasst und festen Muts trat sie
Mit sichrem Schritt der Bauernmaid entgegen:
"Ich bin die Jungfrau! Nieder auf die knie!
Empfang aus meiner Hand des Himmels Segen!"

Gläubigen Sinns verkündete die Magd
Das Winder jetzt der himmlischen Erscheinung;
Bald war In Lourdes, vom Zweifel unbenagt,
Auch überzeugt die öffentliche Meinung.

Die heilge Grotte ward zum Wallfahrtsort
Erklärt von Männern, Frauen, Kindern, Greisen;
Gegründet ward ein Eremit sofort
Und auch ein Gastwirt mit erhöhten Preisen.

Auch ein unschuldig Quellchen, klar und kalt,
Ward durch der Jungfrau Huld zum Wunderbronnen;
So ward die wundertätigste sie bald
Von allen wundertätigen Madonnen.

Nach Lourdes wallfahrten aus Fern und Näh
Die Laien jetzt und Priester aller Orden;
Aus purem Brotneid ist zu Verdelais3
Das Muttergottesbild ganz schwarz geworden.

Voltaires und Rousseaus großes Vaterland,
Heut eilt nach Lourdes es hin zur heilgen Grotte;
Es bringt die Republik mit offner Hand
Dort Liebesopfer dem -- Froschdorfer Gotte!

Du, Frankreich, hast erwählt das beste Teil --
Schick deine Völker immerhin nach Lourdes!
In dem Vernünftgen ist für dich kein Heil --
Ein ander Bild! Es lebe das Absurde!

Erklärungen:

1 Lourdes

"Lourdes (spr. lurd'), Stadt im franz. Depart. Oberpyrenäen, Arrond. Argelès, 386–420 m ü. M., in schöner Gebirgsgegend am rechten Ufer des Gave de Pau, Knotenpunkt der Südbahn, hat ein ehemals festes Schloss (teilweise aus dem 14. Jahrh.), das malerisch auf einem Felsen über der Stadt liegt und jetzt als Gefängnis dient, eine neue Pfarrkirche im romanischen Stil, einen Gerichtshof, eine Ackerbauschule, Marmor- und Schieferbrüche, starken Viehhandel und (1901) 7843 (als Gemeinde 8708) Einw. 1,5 km östlich liegt der neue Stadtteil (Massabielle oder Grotte) mit der berühmten Grotte, in der 1858 die Jungfrau Maria der 14jährigen Bernadette Soubirous (gest. 1879) erschienen sein soll, und die, namentlich seit 1870, den Anziehungspunkt für zahlreiche Wallfahrer bildet (jährlich bis 500,000). Das Wunder wurde 1862 durch den Bischof von Tarbes anerkannt; 1891 wurde von Leo XIII. ein Fest der Erscheinung (11. Febr.) eingeführt. In der Grotte befindet sich eine Marienstatue und die wundertätige Quelle, deren Wasser auch in Flaschen weithin versandt wird. Der neue Stadtteil enthält die Kirchen Notre-Dame (1864 bis 1870 im Stile des 13. Jahrh. erbaut, mit zahlreichen Kunstwerken) und du Rosaire (1884–89 im byzantinischen Stil ausgeführt), außerdem mehrere Kapellen, Klöster, Hotels, Verkaufsläden etc. In der Nähe drei andre Grotten und westlich der See von L. (48 Hektar). "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Bernadette Soubirous (1844 - 1879)

3 Verdelais, département de la Gironde, région Aquitaine. Wallfahrtskirche: Basilique Notre-Dame de Verdelais mit Gnadenbild (aber keine schwarze Madonna)


Die Maße. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 47, S. 187. -- 1872-10-13

Zum Messen braucht man Mancherlei:
Das Korn misst man mit Scheffeln;
Mit Litern kalt und heißen Brei,
Die Medizin mit Löffeln,
Mit Ellen misst man Leinewand,
Die Luft mit Barometern,
Mit Rut und Fuß Das Ackerland,
Mit Takten bei Trompetern.
Der Weisheit Maß ist Salomo,
Jedoch damit steht es so so!
Der Torheit Maß? Das kenn ich,
Das ist -- der Peterspfennig1.

Erklärung:

1 Peterspfennig

"Peterspfennig (Peterpenny, lat. Denarius Petri), Abgabe, die von Ina, König von Wessex, 725 n. Chr. in der Absicht eingeführt worden sein soll, davon in Rom eine Herberge für die angelsächsischen Pilger einzurichten. Diese Schola Anglorum hat jedenfalls Äthelwolf 855 wiederhergestellt und bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich den Grund zu jener drückenden Abgabe gelegt, die anfangs einen Silberpfennig von jeder ansässigen Familie betrug. Der P. wurde auch in Dänemark und Polen seit dem 11. Jahrh., in Schweden, Norwegen, Island seit dem 12. Jahrh. gezahlt, in Preußen aber im 14. Jahrh. ebenso vergeblich wie in Frankreich im 11. Jahrh. eingefordert. Mit der Reformation erlosch der P. als Abgabe. Als Liebesgabe für den Papst ist der P. seit der Wegnahme des Kirchenstaates eine regelmäßig sowie bei besondern Anlässen statthabende, freiwillige Sammlung der Katholiken aller Länder für die Bedürfnisse des Päpstlichen Stuhls (s. d.), da der Papst den ihm vom italienischen Garantiegesetz bestimmten Gehalt nicht erhebt. Der P. betrug früher im Durchschnitt etwa 5 Mill. Lire, ist aber seit 1900-05 auf 2 1/2 Mill. zurückgegangen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Hefele1 und Konsorten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 49, S. 194. -- 1872-10-27

Sämtliche Deutsche Bischöfe haben den Bischof Hefele wegen seiner Glaubenstreue beglückwünscht. (S. die Zeitungen der letzten Woche.)

Sie möchten ihr Gewissen gern beschwichtgen,
Indem sie Jenen loben, weil er tat
Das Schlimme, dessen selbst sie sich bezichtgen --

Weil er, gleich ihnen, von der Wahrheit Pfad
Gewichen ist, erschrocken und mit Bangen,
Gleich ihnen hörend auf der Schlechten Rat.

Da kam der Glaube, als der Mut gegangen,
Als sie verlassen Kraft und Männlichkeit,
Und als die Scham entflohn von ihren Wangen.

Ihr Herz erbebte vor dem großen Streit,
In welchen halb schon sie hineingerissen
Sich wähnten -- der  nur Qual verhieß und Leid.

Ihr  Geist erschrak vor all den Hindernissen,
Die vor sich endlos sie gelagert sahn --
Da suchten sie zu binden das Gewissen.

Da widersprachen nicht mehr sie dem Wahn
Und beugten Rom sich schmeidig und gefüge,
Mit Andern wallend auf der breiten Bahn.

Doch wer das Herz auf seinen Lippen trüge,
Der nennte, was er seine Schäflein lehrt,
Vielleicht auch heut noch "Albernheit" und "Lüge".

Hervorgegangen sind sie unversehrt
Aus Kämpfen,  die so manches Herz verwirrten --
Fürwahr des größten Lobes sind sie wert!

O würdiges Konsortium von Hirten!
Wie treue Wächter seid ihr eurer Schar,
Und welche Führer seid ihr den Verirrten!

Mag auch vergehn darüber Jahr um Jahr,
Doch wird es niemals Deutschland euch vergessen,
Wie ihr gekämpft für Krone und Altar!

Dass sich von euch nicht Einer hat vermessen,
Zu schwimmen wider den gewaltgen Strom,
Dass auch nicht einer solchen Mut besessen!

Was "Glaubenstreu" in Welschem Idiom
Genannt wird -- ihr bewährt es, euer Scherge
Wird 's euch versichern, euer Gott in Rom --

"Treulosigkeit" heißt es diesseits der Berge.

Erklärung:

Obwohl die deutschen Bischöfe beim 1. Vatikanischen Konzil mehrheitlich gegen das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes waren, haben sich alle dem Dogma unterworfen.

1 Karl Joseph von Hefele (1809 - 1893): Bischof von Rottenburg 1869 - 1893

"Hefele, Karl Joseph von, kath. Theolog, geb. 15. März 1809 zu Unterkochen in Württemberg, gest 5. Juni 1893 in Rottenburg, wurde 1834 Repetent am theologischen Konvikt, 1840 ordentlicher Professor an der theologischen Fakultät zu Tübingen und 1869 Bischof von Rottenburg. 1842–43 war er auch Mitglied der württembergischen Ständeversammlung. Unter seinen Werken sind zu nennen die Ausgabe der Apostolischen Väter (»Patrum apostolicorum opera«. Tübing. 1839; 4. Aufl. 1855) und der »Chrysostomus-Postille« (Übersetzung von 74 Predigten, das. 1845; 3. Aufl. 1857); »Geschichte der Einführung des Christentums im südwestlichen Deutschland« (das. 1837); »Der Kardinal Ximenes und die kirchlichen Zustände Spaniens im 15. Jahrhundert« (das. 1844; 2. Aufl., das. 1851); »Beiträge zur Kirchengeschichte, Archäologie und Liturgik« (das. 1864–65, 2 Bde.); vor allem die »Konziliengeschichte« (Freiburg 1855–1869, 7 Bde.; 2. Aufl. 1873–79, 4 Bde.; Fortsetzungen beider Auflagen von Hergenröther, 8. und 9. Bd. 1887–90, und von Knöpfler, 5. und 6. Bd., 1886 bis 1890). Als ein gefährlicher Gegner der Infallibilitätslehre erwies er sich in seinen beiden Schriften über die Honoriusfrage (»Honorius und das sechste allgemeine Konzil«, Tübing. 1870, und »Causa Honorii papae«, Neapel 1870; deutsch von Rump, Münster 1870). 1871 unterwarf er sich dem neuen Dogma, indem er ihm in einem Hirtenbrief eine gezwungene Auslegung gab. Immerhin verschonte er seine Professoren und Pfarrer mit der Forderung ausdrücklicher Zustimmung und bewahrte auf solche Weise Württemberg vor dem Schisma."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Süd und Nord. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 49, S. 196. -- 1872-10-27

Wenn in Frankreich eine beim Rendez-vous überraschte Dame sich für "die Jungfrau" ausgibt, dann wird die Grotte heilig gesprochen, eine ewige Lampe angesteckt, und es werden Wallfahrten dahin von Stangen veranstaltet.1 Wenn in einem Belgischen Eisenbahncoupé eine Dame beim tète-à-tète durch den Schaffner gestört wird und sich für eine Jungfrau ausgibt, glaubt man es ihr nicht, auch wenn ein Pfaffe dabei sitzt. Wenn in Berlin bei Nacht eine einzelne Jungfrau in der Friedrichsstrasse auf die Wallfahrt geht -- sagt sie es schon gar nicht, sondern wird einfach von Madal eingesteckt.

Erklärung:

1 Lourdes. Siehe oben



Abb.: Zur Naturgeschichte des Dompfaffen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 25, Nr. 50, 1. Beiblatt. -- 1872-11-03

Der eigensinn'ge Dompfaff wird
Durch Fasten, wie man sagt, gekirrt,
So dass er endlich pfeifen muss
In puris temporalibus.1

Erläuterung:

Bezieht sich auf den Bischof Philipp Krementz von Ermeland (Bezirk Königsberg), der sich der Regierungsgewalt nicht fügen wollte. Darauf verhängte man über ihn die Temporaliensperre, d.h. es wurde ihm 1872-09-25 sein staatliches Einkommen von der preußischen Staatsverwaltung entzogen.


Abb.: Philipp Krementz [Bildquelle: Otto, Bertram <1924 - >: 100 Jahre Nacht und Tag : Geschichte d. dt. Katholizismus zwischen 1868 u. 1968. -- Bonn : Borromäusverein, 1968. --  353 S. : Ill. ; 8°. -- S. 85]

1 in puris temporalibus: in rein zeitlichen Dingen


1873


Berliner Empfindungen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 3, S. 10. -- 1873-01-19

Schon wieder ist mir wunderlich, konsistorialabsunderlich1,
So orthodoxhinkauerlich und henkerblocköbeschauerlich,
So ketzerscheiterhäuferlich und salbungsüberträferlich,
So jesuitenregelig, sophistenmystischhegelig,
So seelenbauernfängerlich, so frommkopfundzopfhängerlich,
So sydowitensiederlich2, sterngucklich und kernliederlich,
So Ducherowsalbaderlich5 und Büchseltorquemaderlich6,
So bullendonnerpolterhaft7, stahnvatikanhaftpolterhaft8,
So höllenpfuhldurchwühlerisch, so eichhornraumermühlerisch9,
Empfängnisuntersucherlich10 und zweifelspottverflucherlich,
So himmelswonnenfieberlich und Knakhaftsonnenschieberlich11,
So lämmerbrüderlämmerlich12, mit einem Wort so -- jämmerlich!

Erklärungen:

1 konsistorialabsunderlich: Konsistorium = oberste protestantische Behörde, durch die der Landesherr das im zustehende Kirchenregiment tatsächlich ausübt

2 sydowitensiederlich:

"Sydow, Adolf, prot. Theolog, geb. 23. Nov. 1800 in Charlottenburg, gest. 22. Okt. 1882 in Berlin, einer der treuesten Schüler Schleiermachers, 1836 Hofprediger in Potsdam, 1846 Prediger an der Neuen Kirche in Berlin, wurde von Friedrich Wilhelm IV. zur Beobachtung der kirchlichen Zustände nach England geschickt und gab ein von der Königin Viktoria veranlaßtes Gutachten über die schottische Kirchentrennung heraus: »Die schottische Kirchenfrage« (Potsd. 1845). Eine gegen ihn wegen eines Vortrags: »Über die wunderbare Geburt Jesu« (gedruckt in der Sammlung »Protestantischer Vorträge«, Berl. 1873) eingeleitete Disziplinaruntersuchung endete 1873 mit einem »geschärften Verweis« (vgl. darüber die von S. veröffentlichten »Aktenstücke«, 2. Aufl., Berl. 1873). Bald darauf trat er in den Ruhestand. Sein Lebensbild schrieb seine Tochter Marie S. (Berl. 1885)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Ducherowsalbaderlich: (evangelisches) Missionsproseminar Bugenhagenstift Ducherow

6 Büchseltorquemaderlich

Karl Büchsel (1803 - 1889)

"Büchsel, Karl (Albert Ludwig), evang. Theologe, geb. 2.5.1803 Schönfeld/Uckermark, gest. 14.8.1889 Berlin
B. studierte in Berlin Mathematik und Theologie u.a. bei August ->Neander und wurde 1827 Hilfsprediger in Schönwerder. 1829 kam er als Pfarrer nach Schönfeld, wurde 1841 Superintendent in Brüssow in der Uckermark und 1846 Pfarrer an der neugegründeten Matthäuskirche in Berlin. 1853-84 war er Generalsuperintendent für die Neumark und die Niederlausitz, seit 1858 Leiter des Elisabethkrankenhauses und der Goßnerschen Missionsgesellschaft. Bekannt wurde er durch seine auf Anregung Ernst Wilhelm ->Hengstenbergs veröffentlichten Erinnerungen eines Landgeistlichen (5 Bde., 1865-97)."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

Thomas de Torquemada (1420 - 1498)

"Thomas de Torquemada, span. Inquisitor, geb. 1420 in Valladolid, gest. 16. Sept. 1498 im Kloster von Avila, getaufter Jude, war 22 Jahre lang Prior des Dominikanerklosters in Segovia, 1482 Adjunkt der Inquisition, seit 1483 General- oder Großinquisitor in Kastilien und Aragonien. Als solcher hat er seinen Namen mit Fluch und Blut beladen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 eichhornraumermühlerisch

Johann Albrecht Friedrich Eichhorn (1779 - 1856)

"Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich, preuß. Staatsmann und Rechtsgelehrter, geb. 2. März 1779 in Wertheim a. M., gest. 16. Jan. 1856 in Berlin, studierte 1796–99 die Rechte und Geschichte in Göttingen, trat 1800 in den Justizdienst und wurde 1810 Kammergerichtsrat und zugleich Syndikus bei der neuerrichteten Universität zu Berlin. Dem Kreise patriotischer Männer, die an Preußens Wiedergeburt arbeiteten, angehörend, ward E. 1813 Mitglied des Ausschusses für Landwehr und Landsturm zu Berlin und folgte im August d. J. als Freiwilliger dem Blücherschen Hauptquartier. Nach der Einnahme von Leipzig vom Minister vom Stein zum Mitglied der Zentralverwaltung der gegen Frankreich verbündeten Mächte über die eroberten deutschen Lande berufen, beschrieb C. die Wirksamkeit derselben in der anonymen Schrift »Die Zentralverwaltung der Verbündeten unter dem Freiherrn vom Stein« (Deutschland 1814). 1815 mit der Unterstützung des Ministers Altenstein in der Verwaltung der besetzten französischen Provinzen beauftragt, sorgte er für die Wiedererlangung der geraubten deutschen Schätze der Wissenschaft und Kunst. Sodann zum Geheimen Legationsrat im Ministerium des Auswärtigen, später zum vortragenden Rat bei dem Staatskanzler v. Hardenberg und 1817 zum Mitglied des Staatsrats ernannt, bearbeitete E. besonders die deutschen Angelegenheiten, erwarb sich um die Gründung des Zoll vereins die größten Verdienste und war unausgesetzt dafür tätig, Preußens Einfluß in Deutschland zu verstärken. Seit 1831 Direktor im Ministerium des Auswärtigen, ward er im Oktober 1840 zum Minister für die geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten ernannt, suchte in Übereinstimmung mit Friedrich Wilhelm IV. die Kirchlichkeit im Volk zu heben, begünstigte die durch die Hengstenbergsche »Kirchenzeitung« vertretene Partei und rief dadurch Unwillen, an manchen Orten auch Austrittserklärungen von Geistlichen und die Stiftung der sogen. Freien Gemeinden hervor. Durch Errichtung der katholischen Abteilung in seinem Ministerium erleichterte E. die Emanzipation der kathol ischen Kirche von der Staatsaufsicht und förderte Ultramontanismus wie die pietistisch-orthodoxe Richtung im Protestantismus. Nach dem Ausbruch der Bewegung von 1848 trat E. 19. März zurück. 1850 war er Mitglied des Erfurter Staatenhauses."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Karl Otto von Raumer (1805 - 1859)

"Raumer, Karl Otto von, preuß. Staatsmann, geb. 7. Sept. 1805 zu Stargard in Pommern, gest. 6. Aug. 1859 in Berlin, Sohn des 1831 verstorbenen preußischen Generalleutnants Karl Friedrich Albert von R., Vetter des vorigen, studierte die Rechte, wurde 1834 Regierungsrat in Posen und Frankfurt a. O., 1840 Hilfsarbeiter im Finanzministerium, 1841 vortragender Rat im Ministerium des Innern, 1845 Regierungspräsident in Königsberg, dann in Köln, 1848 in Frankfurt a. O. und verwaltete unter Manteuffel 1850–58 das Unterrichtsministerium. Ein Hauptvertreter der orthodox-absolutistischen Reaktion, wurde er wegen der 1854 erschienenen sogen. (Stiehlschen) »Regulative«, die das christlich-kirchliche Element zum Fundament der Volksschule machen sollten, heftig angefeindet. Vgl. »Der Staatsminister von R.« (Berl. 1860)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Heinrich von Mühler (1813 - 1874) und seine Gattin Adelheid, geborne v. Goßler (gest. 1901)

"Mühler, Heinrich von, preuß. Kultusminister, Sohn des vorigen, geb. 4. Nov. 1813 in Brieg, gest. 2. April 1874 in Potsdam, studierte 1830–35 die Rechte, kam 1840 als Hilfsarbeiter ins Kultusministerium und wurde besonders bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung der evangelischen Kirche beschäftigt, 1846 auch der Generalsynode als Sekretär beigegeben; damals schrieb er auch eine »Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der Mark Brandenburg« (Weim. 1846). 1846 vortragender Rat im Kultusministerium, 1849 Mitglied des Oberkirchenrats geworden, half er diese neue Behörde organisieren und ihren Geschäftsbereich abgrenzen. Zugleich bildete sich unter dem Einfluss seiner ehrgeizigen, frömmelnden Gattin Adelheid, geborne v. Goßler (gest. 4. Okt. 1901), eine Hinneigung zum Pietismus aus, die seine liebenswürdigen Eigenschaften, Geist, Gemüt und gesellige Talente, wie sie seine »Gedichte« (Berl. 1842; 2. Aufl., Jena 1879) bekunden, unterdrückte. Als er 18. März 1862 im Ministerium Hohenlohe die geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten übernahm, trat er als gewandter Jurist mit wohlgebildeten Phrasen über die Pflichten der von Gott eingesetzten Regierung den ebenfalls vagen Angriffen der Opposition entgegen, tat aber in der eigentlichen Verwaltung seines Amtes im wesentlichen nichts, ging der Entscheidung aller Prinzipienfragen aus dem Wege, kam den kirchlichen Behörden stets in geradezu verderblicher Weise entgegen und gestattete seiner Frau in wichtigen Dingen entscheidenden Einfluss. Immer größer wurde die Missstimmung gegen ihn, die auch sein schwächlicher Versuch, nach dem Vatikanum der katholischen Hierarchie entgegenzutreten, nicht beschwichtigte. Im Januar 1872 entlassen, schrieb er in Potsdam »Grundlinien einer Philosophie der Staats- und Rechtslehre nach evangelischen Prinzipien« (Berl. 1873)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8 bullendonnerpolterhaft: päpstliche Bullen (= Erlasse)

9 stahnvatikanhaftpolterhaft: Stahn: Konsistorialrat

10 Empfängnisuntersucherlich: Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Maria (immaculata conceptio) vom 8. Dezember 1854

11 Knakhaftsonnenschieberlich: Gustav Friedrich Ludwig Knak (1806 - 1878): evangelischer Erweckungsprediger, Förderer des Missionsgedankens und viel beachteter Kirchenlieddichter. Vertrat und verteidigte das biblisch-antike - geozentrische - Weltbild. Die Evangelischen gedenken seiner am 27. Juli.



Abb.: Schwarzer Schmerzensschrei. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 4, S. 16. -- 1873-01-26

Nachdem wir schon an die tausend Jahr Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt, sollen wir sie jetzt auch noch halten? Und obenein noch das Abiturienten-Examen ablegen? Heiliger Moretto1, wo bleibt da die Frömmigkeit?

Erklärung:

Bezieht sich auf die Beratungen zur sogen. Maigesetzgebung von 1873. Im Gestz 11. Mai über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen wird von Geistlichen Universitätsbildung und damit Abitur verlangt

1 Alessandro Bonvicino, genannt Moretto (1498 - 1555):  italienischer Maler



Abb.: Der leibhaftige Schwarze. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 7/8, S. 32. -- 1873-02-16

Welch ein Gespenst bracht' ich ins Haus
Schon sieht es wie ein Nilpferd aus.

([Goethe:] Faust. [Szene im Studierzimmer])



Abb.: Schach dem König! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 9, S. 36.-- 1873-02-23

 Schwarz zieht an und wird in drei Zügen matt gesetzt.



Abb.: Zur Nachahmung empfohlen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 10, S. 40.-- 1873-03-02

Der Großkuckuck legt seine Eier in fremde Nestern wo sie dann zu allerlei Unheil ausgebreitet werden. Der kleine Schweizer Bergfink aber, dem ein solches Ei ins Nest gelegt wurde, hat es -- einfach hinausgeworfen. Probatum est!1

Erklärung:

Bezieht sich auf die Landesverweisung des Genfer Bischofs Mermillod durch den Schweizer Bundesrat.

"Mermillod (spr. -mijó), Kaspar, Kardinal, geb. 22. Sept. 1824 in Carouge, Kanton Genf, gest. 23. Febr. 1892 in Rom, studierte im Jesuitenkollegium zu Freiburg i. d. Schweiz und empfing 1847 in Annecy die Priesterweihe. Zum Vikar des Genfer Pfarrers Dunoyer ernannt, machte er sich früh als vorzüglicher Kanzelredner geltend und gründete zur Förderung der katholischen Interessen ein politisches Blatt: »L'Observateur catholique«, sowie eine gelehrte Zeitschrift: »Annales catholiques«. Im Juni 1864 zum Stadtpfarrer und Generalvikar in Genf ernannt, ließ er sich im September d. J. bei einem Besuch in Rom zum Bischof von Hebron weihen, und Bischof Marilley von Lausanne-Genf delegierte ihm auf höhere Weisung die volle bischöfliche Gewalt über Genf. Der Genfer Staatsrat erklärte jedoch 6. Nov., dass er eine mit dem legalen Bestand der Diözesanverhältnisse im Widerspruch stehende besondere Mission Mermillods nicht anerkenne, untersagte M. alle bischöflichen Funktionen und entsetzte ihn, als er sich weigerte, dem Verbot Folge zu leisten, seiner Pfarrstelle (20. Sept. 1872). Am 16. Jan. 1873 erfolgte als Antwort der Kurie die förmliche Ernennung Mermillods zum apostolischen Vikar von Genf, worauf der schweizerische Bundesrat dessen Ausweisung verfügte, bis er auf die ihm rechtswidrig übertragenen Funktionen verzichte. Im März 1883 wurde er zum Nachfolger des verstorbenen Bischofs Cosandey von Lausanne ernannt, womit nach der ausdrücklichen Erklärung des päpstlichen Staatssekretärs Jacobini das apostolische Vikariat in Genf wegfiel. Infolgedessen hob der Bundesrat auf Ansuchen Mermillods sein Verbannungsdekret auf und gestattete ihm die Rückkehr in die Schweiz. 1890 wurde er als Kardinal nach Rom berufen. Die »Œuvres du cardinal M.« erschienen gesammelt Paris und Lyon 1893–1894, 3 Bde. Seine Biographie schrieben Belloc (Freiburg in der Schweiz 1892) und Lesur und Bournand (Abbeville 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

 1 probātum est (lateinisch) = es ist bewährt, es hilft.



Abb.: Die Probiermamsell. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 16, S. 64.-- 1873-04-06

Gelt Mutterchen, wenn es die Kleine da durchsetzt, kannst du es auch einmal versuchen.

Erläuterung: Bezieht sich auf den (erfolgreichen) Kulturkampf in der Schweiz (1871 - 1884), der in der revidierten Bundesverfassung von 1874-04-19 als Verfassungsartikel das Verbot der Betätigung des Jesuitenordens, das Verbot der Neugründung von Klöstern sowie die bundesrätliche Zustimmung als Bedingung für neue Bistümer enthält.



Abb.: Obrigkeitliche Rangliste. Wie sich dieselbe in eines richtigen Ultramontanen Hirn darstellt. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 17, 1. Beiblatt. -- 1873-04-13

Papst > Bischof > Pfarrer > Kaplan > Kaiser > Küster, Bismarck etc. etc.



Abb.: So wie so! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 18, S. 71. -- 1873-04-20

Wenn man einen Orthodoxen1 und einen Ultramontanen2 in ein Fass steckt und einen beliebigen Kirchberg hinabrollen lässt, so liegt immer ein — Pfaffe oben.

Erklärungen:

1 Orthodoxer: protestantischen Fundamentalist

2 Ultramontaner: katholischer Papsthöriger



Abb.: Nächste Emission Heiliger. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 19, 1. Beiblatt. -- 1873-04-27

Ledochowsky1.

Weil er dem Papst gibt, was des Kaisers ist.

Lachat2.

Weil er der Verweltlichung der Linderschen Stiftung ein frommes Manko entgegensetzte

Der  Pfaffe Santa Cruz3.

Weil er sich von dem häufigen Spanischen Blutverguss durch Petroleum weiß brannte.

Erklärungen;

1 Erzbischof Miecislaw Graf Ledóchowski (1822 - 1902)

"Ledóchowski, Miecislaw, Graf, Kardinal, geb. 29. Okt. 1822 in Gorki, gest. 22. Juli 1902 in Rom, im Lazaristenkollegium zu Warschau erzogen, erhielt 1840 die Priesterweihe und studierte dann im Jesuitenkollegium zu Rom, erwarb sich die Gunst Pius' IX., der ihn zum Hausprälaten und apostolischen Protonotar erhob, als Auditor bei verschiedenen Nunziaturen verwendete und 1861 zum Erzbischof von Theben in partibus ernannte. Im Januar 1866 von der preußischen Regierung auf den erzbischöflichen Stuhl von Posen-Gnesen berufen, um dort die katholische Geistlichkeit von der politischen Agitation fern zu halten, forderte er im November 1870 persönlich in Versailles eine Intervention Deutschlands zugunsten des Papstes und trat, als dies abgelehnt wurde, an die Spitze der ultramontanen Opposition gegen das Reich, ward auch Wortführer der polnischen Nationalitätsbestrebungen; dafür ernannte ihn der Papst zum Primas von Polen. Wegen seines herausfordernden Auftretens gegenüber der Regierung zu hohen Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt und 3. Febr 1874 verhaftet, verbüßte er 2 Jahre Gefängnis zu Ostrowo. Am 15. April 1874 wurde er vom Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten seines Amtes entsetzt, dafür 15. März 1875 vom Papst zum Kardinal ernannt. Im Februar 1876 seiner Hast entlassen, begab er sich nach Rom, wurde im März 1885 Sekretär der Breven, verzichtete im Januar 1886 auf sein Erzbistum und wurde 1892 Generalpräfekt der Propaganda Fidei. Im Posener Dom soll ihm ein Denkmal errichtet werden."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Bischof Eugène Lachat (1819 - 1886): ab 1863 Bischof von Basel, der während des Schweizer Kulturkampfs am 30. Oktober 1873 abgesetzt werden wird. Die Anspielung auf die Lindersche Stiftung kann ich nicht auflösen.

3 Pfaffe Santa Cruz: ???



Abb.:  Allen teilnehmenden Freunden und Feinden. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 23, S. 92. -- 1873-05-18

die Anzeige, dass unsere Stiefmutter Herrenhaus1 nach langen Mühen glücklich von den Kirchengesetzen entbunden ist

Erläuterung:

Bezieht sich auf die sog. Maigesetze:

"Die Maigesetze bezeichnen die während des Kulturkampfes in den Jahren 1873/1874 erlassenen preußischen Gesetze.

Mit den Maigesetzen erreichte der Kulturkampf seinen Höhepunkt, entbrannte der Konflikt zwischen Staat und Kirche. Die Maigesetze waren, mit Ausnahme des Expatriierungsgesetzes, nur für Preußen gültig. Die vom 11. Mai bis 14. Mai 1873 erlassenen vier Gesetze beinhalteten folgendes:
  • Die Ausübung eines geistlichen Amtes wird abhängig gemacht von der Staatszugehörigkeit, dem Studium an einer deutschen Universität und der Ablegung eines vorgeschriebenen Kulturexamens.
  • Alle kirchlichen Ausbildungsanstalten unterliegen der staatlichen Aufsicht.
  • Die Anstellung von Geistlichen muss staatlich genehmigt sein.
  • Die kirchliche Disziplinargewalt wird auf deutsche Kirchenbehörden beschränkt und unter Kontrolle eines königlichen Gerichtshofes gestellt. Die kirchliche Disziplinargewalt ist auf solche Mittel zu beschränken, die auf religiöser Ebene liegen.
  • Der Kirchenaustritt wird erleichtert.

Die katholische Geistlichkeit erkannte die Maigesetze nicht an. Die große Mehrheit der Katholiken stand geschlossen hinter ihrer Kirche und reagierte mit passivem Widerstand.

1874 versuchte die preußische Regierung, mit neuen Gesetzen (4., 20. und 21. Mai) die Maierlasse von 1873 zur Geltung zu bringen; aber auch damit war der Widerstand der katholischen Kirche nicht zu brechen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Maigesetze. -- Zugriff am 2004-11-18]

1 Herrenhaus: Erste Kammer der preußischen Legislative



Abb.: Ecclesia militans1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 29/30, S. 120. -- 1873-06-29

Der Krieg der Bischöfe gegen die Regierung beginnt. Zum Sammeln ist bereits geblasen, und schon reißen sie die Büchsen von den Wänden, um alles zusammenschießen zu lassen, was von der Regierung gesperrt wurde.

Erklärung:

1 ecclesia militans = kämpfende (militante) Kirche



Abb.: Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 31, S. 123. -- 1873-07-06

Wenn die Franzosen die Volks-Erziehung wieder ganz in die Hände der Pfaffen geben, so wird bald nichts mehr von ihnen zu befürchten sein. Es ist so gut, als wenn sie ihre Kanonen mit eigenen Händen vernagelten.



Abb.: Frommes Anerbieten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 33, 1. Beiblatt. -- 1873-07-20

Sie! Brauchens kein Wunder? Ich kann mich gelähmt stellen, stundenlang ohnmächtig daliegen, die Augen verdrehen und nach Tisch längere Zeit hungern! Was zahlens?


Spitzederiade1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 34, S. 133. -- 1873-07-27

Nun ist verflogen das Märchen
Aus "Tausend und eine Nacht";
Nun ist sie zu drei Jährchen
Zuchthäuschen jäh erwacht.
Nun sitzt Adele Spitzeder
In grauem Büßerkleid,
Der einst mit Herz und Feder
Viel Fromme sich geweiht.

Wie  haben die Literaten
An ihrer Tafel schmarotzt,
Wie haben die Advokaten
Von ihrem Golde gestrotzt!
Wie haben ihr die Lieben,
So mit als ohne Tonsur,
Die Schäflein zugetrieben
Dereinst zu gründlicher Schur!

Sie haben gepriesen die Vettel
Als "gütige Fee" fürwahr,
Empfohlen als Ablasszettel
Ihr Wechsel-Formular.
Sie halfen ihr lustig säubern
Der Bauern gefüllten Sack
Und halfen ihr fälschen und räubern --
O muckerndes2 Lumpenpack!

Heut senken die Mucker in Ängsten
Das Haupt auf den feisten Bauch;
Denn "Ehrlich währt am längsten" --
So heißt es in Bayern auch.
Heut starren vor Schreck die Glatzen,
Heut beten in tiefstem Weh
Der Pfäfflein fromme Fratzen
Für ihre "gütige Fee":

"Erbarm dich ihrer Seele,
Crispin3, du heiliger Mann
Wir flehen für Adele
Dich jetzt inbrünstig an.
Du schenktest, das weiß Jeder,
Viel tausend Stiefel und Schuh
Den Armen; doch das Leder,
Das stahlest du dazu.

So  hat -- o zeig Erbarmen! --
Auch sie getan mit Müh,
Zum Heil allein der Armen
Gestohlen spät und früh.
Drum blick mit gnädger Miene
Auf ihren Lebenslauf,
Und nimm als heilge Crispine
Sie einst zu den Deinen auf!"

Erklärungen:

1 Adele Spitzeder (1832 - 1895)

"Adele Spitzeder (auch Adele Vio; * 9. November 1832 in Berlin; † 27. Oktober 1895 in München) war eine deutsche Schauspielerin und wegen Betrugs verurteilte Spekulantin.

Leben

Adele Spitzeder war die Tochter des Sänger-Ehepaars Josef Spitzeder und Betty Spitzeder-Vio. Sie besuchte teure Privatschulen und verkehrte in vornehmen Gesellschaften. 1856 gab sie ihr Debüt als Schauspielerin in Coburg und war dann in Mannheim, München, Brünn, Nürnberg, Frankfurt am Main, Karlsruhe und Altona engagiert. Sie hatte mehrere Lebensgefährtinnen.

Spitzeder hatte keine eigene Wohnung, sondern lebte in Hotels und Gasthäusern und unterhielt eine Privatangestellte. Diesen aufwändigen Lebensstil konnte sie jedoch mit ihren Einkünften aus der Schauspielerei nicht finanzieren.

Die Spitzeder'sche Privatbank

Völlig mittellos versprach sie einem Zimmermann 10 Prozent Zinsen im Monat für 100 Gulden und zahlte ihm die ersten beiden Monatszinse sofort aus. Dies sprach sich schnell herum und bald kamen weitere Bürger, die ihr Geld zu diesen Konditionen anlegen wollten. 1869 gründete sie zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Emilie Stier in München eine Bank. Die Zinsen zahlte sie weiterhin bar aus, was damals nicht üblich war und ihrem Unternehmen einige Mundpropaganda bescherte.

Die "Spitzeder'sche Privatbank" wurde innerhalb kürzester Zeit vom Geheimtipp aus Insiderkreisen zum Großunternehmen. Spitzeder zog aus einem einfachen Hotel in ein prachtvolles Gebäude in der Schönfeldstraße 9 in München um und hatte bald 40 Angestellte. Ihr Geschäftsgebaren und ihre Buchführung waren nicht nur unkonventionell, sondern regelrecht chaotisch. Das Geld wurde säckeweise in der Wohnung gestapelt und teils im Tresor eines Friseurs verwahrt. Angestellte, alle ohne kaufmännische Ausbildung, bedienten sich regelmäßig an den Geldern und die Finanzbuchführung beschränkte sich auf ein Quittungsbuch, in dem vermerkt wurde, wer wieviel eingezahlt hatte.

Spitzeder wusste um die Vorteile einer guten medialen Präsentation und bestach mehrere Redakteure mit bis zu fünfstelligen Guldenbeträgen für ein positives mediales Feedback (Rating). Zeitweise unterhielt sie sogar eine eigene Zeitung. Mit einer Reihe großzügiger Spenden und ihrem manchmal resoluten, manchmal fromm wirkenden Auftreten verschaffte sie sich Vertrauen und den Ruf als Wohltäterin. So eröffnete Spitzeder etwa die Volksküche im Orlandohaus am Platzl.

Aufgrund der meist bäuerlichen Kundschaft aus dem nördlichen Umland Münchens wurde ihre Einrichtung bald "Dachauer Bank" genannt. Bauern verkauften ihre Höfe, weil sie glaubten, von den Zinsen leben zu können. Spitzeder erweiterte ihre Geschäfte und kaufte und verkaufte diverse Häuser und Grundstücke in ganz Bayern.

Bankrott und Verurteilung

Spitzeder konnte dem stärker werdenden Druck der Regierung, der Banken und einzelner Zeitungen, die gegen die „Schwindelbanken“ zu Felde zogen, noch einige Zeit widerstehen. Als die Gegner jedoch etwa 60 Gläubiger organisieren konnten, die sich gleichzeitig ihr Geld auszahlen lassen wollten, brach die Bank zusammen. Spitzeder war nicht solvent und wurde von der Polizei am 12. November 1873 verhaftet.

In knapp zwei Jahren wurden 31.000 Bürger um insgesamt 8 Millionen Gulden geprellt. Nicht wenige davon begingen Suizid. Auch ganze Gemeinden waren ruiniert.

Adele Spitzeder wurde vor Gericht gestellt und nach zehnmonatiger Untersuchungshaft zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Als strafmildernd wurden unter anderem die fehlenden behördlichen Auflagen zur Buchführung sowie der Umstand anerkannt, dass Spitzeder nie mit irgendwelchen Sicherheiten geworben hätte. Spitzeder verbüßte ihre Strafe jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht im Zuchthaus, sondern in dem Gefängnis in der Badstraße in München, wo sie ihre Memoiren schrieb.

Das Leben nach der Haft

Nach der Haft ging Spitzeder ins Ausland, da sie in Deutschland keine Engagements mehr bekam, kehrte dann aber wieder nach München zurück und veröffentlichte 1878 die „Geschichte meines Lebens“. 1880 versuchte sie erneut, ein Bankgeschäft zu eröffnen, wurde aber aufgrund mangelnder Zulassung sofort wieder verhaftet.

Später trat Spitzeder unter dem Namen Adele Vio als Volkssängerin auf und lebte, von Freunden und Gönnern gesponsort, ein relativ sorgenfreies Leben.

Am 27. Oktober 1895 starb Spitzeder in München an Herzversagen und wurde am alten Südfriedhof in München beerdigt.

Bearbeitungen des Themas

Adele Spitzeders Geschichte wurde von Gabriel Gailler als Marionettenstück auf die Bühne gebracht und 1972 von Martin Sperr unter der Regie von Peer Raben zu einem Fernsehspiel mit Ruth Drexel in der Titelrolle verarbeitet. Das Theaterstück Die Spitzeder von Sperr wurde am 11. September 1977 uraufgeführt.

1992 entstand für den Bayerischen Rundfunk die Fernsehdokumentation „Adele Spitzeder oder das Märchen von den Zinsen“ von Hannes Spring.

Literatur
  • Adele Spitzeder: Geschichte meines Lebens. Der große Münchner Bankskandal 1872. München 1998, ISBN 392798454X
  • Karl Weinberger: Adele Spitzeder. 1956
  • Puppentheatermuseum München (Hrsg.): Adele Spitzeder. Marionettenspiel um einen Münchner Finanzskandal im Jahre 1873; wortgetreue Wiedergabe einer alten Handschrift. Mit einem Vorw. von Irena Raithel-Zivsa. (= Schriftenreihe des Münchner Puppentheatermuseums; H. 2). Puppentheatermuseum, München 1981
  • Christine Spöcker: Das Geldmensch. Ein tragikomisches Stück über den kapitalistischen Exzess der Adele Spitzeder, Bankfrau zu München, die 1872 durch Bankrott ihrer Dachauer Bank 30860 Gläubiger ins Unglück trieb. Fischer, Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-10-074201-X
  • Dirk Schumann: Der Fall Adele Spitzeder 1872. Eine Studie zur Mentalität der „kleinen Leute“ in der Gründerzeit. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, 58. Jg. 1995, S.991–1026 (Digitalisat)

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Adele_Spitzeder. -- Zugriff am 2007-01-09]

2 Mucker: allgemeiner Spottname für die Anhänger einer ungesunden und exklusiven Frömmigkeit.

3 Crispin

"Crispīnus und Crispiniānus, Heilige und Märtyrer, vielleicht Brüder, Patrone der Schuhmacher, weil sie, unter Diokletian von Rom nach Soissons geflüchtet, dort zu ihrem Unterhalte die Schuhmacherei betrieben haben sollen. Um den Armen umsonst Schuhe zu liefern, sollen sie das Leder gestohlen haben; daher Wohltaten auf Kosten andrer Crispinaden genannt werden. Tag: der 25. Oktober."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Ländlich, sittlich. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 36, 1. Beiblatt. -- 1873-08-10

Wenn ein französischer Bauer auf seinem Kirschbaum eine Jungfrau entdeckt, so kniet er nieder, betet sie an, und es werden sofort Wallfahrten nach dem Kirschbaum veranstaltet. Wenn auf  einem Kirschbaum der Pankower-Chaussée der Feldhüter eine Jungfrau bemerkt, so fasst er sie ab, pfändet sie und wallfahrtet mit ihr nach dem nächsten Revier-Polizei-Büro.


Abb.: Die schwarzen Sirenen1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 37, S. 148. -- 1873-08-17

Der Weise verstopft sich die Ohren oder lässt sich wenigstens an den Mast binden; aber wehe Denen, die zu willig dem alten Lied ihr Ohr leihen.

Erklärung:

1 Sirenen

"Sirēnen (Σειρῆνες), Töchter des ð Phorkys (s. d.) oder des Acheloos und einer Muse. bei Homer zwei, in späterer Sage drei Jungfrauen, die auf einem Eiland zwischen der Insel der Kirke und der Skylla, auf einer Strandwiese, umgeben von bleichenden Gebeinen, durch ihren Gesang Vorübersegelnde anlockten, um sie zu verderben. Als Odysseus vorbeifuhr, verklebte er die Ohren seiner Gefährten mit Wachs und ließ sich selbst an den Mast binden, um sie ohne Gefahr zu hören."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Ein reinliches Geschäft. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 41, 1. Beiblatt. -- 1873-09-07

In dreiundzwanzig Jahren hundertundsiebenzig Millionen Lire für die Unsterblichkeit geschnorrt!


Abb.: Andere Völker, andere Sitten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 43, S. 172. -- 1873-09-21

Wie man bei den verschiedenen Völkern dem Himmel "frommen Zwang antut."



Abb.: 's gibt kein schöner Leben als das Pilgerleben. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 44/45, S. 180. -- 1873-09-28

Der Eil-Pilger, I. II. und III. Klasse. Der Wallfahrer. Der Wallreiter.
Der Doppel-Pilger oder das Vielliebchen. Der englische Touristen- oder Velocipilger. Der Zimmer-Pilger oder Gedankenwallfahrer


Abb.: Die Renitenten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 46, S. 184. -- 1873-10-05

Falk1.  Aber meine Herren, hier ist ja die Tür; warum wollen Sie denn durchaus mit dem Kopf durch die Wand rennen?

Erläuterung:

Die Bischöfe suchen mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, die sie von den staatlichen Einkünften (Besoldung usw.) (Temporalia) trennt

1 Falk

"Falk, Adalbert, preuß. Staatsmann, geb. 10. Aug. 1827 zu Metschkau in Schlesien, gest. 7. Juli 1900 in Hamm, studierte die Rechte, trat in den Justizdienst, bearbeitete als Staatsanwalt das für Juristen wichtige Ergänzungswerk zum allgemeinen Landrecht in der 4. Auflage, das sogen. »Fünfmännerbuch« (ursprünglich hrsg. von Gräff, Koch, Wentzel, Rönne und Heinrich Simon), und wurde deshalb in das Justizministerium berufen. Unter dem neuen Justizminister Lippe 1862 zum Appellationsgerichtsrat in Glogau ernannt, ward Falk von Leonhardt in das Ministerium zurückberufen und zum vortragenden Rat befördert. 1871 Bevollmächtigter der Regierung im Bundesrat und Mitglied der Kommission für die deutsche Zivilprozessordnung, erhielt Falk nach dem Rücktritt des Ministers v. Mühler das Kultusministerium (22. Jan. 1872) und damit die Aufgabe, der katholischen Kirche gegenüber die unveräußerlichen, seit Eichhorn geschmälerten Hoheitsrechte des Staates wieder geltend zu machen. Falk löste die Aufgabe durch die sogen. Maigesetze unter heftigem Widerspruch der Klerikalen, allerdings ohne den passiven Widerstand des katholischen Klerus zu brechen. Durch das Schulaufsichtsgesetz befreite er die Volksschule von dem Einfluss der Kirche, vermehrte durch Erhöhung der Gehalte, Vermehrung der Seminare und zweckmäßige Organisation die Zahl der Lehrer und der Schulklassen sehr beträchtlich und setzte der Polonisierung der katholischen Schulkinder in Posen und Westpreußen ein Ziel. Die Universitäten versah er mit reichlichern Mitteln, erhöhte die Ausgaben für die Pflege der Kunst, aber ein Unterrichtsgesetz, welches das Schulwesen fortan gegen Verwaltungswillkür sicherstellen sollte, scheiterte 1876 an den dadurch erwachsenden Mehrkosten. Der evangelischen Kirche Preußens gab Falk durch die 1875 von einer außerordentlichen Generalsynode gebilligte und 1876 vom Landtage genehmigte Synodalverfassung für die acht alten Provinzen eine selbständige Stellung, erregte aber damit den Unwillen der orthodoxen Hofpredigerpartei, die erst den von Falk berufenen Präsidenten des Oberkirchenrats, Herrmann, stürzte, dann Falk selbst 1878 zum Abschiedsgesuch nötigen wollte. Blieb Falk 1878 noch im Amte, so nahm er im Juli 1879 den Abschied, als Bismarck aus Anlass der Zolltarifsverhandlungen im Reichstag sich der Zentrumspartei näherte, und betätigte sich nur noch parlamentarisch. Seit 1858 dem Abgeordnetenhaus angehörend, ward er 1867 in den konstituierenden Reichstag und seit 1873 wiederum gewählt, zog sich aber nach seiner Ernennung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts in Hamm 1882 vom politischen Leben ganz zurück. Eine Sammlung seiner »Reden 1872-1879« (Berl. 1880) blieb unvollendet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Dem Propst Dinder1 in Königsberg. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 46, 1. Beiblatt. -- 1873-10-05

Du sprachst: Nie in geweihter Erde,
Wo man der Auferstehung harrt,
Nein, an der Kirchhofsmauer werde
Der Altkatholische verscharrt!

So hast du, strenger Mann, geboten;
Doch merke, Pfäfflein, dir zur Zeit:
Die Erde wird nie von den Toten,
Doch oft von Lebenden entweiht.

Erklärung:

1 Julius Dinder (1830 - 1890)

"Dinder, Julius, Erzbischof von Posen-Gnesen, geb. 9. März 1830 zu Rössel in Ermeland, gest. 30. Mai 1890 in Posen, studierte in Braunsberg, war 1856–66 Kaplan in Bischofsburg, 1866–68 Pfarrer in Grieslinen und wurde 1868 Propst und Militärpfarrer in Königsberg. Nach Ledochowskis Verzicht (Anfang 1886) wurde D. von der preußischen Regierung im Einverständnis mit dem Papst 26. März zum Erzbischof von Gnesen-Posen ernannt und bemühte sich, im friedlichen Sinne zu wirken."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Asiatisch. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 46, 1. Beiblatt. -- 1873-10-05

Li.
Führ mich, Dschung, zu deinem Buddha,
Denn der meine hilft mir nicht;
Deiner aber ist unfehlbar --
Lass mich schaun sein Angesicht.

Dschung.
Sprich mir nicht von meinem Buddha,
Den bisher ich angefleht!
Fruchtlos war ja auch mein Opfer
Und vergebens mein Gebet.

Übergab ihn drum dem Feuer,
Den ich für unfehlbar stark
Und für einen Gott gehalten.
Kladderadatsch! Da liegt der Quark!


Bekenntnis einer schönen Seele. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 48, S. 190. -- 1873-10-19

Dank dir, Times, du hast enthüllt
Frei vor aller Welt das Sehnen,
Das uns Pfarrern und Kaplänen
Schmerzlich, ach! die Brust erfüllt.

Gebt -- so sprichst du -- frei das Frein,
Sprengt des Zölibates Bande,
Dass die Pfäfflein auch im Lande
Sich dem Dienst der Liebe weihn.

Wo die Lieb ins Herze zieht,
Ist des Friedens traute Wohnung,
Walten Duldung, Mild und Schonung,
Und der Zwietracht Geist entflieht.

O wie freudig deinem Rat
Möcht ich folgen mit Behagen.
Und wie gern möcht ich entsagen
Dem verhassten Zölibat!

Ja, ich kenn -- ich beicht es dir --
Schon ein Mädchen hier im Städtchen;
Herz und Hand und Zölibettchen
Teilt ich herzlich gern mit ihr!


Vanitas, vanitatum vanitas!1 -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 48, 2. Beiblatt. -- 1873-10-19

Aus den Klageliedern Germaniae nigrae2.

Weh, alter Herr im Vatikan,
Was hast du jüngst geschrieben3!
Es scheint, dich hat, als du 's getan,
Der böse Geist getrieben!
Nicht also schreibt man an einen Rex4
Und mächtigen Potentaten.
O Pontifex5, o Pontifex,
Wie schlecht warst du beraten!

Du schreibst: Ich hab genau erspäht
Des Königs Herz und Nieren;
Ich weiß, es grollt die Majestät
Den Herrn, so da regieren,
Den Bismarck, Falk6 und dem Annex
Ungläubiger Demagogen.
O Pontifex, o Pontifex,
Wie hat man dich belogen!

Du schreibst: Wenn Majestät befiehlt! --
Und, Sir, ihr müsst befehlen --
So wird man, wie mein Brief erzielt,
Nicht mehr die Priester quälen,
Und jeder Hirt wird seinen Grex7
Nach meinem Sinn nur lenken,
O Pontifex, o Pontifex,
Wie schwach bist du im Denken!

Du sprichst: Der Wahrheit Hort sind wir,
Nur wir zu Gottes Ehren
Sind fest geschart um ihr Panier
Enzyklisch; wir erklären
Den Syllabus8 für die Summa lex9
Und aller Wahrheit Muster.
O Pontifex, o Pontifex,
Wie tappst du doch im Duster!

Du sprichst: Jed Schäflein, so getauft,
Gehört zu meiner Herde,
Wenn 's auch lutherisch Wasser sauft
Auf ketzerischer Erde;
Das räudge selber -- ich entdeck 's
Und führ 's zur rechten Quelle.
O Pontifex, o Pontifex,
Wie leer sind deine Ställe!

Du sprichst: Mir gibt die Wahrheit Mut
In dieser Zeiten Drange;
Und wenn ihr nicht, Herr König, tut,
Wie ich von euch verlange,
So ist 's mit eurem Throne ex10 --
Jählings wird er zerschmettert!
O Pontifex, o Pontifex,
Wie hast du dich verheddert!

Du sprichst -- o hättest Schweigen du
Geboten den Gefühlen!
Wie sollen heut wir noch in Ruh
zum Heil der Kirche wühlen?
Jetzt haftet, ach! ein großer Klex
An dir und den schwarzen Vätern.
O Pontifex, o Pontifex,
Du stempelst uns zu Verrätern!

Weh! Weh! Erloschen ist nunmehr
Der Hoffnung letzter Funke! --
So seufzt aus tiefstem Herzen schwer
Sogar der schwarze Majunke11.
Hat denn der schwarze Papst, Herr Beckx12,
Auch den Verstand verloren?
O Pontifex, o Pontifex,
Wie hast du dich blamoren!

Erlärungen:

1 vanitas, vanitatum vanitas (lateinisch): Eitelkeit, Eitelkeit der Eitelkeiten! (nach Ecclesiastes (Prediger) 1, 2: vanitas vanitatum dixit Ecclesiastes vanitas vanitatum omnia vanitas (Vulgata)

2 Germania nigrae (lateinisch) = des schwarzen deutschland

3 Schreiben von Papst Pius IX. an Kaiser Wilhelm I. vom 7. August 1873:

Papst Pius IX. Schreiben an Kaiser Wilhelm I.

Im Vatikan, den 7. August 1873.

Majestät!

Sämtliche Maßregeln, welche seit einiger Zeit von Eurer Majestät Regierung ergriffen worden sind, zielen mehr und mehr auf die Vernichtung des Katholizismus 30 ab. Wenn ich mit mir selber darüber zu Rate gehe, welche Ursachen diese sehr harten Maßregeln veranlasst haben mögen, so bekenne ich, dass ich keine Gründe aufzufinden im Stande bin. Andererseits wird mir mitgeteilt, dass Eure Majestät das Verfahren Ihrer Regierung nicht billigen und die Härte der Maßregeln wider die katholische Religion nicht gutheißen. Wenn es aber wahr ist, dass Eure Majestät es nicht billigen, — und die Schreiben, welche Allerhöchst dieselben früher an mich gerichtet haben, dürften zur Genüge dartun, dass Sie dasjenige, was gegenwärtig vorgeht, nicht billigen können, — wenn, sage ich, Eure Majestät es nicht billigen, dass Ihre Regierung auf den eingeschlagenen Bahnen fortfährt, die rigorosen Maßregeln gegen die Religion Jesu Christi immer weiter auszudehnen, und letztere hierdurch so schwer schädigt, werden dann Eure Majestät nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Maßregeln keine andere Wirkung haben, als diejenige, den eigenen Thron Eurer Majestät zu untergraben? Ich rede mit Freimut, denn mein Panier ist Wahrheit, und ich rede, um eine meiner Pflichten zu erfüllen, welche darin besteht, allen die Wahrheit zu sagen, auch denen, die nicht Katholiken sind. Denn jeder, welcher die Taufe empfangen hat, gehört in irgend einer Beziehung oder auf irgend eine Weise, welche hier näher darzulegen nicht der Ort ist, gehört, sage ich, dem Papste an. Ich gebe mich der Überzeugung hin, dass Euro Majestät meine Betrachtungen mit der gewohnten Güte aufnehmen und die in dem vorliegenden Falle erforderlichen Maßregeln troffen werden.

Indem ich Allerhöchstdenselben den Ausdruck meiner Ergebenheit und Verehrung darbringe, bitte ich Gott, dass Er Euro Majestät und mich mit den Banden der gleichen Barmherzigkeit umfassen möge.

Pio P. M.

[Quelle: Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus / von Carl Mirbt. -- 4., verb. und wesentl. verm. Aufl. --  Tübingen : Mohr, 1924.  -- 680, XXXII S. ; 4°. -- S. 469f.]

4 rex (lateinisch) = König

5 pontifex (maximus) (lateinisch) = oberster Priester = Papst

6 Adalbert Falk (1827 - 1900): siehe oben!

7 grex (lateinisch) = Herde

8 Syllabus: Siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- Fassung vom 2004-04-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm

9 summa lex (lateinisch) = oberstes Gesetz

10 ex (lateinisch ) = aus

11 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der katholischen Zeitung "Germania": siehe oben!

12 P. Pierre Jean Beckx (1795 - 1887): General des Jesuitenordens(siehe oben!)



Abb.: Wer viel schreibt, bekommt viel Antwort1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 49, S. 196. -- 1873-10-26

I, da soll doch gleich ein heiliger Kreuz-Himmel-Don — — —" (Fortsetzung folgt bald).

Erklärung:

1 Kaiser Wilhelms I. Antwort vom 3. September 1873 auf das zum Vorigen wiedergegebene Schreiben Papst Pius' IX.

Kaiser Wilhelm I. Antwort an Papst Pius IX.

Berlin, den 3. Sept. 1873.

Ich bin erfreut, dass Eure Heiligkeit mir, wie in früheren Zeiten, die Ehre erweisen, Mir zu schreiben; Ich bin es umso mehr, als mir dadurch die Gelegenheit zu Teil wird, Irrtümer zu berichtigen, welche nach Inhalt des Schreibens Eurer Heiligkeit vom 7. August in den Ihnen über deutsche Verhältnisse zugegangenen Meldungen vorgekommen sein müssen. Wenn die Berichte, welche Eurer Heiligkeit über deutsche Verhältnisse erstattet werden, nur Wahrheit meldeten, so wäre es nicht möglich, dass Eure Heiligkeit der Vermutung Raum geben könnten, dass Meine Regierung Bahnen einschlüge, welche Ich  nicht billigte. Nach der Verfassung Meiner Staaten kann ein solcher Fall nicht eintreten, da die Gesetze und Regierungsmaßregeln in Preußen Meiner landesherrlichen Zustimmung bedürfen.

Zu Meinem tiefen Schmerze hat ein Teil Meiner katholischen Untertanen seit zwei Jahren eine politische Partei organisiert, welche den in Preußen seit Jahrhunderten bestehenden konfessionellen Frieden durch staatsfeindliche Umtriebe zu stören sucht. Leider haben höhere katholische Geistliche diese Bewegung nicht nur gebilligt, sondern sich ihr bis zur offenen Auflehnung gegen die bestehenden Landesgesetze angeschlossen.

Der Wahrnehmung Eurer Heiligkeit wird nicht entgangen sein, dass ähnliche Erscheinungen sich gegenwärtig in der Mehrzahl der europäischen und in einigen überseeischen Staaten wiederholen.

Es ist nicht Meine Aufgabe, die Ursachen zu untersuchen, durch welche Priester und Gläubige einer der christlichen Konfessionen bewogen werden können, den Feinden jeder staatlichen Ordnung in Bekämpfung der letzteren behilflich zu sein; wohl aber ist es Meine Aufgabe, in den Staaten, deren Regierung mir von Gott anvertraut ist, den inneren Frieden zu schützen und das Ansehen der Gesetze zu wahren. Ich bin Mir bewusst, dass Ich über Erfüllung dieser Meiner königlichen Pflicht Gott Rechenschaft schuldig bin, und Ich werde Ordnung und Gesetz in Meinen Staaten jeder Anfechtung gegenüber aufrecht halten, solange Gott mir die Macht dazu verleiht; Ich bin als christlicher Monarch dazu verpflichtet, auch da, wo ich zu Meinem Schmerz diesen königlichen Beruf gegen die Diener einer Kirche zu erfüllen habe, von der ich annehme, dass sie nicht minder, wie die evangelische Kirche, das Gebot des Gehorsams gegen die weltliche Obrigkeit als einen Ausfluss des uns geoffenbarten göttlichen Willens erkennt.

Zu Meinem Bedauern verleugnen viele der Eurer Heiligkeit unterworfenen Geist-Lehen in Preußen die christliche Lehre in dieser Richtung und setzen Meine Regierung in die Notwendigkeit, gestützt auf die große Mehrzahl Meiner treuen katholischen und evangelischen Untertanen, die Befolgung der Landesgesetze durch weltliche Mittel zu erzwingen.

Ich gebe mich gern der Hoffnung hin, dass Eure Heiligkeit, wenn von der wahren Lage der Dinge unterrichtet, Ihre Autorität werden anwenden wollen, um der unter bedauerlicher Entstellung der Wahrheit und unter Missbrauch des priesterlichen Ansehens betriebenen Agitation ein Ende zu machen. Die Religion Jesu Christi hat, wie Ich Eurer Heiligkeit vor Gott bezeuge, mit diesen Umtrieben nichts zu tun, auch nicht die Wahrheit, zu deren von Eurer Heiligkeit angerufenen Panier ich Mich rückhaltslos bekenne.

Noch eine Äußerung in dem Schreiben Eurer Heiligkeit kann ich nicht ohne Widerspruch übergehen, wenn sie auch nicht auf irrigen Berichterstattungen, sondern auf Eurer Heiligkeit Glauben beruht, die Äußerung nämlich, dass Jeder, der die Taufe empfangen hat, dem Papste angehöre. Der evangelische Glaube, zu dem Ich Mich, wie Eurer Heiligkeit bekannt sein muss, gleich Meinen Vorfahren und mit der Mehrheit Meiner Untertanen bekenne, gestattet uns nicht, in dem Verhältnis zu Gott einen anderen Vermittler als unseren Herrn Iesum Christum anzunehmen.

Diese Verschiedenheit des Glaubens hält Mich nicht ab, mit denen, welche den unseren nicht teilen, in Frieden zu leben und Eurer Heiligkeit den Ausdruck Meiner persönlichen Ergebenheit und Verehrung darzubringen.

Wilhelm.

[Quelle: Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus / von Carl Mirbt. -- 4., verb. und wesentl. verm. Aufl. --  Tübingen : Mohr, 1924.  -- 680, XXXII S. ; 4°. -- S. 470f.]



Abb.: Das kommt davon. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 52, S. 208. -- 1873-11-16

Während die Fortschrittlichen und die Nationalliberalen sich öffentlich herumzanken, gewinnen die Klerikalen manch liebes Plätzchen im Abgeordnetenhause.


An die Zentralen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 53, S. 211. -- 1873-11-23

Was hör ich drin im hohen Haus,
Was dort auf der Tribüne?
Klang für die Freiheit — 's ist ein Graus! —
Nicht euer Wort, das kühne?

Ist's wahr? — Die Feder sträubt entsetzt
Sich mir im Tintenfasse:
Die Unfehlbaren brechen jetzt
Der Freiheit eine Gasse?

O Freiheit, wohin kam's mit dir?
Nun weine, du Ärmste weine!
Die Klerikalen kämpfen für
Die Freiheit, die ich meine!

Du arme Freiheit, wie wird mir weh,
Wie fasst mich ein grauend Ahnen,
Wenn ich dich in der Gesellschaft seh,
Im Bund der Ultramontanen!

Nun schneidet den Lebensfaden bald
Dir ab die böse Parze1:
Mit seiner Liebe Zaubergewalt
Lockt dich ins Grab der Schwarze!

Ihr seid mit der Freiheit in festem Bund?
Oh über die belle alliance2!
Ihr, deren Devise noch heut zur Stund
Ist: Honny soit qui — pense!3

Erläuterungen:

Gleich nach Eröffnung des Landtages stellte Windthorst im Namen der Zentrumspartei den Antrag, das Dreiklassen-Wahlsystem abzuschaffen und das allgemeine direkte Wahlrecht in Preußen einzuführen. Damit wollte die  Zentrumspartei zeigen, dass sie die eigentlich liberale Partei ist.

1 Parze

"Moiren (griech. Moirai, bekannter unter dem lat. Namen Parcae, Parzen), die griechischen Schicksalsgöttinnen, die jedem sein Geschick zuteilen. Bei Homer ist Moira das personifizierte Verhängnis, das dem Menschen von Geburt an nach dem Ratschluß der Götter beschieden ist. Hesiod kennt der M. drei: Klotho (Spinnerin), die den Lebensfaden spinnt, Lachesis (Erlosung), die seine Länge bestimmt, Atropos (die Unabwendbare), die ihn abschneidet. Sie heißen bald Töchter der Nacht, bald Töchter des Zeus und der Themis. Als das Schicksal von der Geburt bis zum Tod bestimmend, stehen sie mit der Geburtsgöttin Eileithyia und mit den Keren in Verbindung. Bald erscheinen sie als unparteiische Vertreterinnen der Weltordnung, bald als grausam und neidisch, bald als von Zeus' Willen abhängig, bald über ihm stehend. In der ältern Kunst erscheinen sie mit Zeptern als Zeichen der Herrschaft, später Klotho spinnend, Lachesis mit Lostäfelchen oder auf dem Globus mit einem Griffel schreibend, Atropos mit Schriftrolle, Schrifttäfelchen oder Sonnenuhr. "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 belle alliance (französisch): gutes Bündnis

"Belle-Alliance, La (spr. bäl-alljangß'), Wirtshaus an der Straße von Brüssel nach Genappe, in der belg. Provinz Brabant, Arrond. Nivelles, nach dem die Preußen die Schlacht von Waterloo (s. d.) benennen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Honny soit ...

"Honny soit qui mal y pense (franz., spr. onni ßua ki mall i pángß'), »Schmach über den, der Arges dabei denkt!«, Devise des vom König Eduard III. von England 1350 gestifteten Hosenbandordens (s. d.). Das Wort selbst war (einer Stelle in den Acta Sanctorum, III, zufolge) schon vor Eduard III. in Frankreich sprichwörtlich."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Spruch der Karmeliterinnen zu Neuß. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 54/55, S. 218. -- 1873-11-30

Wenn Papst und Patres nicht mehr fluchen,
Sich Mönch und Nonne fromm besuchen,
Und keusche Nonnen Mütter werden,
Dann -- naht das Paradies auf Erden.


Klerikales Trost- und Jubellied. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 54/55, 2. Beiblatt. -- 1873-11-30

(neuer Text zu einer alten Volksweise1.)

Nach so viel Kreuz und ausgestandnen Leiden
Erwarten uns die himmlischen Freuden;
Drum will ich euch jetzt singen
Von den lieben himmlischen Dingen,
Die Jeder zu schmecken einst kriegt,
Der dem Falk2 und dem Bismarck erliegt.

Sobald wir nahen der Himmelspforten,
Grüßt uns Sankt Peter mit solchen Worten:
Seid mir herzwillkommen,
Ihr Lämmer, ihr frommen,
Jetzt zum Paradiese geht ein
Und lasst es euch wohlig drin sein!

Dort stehen nun die heiligen Väter
Die lieben Englein rings als Trompeter,
Und blasen Fanfaren
Der Seraphim Scharen,
Und wie sie uns schaun im Gedräng,
Da schmettert ein Tusch: Schneddredeng!

Und treten wir dann ein im Saale,
Da reichet man uns güldne Pokale,
Und lädt  uns zu Tische,
Zu Braten und Fische,
Zu Austern, Pasteten, Konfekt,
Zu Lacrimae3, Rheinwein und Sekt.

Die Heiligen all aus den Kalendern
Stehn da in güldnen Gewändern,
Und reichen und preisen
Die himmlischen Speisen,
Sankt Nepomuk4 bringt einen Toast
Und spendet uns also den Trost:

Gegrüßt in dieser Kartause,
Ihr Martine5 und Miecislause6
Aus preußischem lande,
Ihr Herr vom Sande7,
Ihr Bischöf, empfanget zum Lohn
Zuerst jetzt die Märtyrerkron!

Ihr, die man hat auf Erden gepfändet,
Denen Pferd und Wagen man entwendet,
Hier werden euch tragen
Echt englische Wagen;
Elias8 kutschiert euch sogleich
Herum in dem himmlischen Reich.

Vergesst drum er irdschen Lappalien,
Der Sperre der Temporalien9,
Der Strafe Verhängnis,
Bedräng- und Gefängnis!
Hier lebt ihr von ewiger Gunst,
Hier wohnt ihr und zecht ihr umsunst.

Hier dürft ihr auch holdselig wallen
Mit elftausend Jungfraun nach Gefallen.
Sie haben zwar halter
Kanonisches Alter10;
Doch sind sie, was bass euch entzückt,
Mit ewiger Schönheit geschmückt.

Und wenn ihr Honig schwelgt und Manna
Und Kyrie singt und Hosianna,
Im Feuer dann sitzen
Und fürchterlich schwitzen
Wird Bismarck und Falk2 sonder Trost.
Fiducit11 drum, Brüder, und Prost!

Erklärungen:

1 Das Lied: "Nach so viel Kreuz und ausgestandnen Leiden erwarten uns die himmlischen Freuden"

2 Adalbert Falk (1827 - 1900): siehe oben!

3 Lacrimae Christi

"Lacrĭmae Christi (lat., »Christustränen«), ein Wein des Vesuvs, benannt nach der Lacrimatraube und dem Kloster auf dem Vorsprung des Vulkans, wird nur in sehr geringer Menge erzeugt, kommt selten in den Handel und ist sehr kostbar. Er ist ein Likörwein ersten Ranges, hellrot, sehr feurig, gewürzig und von köstlichem Parfüm."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Nepomuk

"Nepŏmuk, Johann von, Heiliger, Schutzpatron Böhmens, Helfer gegen Verleumdungen und Wassersnot, ist ein Gebilde der Legende, die vor allem vom Jesuiten Balbinus (1670) ausgebildet worden ist. Im böhmischen Städtchen N. oder Pomuk um 1330 geboren, soll er in Prag die Magisterwürde erlangt und, nachdem er die Priesterweihe empfangen, Prediger an der Teynkirche in Prag, bald darauf Domherr von St. Veit und Propst der Allerheiligenkirche sowie später Almosenpfleger des Königs Wenzel IV. und Beichtvater der Königin Johanna geworden sein. Als solcher soll er 1383 am Vorabend von Himmelfahrt, weil er trotz aller Drohungen des Königs und aller Folterqualen nicht hätte verraten wollen, was die Königin ihm im Beichtstuhl anvertraut hatte, in die Moldau gestürzt worden sein. Auch die Geschichte kennt einen von Wenzel ertränkten Johann von N., aus dessen Lebensbild die Legende einige Züge entlehnt hat. Aber einmal steht fest, dass dieser am 20. März 1393, sodann dass er wegen kirchenpolitischer Meinungsverschiedenheiten getötet worden ist. Die Tatsache, dass Benedikt XIII. 1729 einen Mann heilig gesprochen, dessen Dasein nicht erweislich ist, hat Schmude (»Geschichte des Lebens und der öffentlichen Verehrung des ersten Märtyrers des Beichtsiegels«, Innsbr. 1883) durch die Behauptung zu widerlegen versucht, es habe zwei Nepomuks gegeben. Doch ist dies ebenso hinfällig wie die Annahme Abels (»Die Legende vom heil. N.«, Berl. 1855), dass N. eine Umbildung des ketzerischen Volkshelden Hus in einen katholischen Heiligen sei. Vgl. Frind, Der geschichtliche Johannes von N. (2. Aufl., Prag 1871) und Der heil. Johann von N. (das. 1879); Reimann in Sybels »Historischer Zeitschrift« (Bd. 27). Nepomuks Gedächtnistag (16. Mai) wird in Böhmen als hohes Kirchen- u. Volksfest begangen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Martine: Konrad Martin (1812 - 1879)

"Martin,  Konrad, Bischof von Paderborn, geb. 18. Mai 1812 zu Geismar im Eichsfeld, gest. 16. Juli 1879 in Belgien, studierte in Halle orientalische Sprachen, in München und Würzburg katholische Theologie und ward 27. Febr. 1836 in Köln Priester. Er wirkte als Rektor des Progymnasiums in Wipperfürth, Religionslehrer am katholischen Gymnasium in Köln und wurde 1844 Professor der Theologie und Inspektor des Konvikts in Bonn. 1856 zum Bischof von Paderborn erwählt, suchte er unermüdlich den kirchlichen Geist namentlich in der seiner Diözese zugeteilten Diaspora in Sachsen und Thüringen zu heben; er errichtete in Paderborn ein Konvikt, in Heiligenstadt ein Knabenseminar und bewirkte die Stiftung zahlreicher neuer Pfarreien, auch den Bau vieler katholischer Kirchen in protestantischen Orten. In seinen Schriften: »Ein bischöfliches Wort an die Protestanten Deutschlands« (1864) und »Zweites Wort etc.« (1866) behandelte er die Protestanten seiner Diözese als seine Untergebenen, wie er die Bekehrung von Protestanten zum Katholizismus sowie die katholische Taufe aller Kinder gemischter Ehen nicht ohne Erfolg betrieb; ja, er knüpfte auch mit orthodoxen lutherischen Pastoren Verhandlungen über ihre »Rückkehr« zur katholischen Kirche an. Die Ansiedelung von Jesuiten begünstigte er besonders. 1869 wurde er nach Rom berufen, um an den Vorarbeiten für das vatikanische Konzil teilzunehmen, war dann Mitglied der dogmatischen Kongregation und kämpfte für die Infallibilität, die er auch schriftstellerisch verteidigte (»Die Arbeiten des vatikanischen Konzils«, 3. Aufl., Paderb. 1873; »Vaticani concilii documentorum collectio«). Den Kulturkampf verglich M. mit der Diokletianischen Verfolgung. Er wurde in dessen Verlauf wiederholt zu hohen Geldstrafen, endlich 1874 zu Festungshaft verurteilt und im Januar 1875 abgesetzt, in Wesel interniert, floh aber im Sommer 1875 nach Belgien. Er schrieb ferner: »Lehrbuch der katholischen Religion für höhere Lehranstalten« (15. Aufl., Mainz 1873, 2 Bde.); »Lehrbuch der katholischen Moral« (5. Aufl., das. 1865); »Die Wissenschaft von den göttlichen Dingen« (3. Aufl., das. 1869); »Drei Gewissensfragen über die Maigesetze« (anonym, das. 1874), dessen erste Auflage wegen einer der Kurie anstößigen Stelle auf den Index gesetzt wurde; »Katechismus des römisch-katholischen Kirchenrechts« (Münst. 1875); »Drei Jahre aus meinem Leben« (Mainz 1877, 3. Aufl. 1878); »Blicke ins Jenseits« (das. 1878) u. a. Seine »Kanzelvorträge« erschienen gesammelt in 7 Bänden (Paderb. 1882–90). Vgl. Stamm, Dr. Konrad M. (Paderb. 1892; dazu »Urkundensammlung«); »Aus der Briefmappe des Bischofs Dr. K. M.« (das. 1902)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

6 Miecislause: Miecislaw Ledochowski (1822 - 1902)

"Ledóchowski, Miecislaw, Graf, Kardinal, geb. 29. Okt. 1822 in Gorki, gest. 22. Juli 1902 in Rom, im Lazaristenkollegium zu Warschau erzogen, erhielt 1840 die Priesterweihe und studierte dann im Jesuitenkollegium zu Rom, erwarb sich die Gunst Pius' IX., der ihn zum Hausprälaten und apostolischen Protonotar erhob, als Auditor bei verschiedenen Nunziaturen verwendete und 1861 zum Erzbischof von Theben in partibus ernannte. Im Januar 1866 von der preußischen Regierung auf den erzbischöflichen Stuhl von Posen-Gnesen berufen, um dort die katholische Geistlichkeit von der politischen Agitation fern zu halten, forderte er im November 1870 persönlich in Versailles eine Intervention Deutschlands zugunsten des Papstes und trat, als dies abgelehnt wurde, an die Spitze der ultramontanen Opposition gegen das Reich, ward auch Wortführer der polnischen Nationalitätsbestrebungen; dafür ernannte ihn der Papst zum Primas von Polen. Wegen seines herausfordernden Auftretens gegenüber der Regierung zu hohen Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt und 3. Febr 1874 verhaftet, verbüßte er 2 Jahre Gefängnis zu Ostrowo. Am 15. April 1874 wurde er vom Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten seines Amtes entsetzt, dafür 15. März 1875 vom Papst zum Kardinal ernannt. Im Februar 1876 seiner Hast entlassen, begab er sich nach Rom, wurde im März 1885 Sekretär der Breven, verzichtete im Januar 1886 auf sein Erzbistum und wurde 1892 Generalpräfekt der Propaganda Fidei. Im Posener Dom soll ihm ein Denkmal errichtet werden."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Herr vom Sande = Fürstbischof von Breslau (nach der Breslauer Sand- und Dominsel): Heinrich Förster (1799 - 1881)

"Förster, Heinrich, Fürstbischof von Breslau, geb. 24. Nov. 1800 in Großglogau, gest. 20. Okt. 1881 in Johannisberg, studierte Theologie, wurde 1825 Priester, 1837 Domkapitular, erster Domprediger und Inspektor des Klerikalseminars in Breslau, erwarb sich den Ruf eines bedeutenden Kanzelredners und trat der von Schlesien ausgehenden deutschkatholischen Bewegung als entschiedener Vorkämpfer des römisch-katholischen Kirchentums entgegen. Im Sommer 1848 in die Nationalversammlung zu Frankfurt gewählt, wohnte er im November d. J. der Synode der deutschen Bischöfe in Würzburg bei und ward 19. Mai 1853 Fürstbischof von Breslau. Von Natur friedliebend und gemäßigt, besaß F. doch nicht den Mut, der Kurie gegenüber seinen persönlichen Standpunkt zu vertreten, was sich besonders im Falle des Professors Baltzer (s. ð Baltzer 1) zeigte. Auf dem vatikanischen Konzil gehörte F. zur Opposition gegen das Unfehlbarkeitsdogma, stimmte 13. Juli 1870 mit 87 andern Bischöfen gegen das Dogma und verließ mit der Mehrheit derselben nach dem Protest vom 17. Juli Rom. Den Fuldaer Hirtenbrief vom 31. Aug. 1870 unterschrieb er nicht, unterwarf sich indes, nachdem er in Rom vergeblich um seine Enthebung vom Amt nachgesucht, bald und schritt bereits im Oktober gegen die Breslauer theologische Fakultät ein. Wegen Vergehen gegen die Maigesetze mehrfach zu Geldstrafen verurteilt und gepfändet und der Temporalien beraubt, ward er 6. Okt. 1875 abgesetzt, hatte sich aber schon vorher nach dem Schloß Johannisberg im österreichischen Teil seiner Diözese begeben. Gesammelt er schienen Försters »Kanzelvorträge« (Bresl. 1854, 6 Bde.; 5. Ausg. 1878) und seine »Hirtenbriefe« (Regensb. 1880, 2 Bde.). Auch schrieb er ein »Lebensbild« seines fürstbischöflichen Vorgängers Melchior von Diepenbrock (Bresl. 1859; 3. Aufl., Regensb. 1878). Vgl. Franz, Heinrich F., Fürstbischof von Breslau (Bresl. 1875)."

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8 Elias ( אליהו‎ ):  biblischer Prophet (9. Jhdt. v. Chr.)

9 Temporaliensperre: Sperre der staatlichen Zuwendungen zum Lebensunterhalt der Geistlichen

10 Kanonisches Alter: vom Kirchenrecht vorgeschriebenes Alter für Pfarrhaushälterinnen: wenn es sich nicht um nahe Verwandte handelt, müssen sie "von fortgeschrittenem Alter" sein

11 Fiducit: in der Studentensprache Antwort auf den Trinkgruß Schmollis



Abb.: Martyrium. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 56, S. 224. -- 1873-12-07

 Anno Sancti Sebastiani1 — Anno Sancti Ledochowski2.

Erläuterungen:

Die strengen Maßregeln der Regierung gegen den renitenten Erzbischof Ledochowski von Posen machten ihn in den Augen romtreuer Katholiken zum Märtyrer.

1 Anno Sancti Sebastiani: im Jahr des heiligen Sebastian

" Sebastian, Heiliger, Patron der Schützen, soll unter Diokletian Hauptmann in der Prätorianergarde gewesen und, da er sich weigerte, seinen Glauben abzuschwören, im J. 280 (?) von mauretanischen Schützen mit Pfeilen durchbohrt worden sein. Tag: 20. Januar. Sebastians Martyrium bildet einen Lieblingsgegenstand der christlichen Kunst, die ihn meist als schönen, nur mit dem Lendentuch umgürteten Jüngling, an den Baum oder Pfahl gebunden und von zahlreichen Pfeilen durchbohrt, darstellt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Anno Sancti Ledochowski: im Jahr des heiligen Ledochowski

"Ledóchowski, Miecislaw, Graf, Kardinal, geb. 29. Okt. 1822 in Gorki, gest. 22. Juli 1902 in Rom, im Lazaristenkollegium zu Warschau erzogen, erhielt 1840 die Priesterweihe und studierte dann im Jesuitenkollegium zu Rom, erwarb sich die Gunst Pius' IX., der ihn zum Hausprälaten und apostolischen Protonotar erhob, als Auditor bei verschiedenen Nunziaturen verwendete und 1861 zum Erzbischof von Theben in partibus ernannte. Im Januar 1866 von der preußischen Regierung auf den erzbischöflichen Stuhl von Posen-Gnesen berufen, um dort die katholische Geistlichkeit von der politischen Agitation fern zu halten, forderte er im November 1870 persönlich in Versailles eine Intervention Deutschlands zugunsten des Papstes und trat, als dies abgelehnt wurde, an die Spitze der ultramontanen Opposition gegen das Reich, ward auch Wortführer der polnischen Nationalitätsbestrebungen; dafür ernannte ihn der Papst zum Primas von Polen. Wegen seines herausfordernden Auftretens gegenüber der Regierung zu hohen Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt und 3. Febr 1874 verhaftet, verbüßte er 2 Jahre Gefängnis zu Ostrowo. Am 15. April 1874 wurde er vom Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten seines Amtes entsetzt, dafür 15. März 1875 vom Papst zum Kardinal ernannt. Im Februar 1876 seiner Hast entlassen, begab er sich nach Rom, wurde im März 1885 Sekretär der Breven, verzichtete im Januar 1886 auf sein Erzbistum und wurde 1892 Generalpräfekt der Propaganda Fidei. Im Posener Dom soll ihm ein Denkmal errichtet werden."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Schreckliche Folgen des Syllabus1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 26, Nr. 57, S. 228. -- 1873-12-14

Wenn ein Altkatholik oder ein sonst mit dem Bann belegter einen infalliblen2 Christen grüßt, so darf dieser in keinem Fall danken3.

Erklärungen:

1 Syylabus: siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- Fassung vom 2004-04-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm

2 infallibel = unfehlbar; infellibler Christ = Römisch-Katholischer

3 Nach dem damaligen Kirchenrecht hatten Katholiken bürgerlichen Verkehr mit Exkommunizierten zu meiden; dazu gehörte auch, dass der (freundschaftliche) Gruß zu verweigern ist!


1874


Der heilige Martin1, aber nicht der Alte2. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 1, S. 3. -- 1874-01-04

Der Bischof Martin von Paderborn --
Nie war ein frömmerer Herr.
"Was hilft mir wider Bismarcks Zorn
Das Sträuben und Gesperr?
Da helfe mir zu dieser Frist
Jesuitenlist,
Die aller Gewalten Meister ist!"

Dem lieben Bruder drauf verschreibt
Er Alles, was er hat;
Nicht das Geringste ihm verbleibt
In Paderborn, der Stadt.
Und wo nichts ist in Paderborn,
Trotz allem Zorn
Hat da der Kaiser sein Recht verlorn.

"Wenn ich nun Buße zahlen soll,
Nehmt alles, was ihr findt!
Ich bin so arm und kummervoll,
Wie Kirchenmäuse sind.
Hier trink ich aus geborgtem Glas --
Wer nimmt mir das? --
Das edle goldne gepumpte Nass!"

So spricht er fröhlichen Gesichts --
Die List hat ihm genützt:
Er kann beschwören, dass er nichts
Auf dieser Welt besitzt.
Der Exekutor klopft ans Tor;
Doch mit Humor
Zeigt Martin die Verschreibung vor.

Herr Martin ist 's von Paderborn,
Ein Mann von frommer Art.
Kommt nun von hinten oder vorn,
Er  hat sich wohl verwahrt.
Er wendet es mit Vorteil an,
So gut er kann,
Was er gelernt vom Börsenmann.

 

Hast du nur, Martin, nicht gemacht
Die Rechnung ohne Wirt?
Nimm vor dem Kanzler3 dich in Acht,
Du biedrer Seelenhirt!
Der ist am Ende so wenig fein --
Was kann da sein? --
Und -- steckt den Martin selber ein!

Erklärungen:

1 Konrad Martin (1812 - 1879): 1856 bis 1875 Bischof von Paderborn.

"Als in Preußen der Kulturkampf ausbrach, den Martin mit der Diokletianischen Verfolgung verglich, gehörte er natürlich zu den schärfsten Gegnern der Regierung und bot derselben durch Ungehorsam und dreiste Verletzung der Maigesetze Trotz. Wiederholt zu hohen Geldstrafen, endlich 1874 zu Festungshaft verurteilt und im Januar 1875 abgesetzt, war er in Wesel interniert, von wo er jedoch im Sommer 1875 nach Belgien floh. Hier starb er am 16. Juli 1879 und wurde in Paderborn beigesetzt.

Martin war seit 1869 Vorkämpfer für das Unfehlbarkeitsdogma. Es läuft ein Seligsprechungsverfahren."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Martin.  -- Zugriff am 2008-01-10]

2 der Alte = Martin von Tours (316/317 - 397)

3 Kanzler = Bismarck



Abb.: Der durch Herzensgüte an den B--ischofsstab gebrachte arme Martin. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 1, 1. Beiblatt. -- 1874-01-04

Bischof von Paderborn. Alles, was ich besitze, gehört meinem Bruder.

siehe die Erklärung zum Vorhergehenden!



Abb.: Zur Nachahmung empfohlen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 3, S. 12. -- 1874-01-18

Pater Hyacinth1 und Mater Loyson fegen die genfer Kirche aus.

Erklärung:

1 Pater Hyacinth = Charles Loyson (1827 - 1912)

"Loyson (spr. lŭasóng), Charles, bekannt unter dem Namen Pere Hyacinthe (spr. ĭassängt'), franz. Prediger, geb. 10. März 1827 in Orléans, empfing 1851 die Priesterweihe, ward 1854 Lehrer der Dogmatik in Nantes, dann Vikar an der Kirche St.-Sulpice in Paris und trat 1863 in Rom in den Karmeliterorden. Mit ungeheuerm Beifall predigte er in Notre-Dame, bis ihm 1869 wegen seiner antiultramontanen Anschauungen vom Karmelitergeneral Schweigen auferlegt wurde. Er trat aus dem Orden, wurde exkommuniziert, verließ Paris und wandte sich nach New York, wo er sehr gefeiert wurde. Noch Ende 1869 nach Europa zurückgekehrt, protestierte er 1870 gegen das Dogma von der Unfehlbarkeit, trat mit den deutschen Altkalholiken in Verbindung, heiratete 1872 eine zum Katholizismus übergetretene Amerikanerin und ließ sich 1873 in Genf nieder, wo er schon 1874 mit den ihm zu weit gehenden Altkatholiken zerfiel. Er verzog nach Paris und eröffnete dort 1879 die »Église catholique gallicane«, als deren Rektor er bis 1884 fungierte, wo die Gemeinde sich an die altkatholische Kirche Hollands anschloß. Seitdem lebt er in Genf, neuerdings viel beschäftigt mit der Idee einer Zukunftskirche, in der Christen, Juden und Mohammedaner Gott einmütig verehren sollen. Er schrieb unter anderm: »La société civile dans ses rapports avec le christianisme« (1867); »De la réforme catholique« (1872–73, 2 Tle.); »Les principes de la réforme cathōlique« (1878); »Liturgie de l'Église catholique-gallicane« (4. Aufl. 1883); »Ni cléricaux ni athées. Discours et lettres« (1890); »Edmond de Pressensé«, Gedächtnisrede (1891); »Mon testament« (1893)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Den renitenten Bischöfen könnten Exekution und Gefängnis erspart werden ---  In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 9, 1. Beiblatt. -- 1874-02-22

wenn man  ihnen nur gestattete, von jenseits der Grenze ihre deutschen Schafe zu weiden.



Abb.: Zum roten Hut. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 10, S. 40. -- 1874-03-01

Der Papst hat, wie alle Potentaten, ein handwerk gelernt. Er ist in seinen Mußestunden Hutmacher und wird nächstens wieder einen Posten neugebackener Kardinäle mit seinem Fabrikat beglücken.



Abb.: Ein fruchtbares Land. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 11, S. 44. -- 1874-03-08

In Frankreich erscheinen jetzt fortwährend neue Jungfrauen. Man hofft damit so lange fortzufahren, bis jeder ausgewachsene Franzose seine eigene hat.


Neuestes Stammbuchblatt eines stuttgarter Prälaten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 12, S. 47. -- 1874-03-15

O Binder1, böser Binder,
Verführer unsrer Kinder,
Du weinst am Grab des Atheisten,
Des David Strauß2, des Antichristen?

Du rühmst ihn, böser Binder,
Den Christenhautabschinder,
Statt kapffisch3 ihn zu verunglimpfen
Und ihm ins Jeseits nachzuschimpfen?

Du bitterböser Binder,
Du sehnden Auges Blinder,
Du saubrer "Studienratsdirekter",
Scheinst mir ein Heide, ein versteckter!

Nicht fürder sei der Jugend
Christlich-germansche Tugend
Vertraut dir höllenreifem Sünder!
Apage4 Binder, böser Binder!

Erklärungen:

1 Gustav v. Binder 1807-1885: Theologe, Freund von David-Friedrich Strauß, Präsident der Kultministerial-Abteilung in Stuttgart

2 David Friedrich Strauß (1808 - 1874-02-08)

"Strauß, David Friedrich, prot. Theolog und Schriftsteller, geb. 27. Jan. 1808 zu Ludwigsburg in Württemberg, gest. daselbst 8. Febr. 1874, bildete sich in dem theologischen Stift zu Tübingen, ward 1830 Vikar, 1831 Professoratsverweser am Seminar in Maulbronn, ging aber noch ein halbes Jahr nach Berlin, um Hegel und Schleiermacher zu hören. 1832 wurde er Repetent am theologischen Seminar in Tübingen und hielt zugleich philosophische Vorlesungen an der Universität. Damals erregte er durch seine Schrift »Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet« (Tübing. 1835, 2 Bde.; 4. Aufl. 1840) ein fast beispielloses Aufsehen. S. wandte darin das auf dem Gebiete der Altertumswissenschaften begründete und bereits zur Erklärung alttestamentlicher und einzelner neutestamentlicher Erzählungen benutzte Prinzip des Mythus auch auf den gesamten Inhalt der evangelischen Geschichte an, in der er ein Produkt des unbewusst nach Maßgabe des alttestamentlich jüdischen Messiasbildes dichtenden urchristlichen Gemeingeistes erkannte. Die Gegenschriften gegen dieses Werk bilden eine eigne Literatur, in der kaum ein theologischer und philosophischer Name von Bedeutung fehlt. Strauß' Antworten erschienen als »Streitschriften« (Tübing. 1837, 3 Hefte). Für die persönlichen Verhältnisse des Verfassers hatte die Offenheit seines Auftretens die von ihm stets schmerzlich empfundene Folge, dass er noch 1835 von seiner Repetentenstelle entfernt und als Professoratsverweser nach Ludwigsburg versetzt wurde, welche Stelle von ihm jedoch schon im folgenden Jahre mit dem Privatstand vertauscht wurde. Früchte dieser ersten (Stuttgarter) Muße waren die »Charakteristiken und Kritiken« (Leipz. 1839, 2. Aufl. 1844) und die Abhandlung »Über Vergängliches und Bleibendes im Christentum« (Altona 1839). Von einer versöhnlichen Stimmung sind auch die in der 3. Auflage des »Lebens Jesu« (1838) der positiven Theologie gemachten Zugeständnisse eingegeben, aber schon die 4. Auflage nahm sie sämtlich zurück. 1839 erhielt S. einen Ruf als Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte nach Zürich; doch erregte diese Berufung im Kanton so lebhaften Widerspruch, dass er noch vor Antritt seiner Stelle mit 1000 Frank Pension in den Ruhestand versetzt ward. 1841 verheiratete sich S. mit der Sängerin A. Schebest (s. d.), doch wurde die Ehe nach einigen Jahren getrennt. Sein zweites Hauptwerk ist: »Die christliche Glaubenslehre, in ihrer geschichtlichen Entwickelung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft dargestellt« (Tübing. 1840–41, 2 Bde.), worin eine scharfe Kritik der einzelnen Dogmen in Form einer geschichtlichen Erörterung des Entstehungs- und Auflösungsprozesses derselben gegeben wird. Auf einige kleine ästhetische und biographische Artikel in den »Jahrbüchern der Gegenwart« folgte das Schriftchen »Der Romantiker auf dem Thron der Cäsaren, oder Julian der Abtrünnige« (Mannh. 1847; 3. Aufl., Bonn 1896), eine ironische Parallele zwischen der Restauration des Heidentums durch Julian und der Restauration der protestantischen Orthodoxie durch den König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. 1848 von seiner Vaterstadt als Kandidat für das deutsche Parlament aufgestellt, unterlag S. dem Misstrauen, das die pietistische Partei unter dem Landvolk des Bezirkes gegen ihn wachrief. Die Reden, die er teils bei dieser Gelegenheit, teils vorher in verschiedenen Wahlversammlungen gehalten hatte, erschienen unter dem Titel: »Sechs theologisch-politische Volksreden« (Stuttg. 1848). Zum Abgeordneten der Stadt Ludwigsburg für den württembergischen Landtag gewählt, zeigte S. wider Erwarten eine konservative politische Haltung, die ihm von seinen Wählern sogar ein Misstrauensvotum zuzog, in dessen Folge er im Dezember 1848 sein Mandat niederlegte. Seiner spätern, teils in Heidelberg, München und Darmstadt, teils in Heilbronn und Ludwigsburg verbrachten Muße entstammten die durch Gediegenheit der Forschung und schöne Darstellung ausgezeichneten biographischen Arbeiten: »Chr. Friedr. Daniel Schubarts Leben in seinen Briefen« (Berl. 1849, 2 Bde.); »Christian Märklin, ein Lebens- und Charakterbild aus der Gegenwart« (Mannh. 1851); »Leben und Schriften des Nikodemus Frischlin« (Frankf. 1855); »Ulrich von Hutten« (Leipz. 1858; 6. Aufl., Bonn 1895), nebst der Übersetzung von dessen »Gesprächen« (Leipz. 1860); »Herm. Samuel Reimarus« (das. 1862); »Voltaire, sechs Vorträge« (das. 1870; 8. Aufl., Bonn 1895; Frankf. a. M. 1906); ferner »Kleine Schriften biographischen, literatur- und kunstgeschichtlichen Inhalts« (Leipz. 1862; neue Folge, Berl. 1866; 3. Aufl., Bonn 1898), woraus »Klopstocks Jugendgeschichte etc.« (Bonn 1878) und der Vortrag »Lessings Nathan der Weise« (4. Aufl., das. 1896) besonders erschienen. Eine neue, für das Volk bearbeitete Ausgabe seines »Lebens Jesu« (Leipz. 1864; 13. Aufl., Stuttg. 1904) ward in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Einen Teil der hierauf gegen ihn erneuten Angriffe wies er in der gegen Schenkel und Hengstenberg gerichteten Schrift zurück: »Die Halben und die Ganzen« (Berl. 1865), wozu noch gehört: »Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte, eine Kritik des Schleiermacherschen Lebens Jesu« (das. 1865). Noch einmal, kurz vor seinem Tod, erregte S. allgemeines Aufsehen durch seine Schrift »Der alte und der neue Glaube, ein Bekenntnis« (Leipz. 1872; 16. Aufl. als Volksausg., Stuttg. 1904), in der er mit dem Christentum brach, alle gemachten Zugeständnisse zurücknahm und einen positiven Aufbau der Weltanschauung auf Grundlage der neuesten, materialistisch und monistisch gerichteten Naturforschung unternahm. S.' »Gesammelte Schriften« (mit Ausschluss der spezifisch theologischen und dogmatischen), hat Zeller herausgegeben (Bonn 1876–78, 11 Bde., auch die von ihm hinterlassenen »Literarischen Denkwürdigkeiten« und die Gedichte enthaltend), dazu »Poetisches Gedenkbuch«, Gedichte (das. 1878) und »Ausgewählte Briefe« (das. 1895), die Briefe an Binder-Ziegler (in der »Deutschen Revue«, 1905). Vgl. Hausrath, David Friedrich S. und die Theologie seiner Zeit (Heidelb. 1876–78, 2 Bde.); Zeller, David Friedrich S. in seinem Leben und seinen Schriften geschildert (Bonn 1874); Eck, David Friedrich S. (Stuttg. 1899); Harräus, David Friedrich S. (Leipz. 1901)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Sixt Karl Kapff (1805 - 1879)

"Kapff, Sixt Karl, Theolog, Führer des schwäbischen Pietismus, geb. 22. Okt. 1805 zu Güglingen in Württemberg, gest. 1. Sept. 1879 in Stuttgart, wurde Vikar seines Vaters, dann Religionslehrer am Fellenbergschen Institut in Hofwil, 1829 Repetent am Tübinger Stift. Nachdem er seit 1833 Pfarrer in Kornthal, seit 1843 Dekan in Münsingen, seit 1847 in Herrenberg gewesen war, wurde er 1850 Generalsuperintendent in Reutlingen und außerordentliches Mitglied der Oberkirchenbehörde und des Studienrats, 1852 Stiftsprediger, später auch Prälat und Oberkonsistorialrat in Stuttgart. Von seinen zahlreichen Schriften haben besonders das größere und kleinere »Kommunionbuch« und das »Gebetbuch« große Verbreitung gefunden, dann die »Predigten über die alten Evangelien des Kirchenjahrs« (3. Aufl., Stuttg. 1875) und »Predigten über die alten Episteln« (6. Aufl., das. 1879). Auch schrieb er: »Die württembergischen Brüdergemeinden Kornthal u. Wilhelmsdorf« (Stuttgart 1839) und »Kasualreden« (das. 1880). Vgl. Karl Kapff, Lebensbild von Sixt Karl v. K. (Stuttg. 1881, 2 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Apage, Satana! (Vulgata) = Weiche Satan! (Matthäusevangelium 4,10)



Abb.: Wilhelm Scholz (1824 - 1893): Das schwarz-rote Turnier des neunzehnten Jahrhunderts. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 14/15, S. 60. -- 1874-03-29

Sozialdemokrat: Wenn dieser Gang vorüber ist, komm' ich an die Reihe!



Abb.: Lebendes Bild im österreichischen Landtag. (A propos der jesuitischen Fakultät1 in Innsbruck.). -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 116, S. 64. -- 1874-04-05

Caesar Vaticanus. Auch du, Brutus, mein ältester Sohn?
Brutus Austriacus. Es ist halt nicht so böse gemeint

Erklärung:

1 Theologische Fakultät der Universität Innsbruck

"Die neuere Entwicklung setzt damit ein, dass 1857 Kaiser Franz Joseph I. die Theologische Fakultät wiedererrichtet und dem Jesuitenorden übertragen hat. Der österreichische Provinzial konnte Professoren einsetzen und abberufen, auch den Dekan ernennen. In dieser Rechtsform nahm die Fakultät ihre Arbeit auf und fand schon in den ersten Jahren ihres Bestehens einen beachtlichen Zustrom von Studenten. Die außergewöhnliche Sonderstellung der Fakultät wurde aber nach politisch heftigen Kämpfen gegen die "Jesuitenfakultät" 1873 dahin geändert, dass sie den anderen Fakultäten der Universität angeglichen wurde (Habilitation, Berufung der Professoren durch den Staat u.a.), aber ihre Eigenart grundsätzlich erhalten blieb. Diese Eigenart, besonders hinsichtlich der Zusammensetzung des Lehrkörpers, wurde schließlich auf Verlangen des Kardinal-Staatssekretärs Pacelli, des späteren Papstes Pius XII., im österreichischen Konkordat von 1933 festgehalten."

[Quelle: http://www.uibk.ac.at/theol/chronik/history.html. -- Zugriff am 2008-01-10]



Abb.: Verein gegen Verarmung und Bettelei. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 17, S. 68. -- 1874-04-12

Der Peterspfennig, welcher seit einiger Zeit schon etwas spärlich floss, ist am 24. März ganz versiegt. Wäre es nicht angezeigt für den armen Mann im Vatikan, das Betteln aufzugeben und lieber wieder zu dem fröhlichen und geschäftsmäßigeren Ablasskram zu greifen, bei welchem jetzt nach der Theorie von Leistung und Gegenleistung noch manches zu verdienen wäre?


Das Wunderwasser von Lourdes. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 20, S. 79. -- 1874-05-03

(Da jetzt im Großherzogtum Posen ein schwunghafter Handel mit dem Wasser der Grotte von Lourdes getrieben wird, so geben wir nachstehend eine Anweisung zur richtigen Anwendung dieses Elixiers.)

Das Eau de Lourdes viel wunder tut
Der gläubigen Welt zum Besten:
Es heilt euch, so ihr 's gebrauchet gut,
Von Sünden und von Gebresten.

Wollt ihr des Wunderwassers Wert
Erproben einmal hienieden,
So stellt 's, ihr Christen, auf den Herd
Und lasst es langsam sieden.

Und dass es seine Wunderkraft
Bewähr trotz Hexen und Teufeln,
So lasset der Zitrone Saft
Und Rum darein auch träufeln.

Und trinkt ihr's dann aus dem Römer klar,
Dann werdet ihr allmälig
Der Schmerzen all und der Sorgen bar,
Und werdet endlich -- selig.


Wohlwollend, aber — nichtkönnend. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 21, S. 82. -- 1874-05-10

"Die höchste Anforderung, welche wir an uns selbst stellen können, ist: mit Wohlwollen den verschiedenen religiösen Bekenntnissen zu begegnen." von Mallinckrodt1 [Zentrumsabgeordneter], in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 5. Mai.

Wohlwollen, Liebe, frommes Schonen
Für jeden Glauben, jeden Stand!
Wir achten alle Konfessionen,
Wir sind wahrhaftig tolerant.
Was scheltet ihr, wozu poltert
Ihr gegen Papst und Kapitol?
Wenn jemals Ketzer wir gefoltert,
Geschah's zu ihrer Seelen Wohl.

Wohlwollen! — Mit gelindem Zwange
Einst mahnten wir den bösen Hus2.
Umsonst! Er schritt zum letzten Gange,
Ein störrischer Haereticus.
Hätt er die Lehren widerrufen
Abtrünnger Trugtheologie,
Er hätt des Scheiterhaufens Stufen —
Wir schwören's euch — bestiegen nie.

Wohlwollen! — Mit Geduld ertrugen
Wir einst Giordano Brunos3 Trotz;
Und als wir ihn in Ketten schlugen,
Ihn banden an den Schächerklotz,
Da sprachen mild wir: Vom Verderben
Noch macht ein einzig Wort dich frei.
Bekehr dich! — Doch er wollte sterben,
Und schmerzlich riefen wir: Es sei!

Wohlwollen! — In geweihter Stola
Hat zu der Ordensbrüder Schreck
Durch Wort und Tat Savonarola4
Des Papstes Macht gelästert keck.
Als er den Glauben Alexanders5
Verleugnet frevelnd und verkannt,
Da haben wir — es ging nicht anders —
Ihn erst erdrosselt, dann verbrannt.

Wohlwollen! — Tausend zwar verhauchten
Einst unter Henkers Schwert und Beil,
Viel tausend Ketzeropfer rauchten,
Doch stets nur zu der Seelen Heil;
Denn wenn das Holz begann zu schwelen,
Auflohte dann der Scheiterhauf,
Dann stiegen aus der Glut die Seelen
Geläutert zu dem Himmel auf.

Wohlwollen! — Von der Ketzer Rotten
War unsre Kirche wild bedroht;
Doch weihten von den Hugenotten6
Kaum fünfzigtausend wir dem Tod.
Gregor7 befahl — wir mussten eben
Ans Werk in blutgem Hochzeitstanz8;
Den andern schenkten wir das Leben.
Sprecht selbst, was das nicht Toleranz?

Wohlwollen! — Über alle Lande
Einst war gebreitet unser Joch;
Doch lebt noch die lutherische Bande,
Und auch die Juden leben noch.
O, hätten wir mit Eisenbesen
Gefegt sie einst von unsrer Tür!
Wir sind zu tolerant gewesen;
Jetzt aber büßen wir dafür.

Wohlwollen, Liebe, Fried und Milde
Wir übten stets sie treu und rein.
Wir drangen nie in die Gefilde
Der Andersgläubgen zänkisch ein;
Nie haben Seelen wir geknechtet,
Und irdschen Vorteil nie gesucht.
Wer daran zweifelt, sei — geächtet
Und sei verflucht! —  verflucht!! —  verflucht!!!

Erläuterungen:

1 Hermann von Mallinckrodt, ultramontaner Politiker. Siehe oben

2 Hus

"Hus (besser als Huß), Johann, böhm. Reformator, geb. wahrscheinlich 1369 in Husinetz (wonach er sich zuerst Johannes de Husinetz, später Hus nannte), gest. 6. Juli 1415 in Konstanz, war Sohn armer Bauern, studierte in Prag Theologie, erlangte 1393 das Bakkalaureat der freien Künste, 1394 das der Theologie und wurde 1396 Magister der freien Künste. Zu seinen Lehrern gehörte unter andern Mag. Nikolaus Biceps, Nikolaus von Leitomischl, Stephan Palec von Kolin und Mag. Stanislaus von Znaim, sein späterer Gegner, vielleicht auch Albertus Ranconis. Seit 1398 hielt er Vorlesungen an der Universität, um 1400 wurde er zum Priester geweiht, 1401-1402 war er Dekan, 1403 Rektor und gleichzeitig Prediger an der durch ihn berühmt gewordenen Bethlehemskapelle, als Nachfolger Stephans von Kolin. Wichtig für seine Entwickelung, in gewisser Beziehung entscheidend für sein weiteres Leben, wurde die Bekanntschaft mit den theologischen Schriften Wiclifs, die Mag. Hieronymus etwa 1401 nach Prag mitgebracht hatte. Wie seine sogen. »Vorläufer«, Waldhauser und Militsch von Kremsier, beschäftigte er sich in seinen Predigten lebhaft mit den damals akuten Fragen nach Reform der Kirche an Haupt und Gliedern. Schon als im J. 1403 das Prager Kapitel ein Gutachten von der Universität über die von der Londoner Synode (1382) verurteilten 24 Wiclifitischen Lehrsätze, denen Mag. Johannes Hubner noch 21 neue hinzugefügt hatte, abverlangte, soll Hus neben Nikolaus von Leitomischl, Palec und Stanislaus von Znaim auf der Seite der Verteidiger Wiclifs gestanden haben; gleichwohl wurde beschlossen, dass diese Artikel, wenn sie auch nicht als ketzerisch angesehen werden, nicht gelehrt werden sollten. In dem damals oder kurz nachher verfassten Traktat »De corpore Christi« steht Hus auf vollkommen kirchlichem Boden. Auch erfreute er sich damals der vollen Gunst des Prager Erzbischofs Sbinko, wurde von ihm 1405 mit zwei andern Kollegen zur Prüfung des Wunderbluts von Wilsnack (s. d.) bestimmt, das er verurteilte, worauf der Erzbischof die Wallfahrten dahin untersagte; auch nahm er in einer eignen Schrift: »De ommi sanguine Christi glorificato«, Stellung zu dieser Frage. Damals beschäftigte er sich auch mit der Reinigung und Vereinfachung der böhmischen Orthographie, schrieb seine »Orthographia bohemica« und legte die Grundlage zur heutigen böhmischen Rechtschreibung.

Der immer deutlichere Anschluss Hus' an die Lehre Wiclifs bot den Gegnern jeder Kirchenreform Anlass, ihn der Ketzerei zu verdächtigen, und wenn auch diese Anklagen beim Prager Erzbischof keinen Erfolg hatten, so kam doch aus Rom schon 1405 eine Bulle Innozenz' VII., worin der Erzbischof aufgefordert wurde, dem Ketzertum in seiner Diözese entgegenzutreten. Doch noch stand Hus in vollem Einvernehmen mit dem Erzbischof und genoss auch am Hofe Wenzels als königlicher Kaplan und vielleicht auch Beichtvater der Königin Sophie große Gunst. Aber schon 1407 wurde Hus das Amt eines Synodalpredigers, das er seit 1405 innegehabt hatte, vom Erzbischof genommen; und als der Erzbischof im folgenden Jahre die 45 Artikel gegen Wiclif trotz des wiederholten unentschiedenen Gutachtens der Universität vom 20. Mai 1408 auf der Junisynode verbot und die Ablieferung der ketzerischen Bücher bis zum 4. Juli verfügte, vollzog sich der Bruch. Zwar kam auch Hus, wie die meisten seiner Anhänger, der Aufforderung bezüglich der Bücher widerstrebend nach; in seinen Predigten aber fuhr er fort, die Lehren Wiclifs zu verteidigen.

Die Frage für und gegen die kirchliche Reform hatte schon seit langem an der Universität in Prag eine Spaltung unter den Professoren hervorgerufen, und zwar standen die der tschechischen Nationalität angehörigen mehr auf der Seite der Reform. So bildete sich, durch andre Verhältnisse mit beeinflusst, hier ein nationaler Gegensatz immer schärfer heraus. Als die böhmische Nation an der Universität im Gegensatz zu den drei übrigen Nationen dem Wunsche König Wenzels entsprechend beschloss, betreffs des päpstlichen Schismas Neutralität zu bewahren, änderte der König laut dem Kuttenberger Dekret vom 18. Jan. 1409 das bisherige Stimmenverhältnis zugunsten der böhmischen Nation, so dass die deutschen Studenten mit ihren Lehrern Prag 16. Mai 1409 verließen. Der Einfluss, den Hus auf diese Verfügungen hatte, ist nicht sichergestellt; jedenfalls war Hus der erste Rektor, der nach der neuen Stimmordnung gewählt wurde.

Erzbischof Sbinko, der sich 2. Sept. 1409 zur Obedienz Papst Alexanders V. bekannt hatte, schritt nun, da Hus in seinen Predigten fortfuhr, gegen ihn ein, erlangte vom Papst eine Bulle (erlassen 20. Dez. 1409, in Prag verkündet im März 1410), die das öffentliche Predigen nur in bestimmten Kirchen gestattete, wodurch Hus die Wirksamkeit in der Bethlehemskapelle unmöglich gemacht werden sollte, und sprach schließlich 18. Juli 1410, nachdem zwei Tage zuvor die Verbrennung der Wiclifitischen Bücher im erzbischöflichen Hofe stattgefunden hatte, den Bann über Hus aus. Hus verteidigte sich in Disputationen und Schriften (»De libris haereticorum legendis« u. a.), und König Wenzel nahm sich seiner in Rom an; allein auch Johann XXIII. bestätigte die Verfügungen seines Vorgängers und zitierte Hus nach Rom. Eine weitere Verschärfung der Verhältnisse ergab sich, als der Papst (Mai 1412) die Ablassbulle wegen des Kreuzzuges gegen den König Ladislaus von Apulien verkünden ließ und Hus offen gegen die Ablassverkünder auftrat. Damals trennten sich Palec und Stanislaus von Znaim von Hus, der in der Universität, in der Bethlehemskapelle und auch außerhalb Prags gegen den Ablass predigte und auch einen Traktat »Quaestio de indulgentiis sive de cruciata papae Johannis XXIII. fulminata contra Ladislaum Apuliae regem« verfasste. Im Verlaufe von Straßenunruhen in Prag wurden drei junge Leute, die zum Anhange Hus' gehörten, hingerichtet; vom Volke wurden die Leichname in die Bethlehemskapelle gebracht, wobei das Lied »Isti sunt sancti« gesungen wurde, und von Hus feierlich begraben. Die Wirren in Universität und Volk wurden immer stärker, die Ausbreitung der Anhänger Hus' nahm im Land und in den Nachbargebieten immer mehr zu, so dass im Juli 1412 über Hus der große Kirchenbann verhängt wurde. Da die Anwesenheit des Gebannten allen Kirchendienst hemmte, veranlasste König Wenzel Hus (im Dezember 1412), Prag zu verlassen. Hus verbrachte die folgende Zeit auf Schlössern befreundeter Adliger, schrieb hier eine Anzahl von Wiclifsche Anschauung vertretenden Traktaten, darunter »De ecclesia«, woraus später der Anklagestoff in Konstanz wider ihn genommen wurde. Hier und in andern gleichzeitigen Schriften stellte sich Hus bereits vollständig auf den Standpunkt der Schrift als Quelle des Glaubens; dagegen hielt er an der Wandlungslehre, Anrufung der Heiligen etc. fest und leugnete noch nicht die konziliare Autorität in der Kirche. Als daher das Konstanzer Konzil (s. d.) 1414 zusammentrat, veranlasste König Siegmund im Herbst Hus gegen Zusicherung sichern Geleites, dahin zu kommen. Hus folgte der Einladung in der Hoffnung, die Väter zu seinen (d. h. zu Wiclifs) Lehren bekehren zu können. Am 3. Nov. 1414 traf er ein, fast gleichzeitig seine bittersten Feinde und Ankläger, darunter auch Stephan von Palec. Wenige Wochen später (28. Nov.) wurde er unter dem Vorwand eines beabsichtigten Fluchtversuchs verhaftet, und nach der Ankunft Siegmunds traten bald politische, bald kanonische Hindernisse einer versuchten Vermittelung seitens des Königs entgegen. In der Nacht des Palmsonntags 1415 ließ der Bischof von Konstanz Hus in seine Burg Gottlieben verbringen. Proteste blieben erfolglos, und nachdem das Konzil 4. Mai 1415 die Verwerfung der Wiclifschen Lehren feierlich verkündigt hatte, war Hus' Schicksal entschieden. In drei Verhören, am 5., 7. und 8. Juni, die beiden letzten Male in Gegenwart des Königs, beharrte Hus bei seinen Sätzen, solange ihm kein Irrtum nachgewiesen werde. In der 15. öffentlichen Sitzung des Konzils 6. Juli 1415 erfolgte die feierliche Verurteilung. Noch am selben Tage bestieg er auf dem »Brühl« den Scheiterhaufen und litt den Tod standhaft und mit Seelengröße. Sein Todestag ward in Böhmen lange als kalendermäßiges Fest gefeiert, das erst durch die Heiligsprechung des Johann von Nepomuk (s. d.) verdrängt wurde. Sein Bildnis s. Tafel »Reformatoren«. Am Altstädter Ring in Prag soll ihm ein großartiges Denkmal errichtet werden. Eine Ausgabe seiner tschechischen Werke besorgte Erben (Prag 1865-68, 3 Bde.), eine neue (»Mag. Joh. H. opera omnia«) W. Flajshans (das. 1903 ff.), die seiner Briefe und einiger Aktenstücke Palacky (das. 1869); »Ausgewählte Predigten« gab Langsdorff deutsch heraus (Leipz. 1894). Eine kritische Ausgabe der Werke ist erst nach Vollendung der Wiclif-Ausgabe zu erwarten. Die Literatur vor Palackys Geschichte Böhmens (Prag 1845-67) ist veraltet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Giordano Bruno

"Bruno, Giordano (Jordanus Brunus), berühmter Philosoph, geb. 1548 zu Nola im Neapolitanischen (daher Bruno Nolanus), gest. 17. Febr. 1600 in Rom, verließ seiner freimütigen Ansichten wegen das Dominikanerkloster zu Neapel, dem er seit seinem 15. Jahr etwa angehört hatte, und floh 1576 nach kurzem Aufenthalt in Rom von da und gelangte auf mancherlei Umwegen nach Genf, von wo er wegen der Unduldsamkeit der dortigen Calvinisten weiter nach Lyon und Toulouse ging. Hier blieb er 21/2 Jahre und hielt über verschiedene Teile der Philosophie Vorlesungen. 1581 endlich begab er sich nach Paris, wo er über Philosophie mit Beifall vortrug, auch von dem König Heinrich III. Gunst erfuhr. Hier gab er seine an komischen, oft zynischen Zügen reiche Komödie »Candelajo« (»Der Lichtzieher«) heraus sowie einige philosophische Schriften. Bedrängt von den Aristotelikern, mit denen er in Streit geraten war, begab er sich 1583 nach London, wo er von dem französischen Gesandten Michel de Castelnau, Herrn de la Mauvisière, wohlwollend aufgenommen wurde, auch mit diesem öfter an den Hof der Königin Elisabeth kam. Dort schrieb er seinen »Spaccio della bestia trionfante« (Par. 1584), drei Gespräche, in denen die Tugenden durch die Laster, beide als himmlische Konstellationen dargestellt, vom Firmament verjagt werden, mit satirischen Anspielungen auf die Hierarchie; »La cena delle ceneri«, in der er als Verteidiger des kopernikanischen Weltsystems auftrat, und seine wichtigsten Werke: »Della causa, principio ed uno« (Vened. 1584; deutsch von Lasson, 3. Aufl., Leipz. 1902) und »Del infinito universo e mondi« (Vened. 1584). 1585 ging er wieder nach Paris, wo er »Gli eroici furori« veröffentlichte, dann 1586 nach Wittenberg, 1588 nach Prag, wo er »De specierum scrutinio et lauripode combinatoria Raym. Lulli« herausgab. Hierauf wandte er sich nach Helmstedt, wo er wichtige lateinische Lehrgedichte entwarf, weiter nach Frankfurt a. M. (1590), Padua (1591) und endlich nach Venedig, wo er 1592 von der Inquisition ergriffen und 1593 nach Rom ausgeliefert ward. Wegen Abfalls und hartnäckiger Ketzerei zum Tode verurteilt, ward er in Rom auf dem Campo dei Fiori lebendig verbrannt. Seinen Richtern rief er zu, sie fällten mit größerer Furcht das Urteil, als er es empfange. Das befreite Italien errichte le ihm als Märtyrer der freien Überzeugung eine Statue zu Neapel. Auch auf dem Campo dei Fiori wurde 9. Juni 1889 sein Standbild enthüllt.
In seiner Philosophie ist Bruno durchaus Gegner des scholastischen Aristoteles. Seine Logik ging auf die »große Kunst« des Lullus zurück, die er als unfehlbare Methode sowohl zum Finden als zum Behalten der Wahrheit pries. Seine Weltanschauung ist eine pantheistische, indem er die Theorie des Nikolaus von Cusa (s.d.) von der Entstehung des Endlichen durch Selbsteinschränkung des Unendlichen mit dem kopernikanischen Weltsystem in phantastisch- poetisch er Weise verschmolz, dabei vielfach die Alten, namentlich Platon, die Neuplatoniker, die Stoiker, aber auch Epikur benutzte. Er war voller Sehnsucht nach dem Ideal der Schönheit, zugleich ein leidenschaftlicher Verehrer der Na kur oder des Unendlichen, lobte zwar den neuen, durch Telesius eingeschlagenen Weg, vom Einzelnen zum Höchsten aufzusteigen, ohne ihn aber selbst streng einzuhalten, so dass seine Lehre an vielen Unklarheiten, Inkonsequenzen und mystischem Dunkel leidet. Der Philosoph muss nach ihm ein Dichter sein, wie er auch selbst, namentlich in seinem Dialog: »Eroici furori« (heroischer Enthusiasmus), viele Gedichte einwob und seine Lehre z. T. in lateinischen Versen veröffentlichte. Grund und Ursache von allem ist nach ihm das Eine, in dem Alles und das selbst in Allem ist, beseelt und beseelend, natura naturans und natura naturata. Kleinstes, weil es im Kleinsten, und Größtes, weil alles Kleinere in ihm ist, das ins Unendliche sich ausdehnende, raumzeitliche Universum. Eines Gottes im Sinn der peripatetischen Scholastiker, eines extramundanen Bewegers, bedarf es nicht. Form, bewegende Ursache und Zweck sind mit der Materie eins, da der unendliche Äther alle Einzeldinge im Keime in sich birgt und sie nach bestimmten Gesetzen aus sich hervorgehen lässt. Das Endliche ist dem Unendlichen wie dieses jenem innerlich verwandt und daher das Ganze ebenso in jedem Teil wirkend wieder Mensch als Teil des Universums im Ganzen letztern »erkennend« gegenwärtig. Dem unzerreißbaren Zusammenhang zwischen dem Größten und Kleinsten im Realen entspricht das ununterbrochene Aufsteigen vom Kleinsten zum Größten, vom Nächsten zum Fernsten (vom Menschen zur Gottheit) im Idealen. Während das Ganze als Ganzes stets unverändert bleibt, sind die Teile desselben in steter Wandlung begriffen. Die Welt ist ihrem Wesen nach Harmonie, als Ganzes durchaus vollkommen, weil Gott in ihr lebt bis ins einzelnste. In Brunos Philosophie finden sich Keime mancher spätern philosophischen Systeme, so des Spinozistischen, Leibnizschen, auch neuerer pantheistischer; doch ist ihre Bedeutung mehrfach überschätzt worden. Sie wurde von Jacobi im Anhang zu dessen »Spinoza« (Werke, IV, Abt. 1), dann von Schelling im »Bruno« (Berl. 1802) und Steffens (»Nachgelassene Schriften«, das. 1816) der Vergessenheit entrissen. Die italienischen Schriften sind von Wagner (Leipz. 1830, 2 Bde.) mit Einleitung herausgegeben, einen neuen Druck besorgte P. de Lagarde (Götting. 1888-89, 2 Bde.); die lateinischen wurden ediert von Fiorentino (Neap. 1880-91, 2 Bde. in 3 Teilen). Die Schrift »De umbris idearum« (Par. 1582) hat S. Tugini (Berl. 1868) herausgegeben. Eine Übersetzung der philosophischen Werke ins Deutsche hat Kuhlenbeck begonnen (»Reformation des Himmels«, Leipz. 1890; »Vom Unendlichen, dem All und den Welten«, Berl. 1893; »Eroici furori oder Zwiegespräche zwischen Helden und Schwärmer«, das. 1898), der auch »Lichtstrahlen aus G. Brunos Werken« (Leipz. 1891) veröffentlichte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Savonarola

"Savonarola, Girolamo (Hieronymus), berühmter ital. Reformator, geb. 21. Sept. 1452 in Ferrara, gest. 22. Mai 1498 in Florenz, studierte Theologie und Philosophie und trat, von dem weltlichen Treiben in seiner Vaterstadt abgestoßen, 1475 in das Dominikanerkloster in Bologna. Hier wandte er seine Aufmerksamkeit den Schäden der Kirche zu, die er in dem Gedichte »De ruina ecclesiae« behandelte, und predigte seit 1482 in Florenz, Brescia und andern Städten. 1490 als Lektor in das Kloster San Marco in Florenz berufen, wurde er 1491 dessen Prior und entfaltete nunmehr als Schriftsteller, Lehrer und Prediger eine außerordentliche Tätigkeit, die auf Hebung wahrer Religiosität und Sittlichkeit im scharfen Kampfe gegen die Gebrechen in Staat und Kirche abzielte. Mit besonderer Vorliebe weilte er bei den strafenden Gesichten der Offenbarung Johannis, deren nahe bevorstehende Erfüllung ihm das Erscheinen Karls VIII. von Frankreich in Italien und die Vertreibung der Medici aus Florenz (1494) gewährleistete. Nunmehr griff er selbst in die Politik ein. Geistliches und Weltliches verknüpfend, bewirkte er, dass anfangs 1495 in Florenz in schroffem Gegensatz gegen die mediceische Weltfreudigkeit eine Republik auf theokratischer Grundlage entstand, in der er zwar keine amtliche Stellung einnahm, aber durch seine Predigten ausschlaggebenden Einfluß übte, dem Florenz mannigfache Gesetze zur Hebung von Zucht und Sitte, Bestrafung öffentlicher Laster zu danken hatte. Zum Karneval 1495 wurden die Zeichen weltlicher Lust aus der ganzen Stadt zusammengeschleppt und verbrannt. Die Hinrichtung mediceischer Parteigänger hat Savonarola nicht gehindert. In heftigem Streit standen sich die Parteien gegenüber: die Anhänger Savonarolas (Frateschi, d.h. »Mönchische«, oder Piagnoni, d.h. »Wimmerer« oder »Heuler«) und seine Gegner (Arrabbiati, die über das »Narrenregiment« des Mönches »Wütenden«). Diese Gegner, hinter denen die Macht der Medici und des durch Savonarolas schonungslose Angriffe gereizten Papstes Alexander VI. stand, der den Mönch vergeblich nach Rom zu locken suchte, erhielten binnen kurzem die Oberhand. Vor allem regte sich die Opposition der auf Savonarolas moralisches Ansehen eifersüchtigen Franziskaner. Schon 4. Mai 1497 kam es gelegentlich einer Predigt des Dominikaners zu heftigen, mit Lebensgefahr für Savonarola verbundenen Tumulten. Am 12. Mai exkommunizierte ihn der Papst, und der Bann übte auch in Florenz seine Wirkung. Erst gegen Ende 1497 gestatteten die Behörden dem Gebannten wieder einige geistliche Handlungen; seit Februar 1498 predigte er von neuem und schonungsloser als je gegen die Verderbtheit der Kirche und ihres Hauptes. Um seine Lehren als göttlich zu erweisen, erboten sich die Dominikaner von San Marco zur Feuerprobe, und die Franziskaner stellten sich dem Gericht, dessen Abhaltung am 7. April die Behörde genehmigte, das aber nicht zur Ausführung kam, weil die Gegner es durch allerhand Machenschaften zu verhindern wußten. Den Nachteil hatte Savonarola, da die zusammengeströmte Volksmasse nunmehr in seinen Prophetenberuf verstärkte Zweifel setzte. Tags darauf wurde San Marco gestürmt, Savonarola vor die Signoria geführt und einem parteiisch zusammengesetzten Gerichtshof übergeben. Der Papst sandte zur Leitung des Prozesses zwei Delegierte. In langen Verhandlungen, bei denen die Folter nicht gespart wurde, suchte man Savonarola mürbe zu machen. Er blieb fest und starb schweigend den Feuertod. Seine Asche wurde in den Arno geworfen. Fra Bartolommeo aber ging in seine Werkstatt und zog um das Bild des Freundes einen goldenen Reif, und noch heute streben die Dominikaner Savonarolas Heiligsprechung an. 1875 wurde ihm in Ferrara ein Denkmal (von Galotti) errichtet, 1881 eine Kolossalstatue (von Passaglio) im Palazzo pubblico in Florenz. Die Jahrhundertfeier 1898 bewies, dass sein Andenken noch immer Gegenstand leidenschaftlicher Erörterung ist. Eine Sammlung von Werken Savonarolas erschien zu Lyon 1633-40 in 6 Bänden; »Opere inedite«, anonym herausgegeben von N. Tommaseo, 1835. Eine Sammlung der wichtigsten Predigten und andre Schriften gaben Villari und Casanova heraus (»Un saggio delle prediche e degli scritti di G. S.« Flor. 1898). Den reichsten Bestand an Savonarola-Drucken weist die in der Nationalbibliothek zu Florenz aufgestellte Guicciardinische Bibliothek auf. Zahlreiche Neudrucke einzelner Schriften wurden gelegentlich der Jahrhundertfeier veranstaltet, darunter deutsch: »Der Triumph des Kreuzes« (hrsg. von Seltmann, Bresl. 1898). »Erweckliche Schriften« übersetzte Rapp (Stuttgart 1839); »Auserwählte Predigten« W. v. Langsdorff (Leipz. 1890) und Schottmüller (Berl. 1901)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Papst Alexander VI.

6 Hugenotten

"Hugenotten (franz. Huguenots), Name der französischen Protestanten, der wahrscheinlich von den protestantischen Genfern herrührt, die im Kampfe gegen Savoyen sich an die Schweizer anlehnten und deshalb die Partei der »Eidgenossen« oder in französischer Verstümmelung Huguenots genannt wurden. Schon unter König Franz I. hatte der unter den Gebildeten herrschende, der alten Kirche feindliche Humanismus der Reformation Eingang verschafft, die, von des Königs Schwester Margarete von Navarra begünstigt, besonders unter den Gelehrten große Verbreitung fand. 1523 entstand in Meaux die erste lutherische Vereinigung. Indes politische Rücksichten und despotische Gesinnung veranlassten Franz I. zur Verfolgung der Lutheraner, deren viele seit 1525 hingerichtet wurden. Nichtsdestoweniger dehnte sich der Protestantismus schnell unter Adel und Bürgertum aus, und gerade die Verfolgung ließ an Stelle des friedfertigern Luthertums die streitbare und tatkräftige Lehre Calvins treten. Vergebens steigerte Heinrich II. (1547-1559) noch die Schärfe der Verfolgung. Bei seinem Tode zählten die Reformierten schon 400,000 Anhänger und hatten im Mai 1559 ihre erste große Landesversammlung gehalten, die sie in Gemeinden, Provinzialsynoden und einer Nationalsynode in demokratischem Sinn und auf praktischste Weise organisierte und zugleich in 40 Glaubens- und ebensoviel Disziplinarartikeln ihr Bekenntnis auf Calvinscher Grundlage feststellte. Die prinzliche Familie Bourbon und das mächtige Haus Châtillon übernahmen ihre Führung, während die Guisen ihre erbittertsten Gegner wurden. Da diese unter dem König Franz II. (1559-60) die Regierung in Händen hatten, verhängten sie über die Hugenotten die schlimmsten Verfolgungen. Indes ehe die Guisen ihren Zweck erreicht hatten, starb Franz II., und für dessen minderjährigen Bruder, Karl IX., übernahm die Königin-Mutter Katharina von Medici die Regentschaft, die sie, aus Eifersucht gegen die Guisen, derart hugenottenfreundlich gestaltete, dass man an ihren Übertritt zum Kalvinismus glaubte. Die Ständeversammlung von Orléans (im Dezember 1560) zeigte sich, mit Ausnahme der Geistlichkeit, diesem Bekenntnis durchaus geneigt. Katharina veranstaltete zwischen katholischen und reformierten Geistlichen zu Poissy (im September 1561) ein Religionsgespräch, das mit dem Siege der Protestanten endete. Darauf wuchs die Zahl der neugläubigen Gemeinden auf 2500, und fast der gesamte Adel ging zu den Hugenotten über, denen das sogen. Januaredikt (17. Jan. 1562) freie Übung des Gottesdienstes außerhalb der Städte gestattete. Die eifrig katholische Partei antwortete darauf durch Niedermetzelung der Hugenottengemeinde von Vassy. Dieses Blutbad von Vassy (1. März 1562) führte den ersten Hugenottenkrieg herbei. Katharina von Medici vermittelte einen Frieden, der am 19. März 1563 in Form des Edikts von Amboise verkündigt wurde, freilich aber die Hugenotten mehr einschränkte, als das Januaredikt dies getan.

In den folgenden Friedensjahren vollendeten die Hugenotten ihre starke politische und militärische Organisation. Strenge Sittlichkeit wurde unter ihren Anhängern aufrecht erhalten und besonderes Gewicht auf den Schulunterricht gelegt, der in den fünf Akademien zu Montauban, Nîmes, Saumur, Montpellier und Sedan gipfelte. Aber die Hugenotten verscherzten endgültig die Gunst der öffentlichen Meinung Frankreichs, als Condé durch den vergeblichen Versuch, sich durch Überfall des jungen Königs im Landhause Monceau zu versichern (27. Sept. 1567), den zweiten Hugenottenkrieg herbeiführte. Von den deutschen Glaubensgenossen mit Truppen unterstützt, nötigte Condé den Hof zum Frieden von Longjumeau (23. März 1568), der den Hugenotten günstig war. Aber wie die große Mehrheit des Volkes, so war auch die Regentin durch die ungerechtfertigte Empörung der Hugenotten mit ihnen unheilbar verfeindet. Blutige Gewalttaten wurden allerorten gegen sie verübt, bis sie im August 1568 den dritten Hugenottenkrieg begannen. Herzog Heinrich von Anjou, des Königs Bruder, besiegte Condé bei Jarnac (13. März 1569). Da Condé in dieser Schlacht gefallen war, ging die Leitung der Hugenotten an den Admiral Coligny über. Zwar wurde auch dieser von Anjou bei Montcontour (3. Okt. 1569) geschlagen; allein die Festigkeit des Admirals, der Mut der Protestanten und die Unterstützung ihrer deutschen Glaubensbrüder zwangen schließlich den Hof zum Frieden von St.-Germain-en Laye (8. Aug. 1570), der den Hugenotten vollkommene Glaubensfreiheit, Sicherheit vor Gericht und vier Festungen zu ihrem Schutze gewährte.

Der jugendliche König Karl IX. schloss sich politisch ganz den Hugenotten an, berief Coligny als seinen vertrautesten Berater an den Hof und vermählte seine Schwester Margarete mit dem jungen protestantischen König Heinrich von Navarra (18. Aug. 1572). Allein die Eifersucht Katharinas auf die Macht Colignys führte den Beschluss der Niedermetzelung aller Hugenotten herbei, den die Königin-Mutter und Anjou durch Aufgebot ihres ganzen Einflusses dem König abrangen. In der Nacht zum 24. Aug. 1572, der Bartholomäusnacht (la Saint-Barthélemy), begann das Morden in Paris, worauf es in den Provinzen nachgeahmt wurde: mindestens 30,000 Hugenotten wurden binnen vier Wochen hingeschlachtet. Heinrich von Navarra und der junge Heinrich von Condé retteten ihr Leben nur durch Übertritt zum Katholizismus.

Allein in dieser furchtbaren Krise bewährte sich der französische Protestantismus auf das glänzendste. Nach kurzer Entmutigung griffen die Überlebenden zu den Waffen, unter Führung des heldenkühnen La Noue (vierter Hugenottenkrieg). Die königlichen Truppen vermochten weder La Rochelle noch andre protestantische Festungen einzunehmen. Das Edikt von Boulogne (30. Juni 1573) gewährte den Hugenotten wenigstens persönliche Gewissensfreiheit sowie Übung des Gottesdienstes in den ihnen eingeräumten drei Sicherheitsplätzen. Die Hugenotten fanden Unterstützung bei der Partei der »Politiker«, der gemäßigten Katholiken, an deren Spitze sich der jüngere Bruder des Königs, der Herzog von Alençon, stellte.

Als der neue König Heinrich III. die Hugenotten bedrängte (1574), begannen diese mit Hilfe der »Politiker« den fünften Hugenottenkrieg. Alençon wie Navarra entkamen vom Hofe, und der zweite von ihnen trat, ebenso wie Condé, 1576 wieder zu den Hugenotten über, die er von nun an mit ebensoviel Mut wie Einsicht leitete. Katharina vermittelte den Frieden, der am 8. Mai 1576 zu Beaulieu geschlossen wurde, den Hugenotten neue Sicherheitsplätze einräumte und ihren Gottesdienst im ganzen Reiche, mit Ausnahme der Hauptstadt, zuließ, außerdem bei den Parlamenten zur Entscheidung aller Rechtshändel, bei denen Protestanten beteiligt seien, eine aus diesen und Katholiken zu gleichen Teilen gemischte Kammer (chambres mi- parties) einrichtete. Vier Jahre nach der Bartholomäusnacht zustande gekommen, war dieser Friede der glänzendste Triumph der Hugenotten Leider war in dem wilden Kriegstreiben Zügellosigkeit und weltliches Interesse bei ihnen eingerissen, während nunmehr ihre Gegner sich in der sogen. Ligue zusammenschlossen. Die Stände von Blois fassten (Dezember 1576), der damaligen Stimmung der großen Mehrheit des französischen Volkes entsprechend, Beschlüsse, die auf Vernichtung der Hugenotten zielten. Diese begannen den sechsten Hugenottenkrieg, der zwar im September 1577 durch den Frieden von Bergerac beendigt wurde, aber bald im siebenten Hugenottenkrieg wieder auflebte. Anjou (der frühere Alençon) vermittelte dann im November 1580 einen neuen Frieden zu Fleix, der gleichfalls den Hugenotten sehr günstig war. Aber die ganze Lage der Dinge wurde verändert durch den Tod Anjous (10. Juni 1584); nunmehr war der rückfällige Ketzer Heinrich von Navarra der präsumptive Thronfolger, eine Aussicht, die auch die gemäßigten Katholiken erschreckte. Unter diesen Umständen nötigte die Ligue, von dem König von Spanien unterstützt, Heinrich III. zu dem Edikt von Nemours (7. Juli 1585), das sämtliche Reformierte bei Todesstrafe aus dem Reiche verbannte. Am 10. Sept. 1585 schleuderte Papst Sixtus V. den Bannstrahl gegen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé, die er von jedem Recht der Thronfolge ausschloss. Aber die Hugenotten erhoben sich zum achten Hugenottenkrieg, in dem sie ebenso von ihren deutschen und englischen Glaubensgenossen unterstützt wurden, wie die Ligue vom Papst und dem König von Spanien. Navarra schlug die Königlichen bei Coutras (20. Okt. 1587), nutzte aber den Sieg wenig aus, während sein Gegner Heinrich von Guise die deutschen Hilfstruppen der Protestanten bei Auneau warf und sie zum Rückzug aus Frankreich nötigte, dann an dem sogen. Barrikadentag (12. Mai 1588) den König aus Paris vertrieb und ihn zu dem Unionsvertrag von Rouen (15. Juli 1588) zwang, der Heinrich III. zum Sklaven der Ligue machte. Der König entledigte sich zwar Guises durch Meuchelmord (23. Dez. 1588), rief aber dadurch nur einen Aufstand in Paris und in den meisten großen Städten hervor, die sich für die Ligue erklärten. Im Hauptquartier zu St.-Cloud fiel der letzte Valois unter dem Messer des fanatischen Dominikaners Jacob Clément (2. Aug. 1589), und der Bourbon Heinrich von Navarra ward nun legitimer König als Heinrich IV. Indes noch jahrelang hatte er ohne entscheidenden Erfolg gegen die Ligue und deren spanische Hilfstruppen zu kämpfen. Schließlich konnte er eine Entscheidung nur herbeiführen, indem er zum zweitenmal zur katholischen Kirche übertrat (25. Juli 1593), zum großen Schmerz der Hugenotten Allein im Grunde gewannen sie dadurch, da Heinrich seinen frühern Glaubensgenossen stets gewogen blieb. Nachdem er allgemeine Anerkennung erlangt hatte, erteilte er 25. April 1598 das Edikt von Nantes, das den Hugenotten vollkommene Gewissensfreiheit gewährte; überdies erzwangen sie in demselben Genehmigung ihrer straffen religiösen, politischen und militärischen Organisation sowie die Einräumung von nicht weniger als 200 Sicherheitsplätzen.

Ungünstiger war den Hugenotten König Ludwig XIII. Zwar bestätigte er das Edikt von Nantes bei der Erklärung seiner Volljährigkeit 1614 und zwei Jahre später in dem Vertrag von Loudun. Als er aber 1620 die katholische Religionsübung in der rein protestantischen Provinz Béarn wieder einführen wollte, erregten die Hugenotten einen Aufstand (bisweilen als neunter Hugenottenkrieg bezeichnet). Indes die frühere Überzeugungstreue und Festigkeit waren besonders aus ihrem Adel gewichen, und dessen Feigheit und Selbstsucht brachten sie derart in Nachteil, dass sie im Frieden von Montpellier (19. Okt. 1622) den größten Teil ihrer Sicherheitsplätze sowie das Recht verloren, ohne Genehmigung des Königs ihre Versammlungen abzuhalten. Richelieu, der bald darauf allmächtig wurde, beschloss, mit voller Wahrung der Gewissensfreiheit der Hugenotten, doch deren politisch-militärische Sonderstellung im Staate zu vernichten. Als die Hugenotten 1625 die Waffen ergriffen, wurden sie trotz englischer Hilfe besiegt, ihre Hauptfestung, La Rochelle, im Oktober 1628 zur Ergebung gezwungen. Am 27. Juni 1629 schlossen die Hugenotten mit dem Kardinal den Frieden von Alais, der das Edikt von Nantes erneuerte, jedoch nur unter der Bedingung, dass jene auf ihre sämtlichen Sicherheitsplätze verzichteten. Mit der politischen und militärischen Macht der Hugenotten war es vorbei, und sie waren dem Belieben der Staatsgewalt preisgegeben.

Unter der Regierung Richelieus und Mazarins wurden die Hugenotten durchaus nicht belästigt. Anders wurde es unter Ludwig XIV. Dieser Herrscher wollte in seinem Reiche keine von der seinen abweichende Meinung dulden; überdies wünschte er, gerade wegen seiner Misshelligkeiten mit dem Papst, der Geistlichkeit einen Beweis seines katholischen Eifers zu geben. Seit seinem Regierungsantritt wurden die Hugenotten zurückgesetzt und beeinträchtigt, der Abfall vom Protestantismus durch Gnadenstellen und die »Bekehrungskasse« gefördert. Besonders aber steigerte sich die Verfolgung seit 1680. Die Chambres mi-parties wurden aufgehoben, die Hugenotten von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, zahlreiche reformierte Kirchen gesperrt, die Betversammlungen mit Waffengewalt gesprengt. Endlich (1685) erfand der Intendant von Béarn, Foucault, die Dragonaden, Zwangseinquartierung von Soldaten, zumal Dragonern, bei den Hugenotten, gegen welche die Soldaten die ärgsten Gewalttätigkeiten anzuwenden geradezu befehligt wurden. Diese Maßregeln hatten in der Tat den scheinbaren Übertritt des größten Teiles der Hugenotten zum Katholizismus zur Folge. Nun hob der König 22. Okt. 1685 das Edikt von Nantes förmlich auf, mit Verbot jeder religiösen Übung für die Hugenotten, zugleich aber auch der Auswanderung, bei Galeeren- und selbst Todesstrafe. Trotzdem gelang es etwa 200,000 Hugenotten, über die Grenzen nach den protestantischen Ländern zu entkommen, wo diese Réfugiés auf das gastlichste aufgenommen wurden (s. Hugenottenverein, Deutscher). In Frankreich aber wurden immer strengere Maßregeln ergriffen: die Ehen der Hugenotten wurden für nichtig erklärt, ihre Kinder ihnen entrissen etc. Diese Verfolgungen riefen 1702 in dem Gebirgslande der Cevennen, wohin sich viele Hugenotten geflüchtet hatten, den Aufstand der Kamisarden (s. d.) hervor. Unter dem Regenten gestattete man den Hugenotten wieder größere Freiheit; und selbst die Verfolgungsdekrete, die Ludwig XV. auf Andrängen der Jesuiten gegen sie erließ, wurden durch den humanen Sinn der Behörden kraftlos. Die Hugenotten hielten nach wie vor im geheimen, »in der Wüste« (désert), wie sie sagten, ihre gottesdienstlichen Versammlungen ab. Einzelne Unduldsamkeiten, wie die Ungültigkeitserklärung der protestantischen Trauungen und Taufen (1752), der Fall Calas (s. d.) u. a., riefen nun von Seiten Voltaires und der übrigen »Philosophen« eindrucksvolle Proteste hervor. Ludwig XVI. erließ schon 17. Nov. 1787 ein Toleranzedikt, und die konstituierende Nationalversammlung verlieh 1791 den Reformierten den Vollgenuss aller bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte. Wenn auch im Beginn der Restauration der »weiße Schrecken« der Ultraroyalisten und Ultraklerikalen vorübergehend in Südfrankreich Verfolgung über die Protestanten verhängte, ist doch ihre rechtliche Stellung nicht mehr angetastet worden, und sie konnten in ihren Konsistorien und ihrem Zentralkonsistorium die Angelegenheiten ihrer Religionsgemeinschaft frei ordnen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Papst Gregor XIII. Er feierte die Bluthochzeit mit einem feierlichen Te Deum ("Großer Gott wir loben Dich)

8 Hochzeitstanz: Anspielung auf die Pariser Bluthochzeit = Bartholomäusnacht: die Ermordung der Protestanten ( Hugenotten) in Paris 24. Aug. 1572.



Abb.: Schweizer Führerin in Ultramontanien. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 21, S. 84. -- 1874-05-10

Hahnemann, geh du voran!
Du hast ja große Stiefel an1,
Dass dich das Tier nicht beißen kann.

Erklärung:

1 Deutsches Sprichwort



Abb.: Schreckliche Folgen der Unvorsichtigkeit Darwins, Vogts und Büchners, welche mit der Deszendenz-Theorie so lange gespielt haben, bis dieselbe Wurzel geschlagen hat. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 22, S. 88.-- 1874-05-17

Ur-Müller zu Ur-Schultze. Eigentlich können wir uns doch auf unsere Nachkommenschaft etwas einbilden! Nun ist schon Einer unfehlbar geworden!



Abb.: Auf dem Tanz-Boden der Mai-Gesetze. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 23/24, S. 96.-- 1874-05-24

Wolln einst die Schwarzen ein Tänzlein wagen,
Solln sie 's nur sagen -- wir spielen ihnen auf.1
(Figaros Hochzeit)

Erklärung:

1 Hochzeit des Figaro, 2. Auftritt, Kavatine des Figaro:

Will einst das Gräflein ein Tänzchen wagen,
Mag er's nur sagen, ich spiel' ihm auf.


Aus der neuesten chinesischen Geschichte. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 25, S. 98.-- 1874-05-31

Die Bonzen und Mandarinen,
Sie liegen in wildem Strauß,
Weil jene dem Buddha dienen,
Und diese dem Kaiserhaus.

Die Bonzen sagen: Wir haben
Den Himmel in Pacht allein;
Die Sünden die wir vergaben,
Die sollen vergeben sein.

Die Bonzen sagen: Der Ablass,
Den wir verkaufen zwingt
Den Gott, dass er herablass
Zu uns sich unbedingt.

Die Bonzen sagen: Die Steuer,
Die wir kassieren ein,
Die macht ohn Fegefeuer
Die Seele von Sünden rein.

Die Bonzen sagen: Vom Bösen --
Das merkt, ihr Frauen, im Land --
Kann eure Männer erlösen
Das Opfer nur unsrer Hand.

Die Bonzen sagen: Wir kehren
Uns nicht an den Kaiser heut;
Wir  tun nur und wir lehren,
Wie Buddhas Wort gebeut.

So sprach mit trotzigen Mienen
Der Bonzen frommer Chor;
Da hub von den Mandarinen
Sich Einer stolz empor:

"Wir, Liu, von Kaisers Gnade
Mit Ehren reich geschmückt
Und ruhmvoll um fünf Grade
Erst kürzlich aufgerückt --

Zu Ning-po ob allen Zöpfen
Als Mandarin gesetzt,
Wir tun den Bonzenköpfen
Kund und zu wissen jetzt:

Glaubt ihr samt euren Rotten,
Euch gebe der Priesterrock
Ein Recht, des Staats zu spotten,
So geb ich euch den Stock!

Wenn trügerisch ihr verführet
Die Fraun und Mägdelein,
So sollt, wie sich 's gebühret,
Ihr ausgepeitschet sein.

Wenn mit des Himmels Gnade
Ihr Schacher treiben wollt,
So sei die Bastonade
Zur Strafe euch gezollt.

Also gebeut die Sitte
Und so die fromme Scham:
Es ist im Reich der Mitte
Verboten der Ablasskram --

Verboten, das Volk zu treiben
In falscher lehren Netz;
Und hoch in Ehren bleiben
In China soll das Gesetz."

So hat Herr Liu geschrieben
Dem frommen Bonzenchor.
So etwas kommt, ihr Lieben,
Doch nur in China vor.



Abb.: Eine Drohung von Jenseits -- der Berge. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 25, S. 100.-- 1874-05-31

Wenn das gewisse kleine Steinchen durchaus nicht ins Rollen kommen will, so kann man ja ein wenig nachhelfen und es in Nachbars Garten werfen, damit diesem die Aufforderung zum Stelldichein besser insinuiert werde.

Erklärung:

Bezieht sich auf den Kulturkampf in Baden unter Staatsminister Julius Jolly (1823 - 1891), der eine konsequent liberale, anti-ultramontane Religionspolitik verfolgte (wegen der er 1876 abgesetzt wurde).


Die Madonna von Zapfenstein1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 26, S. 103.-- 1874-06-07

Im Bayerland liegt fromm und klein
Das gute Dörfchen Zapfenstein.
Ihm sagt man bis auf diesen Tag
Nichts Böses und nichts Gutes nach;
Der autochthone Zapfensteiner
Kennt es allein, sonst weiter Keiner.
In diesem Ort erschien -- o Wonne! --
Im Maienmonde die Madonne.
Nicht in des Kirschbaums grünen Zweigen
Tät sie sich den Bavaren zeigen,
Wie es in Elsass jüngst geschah,
Wo man im Baum sie sitzen sah --
In ordinärem Fensterglas
Erschien sie deutlich, wenn auch blass;
Das Kindlein trug sie auf dem Arm
Und segnete den frommen Schwarm.
Da huben rings an die Bavaren
Zu dem Mirakul wallzufahren;
Und da in unsren teuren Tagen
Auch Heilge nach dem Geldpunkt fragen,
So blieb manch blankes Guldenstück
In dem Madonnenhaus zurück.
Da kommt die hohe Polizei,
Voll Neugier forschend, was da sei.
Als sie das Glasportrait entdeckt,

Erweist sie ihm nicht viel Respekt,
Bis sie sich endlich gar erfrecht,
Zu prüfen, ob die Farben echt.
Sie holt aus ihres Dienstrocks Tasche
Die eigens mitgebrachte Flasche
Und feilt das Glas -- was kann da sein? --
Mit Scheidewasser2 tüchtig ein.
Und die Madonna, hold und schön,
Verschwand und ward nicht mehr gesehn.

Drum merke dir, mein frommer Mann:
Legst du dir ein Madönnchen an,
So sorge, dass die Polizei
Mit ihrer Flasche ferne sei;
Denn Scheidewasser ins Gesicht
Verträgt kein Heilgenbildnis nicht.

Erklärungen:

1 Zapfenstein: kann ich nicht lokalisieren

2 Scheidewasser = Salpetersäure (HNO3)



Abb.: Streik. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 27, S. 108.-- 1874-06-14

Ich will nicht mehr in nassen Höhlen, auf alten Kirschbäumen und verfallenen Fensterscheiben vor einfältigen Hirtenmädchen erscheinen. Entweder anständig, oder gar nicht!

Erklärung:

Bezieht sich auf die Epidemie von Marienerscheinungen.


Das Mägdlein mit dem Stigma. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 28, S. 111.-- 1874-06-21

Heran, ihr Frommen! Kommt und schaut
Das neueste Wunderzeichen:
Das Stigma-Mädchen Louise Lateau1,
Ein Wunder ohne Gleichen!

In heilger Ekstase liegt sie da
Und betet hebräisch leise!
So liegt sie schon ins zweite Jahr
Und nimmt nicht Trank noch Speise.

Sie isst kein Brot, sie isst kein Fleisch,
Kein Beefsteak von Rind und Rossen;
Die ganze schöne Spargelzeit,
Sie hat sie nicht genossen.

Aus ihren Haaren strömt das Blut
Wie der Quell aus der felsenspitze,
In roten Bächen strömt es hin
Zu ihrer Nasenspitze.

O heiliges Nasenbluten! Dazu
Aus den Seiten Tropfen schleichen,
Und hier und dort am Leib umher
Quillt rotes Blut desgleichen.

Gefühllos liegt sie -- nicht Hieb noch Stich
Mag sie entfernt nur spüren;
Ich kitzelte sie mit eigner Hand
Und sah sie gar nicht rühren.

Beginn der Blutung: Donnerstag,
Nachts um die zwölfte Stunde;
Die Vorstellung schließt die Nacht darauf,
Genau zur selben Sekunde.

Dank sei dem Herrn! In des Unglücks Nacht
Fiel tröstenden Lichts ein Funke!
Geht hin, ihr Frommen, und betet an!
Ich selber tat 's!    -- Majunke2.

Erklärungen:

1 Louise Lateau (1850 - 1883)

"Lateau (spr. -tō), Louise, Stigmatisierte, geb. 30. Jan. 1850 als Tochter eines Eisenbahnarbeiters zu Bois d'Haine in Belgien, gest. 25. Aug. 1883, wurde seit 24. April 1868 mit den an jedem Freitag blutenden Wundenmalen (s. ð Stigmatisation) begnadigt, wozu seit Juli 1868 Ekstase und seit März 1871 angeblich gänzliche Speiseenthaltung mit Ausnahme der täglich genossenen Kommunion kam. Die Geistlichkeit, an ihrer Spitze der Bischof Dumont von Tournai, beutete den rätselhaften Zustand jahrelang im Interesse der katholischen Kirche aus, die Gott durch solches Wunder auszeichne, und als Dumont 1880 vom Papst für irrsinnig erklärt und abgesetzt wurde, soll die L. für ihn Partei ergriffen haben. Eine von der medizinischen Fakultät in Brüssel mit der Untersuchung des Falles beauftragte Kommission aber kam zu dem Ergebnis, die L. leide an »stigmatischer Neuropathie«. Seit 1880 galt sie nur noch als krank. Vgl. Warlomont, Rapport médical sur la stigmatisée de Bois d'Haine (Brüssel 1875); Schwann, Mein Gutachten über die Versuche an der stigmatisierten Louise L. (Köln 1875) sowie die Schriften von Rohling (2. Aufl., Paderb. 1874), Majunke (2. Aufl., Berl. 1875) und Berens (Paderb. 1878)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der katholischen Zeitung "Germania". Majunke hatte in "Germania" über Lateau berichtet, er schrieb auch ein Buch über sie:

Majunke, Paul: Louise Lateau : ihr Wunderleben und ihre Bedeutung im deutschen Kirchenconflicte. --  3., mit zwei Nachschriften versehene Auflage. -- Berlin : Germania, 1875. -- 156 S. : 21 cm.

Abb.: In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 28, S. 112.-- 1874-06-21

Katholische Beispiele verderben protestantische Sitten. Nordlicht in Österreich.
Die hannoversche Pastoral-Konferenz droht gegen die Zivil-Ehe mit Kirchenzucht und Exkommunikation. Wie weit ist es denn von den Mai-Gesetzen bis Spandau? "C'est le Nord, d'ou nous vient la lumière" -- sagen die Österreicher. Allein nach dem ersten Schreck ermannen die Schwarzen sich bald wieder, und es wird wohl beim Wetterleuchten bleiben.

Erklärungen:

1 Maigesetze:

  1. Gesetz über die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen vom 1873-05-1
  2. Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des Königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten vom 1873-05-12
  3. Gesetz über die Grenzen des Rechts zum gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel vom 1873-05-13
  4. Gesetz betreffend den Austritt aus der Kirche vom 1873-05-14

2 Spandau: Sitz des Zentralfestungsgefängnisses

3 C'est le Nord, d'ou nous vient la lumière (französisch) = Unser Licht kommt aus dem Norden


Protest des heiligen Rockes1 zu Trier. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 29/30, S. 115.-- 1874-06-28

Ich kann den Widerspruch nicht fassen --
Selbst Oerindur2 vermöcht es nicht --
Ich werd im dunklen Schrein gelassen,
Und Jene stellt man an das Licht!

Der Welt zum Heil, dem Herrn zum Lobe
Zu Aachen in dem Gotteshaus
Kramt man die ganze Garderobe,
Hemd, Lendentuch und Windeln3 aus.

Und doch, wer ist von allen Diesen,
Der sich entfernt mit mir nur misst?
Hab ich mich nicht schon längst erwiesen
Als einzig wahrer "Hygiëist4!"

Als Beispiel darf ich nur zitieren
Freifrau von Droste-Vischering5,
Die zu mir kroch auf allen Vieren
Und tänzelnd fort auf Zweien ging.

Im ganzen Reiche galt mein Name
Bei allen Gläubgen, Weib und Mann;
Nun treten plötzlich mit Reklame
Die aachner Konkurrenten an!

Was weiß man Sichres denn von ihnen?
Ist ihre Echtheit garantiert?
Sind auf modernsten Nähmaschinen
Sie nicht ad hoc erst fabriziert?

Mit Opferspenden und Gebeten
Erweist man ihnen Preis und Ehr.
Vor Ärger ging ich aus den Nähten,
Wenn ich -- nicht ganz unnähtig6 wär!

Erklärungen:

1 Heiliger Rock zu Trier

"Heiliger Rock, eine von den angeblichen Reliquien Christi (Joh. 19,23), wird in mehreren Exemplaren, z. B. in Argenteuil, in der Laterankirche zu Rom u. a. O., aufbewahrt. Am bekanntesten ist der im Dom zu Trier aufbewahrte, zuerst auf Bitten Kaiser Maximilians 1512 zur Verehrung der Gläubigen ausgestellte heilige Rock geworden, der bald von Helena, der Mutter Konstantins, aus dem Heiligen Lande gebracht und ihrer Vaterstadt Trier geschenkt, bald von Orendel, dem Sohne des Königs Eygel in Trier, der auf dem Zug nach Palästina Schiffbruch gelitten, nach Trier gebracht worden sein soll. Die vom Bischof Arnoldi 1844 verfügte Ausstellung rief die Bewegung des Deutschkatholizismus (s. ð Deutsch-katholiken) hervor. 1891 ließ Bischof Korum die Reliquie von neuem ausstellen; 1,925,130 Pilger zogen nach Trier, von denen nach dem Zeugnis des Bischofs 11 geheilt, 27 mit »Gnadenerweisen« bedacht wurden. Vgl. Korum, Wunder und göttliche Gnadenerweise bei Ausstellung des heiligen Rockes zu Trier im Jahre 1891. Aktenmäßig dargestellt (Trier 1894); Gildemeister und v. Sybel, Der heilige Rock zu Trier u. die 20 andern heiligen ungenähten Röcke (3. Aufl., Düsseld. 1845). Gegnerischerseits schrieben unter andern Beyschlag, Thümmel, Rieks, H. Kurtz."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Jacques Offenbach (1819–1880): Orpheus in der Unterwelt (1858), 1. Akt, 1. Bild:

Orpheus:

Wie erklärt Ihr, Oerindur,
Diesen Zwiespalt der Natur?

Der Name Oerindur ist übernommen aus: Adolf Müllner (1774−1829): Die Schuld : Trauerspiel in vier Akten. -- 1813

3 Bezieht sich auf die Aachener Heiligtumswallfahrt

"Die Aachener Heiligtumsfahrt, auch „Aachenfahrt“ genannt, bezeichnet die alle sieben Jahre stattfindende Pilgerfahrt zu den vier Aachener Heiligtümern, die zu diesem Ereignis im Aachener Dom gezeigt werden.

Die ersten Pilger kamen schon zu Zeiten Karls des Großen nach Aachen. Im Mittelalter entwickelte sich die Aachener Heiligtumsfahrt zur bedeutendsten Wallfahrt im deutschsprachigen Raum. Durch die Reformation im 17. Jahrhundert ging die Bedeutung zwar zurück und während der Aufklärung war sie sogar verboten, doch auch heute zieht die Aachener Heiligtumsfahrt noch zahlreiche Gläubige an. So wurden im Jahr 2000 über 90.000 Pilger gezählt.

Die Aachener Heiligtümer

Die vier Aachener Heiligtümer fanden vermutlich schon unter Karl dem Großen ihren Weg nach Aachen. Die fränkischen Reichsannalen berichten, dass zur Einweihung der Pfalzkapelle im Jahr 799 ein sagenhafter Reliquienschatz aus Jerusalem übersandt wurde.

Erst 1239 wurde bekannt, was der kostbare Reliquienschrein enthalten sollte:

  • die Windeln Jesu,
  • das Lendentuch Christi,
  • das Kleid der Maria und
  • das Enthauptungstuch Johannes des Täufers.
Die Aachener Heiligtümer [im Jahr 2007!!!]:


Windel Jesu Christi, Zeigung vor dem Aachener Dom 2007


Lendentuch Jesu Christi, Zeigung im Aachener Dom 2007


Enthauptungstuch Johannes des Täufers, Zeigung im Aachener Dom 2007


Kleid der Heiligen Maria, Zeigung im Aachener Dom 2007"

[Autor aller vier Bilder: J. Jansen. --  AttributionShare Alike Creative Commons Lizenz (Namensnennung, Weitergabe untergleichen Bedingungen)]

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Aachenfahrt. -- Zugriff am 2007-01-11]

4 Hygiëist

5 Freifrau von Droste-Vischering: Nichte des Kölner Erzbischofs Klemens August von Droste-Vischering (1773 — 1845). Einem Gerücht zufolge wurde sie als Wallfahrerin durch die Berührung des Heiligen Rockes von ihrer Lähmung geheilt.

Rudolf Löwenstein schrieb1844 darauf das Spottlied:

Freifrau von Droste-Vischering, Vi-, Va-, Vischering,
zum heilgen Rock nach Trier ging, Tri-, Tra-, Trier ging.
[...]

6 un-nähtig: Johannesevangelium 19, 23: "Der Leibrock [Jesu] aber war ohne Naht, von oben an durchweg gewebt."


Die Todeserklärung. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 29/30, S. 115.-- 1874-06-28

"Die moderne Zivilisation ist unverträglich mit der Kirche." Resolution der Katholikenversammlung in Mainz.

Sie kamen zusammen im goldnen Mainz,
Sie tranken genug des goldnen Weins --
Der Kater konnte nicht fehlen.
"Nun sei geflucht aus voller Brust!
Das ist eine Lust
Für uns starrgläubige Seelen.

Verflucht die Zivilisation
Der neuen Zeit, die mit Spott und Hohn
Einst enden soll und sterben!
Verflucht die deutsche Wissenschaft
Als lasterhaft,
Als Führerin zum Verderben!" --

So haben sie sich für tot erklärt;
Das ganze Deutschland hat 's gehört:
Sie wollen vom Leben nichts wissen.
So lieget denn unten im tiefen Grab!
Hinab! Hinab!
Kein lebender wird euch missen.

Wir aber, denen das Herz noch schlägt
Und noch die Lust sich zum Schaffen regt,
Wir leeren auf gut Gelingen
An eurem Grab ein volles Glas
Froh möge das
Dem Gotte des Lebens klingen!



Abb.: O Wunder über Wunder! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 31, S. 124.-- 1874-07-05

In Folge der brünstigen Anbetung der Blutungen des Fräuleins Louise Lateau ist nun auch Herr Majunke mit Stigmatisierungen begnadigt worden. Glücklicherweise an einer Stelle, wo dieselbe seiner literarischen Beschäftigung nicht hinderlich ist.



Abb.: Aus Fulda1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 31, 1. Beiblatt. -- 1874-07-05

Am Grabe des heiligen Bonifatius ging es so dunkel her, dass man nicht recht ersehen kann, was die frommen Herren eigentlich wollen.

Erklärung:

1 bezieht sich auf die deutsche Bischofkonferenz in Fulda (am Grabe des Hl. Bonifatius).



Abb.: Das kommt davon! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 32, S. 128. -- 1874-07-12

Verlegenheit eines renommierten Heiligen am jüngsten Tage, wenn er alle Glieder, welche als die seinigen verehrt wurden, anlegen soll.



Abb.: Der Gefangene im Vatikan. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 41, S. 164. -- 1874-09-06

Der Papst lebt herrlich in der Welt,
es fehlt ihm nicht an Ablassgeld,
nimmt täglich frisch zum Fluchen ein,
drum möchte ich der Papst wohl sein.

Doch nein, er ist ein armer Wicht,
darf aus dem Vatikane nicht.
Die Pfaffen hindern ihn daran,
Drum ist er ein gefangener Mann

Erläuterung:

Vorlage ist "Papst und Sultan (Papa est in lautitiis)", deutsch von Christian Ludwig Noack (1767-1821):


Abb.: Melodie [Bildquelle: http://www.notenseiten.de/lieder/pdf/Papst-G0.pdf. -- Zugriff am 2004-11-09]

1. Papa est in lautitiis
Cum poenitentiae nummulis,
Haurit Falerni pocula,
Quam velim ipse sim papa!

2. At miser est homunculus,
Caret uxore lectulus,
Quae nectat ei brachia.
Quam nolim ipse sim papa!

3. Luxuriosus sultanus
Auratis agit lectibus,
Plena puellarum domo,
Velim sultanus sim ego!

4. At homo est miserrimus
Corano parens sultanus!
Non bibit vini guttulam.
Auferte vitam Turcicam!

5. Non minus est optanda mors,
Quam separata horum sors.
At id accipio statim,
Ut papa nunc, nunc Turcus sim.

6. Puellula, da osculum!
Nam ecce, sultanus nunc sum!
Implete, fratres, pocula,
Ut iterum tunc sim papa!

1. Der Papst lebt herrlich in der Welt,
es fehlt ihm nie an Ablassgeld;
er trinkt vom allerbesten Wein:
drum möcht ich auch der Papst wohl sein.

2. Doch nein, er ist ein armer Wicht,
ein holdes Mädchen küsst ihn nicht;
er schläft in seinem Bett allein:
drum möchte ich der Papst nicht sein.

3. Der Sultan lebt in Saus und Braus,
er wohnt in einem Freudenhaus
voll wunderschönen Mägdelein:
drum möcht ich wohl der Sultan sein.

4. Doch nein, er ist ein armer Mann,
denn folgt er seinem Alkoran,
so trinkt er keinen Tropfen Wein:
drum möcht ich auch nicht Sultan sein.

5. Geteilt veracht ich beider Glück
und kehr in meinen Stand zurück;
doch das geh ich mit Freuden ein:
halb Sultan und halb Papst zu sein.

6. Drum Mädchen, gib mir einen Kuss,
denn jetzt bin ich dein Sultanus!
Ihr trauten Brüder, schenket ein,
damit ich auch der Papst kann sein!


Dem Wiedertäufling Marquis of Ripon1 zu London. Ein Patengruß. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 43, S. 170. -- 1874-09-20

Du hast vollbracht, was Keiner je geglaubt!
Das welterfahrne reife Männerhaupt
Neigst sehnend du dem Nass der Taufe,
Und aus der High-Church leisem Regen flieht
Die Seele, die noch spät das Heil ersieht,
In Romas volle Glaubenstraufe!

Wär es geschehn im heißen Julibrand,
Als in des Hundsstern Bild die Sonne stand.
Natürlich fänd ich 's und begreiflich;
Doch heute, wo ums letzte Asternbeet
Des Herbstes kühler Hauch ernüchternd weht? --
An meiner Fassungskraft verzweifl ich!

Ich kann 's nicht fassen, und doch ist es wahr
Was soll ich tun? -- Dir folg ich zum Alter
Und Opfre meines Denkens Plunder.
Und sieh! Von meinen sündgen Augen fällt
Der Schuppen Bann, die Seele sieht erhellt:
Hier hat begeben sich ein Wunder!

Erklärung:

1 George Frederick Samuel Robinson, 1st Marquess of Ripon KG, GCSI, CIE, PC (1827 – 1909)

"Ripon (spr. rippen), George Frederick Samuel Robinson, Marquis von, Sohn des vorigen, geb. 24. Okt. 1827, war 1853–59 Mitglied des Unterhauses, schloss sich der liberalen Partei an und erbte zu seinem Titel als Graf von R. 14. Nov. 1859 den eines Grafen de Grey. 1859–63 war er Unterstaatssekretär im Kriegsministerium und im Ministerium für Indien, wurde 1863 zum Kriegsminister und 1866 zum Minister für Indien ernannt, trat aber im Juni d. J. zurück. Als Gladstone 1868 wieder aus Ruder kam, wurde R. zum Präsidenten des Geheimen Rates ernannt und wirkte 1871 als Mitglied des durch den Vertrag von Washington eingesetzten Schiedsgerichts in der Alabamafrage, wurde 23. Juni 1871 zum Marquis von R. erhoben und trat mit Gladstone 1874 zurück. Seit 1870 war R. Großmeister der englischen Freimaurerlogen; im Herbst 1874 aber legte er plötzlich dies Amt nieder und trat 4. Sept. d. J. zum Katholizismus über. Nichtsdestoweniger wurde er im Mai 1880 von Gladstone zum Vizekönig von Indien ernannt und behielt dies Amt bis 1884. Vom Februar bis Juli 1886 war er unter Gladstone erster Lord der Admiralität, von 1892–95 unter demselben und Lord Rosebery Kolonialminister. Im Dezember 1905 wurde er im Alter von 78 Jahren zum Geheimsiegelbewahrer im Ministerium Campbell-Bannerman ernannt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Mechanische Novelle zu den Kirchengesetzen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 44/45, S. 180. -- 1874-09-27

 Solange der Prediger bei der Sache bleibt, sitzt der Schutzmann ruhig unter der Kanzel und hört andächtig zu — Sobald der Prediger anfängt, auf den Staat zu schimpfen oder gar zu fluchen oder zu exkommunizieren, lässt der Schutzmann die Strippe los.

Erläuterung:

"Kanzelmissbrauch, das Vergehen, dessen sich ein Geistlicher oder sonstiger Religionsdiener schuldig macht, wenn er in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufs öffentlich vor einer Menschenmenge oder in einer Kirche oder an einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor einer Mehrheit von Personen Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung macht, oder in Ausübung seines Berufs Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in denen Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind. Dieser sogen. Kanzelparagraph (Reichsstrafgesetzbuch, § 130 a) verdankt seine Entstehung in der ersten Hälfte dem sogen. Kulturkampf (1871, in seiner zweiten dem bayrischen Kultusminister Freiherrn von Lutz, der dadurch die Altkatholiken zu schützen suchte (1876)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Der zweimal Begrabene. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 47/48, 1. Beiblatt. -- 1874-10-11

Eine wahre Geschichte aus dem Jahre des Heils 1874.

Vernehmt, was sich in diesen Tagen
Im Ländchen Nassau zugetragen.
Dort baut mit Eifer man und Lust
An einem neuen Bahndamm just,
Der sich von Limburg südwärts wendet,
Bis er bei Frankfurt schließlich endet.
Dahin war nun mit seinem Spaten
Ein Sohn Italiens geraten.
Weil er mit manchem Spatenstich
Am Teufelswerk beteiligt sich
Und so sein Seelenheil verdarb
Schlug ihn der Himmel, dass er starb.
So lag er einsam und allein
In der Gemeinde Langenhain1,
Allwo ein jeder, Mann wie Kind,
Gut protestantisch ist gesinnt.
Doch mild und duldsam schaute man
Nicht erst des Leichnams Taufschein an;
Man gab ihm eine stille Stätte
Zum scheinbar letzten Ruhebette.
Doch bei des nächsten Morgens Licht
Erschien mit zornigem Gesicht,
Mit Bahre, Schaufeln und Geleit
Von Hofheim1 her die Geistlichkeit.
Sie wollt aus der Gewalt des Bösen
Des Italieners Leib erlösen.
Dieweil ja nur durch sie allein
Die Seele konnte selig sein.
Man wühlte in des Kirchhofs Grund
Bis man den armen Leichnam fund;
Und trug ihn fort aus seiner Ruh
Hofheims geweihter Erde zu,
Mit Wassersprengen und Gesang
Mit Räucherduft und Glockenklang.
Die Toten ihren Toten haben
Zum zweiten Mal allda begraben.

Erklärungen:

1 seit 1972 ein Stadtteil von Hofheim am Taunus, Main-Taunus-Kreis, Hessen.



Abb.: Krüthik. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 56, S. 224. -- 1874-12-06

Von dem Ordinariat zu Straßburg wurde von allen bisher erschienenen Madonnen diejenige von Krüth1 als allein echt beglaubigt und mit dem Monthyon'schen2 Heiligenschein gekrönt.

Erklärungen:

1 Krüth (heute: Kruth), Elsass

2 = Monthyon'scher Tugendpreis (prix de vertu)

"Montyon (Monthyon, beides spr. mongtióng), Antoine Auget, Baron de, franz. Philanthrop, geb. 26. Dez. 1733 in Paris, gest. daselbst 29. Dez. 1820, war nacheinander Advokat im Châtelet, Staatsrat, Maître des requêtes, Intendant von Auvergne und Provence und seit 1780 Kanzler des Grafen von Artois, dem er nach England folgte. Von 1815 an lebte er wieder in seinem Vaterland als Privatmann. Er bestimmte den größten Teil seines bedeutenden Vermögens zu wohltätigen Zwecken oder zur Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen. Am bekanntesten ist der nach ihm benannte Tugendpreis (prix de vertu) der französischen Akademie für schriftstellerische Werke, welche die Moralität fördern. Vgl. Labour, Monsieur de M. (Par. 1880); Gaudens, Philanthropie et solidarité. M. (Limoges 1904)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Verwahrung gegen die angebliche Klugheit der Jesuiten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 57, S. 227. -- 1874-12-13

Dass  klug die Jesuiten sein,
Wie ihr zu sagen euch erlaubtet,
Dem widersprech ich. Nein doch, nein!
Sie sind nicht klug! Fragt ihr, warum?
So sag ich: Stets ist Bosheit dumm.



Abb.: Katholische Wissenschaft an den französischen Universitäten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 27, Nr. 57, 1. Beiblatt. -- 1874-12-13

Professor. Was habe ich hier? Wasser, oder besser Weihwasser. Es ist eine Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff, auf welcher sichtlich der Segen der Kirche ruht. Das gewöhnliche Wasser ist nur ein chemisches Konkubinat.


1875



Abb.: Pastor Steffan1 hat seinen Schafen eine Beschreibung der "neuen Riesenstadt, genannt das himmlische Jerusalem", gemacht. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 4, S. 16. -- 1875-01-24

Da wir wohl wissen, welche Stadt unter der "neuen Riesenstadt" der fromme Schäfer versteht, so liefern wir gern noch einige vergessene Einzelheiten als Ergänzung.

Erklärung:

1 Emil Steffan (geb. 1814) war ab 1854 Prediger an der Bartholomäuskirche in Berlin. Verfasser von "Leokadie". Das genannte WWerk kann ich bibliographisch nicht nachweisen.


Vom Westermayer1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 5, S. 18. -- 1875-01-31

Der Westermayer -- man bedenke:
Ein Pfarrer in der Bayern Land --
Glaubt einst, er wär in einer Schänke,
Als just er auf der Kanzel stand.

Und da -- es ist daran kein Zweifel,
Weil er es selber frei gesteht --
Rief er: "Den Fortschritt hol der Teufel!" --
Und schloss damit sein fromm Gebet.

Der Teufel konnte nicht erfüllen
Dies freundlich übertragne Amt:
"Wie hol ich wohl, um Gottes willen,
Den Fortschritt, der mir selbst entstammt?" --

Und damit wär der Fall erledigt,
Hätt Westermayer unbedacht
Den Schlusssatz seiner Bierbankpredigt
Nicht selbst im Reichstag vorgebracht.

Was sagt der Fortschritt? -- Nun beim Geier,
Zu hören glaub ich, wie er spricht:
"Der Teufel hol den Westermayer!" --
Doch nein, so eklig ist er nicht.

Dem du den Fortschritt hast empfohlen,
Der spricht getrost: "Ein Kerl, wie du,
Den brauch ich mir nicht erst zu holen,
Der -- läuft mir ganz von selber zu!"

Erklärung:

1 Anton Westermayer (1816 - 1894)

"Westermayer, Anton, kath. Theologe, Politiker, geb. 2.1.1816 Deggendorf, gest. 3.12.1894 München
W. empfing 1840 die Priesterweihe, wurde Kooperator in Cham und 1841 Domprediger in Regensburg. Wegen Majestätsbeleidigung 1844 als Pfarrprovisor nach Laaberberg versetzt, war er dort bis 1850 Pfarrer, wurde dann Stadtpfarrprediger in München und 1853 Hofprediger an St. Michael. 1849 vertrat er den Wahlkreis Straubing in der bayerischen Abgeordnetenkammer; 1874-84 gehörte er als Zentrumsabgeordneter dem Reichstag an. W. war wegen seiner derben und polemischen Predigten gefürchtet (Bauernpredigten, die auch Stadtleute gebrauchen können, 4 Bde., 1847-49, (2)1911). "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]



Abb.: Noch Einiges vom wirklich geheimen Diözesan-Verwalter. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 5, S. 20. -- 1875-01-31

Wenn Jemand in einem Orte mit (ein)gesperrtem Bischof des Priesters bedarf, so wird er da sein, wie, wo und unter Welcher Verkleidung es auch sei! ("Germania")


In Papam!. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 10, S. 37. -- 1875-02-28

Rom hat gesprochen. Voller als je den Mund
Nahm er, der stets freigebig mit Flüchen war,
Der Judas mit dreifacher Krone,
welcher den Namen des Petrus schändet.

Das deutsche Volk zu höhnen ins Angesicht
vermessen wagt er's, frevelnd mit greisem Haupt —
Er selbst ein Spielzeug schnöder Heuchler,
Denen von Sünd zu Sünd er folgte.

Wer wagt, Gesetze, die sich der Deutsche gab,
Für nichts zu halten? Frech sie zu tadeln, wer?
Wer wagt zu rühren an den Reifen,
Welchen der Edelsten Blut geschmiedet?

Ob er den Aufruhr predge, den Bürgerkrieg,
Ob giftge Saat er streue ins deutsche Land:
Aufgehen wird daraus der Sturmwind,
Der ihn hinab in der Schande Nacht weht.

Ob er die Fackel schwinge mit welker Hand —
Sein eignes Antlitz sengt er mit Glut und Qualm.
Was bline Wut ihn lehrt — zersplttern
Wird es am Felsen der deutschen Treue.


Am Felsen der Treu' zersplittre sein freches Wort,
Und früher ende, als wir gehofft, der Kampf,
Deutschland zum Heil, Rom zum Verderben,
Späten Geschlechtern zu Nutz und Lehre.

Erläuterung:  Am 5. Februar 1875 erklärte Papst Pius IX. mit der Enzyklika "Quod nunquam" die staatlichen preußischen Kirchengesetze für ungültig.



Abb.: Stimme von Jenseits — des Ozeans. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 11, S. 44. -- 1875-03-07

 Fürst Bismarck, den Hecker1 sehr richtig den "Pfaffenhammer" nennt, wird als solcher bleiben.

Erläuterung:

1  Friedrich Karl Franz Hecker (1811 - 1881), der badische Revolutionär, der im September 1848 in die USA ausgewandert war.



Abb.: Falk und Kuckuck. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 12, S. 48. -- 1875-03-14

Falk: Wenn ihr doch meint, ihr gehört nicht in unser Nest, so lasst euch auch von anderen füttern.

Erläuterung:  

Am 5. Februar 1874 erklärte der Papst die staatlichen preußischen Kirchengesetze für ungültig. Daraufhin brachte Kultusminister Adalbert Falk einen Gesetzesentwurf ein über "die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und Geistlichen" (Sperrgesetz).


Falk und die Dompfaffen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 13, S. 51. -- 1875-03-21

"Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!"
Das sollt du nit vergessen.
Doch willt du nur für päpstliche Ding
Lobsingen Psalmen und Messen
Willt du allein dem Papst zum Ruhm
So Luft als Herz erschüttern,
Dann lasse, lieb Dompfaffentum,
Dich auch — vom Papste füttern.

Erläuterung:  siehe zum Vorhergehenden



Abb.: Der Jubiläums-Wallfahrer. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 14/15, S. 54. -- 1875-03-18

Erklärung:

Der Papst hatte 1875 zum (22.)  Jubeljahr erklärt.


Der Sieg von Meran. Eine fromme Historie. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 17, S. 66. -- 1875-04-11

Es liegt im schönen Land Tirol
Meran, das kennt ein jeder wohl.
Da weilen Bresthafte allerhand,
Darunter auch manch ein Protestant,
Vermeinend, mit des Welschlands Lüften
Ihren Leiden ein Ziel zu stiften.

An einem Tag, da Sonnenschein
Lenzlich glitzert auf Felsgestein,
Zog eine Prozession daher,
Anzuschaun wie dergleichen mehr,
Mit Geflimmer und Geflatter
Und dem gewohnten Betgeschnatter.
So zogen sie in Andacht fort
Zum weltberühmten Gnadenort,
Um dort zum Trost in Kirchennöten
Den heiligen Rupsaccus anzubeten.

Die Kurgäst an dem Wege stehn,
Die Prozession sich anzusehn,
Und Etliche -- du meine Güte! --
Behalten auf dem Haupt die Hüte,
Nicht aus Bosheit und nicht vermessen,
Sondern weil sie des Brauchs vergessen.

Wie das die frommen Waller schaun,
Erfasst sie Ärgernis und Graun:
"Seht, seht! Sie wollen unser spotten!
Jetzt ist es Zeit, sie auszurotten!
Haut die verruchten Ketzer! Haut!"
So wird es in dem Haufen laut.

Die Helden sich nicht lang besinnen,
Sondern alsbald den Kampf beginnen;
Mit Kerzen und mit Fahnenstangen,
Die sie  in derben Fäusten schwangen,
Mit guten Knütteln und andrer Wehr
Stürmten sie auf das bresthaft Heer.

Die armen Kurgäst, ahnungslos
Betroffen von so hartem Stoß,
Dachten nun hurtig abzufahren;
Zu schwach doch auf den Beinen waren,
Sich auch nur wenig wehren kunnten,
Lagen gar bald zerschlagen unten.
Auch mancher, der den Hut gelupft,
Ward mit den Andern aufs Haupt getupft
So kräftig, dass es fast abhanden
Ihm kam und ihm die Sinne schwanden.
Und Mancher, der noch lange sunst
Erhalten wär durch Doktors Kunst
Mit seinem Leiden und Gebrest,
Bekam durch solche Kur den Rest.

Als nun die Heldentat verrichtet
Und der ketzerische Feind vernichtet,
Da hub sich lautes Siegsgeschrei
Der Waller und der Klerisei.
Drauf zogen die heilgen Gottesstreiter
Mit Beten und mit Singen weiter,
Freueten sich des Sieges frumm
Und lobeten Sanctum Rupsaccum.


Wann ist der Papst unfehlbar? -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 22/23, S. 87. -- 1875-05-15

I.

Merk dir, mein Sohn: Unfehlbar ist
Der Papst, doch nicht zu jeder Frist;
Im Allgemeinen, täglich, stündlich,
Ist er, gleich andern Menschen, sündlich.
In mancher Art mag er dann fehlen,
Im Sechsundsechzig sich verzählen,
Im Billard auch aus größter Näh
Verfehlen oftmals ein Triplé;
Oft hat er auch, wie allbekannt,
Ein Fremdwort fälschlich angewandt.
So ließ vom klugen Reichensperger1
Noch jüngst zu seinem stillen Ärger
Er sagen sich von allen Leuten,
Was "leges irritae" bedeuten.
Kurzum, du magst in Wort und Werken
Just nichts Besondres an ihm merken;
Er gleicht vom Kopfe bis zur Zeh
Ganz einem friedlichesn Rentier.

II.

Doch wie verwandelt ist der Mann,
Legt die Unfehlbarkeit er an.
Hat er am Sonntag gut diniert,
Kommt 's wohl, dass er den Trieb verspürt,
Zum Heil und Wohl der ganzen Erden
Ein Stündchen unfehlbar zu werden.
Dann schreitet er zur Cathedra,
Er steigt hinauf -- schon sitzt er da.
Vernehmlich zählt er: "Eins, Zwei, Drei!"
Und sieh, schon kommt der Geist herbei.
Und wenn er spürt des Geistes Nahn,
So ist er selbst nur noch Organ,
Drauf spielt der Geist zu dieser Frist
Als unfehlbarer Organist.
Wenn das Piano mild ertönt,
So segnet er die Welt versöhnt;
Doch oftmals schallt ein frisches Forte,
Dann tönen Flüche, harte Worte,
Bald donnernd geht, bald wie Geflüster
Also das ganze Blechregister.
Glaubt er, es ist für heut genug
Sowohl vom Segen als vom Fluch,
So zählt er wieder: "Eins, Zwei, Drei!"
Der Geist entfleucht -- es ist vorbei.

Erklärung:

1 August Reichensperger (1801 - 1895): ultramontaner Politiker, Reichstagsabgeordneter des Zentrums



Abb.: Römische Spiele. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 22/23, S. 89. -- 1875-05-15

Am 16. Juli soll in Rom die ganze Welt dem "allersüßesten Herzen"1 geweiht und zugleich eine großartige Verfluchung der Altkatholiken in Szene gesetzt werden. Zu Ersterem finden bereits die Proben statt.

Erklärung:

1 dem Herzen Jesu: siehe unten!



Abb.: Zwischen Berlin und Rom. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 22/23, S. 92. -- 1875-05-15

 "Der letzte Zug war mir allerdings unangenehm; aber die Partie ist deshalb noch nicht verloren. Ich habe noch einen sehr schönen Zug in petto." — "Das wird auch der letzte sein, und dann sind sie in wenigen Zügen matt — wenigstens für Deutschland."

Erläuterung:

"Bismarcks weiße Schachfiguren werden als Paragraphen oder als Fahnenträger dargestellt, denn in ihnen verkörpert sich die kirchenfeindliche Gesetzgebung, die Pius IX. in seiner Enzyklika vom 5. Februar 1875 für ungültig erklärt hatte. Unter den schwarzen Schachfiguren des Papstes erkennt man - als Dame - die genannte Enzyklika und - als Priesterfigur - den päpstlichen Syllabus von 1864, der den bis dahin latent vorhandenen Antiklerikalismus der satirischen Presse Berlins akut zum Ausbruch gebracht hatte. Einige schwarze Bauern - gefangengesetzte deutsche Bischöfe - hat Bismarck dem Papst bereits abgewonnen. Die Presse ist eine weiße Schachfigur. Der Zeichner spielt damit auf die zahlreichen liberalen Organe an, die im Kulturkampf zu Bismarck standen. Dass Bismarcks Hauptfigur - die weiße Dame - als Idealgestalt Gemania dargestellt wird, versteht sich von selbst. Beide Spieler glauben, dass sie die Partie gewinnen können."

[Quelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 525]


Der Unfehlbare. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 24, 1. Beiblatt. -- 1875-05-23

Er thront in hehrer Majestät
Im Kreis andächtger Beter;
Die Priester lehren, er sei allein
Der Gottheit Stellvertreter.

Die Priester lehren: Er ist bestellt
Der Welt als höheres Wesen,
Nur er vermag der Zukunft Schrift
Und in den Sternen zu lesen.

 Gesegnet ist, wen er berührt
Mit allerheiligsten Händen;
Er segnet alle Gläubigen gern,
Zumal wenn sie Opfer spenden.

Und was er spricht und was er tut,
Wirkt Wunder unausbleiblich;
Denn heilig ist, was von ihm kommt,
Sei 's geistlich oder leiblich.

Doch darf der arme Vizegott
Nicht nach Belieben schalten;
Denn von den eignen Priestern wird
Er schier gefangen gehalten.

Und solch fluchwürdger Frevel wird
Seit langen Zeiten geübet
An -- Dalai Lama's Majestät
Im heidnischen Lande Tübet.


Vom 16. Juni1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 28, S. 110. -- 1875-06-20

Nun ist die ganze Welt geweiht --
Es war gewiss die höchste Zeit!
Und was die Weihe soll bedeuten,
Das ist bekannt den Eingeweihten.

Der Heilige Vater ward gerührt,
Und hat das große Werk vollführt;
Wie ihm dabei zu Mut geworden --
Das weiß der Jesuiten-Orden.

Das große Werk, es ist getan:
in mystisch-spiritist'schen Wahn
Mag sich fortan die Welt versenken! --
Was mag darüber Windthorst2 denken?

Die große Weihe ward vollbracht;
Beschlossen ward: Es werde Nacht
Zu aller Aufgeklärten Ärger! --
Was denkt davon wohl Reichensperger3?

Dem Glauben ist der Sieg verliehn:
Was gestern barer Unsinn schien,
Als wahres Wunder gilt es heute --
Ob wohl Schorlemer-Alst4 sich freute?

Auch dieses hat ein "Unterrock"
Vollbracht: die kleine Alacoque5.
Es wäre sonst von den frömmsten Frommen
Kein Masculinum drauf gekommen.

Wie ihr 's auch macht, wie ihr euch stellt --
Im Antlitz der  geweihten Welt
Gesteht es nur: Was euren Schädel
Beherrscht, kommt meist von einem Mädel!

Nachdem wir Alle mitgeweiht,
Verzeihen wir 's der welschen Maid,
Dass sie auf Coeur6 just ist gekommen,
Zum Besten aller wahrhaft Frommen.

Denn Jud und Heid, Mohr und Kalmuck
Ist mitgeweiht durch frommen Spuk,
Der alte Gerlach7, Virchow8, Schröder9
Und wir -- mit einem Worte: Jeder!

Und mitgeweiht, freun wir uns mit:
Denn dieses war ein wichtger Schritt.
Nun gehe, was da will, in Scherben --
Nicht wir sind 's, welche Rom verderben!

Erläuterungen:

1 Am 16. Juni 1875 hat Papst Pius IX. die weltweite Christenheit dem Heiligsten Herzen Jesu geweiht

2 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker

3 August Reichensperger (1801 - 1895): ultramontaner Politiker, Reichstagsabgeordneter des Zentrums

4 Schorlemer-Alst

"Schorlemer-Alst, Burghard, Freiherr von, Politiker, geb. 20. Okt. 1825 im Haus Oberhagen bei Lippstadt, gest. 17. März 1895 auf Haus Alst, Ulanenoffizier, schied 1853 als Oberleutnant aus und bewirtschaftete sein Gut Alst bei Burgsteinfurt. Seit 1863 Mitglied des Landesökonomiekollegiums, gründete er den Westfälischen Bauernverein, ward 1885 Mitglied des Staatsrats, wirkte auch als ultramontaner Politiker und wurde Geheimer Kämmerer des Papstes. Seit 1870 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 1875 des Reichstags, gehörte er zu den schlagfertigsten und humoristischsten Rednern des Zentrums, schied aber, mit der oppositionellen Haltung des Zentrums vielfach unzufrieden, 1887 aus dem Reichstag und 1889 auch aus dem Abgeordnetenhaus. 1890 war S. nochmals kurze Zeit Mitglied des Reichstags. Seine Reden aus den Jahren 1872–79 erschienen Osnabrück 1880; 1902 ward ihm in Münster vor dem Ständehaus ein Denkmal errichtet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Marguerite-Marie Alacoque (1647 - 1710)


Abb.: Marguerite-Marie Alacoque

"ALACOQUE, Marguerite-Marie, schwärmerische französische Nonne, Heilige, * 22.7. 1647 in Lhautecour bei Autun (Bourgogne), † 17.10. 1690 in Paray-le-Monial (Bourgogne).

Alacoque kam 1655 in das Pensionat der Klarissinnen in Charoles, wo sie schwer erkrankte, aber nach einem Gelübde wunderbar geheilt wurde. Sie trat am 22.8. 1671 in das Kloster der Heimsuchung Mariä in Paray-le-Monial. In diesem Kloster der Salesianerinnen pflegte Alacoque einen so starken mystischen Verkehr mit Jesus, dass sie 1673-75 mehrere Erscheinungen des Herrn sah, der ihr in der letzten und wichtigsten am 16.6. 1675 »sein heiligstes Herz auf einem Flammenthron, umflochten von Dornen und über ihm ein Kreuz, zu schauen gab und ihr offenbarte, er wolle, dass zur Sühnung der ihm im heiligsten Sakrament zugefügten Unbilden sein Herz besonders geehrt würde und dass der Freitag, der auf die Fronleichnamsoktave folge, dieser Verehrung eigens gewidmet sein solle«. Ihr Beichtvater, der Jesuitenpater Claude de la Colombière, und sein Nachfolger, Jean Croiset SJ, bemühten sich eifrig, der Herz-Jesu-Andacht weite Verbreitung zu verschaffen, was ihnen auch gelang, während Rom sich lange ablehnend verhielt. Auf Grund einer eingehenden Denkschrift der Bischöfe Polens bewilligte Clemens VIII. am 6.2. 1765 für Polen die Einführung des Herz-Jesu-Festes. Pius IX. gewährte es am 23.8. 1856 als festum duplex majus für die Gesamtkirche, und Leo XIII. erhob es am 28.6. 1889 zum Doppelfest 1. Klasse und vollzog am 11.6. 1899 feierlich die Weihe der ganzen Menschheit an das Herz Jesu.

Alacoque wurde 1864 selig- und am 13.5. 1920 heiliggesprochen.

Fest: 17. Oktober."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/a/alacoque_m_m.shtml. -- Zugriff am 2004-11-09]

6 coeur (französisch): Herz

"Die Herz-Jesu-Verehrung ist ein Ausdruck der katholischen Spiritualität bzw. Volksfrömmigkeit. Dabei wird Jesus Christus unter dem Gesichtspunkt seiner im Herzen symbolisierten Liebe verehrt. Grundtext aus dem Evangelium ist (Joh 19,34): das durchbohrte Herz des Gekreuzigten als Quelle der Sakramente und der Kirche.

Entstehung der Herz-Jesu-Verehrung

Impulse zur Herz-Jesu-Verehrung kamen aus der deutschen Mystik des Spätmittelalters, z.B. von Mechthild von Magdeburg (1207-1282), Gertrud von Helfta (1256-1302) und Heinrich Seuse (1295-1366) und besonders von der französischen Nonne Margareta Maria Alacoque, deren Visionen zwischen 1673 und 1675 um den Sühnegedanken, den häufigen Kommunionempfang und ein Herz-Jesu-Fest kreisten.

Verbreitung der Herz-Jesu-Verehrung

Die Verbreitung der Herz-Jesu-Verehrung ist vor allem den Jesuiten zu verdanken, die sich ausgehend von Marguerites Maria Alacoques Beichtvater Claude de la Colombière SJ dieser Spiritualität annahmen.

Die Jesuiten verbreiteten die Herz-Jesu-Verehrung besonders durch die von ihnen geleitete Volksmission.

Als der Jesuitenorden im 18. Jahrhundert aufgehoben wurde (siehe Jesuiten), wurde auch die Herz-Jesu-Verehrung zeitweise verboten. Erst nach der Restauration der Jesuiten wurde auch die Herz-Jesu-Verehrung wieder aktuell.

Starken Aufschwung erhielt die Herz-Jesu-Frömmigkeit im späten 18. und 19. Jahrhundert.

Jeweils am dritten Freitag nach Pfingsten (Freitag nach der Fronleichnams-Oktav) ist das Herz-Jesu-Fest, das Papst Pius IX. 1856 als Gedenktag für die ganze Kirche eingeführt hat. Außerdem heißt der erste Freitag jedes Monats „Herz-Jesu-Freitag“. Er ist ein bevorzugter Tag für die Krankenkommunion.

1899 weihte Papst Leo XIII. in der Enzyklika Annum Sacrum die ganze Welt dem Herzen Jesu.

1928 veröffentlichte Papst Pius XI. seine Enzyklika Miserentissimus redemptor und schrieb "über die Wiedergutmachung gegenüber dem Heiligsten Herzen Jesu"

Zur Hundertjahrfeier der Einführung des Gedenktages (1856) veröffentlichte Papst Pius XII. am 13. Mai 1956 die Enzyklika Haurietis aquas („Ihr werdet Wasser schöpfen “).

Herz-Jesu-Verehrung heute

Die Herz-Jesu-Verehrung hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerkatholisch stark an Boden verloren; zumindest eine einseitig emotional betonte Herz-Jesu-Verehrung wird von vielen katholischen Christen abgelehnt. Obwohl die geschichtliche Entwicklung zeigt, dass die Herz-Jesu-Verehrung kein rein katholisches Phänomen ist, wird sie oft als spezifisch konfessionell eingeengte Frömmigkeitsform gesehen; daher wird auch aus ökumenischer Rücksichtnahme auf sie verzichtet. Auch eine Hilflosigkeit in Theologie und Frömmigkeit gegenüber dem Sühnegedanken insgesamt und die Verflüchtigung des personalen Gottesglaubens- und Gottesbildes durch esoterische Strömungen kommen als Gründe in Frage.

Durch Papst Johannes Paul II. wurde der kirchliche Akzent verstärkt auf die Barmherzigkeit Gottes gesetzt. Seit 2000 feiert die Katholische Kirche auf Weisung von Papst Johannes Paul II. den Sonntag nach Ostern als Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit. Im Katechismus der Katholischen Kirche wird die Herz-Jesu-Verehrung auf christozentrischem Fundament zusammengefasst und neu empfohlen.

Nichtkatholiken stehen der Herz-Jesu-Frömmigkeit gewöhnlich ablehnend gegenüber. Allerdings bietet sie durch ihren christozentrischen Akzent auch ökumenische Anknüpfungspunkte.

In bildlichen Darstellungen kann man gelegentlich eine Jesusfigur antreffen, die auf ihr von außen sichtbares Herz deutet. Dieses Herz ist im Widerspruch zur menschlichen Anatomie meist in der Mitte im oberen Brustbereich platziert. Diese Freiheit der künstlerischen Darstellung weist darauf hin, dass es bei der Herz-Jesu-Verehrung nicht um ein Körperorgan geht, sondern um das Herz als Ursymbol der menschlichen Liebe sowie des Innersten der Person. Die Liebe Christi, des Erlösers, soll dadurch zum Ausdruck kommen.

Durch die mystischen Geschehnisse um die katholische Ordensschwester Maria Faustyna Kowalska gelangte die Herz-Jesu-Verehrung auch im deutschsprachigen Raum wieder mehr ins Blickfeld der Gläubigen.

Literatur
  • Anna Coreth: Liebe ohne Maß. Geschichte der Herz-Jesu-Verehrung in Österreich im 18. Jahrhundert; Maria Roggendorf 1994
  • Lothar Lies: Gottes Herz für die Menschen. Elemente der Herz-Jesu-Frömmigkeit morgen; Innsbruck 1996
  • Josef Schwendimann: Herz-Jesu-Verehrung heute?; Regensburg 1974
  • Josef Stierli (Hrsg.): Cor Salvatoris. Wege zur Herz-Jesu-Verehrung; Freiburg im Breisgau 1954

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Herz-Jesu-Verehrung. -- Zugriff am 2008-01-12]

7 Ernst Ludwig von Gerlach (1795 - 1877): extrem rechter preußischer Politiker (Kreuzzeitung)

8 Rudolf Ludwig Karl Virchow (1821 - 1902):  bedeutender Arzt an der Berliner Charité und Politiker der Deutschen Fortschrittspartei

9 Schröder: ????



Abb.: Jesuiten-Praktik. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 31, S. 124. -- 1875-06-04

Den tapfern Mac Mahon1 behandeln die Pfaffen wie eine Zitrone, die sie so lange  auspressen, bis ihr Königstrank fertig ist, und dann wegwerfen.

Erklärung:

1 Patrice de Mac  Mahon (1808 - 1893)


Abb.: Patrice de Mac Mahon
[Bildquelle: Wikipedia]

"Mac Mahon (spr. mack ma-óng), Marie Edme Patrice Maurice de M., Herzog von Magenta, Marschall von Frankreich. geb. 13. Juni 1808 in Sully bei Autun aus einer altirischen Familie, die nach dem Sturz der Stuarts nach Frankreich auswanderte, gest. 17. Okt. 1893 auf Schloss La Forêt, zeichnete sich 1837 bei dem Sturm auf Konstantine aus, wurde 1848 zum Brigadegeneral ernannt und mit der Verwaltung der Provinz Oran und später der Provinz Konstantine betraut. Seit 1852 Divisionsgeneral, kehrte er 1855 nach Frankreich zurück, erhielt den Befehl einer Division in der Krim und nahm am Sturm auf den Malakowturm 8. Sept. teil, worauf er die Senatorwürde erhielt. Nachdem er 1857 gegen die Kabylen gefochten und ihm 1858 der Oberbefehl über die Land- und Seemacht Algeriens übertragen worden war, befehligte er im italienischen Kriege das 2. Armeekorps und nahm mit ihm 4. Juni 1859 an dem Siege bei Magenta rühmlichen Anteil. Noch auf dem Schlachtfeld ward er zum Marschall und zum Herzog von Magenta ernannt. Auch in der Schlacht bei Solferino (24. Juni 1859) kämpfte er. 1864 ward er Pélissiers Nachfolger als Gouverneur von Algerien. 1870 erhielt er das Kommando des 1. Korps, schlug (6. Aug.) mit großer Tapferkeit die blutige Schlacht von ð Wörth (s. d.), ward jedoch besiegt und zum Rückzuge genötigt. M. sammelte die Überreste seines Korps hinter den Vogesen und führte sie mit großer Schnelligkeit nach Châlons, wo ihm der Oberbefehl über die dort nach und nach vereinigten Korps: 1,5 und 7, die notdürftig reorganisiert wurden, und das neuformierte 12. Korps zufiel. Er erhielt von der Regentschaft in Paris den Auftrag, mit dieser etwa 120,000 Mann zählenden Armee nach Metz aufzubrechen, um dem dort eingeschlossenen Bazaine die Hand zu reichen und den Krieg in den Rücken des Gegners zu spielen. Er begann 23. Aug. den Marsch auf Metz, aber so unentschlossen und langsam, dass die deutschen Armeen die berühmte Rechtsschwenkung machen und ihn nach der belgischen Grenze drängen konnten. Er wurde auf Sedan geworfen und hier 1. Sept. angegriffen. Früh am Morgen durch einen Granatsplitter am Schenkel verwundet, musste er die Leitung der Schlacht an Ducrot abgeben, wodurch ihm die schmerzliche Pflicht, die Kapitulation zu unterzeichnen, erspart blieb. Er geriet mit der übrigen Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach Abschluss des Waffenstillstandes wurde er mit dem Oberbefehl der »Armee von Versailles« betraut, um die Kommune in Paris niederzuwerfen. Auch nach glücklicher Unterdrückung dieses Aufstandes (vgl. seinen Bericht: »L'armée de Versailles depuis sa formation jusqu'à la complete pacification de Paris«, Par. 1871) behielt er das Kommando der Armee von Versailles und Paris. Sein geachteter Name und seine kirchliche Gesinnung verschafften ihm von seiten der monarchisch-reaktionären Parteien nach Thiers' Sturz 24. Mai 1873 die Würde des Präsidenten der Republik. Indes trotz aller Unterstützung von seiten des neuen Präsidenten misslang die Restauration des Königtums infolge des Starrsinns des Grafen Chambord, und M. sicherte sich nun eine starke Exekutive durch die von der Kammer 20. Nov. 1873 bewilligte Verlängerung seines Präsidiums auf sieben Jahre, das sogen. Septennat. Als er aber 16. Mai 1877, von seiner reaktionären Umgebung bewogen, das gemäßigte Ministerium Simon fortschickte und durch Broglie und Fourtou antirepublikanische Neuwahlen betreiben ließ, verlor er sein Ansehen. Die Neuwahlen fielen gegen ihn aus, und im Zwiespalt mit dem ihm aufgenötigten liberalen Ministerium nahm er 30. Jan. 1879 seine Entlassung und zog sich in das Privatleben zurück. Eine Bildsäule wurde ihm in Paris errichtet, eine andre 1895 auf dem Schlachtfelde von Magenta feierlich enthüllt. Vgl. E. Daudet, Souvenirs de la présidence du maréchal de M. (2. Aufl., Par. 1880); Hanotaux, La France contemporaine, Bd. 2 (das. 1905; deutsch, Berl. 1905); die Biographien von Grandin (Par. 1893, 2 Bde.), Hennet (1894), Montbrillant (Lille 1894), Laforge (Par. 1898, 3 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Aus und für Würzburg. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 35, S. 139. -- 1875-08-01

Und die Würzburger Glöckli habn schönes Geläut,
Und am Bischof1 von Würzburg da hab ich mein Freud.

Her Hohn1 tut als Priester getreu seine Pflicht,
Doch dem Bischof von Würzburg gefallt es halt nicht.

Weil Hohn bei den Wahlen hat reichstreu gestimmt,
So ist drob der Bischof gar schrecklich ergrimmt.

Und hat ihn zur Buß und zur Hölle verdammt,
und hat ihn enthoben vom geistlichen Amt.

O Bischof von Würzburg in fürstlicher Pracht,
Nimm vor dem Entstetzten, vor Hohn dich in Acht!

Denn ob du auch sitztest auf güldenem Thron,
Im Wachen und Schlafen verfolgt dich der Hohn.

Vor Hohn findest du nirgends mehr Frieden noch Ruh,
Und wir und ganz Würzburg hohnlachen dazu.

Erklärungen:

1 Johann Valentin Reißmann (1807 - 1875): Bischof von Würzburg 1870 - 1875

"Reißmann, Johann Valentin von, kath. Theologe, Bischof von Würzburg, geb. 12.11.1807 Allersheim (Unterfranken), gest. 17.11.1875 Würzburg.

R. studierte Theologie an der Univ. Würzburg, empfing 1830 die Priesterweihe und wurde 1831 zum Dr. theol. promoviert. 1834-46 war er Prof. der biblischen Exegese und der orientalischen Sprachen in Würzburg. 1846 wurde er Domkapitular, 1854 Generalvikar und 1861 Dompropst. Als Bischof von Würzburg (1870-75) wandte sich R. gegen den staatskirchlichen Kurs der bayerischen Regierung und profilierte sich als Befürworter des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas. 1871 eröffnete er das Würzburger bischöfliche Knabenseminar."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

2 Melchior Hohn: Domkapitular.

"Unmittelbar vor den bayerischen Landtagswahlen, Juli 1875 erließ Reißmann, wie die übrigen bayerischen Bischöfe einen Wahlhirtenbrief, und als der Domkapitular Melchior Hohn trotzdem liberal wählte, suspendierte ihn der Bischof am 22. Juli von den Funktionen eines bischöflichen Beraters. Die Regierung annullierte diese Strafsentenz und der Bischof selbst konnte sie noch kurz vor seinem Tode, am 15. Nov. 1875, infolge einer Erklärung Hohn’s rückgängig machen."

[Quelle: Allgemeine Deutsche Biographie. -- Band 28. -- 1889. -- s.v. Reißmann. -- Online: http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Rei%C3%9Fmann,_Johann_Valentin. -- Zugriff am 2008-01-13]


Vom weißen Brett der evangelisch-theologischen Fakultät zu Bonn. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 37/38, S. 150. -- 1875-08-15

Die Herren Theologen
Wurden grimmig schier,
Dieweil sie keck belogen
Und höhnisch aufgezogen
Studiosus Steffens1 aus Niederzier.

Es hatten die Professoren,
So evangelisch sind,
Zum Lob ihn auserkoren;
Sie wähnten ihn geboren
Als evangelisch Christenkind.

Nun wurden sie melancholisch
Und schrieen Ach und Weh;
Herr Steffens war katholisch,
Doch schrieb er diabolisch:
"Nostro theologiae ordine."

"Frivolitatis reus
Ist er -- o Schmach und Graus!" --
Doch Dominus Steffens meus:
"Caetera disponat Deus!"
Er sprach 's und lachte die Herren aus.

Erklärung:

1 Vermutlich: Arnold Steffen (1851 - 1923)

"Arnold Steffens

30.3.1851 geb. in Niederzier. 30.7.1876 Priesterweihe. 6.11.1888 Domvikar. 8.4.1903 Domkapitular. 11.4.1903 Generalvikariatsrat. 1906-1923 Präsident des »Christlichen Kunstvereins für das Erzbistum Köln« und Vorsitzender des Museumsvorstandes. 6.4.1921 Offizial. 19.9.1923 gestorben."

[Quelle: http://www.kolumba.de/?language=ger&cat_select=1&category=18&artikle=79. -- Zugriff am 2008-01-13]



Abb.: Schwarze Studien. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 46, S. 184. -- 1875-10-03

Das ultramontane Frankreich ist eine Gefahr für Europa. Gortschakoff1.

Der Franzose ist natürlich ganz schwarz. Der Spanier ist mehr nach unten, der Österreicher mehr nach oben schwarz.
Der Deutsche ist schwarz und weiß gefleckt. Der Engländer ist kariert. Nur der Papst ist ganz weiß. Ha! ha! ha!

Erklärung:.

1 Fürst Alexander Michailowitsch Gortschakow ( Александр Михайлович Горчаков) (1798-1883): russischer Diplomat und Staatsmann, Botschafter beim Deutschen Bund und in Österreich-Ungarn, 1856-1882 russischer Außenminister und ab 1863 Staatskanzler.



Abb.: Fremdwörter-Erklärungen <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 47, S. 188. -- 1875-10-10

"Camera obscura"

Der bayerische Landtag.

"Miraculose"

Wunderbare Rettung einer Jungfrau aus Altbreisach aus den Umstrickungen der Pfaffen.

"Ultramontan"

Über alle Berge,

z.B. bei frommen Sammlern mit dem Peterspfennig und anderen Kassierern.



Abb.: Schwarz-blau-weiß. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 49, S. 196. -- 1875-10-24

Wie es scheint, beabsichtigen die Schwarzen, der Bavaria den "Bußgürtel" anzulegen. Wenn ihnen dies auch nicht gelingt — stigmatisiert ist sie doch von ihnen schon.

Erläuterung:

Bei den Landtagswahlen in Bayern schnitten die Klerikalen so gut ab, dass sie zwei Sitze hinzugewannen. Sie begannen sofort mit dem Kampf gegen den antiklerikalen Kultusminister Johann Freiherr von Lutz (1826 - 1890).



Abb.: Ein Modus vivendi wird gesucht. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 51, S. 204. -- 1875-11-07

Ich würde Ihnen zu diesem Raten. Er ist mit einem Mechanismus versehen, mittels dessen, sobald Sie Sich darauf setzen, der Brotkorb Ihnen gleich mundgerecht herunter kommt.


Ein trauriges Ereignis. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 53/54, 2. Beiblatt. -- 1875-11-21

Im Dom zu Konstanz, im Sarg von Stein,
Da ruht des heiligen Konrad1 Gebein.
So hat der Vater erzählt dem Sohn
Seit vielen hundert Jahren schon.
Und trat ein Gläubger zum Sarge hin,
So beugt er sich mit frommem Sinn:
"Ora pro me"2 -- so steht er dann  --
Der fu hier ruhst, du heiliger Mann!"

Nun waren es schier neunhundert Jahr,
Dass Konrad beigesetzt hier war.
Da sprach ein Pfäfflein: "Herrlich lässt
Sich jetzt begehn ein Jubelfest!
Gen Konstanz wird zum hohen Dom
Dann wallen der frommen Pilger Strom,
Und Gold und Silber, klein und groß,
Wird strömen in der Kirche Schoß.
Und Wunder werden hier geschehn,
Wie man in Baden noch nie gesehn.
Drum steigen nieder wir zur  Stund
Zur Gruft im kühlen Kellergrund
Und öffnen dort den steinernen Sarg,
Der also lang Conradum barg;
Und tragen dann zum Münsterchor
Des Heiligen Gebein empor.

"Amen!" -- so riefen die Pfäfflein all,
Und stiegen nieder zur Grabeshall,
und traten bei der Laterne Schein
Andächtig hin zum Sarg von Stein;
Erflehten auch des Heiligen Gnad,
Bevor sie schritten zur großen Tat.

Doch als sie hoben den Deckel auf,
Entsetzen fasst der Frommen Hauf;
Und stunden bleich und starr umher:
"Ihr Heligen, helft! Der Sarg ist leer!"

Als sie sich nun erholt vom Schreck,
Sprach Einer: "Konrad ist zwar weg;
Doch ruht er auch nicht hier -- je nun,
So wird er wohl wo anders ruhn!" --
"Nein!" -- sprach drauf zu den Fratribus3
Ein Pfiff- und Kanonikus4:
"Kein Zweifel, unser Schutzpatron
Ist heimlich auferstanden schon!
Drum künden wir den Gläubgen frei,
Dass hier ein Wunder geschehen sei!"

Ein Dritter stimmte bei sofort:
"Immo, du sprachst ein kluge Wort!
Ja, kundgetan sei jedem Christ,
Dass Konrad auferstanden ist
Und sicherlich von unsrer Flur
Ganz ungesehn gen Himmel fuhr,
Dass aber zu schaun in unsrer Stadt
Der Sarg, darin er gelegen hat!"

Ein Vierter aber sprach betrübt:
"Weh, dass wir diese Tat verübt!
O hätten wir Canonici
Den Deckel hoch gehoben nie!
Jetzt wird mit schadenfrohem Mut
Aufjauchzen der Zweifler  und Spötter Brut,
Und sprechen: Lernt aus diesem Fall!
So treiben es die Herren all:
Empfehlen uns ohn Unterlass
Zu Buß und Andacht dies und das,
Das Segen schafft und Wunder wirkt
Und heilge Kraft geheim verbirgt!
Doch schaun einmal wir näher hin,
Dann merken wir: Das liegt nicht drin!
Sankt Konrad mög euch drum verzeihn,
Dass ihr geöffnet seinen Schrein!
Lasst, dass euch fürder kein Spott erwachs,
Die Toten ruhn! -- Vobiscum pax!5"

Erklärungen:

1 Konrad von Konstanz, auch Konrad I. von Altdorf (um 900 - 975): Bischof von Konstanz 934 bis 975; seit 1123 als Heiliger verehrt. Seine angeblichen Reliquien wurden 1123 in einen neuen Schrein umgebettet und der Verehrung ausgesetzt. Die Konstanzer Reliquien wurden im Bildersturm Reformation vernichtet. In der Konradikapelle des Konstanzer Münsters wird allerdings noch ein Schädel verehrt, der zum heiligen Konrad gehört haben solle und der vor dem Bildersturm gerettet wurde.  

2 Ora pro me! (Lateinisch) = Bitt für mich!

3 Fratribus (lateinisch) = zu den Brüdern

4 Kanonikus = Domherr, Mitglied des Domkapitels

5 Vobiscum pax (lateinisch) = Friede sei mit euch!



Abb.: Französisches Nigrum1-Blatt. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 55, S. 220. -- 1875-11-28

Ecclesia educans2. Jesuiten als Ammen bei den Kindern der Republik.

Ecclesia militans3. Jesuiten, der jungen Armee den Prozessionsmarsch einübend: Achtung! Faltet die Hände! Augen hoch! Auf die Knie! Marsch!

Ecclesia triumphans4. Wenn Mac Mahon5 es durchsetzt, seine fünfundzwanzig Ultramontanen in den Senat zu schmuggeln.

Erklärungen:

1 Nigrum (lateinisch) = schwarz

2 Ecclesia educans (latein.) = erziehende Kirche

3 Ecclesia militans (latein.) = streitende Kirche

4 Ecclesia triumphans (latein.) = triumphierende Kirche

5 Patrice de Mac Mahon (1808 - 1893): siehe oben!



Abb.: Was tun? -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 57, 1. Beiblatt. -- 1875-12-12

— "Das Jubeljahr geht zu Ende und zieht nicht mehr. Wir müssen etwas Neues herausfinden."
— "Aber was? Verflucht ist schon alles!".


Einladung. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 57, 2. Beiblatt. -- 1875-12-12

Willst du, fern von Leid und Kummer,
Schlafen des Gerechten Schlummer,
Fest, als lägst du schier im Tode --
Komm in die Generalsynode1!
Lieblich ruht, wie unter grünen
Lauben, sich 's auf den Tribünen.
Nicht der Redewogen Schäumen
Stört dich dort in süßen Träumen;
Nicht Gezänk, noch wildes Streiten
Stößt dich weckend in die Seiten.
Friede rings, anmutge Stille,
Wie im lieblichsten Idylle:
Hirten, auf Schalmeien blasend,
Und die Herden, friedlich grasend,
Zicklein, über Berge springend,
Muntre Kindlein, Reigen schlingend,
Fröhlich blökend rings die Schäfchen --
Komm! Mach hier dein Mittagsschläfchen!

Erklärung:

1 Generalsynode: Synode der preußischen Gesamt-Landeskirche. An ihre Mitwirkung ist der Landesherr bei Ausübung des Kirchenregiments in gewissen Grenzen verfassungsmäßig gebunden. Sie besteht aus geistlichen und weltlichen Abgeordneten, theologischen Professoren und vom König ernannten Mitgliedern.



Abb.: Die Zukunft gehört dem, der die Schule hat. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 28, Nr. 58, S. 232. -- 1875-12-19

Die Schwarzen, welche es sehr ungern sehen, dass der Staat ihnen die Schule nimmt, machen diesem den Vorwurf, er nehme die Schule nur, um durch dieselbe das Volk zu beherrschen. Und was bezwecken die Ultramontanen?


1876



Abb.: Kladderadatsch Kalender 1876. -- Umschlagbild von Wilhelm Scholz (1824 - 1893). -- 1876



Abb.: Fortschritt. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 2, S. 8. -- 1876-01-09

Wenn früher jemand aus der Kirche trat, wurde er in Bann getan, für vogelfrei erklärt und durfte vom Ersten Besten schleunigst totgeschlagen werden.
Wenn heutzutage der gefangenste Bischof1 sich noch so heimlich aus der Festung drückt, wird er höchstens per Steckbrief bis über die Grenze gehetzt.

Erklärung:

1 nämlich Konrad Martin (1812 - 1879): 1856 bis 1875 Bischof von Paderborn. Bischof war 1874 zu Festungshaft verurteilt worden und wurde  im Januar 1875 abgesetzt, war in Wesel interniert, von wo er jedoch im Sommer 1875 nach Belgien floh. Hier starb er 1879 und wurde in Paderborn beigesetzt.


Abb.: Büste des Konrad Martin in Paderborn vor dem Konrad-Martin-Haus
[Bildquelle: Wikipedia]


Interpellation von einem alten indischen Heiden an den Prinzen von Wales1 gerichtet. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 5, 2. Beiblatt -- 1876-01-30

In Tinnevelli2 hielt der Prinz eine Rede an die evangelischen Missionäre und sprach darin seine Hoffnung aus, noch einmal alle seine indischen Untertanen zur christlichen Religion bekehrt zu sehen. (Zeitungsmitteilung.)

Erhabner, gestatte, dass in Demut
Mich dir zu Füßen werfend, ich es wage
Zu fragen dich, weil heilig mir die Sache:
Wer ist der Gott, den wir verehren sollen?

Ich kenn ihn nicht -- ich kenne nur die Deinen
In ihrer Art, seit sie dies Land geknechtet.
Was sie bewegt in ihrem Tun und Treiben,
Ist das der Gott, den wir verehren sollen?

Ist es der Gott, von dem die Lehre ausgeht,
Dass man die Kriegsgefangnen ohn Erbarmen
Soll vor Kanonen binden und zerstückeln3 --
Ist das der Gott, den wir verehren sollen?

Ist es der Gott, der Freude hat am Mohngift,
Und der den Nutzen aus dem scharfen Giftstoff
Wert eines Krieges4 hält, der Vieltausend mordet --
Ist das der Gott, den wir verehren sollen?

Ist es ein Gott, der gerne hat Tyrannen,
Und über Sklaven, wenn sie leiden, lächelt,
Der Öde liebt und Elend und Verzweiflung --
Ist das der Gott, den wir verehren sollen?

Ist es ein Gott, durch den der Durst nach Golde
Ward vorgeschrieben als der Menschen Höchstes,
Als das, was selig, glücklich und gerecht macht --
Ist das der Gott, den wir verehren sollen?

Ist es ein Gott, der Mäßigkeit verurteilt,
Ist es ein Gott der köstlichen Getränke,
Durch die so furchtbar wird zerstört die Denkkraft --
Ist das der Gott, den wir verehren sollen?

Ist es der Gott, der selbst dir die Gedanken
Ins Herz gelegt hat, auf den Mund die Worte,
Und ausgeprägt sich hat in deinem Antlitz --
Ist das der Gott, den wir verehren sollen?

Wenn das der Gott ist, dann erlaub uns, Hehrer,
Dass unsern eignen Gott wir noch behalten,
Nach unsrer Väter Weise ihn verehrend
Als Gott der Weisheit und als Gott der Liebe!

Erklärungen:

1 Albert Edward (1841 - 1910), der Prince of  Wales, der spätere König Edward VII, besuchte Indien vom 1875-10-11 bis 1876-03-13

2 Tinnevelli = Tirunelveli = திருநெல்வேலி

3 bezieht sich auf die bestialischen Racheakte der Briten nach der Sepoy-Meuterei von 1857:

"Retaliation — "The Devil's Wind"

From the end of 1857, the British had begun to gain ground again. Lucknow was retaken in March 1858. On 8 July 1858, a peace treaty was signed and the war ended. The last rebels were defeated in Gwalior on 20 June 1858. By 1859, rebel leaders Bakht Khan and Nana Sahib had either been slain or had fled. As well as hanging mutineers, the British had some "blown from cannon"; an old Mughal (also "Mogul" in English) punishment adopted many years before in India. A method of execution midway between firing squad and hanging but more demonstrative; sentenced rebels were set before the mouth of cannons and blown to pieces. It was a crude and brutal war, with both sides resorting to what would now be described as war crimes. In the end, however, in terms of sheer numbers, the casualties were significantly higher on the Indian side. A letter published after the fall of Delhi in the "Bombay Telegraph" and subsequently reproduced in the British press testified to the scale and nature of the retaliation:

.... All the city people found within the walls (of the city of Delhi) when our troops entered were bayoneted on the spot, and the number was considerable, as you may suppose, when I tell you that in some houses forty and fifty people were hiding. These were not mutineers but residents of the city, who trusted to our well-known mild rule for pardon. I am glad to say they were disappointed.

Another brief letter from General Montgomery to Captain Hodson, the conqueror of Delhi exposes how the British military high command approved of the cold blooded massacre of Delhites: "All honour to you for catching the king and slaying his sons. I hope you will bag many more!"

Another comment on the conduct of the British soldiers after the fall of Delhi is of Captain Hodson himself in his book, Twelve years in India: "With all my love for the army, I must confess, the conduct of professed Christians, on this occasion, was one of the most humiliating facts connected with the siege." (Hodson was killed during the recapture of Lucknow in early 1858).

Edward Vibart, a nineteen year-old officer, also recorded his experience:

It was literally murder... I have seen many bloody and awful sights lately but such a one as I witnessed yesterday I pray I never see again. The women were all spared but their screams on seeing their husbands and sons butchered, were most painful... Heaven knows I feel no pity, but when some old grey bearded man is brought and shot before your very eyes, hard must be that man's heart I think who can look on with indifference...

The British adopted a policy of "no prisoners", a policy which was enforced by means of massacre and mass executions. One officer, Thomas Lowe, later remembered how on one occasion his unit had taken 76 prisoners (they were just too tired to carry on killing and needed a rest, he recalled). Later, after a quick trial, the prisoners were all lined up with a British soldier standing a couple of yards in front of them. On the order "fire", they were all simultaneously shot, "swept... from their earthly existence". This was not the only mass execution Lowe participated in. On another occasion his unit took 149 prisoners, and once again they were lined up and all simultaneously shot.

As a result, the end of the war was followed by the execution of a vast majority of combatants from the Indian side as well as large numbers of civilians perceived to be sympathetic to the rebel cause. The British press and British government did not advocate clemency of any kind, though Governor General Canning tried to be sympathetic to native sensibilities, earning the scornful sobriquet "Clemency Canning". Soldiers took very few prisoners and often executed them later. Whole villages were wiped out for apparent pro-rebel sympathies. The Indians called this retaliation "the Devil's Wind."

To the steady beat of drums, the captured rebels were first stripped of their uniforms and then tied to cannons, their bellies pushed hard against the gaping mouths of the big guns. The order to fire was given. With an enormous roar, all the cannons burst into life at once, generating a cloud of black smoke that snaked into the summer sky. When the smoke cleared, there was nothing left of the rebels' bodies except their arms, still tied to the cannons, and their blackened heads, which landed with a soft thud on the baking parade ground. It was a terrible way to die and a terrible sight to witness.

British historian Saul David, author of The Indian Mutiny, reckoned that the death toll ran into "hundreds of thousands"."

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Indian_Rebellion_of_1857. -- Zugriff am 2008-01-14]

4 Die beiden Opiumkriege 1839-1842 und 1856-1860


Das Lied vom Lahn-Hôtel. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 8, 2. Beiblatt -- 1876-02-20

Es steht ein Gasthaus an der Lahn,
Ganz nahe bei der Eisenbahn;
Die Wirtin sitzt am Rocken,
Und spinnt mit Fleiß für die Mission
Und strickt ihr warme Socken.

Die Wirtin hat auch einen Mann,
Den spricht der Landrat freundlich an;
Er liest die Officielle,
Und spricht ein Gast ein zuchtlos Wort,
So weist er ihm die Schwelle.

Die Wirtin hat auch einen Knecht,
Der ziert das menschliche Geschlecht;
Er ist von stillem Wesen,
Im Sonntagnachmittagsverein
Liebt er das Bibellesen.

Die Wirtin hat auch eine Magd,
Von der ein Jeder Gutes sagt;
Sie ist nicht mehr die grünste,
Sie trägt ein gülden Ehrenkreuz
Für fünfzigjährge Dienste.

Und wenn das Vesperglöcklein schlägt,
Die Hände faltet sie bewegt:
O Herr, mit Deinen Schatten
Wollst du vor arger Sinnenlust
Mein schwaches Herz bewahren!

Und wer hat wohl dies Lied erdacht?
Ein Herr Geheimrat haz 's gemacht.
Es ist ihm sauer worden;
Doch scheint ihm jede Mühe süß,
Gibt 's einen neuen Orden.

Erklärung:

Parodie auf das oft obszön parodierte Lied "Es steht ein Wirtshaus an der Lahn":

Es steht ein Wirtshaus an der Lahn,
Da kehren alle Fuhrleut' an,
Frau Wirtin sitzt am Ofen,
Die Fuhrleut' um den Tisch herum,
Die Gäste sind besoffen.

ie Wirtin hat auch einen Mann,
Der spannt den Fuhrleut'n selber an.
Er hat vom allerbesten
Ullrichsteiner Fruchtbranntwein
Und setzt ihn vor den Gästen.

Für die Melodie hier anklicken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/esstehtw.html. -- Zugriff am 2008-01-14] 


Das Bläseln. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 8, 3. Beiblatt -- 1876-02-20

Zu Mainz am dritten Februar,
Zu Ehren Sancti Blasii1,
Da wird "gebläselt" der Knäblein Schar
Vom Pfarrer des Gymnasii.

Sankt Blasius tät mit starkem Hauch
Einst wie ein Sturmwind pusten;
Darumb so ist das "Bläseln" auch
Gut wider Halsweh und Husten.

Und so man hält mit gläubgem Sinn
Kreuzweis zwei Blsius-Kerzen
Halskranken Knäblein unter das Kinn,
So schwinden sofort die Schmerzen.

Und so da heiser wär dein Kind
Und könnt nicht sprechen noch lesen,
Sollt du es "bläseln", und geschwind
Wird es zur Sprach genesen --

Wird wieder mit lauter Stimme Schall
Im Schulhof munter springen
Und schier wie eine Nachtigall
Im lieben Frühling singen --

Wird singen von Sancti Blasii Ruhm
Und alles Leid vergessen
Und preisen sein Großherzogtum
Und den Geist des Lichts in Hessen2.

Erklärungen:

1 Hl. Blasius († um 316), Bischof von von Sebaste (heute: Sivas, Türkei)

"Der Blasiussegen ist ein Segensbrauch im liturgischen Jahr der katholischen Kirche. Das Datum des Blasiussegens ist der liturgische Gedenktag des Heiligen, der 3. Februar. Meist wird er jedoch im Anschluss an die Liturgie des Lichtmesstags oder auch am folgenden Sonntag gespendet.

Der Segen knüpft an die Gestalt des hl. Blasius von Sebaste an, der nach der Überlieferung Bischof von Sebaste in Kleinasien war und im Jahr 316 als Märtyrer starb. Der Heilige zählt zu den Vierzehn Nothelfern. Die bekannteste Erzählung über Blasius berichtet, wie er während seiner Gefangenschaft in einem römischen Gefängnis einem jungen Mann, der an einer Fischgräte zu ersticken drohte, das Leben rettete.


Kerzenhalter zum Erteilen des Blasiussegens
[Bildautor: Andreas Püttmann. -- 
AttributionShare AlikeCreative Commons Lizenz (Namensnennung, Weitergabe untergleichen Bedingungen)]

Im Sinne dieser Überlieferung hält der Priester beim Blasiussegen dem Gläubigen zwei gekreuzte brennende Kerzen in Höhe des Kopfes vor. Das Segenswort lautet im Benediktionale:

Auf die Fürsprache des heiligen Blasius bewahre dich der Herr vor Halskrankheit und allem Bösen. Es segne dich Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

oder:

Der allmächtige Gott schenke dir Gesundheit und Heil. Er segnet dich auf die Fürsprache des heiligen Blasius durch Christus, unsern Herrn.

Der Segensspruch kann sinngemäß abgewandelt werden. Der Gläubige antwortet mit Amen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Blasiussegen. -- Zugriff am 2008-01-14]

"Als durch die Kreuzzüge die Gebeine des hl. Blasius in das Abendland gebracht wurden, kam auch seine Verehrung daselbst sehr in Aufnahme und wurde besonders durch die vielen wunderbaren Heilungen, die auf seine Fürbitte geschahen, überaus vermehrt. Sein Name steht, wie bemerkt, mit dem Wesentlichen aus seiner Leidensgeschichte am 3. Febr. im Mart. Rom.20 und werden daselbst die sieben Frauen mit den zwei Kindern oder Knaben gleichfalls erwähnt. Seine Reliquien wurden in allen Teilen Europas verbreitet und um der Heilungen willen, die daran öfters geknüpft waren, sehr gesucht. Bei den Griechen wird das Fest unseres Heiligen als ein gebotener Feiertag begangen und am 11. Febr. abgehalten. In einigen alten Martyrologien wird sein Andenken am 15. Febr. angemerkt. Als Patron in Leiden des Halses und der Kehle, sowie in Seelenleiden wegen verschwiegener Sünden (letzteres, weil er wahrscheinlich einmal einer in dieser Hinsicht leidenden Seele geholfen hat) ist der hl. Blasius Einer der vierzehn Nothelfer. An vielen Orten Deutschlands und gewiss auch in andern Ländern herrscht am Feste des hl. Blasius die Sitte, an die Gläubigen den Blasiussegen zu spenden, indem der segnende Priester in der Nähe des Halses derselben zwei Kerzen in Kreuzform hält und dabei die Worte spricht: »Per interet praeservet te ...« Zu Maratea im Königreich Neapel fließt aus seinen Reliquien ein Saft, der in einem silbernen Becher aufgefangen und den Andächtigen zum Trinken wider allerlei Krankheiten gegeben wird. Zu Ebolo, gleichfalls im Königreich Neapel, wird in der Pfarrkirche des hl. Eustachius in einem Kristallglas ein Finger und in einer Ampel etwas von dem Fette unseres Heiligen aufbewahrt, bei denen das Merkwürdige dieß seyn soll, dass, so oft beide Reliquien zusammengebracht werden, das Fett schmilzt, aber wieder hart wird, wenn man sie von einander absondert. In der Stadt Tarent wird ein Achselbein des Heiligen gezeigt, das jederzeit einen sehr lieblichen Geruch von sich geben soll."

[Quelle: Vollständiges Heiligen-Lexikon / hrsg. von J. E. Stadler. -- Neusatz und Faksimile der Ausg. Augsburg, 1858 - 1882. -- Berlin : Directmedia Publ., 2004. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 106). -- ISBN 3-89853-506-1. -- s.v. (Bd. 1, S. 490ff.)]

2 Großherzogtum Hessen und bei Rhein: Mainz gehörte damals zu diesem Großherzogtum.


Der Putsch von Innsbruck. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 13, S. 50. -- 1876-03-19

Aus Innsbruck im Tirolerland
Ist endlich was zu melden.
Juchhe! Sie haben sich ermannt,
Die tapfern Glaubenshelden.
Die bescher schwingt! Die Fahnen schwenkt!
Hurrah! Der Landtag ist gesprengt,
Gesprengt vom schwarzen Trosse --
Gelungen  ist die Posse!

Der Landtag war eröffnet, als
Graf Brandis1 sprach: "Ihr Herren!
Unnötig ist es jedenfalls,
Dass wir uns lange sperren.
Weh Österreich und weh Tirol!
Denn die Regierung ist frivol
Und stürzt -- was soll man machen? --
Sich in den Höllenrachen.

Die Glaubenseinheit ist bedroht,
Verletzt schon von den Feinden;
Schon gibt 's im Land -- Kreuzschwerenot! --
Lutherische Gemeinden!
Hinaus mit uns! Da ist die Tür!
Wozu noch länger weilen wir?
Auf, lasset ohne Säumen
Den Sitzungssaal uns räumen!"

Er sprach die Worte, welche dass
Den schwarzen Herrn gefielen;
Drei Dutzend sprangen da vol Hass
Empor von ihren Stühlen.
"Hinaus mit uns, hinaus, hinaus!" --
So riefen sie begeistert aus;
Sie drängten sich und stießen
Mit Händen und mit Füßen.

Der Erzbischof von Brixen2 hielt
Die Türklink am Gewande;
Wie er sich festgehalten fühlt,
Dreht er sich um: "O Schande!
Mahnt eine Klinke mich an Pflicht
Und Ehr und Recht? Das duld ich nicht!" --
Er reißt sich los gewaltsam
Und fort geht 's unaufhaltsam.

Der Landeshauptmann Rapp3 bleibt kalt
Und stumm bei dem beginnen.
Rapp! Rapp! Ich fürcht, es lautet bald:
"Rapp! Tummle dich von hinnen!"
Schlimm ward der Landeshauptmannschaft;
Denn keinem blieb es zweifelhaft,
Dass unter einer Decke
Sie mit den Schwarzen stecke.

Die Linke protestierte zwar --
Was halfen die Proteste?
Von dannen stieb die schwarze Schar,
Als ging 's zum Schmaus, zum Feste.
Rapp sprach: "Jetzt ist die Sitzung aus,
Denn Sechsunddreißig gehn hinaus;
In Folge dessen, seh ich,
Sind wir beschlussunfähig!" --

Victoria! Jetzt ist geschehn,
Was wir gehofft schon lange:
Die Schwarzen drücken sich, sie gehn,
Dem dunklen Corps ward bange.
Sie warfen selber sich hinaus,
Mit ihrem Wirken ist es aus!
Hurrah! Jetzt wird es helle --
Die Toten reiten schnelle.

Erklärungen:

1 Anton Graf von Brandis (1832 - 1907)

"Brandis, Anton Graf von, österr. Politiker, geb. 24.2.1832 Laibach, gest. 14.5.1907 Schloss Brandis bei Meran
Der Sohn des Tiroler Gouverneurs Klemens Franz von ->B. wurde von dem Historiker Albert ->Jäger in Innsbruck erzogen. Seit 1865 gehörte der katholisch-konservative Politiker dem Landtag an. 1889 übernahm er das Amt des Landeshauptmanns (bis 1904). Er führte eine Neuordnung der Grundsteuer durch und war an der Entwicklung des Tiroler Landesschulgesetzes beteiligt. "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

2 Vinzenz Gasser (1809 - 1879)

"Gasser, Vinzenz (Ferrer[ius]), kath. Theologe, Fürstbischof von Brixen, geb. 30.10.1809 Inzing (Tirol), gest. 6.4.1879 Brixen
Nach philologischen Studien an der Univ. Innsbruck studierte G. 1829-33 Theologie in Brixen und war nach der Priesterweihe Seelsorger in mehreren Tiroler Pfarren. 1836-55 Prof. der Bibelwissenschaft in Brixen, vertrat er 1848 einige Bezirke des Pustertals in der Frankfurter Paulskirche, wurde 1855 Domkapitular und im folgenden Jahr Fürstbischof von Brixen. G. führte im Tiroler Landtag und im österr. Herrenhaus die konservativen Fraktionen. Er setzte sich für die Ausbildung des theologischen Nachwuchses und für die Kolpingvereine ein. Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil trat er als Verteidiger der päpstlichen Unfehlbarkeit auf. In Brixen gründete G. das nach ihm benannte Knabenseminar Vincentinum."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

3 Franz Freiherr Rapp von Heidenburg (1823 - 1889)

"Rapp von Heidenburg, Franz Frh., österr. Jurist, Politiker, geb. 21.11.1823 Innsbruck, gest. 19.9.1889 Innsbruck
Der Sohn Josef ->Rapps studierte Rechtswissenschaften in Innsbruck und war nach der Promotion 1850 Notar in Niederösterreich, 1858-80 in Innsbruck. 1863 wurde er als Mitglied der Konservativen Partei Vizebürgermeister von Innsbruck. Seit 1865 war R. Landeshauptmann-Stellvertreter, 1867-71 Bürgermeister von Innsbruck, 1871-76 und 1881-89 Landeshauptmann von Tirol und seit 1887 Herrenhausmitglied. 1871 wurde er nobilitiert und 1883 in den Freiherrenstand erhoben. "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]


Wirksame Hilfe. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 16, S. 63. -- 1876-04-02

Und als die Flut verlaufen war
Zu Köln am gelben Rheine,
Da sprach der Generalvikar1:
"Nun höret, wie ich 's meine!

Ein jeder hilft, wie 's ihm gefällt;
Ich will es nicht bekritteln,
Dass man mit Kleidern euch und Geld
Beisteht und Lebensmitteln.

So nehmt die milden Gaben nun
In Dörfern und in Städten!
Wir aber wollen das Bessere tun:
Wir wollen -- für euch beten!

Ein stark Gebet, ein kräftig Gebet
Soll auf zum Himmel klingen;
Da wird, wer heut in Tränen steht,
Gar bald vergnüglich springen.

Und wenn dein Haus die Flut verschlang,
Magst du darob nicht sorgen;
Wir beten für dich mit Spruch und Sang
Am Abend und am Morgen.

Wir beten brünftig, ohn zu ruhn,
Die Männlein wie die Frauen;
Du hast dann weiter nichts zu tun,
Als -- di#r ein neues zu bauen.

So wollen wir schaffen zu Nutz und Heil
Der heimgesuchten Frommen;
Wir haben gleich den schwereren Teil
Auf unsre Schultern genommen.

So stopfen wir schließlich jedes Loch
Und bringen Hilf und Heilung;
Am besten geht die Arbeit doch
Bei einer vernünftigen Teilung!

Erklärung:

1 Johann Anton Friedrich Baudri (1804 - 1893): Generalvikar von Köln 1864 - 1876


Nach Rom. In Sachen des Bußtags. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 22, S. 87. -- 1876-05-14

Keiner, der  von Staub ist, kann
Ohne Schuld sich nennen;
Doch dem Edlen steht es an,
Seine Schuld bekennen.

Sieh der Bußtag war dazu
Eingelegt -- nun sage,
Pio IX., hattest du
Nutzen von dem Tage?

Schien dir deiner Fehler Schar
Endlich unverhehlbar?
War die endlich klipp und klar,
Dass kein Mensch unfehlbar?

Schien die etwas Garstiges
Das verfluchte Fluchen?
Willst du abzulegen es
Wenigstens versuchen?

Dann, o heilger Vater, lass
Uns als Freunde leben,
Syllabus1 und Zorn und Hass,
Alles sei vergeben!

Erklärung:

1  Syllabus: siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- Fassung vom 2004-04-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm



Abb.: Schwarze Kunst. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 25/26, 1. Beiblatt. -- 1876-06-04

Conrad von Bolanden1 hat in seinem neuesten Roman den "Pascha" so verzeichnet, dass man ihn leicht für eine ganz andere Person halten kann.

1 Conrad von Bolanden: Pseudonym für Joseph Bischoff (1812 - 1920)

"Bischof, Joseph, unter dem Namen Konrad von Bolanden bekannter Romanschriftsteller, geb. 9. Aug. 1828 zu Niedergailbach in der Rheinpfalz, studierte seit 1849 katholische Theologie zu München, wurde 1852 als Domkaplan in Speyer angestellt, nach einigen Jahren als Administrator nach Kirchheimbolanden und von hier als Pfarrer nach Börrstadt am Donnersberg versetzt. Seit 1859 war er Pfarrer in Berghausen bei Speyer, bis er 1869 seinem Amt entsagte und sich privatisierend in Speyer niederließ, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Papst Pius IX. ernannte ihn 1872 zu seinem Wirklichen Geheimen Kammerherrn. B. war ungemein produktiv und hat in den katholischen Kreisen von ganz Europa Aufsehen erregt. Seine zum Teil vielfach ausgelegten Werke haben stark ausgesprochene ultramontane Tendenz. In den ersten Romanen: »Eine Brautfahrt« (Regensb. 1857) und »Franz von Sickingen« (das. 1859), stellte er die Reformation als gemeine Rebellion, als einen Ab- und Rückfall dar und schilderte Luther, Sickingen, Hutten etc. mit den grellsten Farben als moralisch Verworfene. Dann folgten: »Königin Bertha« (Regensb. 1860) und »Barbarossa« (das. 1862); ferner: »Die Aufgeklärten« (Mainz 1864) und »Historische Novellen über Friedrich II. und seine Zeit« (das. 1865–1866, 4 Bde.), worin der große Preußenkönig als eine Art politischen Räuberhauptmanns erscheint. Gegen die naturwissenschaftlichen Forschungen wendet sich »Angela« (Regensb. 1866), gegen den Liberalismus »Die Freidenker« (das. 1866), »Die Schwarzen und die Roten« (Mainz 1868), »Fortschrittlich« (das. 1870). Im gleichen Geist sind seine zahlreichen spätern Erzählungen gehalten. Von seinen kleinern Erzählungen hatten besonders »Der neue Gott«, »Der alte Gott«, »Kelle oder Kreuz« Erfolg."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Ordensregeln der Genossenschaft katholischer Edelleute in Bayern. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 27, S. 106. -- 1876-06-11


Von allerlei wunderlichen Heiligen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 28, S. 111. -- 1876-06-18

Nun ruhn so Städter als Bauer
Von der großen Processio
Zu Echternach1 an der Sauer;
Denn wie die Alten sprungen,
So hüpfen dort die Jungen
In dulci jubilo2.

Sie sprungen nach altem Ritus
Und huben die Bein in die Höh'
Zu Ehren des heilgen Vitus3,
In langen und kurzen Röcklein,
Die Einen als wie die Böcklein,
Die andern als wie die Flöh.

Von Rom zum Heimatlande
Ganz still, wie sich 's gebührt,
Kehrt deutscher Pilger Bande;
Es hat sie der kampfesfrohe
Freiher Felix von Loë4
So herrlich angeführt.

Sie waren zum Jubelfeste
Des Papstes geströt herbei
Und flehten dort aufs beste,
Dass ihnen im wilden Zwiste
Mit Falk5 und dem Antichriste
Der Papst den Segen verleih.

Zu Zabern stimmten die Leute
Laut Lobgesänge an;
Denn selig gesprochen heute
Ob seiner guten Werke
Und seines Glaubens Stärke
Wird Pater Liebermann6.

Des neuen Heiligen Vater --
Das sollt ihr merken fein --
War Rabbi, der Sohn war Pater,
Drumb lasst die Juden in Frieden;
Es könnt am Ende hienieden
Ein Heilger drunter sein.

Erlärungen:

1 Echternacher Springprozession

"Echternach (Echtern), Stadt und Hauptort eines Kantons im Großherzogtum Luxemburg, rechts an der Sauer (Sure) und an der Bahn Diekirch-Grevenmacher, hat ein Progymnasium, Fabriken für Fayence, Wollenzeug u. Damast, Gerbereien, Sägemühlen und (1890) 4200 Einw. – Die 698 vom heil. ð Willibrord (s. d.) gestiftete Benediktinerabtei, mit dem Grab des Heiligen und der 1861 restaurierten, aus der ersten Hälfte des 11. Jahrh. stammenden romanischen Basil ika, ist noch jetzt das Ziel zahlreicher Wallfahrer, besonders am Pfingstdienstag, wo zur Erinnerung an die Tanzkrankheit, die im Mittelalter jene Gegend heimsuchte, die sogen. Springprozession stattfindet. Die Pilger (bis zu 15,000) ziehen mit Geistlichen und Musikanten über die Sauerbrücke nach der Kirche und zum Kirchhof, indem sie immer drei Schritte vor- und zwei rückwärts springen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 In dulci jubilo (lateinisch) = In süßem Jubel

3 Hl. Vitus = St. Veit, einer der 14 Nothelfer. Anspielung auf den Veitstanz (Chorea), eine Nervenkrankheit

4 Adalbert Falk (1827 - 1900): preußischer Kultusminister, führend im Kulturkampf

5 Franz Maria Paul Liebermann: gründete 1703 das Seminar vom Heiligen Geist, 1734 die Kongregation vom Heiligen Geist für die Mission in Afrika.


Neue Variationen über das alte Lied: "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten." -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 24, S. 133. -- 1876-07-23

Das war zu Marpingen1 im Wald,
Im Kreise von Sankt Wendel,
Da ist ein Wunder jüngst geschehn,
Da gab's auch lustge Händel.

Das war zu Marpingen im Wald,
Unter Fichten und Buchen
Gingen drei kleine Mägdelein,
Heidelbeeren zu suchen.

Das war zu Marpingen im Wald,
Da tät den lieben kleinen
Gebenedeiten Mägdelein
Die Mutter Gottes erscheinen.

Zuerst in weißem Gewande, dann
In blau-weiß-streifigem Kleide,
Dann ganz in Blau, und wieder zuletzt
Im Rock von weißer Seide.

Ob sie auch eine Turnüre trug,
Weiß ich nicht; doch ich wette,
Madonna ist gut versehen mit
Modernster Toilette.


Abb.: Georges Seurat (1859 - 1891): Die Turnüre. um 1884

"Willst du ein Kirchlein oder ein Bild?" —
Fragen die drei. In Schnelle
Antwortet Madonna: "Kann es sein,
Möcht lieber ich ne Kapelle." —

Madonna ist jungfräulich rein,
Empfangen ohne Sünden;
Madonna ist klug auch, sie versteht
Gar trefflich sich aufs Gründen.

Am nächsten Tage kamen schon
Die Gläubigen in Scharen
Von Tausenden herbei, zumal
Die krank und bresthaft waren.

Die Blinden, Tauben, Lahmen und die
Noch andre Gebresten drücken,
Sie kamen geschlichen, gekrochen, gehinkt,
An Stöcken und auf Krücken.

"Madonna hilf! sei gnädig uns!
Woll unser dich erbarmen
Und Heilung schaffen unsrem Leid!" —
So flehen brünstig die Armen.

"Madonna, steh uns gnädig bei!
Woll unser dich erbarmen!" —
Da naht der Bürgermeister Woytt
Mit ganzen drei Mann Gendarmen.

Drei Mann Gendarmen sind nicht viel —
Wärens wenigsten viere!
Doch besser wirkt eine Kompanie
Dreißiger-Grenadiere.

Sie rücken an, der Tambour schlägt
Den Wirbel; die Gemeinde
Singt laut im Chor: "Maria, hilf
Uns gegen unsre Feinde!" —

Doch war sogleich beim ersten
Glanz der Pickelhauben-Kolonne
Erloschen das weiß-blau-weiße Bild
Der wunderbaren Madonne.

Es ist gewisslich wahr: gar viel
Der Wunder tut Madonne,
Und unverhofft erscheint sie oft
Zu aller Gläubigen Wonne.

Sie macht die Lahmen reden, und
Die Stummen lässt sie gehen;
Sie wirkt, dass Blinde hören, und
Die Tauben macht sie sehen.

Die allerwunderbarste jedoch
All ihrer Wundertaten
Ist, dass sie stets unsichtbar wird
Beim Anblick von Soldaten.

So ward erfüllt das Wort, und nicht
Nur "gegen Demokraten",
Auch gegen Madonnen und Pfaffenspuk
Helfen jetzt die Soldaten.

Erläuterung:

Der ausführliche "Erscheinungsbericht": http://www.gottesmutter.de/EGO.HTM. -- Zugriff am 2004-11-13

1 Marpingen

"Marpingen, Dorf im preußischen Regierungsbezirk, Kreis St. Wendel, 9 km westsüdwestlich von St. Wendel, hat eine kath. Kirche und (1900) 1820 Einw. - Marpingen war 1876 längere Zeit Schauplatz angeblicher Erscheinungen der Jungfrau Maria, die viele Wallfahrten veranlassten und einen langwierigen Prozess zur Folge hatten, der 1879 in Saarbrücken und Köln mit der Freisprechung der (20) wegen Betrugs Angeklagten endete."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Zum treuen Schäfer. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 36, S. 144. -- 1876-08-06

Der englischen Hochkirche wird von den Ultramontanen ein fettes Schaf nach dem andern entführt und mit dem alleinseligmachenden Schwarz in der Wolle gefärbt.



Abb.: Wenn die Gesellschaft französischer Madonnen ihr Gastspiel über Marpingen1 bis nach Berlin ausdehnen sollte. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 37/38, S. 149. -- 1876-08-13

Die Madonnen müssen Lokale wählen, wo sie von möglichst vielen gesehen werden können, ohne Aufläufe zu erregen. In der Flora würden sie z.B. gegen erhöhtes Eintrittsgeld an den ausgefallenen Aktionären ein frommes Werk tun. In anderen Lokalen werden sie bereits sehnsüchtig erwartet.

Die Madonnen müssen einfachen schlichten Leuten erscheinen, die sich noch etwas aufbinden lassen. Die Wunder-Krüppel müssen importiert  werden, und zwar möglichst Solche, die schon in Lourdes2 oder anderen Gnadenorten prämiiert sind.

Die Madonnen müssen sich in Berlin vor Künstlern, Studenten, Polizisten und anderen Ungläubigen in Acht nehmen.

Erläuterung:

Spielt an auf die Marienerscheinungen in Lourdes und Marpingen:

1 Marpingen: siehe oben!

2 Lourdes

"Lourdes (spr. lurd'), Stadt im franz. Depart. Oberpyrenäen, Arrond. Argelès, 386-420 m ü. M., in schöner Gebirgsgegend am rechten Ufer des Gave de Pau, Knotenpunkt der Südbahn, hat ein ehemals festes Schloss (teilweise aus dem 14. Jahrh.), das malerisch auf einem Felsen über der Stadt liegt und jetzt als Gefängnis dient, eine neue Pfarrkirche im romanischen Stil, einen Gerichtshof, eine Ackerbauschule, Marmor- und Schieferbrüche, starken Viehhandel und (1901) 7843 (als Gemeinde 8708) Einw. 1,5 km östlich liegt der neue Stadtteil (Massabielle oder Grotte) mit der berühmten Grotte, in der 1858 die Jungfrau Maria der 14jährigen Bernadette Soubirous (gest. 1879) erschienen sein soll, und die, namentlich seit 1870, den Anziehungspunkt für zahlreiche Wallfahrer bildet (jährlich bis 500,000). Das Wunder wurde 1862 durch den Bischof von Tarbes anerkannt; 1891 wurde von Leo XIII. ein Fest der Erscheinung (11. Febr.) eingeführt. In der Grotte befindet sich eine Marienstatue und die wundertätige Quelle, deren Wasser auch in Flaschen weithin versandt wird. Der neue Stadtteil enthält die Kirchen Notre-Dame (1864 bis 1870 im Stile des 13. Jahrh. erbaut, mit zahlreichen Kunstwerken) und du Rosaire (1884-89 im byzantinischen Stil ausgeführt), außerdem mehrere Kapellen, Klöster, Hotels, Verkaufsläden etc. In der Nähe drei andre Grotten und westlich der See von Lourdes (48 Hektar). - Nach Lourdes benennen sich mehrere religiöse Genossenschaften: Brüder Unsrer Lieben Frau von L. (ursprünglich Brüder der Guten Werke), gegründet 1830, Generalmutterhaus in Oostacker; Schwestern vom dritten Orden des heil. Franziskus von der Kongregation Unsrer Lieben Frau von Lourdes, gegründet 1877, Mutterhaus in Rochester (Minnesota); Orden Unsrer Lieben Frau von Lourdes, gegründet 1883 für das Erzbistum New Orleans."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Zur Situation. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 41, 1. Beiblatt. -- 1876-09-03

Romas Wahlspruch ist und bleibt, ob's euch schier in Harnisch treibt,
Liberale Schwätzer:
Muss es sein -- nun dann, wohlan! lieber mit dem Muselmann
Doch als mit dem Ketzer!



Abb.: Den Aberglauben praktisch zu verwerten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 43, S. 172. -- 1876-09-17

Man gestatte Jungfrauen nur auf solchen Feldern zu erscheinen, die von der Heuschreckenplage heimgesucht sind.
Sofort werden Tausende von Gläubigen und Neugierigen sich dahin drängen und die Heuschrecken zerknien und zertreten.


Gebet der Marpinger1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 46, S. 183. -- 1876-10-01

Herrlich ist 's, wenn blaue Frauen
Niederkommen aus dem Blauen;
Doch 5000 Mark zu zahlen,
Das ist eklig, das macht Qualen.

Zeig dich, blaues Wunder, wieder,
In den Blaubeeren lass dich nieder;
Doch vergiss vor allen Dingen
Diesmal nicht, was mitzubringen!

Bringe mit 5000 richtge,
Gute, echte, vollgewichtge
Mark und gib sie uns in Gnaden!
Ist 's noch mehr, so kann 's nicht schaden.

Schlägt dir gar nicht das Gewissen,
Dass so viel wir zahlen müssen?
Nochmals sei es dir empfohlen:
Komm; sonst soll -- der Fuchs dich holen!

Erläuterung:

1 Marpingen

"Marpingen, Dorf im preußischen Regierungsbezirk, Kreis St. Wendel, 9 km westsüdwestlich von St. Wendel, hat eine kath. Kirche und (1900) 1820 Einw. - Marpingen war 1876 längere Zeit Schauplatz angeblicher Erscheinungen der Jungfrau Maria, die viele Wallfahrten veranlassten und einen langwierigen Prozess zur Folge hatten, der 1879 in Saarbrücken und Köln mit der Freisprechung der (20) wegen Betrugs Angeklagten endete."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Adolf Glaßbrenner†. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 46, S. 183. -- 1876-10-01

Verstummt bist du, lust'ger Spötter,
der nicht nach Tod, nach Teufel frug,
der Pfaffenvolk und Tagesgötter
und Leid und Kummer siegreich schlug.
Der Freude Genien stehn, die kleinen,
Mit Faun und Satyr stumm gesellt,
An deinem Grabe heut und weinen.
's ist, Adolf, halt -- "Verkehrte Welt".

Erläuterung:

"Glaßbrenner, Adolf, humoristischer und satirischer Schriftsteller, geb. 27. März 1810 in Berlin, gest. daselbst 25. Sept. 1876, widmete sich dem Kaufmannsstand, beschäftigte sich aber daneben mit literarischen Arbeiten und redigierte 1831 eine Zeitschrift: »Don Quijote«, die aber wegen ihres Freimuts bereits 1833 unterdrückt wurde. Nun veröffentlichte Glaßbrenner unter dem Namen Adolf Brennglas eine Reihe kleiner Schriften u. d. T.: »Berlin wie es ist und trinkt« (Berl. u. Leipz. 1832-50, 30 Hefte; teilweise mehrfach aufgelegt), die mit meisterhafter Beobachtungsgabe Bilder aus dem Berliner Alltagsleben vorführten und im Scherz viele Gedanken laut werden ließen, die damals im Ernst auszusprechen die Zensur nicht gestattet hätte. Ähnliche Arbeiten Glaßbrenners sind: »Leben und Treiben der seinen Welt« (Leipz. 1834) und »Berliner Volksleben« (das. 1848-51, 3 Bde.). Das Resultat eines siebenmonatigen Aufenthalts in Wien (1835) waren die anonymen »Bilder und Träume aus Wien« (Leipz. 1836, 2 Bde.), die vom Bundestag verboten wurden. 1840 heiratete Glaßbrenner die Schauspielerin Adele Peroni (geb. 17. Jan. 1813 in Brünn, gest. 31. Juli 1895 in Berlin), der er 1841 nach Neustrelitz folgte. Hier schrieb er seine »Verbotenen Lieder« (Zürich 1843), deren 2. Auflage als »Lieder eines norddeutschen Poeten«, die 3., sehr vermehrte Auflage aber als »Gedichte von Adolf G.« (Berl. 1851, 5. Aufl. 1870) erschien, und das komische Epos »Neuer Reineke Fuchs« (Leipz. 1846, 4. Aufl. 1870), ein Gedicht voll von der schonungslosesten Satire. 1848 stand Glaßbrenner als Führer an der Spitze der demokratischen Partei in Mecklenburg-Strelitz. 1850 dort ausgewiesen, lebte er mit seiner Gattin erst m Hamburg und kehrte 1858 nach Berlin zurück, wo er die Redaktion der »Berliner Montagszeitung« führte. Von Glaßbrenners spätern Schriften sind noch zu erwähnen: der »Komische Volkskalender« (1845-67, 23 Jahrg.); die »Xenien der Gegenwart« (mit D. Sanders, Hamb. 1850); die politisch-aristophanische Posse »Kaspar der Mensch« (das. 1850); die »Komische Tausendundeine Nacht« (Braunschw, 1852), das komische Epos »Die verkehrte Welt« (Berl. 4857, 6. Aufl. 1874) u.a. In den spätern Jahren verfasste er auch Jugendschriften, unter denen »Lachende Kinder«, »Sprechende Tiere«, »Insel Marzipan« viele Auflagen erlebten. Als Dichter im engern Sinne zeigt sich Glaßbrenner am reinsten in »Kaspar der Mensch« und im »Neuen Reineke Fuchs«, welch letzteres wohl sein bestes Werk sein dürfte. Seine Erfolge als »Vater des Berliner Witzes« haben unzählige Nachahmer geweckt und an der spätern Entstehung der Berliner Lokalposse (deren »höhern Blödsinn« aber Glaßbrenner verachtete) einen wesentlichen Anteil."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Religionskritisches von Adolf Glaßbrenner: http://www.payer.de/relkritiklink.htm#Gla%DFbrenner


Von Aachen, dem deutschen Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 47, S. 187. -- 1876-10-08

Eine wahrhaftige Geschichte.

Zu Aachen im alten Rathaussaal
Aus Kaiser Caroli Tagen,
Da saß der Stadtrat in voller Zahl,
Da wurde die Schlacht geschlagen,
Und alle die Ultramontanen,
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich reiht,
Umstanden den tapfern Rufer im Streit --
Hoch flattern der Gläubigen Fahnen.

Ein Liberaler ergriff das Wort:
"Übers Jahr, da kommen als Gäste
Der Wissenschaft Forscher an diesen Ort;
Empfangen die Herrn wir aufs beste!
Und was sie schufen verbündet,
Was deutsche Forschung ans Licht gebracht,
Und wie sie verscheuchte des Geistes Nacht,
Das werde laut hier verkündet!"

Darob erzittert die schwarze Art,
Es erfasst sie Gruseln und Grausen:
"An geweihter Stätte der Heiligtumsfahrt1
Soll der Antichrist wüten und hausen?
Und wo vor den heiligen Windeln
Der Gläubige demutsvoll beugt das Knie,
Dort soll Atheismus und Häresie
Die frommen Schäflein beschwindeln?

Verflucht der vermessenen Ketzer Schar
Mit ihrem höllischen Wissen!
Der Papst ganz allein ist unfehlbar,
Und der Syllabus2 unser Gewissen.
So sei per majora3 beschlossen:
In das deutsche Rom sollen nimmer sie ziehn,
Die Virchow4, Haeckel5, Vogt6 und Darwin,
Die Forscher und Forschergenossen!"

Da frohlockt und jubelt die schwarze Partei,
Dass die große Gefahr nun gewendet
Und nimmermehr durch Naturforscherei
Die heilige Stadt sei geschändet.
Und des Glaubens eifrige Wächter
Erhielten von Rom den Segen alsbald,
Und vom baltischen Meer bis Canossa schallt
Ein unauslöschlich Gelächter.

Seid mir gegrüßt! Eu'r Ruhm erschall
In allen gebildeten Sprachen,
Ihr gläubigen Kreuzesstreiter all,
Kommunale Römer von Aachen!
Lasst fürder uns beten und wachen,
Dass in dieser ernsten, traurigen Zeit
Uns bleib auch ein wenig Heiterkeit
Und der Stoff nicht fehlt zum Lachen!

Erklärungen:

1 Heiligtumsfahrt

"Die Aachener Heiligtumsfahrt, auch „Aachenfahrt“ genannt, bezeichnet die alle sieben Jahre stattfindende Pilgerfahrt zu den vier Aachener Heiligtümern, die zu diesem Ereignis im Aachener Dom gezeigt werden.

Die ersten Pilger kamen schon zu Zeiten Karls des Großen nach Aachen. Im Mittelalter entwickelte sich die Aachener Heiligtumsfahrt zur bedeutendsten Wallfahrt im deutschsprachigen Raum. Durch die Reformation im 17. Jahrhundert ging die Bedeutung zwar zurück und während der Aufklärung war sie sogar verboten, doch auch heute zieht die Aachener Heiligtumsfahrt noch zahlreiche Gläubige an. So wurden im Jahr 2000 über 90.000 Pilger gezählt.

Die Aachener Heiligtümer

Die vier Aachener Heiligtümer fanden vermutlich schon unter Karl dem Großen ihren Weg nach Aachen. Die fränkischen Reichsannalen berichten, dass zur Einweihung der Pfalzkapelle im Jahr 799 ein sagenhafter Reliquienschatz aus Jerusalem übersandt wurde.

Erst 1239 wurde bekannt, was der kostbare Reliquienschrein enthalten sollte:

  • die Windeln Jesu,
  • das Lendentuch Christi,
  • das Kleid der Maria und
  • das Enthauptungstuch Johannes des Täufers.
Die Aachener Heiligtümer [im Jahr 2007!!!]:

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Aachenfahrt. -- Zugriff am 2007-01-11]

2 Syllabus: siehe

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm

3 per majora (lateinisch) = mit Mehrheit

4 Rudolf Ludwig Karl Virchow (1821 - 1902): war Arzt an der Berliner Charité, Politiker der Deutschen Fortschrittspartei. Mitberünder der modernen Pathologie.

5 Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (1834 - 1919): Zoologe, Philosoph und Freidenker, machte die Arbeiten von Charles Darwin in Deutschland populär.

6 August Christoph Carl Vogt (1817 - 1895): Naturwissenschaftler, Schweizer Demokrat, materialistischer Philosoph, trat entschieden für Darwins Evolutionslehre ein



Abb.: Illustrierte  Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 29, Nr. 60, S. 240. -- 1876-12-31

Der Papst erhält zu Weihnachten laut Testament aus dem Nachlass des Herzogs von Galiera einen Peterspfennig von einer Million Francs. So kann sich den der freiwillige gefangene des Vatikan wieder einmal frisches Stroh zum Lager verschaffen.


1877


Neujahrs-Trost und Hoffnung des armen Mannes zu Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 1, S. 3. -- 1877-01-07

Ein wahres Wort: Wer ernten will, muss säen!
Ich tu es jetzt mit meinen Jubiläen1;
Denn, glaubt es mir, verhungern müsst ich, wenn ich
Mich nur verließ auf euren Peterspfennig.

Wie reichlich floss der goldne Strom dem Priester2,
Sodann dem Jubelpapst3, bald drauf ergießt er
Sich dem Jubelbischof4 reich in Masse
Aus aller Herren Ländern in die Kasse.

Das reicht wohl dann bis an mein selig Ende,
Das unser Herrgott lange noch abwende!
Und reicht es nicht -- nun dann, mich wenig schiert es:
Der Jubiläen gibt 's wohl noch ein viertes! 

Erklärungen:

1 bezieht sich auf die vielen Jubiläen, die Papst Pius IX. (1792 - 1878), Papst seit 1846, feierte

2 1869: 50. Priesterjubiläum

3 1876: 30. Papstjubiläum

4 1877: 50. Bischofsjubiläum


Vom frommen Doktor Ratzinger1. Eine Geschichte aus Tölz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 14/15, S. 59. -- 1877-03-25

Exibat quidam clericus zum Stadt-Kasino-Saal
Ut mala mundi corrigat und predge dort Moral:
O misera contribuens plebs, wie bist du, Welt so toll,
Peccatorum plenissimus, und schwerer Sünden voll!
Ex voluptate tolle te! ui Buß inbrünstiglich,
Ne teneat te Diabolus -- sonst holt der Satan dich!
Redibat quidam clericus in Tölz drauf ins Hôtel,
Et vidit pulchram virginem, die schmucke Biermamsell.
Et bibit cerevisiae, und trinket sonder Scheu
Permultos magnos seidulos vom prächtgen Kolberbräu.
Da mihi, quaeso, oscula, du allerliebste Dirn!
Sic ait miser clericus, da hat den armen Tropf --
Heu, coelibatus immemor -- der Teufel schon beim Schopf.
Quid nunc? Si tacuisset tam -- hätt schweigen er gekunnt,
Certo mansisset clericus -- wär ihm gar wohl zur Stund.
Qui peccatorum plenus est -- wer selber fiel hinein,
Amore, more, ore, re -- soll fein verschwiegen sein.

Erklärung:

1 vermutlich Dr. Georg Ratzinger (1844 - 1899)

"Ratzinger, Georg, deutscher Politiker, geb. 3. April 1844 zu Rickering bei Deggendorf in Bayern, gest. 3. Dez. 1899 in München, studierte katholische Theologie, war teils als Redakteur in München und Würzburg, teils in der Seelsorge als Kaplan, zuletzt als Pfarrer in Günzelhofen tätig und lebte seit 1888 als Schriftsteller in München. 1893 in den bayrischen Landtag, 1898 in den Reichstag gewählt, wandte er sich, ursprünglich ultramontan, der Sozialpolitik zu, vertrat agrarische Anschauungen und wurde Mitglied des süddeutschen Bauernbundes."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Für Christentum und Humanität! <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 19, S. 73. -- 1877-04-22

Das heil'ge Russland ruft — ein Menschenmeer
Setzt in Bewegung sich; die Wogen schlagen
Bald über Feindesland hinüber. Wer
Kann solcher Flut zu widerstehen wagen?
Vernichtet wird, was Menschenfleiß gesät,
Und weiter wälzt Zerstörung sich und weiter;
Mit schwer und Feuer dringen vor die Streiter
Für Christentum und für Humanität!

Erläuterung:

Anlass ist der unmittelbar bevorstehende neunte russische Türkenkrieg (1877/1878), den Alexander II. am 24. April 1877 "um die Lage der Christen auf der Balkan-Halbinsel zu erleichtern" erklärte.

"Nach der Niederlage Serbiens 1876 im Krieg gegen die Türken, erklärt Russland der Hohen Pforte den Krieg, besetzt wieder Moldau und Walachei, erobert 1877 Plewna (heute Pleven), die russischen Truppen stehen vor Konstantinopel; im Frieden von San Stefano vom 3. März 1878 konnte Russland dem Osmanischen Reich seine Forderungen diktieren, die Türken verloren sämtliche Gebiete auf dem Balkan. Da dieser Machtzuwachs Österreich und England zu weit ging, wurde auf dem Berliner Kongress unter der Leitung Otto von Bismarcks, als ehrlicher Makler, der Balkan am 13. Juli erneut aufgeteilt: das südliche Bessarabien kam zu Russland, Bosnien-Herzegowina zu Österreich, Albanien und Mazedonien blieben bei dem Osmanischen Reich."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkenkriege. -- Zugriff am 2004-10-29]


Im schönen Lenz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 26, 3. Beiblatt. -- 1877-06-03

Und wieder im schönen Monat Mai,
Wie dies seit länger Mode,
Zusammentrat zu Bonn am Rhein
Die Altkatholiken-Synode.

Und bald -- es war im schönen Mai --
Begann man weisen Rates
Wohl zu erörtern hin und her
Die Frage des Zölibates --

Wie jede Brust im schönen Mai
Sich dehnt voll süßer Triebe,
Und selbst die kleinen Vögelein
Nun singen und girren von Liebe.

Und schließlich war das Resultat:
Man wolle allerwegen
Die Sache in Erwägung ziehn
Und reiflich überlegen-

Und wenn im nächsten schönen Mai
Die Blütenknospen brechen,
Könnt man in Seelenruhe dann
Aufs Neue sie besprechen.

Da senkte traurig wohl den Blick
Gar mancher zur Erde nieder
Und seufzte leis: Des Lebens Mai
Blüht einmal und nicht wieder.

Erklärung:

1 Erst auf fünften Synode der Altkatholiken, 1878, wurde das Zölibat abgeschafft unter Hinweis darauf, dass die neue Reichsgesetzgebung (Gesetz über die Eheschließung 6. Febr. 1875) das Ehehindernis der Priesterweihe nicht mehr kennt. Für die Abschaffung waren 75 Stimmen, dagegen 22.


Von zwei Bürgermeistern. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 27, S. 106. -- 1877-06-10

Das waren deutsche Worte voll Kraft und Würde zumal,
Sie drangen von Ort zu Orte aus Münchens Rathaussaal;
Sie werden in tausend Seelen aufgehn als gute Saat
Und späten Enkeln erzählen vom braven Magistrat.

Der Erzbischof1 in Gnaden die Bürgermeister rief:
"Ihr Gläubigen seid geladen durch diesen Hirtenbrief,
Den heiligen Mann zu feiern auf Sancti Petri Thron
Am dritten Juni2, ihr Bayern, durch hehre Prozession." --

Als solche Bischofskunde der hehre Rat gehört,
Da hat in tiefstem Grunde sich manches Herz empört.
Auf wallten in Zorn die Geister und schäumten über hernach;
Der erste Bürgermeister, Herr Erhardt3, aber sprach:

"Wozu die Jubelklänge? Wozu der Straßenzug?
Wir haben an Festgepränge und Prozessionen genug!
Die Kirch ist kein Theater; und dann, ihr Herrn der Stadt,
Bedenkt, was der heilige Vater vor Kurzem gesprochen hat4!

Wie er ob deutscher Misère vor deutschen Pilgern geklagt,
Und wie er Deutschlands Ehre zu kränken hat gewagt.
Drum soll kein echter Bayer teilnehmen am Zuge hier!
He, Kollega Widmeyer5, wie denkt darüber Ihr?" --

Drauf spricht Doktor Widmeyer: "Ich müsst als Protestant
Zwar stimmen für die Feier, denn ich bin tolerant;
Doch weil zu Deutschlands Wohle ich denk und dien allein,
Ruf ich dem Kapitole zum Tort, ein festes Nein!

Dem Alten sei entgolten, was uns von ihm geschah:
Uns hat er Hunnen gescholten, geführt von Attila!
Das war uns Deutschen allen ein Faustschlag ins Gesicht;
Wir lassen 's uns nicht gefallen! Ergo:  wir feiern nicht!" --

Nun war zu Papstes Ehren im Freien nicht jubiliert
Und auf den Straßenaltären kein Hochamt zelebriert;
Doch zogen, so da wohnen in München, sonder Scheu
Hinaus in Prozessionen zum Hof- und Spatenbräu.

Und schlürften vom Wunderbrunnen Bavarias frisch und froh,
Und trunken wie die Hunnen und riefen in jubilo:
"Dem Licht zu Wehr und Horte blüh Münchens Magistrat!
Dank für die deutschen Worte und für die deutsche Tat!"

Erklärungen:

1 Gregor von Scherr OSB (1804 - 1877):  Erzbischof von München und Freising 1856–1877

2 Zur Feier des 30. Papstjubiläums von Pius IX. (zum Papst gewählt am 16. Juni 1846)

3 Alois von Erhardt (1831 - 1888): Erster Bürgermeister von München 1870 - 1887

4 Ich konnte die Ansprache des Papstes nicht identifizieren.

5 Johannes von Widenmayer (1838 - 1893): Zweiter Bürgermeister von München 1870 - 1888, Erster Bürgermeister 1888 - 1893


Der Czech in Verzweiflung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 28, S. 111. -- 1877-06-17

Ach, was soll der Czech verlangen
Und woran besonders hangen?
Manchmal ist mir 's ein Genuss,
Zu verehren unsern Hus1;
Wiederum ein ander Mal
Wär ich gern recht klerikal.
Doch der kleinste Zeitungssetzer
Weiß, dass Hus ein arger Ketzer,
Wenn auch allgemein bekannt,
Dass die Deutschen ihn verbrannt.
O, was hab ich armer Czech
Für ein ungeheures Pech!
Kann ich nicht den Papst verehren
Und mich doch für Hus erklären?
Gerne wär ich glaubenstreu
Und doch aufgeklärt dabei.
Ach, wie ich mich wind und quäle,
Keinen Trost schöpft meine Seele.
Hilf mir, heilger Wenzeslaus2,
Aus der großen Not heraus.

Erklärungen:

1 Johannes Hus

"Hus (besser als Huß), Johann, böhm. Reformator, geb. wahrscheinlich 1369 in Husinetz (wonach er sich zuerst Johannes de Husinetz, später H. nannte), gest. 6. Juli 1415 in Konstanz, war Sohn armer Bauern, studierte in Prag Theologie, erlangte 1393 das Bakkalaureat der freien Künste, 1394 das der Theologie und wurde 1396 Magister der freien Künste. Zu seinen Lehrern gehörte unter andern Mag. Nikolaus Biceps, Nikolaus von Leitomischl, Stephan Palec von Kolin und Mag. Stanislaus von Znaim, sein späterer Gegner, vielleicht auch Albertus Ranconis. Seit 1398 hielt er Vorlesungen an der Universität, um 1400 wurde er zum Priester geweiht, 1401–1402 war er Dekan, 1403 Rektor und gleichzeitig Prediger an der durch ihn berühmt gewordenen Bethlehemskapelle, als Nachfolger Stephans von Kolin. Wichtig für seine Entwickelung, in gewisser Beziehung entscheidend für sein weiteres Leben, wurde die Bekanntschaft mit den theologischen Schriften Wiclifs, die Mag. Hieronymus etwa 1401 nach Prag mitgebracht hatte. Wie seine sogen. »Vorläufer«, Waldhauser und Militsch von Kremsier, beschäftigte er sich in seinen Predigten lebhaft mit den damals akuten Fragen nach Reform der Kirche an Haupt und Gliedern. Schon als im J. 1403 das Prager Kapitel ein Gutachten von der Universität über die von der Londoner Synode (1382) verurteilten 24 Wiclifitischen Lehrsätze, denen Mag. Johannes Hubner noch 21 neue hinzugefügt hatte, abverlangte, soll H. neben Nikolaus von Leitomischl, Palec und Stanislaus von Znaim auf der Seite der Verteidiger Wiclifs gestanden haben; gleichwohl wurde beschlossen, dass diese Artikel, wenn sie auch nicht als ketzerisch angesehen werden, nicht gelehrt werden sollten. In dem damals oder kurz nachher verfassten Traktat »De corpore Christi« steht H. auf vollkommen kirchlichem Boden. Auch erfreute er sich damals der vollen Gunst des Prager Erzbischofs Sbinko, wurde von ihm 1405 mit zwei andern Kollegen zur Prüfung des Wunderbluts von ð Wilsnack (s. d.) bestimmt, das er verurteilte, worauf der Erzbischof die Wallfahrten dahin untersagte; auch nahm er in einer eignen Schrift: »De ommi sanguine Christi glorificato«, Stellung zu dieser Frage. Damals beschäftigte er sich auch mit der Reinigung und Vereinfachung der böhmischen Orthographie, schrieb seine »Orthographia bohemica« und legte die Grundlage zur heutigen böhmischen Rechtschreibung.

Der immer deutlichere Anschluss H.' an die Lehre Wiclifs bot den Gegnern jeder Kirchenreform Anlass, ihn der Ketzerei zu verdächtigen, und wenn auch diese Anklagen beim Prager Erzbischof keinen Erfolg hatten, so kam doch aus Rom schon 1405 eine Bulle Innozenz' VII., worin der Erzbischof aufgefordert wurde, dem Ketzertum in seiner Diözese entgegenzutreten. Doch noch stand H. in vollem Einvernehmen mit dem Erzbischof und genoss auch am Hofe Wenzels als königlicher Kaplan und vielleicht auch Beichtvater der Königin Sophie große Gunst. Aber schon 1407 wurde H. das Amt eines Synodalpredigers, das er seit 1405 innegehabt hatte, vom Erzbischof genommen; und als der Erzbischof im folgenden Jahre die 45 Artikel gegen Wiclif trotz des wiederholten unentschiedenen Gutachtens der Universität vom 20. Mai 1408 auf der Junisynode verbot und die Ablieferung der ketzerischen Bücher bis zum 4. Juli verfügte, vollzog sich der Bruch. Zwar kam auch H., wie die meisten seiner Anhänger, der Aufforderung bezüglich der Bücher widerstrebend nach; in seinen Predigten aber fuhr er fort, die Lehren Wiclifs zu verteidigen.

Die Frage für und gegen die kirchliche Reform hatte schon seit langem an der Universität in Prag eine Spaltung unter den Professoren hervorgerufen, und zwar standen die der tschechischen Nationalität angehörigen mehr auf der Seite der Reform. So bildete sich, durch andre Verhältnisse mit beeinflusst, hier ein nationaler Gegensatz immer schärfer heraus. Als die böhmische Nation an der Universität im Gegensatz zu den drei übrigen Nationen dem Wunsche König Wenzels entsprechend beschloss, betreffs des päpstlichen Schismas Neutralität zu bewahren, änderte der König laut dem Kuttenberger Dekret vom 18. Jan. 1409 das bisherige Stimmenverhältnis zugunsten der böhmischen Nation, so dass die deutschen Studenten mit ihren Lehrern Prag 16. Mai 1409 verließen. Der Einfluss, den H. auf diese Verfügungen hatte, ist nicht sichergestellt; jedenfalls war H. der erste Rektor, der nach der neuen Stimmordnung gewählt wurde.

Erzbischof Sbinko, der sich 2. Sept. 1409 zur Obedienz Papst Alexanders V. bekannt hatte, schritt nun, da H. in seinen Predigten fortfuhr, gegen ihn ein, erlangte vom Papst eine Bulle (erlassen 20. Dez. 1409, in Prag verkündet im März 1410), die das öffentliche Predigen nur in bestimmten Kirchen gestattete, wodurch H. die Wirksamkeit in der Bethlehemskapelle unmöglich gemacht werden sollte, und sprach schließlich 18. Juli 1410, nachdem zwei Tage zuvor die Verbrennung der Wiclifitischen Bücher im erzbischöflichen Hofe stattgefunden hatte, den Bann über H. aus. H. verteidigte sich in Disputationen und Schriften (»De libris haereticorum legendis« u. a.), und König Wenzel nahm sich seiner in Rom an; allein auch Johann XXIII. bestätigte die Verfügungen seines Vorgängers und zitierte H. nach Rom. Eine weitere Verschärfung der Verhältnisse ergab sich, als der Papst (Mai 1412) die Ablassbulle wegen des Kreuzzuges gegen den König Ladislaus von Apulien verkünden ließ und H. offen gegen die Ablassverkünder auftrat. Damals trennten sich Palec und Stanislaus von Znaim von H., der in der Universität, in der Bethlehemskapelle und auch außerhalb Prags gegen den Ablass predigte und auch einen Traktat »Quaestio de indulgentiis sive de cruciata papae Johannis XXIII. fulminata contra Ladislaum Apuliae regem« verfasste. Im Verlaufe von Straßenunruhen in Prag wurden drei junge Leute, die zum Anhange H.' gehörten, hingerichtet; vom Volke wurden die Leichname in die Bethlehemskapelle gebracht, wobei das Lied »Isti sunt sancti« gesungen wurde, und von H. feierlich begraben. Die Wirren in Universität und Volk wurden immer stärker, die Ausbreitung der Anhänger H.' nahm im Land und in den Nachbargebieten immer mehr zu, so dass im Juli 1412 über H. der große Kirchenbann verhängt wurde. Da die Anwesenheit des Gebannten allen Kirchendienst hemmte, veranlasste König Wenzel H. (im Dezember 1412), Prag zu verlassen. H. verbrachte die folgende Zeit auf Schlössern befreundeter Adliger, schrieb hier eine Anzahl von Wiclifsche Anschauung vertretenden Traktaten, darunter »De ecclesia«, woraus später der Anklagestoff in Konstanz wider ihn genommen wurde. Hier und in andern gleichzeitigen Schriften stellte sich H. bereits vollständig auf den Standpunkt der Schrift als Quelle des Glaubens; dagegen hielt er an der Wandlungslehre, Anrufung der Heiligen etc. fest und leugnete noch nicht die konziliare Autorität in der Kirche. Als daher das ð Konstanzer Konzil (s. d.) 1414 zusammentrat, veranlasste König Siegmund im Herbst H. gegen Zusicherung sichern Geleites, dahin zu kommen. H. folgte der Einladung in der Hoffnung, die Väter zu seinen (d. h. zu Wiclifs) Lehren bekehren zu können. Am 3. Nov. 1414 traf er ein, fast gleichzeitig seine bittersten Feinde und Ankläger, darunter auch Stephan von Palec. Wenige Wochen später (28. Nov.) wurde er unter dem Vorwand eines beabsichtigten Fluchtversuchs verhaftet, und nach der Ankunft Siegmunds traten bald politische, bald kanonische Hindernisse einer versuchten Vermittelung seitens des Königs entgegen. In der Nacht des Palmsonntags 1415 ließ der Bischof von Konstanz H. in seine Burg Gottlieben verbringen. Proteste blieben erfolglos, und nachdem das Konzil 4. Mai 1415 die Verwerfung der Wiclifschen Lehren feierlich verkündigt hatte, war H.' Schicksal entschieden. In drei Verhören, am 5., 7. und 8. Juni, die beiden letzten Male in Gegenwart des Königs, beharrte H. bei seinen Sätzen, solange ihm kein Irrtum nachgewiesen werde. In der 15. öffentlichen Sitzung des Konzils 6. Juli 1415 erfolgte die feierliche Verurteilung. Noch am selben Tage bestieg er auf dem »Brühl« den Scheiterhaufen und litt den Tod standhaft und mit Seelengröße. Sein Todestag ward in Böhmen lange als kalendermäßiges Fest gefeiert, das erst durch die Heiligsprechung des ð Johann von Nepomuk (s. d.) verdrängt wurde. Sein Bildnis s. Tafel ð »Reformatoren«. Am Altstädter Ring in Prag soll ihm ein großartiges Denkmal errichtet werden. Eine Ausgabe seiner tschechischen Werke besorgte Erben (Prag 1865–68, 3 Bde.), eine neue (»Mag. Joh. H. opera omnia«) W. Flajshans (das. 1903 ff.), die seiner Briefe und einiger Aktenstücke Palacky (das. 1869); »Ausgewählte Predigten« gab Langsdorff deutsch heraus (Leipz. 1894). Eine kritische Ausgabe der Werke ist erst nach Vollendung der Wiclif-Ausgabe zu erwarten. Die Literatur vor Palackys Geschichte Böhmens (Prag 1845–67) ist veraltet. Vgl. Friedrich, Die Lehre des Joh. H. (Regensburg 1862); Höfler, Johann H. und der Abzug der deutschen Professoren und Studenten aus Prag (Prag 1864); Palacky, Die Geschichte des Hussitentums und Professor C. Höfler (das. 1868); Berger, Joh. H. und König Sigmund (Augsb. 1872); Lechler, Joh. Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation (Leipz. 1872, 2 Bde.) und Johannes H. (Halle 1890); Loserth, H. und Wiclif (Prag 1884)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

 

2 Hl. Wenzeslaus

"Wenzel (Wenceslaus), Heiliger, Schutzpatron von Böhmen, von seiner Großmutter ð Ludmilla (s. d.) erzogen, wollte nach Besteigung des böhmischen Throns die christliche Religion zur herrschenden erheben und ward deshalb auf Anstiften seines Bruders Boleslaw 28. Sept. 935 erschlagen. Nach ihm ist die Wenzels krone (s. d.) benannt. Über die zahlreichen Wenzellegenden vgl. Lippert, Sozialgeschichte Böhmens in vorhussitischer Zeit (Prag 1896–98, 2 Bde.), und H. G. Voigt, Die von dem Přemysliden Christian verfaßte Biographie des heil. W. und ihre Geschichtsdarstellung (das. 1907)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Zur beginnenden Saison. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 28, 1. Beiblatt. -- 1877-06-17

Zu den Obstbaum-, Heuboden- und Trinkwasser-Madonnen.
Warum erscheint ihr denn nicht einmal in der Kirche? Die ist und bleibt der anständigste Ort für Dergleichen, und es wäre doch einmal eine Abwechslung.


Noch einmal Humanität und Christentum. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 35, S. 137. -- 1877-07-29

Zu einem Bilde aus Bulgarien.

Europa, sieh -- wenn du mit Schaudern nicht
Vor solchem Bild verhüllst dein Angesicht --
Europa, sieh -- ein Anblick ohne Gleichen! --
Hier ein Gefilde, übersät mit Leichen,
Von Männern nicht, die kämpfend umgebracht,
Von Kriegern nicht, gefallen in der Schlacht;
Nein, was die Wahlstatt bergen mag an Grauen,
Hier ist, was mehr Entsetzen macht, zu schauen:
Fraun, Greis und Kinder, Alles hingemäht
Von den -- Vertretern der Humanität!

Nach Russenweise, "im Zirkassierstil"1,
Ward, was man fand, ermordet! Zuckend fiel,
Was nur Wehrlosigkeit als Wehre trug,
Von Russenhand, die alles niederschlug:
Hilflose Kindheit, die sonst seitwärts drückt
Das Mordgewehr, erschlagen und zerstückt!
Jungfrauenreiz, der sonst des Raubes wert
Erachtet wird, vernichtet mit dem Schwert!
Der Frauen Brust, die sonst den Säbel schreckt,
Zerspalten mit dem Säugling, der sie deckt!
Hilfloses Alter, das auch blinde Wut
Entwaffnet sonst, getreten in sein Blut!

Die Losung war, wenn auch in diesem Falle
Sie nicht von Oben kam: "Ermordet Alle!"

Und diese Horden, menschenähnlich nur
Von außen, doch Raubtiere von Natur,
Nein zehnmal schlimmer noch als wilde Tiere,
Es sind, Europa, deine Pioniere
Für Christentum und Menschlichkeit!
Fürwahr,
Sorgsame Diener hat der Zar!
Nicht nur der Türken Kriegsheer überwinden
Im Felde sie; vor ihnen auch verschwinden
Friedliche Leute, welche unbewehrt
Sich ängstlich bergen am bedrohten Herd.
Nichts hält den Helden stand: was sie begrüßte
Als blühndes Land, ist hinter ihnen Wüste.
Sie räumen gründlich auf bis auf den Rest;
Beklagen über sie wird sich die Pest,
Dass sie zu würgen nichts ihr übrig lassen!

Macht dich, Europa, dieses Bild erblassen?
Erröten würde tröstlicher die stehn!
Willst du noch mehr dergleichen Bilder sehn?

Erklärungen:

Bezieht sich auf den neunten russische Türkenkrieg (1877/1878), den Alexander II. am 24. April 1877 "um die Lage der Christen auf der Balkan-Halbinsel zu erleichtern" erklärte.

1 Zirkasier = Tscherkessen/черкесы = Adyghe/Adighe/Ады́ги: Kaukasusvolk



Abb.: Zukunfts-Madonna. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 38, S. 150. -- 1877-08-19

Wenn einst irgendwo eine Madonna erscheinen sollte, die anstatt den Kindern allerlei unnütze Dinge vorzumachen, sie in den Anfangsgründen unterrichtete und darauf bestände, dass man ihr statt einer Wallfahrtskapelle eine tüchtige Realschule errichtete — würden die Pfaffen eine solche Madonna nicht für unecht erklären?



Abb.: Illustrierte Rückblicke vom 1. Juli bis Ende September <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 44/45, S. 176. -- 1877-09-30

Schon bei der Beerdigung des Kardinals Antonelli1 folgten ihm allerlei Verdächtigungen, und es wurden ihm Dinge nachgetragen, die bewiesen, dass er das Gelübde der  Keuschheit schon früh gänzlich abgelegt haben musste.

Erklärung:

1 Giacomo Antonelli (1806 - 1876-11-09): päpstlicher Kardinal-Staatssekretär. Er hinterließ ein bedeutendes Vermögen, über das sich ein skandalöser Prozess zwischen seiner angeblichen Tochter, Gräfin Lambertini, und seinen Verwandten entspann.


Der Teufel in Dittrichswalde1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 46, S. 183. -- 1877-10-07

Dass in Dittrichswalde neulich,
Allen Gläubgen hoch erfreulich,
Die Madonna hat gastiert,
Ist bekannt und konstatiert.

Aber plötzlich -- hört 's, ihr Frommen --
Ist der Teufel auch gekommen,
Der auf einer Ferien-Tour
Durch das Ermland eben fuhr.

Als er sich den Quell besehen,
Wo die Leute betend stehen,
Seinen Weg zum Pfarrhaus nimmt
Satan mürrisch und verstimmt.

Dort mit andern Amtesbrüdern
Saß bei Bier und frommen Liedern
Der Kaplan, es sind dabei
Auch der Wundermägdlein drei.

Was geschaut mit hellen Sinnen
Die Madonnenguckerinnen,
Nimmt man freud- und salbungsvoll
Eben hier zu Protokoll.

Gerne bräch in seiner
Satan Allen das Genicke;
Doch, dass solches hier geschicht,
Leidet die Madonna nicht.

Doch die Frommen arg zu necken,
Will der Böse sie erschrecken,
Und dazu -- man glaubt es kaum --
Wählt er einen Ahornbaum.

Schadenfroh und grimmig heiter
Steigt hinauf er ohne Leiter,
Setzt mit seiner ganzen Last --
Schwapp! -- sich auf den dicksten Ast.

Rücksichtslos auf die Kapelle,
Welche steht auf dieser Stelle,
Fällt besagter Ast mit Macht,
Dass der ganze Dachstuhl kracht.

Auf den Lärm sind gleich die Frommen
Aus dem Haus herausgekommen,
Sieben Pfarrer, Mägdlein drei,
Auch die Köchin steht dabei.

Staunend sehn des Bösen Tücke
Sie sowie des Astes Dicke;
Dreißig Zentimeter maß
Diese Dicke -- schlechter Spaß!

In gerechtester Empörung
Nehmen diese Höllenstörung
Würde- sowie salbungsvoll
Sie sofort zu Protokoll.

Tags darauf in hellen Haufen
Kommt das Volk herbeigelaufen,
Um mit Neubegier und Graun
Jenen Teufelsast zu schaun.

Dann füllt man am Quell die Flasche,
Und das Geld geht aus der Tasche;
Denn für ewigen Gewinn
Gibt man gern das Nickel hin.

Abends zählt mit frohem Blicke
Silber- sowie Nickelstücke
Der Kaplan; er spricht und lacht:
"Das hätt Satan nicht gedacht!

Zwar auch in den vor'gen Tagen
Konnten wir uns nicht beklagen;
Doch seit Satan uns geäfft,
Geht vorzüglich das Geschäft.

Nun des Höllenfürsten Name
Für uns Fromme macht Reklame,
Sag ich: Der Madonna sei
Preis -- doch Satan auch dabei!"

Erklärung:

1 Dittrichswalde/Dietrichswalde (heute: Gietrzwałd): in Ermland (heute Polen). Vom 27. Juni bis zum 16. September 1877 erschien mehrmals die Jungfrau Maria zwei jungen Mädchen in einem Ahornbaum außerhalb des Dorfes Dittrichswalde. Seitdem Wallfahrtsort.



Abb.: Kurzsichtiges, ohne Katalog, über die Kunstausstellung <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 49/50, S. 196. -- 1877-10-28

"Kerkerszene aus dem Faust", von  Otto Günther1.

Gretchen, in dieser skeptischen Zeit die einzige Person, welche Bekanntschaft mit dem persönlichen Teufel nicht leugnen kann, wird von dem erfreuten Konsistorialrat absolviert.

Erklärung:

1 Otto Günther (1838 - 1884)

"Günther, Otto, Maler, geb. 30. Sept. 1838 in Halle a. S., gest. 20. April 1884 in Weimar, studierte auf der Düsseldorfer Kunstakademie und später auf der Kunstschule in Weimar, wo er sich besonders an Preller und A. v. Ramberg anschloß. Anfangs auf dem Gebiete der dekorativen Malerei und der Illustration tätig, auf welch letzterm er sich besonders durch Zeichnungen aus dem deutsch-französischen Kriege bekannt gemacht hat, wendete er sich seit dem Anfang der 1870er Jahre mit Glück dem Genre zu, wobei er gelegentlich auch die tragischen Seiten des Volkslebens behandelte. Seine Hauptbilder sind: Hochzeitszug in Thüringen; der Witwer (1874, Berliner Nationalgalerie); die letzte Umschau der Auswanderin; streitende Theologen (1875, im Museum zu Köln); die Verbrecherin im Gefängnis (1878, Berliner Nationalgalerie); die Dorfrevolte (1880). Von 1876–80 wirkte er als Professor an der Kunstakademie in Königsberg und siedelte dann nach Weimar über."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Über Spiritualismus. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 53, S. 210. -- 1877-11-18

Wenn ich ein "Medium" wär
Und dir erscheinen könnt,
Spukt ich um Dich
:;: Dass ich das Geld nicht hab, :;:
Das ärgert mich.1

Erklärung:

1 Parodie auf:

Wenn ich ein Vöglein wär'
Und auch zwei Flüglein hätt',
Flög' ich zu dir.
|: Weil's aber nicht kann sein, :|
Bleib' ich allhier.

Für die Melodie hier anklicken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/WennIchE.html. -- Zugriff am 2008-01-21] 


Neuestes aus Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 53, S. 211. -- 1877-11-18

Der Jesuitenpater Curci1 ist durch Ausstoßung aus dem Orden, und der Breslauer Kanonikus Künzer2 durch Enthebung von seinem Amte -- der allgemeinen Achtung preisgegeben worden.

Erklärungen:

1 Carlo Maria Curci (SJ) (1809 - 1891)

"Curci (spr. kurtschi), Carlo Maria, ital. Jesuit, geb. 4. Sept. 1809, gest. 9. Juni 1891, trat 1826 in den Orden Jesu und schrieb zu dessen Verteidigung: »Fatti ed argomenti« gegen die Angriffe Giobertis. Auf die weitern Angriffe, die dieser in seinem »Gesuita moderno« gegen ihn schleuderte, antwortete er von Paris aus in einem zweibändigen Werk. 1850 gehörte er zu den Begründern der Zeitschrift »Civiltà cattolica«, die zuerst in Neapel erschien, nach einiger Zeit aber nach Rom übersiedelte. Als Kanzelredner sehr populär geworden, trat C. 1870 für die weltliche Herrschaft des Papstes ein, änderte aber in der Vorrede zu seinen »Lezioni esegetiche e morali sopra i quattro Evangeli« (Flor. 1874–76, 5 Bde.; 2. Aufl. seit 1887) seine Ruhtung und legte dem Papst die Aussöhnung mit dem Königreich Italien nahe. Als er den gleichen Gedanken, der den Verzicht auf die weltliche Herrschaft des Papstes zur Voraussetzung hatte, noch entschiedener in einem Brief an Pius IX. und in dem Buch »Il moderno dissidio tra la Chiesa e l'Italia« (Flor. 1877) vertrat, wurde er 1877 aus dem Jesuitenorden ausgestoßen, unterwarf sich zwar 1879 Leo XIII, kehrte aber bereits 1881 mit dem Werk »La nuova ltalia ed i vecchi zelanti« (deutsch. Leipz. 1882) zu seinen frühern Ansichten zurück. Dies Werk sowie die noch kühnere Schrift: »Il Vaticano regio, tarlo superstite della Chiesa cattolica« (Flor. 1883) wurden auf den Index gesetzt und C. durch Kirchenstrafen 1884 zum Widerruf gezwungen. Andre Schriften von ihm sind: »La questione romana nell' Assemblea francese« (Par. 1849), »La demagogia italiana ed il Papa-Re« (das. 1849), »La natura e la grazia« (1865, 2 Bde.), »Lezioni sopra il libro di Tobia« (1877), »Di un socialismo cristiano« (1885) u. a. Auch hat er das Neue Testament und die Psalmen ins Italienische übersetzt. Vgl. »Memorie di padre C. M. C.« (Flor. 1891)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Domherr Dr. jur. Franz Xaver Maria A. Künzer (gest. 1881)


Der Kirchenverfolger um Mitternacht. Eine Sage aus der Gegend von Meppen1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 55, S. 219. -- 1877-12-02

"im Volke geht die Sage, es gebe in Regierungskreisen Leute, die nicht schlafen können, wenn sie nicht jeden Tag eine Institution der Kirche geschädigt haben." Windthorst2.

Es geht im Volk die Sage
Von einem großen Mann,
Dem macht der Schlummer Plage,
Den er nicht finden kann.

In nächtgen Finsternissen
Wälzt er sich hin und her
Auf schwellenden Daunenkissen
Und seufzt: "Ich weiß nichts mehr!"

Der Tag ist längst verronnen,
Es dunkelt rings die Nacht,
Und nichts hab ich ersonnen,
Was Pein der Kirche macht!

Ein Füllhorn goss ich von Übeln
Verschwenderisch über sie aus;
Nun mag ich sinnen und grübeln,
Ich bringe nichts mehr heraus!

Ich möchte verfolgen und wüten,
Doch leider ist nichts mehr da!" --
Und wieder beginnt er zu brüten,
Dann ruft er plötzlich: "Hurrah!"

Er hat in seiner Tücke
Noch etwas ausgeheckt,
Er hat noch eine Lücke
Im letzten Gesetz entdeckt.

Er spricht in stiller Verzückung:
"Das schafft den frommen Pein!
Wie wird von roher Bedrückung
Das edle Zentrum schrein!

Ich sende den Paragraphen
Noch morgen dem hohen Haus!" --
Dann streckt er froh zum Schlafen
Die mächtgen Glieder aus.

Gestillt ist sein Verlangen,
Entschwunden alle Pein;
Ein Lächeln auf den Wangen,
Schläft wie ein Kind er ein.

Erklärungen:

1 Meppen, Landkreises Emsland, Niedersachsen: Wahlkreis von Ludwig Windthorst.

2 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker, vertritt seit 1867 den Wahlkreis Meppen im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus.


Zur Stimmung <Ausschnitt>.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 56, S. 221. -- 1877-12-09

Kulturkampf! Dieses Wort allein
Erregt ein unwillkürlich Gähnen.
Man sieht im grauen Dämmerschein
Sich endlos die Debatten dehnen;
Man hört wie Windthorsts1 Zünglein schnurrt,
Und wie Schorlemer2 brummt und murrt;
Man sieht zuletzt, kaum aufgelegt
Zum Sehn, wie Falk3 die starken Fänge
In eines Krähleins Nacken schlägt.
Wie zieht der Kampf sich in die Länge!

Erklärungen:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker, vertritt seit 1867 den Wahlkreis Meppen im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus.

2 Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst (1825 - 1895): ultramontaner Politiker, 1870 - 1889 Mitglied des Abgeordnetenhauses, 1875 - 1887 Mitglied des Reichstags

3 Adalbert Falk (1827 - 1900): preußischer Kultusminister, führend im Kulturkampf



Abb.: Naturgeschichtliches.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 56, 1. Beiblatt. -- 1877-12-09

Wenn ein Mitglied des Zentrums nur von Weitem den Kulturkampf wittert, so schwillt ihm der Kamm, und es fängt an zu kollern.

Erklärung:

Der Papagei hält die Maigesetze (Kulturkampfgesetze).



Abb.: Illustrierte Rückblicke vom 1. Oktober bis Ende Dezember <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 30, Nr. 59/60, S. 234. -- 1877-12-30

Nachdem den Marpinger Wunderkindern1 verboten war, die Jungfrau zu sehen, sahen sie den Teufel, worauf man ihnen die Konzession entzog. Und mit Recht: denn wer weiß, was für Visionen die Kinder noch gehabt hätten!

Erklärung:

1 zu den Marienerscheinungen von Marpingen siehe oben!


1878


Den Spiritisten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 1, S. 2. -- 1878-01-06

Ich möchte mich vielleicht zu euch bekehren,
Wenn eure Geister nicht -- so geistlos wären!

Anti-Bellachini1.

Erklärung:

1 Bellachini <= Samuel Berlach> (1828 - 1885): sehr populärer Illusionist (Zauberkünstler)


Die besessene Jungfrau. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 1, S. 3. -- 1878-01-06

(Ein verteufeltes Wintermärchen für artige Kinder der Kirche, nach bekannter Melodei zu singen.)

Hört, ihr Frommen, staunend die Geschichte
Von dem Wunder, welches jüngst geschah;
Schwarz auf weiß erschienen die Berichte
In dem frommen Blatt "Germania*1".

Eine Jungfrau -- wenig tut der Name
Und der wahrhaft Fromme glaubt uns schon,
Aber die Adresse dieser Dame
Liegt auf der besagten Redaktion --

Diese Jungfrau, brav und nicht von schlechten
Eltern, später Kammerfrau von Stand,
Ging schon früh im Glauben stets den rechten
Weg, das Böse blieb ihr unbekannt.

Aber, ach! als sie geworden achtzehn
Jahr, begann das Unheil seinen Lauf:
Satanas ließ wieder seine Macht sehn,
Und ein "Dämon" tat in ihr sich auf!

Dieser Dämon trat ihr oft entgegen
Als ein wohlgebauter junger Mann,
Und er heischte sündlich und verwegen
Was man wirklich gar nicht sagen kann.

Ungebührlich wollt er mit ihr schalten;
Denkt das Ärgste, und der Wahrheit nah
Kommt  ihr! Mehr in ihren keuschen Spalten
Sagt euch nimmer die "Germania".

Also trieb 's der schlimme Dämon; Schweigen
Ist, wie leider meist, auch hier der Rest.
Kurz und gut: sie gab sich ihm zu eigen,
Aber stets mit förmlichem Protest.

So vergingen der besagten Armen
Zwölf der Jahre; doch nach dieser Frist
Nahte ihr das himmlische Erbarmen:
Rettung brachte ihr ein Exorzist.

Dieser Mann, "gebildet, fromm und edel",
Ging zum Beichtstuhl mit dem Mägdelein;
Mit dem Kreuz und dem geweihten Wedel
Drang er auf die "Burg des Teufels" ein.

Nun begann gar bald sich zu ereignen
In der Jungfrau Lärmen und Geschrei;
Drinnen saßen -- 's war nicht mehr zu leugnen --
Jetzo gar der argen Teufel zwei.

Und in gutem Deutsch und trotzgem Grimme
Rief der eine laut: "Ich bin der Herr
Asmodäus2! --" Und die andre Stimme
Grollte dumpf: "Ich heiße Luzifer!"

Als sich also vorgestellt die Geister,
Bannte sie der fromme Gottesmann;
Asmodäus merkte bald den Meister,
Nahm den nächsten Ausweg und entrann.

Luzifer saß ganz unglaublich feste,
Weichen wolltt er nicht aus seinem Haus;
Gräulich schimpft, und: "J'y  suis, j'y reste"3 --
Macmahöhnt4 er aus dem Weib heraus.

Aber als am dritten Tag das Bannen
Noch nicht nachließ, wandt er sich zum Gehn;
Mit Gestank fuhr heulend er von dannen
Und ließ nimmer dort sich wieder sehn.

Doch gebenedeit im Mund der Leute
Lebt in selgem Frieden nun dahin
Als Besessne a. D.5 noch heute 
Jene gotterwählte Dulderin.

Gern erzählt sie Alles auf Verlangen,
Ohne dass ein Trinkgeld sie verstimmt;
Freudentränen rinnen von den Wangen
Eines Jeden, welcher dies vernimmt.

Tränen hingen auch an Windthorsts6 Brille,
Als er in der Sofa-Ecke saß
Und in heilger Weihnachtsmorgenstille
Alles dies  durch jene Brille las.

* No. 296 - 298 des Jahrgangs 1877

Erklärungen:

1 Germania

"Germanĭa, am 1. Jan. 1871 begründete, täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung, vertritt die Interessen der deutschen Zentrumspartei und des römischen Stuhles unter jesuitischem Einfluß. Eine hervorragende Rolle spielte sie während des Kulturkampfes unter der Leitung Paul Majunkes, der 1878 aus der Redaktion ausschied. Gegenwärtig (1904) ist Chefredakteur H.ten Brink."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Asmodäus

"Asmodi (griech. Asmodaios (Ἀσμοδαῖος), im talmud. Idiom Aschmedai (אשמדאי), »Verderber, Dämon«), in den Apokryphen (Tob. 3, 8) der Eheteufel, Störer der Ehe. Das Wort entspringt der Zendsprache (aeschma-daeva = Aêschma-Dämon) und bezeichnet den wollüstigen König der Dämonen, der in der talmudischen Salomonssage eine große Rolle spielt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 J'y suis et j'y reste (französissch) = "hier bin ich, und hier bleibe ich"

"J'y suis et j'y reste (franz., spr. schi ßwi e schi rést', »hier bin ich, und hier bleibe ich«), Worte, die Mac Mahon 9. Sept. 1855 nach der Erstürmung des Malakow an Pélissier schrieb, als ihn dieser aufforderte, den Malakow zu räumen, da dieser von den Russen in die Luft gesprengt werden könne. Von neuem wurden die Worte Mac Mahon in den Mund gelegt, als die Republikaner nach dem Scheitern der monarchistischen Restaurationsversuche (1873) ihn von seinem Posten als Präsident der französischen Republik zu verdrängen beabsichtigten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Macmahöhnt nach Marie Edme Patrice Maurice, Comte de Mac-Mahon, Duc de Magenta, (1808 - 1893): französischer General und Staatsmann, Marschall von Frankreich, zweiter Präsident der Dritten Republik.

5 a. D. = außer Dienst

6 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker


An das Zentrum. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 3, S. 9. -- 1878-01-20

O zürnet nicht, ihr frommen Männer,
Der Glaubenswunder ernste Kenner,
Wenn sich vor euch ein Sünder wagt;
Entwindet ihn der Macht des Bösen,
Helft von dem Dämon ihn erlösen
Des Zweifels, der ihn rastlos plagt.

Ihr kennt mich ja, ich bin kein Engel,
Nie barg ich heuchelnd meine Mängel,
Ich weiß, ich bin ein Kind der Welt;
Und stets befließen der Verneinung,
Hab auch der Gottesmagd Erscheinung
Bisher in Frag ich oft gestellt.

Der Umstand machte mich betreten,
Dass man noch nie in größern Städten
Auf Markt und Schlossplatz sie erblickt;
Dass sie es liebt, auf schwanken Zweigen
Im grünen Wald umherzusteigen,
Was kaum sich doch für Damen schickt.

Bedenklich schien es mir nicht minder,
Dass stets nur simple Bauernkinder
Als gläubge Zeugen ihr genaht;
Warum erblickte sie noch nimmer
In ihrer Glorie vollem Schimmer
Ein Wirklicher Geheimer Rat?

Ich ließe gern mich überzeugen,
Dem Faktum würd ich still mich beugen,
Da man ein Faktum nicht verneint.
O sucht -- viel sollt ihr ja vermögen
Bei ihr -- o sucht sie zu bewegen,
Dass sie im Landtag uns erscheint!

Schon schwebt sie durch des Saales Weite,
Bis sie an Windthorsts1 grüner Seite
Sich milde lächelnd niederlässt;
Sie reicht -- wie staunen Alle, die nie
An sie geglaubt! -- von Bellachini2
Dem Präsidenten ein Attest.

Wenn sie, von eurem Beifallspochen
Und Jubelrufen unterbrochen,
Den Urantrag dann formuliert,
Dass eine freundliche Kapelle
Man ihr an selbsterwählter Stelle
Unter den Linden flugs votiert --

Wenn dann, vom Gottesspruch gerichtet,
Mit blassen Mienen, ganz vernichtet,
Der Liberalen Rotte schweigt,
Und neben Richter-Sangerhausen3
Freund Lasker4 mit geheimem Grausen
Die ungetaufte Stirne neigt --

Dann will auch ich mich reuig wenden,
Will schluchzend bergen in den Händen
Mein feuchtes Sünderangesicht,
Will am Kapellbau mich beteilgen
Und Windthorst1 ehren stets als Heilgen
Dann will ich 's -- aber eher nicht!

Erklärungen:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker

2 Bellachini <= Samuel Berlach> (1828 - 1885): sehr populärer Illusionist (Zauberkünstler)

3 Eugen Richter (1838 - 1906): freisinniger Politiker und Publizist.

4 Eduard Lasker (eigentlich Jizchak Lasker) (1829 - 1884): nationalliberaler Politiker


Zur Auseinandersetzung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 3, S. 11. -- 1878-01-20

Holde Perle du von Meppen1,
Philosoph der Hintertreppen,
Magst, um zu "philosophieren"
Und für Wunder zu  plädieren,
Deine Geister du zitieren!
Aber uns, die wir in Klarheit
Der Vernunft dem Dienst der Wahrheit
Unser Leben zugeschworen,
Uns lass künftig ungeschoren;
Denn es steht, mit ernsten Mienen
Unsrer Namen dich bedienen,
Dir gar drollig zu Gesichte!

Schopenhauer, Kant und Fichte.

Erklärung:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker, vertritt seit 1867 den Wahlkreis Meppen im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus.



Abb.: Armes Deutschland. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 4, S. 16. -- 1878-01-27

St. Windthorst gewidmet1.

In einem Lande, dessen Polizei weder Madonnen noch Geistererscheinungen á la Slade2 respektiert, kann natürlich Aberglaube nicht gedeihen.

Erklärungen:

1 Zum 66. Geburtstag (17. Januar) von Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker

2 Henry Slade (1835/36 - 1905): amerikanisches spiritistisches Medium



Abb.: Am Totenbett von Pius IX (keine Karikatur!). -- 1878 (nicht aus Kladderadatsch!)

[Bildquelle: Otto, Bertram <1924 - >: 100 Jahre Nacht und Tag : Geschichte d. dt. Katholizismus zwischen 1868 u. 1968. -- Bonn : Borromäusverein, 1968. --  353 S. : Ill. ; 8°. -- S. 85]


Abb.:
† Pio Nono. † -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 6, S. 23. -- 1878-02-10

Zur Ruhe einzugehen war ihm beschieden:
Er starb. Sein Tod bring ihm und — uns den Frieden!

Erläuterung:

Der Unfehlbarkeitspapst, der Selige (seit 3. September 2000) Pius IX. war am 7. Februar 1878 gestorben.


Vorsicht.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 13, S. 51. -- 1878-03-24

Wenn Rom uns feindlich ist begegnet,
Dann ging es uns noch immer gut;
Der Kampf erhielt uns wohlgemut.
Doch wenn es einmal freundlich kommt und segnet
Dann seid, Staatsmänner, auf der Hut!



Abb.: Illustrierte Rückblicke vom 1. Januar bis Ende März <Ausschnitt>.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 14/15, S. 56. -- 1878-03-31

Beim Durchsuchen des Kerkers in welchem sein Vorgänger1 gestorben ist, findet Leo XIII.2 unter dem Bettstroh das Sümmchen von 120 Millionen Lire, aus lauter Peterspfennigen bestehend, welche sein Vorgänger sich vom Munde abgespart hat.

Erklärung:

1 Pius IX. (1792 - 1878), der sich seit der Aufhebung des Kirchenstaates als "Gefangener des Vatikan" bezeichnete

2 Leo XIII. (geborener Vincenzo Gioacchino Pecci) (1810 - 1903): Papst 1878 bis 1903



Abb.: Modus vivendi.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 14/15, S. 60. -- 1878-03-31

Pontifex1: "Nun bitte, genieren Sie sich nicht!"
Kanzler2: "Bitte gleichfalls!"

Erläuterung:

Im Hintergrund lugt der ultramontane Politiker Ludwig Windthorst durch den Vorhang

1 Papst Leo XIII.

2 Bismarck


Oster-Idyll.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 18, S. 69. -- 1878-04-21

Grün ist das Land, hold grünet der Wald, und grün ist die Hoffnung.
Österlich prangen die Straßen der Stadt und die Hütten des Dörfleins,
Und um die Kanzel geschart auflauschet die stille Gemeinde.
Heil! -- so ruft der Vikar -- Bald endet der wilde Kulturkampf,
Der uns geängstet so lang; bald zieht -- nicht trügt mich die Ahnung --
Auch zum Süden der Mann, der wider uns schrecklich gewütet.
Nicht vor dem Falk1 dann flüchten entsetzt zum Schlage die Tauben,
Neu aufatmet in Lust mit dem Dompfaff jubelnd der Sperling.
Heimwärts kehren von fernen Gestad dann Brüder und Schwestern,
So in Kummer und Nöten gegessen das Brot der Verbannung.
Fürchterlich Brot -- wie ist es so hart für die Zähne des treuen
Hirten, der seufzend gedacht an die Schäflein seiner Gemeinde!
Ja, nun bald sehen wir sie wieder im Land, bald kränzen geschäftig
Wir zu der Lieben Empfang Altär und Pforten der Ehre;
Denn schon stehen verbündet mit uns ja die Hoftheologen --
Zwar sind Ketzer sie nur, doch als Genossen willkommen.

Seht, schon brachen den Stab sie über den Zweifler, den Hoßbach2,
Wiesen beherzt zum Tempel hinaus den gefährlichen Kalthoff3,
Und von dem Altar muss abschrammen Schramm4, der Verdächtge!
Just wie in früherer Zeit -- dazu verhilf uns, o Himmel! --
Darf nur lehren im Reich, wer Zeichen gläubet und Wunder.

Fort mit dem Wissensdurst, mit Helmholtz, Haeckel und Virchow!
Fort mit dem Höllengeschmeiß von Darwin, Vogt und Konsorten!
Fort mit der Göttin der schnöden Vernunft, vor der sich mit Inbrunst
Noch demütigt das Volk, und fort mit Freiheit und Gleichheit!
Fort mit dem teuflischen Hauf der Staats- und Kirchengesetze!
Werfet die Rechtskompendien all und die Charten ins Feuer!
Treibet zum Lande hinaus zinsgieriges Wuchergesindel,
Schlaget die Pressen entzwei und des Dampfs herzlose Maschinen;
Aber verschont der "Germania"5 Haus und die Zeitung des Kreuzes6!

Nur, wenn also geschieht, wird Friede wieder auf Erden,
Und in Gehorsam dann wird männiglich zinsen der Kirche,
Zinsen dem Kaiser getreu, wie uns von Rom ist geboten.

Dann stehn liebend vereint Hofprediger Stöcker7 und Windthorst8,
Und in die Lande hinaus frohlockend ruft Majunke9:
Grün ist das Land, hold grünet das Reich, und grün ist die Hoffnung!

Erklärungen:

1 Adalbert Falk (1827 - 1900): preußischer, kulturkämpferischer Kultusminister 1872 - 1879

2 Theodor Hoßbach (1834 - 1894): evangelischer Pfarrer und liberaler Theologe. Hielt 1877 hielt eine Predigt, die das Recht der modernen Weltanschauung auf der Kanzel forderte. Als er zum Pfarrer an der Jakobikirche gewählt wurde, brach eine wahre Sturmflut von Protesten und Angriffen in der Presse auf ihn los. Das Brandenburgischen Konsistorium verweigerte die Bestätigung der Wahl Hoßbachs zum Pfarrer von St. Jacobi.

3 Albert Kalthoff

"Albert Kalthoff (* 5. März 1850 in Wuppertal-Barmen, † 11. Mai 1906 in Bremen) war ein deutscher Reformtheologe, Philosoph und Mitbegründer und der erste Vorsitzende des Deutschen Monistenbundes.

Vita

Er kam als Sohn des Färbermeisters Peter Ludwig Kalthoff und seiner Ehefrau Wilhelmine Kalthoff, geborene Wechselberg auf die Welt und wuchs in dem dem konservativ-pietistischen Milieu zuzurechnenden Elternhaus auf. Er studierte ab 1869 in Berlin Theologie. Gleichzeitig ist er als Diakon an der Kirche St. Georg tätig und betreut den Kindergottesdienst und die Armenfürsorge. Während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/1871 war er als Feldprediger tätig. 1874 promoviert er mit der Dissertationsschrift "Die Frage nach der metaphysischen Grundlage der Moral, mit besonderer Beziehung auf Schleiermacher untersucht" an der Universität Halle, heiratet die Malerin Anna Franz (1853-1878) und wird zum Hilfsprediger an der Berliner St. Markus-Kirche ernannt. Am 24. Januar 1875 wird er in der Markuskirche ordiniert. Nach Auseinandersetzungen mit der Kirchenleitung wegen Kritik an der pietistischen Orthodoxie wird er noch 1875 nach Nickern bei Züllichau versetzt. Dort lernte er Eugenie Schulz (1855-1884), seine zweite Frau, kennen und heiratet diese 1878. Nach erneuten Auseinandersetzungen mit dem Oberkirchenrat wurde Kalthoff am 9. Mai 1878 suspendiert.

Nach der Suspendierung zog er nach Berlin-Steglitz und betätigte sich dort als freier Journalist und Redner für den "Protestantischen Reformverein". 1881 kandidiert er erfolglos im Rheinland für die linksliberale Deutsche Fortschrittspartei. 1884 wurde er zum Pfarrer einer reformierten Gemeinde in Rheinfelden bei Basel gewählt. 1888 folgte die Berufung zum zweiten Prediger in der bremischen Gemeinde von St. Martini, 1894 rückt er dort zum ersten Prediger auf. Zeitweilig war er auch Direktors des Geistlichen Ministeriums Bremens. 1889 heiratete er in dritter Ehe Emma Linne (1864-1908). Er begründete 1891 den "Arbeiterbildungsverein Lessing" und verfügte über den Abgeordneten in der Bremischen Bürgerschaft Friedrich Ebert über hervorragende Kontakte zur Sozialdemokratie. 1906 übernimmt er den Vorsitz des Deutschen Monistenbundes.

Werk

Kalthoffs Werk bewegte sich im Rahmen von Suche nach der Einheit von theologischem Diskurs, kirchlicher Existenz und gesellschaftlicher Verantwortung, wobei er sich um die Verbindung von Theorie und Praxis bemühte. Er war ein Exponent des Bremer Radikalismus zwischen liberaler und positiver Theologie. Zeigte er zunächst eine Nähe zur Geschichtsphilosophie von Marx und negierte hierbei im Rahmen der Leben-Jesu-Forschung zunächst die Historizität von Jesus Christus bei der Annahme einer Christusidee einer sozialen Bewegung der ersten Gemeinden, entwickelte sich sein Weltbild zu einer Theosophie mit einer Begeisterung für Friedrich Nietzsche."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Kalthoff. -- Zugriff am 2008-01-22]

4 Karl Rudolf Schramm (1837 - 1890): liberaler evangelischer Theologe

5 Germania: seit 1871 täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung

6 Kreuzzeitung: "Neue Preußische  Zeitung": seit 1848 zweimal täglich in Berlin erscheinende politische Zeitung, Organ der evangelischen Hochkonservativen.

7 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger

"Stöcker, Adolf, Theolog und Sozialpolitiker, geb. 11. Dez. 1835 in Halberstadt, studierte in Halle und Berlin Theologie, wurde 1863 Pfarrer in Seggerde (Kreis Gardelegen), 1866 in Hamersleben, 1871 Divisionspfarrer in Metz und 1874 Hof- und Domprediger in Berlin. Seit 1877 trat er in öffentlichen Versammlungen gegen die Führer der Sozialdemokratie auf und suchte durch Gründung einer christlich- sozialen Partei (s. ð Christlich-soziale Reformbestrebungen) die Arbeiter für christliche und patriotische Anschauungen wiederzugewinnen, zugleich aber ihre Forderungen des Schutzes gegen die Ausbeutung des Kapitals und einer Verbesserung ihrer Lage zu unterstützen. Die neue Partei gewann aber nur an wenigen Orten zahlreichere Anhänger, da S. durch seinen fanatischen Eifer gegen alles, was liberal hieß, besonders in kirchlicher Beziehung die Opposition der öffentlichen Meinung wach rief. Auch ging er in seinen Agitationen gegen das Judentum oft weiter, als es sich mit seiner Stellung vertrug. 1879 in das Abgeordnetenhaus, 1880 (bis 1893) und 1898 auch in den Reichstag gewählt, wo er sich der streng konservativen Partei anschloß, erhielt er 1890 seine Entlassung als Hofprediger; 1896 trat er aus der deutsch- konservativen Partei und dem Evangelisch-sozialen Kongreß aus und gründete mit andern die Christlich- soziale Konferenz. S. ist Vorsitzender der Berliner Stadtmission, Mitglied des Generalsynodalvorstandes und seit 1892 Herausgeber der »Deutschen evangelischen Kirchenzeitung«. Er veröffentlichte mehrere Jahrgänge »Volkspredigten« (gesammelt in 7 Bänden), »Das Leben Jesu in täglichen Andachten« (Berl. 1903, Volksausg. 1906), sowie zwei Sammlungen seiner Reden und Aufsätze: »Christlich-sozial« (das. 1885, 2. Aufl. 1895), »Wach' auf, evangelisches Volk« (das. 1893) und »Gesammelte Schriften« (das. 1896 f.). Vgl. seine Schrift »Dreizehn Jahre Hofprediger und Politiker« (Berl. 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker

9 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der katholischen Zeitung "Germania"



Abb.: Der Papst sucht immer noch den "Modus vivendi."  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 21, S. 84. -- 1878-05-12

Möchte er nur den Fidibus anzünden, so würde er ihn bald finden.

Erklärung:

Bezieht sich auf die erste Enzyklika von Papst Leo XIII. "Inscrutabili Dei consilio" vom 21. April 1878, in der er auf das "Übel in der Gesellschaft" eingeht.


Den Hofprediger-Sozialisten Stöcker1 und Konsorten.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 22, S. 86. -- 1878-05-19

Wer Feuer zündet, kann der Menschheit nützen,
Ob Manchen auch erschreckt entfachte Glut;
Wer Feuer löscht, kann Tausende beschützen,
Ein Retter, vor des Elementes Wut,
Doch Keinem nützt und Unheil nur erzielt,
Wer, wie ihr, fromme Herrn -- mit Feuer spielt.

Erklärung:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger

"Stöcker, Adolf, Theolog und Sozialpolitiker, geb. 11. Dez. 1835 in Halberstadt, studierte in Halle und Berlin Theologie, wurde 1863 Pfarrer in Seggerde (Kreis Gardelegen), 1866 in Hamersleben, 1871 Divisionspfarrer in Metz und 1874 Hof- und Domprediger in Berlin. Seit 1877 trat er in öffentlichen Versammlungen gegen die Führer der Sozialdemokratie auf und suchte durch Gründung einer christlich- sozialen Partei (s. ð Christlich-soziale Reformbestrebungen) die Arbeiter für christliche und patriotische Anschauungen wiederzugewinnen, zugleich aber ihre Forderungen des Schutzes gegen die Ausbeutung des Kapitals und einer Verbesserung ihrer Lage zu unterstützen. Die neue Partei gewann aber nur an wenigen Orten zahlreichere Anhänger, da S. durch seinen fanatischen Eifer gegen alles, was liberal hieß, besonders in kirchlicher Beziehung die Opposition der öffentlichen Meinung wach rief. Auch ging er in seinen Agitationen gegen das Judentum oft weiter, als es sich mit seiner Stellung vertrug. 1879 in das Abgeordnetenhaus, 1880 (bis 1893) und 1898 auch in den Reichstag gewählt, wo er sich der streng konservativen Partei anschloß, erhielt er 1890 seine Entlassung als Hofprediger; 1896 trat er aus der deutsch- konservativen Partei und dem Evangelisch-sozialen Kongreß aus und gründete mit andern die Christlich- soziale Konferenz. S. ist Vorsitzender der Berliner Stadtmission, Mitglied des Generalsynodalvorstandes und seit 1892 Herausgeber der »Deutschen evangelischen Kirchenzeitung«. Er veröffentlichte mehrere Jahrgänge »Volkspredigten« (gesammelt in 7 Bänden), »Das Leben Jesu in täglichen Andachten« (Berl. 1903, Volksausg. 1906), sowie zwei Sammlungen seiner Reden und Aufsätze: »Christlich-sozial« (das. 1885, 2. Aufl. 1895), »Wach' auf, evangelisches Volk« (das. 1893) und »Gesammelte Schriften« (das. 1896 f.). Vgl. seine Schrift »Dreizehn Jahre Hofprediger und Politiker« (Berl. 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Frohe Aussichten.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 28, S. 111. -- 1878-06-23

Vernehmt es: gelöst ist der traurige Bann,
Und kein Zölibat soll euch binden fortan.

Die Altkatholiken beschlossen 's in Bonn1,
Der Staat hat -- ich hoff es -- den Nutzen davon.

Denn ist nun ein Pfäfflein gewitzigt und schlau,
So wird 's altkatholisch und nimmt eine Frau.

Dem ersten folgt bald wohl der zweite Kaplan,
Und so fort und so weiter, bis All Eine han.

Und hat sich  ein Jeder die Seine gefreit,
Dann ist er zufrieden und sucht nicht mehr Streit.

Dann kommt der Kulturkampf von selber zur Ruh.
Nun, Paul und Louischen, was meint ihr dazu?

Erklärung:

1 Auf der fünften Synode der Altkatholiken, 1878 in Bonn, wurde das Zölibat abgeschafft unter Hinweis darauf, dass die neue Reichsgesetzgebung (Gesetz über die Eheschließung 6. Febr. 1875) das Ehehindernis der Priesterweihe nicht mehr kennt. Für die Abschaffung waren 75 Stimmen, dagegen 22.



Abb.: Jesuit und Sozialdemokrat. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 31, 1. Beiblatt. -- 1878-07-07

— Wie habt ihr es denn angefangen, dass ihr wieder so groß dasteht? Ihr waret doch auch verfolgt und ausgewiesen.
— Feiner, viel feiner als ihr. Mit bloßer Grobheit kommt man nicht weit. Weniger Geschrei und mehr Wolle!



Abb.: In der Nähe von Canossa. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 36, S. 144. -- 1878-08-11

Lehrer: Cohn, wer hat die Bibel übersetzt?
Schüler: Ich möchte, um meine katholischen Mitschüler nicht zu verletzen, auf Wunsch der Schuldeputation den Namen1 lieber unerwähnt lassen.

Erklärung:

1 Martin Luther



Abb.: Wunderschwindelschwindel. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 42, S. 168. -- 1878-09-15

In Dittrichswalde1 wird ein nachgemachter dreihundertjähriger Ablass des Papstes Urban2 verkauft. Die Pfaffen warnen davor, da der gefälschte Ablass kaum 200 Jahre vorhält.

Erklärungen:

1 Dittrichswalde/Dietrichswalde (heute: Gietrzwałd): in Ermland (heute Polen). Vom 27. Juni bis zum 16. September 1877 erschien mehrmals die Jungfrau Maria zwei jungen Mädchen in einem Ahornbaum außerhalb des Dorfes Dittrichswalde. Seitdem Wallfahrtsort. 1878 gab es dort wieder Erscheinungen.

2 Papst Urban II. (um 1035 - 1099): Papst von 1088 bis 1099, Er  1095 zum Ersten Kreuzzug auf und verlieh den Teilnehmern einen Ablass. 



Abb.: Der treue Schäfer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 43, 1. Beiblatt. -- 1878-09-22

Machst du mir meine Schwarzen zu Schwarz-weißen1,
So will ich gern mal nach Canossa2 reisen!

Erläuterungen:

1 Schwarz-weiß sind die Farben der Fahne Preußens

2 Canossa: Als Gang nach Canossa bezeichnet man den Zug Heinrichs IV. von Speyer nach Canossa zu Papst Gregor VII. im Februar 1077, um die Lösung des Kirchenbanns zu erbitten. Am 14. Mai 1872 wurde dieses Ereignis vom damaligen Reichskanzler Otto von Bismarck in seiner Rede vor dem Reichstag mit dem Satz: "Seien sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht - weder körperlich noch geistig.", aufgegriffen. Dem war ein Streit mit der katholischen Kirche voraus gegangen, in dem der Papst den deutschen Gesandten beim Heiligen Stuhl abgelehnt hatte.


Ex urbe Monachorum1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 43, 2. Beiblatt. -- 1878-09-22

Pater Fiducius2.
Sprich, teurer Bruder, du ex societate3,
Ist 's möglich denn, und wie geschah es, wie?
Geschworen haben die Episcopi4,
Dem König Treu geschworen und dem Staate,
Und dass sie mit auswärtigen Gewalten
Niemals geheime Verbindung wollen halten?

Pater Filucius5.
Die Sach ist nicht so wichtig als dir scheint,
Und wozu sollen und Bedenken frommen?
Der Eid ist ja den Herrn jetzt abgenommen.
Man schwört den Eid -- du weißt ja, wie 's gemeint! --
Und wählt in Not das kleinere von zwei malis6,
Vivat die Reservatio mentalis7!

Erklärungen:

1 = aus der Stadt München

2 Fiducius: zu fides = Vertrauen

3 = ex Societate Jesu = von den Jesuiten

4 = Bischöfe

5 Filucius: zu Filou = Spitzbube

6 = Übeln

7 Reservatio mentalis = Mentalrestriktion Mentalreservation = geheimer Vorbehalt: ein solcher liegt vor, wenn der Erklärende absichtlich eine seinem wahren Willen nicht entsprechende Erklärung abgibt, um den andern über seinen wahren Willen zu täuschen. Wird der jesuitischen Moraltheologie zugeschrieben.


Wallfahrtslied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 44/45, 2. Beiblatt. -- 1878-09-29

(Zu singen nach der Melodie: "Prinz Eugenius1 etc. etc.")

Kommt von Tal und Bergeshalde
Pilger, kommt  nach Dittrichswalde2,
Wo auf benedeitem Fleck
Die Madonna sich lässt schauen,
Aber nur von zween Frauen,
Bielitewska, Wieczoreck.

Auf dem Ahorn ist sie gesessen,
Wenn man liest und singt die Messen,
Aber nachher ist sie weg.
Was sie sprach, verkünden treulich,
Und dies ist  doch sehr erfreulich,,
Bielitewska, Wieczoreck.

Polnisch spricht sie frisch und munter
Von des Baumes Kron herunter
Zu der Gläubgen frohem Schreck;
Sprach 's in reinstem Dialekte,
Als sie sich den Fraun entdeckte,
Bielitewska, Wieczoreck.

Sprach: Mich kümmern sehr, ihr Lämmer,
Hier die Völler und die Schlemmer,
So da trunkenboldig keck.
Sollt nicht in das Wirtshaus laufen,
Lasst das Raufen und das Saufen --
Bielitewska, Wieczoreck.

Morgen komm ich nicht, ihr Frommen,
Dafür wird mein Joseph kommen
Nieder von der Himmelsdeck;
Wird sunst nirgend hier verkehren,
Aber euch wird er beehren,
Bielitewska, Wieczoreck.

Pilger, kommt zum Wunderbrönnlein
Unsres polnischen Madönnlein,
Greift zu Stab und Handgepäck!
Euer blaues Wunder schauen
Werdet dort ihr bei den Frauen
Bielitewska, Wieczoreck!

Erklärungen:

1 Dittrichswalde/Dietrichswalde (heute: Gietrzwałd): in Ermland (heute Polen). Vom 27. Juni bis zum 16. September 1877 erschien mehrmals die Jungfrau Maria zwei jungen Mädchen in einem Ahornbaum außerhalb des Dorfes Dittrichswalde. Seitdem Wallfahrtsort. 1878 gab es dort wieder Erscheinungen.

2 Leipzig 1719, Volkslied auf den Sturm auf Belgrad 1717:

Prinz Eugenius, der edle Ritter,
Wollt' dem Kaiser wied'rum kriegen
Stadt und Festung Belgarad.
|: Er ließ schlagen einen Brukken,
   Daß man kunnt' hinüberrucken
   Mit'r Armee wohl vor die Stadt. :|

Für die Melodie hier anklicken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/prinzeug.html. -- Zugriff am 2008-01-23] 



Abb.: In Liebe und Güte. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 47, S. 188. -- 1878-10-13

An Stelle des alten Canossa wollen die Jesuiten einen klimatischen Kurort mit allerlei Brunnen und Salinen gründen. Sie hoffen damit erholungsbedürftige Staatsmänner hinzulocken.


Ultramontane Steigerung. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 48, 1. Beiblatt. -- 1878-10-20

Unfehlbar ist der Papst; noch unfehlbarer das Zentrum,
Allerunfehlbarst sind die Jesuiten allein.



Abb.: Spionage. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 53/54, S. 213. -- 1878-11-24

So wie der Kanzler auf seinem Gute mit einer Dame spricht, heißt es gleich, dass es ein päpstlicher Nuntius in Verkleidung ist.



Abb.: Illustrierte Rückblicke vom 1. Oktober bis Ende Dezember <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 59/60, S. 236. -- 1878-12-29

— Was hat die Madonna denn ausgefressen?
— Sie hat gesagt, wir sollten den armen dummen Leuten nicht das Geld abschwindeln, sondern ihnen lieber etwas zugeben. Solche Madonnen könnten uns gefallen!


Der Baron von Strudelwitz an den Baron von Pudelwitz <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 31, Nr. 59/60, S. 238. -- 1878-12-29

nach der Melodie "Fahret hin, Grillen etc."1 zu singen

Sehn auf Ehr mich gar sehr,
Ach! Wenn einst doch Domherr2 wär!
Schönster Stand ja in Land
Und auch amüsant.
De- und Armut, Keuschheit auch
Wie in Kloster einst nach Brauch
Stramm und straff schwor der Pfaff,
Ist dem Domherrn Kaff!

Domherr hält fidel Kapitel
Einmal jährlich -- Staat gibt Mittel:
Fein Diner, Sekt frappé,
Großer Ulk -- juchhe!
Messe macht und Litanei
Domherrn nicht mehr Schererei;
Trinkt und isst, und vergisst,
Was für Andre trist.

Einmal jährlich pokulieren,
In Talar sich kostümieren,
Schwarz Barett, güldne Kett,
Alles furchtbar nett!
Schreibt, so oft zu Stift er wallt,
Quittung über Jahrgehalt;
Freut sich bass, singt beim Glas:
Deo Gratias!3

Erklärungen:

1Jägerlied:


[Bildquelle: Deutsche Lieder, um 1900]

2 Domherr

"Domherr (Domkapitular, Kanonikus, Stiftsherr), in der katholischen Kirche ein Mitglied des Domkapitels, d.h. einer Korporation, die sich aus den Geistlichen der Kathedralkirche zusammensetzt und dem Bischof bei der Regierung der Diözese beratend und beschließend zur Seite steht (s. ð Stift). Die protestantischen Domkapitel, die sich in Preußen und in Sachsen erhalten haben, tragen keinen kirchlichen Charakter, sind aber wegen der reichen Präbende, welche die weltlichen Domherren beziehen, für diese eine nicht unerhebliche Einnahmequelle."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Deo gratias! = Gott sei Dank!


1879


Am Teplitzer Stadtbade1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 11, 2. Beiblatt. -- 1879-03-09

Der katholische Pfarrer.
Die Quell ist wieder da -- o seht,
Ihr Gläubgen -- welche Wonne!
Es ist geschehn, weil unserGebet
Erhört hat die Madonne.

Der evangelische Pfarrer.
Nein, unsre Bitte hat erhört,
Ihr Gläubgen, des Himmels Gnade!
Nun waltet hier wieder ungestört
Des Heiles die Najade.

Der Rabbi.
Nein unserFlehn ist an höchster Statt
Erhört -- Gott sei gepriesen!
Dem auserwählten Volke hat
Sich hold der Himmel erwiesen.

Ein Weltkind.
Was streitet ihr? Es sei mir fern,
Euch euren Wahn zu rauben;
Doch lasst, ihr lieben frommen Herrn,
Auch mirjetzt meinen Glauben.

Ich  glaub an eine Helferin,
Die steht mit Geistern im Bunde,
Die war mit uns von Anbeginn
Bis zur Erlösungsstunde.

Sie stand in Gefahr mit frischer Kraft
Zu Schutz und Trutz auf dem Posten.
Ein dreifach Hoch der Wissenschaft,
Ein Hoch den Geognosten!

Erklärung:

1 Die Thermalquelle des berühmten Stadtbads von Teplitz (heute: Teplice, Tschechien) versiegte durch eine Katastrophe im benachbarten Kohlenbergwerk von Ossegg (heute: Osek) am 10. Februar 1879, wodurch das Thermalwasser dorthin abgeführt wurde. Durch sofortige Nachgrabungen wurden die Quellen in kurzer Zeit (3. März) an ihren alten Austrittsöffnungen wieder zutage gefördert.


 Die Pastoral-Konferenz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 27, S. 107. -- 1879-06-15

Das war für unsre Frommen
Im schwarzen Feierkleid,
So nach Berlin gekommen,
Eine echte Gnadenzeit.

Es wankten ernste Gestalten
Durch unsre Residenz;
Sie kamen her, zu halten
Die Bundes-Konferenz.

Am Sonntag Trinitatis1
Waren sie hier geschart,
Weil in der Pastoren Rat dies
Also beschlossen ward.

Sie hielten an mehren Tagen
In salbungsvollem Ton
Ob kirchlicher Fragen und Klagen
Manch heiße Session.

Sie sprachen gar erbaulich
Von ihrer Gewissensnot,
Und wie der Satan graulich
Den Wächtern Zions droht --

Wie Kaffern und Botokuden2
Man schaffe das Seelenheil,
Und wie den argen Juden
Bekehrung werde zu Teil.

Sie täten sich erhitzen
Bass gegen die Ketzerein;
Es bebte vor ihren Blitzen
Der Protestanten-Verein3.

Sie täten die moderne
Theologie in Bann,
Dieweil von des Glaubens Kerne
Sie nichts aufweisen kann.

Sie haben der Materie
Darwins den Krieg erklärt,
Dieweil sie das bisherge
Dogma nicht gläubt noch ehrt.

Sie sprachen Alle wacker,
Wie heilger Grimm sie trieb,
Versetzten dem Staat, dem "Racker",
Manch scharfen Seitenhieb.

Und heimlich zu verstehen
Gab der und jener Schalk:
Ach, wär doch schon zu sehen,
O Falk4, dein Katafalk5!

Ein Jeder sprach, als wär er
Ein Päpstlein im Vatikan;
Es glänzten als Bekehrer
Herr Wangemann6 und Stahn7.

Sie fluchten den Glaubensfeinden
Und der lockern Gesetze Frucht
Und mahnten die Gemeinden
An strenge Kirchenzucht.

Doch ob sie schrecklich klagten
Ob wilder Ketzer Macht,
Und wenn sie 's auch nicht sagten,
So haben sie doch gedacht:

Groß Heil ist endlich kommen
Und Gnade reich gesandt
Itzunder allen Frommen
Im mächtgen Preußenland!

Des Irrwahns Lehrer und Drucker
Sind in der Zeiten Lauf
Gestürzt, wir als Hauptmucker8
Itzt wieder obenauf!

Und jetzt -- o, blick hernieder
Auf dein vollendet Werk! --
Jetzt kehrt dein Reich uns wieder,
Du seliger Hengstenberg9.

Erklärungen:

1 Trinitatis = 1. Sonntag nach Pfingsten, d.h. am 9. Juni 1879

2 Botokuden = Botocudos = Aimorés/Aimborés: Indianerstamm im östlichen Brasilien, im Küstengebirge zwischen dem Rio Pardo und Rio Doce. Der Name Botocudos stammt von dem portugiesischen botoque (Fassspund) wegen der Holzpflöcke, die sie in der Unterlippe tragen.

3 Protestanten-Verein

"Protestantenverein, Deutscher, strebt auf dem Grunde des evangelischen Christentums eine Erneuerung der protestantischen Kirche im Geist evangelischer Freiheit und im Einklang mit der Kulturentwickelung an. Der Gedanke, regelmäßig wiederkehrende Versammlungen zur Erreichung dieses Zweckes abzuhalten, wurde von badischen Theologen auf der Durlacher Konferenz im August 1863 angeregt. Man vereinigte sich zur Gründung und Einberufung eines deutschen Protestantentags, als dessen Hauptzweck die Anbahnung einer deutschen gesamtkirchlichen Nationalvertretung bezeichnet wurde. Auf der am 30. Sept. 1863 in Frankfurt a. M. abgehaltenen Vorversammlung wurde der Protestantentag in einen P. umgewandelt, der die theologische Arbeit zur Befreiung und Läuterung der Lehre von dem noch herrschenden Dogmatismus der protestantischen Wissenschaft zu überlassen, dagegen den Anbau des kirchlichen Verfassungs- und Gemeindelebens und die Förderung der praktisch-kirchlichen Tätigkeit als Hauptgebiet seiner Tätigkeit zu betrachten habe. Die endgültige Begründung des Vereins erfolgte 7. und 8. Juni 1865 in Eisenach. Nach den hier beschlossenen Satzungen will der P. insbes. dahin wirken, dass die Gemeinde der Hierarchie gegenüber zu ihrem Recht und dadurch auch zu wirklichem eignen Leben komme; er will alles, was die sittliche Kraft und Wohlfahrt des Volkes bedingt, zu fördern suchen und für diese Zwecke tüchtige Kräfte aus dem ganzen deutschen protestantischen Volke sammeln und vereinen. Die Mitglieder treten da, wo sich eine hinlängliche Zahl in einem Ort oder einem Bezirk findet, in Orts- oder Bezirks- oder Landesvereine zusammen und versammeln sich zeitweise zur Besprechung über wichtige Fragen. Diese besondern Vereine stehen mit dem Gesamtverein in Verbindung und haben ihre besondere Vertretung auf dem Protestantentag (22. Versammlung Berlin 1904). Die Leitung der Geschäfte liegt in der Hand eines Vorortes, der alle drei Jahre wechselt (zurzeit Berlin). Schon seit 1866 und noch mehr seit 1870 war der P. zugleich im nationalen Sinne tätig und hat auf seinen Versammlungen fast alle die Maßregeln, die in Preußen zum »Kulturkampf« und zur Neukonstituierung der evangelischen Kirche führten, zum voraus gefordert und befürwortet. Dabei hatte er unter entschiedener Ungunst fast sämtlicher Kirchenbehörden Deutschlands zu leiden. Seinen Anhängern wurden, wo sie von Gemeinden gewählt wurden, vom Gesetz nicht immer vorgesehene Kolloquia abverlangt und auf Grund derselben Bestätigung verweigert. Von der Generalsynode blieb der P. tatsächlich ausgeschlossen. 1904 zählte er 20 Zweigvereine mit etwa 25,000 Mitgliedern. Der zahlreichste Landesverband ist der »Protestantische Verein« der Pfalz. Organe des Protestantenvereins sind die zu Elberfeld erscheinenden »Protestantischen Flugblätter«, das zu Bremen erscheinende »Protestantenblatt« (früher »Deutsches Protestantenblatt«) und die von ð Websky (s. d.) redigierten »Protestantischen Monatshefte« (Berlin), die seit 1897 als wissenschaftliches Organ an die Stelle der »Protestantischen Kirchenzeitung« getreten sind. In freundschaftlichen Beziehungen zum P. stehen der Niederländische Protestantenbund und der Schweizerische Verein für freies Christentum. Vgl. Schenkel, Der deutsche P. (neue Ausg., Wiesb. 1871); D. Schmidt, Der P., in zehn Briefen für und wider beleuchtet (Gütersloh 1873). Einen Überblick über die Entwickelung des Vereins gab Hönig in den »Verhandlungen des 17. deutschen Protestantentags« (Berl. 1888)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Adalbert Falk (1827 - 1900): preußischer Kultusminister, führend im Kulturkampf

5 Katafalk = Gerüst, auf dem ein Sarg aufgebahrt wird

6 Hermann Theodor Wangemann (1818 - 1894)

"Wangemann, Hermann Theodor, luther. Theolog, geb. 27. März 1818 in Wilsnack, gest. 18. Juni 1894 in Berlin, wurde nach längerm Aufenthalt in der Schweiz 1845 Rektor und Hilfsprediger in Wollin, 1849 Archidiakonus und Seminardirektor in Kammin und 1865 Direktor der ð Berliner Missionsgesellschaft (s. d.). Als solcher machte er zweimal (1866–67 und 1884–85) durch das Gebiet seiner Gesellschaft in Südafrika längere Reisen. Von seinen Schriften nennen wir: »Sieben Bücher preußischer Kirchengeschichte« (Berl. 1859–60, 3 Bde. mit 2 Nachträgen); »Reise durch das gelobte Land« (das. 1869, 3. Ausg. 1876); »Ein Reisejahr in Südafrika« (das. 1869); »Gustav Knak, ein Lebensbild« (Basel 1879, 2 Bde., 2. Aufl. in 1 Bd. 1881); »Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft und ihrer Arbeiten in Südafrika« (Berl. 1872–1877, 4 Bde.); »Lebensbilder aus Südafrika« (3. Aufl., das. 1876); »Südafrika und seine Bewohner« (das. 1881); »Ein zweites Reisejahr in Südafrika« (das. 1886); »Die kirchliche Kabinettspolitik des Königs Friedrich Wilhelm III.« (das. 1884); »Die lutherische Kirche der Gegenwart in ihrem Verhältnis zur Una sancta« (3 Bde. in 7 Büchern, das. 1883–84), eine Revision der »Sieben Bücher preußischer Kirchengeschichte«, worin er zwar den Standpunkt der lutherischen Orthodoxie vertritt, aber mit den Altlutheranern in Streit geriet. Vgl. Petrich, Hermann Theodor W. (Berl. 1895); »D. Dr. Wangemann, ein Lebensbild, dargeboten von seinem ältesten Sohne« (das. 1899)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Stahn: Konsistorialrat

8 Mucker: Frömmler, Sektierer, Scheinheiliger. Im frühen 18. Jh. aufgekommen, anfangs als Spottwort auf die Pietisten.

9 Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802 - 1868)

"Hengstenberg, Ernst Wilhelm, Theolog, geb. 20. Okt. 1802 zu Fröndenberg in der Grafschaft Mark, gest. 28. Mai 1868 in Berlin, der einflussreichste Vorkämpfer der neulutherischen Orthodoxie des 19. Jahrh., widmete sich in Bonn philosophischen und orientalischen Studien und veröffentlichte schon in seinem 22. Jahr eine Übersetzung der »Metaphysik« des Aristoteles (Bonn 1824, Bd. 1) und eine Bearbeitung der »Moallakah« des Amrilkaïs (das. 1823). Während seines akademischen Lebens beteiligte er sich lebhaft an den damaligen burschenschaftlichen Bestrebungen. In Basel, wo er 1823–24 als Hauslehrer lebte, vollzog sich in ihm eine religiöse Wandlung nach der Seite der strengen Orthodoxie. Sofort habilitierte er sich 1824 an der philosophischen und 1825 (jetzt schon als ausgesprochener Gegner des Rationalismus und Hegelianismus) an der theologischen Fakultät zu Berlin, wo er 1826 außerordentlicher, 1828 ordentlicher Professor der Theologie wurde. Unter seinen wissenschaftlichen Arbeiten, die indessen vollständig im Dienste der dogmatischen Tendenz stehen, nennen wir: »Christologie des Alten Testaments« (Berl. 1829–35, 3 Bde.; 2. Aufl. 1854–58); »Beiträge zur Einleitung ins Alte Testament« (das. 1831–39, 3 Bde.); »Kommentar über die Psalmen« (das. 1842–47, 4 Bde.; 2. Aufl. 1849–52); »Das Hohelied Salomonis« (das. 1853); »Das Evangelium Johannis« (das. 1861–64, 3 Bde.; 2. Aufl. 1869–71, 2 Bde.); »Die Offenbarung Johannis« (das. 1849–1851, 2 Bde.; 2. Aufl. 1862); »Die Weissagungen des Propheten Ezechiel« (das. 1867–68, 2 Bde.). Den weitgreifendsten Einfluss hat H. durch seine 1827 gegründete »Evangelische Kirchenzeitung« ausgeübt, ein Parteiorgan der rücksichtslosesten Unduldsamkeit. Vgl. Bachmann und Schmalenbach, Ernst Wilhelm H. (Gütersl. 1876–92, 3 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Neueste Wundergeschichte. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 28, S. 111. -- 1879-06-22

In einem Dörflein bei Gostyn1 -- Falerie juchhe!
Die Mutter Gottes jüngst erschien -- Falerie juchhe!
Ein Mägdlein von elf Jahren kaum
Sah sie auf einem Pappelbaum. Falerie juchheirassa, Falerie juchhe!

Nun strömte bald mit gläubgem Sinn
Der Pilger Schar zum Dörflein hin.
Dreitausend schier versammelt  dort
Sah täglich man am Gnadenort.

Sie sangen Lieder da im Chor
Und kletterten den Baum empor,
So Männer als auch alte Fraun --
's war gar erbaulich anzuschaun.

Sie schnitten sich vom Baum geschwind
Viel Blättlein, Zweiglein, Äst und Rind;
Und eh man merkte, wie 's geschah
Stand kahl und nackt die Pappel da.

Des Dörfleins Propst, der kam herzu
Und sprach: "So lasst den Baum in Ruh;
Denn ich erkläre frank und frei,
Dass Alles nur ein Schwindel sei."

Und zu der Pappel mit Verdruss
Kam der Distrikts-Commissarius
Und sprach: "So ihr nicht heimzieht bald,
So jag ich fort euch mit Gewalt."

Und zu dem Baum, das Schwert im Arn,
Kam zehnfach schrecklich der Gendarm;
Die Pilger aber stunden dicht
Und schrien: "Wir gehn vom Flecke nicht!"

Was wird geschehn, wenn -- ach, mir graut! --
Der Säbel schießt, die Flinte haut?'
Das wird ein Jammer werden groß!
Fort, fort, sonst geht das Schlachten los!

Da sandt aus seinem Gnadenschatz
Der Himmel einen tüchtgen Platz-
Und Hagelregen schauerlich;
Der Pilger Schar von dannen wich.

Seit jenem Tag nun bei Gostyn -- Falerie juchhe!
Die Jungfrau auch nicht mehr erschien -- Falerie juchhe!
Und Friede herrscht und Harmonie
Im gläubgen Dörflein Falerie -- Falerie juchheirassa, Falerie juchhe!

Erklärung:

1 Gostyń (heute in Polen)



Abb.: Auf dem Wege nach Canossa. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 32, S. 128. -- 1879-07-13

In Dittrichswalde1 und an anderen Gnadenorten sollen künftig die Madonnen, damit sie allen Gläubigen sichtbar werden, von frommen Händen transparent gemalt, in den Obstbäumen aufgehängt werden.

1 Dittrichswalde/Dietrichswalde (heute: Gietrzwałd): in Ermland (heute Polen). Vom 27. Juni bis zum 16. September 1877 erschien mehrmals die Jungfrau Maria zwei jungen Mädchen in einem Ahornbaum außerhalb des Dorfes Dittrichswalde. Seitdem Wallfahrtsort.



Abb.: Wohin? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 41, S. 164. -- 1879-09-07

— Ihr könnt ja gar nicht sehen, wohin ihr reitet! Sollte der rechte Weg nicht dorthin führen?
— Den haben wir ja immer im Auge.

Erläuterung:

Bezieht sich auf die Koalition in Preußen zwischen Zentrumspartei und Konservativen, die eine reaktionäre Strömung (z.B. Ausgleich mit dem Papst) erwarten ließ.


Der heilige Bernhard1in Wolfenbüttel. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 47, S. 186. -- 1879-10-12

Zu Wolfenbüttel in Braunschweig steht
Ein stattlicher Bau vollendet,
Eine Aula, welche die brave Stadt
Für ihr Gymnasium spendet.

Und an den Pfeilern rings im Saal
Stehen, in Gips gegossen,
Die trefflichen Männer, die der Welt
Des Geistes Reich erschlossen.

Gar trotzig schaut Herr Luther drein,
Der tapfre Glaubensstreiter;
Um Goethes Götteraugen glänzt
Ein Lächeln wild und heiter.

Und als die Plätze rings verteilt,
Bleibt übrig eine Büste;
Sie schaut den Direktor strafend an,
Als ob sie sich arg entrüste.

Das ist Herr Bernhard von Clairvaux1,
Der einst das Kreuz genommen;
O heiliger Bernhard, wie bist du nur
Ins Braunschweiger Land gekommen.

Der Herr Direktor erwägt den Fall
Mit ernstlichem Kopfgeschüttel:
"Sankt Bernhard darf nicht übrig sein,
Das schändet Wolfenbüttel!

Da muss -- es bleibt kein andrer Rat --
Wohl  einer der Herren weichen.
Wen nehmen wir nur? Den Lessing2 hier,
Den Lessing können wir streichen!

Er war, beim richtigen Glaubenslicht
Besehn, doch nur ein Ketzer,
Ein arger Theaterhabitué
Und literarischer Schwätzer!

Als Vorbild kann man ihn nimmermehr
Den jungen Seelen empfehlen,
Da wird ein christlicher Pädagog
Den heiligen Bernhard wählen.

Der führt schnurstracks zum Himmelreich
Die störrische Knabenbande,
Wie er dem Kreuzheer einst den Weg
Gewiesen zum heiligen Lande!" --

Gesagt, getan! Mit Staunen sehn
Die Schüler am Pfeiler prangen
Den Reiseprediger von Clairvaux
Den heiligen Kreuzzugs-Stangen3.

Mag zu der Jugend nutz und Heil
Er lange den Pfeiler zieren!
Doch deinen Direktor wirst du bald,
O Wolfenbüttel, verlieren.

Ergib dich drein, du edle Stadt,
Für dich verloren ist er;
Mit scharfem Blick erspäht gar bald
Ihn Preußens Kultusminister.

Zu einem größeren Wirkungskreis
Wird man den Braven führen
Im Land, in dem noch immer nichts
Von Reaktion zu spüren.

Als Bruder begrüßt mit Jubel ihn
Die wachsende Schar der Frommen:
Solch ein Talent darf nimmermehr
In Wolfenbüttel verkommen!

Erklärungen:

1 Hl. Bernhard von Clairvaux (1090 - 1153)

"Bernhard von Clairvaux (spr. klärwō), der Heilige, der bedeutendste unter den romanischen Mystikern des Mittelalters, geb. 1090 in Fontaines bei Dijon, trat mit 30 Gefährten in das Kloster Citeaux und wurde 1115 erster Abt des neugestifteten Klosters Clairvaux. Seine Sittenstrenge, die tiefe Frömmigkeit, die Glut seiner Beredsamkeit machten ihn zum Gegenstande der Bewunderung und ermöglichten ihm in den Kämpfen jener Zeit eine weitgreifende Wirksamkeit. Seinen Bemühungen verdankte es Papst Innocenz II., dass er seines Gegenpapstes Anaklet 11. Herr wurde. Den höchsten Gipfel seines Einflusses erreichte B., als Papst Eugen III., sein Schüler, vor Arnold von Brescia flüchtend, sich ihm in die Arme warf. Seine Beredsamkeit und seine Wundertätigkeit entflammte in französischen und deutschen Landen die Begeisterung zum zweiten Kreuzzug, dessen unglücklicher Ausgang ihn tief betrübte. Nicht ohne gerechten Tadel bleibt sein Verhalten gegen ð Abälard (s. d.), dessen Verurteilung auf der Synode zu Sens er durchsetzte. Auch die religionsphilosophischen Lehren des Bischofs Gilbert von Poitiers ließ er 1148 verdammen, und nicht minder eifrig wirkte er gegen die ketzerischen Sekten im Süden Frankreichs, wiewohl er sich allen äußern Gewaltmaßregeln abgeneigt zeigte. B. starb 20. Aug. 1153 in Clairvaux und ward von Papst Alexander III. 1173 heilig gesprochen. Seine Schriften (Abhandlungen, Predigten, Hymnen) sind herausgegeben von Mabillon (Par. 1667; 3. Ausg. 1719, 2 Bde.; wiederholt in Mignes »Patrologie«). Unter seinen Schriften sind die bedeutendsten: »De consideratione libri V«, an Papst Eugen III. gerichtet (hrsg. von Schneider, Berl. 1850), und die »Sermones de cantico canticorum« (in Auswahl hrsg. von Baltzer, Freib. 1893). Vgl. Neander, Der heilige B. und sein Zeitalter (neue Ausg. von Deutsch, Gotha 1889–90, 2 Bde.); Neumann, B. v. C. und die Anfänge des zweiten Kreuzzuges (Heidelb. 1882); Hüffer, Der heilige B. v. C. (Bd. 1: Vorstudien, Münster 1886); Janauschek, Bibliographia Bernardina (Bd. 4 der »Xenia Bernardina«, Wien 1891); Vacandard, Vie de saint Bernard (1895, 2 Bde.; deutsch, Mainz 1897–98, 2 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781): Dichter, Literaturtheoretiker und Religionsphilosoph der Aufklärung.

3 Louis und Karl Stangen: Inhaber eines Reisebüros, Veranstalter von Gesellschaftsreisen

"Stangen, 1) Louis, geb. 9. Mai 1828 zu Ottmachau in Schlesien, gest. 9. Juli 1876 im Bad Charlottenbrunn, trat 1847 ins Militär, nahm 1856 als Bezirksfeldwebel in Ohlau den Abschied, arbeitete dann im Eisenbahndienst bis 1860 und siedelte nach Breslau über. Hier und in mehreren andern Städten errichtete er Packträgerinstitute und in Breslau das erste preußische Annoncenbureau. Dann widmete er sich dem Veranstalten von Gesellschaftsreisen, deren erste 1863 von Breslau nach Dresden stattfand. 1864 leitete er die erste Gesellschaftsreise nach Ägypten und wurde somit der Schöpfer der Gesellschaftsreisen in Deutschland. 1868 gründete er mit seinem Bruder Karl (s. unten) ein Reisebureau in Berlin, das er noch in demselben Jahre jenem allein überließ. Während des deutsch-französischen Krieges war er in Frankreich bei der freiwilligen Krankenpflege tätig. Er schrieb: »Auf gebahnten und ungebahnten Wegen. Lebensskizze« (Berl. 1876).

2) Karl, Bruder des vorigen, geb. 5. Mai 1833 zu Ziegenhals, trat 1853 als Volontär in ein Landratsamt ein, ging 1855 zum Postfach über und schied aus demselben 1867 als Post- und Telegraphenstationsvorsteher. Nach Übernahme des mit seinem Bruder Louis (s. oben) 1868 in Berlin begründeten Reisebureaus leitete er viele Reisen nach dem Orient, zwei um die Erde und sehr viele nach Italien, Frankreich, England und Skandinavien. 1873 führte er das System der Hotelcoupons und einen Billettverkauf für Eisenbahnen des In- und Auslandes in Deutschland ein, und 1888 gelang es ihm, dies Unternehmen wesentlich zu vervollständigen. 1883 verband er mit dem Bureau ein Importgeschäft von Kunst- und Industriegegenständen des Auslandes und 1888 eine Abteilung, in der alle Arten Fahrkarten, Ausschiffungscoupons, Hotelanweisungen etc. für In- und Ausland verkauft werden. Er schrieb mehrere Reisewerke, auch Novellen und patriotische Gedichte, und begründete 1884 die Zeitschrift »Der Tourist« und 1894 »Stangens illustrierte Reise- und Verkehrszeitung«. 1904 wurde das Reisebureau von der Hamburg-Amerika-Linie übernommen und unter die Leitung von Ernst und Louis S. gestellt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Die Aufhebung der Simultanschule1 am Lechle zu München. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 47, S. 187. -- 1879-10-12

Einstmals gabst du als der Freiheit Schutz,
Fürchtend nicht den Blitz von Petri Stuhle,
Deinem Volk die simultane Schule --
Starker Lutz2!

Zwar die Schwarzen boten frech dir Trutz,
Doch du sprachst: In Bayerns Schulen wohnen
Soll gleich Recht für alle Konfessionen --
Braver Lutz!

Ach, wozu war all dein Wirken Nutz?
Denn es fiel, gestürzt vom Glaubenswahne,
Bayerns Schule jetzt, die simultane.
Schwacher Lutz!

Frei jetzt herrschen Glatze und Kapuz.
Sind aufs Neu zur alten Macht erhoben,
Und ich hör, wie dich die Pfaffen loben --
Armer Lutz!

Erklärungen:

1 Simultanschule = christliche Gemeinschaftsschule

"Simultānschule, s. ð Simultaneum und ð Gemeindeschule. Die Streitfrage, ob in konfessionell gemischten Staaten die Schulen richtiger nach den Konfessionen getrennt einzurichten seien oder als Simultanschulen (paritätische Schulen), in denen der Religionsunterricht den Schülern jedes anerkannten Bekenntnisses besonders, aller übrige Unterricht gemeinsam erteilt wird, beschäftigt seit langer Zeit die pädagogischen und politischen Kreise sehr lebhaft. Oft wird dabei die S. verwechselt mit der konfessionslosen Schule, die auf den Religionsunterricht ganz verzichtet; und diese wiederum wird von den Gegnern vielfach ohne weiteres auf Abneigung gegen die Religion überhaupt zurückgeführt. Dies trifft offenbar auf Großbritannien und Nordamerika nicht zu, wo vielmehr die Scheu, den zahlreichen Sonderkirchen und Parteien vorzugreifen, zum Ausschluss des religiösen Unterrichts geführt hat. Auch in Italien, Frankreich etc. hat zunächst nur die Absicht, die Schulen dem herrschenden Einflusse des katholischen Klerus zu entziehen, dafür den Ausschlag gegeben. In Deutschland haben Baden (1876) und Hessen (1874) sich für die S. entschieden. In Preußen bestehen die Simultanschulen allgemein gesetzlich im frühern Herzogtum Nassau. Im übrigen gilt für die Volksschule die Konfessionsschule hier als Regel nach Artikel 24 der Verfassung, nur in besondern Fällen ist auch für die S. die Möglichkeit geboten. Doch ist es offenkundiges Bestreben der Regierung, solche Ausnahmen, auch wo sie von den Gemeinden gewünscht werden, tunlichst zu erschweren. Ähnlich liegt die Sache der S. in Bayern und in den meisten deutschen Bundesstaaten. Nur kurze Zeit fand in Preußen unter dem Minister Falk (1872–79) und in Bayern unter dem Minister v. Lutz (1873–83) das Drängen der liberalen Parteien auf simultane Gestaltung des Schul-, besonders des Volksschulwesens etwas mehr, wenngleich immer nur vorsichtiges, Entgegenkommen unter lebhaftem Widerspruche der konservativen und konfessionellen Kreise. – In Österreich gilt gesetzlich seit 1869 die öffentliche Volksschule als paritätisch oder simultan. Allein die protestantische Minderheit ist mit dieser Neuerung, der viele ihrer gesonderten Schulen zum Opfer gefallen sind, wenig einverstanden, da tatsächlich das Vorwiegen des katholischen Elementes in der Praxis das Prinzip meist nicht zum vollen Ausdrucke kommen lässt. Daher hier auf protestantischer Seite, wie in Frankreich, Belgien etc. auf katholischer, das Bestreben hervortritt, den öffentlichen Simultanschulen ein privates konfessionelles Schulwesen entgegenzustellen. – Die Literatur über diese Kontroverse ist geradezu unabsehbar. Vgl. Sander, Geschichte der Volksschule, besonders in Deutschland (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, 5. Bd., 3. Abt., Stuttg. 1902), und Schneider, Ein halbes Jahrhundert im Dienste von Kirche und Schule, S. 365 ff. (2. Aufl., das. 1901)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Johann, Freiherr von Lutz (1826 - 1890): bayerischer Kultusminister 1867 - 1890

"Lutz, Johann, Freiherr von, bayr. Staatsminister, geb. 4. Dez. 1826 zu Münnerstadt in Unterfranken, gest. 3. Sept. 1890 in Pöcking am Starnberger See, Sohn eines Lehrers, studierte 1843–48 in Würzburg die Rechte, wurde 1852 Rechtskonzipient und 1854 Richter beim Kreis- und Stadtgericht in Nürnberg. 1857 war er Protokollführer der in Nürnberg tagenden Konferenz für Bearbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuchs, begleitete sie auch nach Hamburg zur Bearbeitung des Seerechts und gab 1861 die Konferenzprotokolle der Handels- und Seerechtskonferenz und einen Kommentar zu dem bayrischen Einführungsgesetz für das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch (Würzb. 1863–66) heraus. Nach seiner Rückkehr nach Bayern als Hilfsarbeiter in das Justizministerium berufen, ward er 1863 Sekretär im Privatkabinett des Königs Max und unter Ludwig II. im Dezember 1866 Chef des Kabinetts. Aber schon 1. Okt. 1867 übernahm L. das Portefeuille der Justiz im Ministerium Hohenlohe, führte unter großen Schwierigkeiten einen neuen Zivilprozess in Bayern ein und übernahm 20. Dez. 1867 auch das Ministerium des Kultus. Hervorragend an den Verhandlungen über die Begründung des Deutschen Reichs, erst in München, dann in Versailles, beteiligt, verteidigte er den Vertrag vom 23. Nov. 1870 im Dezember 1870 und Januar 1871 vor den bayrischen Kammern. Bei der Neubildung des Ministeriums im August 1871 gab L. die Justiz ab, behielt aber im neuen Kabinett Hegnenberg-Dux das bei dem beginnenden kirchlichen Kampf besonders wichtige Ministerium des Kultus. Zur Abwehr der ultramontanen Herrschaftsgelüste veranlasste er im November 1871 den Beschluss des sogen. ð Kanzelparagraphen (s. d.) durch Bundesrat u. Reichstag, der die politischen Ausschreitungen des Klerus im Zaume halten soll. Auch in Bayern selbst trat er der anmaßenden Forderung der Bischöfe, dass die Regierung den Altkatholizismus unterdrücken solle, entgegen, wenngleich die Altkatholiken selbst von seinem durch Rücksichten beschränkten Verhalten nicht zufriedengestellt wurden. Durch die Besetzung der erledigten Bistümer mit gemäßigten, friedliebenden Männern suchte L. den klerikalen Hetzereien ein Ende zu machen, zog sich aber dadurch den Hass der extremen Ultramontanen zu, die ihn im Landtag heftig angriffen und wiederholt vom König seine Entlassung forderten. Der König lehnte dies nicht nur ab, sondern ernannte ihn auch 1880 nach Pfretzschners Rücktritt zum Präsidenten des Ministeriums und versetzte ihn 1884 in den erblichen Freiherrenstand. Auch nach der Entsetzung Ludwigs II. unter dem Regenten Prinz Luitpold blieb L. im Amt und wurde 1886 Mitglied der Reichsratskammer. Erst 21. Mai 1890 nahm er wegen Kränklichkeit seine Entlassung und starb bald darauf."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Neueste Korrespondenz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 47, 1. Beiblatt. -- 1879-10-12

Die Aufschrift des Briefes, welchen der Sultan1 dieser Tage an den Papst gerichtet hat, lautet wörtlich: "An Unsern vielgeliebten ruhmreichen und majestätischen Freund.

Als Leo XIII. diese Worte las, soll er gelächelt und einige lateinische Verse improvisiert haben, deren Übersetzung wir unsern Lesern nicht vorenthalten wollen:

"Er, der Ungläubgen Herr, ich Hirt der gläubgen Herden --
Gern möcht ich einst sein Hirt, sein Freund kann nie ich werden.
Er glaubt an meine Macht, an meine Majestät
Und auch an meinen Ruhm. Wenn 's mir nach Wunsche geht,
So ist er bald bekehrt und liegt zu meinen Füßen:
Ich aber will ihn alsdann das türksche Schäflein grüßen,
Ihm auch den Eintritt gern in meinen Stall erlauben.
Fürwahr, er hat Talent, Unglaublichstes zu glauben!

Erklärung:

1 Abdülhamid II. (Ottomanisches Türkisch: عبد الحميد ثانی, Türkisch: İkinci Abdülhamit) (1842 - 1918): Sultan des Osmanischen Reiches 1876 - 1909.



Abb.: Ein moderner Reformator. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 53/54, S. 212. -- 1879-11-23

Der "neue Luther"1 schlägt seine 95 Thesen an die Pforte  der Synagoge und empfiehlt den "Reichsboten"2.

Erklärungen:

1 d.i. Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger und Antisemit

"Stöcker, Adolf, Theolog und Sozialpolitiker, geb. 11. Dez. 1835 in Halberstadt, studierte in Halle und Berlin Theologie, wurde 1863 Pfarrer in Seggerde (Kreis Gardelegen), 1866 in Hamersleben, 1871 Divisionspfarrer in Metz und 1874 Hof- und Domprediger in Berlin. Seit 1877 trat er in öffentlichen Versammlungen gegen die Führer der Sozialdemokratie auf und suchte durch Gründung einer christlich- sozialen Partei (s. ð Christlich-soziale Reformbestrebungen) die Arbeiter für christliche und patriotische Anschauungen wiederzugewinnen, zugleich aber ihre Forderungen des Schutzes gegen die Ausbeutung des Kapitals und einer Verbesserung ihrer Lage zu unterstützen. Die neue Partei gewann aber nur an wenigen Orten zahlreichere Anhänger, da S. durch seinen fanatischen Eifer gegen alles, was liberal hieß, besonders in kirchlicher Beziehung die Opposition der öffentlichen Meinung wach rief. Auch ging er in seinen Agitationen gegen das Judentum oft weiter, als es sich mit seiner Stellung vertrug. 1879 in das Abgeordnetenhaus, 1880 (bis 1893) und 1898 auch in den Reichstag gewählt, wo er sich der streng konservativen Partei anschloss, erhielt er 1890 seine Entlassung als Hofprediger; 1896 trat er aus der deutsch- konservativen Partei und dem Evangelisch-sozialen Kongress aus und gründete mit andern die Christlich- soziale Konferenz. S. ist Vorsitzender der Berliner Stadtmission, Mitglied des Generalsynodalvorstandes und seit 1892 Herausgeber der »Deutschen evangelischen Kirchenzeitung«. Er veröffentlichte mehrere Jahrgänge »Volkspredigten« (gesammelt in 7 Bänden), »Das Leben Jesu in täglichen Andachten« (Berl. 1903, Volksausg. 1906), sowie zwei Sammlungen seiner Reden und Aufsätze: »Christlich-sozial« (das. 1885, 2. Aufl. 1895), »Wach' auf, evangelisches Volk« (das. 1893) und »Gesammelte Schriften« (das. 1896 f.). Vgl. seine Schrift »Dreizehn Jahre Hofprediger und Politiker« (Berl. 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Der Reichsbote : deutsche Wochenzeitung für Christentum und Volkstum. -- Berlin : Der Reichsbote. -- 1873 - 1936


Zum Kulturkampf. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 57, 3. Beiblatt. -- 1879-12-14

(Ein flügellahm geflügelt Wort.)

Wir wollen euch hiermit erlauben
Zu tun, wie früher ihr getan,
Zu predgen, was als wahren Glauben
Euch hat gelehrt  der Vatikan.
Nicht über Priester mehr verhangen
Sei unsres Staates streng Gericht;
Mehr aber dürft ihr nicht verlangen,
Denn -- nach Canossa gehn wir nicht.

Mögt wieder Prozessionen halten
Und noch im gegenwärtgen Jahr
Die alten Banner neu entfalten
Zur Pilgerfahrt nach Kevelaer1.
Mögt auch zu heilgen Wunderkindern
In frommer Brunst wallfahrten dicht;
Kein Polizist soll euch dran hindern,
Doch -- nach Canossa gehn wir nicht.

Wir schließen -- denn das macht euch Freude
Und fördert eure Seelenruh --
Die simultanen2 Schulgebäude
Und irdschen Sonntagsschulen zu.
Und wieder wie in alten Zeiten
Soll ungehemmt den Unterricht
Im Glauben nur der Priester leiten,
Doch -- nach Canossa gehn wir nicht.

Gar manch Gesetz scheint uns entbehrlich,
Und manches dünkt uns selbst zu scharf,
Wenn man 's -- wir sprechen frei und ehrlich --
Auch heut noch nicht beseitgen darf.
Beseitigt wird 's einst jeden Falles --
O glaubt was unser Mund verspricht;
Begehrt nur nicht auf einmal Alles,
Denn -- nach Canossa gehn wir nicht.

Vielleicht schon bald wird euer Sehnen
Gestillt nach euren Hirten fern.
Der Staat wird bald aufs Neu belehnen
Mit Stab und Ring die lieben Herrn.
Ja, alles wird er bald verfügen,
Was Weisheit ihm gebeut und Pflicht;
Jedoch das wird und muss genügen,
Denn -- nach Canossa gehn wir nicht.

Bald werden zu den Hochaltären
Der alten Heimat, fromm und lieb,
Die Brüder auch und Schwestern kehren,
Die ein zu streng Gebot vertrieb.
Und strahlen an geweihten Orten
Wird nun der ewgen Lampe Licht;
Wir öffnen selbst die Klosterpforten,
Doch -- nach Canossa gehn wir nicht.

Bald werden Klosterglöcklein klingen
Wie einst, und bald in hohem Chor
Wird Messen man und Hora3 singen
Und Hallelujah wie zuvor.
Nur müsst auch ihr uns Ruhe gönnen,
Drum tut auf eitlen Trutz Verzicht;
Wir gehn, soweit wir irgend können,
Doch -- nach Canossa gehn wir nicht.

Wenn wir auch jeden Wunsch gewährten,
Das brächt uns leichtlich Spott und Schmach;
Drum gebt -- wir bitten, ihr Verehrten --
Auch uns ein ganz klein Wenig nach!
Wir gingen, nur des Friedens wegen --
Er ist bereits in naher Sicht --
Dem Papst ja schon bis Wien entgegen;
Doch -- nach Canossa gehn wir nicht.

Erklärungen:

Am 1872-05-14 hatte Reichskanzler Bismarck in einer Rede im Reichstag gesagt: "Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich, noch geistig."

1 Kevelaer

"Kevelaer (spr. -lār), Flecken im preuß. Regbez. Düsseldorf, Kreis Geldern, unweit der Niers, Knotenpunkt der Staatsbahnlinie Köln-Zevenaar und der Geldernschen Kleinbahn, hat eine gotische kath. Domkirche mit Freskomalereien, Fabrikation von Schuh- und Zelluloidwaren, Kruzifixen und Paramenten und (1900) 6175 fast nur kath. Einwohner. Zu dem wundertätigen Marienbild (seit 1642 aufgestellt) wird, besonders in den Marienoktaven, stark gewallfahrtet. Im Jubiläumsjahr 1892 belief sich die Zahl der Pilger auf 400,000. Vgl. Hauptmann, Geschichte der Kevelaerer Bruderschaft (Bonn 1899)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Simultanschulen = christliche (gemischkonfessionelle) Schulen

3 Hora

"Horae canonĭcae (lat., »kanonische Stunden«, auch Horae regulares) heißen in der katholischen Kirche die Stunden des Tages, die zu den Gebeten der Geistlichen und Mönche bestimmt sind und in den Klöstern durch Geläute verkündigt wurden, weil der Beginn des ersten und letzten Stundengebets sich je nach der Jahreszeit verfrühte oder verspätete und deshalb nie nach der wahren Zeit richtete. Während des Mittelalters bildeten die H. die eigentliche Einteilung des Tages von ungefähr 3 Uhr morgens bis 6 oder 7 Uhr abends, und die Abhaltung dieser Horen, bei denen Psalmenabschnitte aus dem Alten und Neuen Testament, Gebete und Hymnen der Kirchenväter, Responsorien etc. (s. ð Brevier) gesungen wurden (Hora-Singen), bildete einen wesentlichen Teil des ð Chordienstes (s. d.).

Die Horae, deren es sieben gibt, heißen einzeln:

  1. Matutina (sc. hora), vom Matutinum (sc. officium, Frühmette, Mette) so genannt, das in den Klöstern in der Regel um 3 Uhr morgens begann, wogegen die Weltgeistlichkeit es anfangs später hinausschob und zuletzt am Abend vorher antizipierte, währte streng genommen von Mitternacht bis zur Prima, indem die sogen. Landes oder Lobgebete sich unmittelbar an die Mette anschlossen;
  2. Prima, Prima (erste Stunde), von 5 oder 6 Uhr morgens bis zur Tertia;
  3. Tertia, Terz (dritte Stunde), von 8 oder 9 Uhr morgens bis zur Sexta;
  4. Sexta, Sexte (sechste Stunde), von 11 oder 12 Uhr bis zur Nona;
  5. Nona, None (neunte Stunde), von 2 oder 3 Uhr nachmittags bis zur Vesper;
  6. Vespera (hora vespertina), Vesper, von 4 oder 5 Uhr nachmittags bis zur zweiten Vesper;
  7. Completorium (hora completa), Komplet, gleich nach Sonnenuntergang.

Vgl. Bilfinger, Die mittelalterlichen Horen und die modernen Stunden (Stuttg. 1892)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Kulturkampf bis aufs Messer. In Schlesien1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 32, Nr. 58, S. 231. -- 1879-12-21

— Ach, da kommt ein guter Herr, der uns gewiss etwas zu essen bringt!
— Nein, ihr lieben Leute; aber ich sammle für den Peterspfennig und die durch den Kulturkampf notleidenden Bischöfe.

Erklärung:

1 Schlechte Witterung führte 1879 zu Missernten bei Kartoffeln und Kraut, den Grundnahrungsmitteln in Oberschlesien, und damit zu Hungersnot. Als Sammler dargestellt ist der ultramontane Zentrumsführer Ludwig Windthorst.


1880



Abb.: Volksbeglückungs-Utopien, zum neuen Jahr <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 1, S. 4. -- 1880-01-04

Da die Einfältigen glücklicher daran sind als die Gescheiten1, soll die Erziehung den Pfaffen überlassen und die Maigesetze2 abgeschafft werden. Dann wird Jeder nur für Steuern und Peterspfennig leben und allgemeine Zufriedenheit hereinbrechen.

Erklärungen:

1 Vgl. Matthäus 5,3: "Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr."

2 Maigesetze: die während des Kulturkampfes in Preußen und für das Deutsche Reich erlassenen kirchenpolitischen Gesetze, so genannt, weil sie im Mai 1873, 1874 und 1875 erlassen wurden.


Guter Rat für kauflustige Christen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 3, S. 11. -- 1880-01-18

Alllerdinge halte ich es für nötig, dass, wenn man etwas kauft, man in erster Linie Glaubensgenossen berücksichtigt. Stöcker1.

Wenn du, geliebter Freund und Christ,
Zu dem Entschluss gekommen bist,
Dir einen "Affen"2 zu erkaufen,
Darfst nimmer du zu Jüden laufen!
Stets sollst du nur zu Leuten eilen,
die deinen rechten Glauben teilen.
Siehst du ein trauliches Lokal,
Wo sich der Wirt und sein Gemahl
Zum wahren Glauben treu bekennen,
Die Kellner froh sich Christen nennen,
So tritt, und wärst du ganz allein,
Getrost mit reinem Herzen ein.
Der stillen Kose Vorhang schließe
Und dankerfüllten Sinns genieße
Die Weine, die am frommen Rhein
Der gütge Himmel lässt gedeihn.
Liebst du Gambrinus'3 feuchte Gaben,
Magst du am dunklen Saft dich laben,
Den mit Verstand und Gottvertrauen
Die glaubensfesten Bayern brauen.
Desgleichen tust du nichts, was böse,
Schlürfst von dem Trank du der Chartreuse4
Und von dem Labsal -- wie erquickt 's! --
Das uns die Jünger Benedikts5
In gottgefälligem Bemühn
Aus mannigfachen Kräutern ziehn.
Zwar heut des Wirtes Glauben nie
Dem Gaste volle Garantie,
Dass Morgens nicht -- er sei verflucht! --
Ein großer Kater ihn besucht.
Wirst du mit selbigem geschlagen,
Soll du ihn mit Ergebung tragen;
Du lächelst selig in der Pein,
Denn deine Seele blieb doch rein.
Doch lässest du dir von Semiten
Die obigen Getränke bieten,
Musst du für solche Freveltaten
Im tiefen Pfuhl der Hölle braten.
Ja, ja, mein Sohn, im tiefen Pfuhl
Der Hölle ist es ängstlich schwul;
Dreihundert Grade Réaumur6
Sind, denk ich, wirklich kein Plaisier!
Doch ging es mit der Hitze immer,
Die Langeweile ist viel schlimmer!
Langweilig ist 's an jenem Ort,
Denn Vater Stöcker1 ist nicht dort.
Der sitzt mit seligem Gesicht
Im Kreis der Englein; wenn er spricht,
Sieht man die himmlischen Gestalten
Die Bäuchlein sich vor Lachen halten.
Natürlich spricht er fort und fort,
Er hat in Ewigkeit das Wort.
Drum siehe mit der Schar der Frommen
Ins Himmelreich hinauf zu kommen.
Halt dich zu Stöcker1! Glaube mir:
Wo Stöcker ist, da ist Plaisier.

Erklärungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, christlicher Sozialist und Antisemit

2 Affe = Trunkenheit, Rausch.

3 Gambrīnus: sagenhafter Bierkönig, angeblicher Erfinder des Bieres und privilegierter Bierbrauer Karls des Großen. Wird mit einem schäumenden Glas Bier in der Hand abgebildet.

4 Chartreuse: Kräuterlikör, im Mutterkloster der Kartäuser (la Chartreuse) hergestellt

5 Benediktiner (Bénédictine): Kräuterlikör,  von einem Benediktinermönch im Kloster von Fécamp in der Normandie um 1510 entwickelt.

6 300° Réaumur = 375° Celsius



Abb.: "In Frankreich verstehen sie die Sache besser". . . . . . (Yoricks empfindsame Reise1.). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 5, S. 20. -- 1880-02-01

Die Republik rückt mit ihren Verschanzungen dem Klerus immer mehr zu Leibe und drängt ihn aus allen Positionen, die ihm nicht zukommen.2

Erklärungen:

1 Yorick <= Lawrence Sterne>: Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien (Originaltitel: A Sentimental Journey through France and Italy / by Mr. Yorick. -- London, 1768): Fiktiver Reisebericht von Lawrence Sterne (1713 - 1768).

2 In Frankreich ging die republikanische Regierung energisch gegen den übermächtigen und fast allmächtigen Klerus vor.


Zum Frieden mit Rom. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 6, S. 22. -- 1880-02-08

Wohl uns, wenn er zum Frieden führt,
Der Kampf, wenn Fried uns wird beschieden!
Mit jedem Frieden wären wir zufrieden.
Nur nicht mit dem -- den Rom diktiert.


Vom guten Heinrich. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 6, S. 23. -- 1880-02-08

Heinrich von Breslau1 hat geschrieben
An seinen Klerus eben dies:
"Fügt der Regierung euch, ihr Lieben,
Denn das Gehorchen ist so süß.
Bekennt es frei und unverholen:
Wir folgen fröhlichen Gesichts!
Und dann von dem, was sie befohlen,
Tut, Freunde, etwas -- wenig -- nichts!"

Erklärung:

1 Heinrich Förster (1799 - 1881): Fürstbischof von Breslau 1853 - 1881, wurde wegen Vergehen gegen die Maigesetze mehrfach zu Geldstrafen verurteilt und gepfändet und der Temporalien beraubt, wurde am 6. Okt. 1875 abgesetzt, war aber schon vorher nach dem Schloss Johannisberg im österreichischen Teil seiner Diözese entwischt.


Von einem Brieftäublein. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 13, S. 51. -- 1880-03-21

(nach bekannter Volksweise1 zu singen.)

Kommt ein Vogel geflogen bis zum Kölnischen Dom,
Hat ein Brieflein am Halse von Herrn Leo2 zu Rom.

Und es guckt nach Herrn Melcher3 in die  Kirche hinein,
Pickt ans Fenster: "Wo mag nur der Bischof jetzt sein?

Mach auf schnell, Herr Melcher, mir -- potzsapperment!
Der Papst lässt dir sagen: der Krieg ist zu End.

Vorbei der Kulturkampf und die Drangsalerei,
Und ich komm als ein Bote des Friedens herbei.

Der Papst führt allweile gar friedliche Sprach:
Keine Schand ist die Demut, und der Klügste gibt nach.

Mach auf drum, Herr Melcher; schau, was ich hier hab,
Und nimm von dem Halse das Brieflein mir ab!" --

Doch geschlossen bleibt 's Fenster und öffnet sich nicht,
Und der Küster vom Dome steht unten und spricht:

"Liebes Täuberl, flieg weiter, nimm viel Grüße mit dir;
Der Bischof, Herr Melcher, ist halt nicht mehr hier.

Von Köln ist gezogen schon lange er fort;
Flieg weiter, gen Holland, vielleicht ist er dort.

Und wenn du ihn findest, dann sag ihm hübsch dreist:
Tu, lieber Herr Melcher, was Leo dich  heißt!

Und tust du 's, so wirst du bald wieder im Dom
Wie ehemals thronen am prächtigen Strom.

Dann freun sich die Hirten und die Lämmlein in Ruh
Und der Glöckner und Kantor und der Küster dazu!"

Erklärungen

1 Kommt ein Vogerl geflogen;  Melodie: Wenzel Müller (1767-1835)

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/KommtEin.html. -- Zugriff am 2008-01-28]

2 Papst Leo XIII. (1810 - 1903): Papst 1878 - 1903

3 richtig: Melchers: Paulus Ludolf Melchers (1813 - 1895): Erzbischof von Köln 1867 - 1885: widersetzte sich den Maigesetzen, wurde 1874 zu mehrmonatigem Gefängnis verurteilt und 28. Juni 1876 vom Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten abgesetzt. Melcher ging nach der holländischen Provinz Limburg, von wo er seine Amtstätigkeit durch einen Geheimdelegierten fortzusetzen suchte. Nach Beendigung des Kulturkampfes vom Papst 1885 zum Kardinalpriester ernannt, verzichtete Melchers auf den Kölner Erzbischofsstuhl und begab sich nach Rom.



Abb.: Kondolenz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 13, S. 52. -- 1880-03-21

Lieber Deutscher Bruder, mein herzlichstes Beileid! Wer konnte aber auch denken, dass der Papst nachgeben würde. Wir haben es besser in Frankreich. "Ich wette 50.000 Francs, dass wir in zehn Jahren die Republik untergekriegt haben."



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 14/15, S. 57. -- 1880-03-28

Der Brief des Papstes an den Bischof Melcher[s] hat einen Zwiespalt in der schwarzen Presse hervorgerufen. "Deutsche Reichszeitung"1 und "Germania"2 streiten darüber, ob der papst das Recht hat, dem Staate nachzugeben.

Erklärungen:

1 ultramontane Zeitung: Deutsche Reichszeitung : Bonner Stadtanzeiger ; Godesberger Volkszeitung ; Rhein-Sieg-Zeitung. -- Bonn : Köllen, 1872 - 1934

2 ultramontane, zweimal täglich in Berlin erscheinende Zeitung: Germania : Zeitung für das deutsche Volk. -- Berlin : Germania,  1871 - 1938


In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 14/15, S. 58. -- 1880-03-28

Die Methodisten von Witzschdorf1 in Sachsen sollen sich, wie wir hören, an einen Berliner Hofprediger2 mit nachstehendem Schreiben gewandt haben:

"Ew. Hochwürden bringen wir hierdurch einen Fall von wunderbarster Gebetswirkung zur Kenntnis, das den des Königs Hiskias3 weit übertreffen dürfte. Am 6.März sind die Brüder unserer Gemeinde hinausgegangen auf einen Berg, um durch ihr Gebet den für diesen Tag mit Bestimmtheit für uns erwarteten Untergang der Welt abzuwenden. Und siehe da! es ist wirklich gelungen.
Mit antisemitischem Gruß
X.Y.Z."

Erklärungen:

1 Witzschdorf ist heute eingemeindet in Gornau im Mittleren Erzgebirgskreis, Freistaat Sachsen.

2 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, christlicher Sozialist und Antisemit

3 2. Chronik 32, 20f.: "Aber der König Hiskia und der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz, beteten dawider und schrieen gen Himmel. Und der HERR sandte einen Engel, der vertilgte alle Gewaltigen des Heeres und Fürsten und Obersten im Lager des Königs von Assyrien, daß er mit Schanden wieder in sein Land zog. Und da er in seines Gottes Haus ging, fällten ihn daselbst durchs Schwert, die von seinem eigenen Leib gekommen waren." (Lutherbibel)


Elegie an das Zentrum. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 16, S. 61f. -- 1880-04-04


Abb.: Titelleiste

Schöne Zeit, wohin bist du geschwunden,
Zeit, so reich an wonnevollen Stunden,
Als das Zentrum noch in Blüte stand?
Jene Zeit, von der ich preisend schreibe,
Als der Mittelpunkt der Erdenscheibe
Noch in Meppen1 sich befand!

Schöne Zeit, wohin bist du gekommen,
Als Erscheinungen auf Bäume klommen,
Als kein Pappel- war, kein Pflaumenbaum
Sicher vor den kletternden Madonnen?
Schöne Zeit, wie bald bist du verronnen,
Bist zerflossen wie ein Traum!

Schöne Zeit als noch Majunke2 schwärmte
Für Louischen3 und um sie sich härmte,
Weil er sie für appetitlos hielt!
Selbst der Papst -- was hat man sagen müssen! --
Will von Wundermädchen nichts mehr wissen,
Und das Spiel ist ausgespielt.

Marpingen4 und Dietrichswalde5 schienen
Schon den Namen "Weltstadt" zu verdienen,
Doch schon längst verdienen sie nichts mehr!
Aufgehört hat längst der Wunder-Rappel,
Einsam steht die Blaubeer und die Pappel,
Und das Wirtshaus, ach! steht leer.

Ach! ihr dauert mich, Ultramontane!
Selbst das Feuer hetzender Kaplane
Ward zum Fünkchen, welches bald versiegt.
Immer noch tönt das Geheul der Welfen6;
Doch auch ihnen ist nicht mehr zu helfen,
Seit Gott Amor7 sie besiegt.

Wer herbeigeführt hat dieses Ende?
Otto8 ist es, der sich jetzt die Hände
Reibt vergnügt und mit zufriednem Sinn;
Sich dem Zentrum nahend als Sirene9,
Sang er die bekannten Zaubertöne,
Und -- der Widerstand war hin.

Ach! so endet nur zu oft das Große:
Weichend des Geschicks gewaltgem Stoße,
Fliegt hinunter es in Nacht und Graus.
Auch die schönste Perle muss verbleichen --
Windthorst10, komm! Wenn Alle von dir weichen,
Wein an meiner Brust dich aus!

Kladderadatsch.

Erklärungen:

1 Meppen, Landkreises Emsland, Niedersachsen: Wahlkreis von Ludwig Windthorst.

2 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der katholischen Zeitung "Germania". Majunke hatte in "Germania" über Louise Lateau berichtet, er schrieb auch ein Buch über sie:

Majunke, Paul: Louise Lateau : ihr Wunderleben und ihre Bedeutung im deutschen Kirchenconflicte. --  3., mit zwei Nachschriften versehene Auflage. -- Berlin : Germania, 1875. -- 156 S. : 21 cm.

3 Louise Lateau (1850 - 1883): Stigmatisierte (siehe oben!)

4 Marpingen (Kreis St. Wendel): Ort von (kirchlich abgelehnten) Marienerscheinungen (siehe oben)

5 Dietrichswalde: katholisches Pfarrdorf im preußischen Regierungsbezirk Königsberg : 1877 Ort von kirchlich anerkannten Marienerscheinungen. Heute. Gietrzwald

6 Welfen: Papstpartei

7 Amor: Liebesgott. Am 21. Dez. 1878 vermählte sich der Thronfolger Herzog Ernst August mit Prinzessin Thyra, der Tochter des protestantischen Königs Christian IX. von Dänemark

8 Reichskanzler Otto von Bismarck

10 Sirenen: bei Homer zwei, in späterer Sage drei Jungfrauen, die auf einem Eiland zwischen der Insel der Kirke und der Skylla, auf einer Strandwiese, umgeben von bleichenden Gebeinen, durch ihren Gesang Vorübersegelnde anlockten, um sie zu verderben.

10 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker, vertritt seit 1867 den Wahlkreis Meppen im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus.


Der Jesuiten Abschiedslied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 16, S. 62. -- 1880-04-04

Leb wohl, Paris, und lebet wohl, Franzosen!
Her Freycinet1 jagt grausam uns hinaus;
Despotisch raubt er uns, den Heimatlosen,
Die Tempel und das liebe Mutterhaus.
Bald irrt auf fernem unbekanntem Pfade
Der Jesuiten, ach! verstoßner grex2;
Schon ruft uns ja zu schlauer Retirade
Als Generalissimus der Pater Beckx3.

Wir  scheiden, doch nicht Trauer füllt die Seelen,
Da wir nun flüchten über Berg und Tal;
Denn Einer weiß dem Andern zu erzählen:
's ist nicht das erste, noch das letzte Mal!
Schon oft hat man gescheucht uns aus den Ländern,
Da stärker wir als Könge einst gethront,
Und uns verflucht. Vergesst, was nicht zu ändern,
Der Mächtgen Fluch und Hass! Ihr seid 's gewohnt!

Wie Lämmlein schlichen ein sich unsre Lieben,
Wie Wölfe haben wir geherrscht im Reich,
Wie räudge Hunde hat man uns vertrieben;
Doch stets verjüngten wir uns, Adlern gleich.
So war es hier, so war es allerwegen
Wo unsre Kreuze und Kapellen stehn;
Und -- all ihr Heilgen, gebt dazu den Segen! --
Und also wird 's aufs Neue auch geschehn.

Ihr treuen Brüder hier in kurzen Roben,
Ihr Schwestern, tretet für uns ein,
Und lasst -- bei euch ist 's sicher aufgehoben --
Euch unsres Ordens Hab und Güter weihn.
Nehmt hin als Pfand, was wir an Land besessen,
An Häusern, Wald und fischereichem See,
Und sorgt dafür, dass von den Interessen --
Wir brauchen Geld -- kein Franc verloren geh!

Vicomte4 und Comte5, Prinzessin und Marquise6,
O zähm den Schmerz, du legitime Schar!
Sind wir auch fern von Frankreichs Paradiese,
Im Geiste sind bei dir wir immerdar.
Drum hoff auf uns, vertrau dem Vatikane,
Bald wird dir lächeln das ersehnte Glück;
Auf unsern Schultern mit der weißen Fahne
Bald kehret Henry cinq7, dein Roy, zurück!

Er kommt und wird die Fahne stolz entfalten,
Und hehr erblühen wird sein Königtum,
Zum Heil des Landes wird er mächtig walten
Und ihm erkämpfen der Revanche Ruhm.
Vom Ruhm der Kirche wird er herrlich zeugen,
Und segnen wird ihn unser Oberhirt,
Und Deutschland wird sich stumm dem Roy dann beugen,
Wie sichs auch bald dem Papste beugen wird!

Einst hat ein grauser Falk8 verfolgt die Tauben,
Da hat ereilt ihn strafend sein Geschick;
Und darum richten wir in festem Glauben
Auf Deutschland fromm und hoffend unsern Blick.
Wie drüben einst die armen Brüder riefen,
Als sie betrübt zur Ferne mussten gehn,
So rufen wir auch jetzt aus Herzens Tiefen:
Adieu, Patrie!9 Auf baldges Wiedersehn!

Erklärungen:

1 Charles Louis de Saulces de Freycinet (1828 - 1923): französischer Premierminister und Außenminister 1879 - 1881

2 grex (lateinisch) = Herde, Schar

3 Pierre Jean Beckx SJ (1795 - 1887): Jesuitengeneral

4 Vicomte (= engl. Viscount): Titel für  zwischen Baron und Graf stehende Adlige

5 Comte = Graf

6 Marquise: Markgräfin, weiblicher Adelstitel, zwischen Gräfin und Herzogin stehend

7 Heinrich, Herzog von Bordeaux (1820 - 1883): Thronfolger der Bourbonen

8 Adalbert Falk (1827 - 1900): preußischer Kultusminister, führend im Kulturkampf (siehe oben!)

9 Adieu, Patrie! (Französich) = Ade, Heimatland!


Neuestes aus Schöppenstedt1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 16, 2. Beiblatt. -- 1880-04-04

(Nach Zeitungsberichten.)

Der  Pastor Drewes zu Schöppenstedt
Also den Mannen verkünden tät
Der Krieger- und Landwehrvereine:
Dieweil an des Kaisers Wiegenfest2
Ihr  übermütig seid gewest
Die ganze Nacht beim Weine,
Und habt gesungen, gescherzt, gelacht
Als sündige Zeitgenossen,
Darumb, ob solchen Skandals ohn End
Sollt ihr von des Altars Sakrament
Hiermit sein ausgeschlossen.
Was taten die tapfern Kumpane nun?
Ha'n sie bereut ihr sündig Tun? --
O nein! Sie trunken manch Schlücklein
Und huben das Glas und sangen bass:
Da nennt man -- o sancta simplicitas!3 --
Ein Schöppenstedter Stücklein!

Erklärungen:

1 Schöppenstedt, Landkreis Wolfenbüttel, Niedersachsen.

2 Kaiser Wilhelm I., geboren 22. März 1797

3 o sancta simplicitas (lateinisch) = O heilige Einfalt!



Abb.: Belgischer Stoßseufzer bei Gelegenheit der Ausweisung der Jesuiten aus Frankreich. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 17, 1. Beiblatt. -- 1880-04-11

Patres ex Societate1. Macht schnell auf! Die Anderen kommen auch bald.
Belgien. Hilf Himmel! Bei  uns ist es ja schon ganz schwarz!

Erklärung:

1 Patres ex Societate [Jesu] = Patres aus der Gesellschaft Jesu = Jesuiten



Abb.: Ultramontane Beklemmungen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 18, S. 72. -- 1880-04-18

Bei der immer mehr zu Tage tretenden Friedensliebe des Papstes befürchten die Heißsporne der streitenden Kirche, dass er selbst eines Tages nach Canossa gehen könnte.


Jubel Chorus der Schwarzen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 23/24. -- S. 89f. --1880-05-23

(Aus einer noch unvollendeten Tragikomödie.)

Nun stimmet die Kehlen zum Jubelgesang, und den Himmel preist mit Frohlocken,
Lasst schallen ins Land von den Türmen des Doms, vom Dach der Kapelle die Glocken!
Fast scheint's mir ein Traum, dass "todmüde" sich selbst der mächt'ge Feind schon erklärt hat,
Da der Kampf der Kultur, zu dem er uns rief, kaum sieben Jahre gewährt hat.
Wie stand der Gigant, der gewaltige da, ein plötzlich sentimentaler
Rührseliger Mann -- gehämmert erschien uns sonst von härtestem Stahl er.
Wie töricht, so laut zu verkünden, dass schon jetzt mit der Kraft es ein End hat!
Wahr bleibet fürwahr das alte "Quem vult perdere Deus, dementat."1
Ob scheltender Wort'  und drohender auch des "Ermüdeten" Rede noch voll war,
Sah doch man, dass es ohnmächtiger, weil des besiegt sich Fühlenden Groll war.
So sucht doch umsonst mit schwindender Kraft der Drache den Gegner zu packen,
Wenn schon des Heiligen siegenden Speer er fühlt in dem schuppigen Nacken;
Noch stößt aus dem Mund er verderblichen Hauch, aus Nüstern bläst er die Flammen,
Doch aus klaffender Wunde rieselt das Blut, und zuckend bricht er zusammen.

Nun haltet mir aus und schleudert mit Macht das Geschoß vom ragenden Turme,
Wenn der Feind dann sammelt die letzte Kraft zum letzten verzweifelten Sturme.
Nun redet zum Volk im Reiche ringsum und verschafft ihm nötige Klärung,
Und die Eifrigen lobt, und die säumigen straft, und die Geister haltet in Gärung.
So haltet mir aus, und werdet nicht matt in dem gottgefälligen Kriege;
Vielleicht eh wieder das Jahr sich erneut, hilft uns der Himmel zum Siege.
Zerschmetternd dann rollt hernieder der Stein, auf den mit Hohn der Koloss sah,
Und über den Leib des Gefallenen wälzt sich der Büßer Zug nach Canossa.
Die der Spruch der Gewalt des Amtes beraubt und verjagt von der heimischen Erde,
Mit Liederschall und mit Glockengeläut heimkehren die Hirten zur Herde.
Voll Inbrunst singet dem Himmel laut einen Dankeshymnus Majunke2,
Und es jubelt beim Wein der Fromme am Rhein, und der Bayer bei bräunlichem Trunke.

Und der Himmel erschließt den azurenen Schoß,
Und lächelnd schaut aus dem Rosengewölk
Der Heiligen Schar, die mit Jubelgesang
Den Kollegen begrüßt,
Die schimmernde Perle von Meppen3.

Erläuterung:

Zum Ende des Kulturkampfes:

"Kulturkampf, der Kampf zwischen der katholischen Kirche und dem Staat in Deutschland und namentlich in Preußen seit 1872, ein zuerst von Virchow gebrauchtes Wort im Sinne eines »Kampfes für die Kultur«, von den Ultramontanen spöttisch in dem Sinne gebraucht, dass der K. die Bekämpfung der Kultur, d. h. der katholischen Kirche, sei, wie sie denn auch einen besonders eifrigen Verteidiger der staatlichen Autorität gegenüber der römischen Kurie als Kulturkämpfer zu bezeichnen pflegen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

1 Quem vult perdere Deus, dementat (lateinisch) = Wen Gott vernichten will, den macht er [zuerst] verrückt

2 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der ultramontanen Zeitung "Germania"

3 Perle von Meppen: Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker, vertritt seit 1867 den Wahlkreis Meppen im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus.


Ein Maienliedlein. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 23/24. -- 1. Beiblatt. --1880-05-23

(Zu singen nach der lustigen Drei-Gesellen-Weis1.)

Gedruckt in Zeitungsspalten -- spalten --
War jüngst die Kund enthalten, -- halten --
Die ich zu Nutz und Lust für Gläubge, fromm und zart,
Nach schöner Melodei in Reimlein hab bewahrt.

Gezogen sind drei Kumpane -- pane --
Gen Rom zum Vatikane, -- kane --
Der Eine war ein Prinz, der Andre war ein Graf,
Der Dritte war ein Hirt von manchem gläubgen Schaf.

Der Prinz -- das sollt ihr wissen -- wissen --
War Radziwil2 gehissen, -- hissen --
Ballestrem3 hieß der Graf, Majunke4 hieß der Hirt --
Ei, wie sich mit den Drein Herr Leo5 freuen wird!

Aus Teutschlands Episkopaten -- paten --
Sind dies drei tapfre Soldaten -- daten --
Der immer rüstigen Ecclesia militans6
Und ha'n sich schon bedeckt all Drei mit Ruhmes Glanz.

Sie kommen, den Papst zu flehen, -- flehen --
Dass fest er möge stehen -- stehen --
Und dass mit Teutschland er mög Frieden schließen nie,
Bis dass der Kanzler beugt in Demut Haupt und Knie.

Wie ist 's den Drein ergangen? -- gangen --
Hat sie der Papst empfangen? -- fangen ..
Ich kann es sagen nit, doch die "Germania"7 spricht:
Es seind die Drei ja gar in Rom gewesen nicht!

Nur einer, Herr Majunke -- junke --
Ist zu der feuchten Spelunke, -- lunke --
Darin der heilge Papst elend gefangen sitzt,
Als Zentrums-Nuntius gen Rom gepilgert itzt.

Des Zentrums Kriegsartikel -- tikel --
Auch einge Petersnickel8 -- nickel --
Die bracht er seinem Herrn, damit er gnadenvoll
Dem Zentrum seine Huld und Segen spenden soll.

Und bringt auf raschen Wegen -- wegen --
Er uns zurück den Segen, -- segen --
Dann werden segnen ihn auch die Kumpane brav,
Der Prinz sowie der Graf und jedes gläubge Schaf.

Und werden in Landtagsreden -- reden --
Den Kanzler bass befehden, -- fehden --
Und wird wie Spreu verwehn Falconis dura lex9,
Und sich ohnmaßen freun drob summus Pontifex10!

Erklärungen:

1

Es waren drei Gesellen, die täten,
was sie wöllen, die hielten
mit einander ein' heimelichen Rat,
und welcher auf den Abend den schönsten Buhlen hat.

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/eswareng.html. -- Zugriff am 2008-01-29]

2 Prinz Edmund Radziwill (1842 - 1895)

"Prinz Edmund Radziwill, geb. 6. Sept. 1842, gest. 9. Aug. 1895, eine Zeitlang Vikar in Ostrowo und Mitglied der Zentrumspartei im deutschen Reichstag, dann Benediktiner im Kloster Beuron. Er schrieb: »Die kirchliche Autorität und das moderne Bewußtsein« (Bresl. 1872); die kleinern Schriften: »Ein Besuch in Marpingen« (Berl. 1877), »Canossa oder Damaskus?« (das. 1878)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Franz Graf von Ballestrem (1834 - 1910)

"Ballestrem, Franz, Graf von, Reichstagsabgeordneter, geb. 5. Sept. 1834 zu Plawniowitz in Oberschlesien, wurde auf geistlichen Lehranstalten, zuletzt in Namur, gebildet, besuchte 1853–55 die Universität Lüttich und wurde 1855 Offizier. Nachdem er den Krieg von 1866 als Premierleutnant mitgemacht, wurde er 1867 Rittmeister und Eskadronschef und im Kriege gegen Frankreich 1870 erster Adjutant der 2. Kavalleriedivision (Graf Stolberg). Infolge eines Sturzes invalid geworden, ließ er sich 1872 in den Reichstag wählen und schloß sich der Zentrumspartei an. Er nahm an den Kulturkampfverhandlungen lebhaften Anteil und gehörte nach deren Beendigung zum konservativen Teil des Zentrums. 1890 wurde er zum ersten Vizepräsidenten des Reichstags und 1891 auch zum Mitgliede des preußischen Abgeordnetenhauses gewählt. Er ließ sich, weil er im Gegensatze zur Zentrumsmehrheit für die Militärvorlage gestimmt hatte, nach der Auflösung des Reichstags nicht wieder als Kandidat aufstellen, blieb aber Mitglied des Abgeordnetenhauses. 1898 wieder gewählt, ist er seit 7. Dez. d. I. Präsident des deutschen Reichstages. Schon seit 1873 päpstlicher Geheimer Kämmerer di spada e cappa, ward ihm 18. Juli 1900 wegen seiner Verdienste um das Zustandebringen der Flottenvorlage der Charakter als preußischer Wirklicher Geheimer Rat zu teil."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der katholischen Zeitung "Germania"

5 Papst Leo XIII.

6 ecclesia militans (lateinisch) = kämpfende Kirche

7 Germania: ultramontane Zeitung

8 = Peterspfennig

9 Falconis dura lex (lateinisch) = das harte Gesetz (= Die Maigesetze) des [Kultusminister] Falk

10 summus pontifex (lateinisch) = höchster Priester = Papst


Von einem Pfäfflein1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 26. -- S. 103. --1880-06-06

War mal ein Pfäfflein in Berlin,
Begabt mit sondrer Gnade:
Kein andrer Pfaff erreichte ihn
An kolossaler -- Suade.
Er hat gepredigt Tag für Tag
Zum Heil verirrter Schafe,
Und wenn er nachts im Bette lag,
Da predigt' er noch im Schlafe.

Er predigte bald hier, bald dort,
Und ließ sein Lichtlein strahlen --
Des Sonntags am geweihten Ort,
Montags in Kneiplokalen.
Am Dienstag wider die Heidenzunft
Der Kaffern und Botokuden2,
Drei Tag dann wider die Vernunft
Und Samstags wider die Juden.

Hui, wie ergoss er Herz und Seel
In trübem Redeschwalle,
Heut über das Volk von Israel
Und morgen über Lassalle3!
Und wo versammelt fromme Schar,
Dass sie den Himmel bitte,
Den Geist der Zeit zu stürzen, da war
Auch erin ihrer Mitte.

Den Liberalen insgesamt
War er ein feurger Verflucher,
Doch sprach am liebsten, zornentflammt,
Er vom semitischen Wucher;
Und hat verflucht aus vollster Kraft
Zu Satans glühender Esse
Auch sie, die, ach, nur Unheil schafft,
Die böse freie Presse.

Und wenn er fluchte, so flucht' er bass
Nicht aus gemeinem Triebe,
Aus Neid nicht etwan oder Hass,
Nein, nur aus reinster Liebe.
Er sprach: Ich wär kein Klerikus,
Wenn Liebe mir nicht Gebot wär.
Wenn ich die Juden schlagen muss,
So tu ich 's nur aus Notwehr.

Weh rief er über die sündge Stadt
Und unser verderbt Jahrhundert! --
O wunderlicher Mut! Er hat
Am meisten sich selbst bewundert;
Und manchmal sprach er still bei sich,
Wenn vor des Volkes Haufen
Er stand: Bald werden die Gläubgen mich
Den neuen Luther taufen!

Und seht! Es drang sein Ruf hinaus
In immer weitre Fernen:
Man spricht von ihm im Landtagshaus,
Im Betsaal und in Tavernen.
Fortleben wird sein Ruhm fortan
Und nimmermehr erblassen. --
Wie ist benamst der brave Mann?
"Hans Dampf in allen Gassen".

Erklärungen:

1 gemeint ist Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, christlicher Sozialist und Antisemit

2 Botokuden = Botocudos = Aimorés/Aimborés: Indianerstamm im östlichen Brasilien, im Küstengebirge zwischen dem Rio Pardo und Rio Doce. Der Name Botocudos stammt von dem portugiesischen botoque (Fassspund) wegen der Holzpflöcke, die sie in der Unterlippe tragen.

3 Ferdinand Lassalle (1825 - 1864): ein sozialistischer Schriftsteller, Politiker und Arbeiterführer. Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), des Vorgängers der SPD.


Ein Rätsel. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 26. -- 2. Beiblatt. --1880-06-06

Vernehmt die wundersame Mär,
Die jüngst zu uns gekommen
Wohl aus dem lande Belgica,
Dem schönen Land der Frommen.

In Tournai1 Bischof Dumont2 saß,
Bis man vom Stuhl ihn setzte,
Dieweil die Ehrfurcht vor dem Papst
Gar gröblich er verletzte.

"Dir fehlt -- so ward erkannt in Rom --
Entschieden der rechte Glaube,
Fast scheints als habe in deinem Hirn
Gelöst sich eine Schraube!

Kein Zweifel, du bist verrückt, mein Sohn!
Drum zieh dich zurück bescheiden,
Der fromme Bruder Durousseau3
Wir deine Herde weiden."

Da fuhr ergrimmt Herr Dumont auf
"Ich weiche nicht von hinnen!
Ich bin, das weiß ich selber doch
Am besten, ganz bei Sinnen.

Das sag ich, und ob auch Leo4 selbst
Des Irrsinns mich bezichtge.
O wahrt vor dem falschen Bischof euch!
Ich bin allein der richtge."

Mit scharfen Worten zausten sich
Die beiden würdigen Väter.
In stiller Kammer Louise Lateau5
Vernahm das fromme Gezeter.

Die fromme Louise ist nicht tot,
Wie Mancher schon vermutet;
Sie lebt noch immer in Bois d'Haine6
Und betet, fastet und blutet.

Wahr ist 's: sie leidet seit Jahren schwer
Von den Konkurrenzgeschäften
Der vielen Madonnen, aber sie lebt
Und blutet noch stets nach Kräften.

Sie sprach: Herr Dumont hat ganz Recht!
Verkannt und verleumdet wird er;
Ob auch unfehlbar ist der Papst,
In diesem falle irrt er.

Ich schwör es bei dem heiligen Blut,
Das meine Glieder feuchtet,
Ich schwör es bei dem Geist, der mich
Seit Jahren schon erleuchtet.

Professor Lefèvre7 in Löwen hat
Bewiesen, dass ich entzündet
Vom heiligen Geist. Nun folget dem,
Was euch der Geist verkündet!

Und ob mir droht der Kirche Bann,
Ich werde mein Haupt nicht beugen,
Ich werde laut vor aller Welt
Für Bischof Dumont zeugen!"

O seltsam Schauspiel! Den frommen Sinn
Muss dieser Fall verwirren.
Verschiedner Meinung sind die Zwei,
Und Keiner doch kann irren!

Wo zeigt sich in des Zweifels Nacht
Der rechten Erkenntnis Funke?
Kannst diesen Zwiespalt der Natur
Du lösen, Freund Majunke8?

Erklärungen:

1 Tournai, Wallonien, Belgien

2 Edmond Dumont (1828 - 1892), Bischof von Tournai 1877–1881 (Absetzung)

3 Isidore Joseph Du Roussaux (1826 - 1897) , Bischof von Tournai 1881 - 1897

4 Papst Leo XIII.

5 Louise Lateau (1850 - 1883): Stigmatisierte (siehe oben!)

6 Bois d'Haine, Wallonien, Belgien

7 Dr. Lefevre, Medizinprofessor an der Université catholique de Louvain (Löwen)

8 Paul Majunke (1842 - 1899), Redakteur der katholischen Zeitung "Germania". Majunke hatte in "Germania" über Lateau berichtet, er schrieb auch ein Buch über sie:

Majunke, Paul: Louise Lateau : ihr Wunderleben und ihre Bedeutung im deutschen Kirchenconflicte. --  3., mit zwei Nachschriften versehene Auflage. -- Berlin : Germania, 1875. -- 156 S. : 21 cm.


Abb.: Naturgeschichtliches vom deutschen Löwen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 27. -- S. 108. --1880-06-13

Manchmal ist er fuchswild und manchmal wieder lammfromm.


Christlich-sozial. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 28. -- S. 111. --1880-06-20

Bei Stöcker1 kannst du zwiefach dich erbauen:
Erst wird geredet, dann gehauen.

Erklärung:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): evangelischer Hofprediger, christlicher Sozialist und Antisemit



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 29/30. -- S. 117. --1880-06-27

Was außer Belgien kein andrer Staat noch so recht gewagt hat, erdreistet sich die kleine Schweiz zu unternehmen. Sie will nämlich die Operation versuchen, die beiden ältesten Siamesischen Zwillinge der Welt, Staat und Kirche, durch einen kühnen Schnitt voneinander zu trennen. Sie wird sich wahrscheinlich aber wohl halten lassen.


Den Versöhnlichen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 29/30. -- S. 119. --1880-06-27

Die ihr dem Römling freundlich und mit Milde
Entgegengeht, im Kampfe zu vermitteln,
Als ob er Arges nie geführt im Schilde,
Und seid bereit, derb ihm die Hand zu schütteln, --

O wendet nach Tirol hin eure Blicke
Und seht die Drei dort, Arm in Arm geschlungen,
Im Auge Wut, im Herzen Gift und Tücke
Und auf dem Mund  schamlose Lästerungen.

Und nicht die Juden sind es noch die Heiden,
Die sie mit Hass und blinder Wut befeinden:
Es sind, die nicht im Land sie wollen leiden,
Zwei arme evangelische Gemeinden1!

Die trifft das Fluchwort der "ehrwürdgen Greise",
Jedwedes menschliche Gefühl empörend;
Der Himmel aber in gewohnter Weise
Wird es abwenden, gegen die es kehren --

Die es gesprochen! Hirtenamts zu walten
Sind sie bestimmt, ihr Amt ist, zu versöhnen;
Ja, lauschten nicht aus Hirtenkleides Falten
Die Rachen mit den scharfgespitzten Zähnen!

So sind sie stets, die jetzt mit süßem Munde
Euch fangen wollen, eure Herzen rühren:
Lammfromm, so lang sie zittern vor dem Hunde --
Reißende Wölfe, wenn sie triumphieren!

Erklärungen:

Ich kann das Dokument der drei Bischöfe (vermutlich die Bischöfe von Brixen, Chur und Salzburg) nicht identifizieren.

1 Die 1876 gegründeten protestantischen Gemeinden in Meran und Innsbruck, die die verpfaffte Tiroler Landesregierung nach der Reichsverfassung 1867 nicht mehr verhindern konnte. Anführer der Gegner war der Brixner Fürstbischof Vinzenz Gasser (1809 - 1879), der wegen der Errichtung der protestantischen Gemeinden dem Papst seinen Rücktritt anbot.


Die Ausräucherung. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 31. -- S. 121. --1880-07-04

Schwer zu vertreiben sind sie, wo sie fest
Gesetzt sich und sich eingenistet haben,
Schwer zu vertreiben, wie die Küchenschaben,
Die in den Mauerritzen baun ihr Nest.

So spinnt ein Wurm sich fest in Frucht und Blatt,
Ihn kümmern weder Bitten noch Beschwerden.
Nein, leicht ist 's nicht, sie wieder los zu werden,
Die Jesuiten, wenn ein Land sie hat!

Da hilft kein Streuen, kein Besprechen nützt,
Auch Sumach1 nicht und andre milde Mittel.
Man muss zuletzt doch schicken nach dem Büttel,
Wenn gar zu fest die Brut im Lande sitzt,

"Und fort doch müssen sie! Hinaus! Hinaus!
Wie sehr sie widerstreben auch die Frommen!"
So rief La France und ließ den Schlosser kommen,
Weil sie von innen zugesperrt ihr Haus.

Aufsprang die Türe, doch auch jetzt noch schien
Es ihnen gut, sich renitent zu stellen.
Man musst' sie einzeln holen aus den Zellen
Und mit Gewalt sie auf die Straße ziehn.

Und auf der Straße hatte sich schon früh
Des Volks versammelt eine große Menge,
Und immer stärker wurde das Gedränge,
Bis dass es endlich hieß: "Jetzt kommen sie!"

Da kamen sie ans Licht mit scheuem Blick,
Bedeckt die Häupter von den breiten Hüten.
Hier rief das Volk: "Es leben die Jesuiten!"
Dort wiederum: "Es leb die Republik!"

Doch wie das Ganze auch verlief -- enfin2,
Sie mussten sich begeben auf die Reise.
Wohin? Wie uns gesagt wird, haben leise
Gemurmelt ihrer Einge: "A Berlin!"

Erklärungen:

Bezieht sich auf die Vertreibung der Jesuiten aus Frankreich 1880.

1 Sumach = Schmack: ein grünliches Pulver von Blättern, meist von Rhus sp.

2 enfin (französisch) = endlich


Dem bekannten Hofprediger1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 32. --1. Beiblatt. --1880-07-11

(In dankbarer Erinnerung an die von demselben zum Lobe der geistlichen Orden gehaltene Landtagsrede.)

Wie hast, von Beifall unterbrochen
Du aus der Seele mir gesprochen;
Nichts Schönres gibt es weit und breit,
Als wenn ein Mensch dem Weltgewimmel
Den Rücken kehrt und sich dem Himmel
In stiller Klosterzelle weiht.

Nicht kommt in schädliche Berührung
Er mit der Welt, wo die Verführung
Nach neuen Opfern rastlos späht;
Von frommer Brüderschar umgeben,
Verbringt er froh sein reines Leben
Mit Singen, Weinbau und Gebet.

Und wenn aus ihres Leibes Hülle
Die fromme Seele zu der Fülle
Der Seligkeit empor sich schwingt,
So ist ihm in des Himmels Frieden
Ein reservierter Platz beschieden,
Zu dem des Weltkinds Fuß nicht dringt! --

Doch willst du nur in stillen Träumen
Ergeben dich in jenen Räumen,
Wo reich den Frommen wird gelohnt:
Was eilst du nicht, in ernstem Sinnen
Dir selbst den Segen zu gewinnen,
Der in des Klosters Mauern wohnt?

Viel sind der Orden, doch von allen
Muss einer mir zumeist gefallen,
Der still im schönen Frankreich blüht;
Den magst du wählen! Mit Entzücken
Muss sicher er dein Herz beglücken,
Das für des Klosters Frieden glüht.

Der ihn gestiftet -- klar und gründlich
Hat er erkannt, dass Nichts so sündlich
Wie unsre Zunge auf der Welt.
Er sprach: Die Seele zu erlösen,
Sei dieses Werkzeug alles Bösen
Für ewge Zeiten kalt gestellt!

Die Glieder dieses Bundes reden
Vor Wählern nicht, nicht führen Fehden
Sie kühn in lärmendem Verein;
Sie leben still in ewgem Schweigen,
Es ist ihr "Ja" ein leichtes Neigen,
Ein Schütteln ihres Haupts ihr "Nein".

Bist du, zur Zier dem heilgen Orden
Ein gläubiger Trappist2 geworden,
Will ich ein Glas dir freudig weihn.
Was Schweres auch dein Mund verbrochen,
Es soll, was immer du gesprochen,
Vergeben und vergessen sein!

Erklärungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): evangelischer Hofprediger, christlicher Sozialist und Antisemit

2 Trappisten

"Trappisten (reformierte Cistercienser Unsrer Lieben Frau von La Trappe), von Le Bouthillier de ð Rancé (s. d.), als Abt des Klosters La Trappe (d. h. »Die Falle«, so benannt nach dem engen Taleingang) bei Soligny (Depart. Séez und Orne) 1665 gestifteter Mönchsorden, der die strengste Reform auf dem Boden des Cistercienserordens darstellt. Die T., die in Chorprofessen und Konversen (Laienbrüder) zerfallen, beobachten bei gemeinsamer Arbeit, Essen und Schlafen immerwährendes Stillschweigen; dass sie täglich an der Herstellung ihrer Gräber arbeiten und in Särgen schlafen, ist Erfindung wie der Gruß: »Memento mori«. Sie schlafen in voller Kleidung und werden sarglos beerdigt. Die Nahrung ist vegetarisch. Einige Stunden des vorwiegend der Erbauung und dem Gottesdienst gewidmeten Tages gehören der Feldarbeit. Ihre revidierten Konstitutionen wurden 1894 von Leo XIII. bestätigt, der 1899 dem Generalabt den Titel »Abt von Citeaux« verlieh, welches Kloster seit 1898 im Besitz der T. ist. Die Zahl der T. wird 1907 auf 3700 in 56 Klöstern (in Deutschland Marienstatt im Westerwald) angegeben. Im Kongostaat, in Natal (Mariannhill), Australien, Japan und China gibt es Missionsstationen der T. Trappistinnen heißen die reformierten Cistercienserinnen, die sich in Regeln und Gebräuchen an die T. anschließen. Es gibt etwa 900 in 13 Klöstern, darunter Ergersheim im Elsaß. Eine Art dritten Orden bilden die Missionsschwestern vom kostbaren Blute (Mariannhill). Vgl. Gaillardin, Les Trappistes (Par. 1844, 2 Bde.); Pfannenschmidt, Illustrierte Geschichte der T. (Paderb. 1873); Ruff, Die Trappistenabtei Ölenberg und der reformierte Cistercienserorden (Freib. i. Br. 1898)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Anzeige, die z.B.. 1880 immer wieder im Kladderadatsch erschien

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Abb.: Wenn sie nur nicht abfärbt! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 36. --S. 144. --1880-08-08

Wie die schwarze "Germania"1 dem Kultusminister um den blonden Bart geht.

Erklärung:

1 Germania: seit 1871 täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung



Abb.: Zur Sonntagsheiligung. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 38/39. -- 1. Beiblatt. --1880-08-22

Der Landmann zwischen zwei Heubündeln.
Die ganze Woche Regen! Montag wird es wieder losgehen, und heut ist schönes Erntewetter. Arbeite ich heut nicht, so ist die halbe ernte zum Teufel; und arbeite ich, dann ist gar der Teufel los!


Das Lied vom Domkapitel1 zu Brandenburg. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 46. -- S. 182. --1880-10-03

(Zu singen nach der Melodie: "Nach so viel Kreuz und ausgestandnen Leiden" etc.)

Im hohen Dom von Paul und Peter
Versammelt waren die Vertreter
Des Stifts zur Messe und reicher Tafel
Zu Brandenburg dort an der Havel
Und sungen in Frieden und Freud
Bei Orgel und Glockengeläut.

Alljährlich versammelt sich das Kapitel --
Warum? -- Es hat dazu die Mittel --
Am Tage des heiligen Michaelis3
Als Chorus magnus et fidelis4
Im schwarzen Talar von Samt,
Zu üben gar schwieriges Amt.

Voran tritt allen als Praelatus
Der Herr vom Stamm der Klützow natus
Und hinter ihm da paarweis wandern
Stülpnagek, Knesebeck und die Andern;
Herr Bredow und Herr von Madai
Auch die sind als Domherrn dabei.

Zum Schluss, geschmückt mit hohen Orden,
Dieweil er Domherr eben worden,
Kommt General Schwerin gegangen,
Mit schwarzem Samttalar behangen,
Gestiefelt, gespornt und bewehrt,
Ihm glänzt an der Linken das Schwert.

Nachdem im Chorstuhl sie gesessen,
Schreiten sie feierlichst zum Essen
Im ritterlichen, gar frommen Vereine
Und trinken auch mancherlei feine Weine
Und singen auch frisch, froh und frei
Im Saale der Domdechanei.

Und wenn dann aufgehoben ist die Tafel
Der lustgen Domherrn an der Havel,
Dann streichen sie ein -- 's ist nicht beschwerlich --
Die Zinsen, so sie kriegen jährlich,
Und ziehen in Frieden dann weg,
Und -- weiter hat 's sonst keinen Zweck.

 Erklärungen:

1 Das evangelische Domkapitel in Brandenburg ist ein Relikt  von vor der Reformation. Es bildet keinen organischen Bestandteil der evangelischen Kirchenverfassung. Die Einkünfte aus der Stiftung werden als Leibrente an die "Domherren" vergeben.

2 Das Lied: "Nach so viel Kreuz und ausgestandnen Leiden erwarten uns die himmlischen Freuden"

3 29. September

4 Chorus magnus et fidelis (Lateinisch) = großer und treuer/gläubiger/fideler Chor


Nur ein Jude. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 54. -- S. 215. --1880-11-21

"Du bist nur Jude!" -- Dieses Wort
Vergiss, o Mitwelt nicht! Bewahre,
Ich bitt dich, es für späte Jahre
Und lösch es nicht von deiner Tafel fort.

"Du bist nur Jude!" -- Wie viel Demut ist
In diesem schlichten Wort gelegen!
Wie muss zur Lieb es jedes herz bewegen!
Wie zeigt sich, der es spricht als Christ!

Mit diesem selben Wort bereits
Erwürgte man in alter Zeit die Einen,
Die Andern warf man tot mit Steinen,
Und Einige schlug man ans Kreuz,

Ein edles Wort, sehr christlich offenbar!
Euch aber, Christenpriester, möcht ich fragen:
Was würde Der zu diesem Worte sagen,
Der -- selber "nur ein Jude" war?


Den Deutschen Brüdern in Österreich. Zum 29. November1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 55. -- S. 218. --1880-11-28

Ihr Glocken, tragt in die Weite hinaus den Jubelton
Am Tag, da Josef der Zweite einst stieg auf der Väter Thron!
Lobsingt, Habsburgische Länder, dem ritterlich großen Mann,
Und legt Sonntagsgewänder und Festgeschmeide an!

Festbecher sollt ihr schwenken und leeren bis auf den Grund,
Dem Kaiser zum Gedenken, an froher Tafelrund;
Er hat, ein milder und weiser Regent, beherrscht sein Reich,
Er war ein echter Kaiser und echter Bürger zugleich.

Er hat zu Habsburgs Ehren getilgt langjährge Schmach,
Er, der das Joch der schweren Leibeigenschaft zerbrach;
Er war 's, der in die Auen befruchtenden Keim gesenkt --
Noch ist der Pflug zu schauen, den einst er selbst gelenkt.

Gefürchtet und bewundert, ein leuchtender Meteor,
So strahlte dem Jahrhundert sein Geist in Klarheit vor;
Sein Geist war 's, dessen Helle sich über das reich ergoss.
Der in des Ärmsten Zelle befreiend und wärmend floss.

Zwar bebten vor ihm die Klöster und schalten ihn Tyrann,
Doch Tausende erlöst' er aus geistiger Knechtschaft Bann;
Zwar haben die Herren in Kutten beim Himmel ihn schwer verklagt,
Er aber sprach, wie Hutten2, das Wort: "Ich hab 's gewagt!"

Er trotzte dem Vatikane, und seht, zum Donaustrom
Kam mit dem Friedensplane demütig der Herr von Rom! --
Es ist, seit er gestorben, viel im Östreichischen Land
Vergessen und verdorben, was einst voll Ruhm bestand.

Doch ob von Josefs Werken gar manches in Trümmern ruht
Und kaum noch ist zu bemerken; ob der Begeistrung Flut
Elend zusammenschrumpfte zu einem armselgen Bach,
Ob auch manch Volk versumpfte in Dunkel und Ungemach --

Ob auch der Zwietracht Hyder3 schleicht durch des Reichs Gefild,
Ob sich erheben wieder der Nacht Dämonen wild,
Sie, die da lieben zu schwärzen, was strahlend sich erweist -- --
Noch lebt in vielen Herzen der Josefinische Geist.

Drum tragt hinaus in die Weite, ihr Glocken den Jubelton
Am Tag, da Josef der Zweite einst stieg auf der Väter Thron! --
So tönt des Deutschen Stimme. Da aber finstern Sinns
Erhebt sich in Zornes Grimme Herr Rudigier4 von Linz:

"Bei meiner Bischofsmitra und meinem Hirtenstab,
Ihr Völker, cis et citra5, die ich zu weiden hab,
Ihr dürft nicht feiern den Kaiser auf meines Sprengels Flur;
Nein beten sollt ihr mit leiser und trauriger Stimme nur --

Ja beten für den Frieden der Seele, die heut verdammt,
Für ihn, der seit er geschieden, vielleicht in der Hölle flammt,
Weil er uns hat misshandelt und schweres Leid getan,
Und einst auf Erden gewandelt als zweiter Diokletian6!

Drum schließt des Tempels Pforte! Wir preisen den Kaiser nicht!" --
So klingen des Bischofs Worte; der Deutsche aber spricht:
Festbecher wollen wir schwenken, und wenn der Becher kreist,
Dann sei 's dir zum Gedenken, du Josefinischer Geist!

Erklärungen:

1 29. November 1880: hundertster Todestag der Erzherzogin ("Kaiserin") Maria Theresia von Österreich, Beginn des Josephinismus unter Kaiser Joseph II.

"Noch in demselben Jahre [1780], am 29. Nov., starb Maria Theresia, und bald sollte sich das Wort Friedrichs II.: »Voilà un nouvel ordre des choses!« in unglaublicher Eile bewahrheiten. In unermüdlicher, übereilter Tätigkeit wollte Joseph II. nunmehr das Reformwerk durchführen, das seit Jahrzehnten Ideal und Ziel seines Lebens war. Durch zahllose Verordnungen und Gesetze, die in raschester Folge mit überstürzter Hast erflossen, wollte er seine Pläne und Neuerungen durchführen: die zahlreichen, bisher nur lose verbundenen Länder und Völker sollten zu einem einheitlichen, streng zentralistisch verwalteten Staat vereinigt werden, in dem alle Sonderrechte und Privilegien der einzelnen Länder und ihre historisch ausgebildeten Eigentümlichkeiten verschwinden sollten. Dieser höhere Zweck erforderte auch, dass die Standesvorrechte des Adels und des Klerus beseitigt wurden. Von der richtigen und klaren Einsicht geleitet, dass das Übergewicht des römischen Stuhles und der katholischen Hierarchie beseitigt werden müsse, wenn die österreichische Verwaltung zur Selbständigkeit des modernen Staatsbegriffs erhoben werden solle, begann er mit kirchenpolitischen Reformen in großem Maßstabe. Durch eine Reihe von Verordnungen verfügte er im Verlaufe des Jahres 1781: Einschränkung des Verkehrs der geistlichen Orden mit den Obrigkeiten in Rom, Streichung einiger Bullen, in denen eine widerrechtliche Ausdehnung der päpstlichen Gewalt zum Ausdruck kam, aus allen Ritualen, die Aufhebung der päpstlichen Dispense, der Rekurse, des Bischofseides und der Litterae apostolicae, das Verbot der Annahme päpstlicher Ämter und Titel und des Besuchs der in Rom befindlichen theologischen Anstalten. Diesen wichtigen Reformen folgte die Erlassung des Toleranzpatents vom 20. Okt. 1781, die Aufhebung aller jener Ordenshäuser, deren Angehörige »weder Schule halten, noch predigen, noch den Beichtstuhl versehen, noch den Sterbenden beistehen, noch sonst in studiis sich hervortun«, laut Erlass vom 29. Nov. 1781, die Einziehung ihres Vermögens und die Gründung des Religionsfonds sowie die Dotation von trefflichen Unterrichts- und Humanitätsanstalten aus dem konfiszierten Klostergut. Bald griff die Regierung Josephs auch in die internen Angelegenheiten der Kirche und des Gottesdienstes ein. »Andachtsordnungen«, Gesetze gegen den »kirchlichen Flitterstaat«, Verordnungen über Prozessionen, Wallfahrten, Ablässe etc. und namentlich das unglückliche Gebot des Begrabens der Toten in Säcken, ohne Kleider und in Kalkgruben, alle diese Dinge, die bestimmt waren, »Aufklärung« zu bewirken, erregten Hass und Verdruss und selbst tiefer gehenden Widerstand seitens des Volkes. Dabei hielt J. doch sehr bestimmt den Begriff der Staatskirche als einer katholischen aufrecht. Das Verhältnis der nichtkatholischen Konfessionen vermochte er daher nicht anders als unter dem Gesichtspunkt einer möglichst weitgehenden Toleranz zu fassen. Obwohl sich nun in Ländern, wo die religiösen Fragen längst durch gesetzliche Bestimmungen geregelt waren, wie in Ungarn und Siebenbürgen, eine berechtigte Opposition gegen das »Toleranzpatent« gerade von Seiten der Protestanten erhob, so wirkten doch die damit zusammenhängenden Verordnungen segensreich auf die Zustände in den andern Ländern, wo endlich ein anderthalb hundertjähriger Druck von vielen protestantischen Gemeinden hinweggenommen wurde. Um übrigens den leichtfertigen Übertritt von der katholischen Religion zu andern Konfessionen zu verhindern, schrak J. selbst vor Zwangsmaßregeln nicht zurück, und wie er die Sekte der Deïsten durch »Karbatschenstreiche« ausrotten wollte, so fehlt es auch nicht an Beispielen harter Kabinettsjustiz gegenüber von Mönchen, die aus eignem Entschluss ihren Orden verlassen wollten, oder gegen Protestanten, die wegen Proselytenmacherei Verdacht erregten.

Um den Neuerungen Josephs in Österreich ein Ziel zu setzen, begab sich der Papst Pius VI. 1782 persönlich nach Wien, ohne jedoch etwas zu erreichen. Keinen Augenblick wurde die Reform unterbrochen, vielmehr auch auf das Gebiet der Diözesaneinteilung ausgedehnt, wobei dem Kaiser ernstlichere Schwierigkeiten den deutschen Kirchenfürsten gegenüber entstanden, deren Rechte in den österreichischen Erbländern aufgehoben worden waren. Insbesondere wurden so die Bischöfe von Passau, Salzburg und Bamberg zu entschiedener Opposition gegen J. gedrängt, die sich schließlich in dem Fürstenbund Ausdruck verschaffte; und als J. das Projekt der Gewinnung Bayerns durch Austausch gegen Belgien 1785 wieder aufnahm, trat Friedrich II. dem Fürstenbund bei und versetzte dadurch der österreichischen Politik in Deutschland eine unheilbare Wunde. Das kirchliche Territorialsystem aber, das J. gegründet hatte, vermochten die deutschen Bischöfe nicht zu erschüttern. Zu den neuen Diözesaneinteilungen in Österreich gewann J. schließlich die Einwilligung der römischen Kurie, als er den Besuch des Papstes schon 1783 unerwartet in Rom erwidert hatte und nun dafür sorgte, dass der Bruch mit Rom nicht allzu tief und nachhaltig werde. Die vornehmste Sorge Josephs richtete sich fortan auf die Heranbildung eines staatstreuen Klerus, das Unterrichtswesen überhaupt erhielt eine den Staatszwecken ausschließlich dienende Richtung. Das System all dieser Reformen, in dem sich nicht nur die Unabhängigkeit des Staates von der Kirche, sondern auch eine gewisse Bevormundung der letztern durch den Staat ausdrückte, begreift man mit dem Namen Josephinismus. Am wohltätigsten wirkten ohne Zweifel die Maßnahmen Josephs auf dem Gebiete der sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Verhältnisse. Er sorgte rege für das Ansiedelungswesen und insbes. für die Niederlassung von Deutschen in den slawischen und magyarischen Ländern, um das deutsche Element in diesen Gebieten zu stärken. Er legte den Grund zu einem bessern und gerechtern Steuersystem, das aber vielfach Widerspruch erregte, weil es den Adelsvorrechten entgegentrat und alle ständischen Privilegien beseitigte, aber auch dem Bürger nicht passte, der in der Einschränkung der Konsumtionsfähigkeit des Adels seinen Nachteil erblickte. Die gänzliche Aufhebung der Leibeigenschaft in Fortsetzung der schon von Maria Theresia begonnenen Urbarialgesetzgebung war das dauerndste Resultat der Josephinischen Gesetzgebung; das Patent für Böhmen und Nebenländer erschien 1. Nov. 1781. In bezug auf Josephs Reformen im Justizwesen zeigte sich der unruhige Geist und der stets wachsende Widerspruch der Verordnungen besonders nachteilig. So wurde die Todesstrafe erst aufgehoben und in solche Strafen verwandelt, die, wie Schiffziehen und Gassenkehren, die öffentliche Meinung gegen sich hatten; bald aber führte eine neue Ordonnanz die Todesstrafe wieder ein. Ähnliche Schwankungen zeigten Josephs Verordnungen über die Bücherzensur und Pressfreiheit; Schillers »Räuber« und die deutsche Übersetzung von Voltaires Schriften blieben verboten. Dagegen verdienen Josephs Schöpfungen für das Wohl der Armen und Leidenden: Kranken- und Irrenhäuser, Gebär- und Findelanstalten, Waiseninstitute, Besserungsanstalten, Institute zur Heranbildung von Militärärzten, uneingeschränktes Lob.

Trotz des Widerstandes, den J. in den Erbländern fand, würden indes seine Gesetze nachhaltiger gewirkt haben, wenn das Ansehen seiner Regierung nicht durch seine äußere Politik völlig erschüttert worden wäre. Bei persönlicher Bewunderung Friedrichs II. war er doch zu sehr in den österreichischen Traditionen befangen, als dass er nicht die lebhafteste Eifersucht gegen das wachsende Ansehen Preußens empfunden hätte, und diese Eifersucht ward erwidert, indem der Preußenkönig dem Lieblingsplan Josephs II., Bayern zu erwerben, entgegentrat und so dieses für Österreichs Stellung in Deutschland epochemachende Projekt durchkreuzte. Indem J. Anlehnung an fremde Staaten, bald an Frankreich, bald an Russland, suchte, missglückten ihm die nächsten Unternehmungen. Als er die alten Verträge über die Scheldeschiffahrt mit den Holländern lösen wollte, musste er als römischer Kaiser die Beleidigung seiner Flagge durch das stolze kleine Nachbarvolk hinnehmen und froh sein, dass Frankreich einen Ausgleich vermittelte. Der abenteuerliche Plan, das griechische Reich wiederherzustellen, und die russische Allianz führten zu dem Türkenkrieg von 1788, dessen unglücklicher Verlauf alle schlummernden Kräfte des Widerstandes in den Erbländern entfesselte. In Belgien war es schon 1787 zu blutigen Auftritten gekommen. Während der Kaiser mit Katharina II. von Russland im Chersones die weitreichendsten Pläne entwarf, zeigte sich sein Regiment in den Erbländern von seiner schwächsten Seite. Nachdem er die Statthalter der Niederlande, den Herzog Albert von Sachsen-Teschen und dessen Gemahlin, die Erzherzogin Marie Christine, wegen der Nachgiebigkeit, die sie den niederländischen Ständen gegenüber bewiesen, abberufen, wollte er durch Kabinettsaufträge über die Köpfe seiner Minister hinweg sein verlornes Ansehen militärisch wiederherstellen und befahl seinem General Murray den rücksichtslosesten Gebrauch der Waffen und Einführung des Martialgesetzes. Aber auch hier fand J. nur wenig Gehorsam, und nachdem er endlich einen fügsamen General zu diesem Zwecke gefunden, hatte er nicht die hinreichende militärische Macht, um die Revolution zu ersticken. Ganz ähnlich hatten sich die Dinge in Ungarn entwickelt. Die einfache Negation des historischen Rechts in diesem Lande, zu dessen König sich J. nicht krönen, vielmehr die Krone aus Ungarn nach Wien bringen ließ, hatte erst einen passiven, bald in den Komitaten einen faktischen Widerstand erzeugt, der seit 1789 durch die französischen Revolutionsvorgänge sichtlich befördert wurde. Schließlich von seinen treuesten Räten gedrängt, unterzeichnete er 28. Jan. 1790 jenes merkwürdige Dokument, durch das er für Ungarn mit wenig Ausnahmen alle Neuerungen widerrief und den Verfassungsstand vom Jahre 1780 wiederherstellte. Um Belgien zu pazifizieren, musste er sich zu dem noch demütigendern Schritt bequemen, die Hilfe des Papstes Pius VI. anzurufen. Gleichzeitig hatten auch die böhmischen und tirolischen Stände sich zu regen begonnen und pressten dem todkranken Kaiser das Geständnis ab: »Ich will ihnen ja alles geben, was sie verlangen; nur mögen sie mich ruhig ins Grab steigen lassen«. Kurz vor Vollendung seines 49. Lebensjahres starb er an einem Lungenleiden, das er sich in dem Feldzug an der untern Donau geholt hatte, und das durch die seelischen Schmerzen des Unterganges aller seiner Hoffnungen verstärkt wurde.

Selbst bei der kühlsten Beurteilung und schärfsten Kritik wird man die Wirksamkeit Josephs nicht unterschätzen, da sich aus dem Zusammenbruch seines Regierungssystems die wesentlichsten Prinzipien lebensfähig behaupteten. Im großen und ganzen hat er den österreichischen Regierungen und selbst dem österreichischen Volkscharakter in jeder politischen Beziehung seinen Stempel ausgedrückt, der »Josephinische Geist« war bis in die jüngste Zeit im Mittelstand Deutsch-Österreichs lebendig und ist es heute noch in der ältern Beamtengeneration. Wenn auch seine kirchlichen Ansichten von seinen Nachfolgern nicht geteilt wurden, so setzten sich dieselben doch im Bewusstsein des Volkes in der Form eines liberalisierenden Staatskatholizismus um so fester, und auch in andern Richtungen der Gesetzgebung ward durch Josephs Neffen, den Kaiser Franz II., dasjenige durchgeführt, was J. angebahnt hatte; für dessen Anhänglichkeit an seinen »zweiten Vater« gibt das schöne Monument Zeugnis, das derselbe 1807 durch den Bildhauer Zauner in Wien setzen ließ, mit der Inschrift: »Josepho II. qui saluti publicae vixit non diu sed totus«. Vor allem aber lebt J. als der großherzige Märtyrer des einheitlichen Staatsgedankens, wie man ihn nennen darf, in tausend wahren und nachgebildeten Anekdoten gefeiert, in der Tradition des Volkes Deutsch-Österreichs als dessen Liebling. Beweis dessen die zahlreichen Kaiser J.-Denkmäler, die in so vielen österreichischen, besonders in deutschen Städten Böhmens, Mährens und Schlesiens, bis in die allerneueste Zeit errichtet wurden. Von den beiden Gemahlinnen Josephs II. war die erste, Isabella, Tochter des Herzogs Philipp von Parma, schon 1763, die zweite, Maria Josepha, Tochter Karl Albrechts von Bayern (Kaiser Karls VII.), schon 1767 gestorben. Vgl. Groß- Hoffinger, Lebens- und Regierungsgeschichte Josephs II. (Stuttg. 1835–37); Meynert, Kaiser J. II. (Wien 1862); Wendrinski, Kaiser J. II. (das. 1880); Ad. Wolf und v. Zwiedineck, Österreich unter Maria Theresia, J. II und Leopold II. (Berl. 1884); Fournier, J. II. (»Historische Studien und Skizzen«, Prag 1885); S. Brunner, Die theologische Dienerschaft am Hof Josephs II. (Wien 1868), Correspondances intimes de l'empereur J. II avec Cobenzl et Kaunitz (Mainz 1871) und J. II. Charakteristik seines Lebens, seiner Regierung und seiner Kirchenreform (u. Aufl., Freiburg 1885); Beer u. Fiedler, J. II. und Graf Ludwig Cobenzl. Ihr Briefwechsel (Wien 1901, 2 Bde.); von Arneth, Maria Theresia und J. Ihre Korrespondenz samt Briefen Josephs an seinen Bruder Leopold (Wien 1867, 3 Bde.), J. II. und Leopold von Toskana, ihr Briefwechsel (das. 1872, 2 Bde.), J. II. und Katharina von Rußland. Ihr Briefwechsel (das. 1869), Marie Antoinette, J. II. und Leopold II., ihr Briefwechsel (das. 1866); Beer, J. II., Leopold II. und Kaunitz, ihr Briefwechsel (das. 1873); Ott. Lorenz, J. II. und die belgische Revolution (das. 1862); Wolf, Das Unterrichtswesen in Österreich unter Kaiser J. II. (das. 1880); Luftkandl, Die Josephinischen Ideen und ihr Erfolg (das. 1881); Schlitter, Pius VI. und J. II. von der Rückkehr des Papstes nach Rom bis zum Abschluß des Konkordates (das. 1894) und Die Regierung Josephs II. in den österreichischen Niederlanden (das. 1900). Die mehrfach (so von Schuselka) herausgegebenen »Briefe Josephs II.« sind ein Machwerk des Publizisten Großing aus dem Jahr 1790."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Ulrich von Hutten (1488 -  1523): Humanist und Reichsritter. "Ich hab's gewagt" aus: Clag und Vormanung gegen den übermäßigen unchristlichen Gewalt des Bapsts zu Rom. -- 1520.

3 Hyder = Hydra

4 Franz Josef Rudigier (1811 - 1884): seit 1852 Bischof von Linz, ultramontaner Politiker.

5 cis et citra (lateinisch) = diesseits und innerhalb, d.h. cis = in Zisleithanien, dem Gebiet diesseits der Leitha = österreichische Kronländer, citra = innerhalb der Diözese Linz

6 Diokletian = Gaius Aurelius Valerius Diocletianus (236/245 - 313/316): römischer Kaiser 284 - 305. Begann 303 die letzte und brutalste Welle der römischen Christenverfolgung.


Nachträgliches zur Josef-Feier1 in Österreich. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 33, Nr. 56. -- S. 223. --1880-12-05

Die Herrn Bischöfe von Linz2 und Graz3
Bekämpften den Geisteskämpfer,
Den Kaiser, der der Pfaffen Macht
Auflegte manchen Dämpfer.

Doch fest bestehn bleibt Josefs Werk.
Trotz beider Prälaten Ärger;
Ein Zwerg nur ist der Bischof von Linz,
Und er von Graz noch -- Zwerger3.

Erklärungen:

1 Joseph II.: siehe zum Vorhergehenden

2 Franz Josef Rudigier (1811 - 1884): seit 1852 Bischof von Linz

3 Johann VII. Baptist Zwerger (1824 - 1893): Fürstbischof von (Graz-)Seckau 1867–1893


1881


In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 1. -- S. 3. --1881-01-02

Als Bewerber um der Olmützer1 Kanonikat2 werden, laut bischöflicher Bekanntmachung, nur solche Priester zugelassen, welche im Besitz eines Adelsdiploms sind. Zur Erinnerung an diese Bekanntmachung soll Nachstehendes den lieben Olmützern empfohlen sein:

Wenn heut St.  Petrus auferstünde
Und spräch zum Bischof Rudigier3:
In Olmütz gib die Domhernn-Pfründe,
Ich bitte dich, o gib sie mir! --
Dann müsste drauf der Bischof sprechen:
Wie darfst du, Mann, als schlichter Christ
Dich solchen Wunsches nur erfrechen,
Da du ja nicht von Adel bist?
Nur wer als Ritter ist geboren,
Darf werden zum Kanonikus
Des Domkapitels hier erkoren.
Das  merke dir! Non possumus!4

Erklärungen:

1 Olmütz (heute: Olomouc, Tschechien)

2 Kanonikat = Amt des Kanonikus (Domherr, Mitglied des Domkapitels)

3 Franz Josef Rudigier (1811 - 1884): seit 1852 Bischof von Linz (!), ultramontaner Politiker. Erzbischof von Olmütz war damals Kardinal Friedrich Egon von Fürstenberg (1812 - 1892): Erzbischof von Olmütz 1853 - 1892

4 Non possumus (lateinisch) = Wir können nicht: mit Anwendung der Stelle aus Apostelgeschichte 4, 20 ("Denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden"), Antwort des Papstes Clemens VII. auf die drohende Aufforderung des Königs Heinrich VIII. von England, ihn von seiner Gemahlin Katharina zu scheiden; seitdem allgemeine Formel für jede Weigerung des päpstlichen Stuhles, einer den Grundsätzen der katholischen Kirche widersprechenden Forderung nachzugeben. Von Pius IX. ständig verwendet gegenüber allen Forderungen der Neuzeit.


Indische Weisheit. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 12. -- S. 46. --1881-03-13

Aus den Büchern der Brahmanen sollst du hohe Weisheit lesen
Und einprägen deinem Geiste: Dreifach ist der Gottheit Wesen,
Dreifach zeigt sich uns Trimurti, der da ist die Weltenseele;
Was auf Erden und im Äther webt, das steht ihm zu Befehle.
Brahma schuf einst die Gestirne, die in ewgen Bahnen kreisen,
Schuf die Sonn und Mond und Erde, die am Himmelsbogen reisen.
Ihm zu Ehre dampft der Täler und der Meere feuchter Brodem;
Allen irdischen Geschöpfen blies er ein lebendgen Odem.

Ja, soweit die Augen schauen, schuf er mächtig ohne Gleichen,
Völker schuf er, und die Völker eint er zu gewaltgen Reichen.
Brahma ist der große Schöpfer, aber Wischnu der Erhalter;
Nach urewigen Gesetzen herrscht er weise als Verwalter.
Und damit wir ihn erkennen als den Gott gerechter Handlung,
Stieg herab er, und er zeigte sich in mannigfacher Wandlung:
Bald als Eber hieb die Hauer er in seines Feindes weiche,
Bald als Fisch ward er gefürchtet, gleich dem Hecht im Karpfenteiche,
Bald als Zwerg und bald als Riese stieß er Könge von den Thronen,
Bald als Löwe kämpft' er siegreich wider Götter und Dämonen,
Wider Erd- und Wassergeister, wider Frevler und Empörer.

Wischnu heißt der Welt Erhalter, aber Siwa der Zerstörer,
Denn -- so lehren dich die Veda -- dies ist göttliches Verhängnis:
Auch was Brahma hat geschaffen, ist verfallen der Vergängnis!
Und -- so sprach in diesen Tagen ein Brahmane, der auf Erden
Schon gestrebt, wie 's Weisen ziemet, auch gottähnlich einst zu werden:
Alles wechselt, Zeit und Menschen, Macht und Freiheit, Krieg und Frieden;
Denn es gibt, beim ewgen Himmel, keine Ewigkeit hienieden!

Darum -- seist du aus dem Volke, seist du selber schon gottähnlich
Als Brahmane -- sollst in Demut du zum Himmel blicken sehnlich;
Und du sollst ui Brahma flehen, dass er dein Gebet erhöre
Und, was er einst selbst geschaffen, nicht als Siwa selbst zerstöre. 


Zur Judenverfolgung in Russland1. Ein Wort an die Herren Antisemiten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 23/24. -- S. 95. --1881-05-22

Seht her! Was dort das Judenvolk erleidet,
Beschwört ihr auch in unser Land:
Der Pöbel übersetzt in Mord und Brand,
Was ihr in schöne Worte kleidet.

Erklärung:

1 Nach dem tödlichen Attentat auf Zar Alexander II.(Алекса́ндр II Никола́евич) am 13. März 1881 ging durch Russland bis 1884 eine Welle von Pogromen. Jüdische Häuser, Geschäfte, vor allem aber Wirtshäuser werden geplündert. Es kommt zu Vergewaltigungen und Morden. Allein für 1881 schätzt man 40 Todesopfern und 225 Vergewaltigungen.



Abb.: Mobiltektonischer Vorschlag für ein Parlamentsgebäude auf Rollen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 23/24. -- S. 96. --1881-05-22

Um einerseits dem immer dringender werdenden Bedürfnis nach einem Parlamentsgebäude zu genügen, und andererseits den lokomobilen Ansichten des Kanzlers Rechnung zu tragen, sollte man doch Reichs- und Landtagsgebäude auf Rollen herstellen!

Erläuterung:

Ultramontan: Zentrumspartei


Traurige Lage. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 26. -- S. 103. --1881-06-05

In Deutschland sinds die Christen,
In Russland die Nihilisten,
Welche gegen sie wüten.
Gott helf den armen Semiten!

Erklärung:

Zu den Pogromen in Russland siehe oben!


Redende Steine. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 34. -- S. 134. --1881-07-24

Du armer toter Pio Nono1,
Dich, den vergöttert einst dein Rom,
Bewarfen schmählich sie mit Steinen,
Da man dich trug aus Peters Dom.

Zerbröckelt schein St. Petri Felsen2,
Der einst dich stolz getragen hat,
Und mit den losen Steinen warfen
Sie nun dich aus der "ewgen Stadt."

Wie? Oder wär 's das arge "Steinchen",
Das du einst freundlich uns geweiht?
Ins Rollen kam es und ins Sausen,
Doch -- anders als du prophezeit!

Erklärungen:

1 Papst Pius IX. (1792 - 1878). Sein Leichnam wurde in der Nacht des 13. Juli 1881 in die Kirche San Lorenzo fuori le Mura überführt. Eine Volksmenge bewarf den Leichenzug mit Schmutz und Steinen und versuchte den Leichnam in den Tiber zu werfen.

2 S. Matthäusevangelium 16, 18: Und ich sage dir auch / Du bist Petrus / und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde / Und die Pforten der Höllen sollen sie nicht überwältigen. (Lutherbibel)


Dr. Korum1. Ein Charakterbild nach den Mitteilungen der verschiedenen Zeitungen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 38/39. -- S. 154. --1881-08-21

Vernehmt: er wurde auferzogen
Zu Innsbruck im Jesuitenstift;
Dort hat er heftig eingesogen
Loyola's2 Trug und Hass und Gift.
Drum blieb er bis zu dieser Stunde
So kindlich rein und fromm und schlicht;
Es geht kein Wort aus seinem Munde,
Das nicht die lautre Wahrheit spricht.

Zum Deutschen Bischof will man wählen
Ihn, der kein Deutsch kann? Schreck und Graus!
Er bringt, wie er sich möge quälen,
Nicht einen richtgen Satz heraus.
Wird doch an Feuer, Kraft und Schwunge
Als bester Redner er geehrt,
So weit man noch in Deutscher Zunge
Das Bibelwort im Reichsland lehrt!

Als Deutschland sich sein Kind der Schmerzen

Zurück gewann mit starker Hand,
Da hat er sich aus vollem Herzen
Sogleich zum neuen Reich bekannt.
Denkt er des Reichs, fasst ihn ein Beben
Der Wut, er ist ihm spinnefeind;
Den Tag noch hofft er zu erleben,
Der seinem jähen Sturze scheint.

Zum Koadjutor auserlesen
War er für Matz, wie jeder weiß;
Da zeigte sein bescheidnes Wesen
So recht der allverehrte Greis.
Entschieden hört' man stets ihn sagen,
Ihn lockten Würden nicht und Macht;
Denn, wie gesagt, ihn vorzuschlagen,
Daran hat nie ein Mensch gedacht.

Manteuffel2 hat ihn oft empfangen
Mit warmem Handdruck im Palast;
Er sprach, wenn Korum fortgegangen,
Gar oft: "Da ging mein liebster Gast!" --
"Ja, ja, der Korum ist ein Schlimmer!" ..
Sprach oft er zu der Freunde Chor --
"Den Reichsfeind schlag ich nun und nimmer
Zum Bischof der Regierung vor!"

O Tag der Schmach, wenn Dr. Korum
Als Bischof tritt im Sprengel an!
Ohnmächtig grollend windet Flor um
Den Hut ein freier Deutscher Mann.
O segensreicher Tag erscheine,
Wo er zur Freude aller Welt,
Zum Wohl des Staats und der Gemeine
Am Moselstrande Einzug hält!

Erklärungen:

1 Die vielen Anspielungen werden klar aus den Angaben im ausgezeichneten Lexikonartikel von Martin Persch:

"KORUM, Michael Felix, Bischof von Trier, * 2.11. 1840 in Wickerschweier (Elsass), + 4.12. 1921 in Trier. - Der aus einer Lehrerfamilie stammende K. wuchs mit vier Geschwistern in Colmar auf. Er besuchte bis zu seinem zehnten Lebensjahr die Volksschule der Maristen (Schulbrüder) und anschließend das Collège libre. Mit dem Reifezeugnis versehen verließ er im Jahre 1857 das bischöfliche Gymnasium in Colmar und studierte drei Jahre lang am Priesterseminar in Straßburg. Ab Mai 1861 studierte er an der Hochschule der Jesuiten in Innsbruck eine streng scholastisch ausgerichtete Philosophie und Theologie und schloss dieses Studium mit der Promotion zum Dr. theol. im November 1865 ab. Am 23.12. 1865 wurde er in Straßburg zum Priester geweiht und lehrte ab dem Jahre 1866 Philosophie am Kleinen Seminar (Knabenseminar) St. Stephan in Straßburg. Seit 1869 wirkte er als Professor der Kirchengeschichte, seit 1872 als Lehrstuhlinhaber für Dogmatik und neutestamentliche Exegese am Straßburger Priesterseminar. Die enge Verzahnung von Seelsorge und Lehre am Priesterseminar hat es mit sich gebracht, dass K. »zwar ein erfolgreicher Seminarlehrer war, aber niemals eine wissenschaftliche Publikation vorgelegt hat« (Alois Thomas). In Straßburg erlebte er Ausbruch und Ende des deutsch-französischen Krieges und den Anfall des Elsass mit Lothringen an das Deutsche Reich. Im Jahre 1872 wurde er zum französischen Domprediger am Straßburger Münster und am 30.10. 1880 zum Dompfarrer der Kathedrale, Domkapitular und Geistlichen Rat ernannt. Infolge dieser Ämter, die von Kaiser Wilhelm I. als Rechtsnachfolger des französischen Staates aus dem Konkordat von 1802 bestätigt wurden, legte er sein Amt als Professor am Priesterseminar nieder. Überhaupt scheint die praktische Seelsorge eines seiner Hauptanliegen gewesen zu sein: er wirkte von 1869 bis 1880 u. a. noch als Beichtvater, Religionslehrer am staatlichen Gymnasium und bei den deutschen Truppen, unter den Studenten und der Arbeiterjugend und als Präsident der Vinzenzkonferenz und des Bonifatiusvereins. Den Bemühungen des Metzer Bischofs Paul-Georges-Marie Dupont des Loges, ihn 1880 zum Koadjutor cum iure successionis ernennen zu lassen, widerstand K. erfolgreich; ähnliche Bestrebungen des Straßburger Bischofs Andreas Raess im Folgejahr lehnte er ebenso mit Erfolg ab. - Im Sommer 1881 einigten sich der Vatikan und die preußische Regierung unter starkem persönlichen Engagement Bismarcks im Zeichen der Bemühungen um eine allmähliche Beendigung des Kulturkampfes auf K. als Bischof der seit 1876 vakanten Diözese Trier. Kaiser Wilhelm I. hätte dagegen lieber den aus dem Bistum Trier stammenden Freiburger Professor Franz Xaver Kraus auf dem Trierer Bischofsstuhl gesehen, doch wurde ihm die Zustimmung zu Korum »abgelistet« (Hubert Schiel). Der »altfranzösische« Kandidat für den preußischen Bischofsstuhl wurde nach anfänglich starkem Widerstand von Papst Leo XIII. persönlich zur Annahme bestimmt, erhielt am 12.8. 1881 nach Verzicht des Trierer Domkapitels auf sein Wahlrecht die päpstliche Ernennung und bereits zwei Tage später in der französischen Kirche S. Trinità dei Monti in Rom die Bischofsweihe durch Kardinal Raffaele Monaco la Valetta, den Generalvikar des Papstes für das Bistum Rom. Am 30.8. 1881 erfolgte die staatliche Anerkennung als Bischof von Trier; es handelte sich somit um die erste Besetzung eines Bischofstuhls in Preußen während des Kulturkampfes. Besitz vom Bischöflichen Stuhl in Trier nahm K. am 25.9. 1881. - Wider Erwarten wurde der neue Trierer Bischof aber nicht zum Vermittler zwischen Rom und Preußen, sondern zum unbeugsamen, vom französischen Restaurationsdenken geprägten und streng römisch eingestellten Stimmführer der Majorität des deutschen Episkopats gegenüber der preußischen Kirchenpolitik. [...]"

Quelle: Martin Persch. -- http://www.bautz.de/bbkl/k/Korum.shtml. -- Zugriff am 2008-02-05]

2 Edwin Hans Karl, Freiherr von Manteuffel (1809 - 1885): preußischer Feldmarschall, Reichsstatthalter von Elsass-Lothringen



Abb.: Der Klügere. Frei nach Ludwig Hahn1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 42. -- S. 168. --1881-09-11

Die Mauer ist von Stein, meine Stirn nicht von Eisen; warum soll ich mit dem Kopf durch die Wand?

Erklärung:

1 Ludwig Ernst Hahn (1820 - 1888): Beamter im preußischen Unterrichtsministerium. Schrieb:

Hahn, Ludwig Ernst <1820 - 1888>: Geschichte des Kulturkampfes in Preußen : in Aktenstücken dargestellt. -- Berlin : Hertz, 1881, XXXII, 277 S.


Der Nuntius kommt! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 43. -- S. 169. --1881-09-18

Der Nuntius kommt! -- Nun, mög er kommen,
Wenn er einmal nicht anders kann!
Vielleicht, zu unser Aller Frommen,
Ist er ein ganz humaner Mann.

Der Nuntius kommt! -- Nun, er erscheine!
Steht seine Schädlichkeit so fest?
Ist er nicht doch vielleicht beim Weine
Ein Mann, mit dem sich reden lässt?

Der Nuntius kommt! -- Nun, meinetwegen!
Was schert sein Kommen uns so sehr?
Es wär vielleicht sogar ein Segen,
Wenn er schon längst gekommen wär.

Der Nuntius kommt! -- Lasst doch, ich bitte,
Zufrieden mich mit diesem Herrn!
Vielleicht, wenn erst er seine Schritte
Hierher gelenkt, hab ich ihn gern.

Der Nuntius kommt! -- Was will das sagen,
Eh man ihn wirklich sich besehn?
Sein Anblick weckt vielleicht Behagen,
Vielleicht scheint selbst den Fraun er schön.

Der Nuntius kommt! -- Nun denn, ich gönne
Sein Kommen ihm, wie dies Gedicht;
Seitdem ich unsre Schwarzen kenne,
Nein, fürcht ich keinen Nuntius nicht.


Wider die Fälscher. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 44/45. -- S. 175. --1881-09-25

Zu Limburg hat zu Glanz und Ruhm
Der Kirche sonder Fehle
Gethront einst Bischof Josef Blum1,
Die biedre Zecherseele.

Der hat zum Heil für Leut und Land,
Für Jetztzeit und Futurum
Geschrieben, wie vom Priesterstand
Ein guter Messwein2 wird erkannt --
Vinum de vite purum3.

Dieweil -- schreibt Herr Episcopus4 --
Ein Priester für die Seinen
Die Messe zelebrieren muss
In unverfälschten Weinen.

Also erprob er zuvor schlau,
Was in der Flasche blinke,
Und erst, wenn er erforscht genau,
Dass drin er nichts Verdächtges schau,
Ermann er sich und -- trinke!

Den guten Messwein soll man nit --
Wie oft geschieht von Welchen,
Von Teutschen auch -- durch sündgen Sprit,
Auch nit durch Wasser fälschen.

Zur Schönung hole man herbei
Nicht Ei5 noch Hausenblase6:
Man treib nicht eitel Färberei,
Nicht Zucker, Heidelbeer noch Blei
Soll täuschen Aug und Nase!

Und wer da Träublein baut und presst,
Der schwör, dass er sie presse
Wie Sankt Urban7 sie wachsen lässt
Zum Liebeswerk der Messe;

Dass edel sei, was er uns beut,
Und reif -- vinum maturum8;
Denn was uns Herz und Zung erfreut,
Das war von je und ist bis heut
Vinum de vite purum3.

Nur wer da schwört, dass er den Wein
Nie fälschen will noch taufen,
Bei solchen Christen ganz allein
Soll man den Messwein kaufen.

Nur solcher Wein sei benedeit
Mit gutem Wort: "Bibamus!"9
Zu solchem itzt und allezeit
Stimm an mit seiner Geistlichkeit
Das Volk sein: "Gaudeamus!"10

Erklärungen:

1 Peter Josef Blum (1808 - 1884): Bischof von Limburg 1842 - 1877 (Absetzung wegen Übertretung der Maigesetze), 1883 (Begnadigung) - 1884.

2 Messwein

"Wurde früher hauptsächlich Rotwein als Messwein verwendet so wird heute vorwiegend Weißwein genommen. Das römisch-katholische Kirchenrecht schreibt vor, dass der Messwein „naturrein und aus Weintrauben gewonnen und nicht verdorben sein darf“. (siehe auch Abschnitt „Geschichtliche Aspekte“) Diese Grundvorschrift wurde immer wieder durch Messweinverordnungen erläutert, zuletzt im Jahr 1976. Nach dieser Verordnung muss der Wein aus Trauben sein. Zuckerzusätze oder unerlaubte Beigaben sind verboten. Erlaubt ist jedoch die Beigabe von reinem Alkohol aus Wein. Diese Anforderungen werden heute von allen gesetzlichen Prädikatsweinen erfüllt, auch Sherry oder Portwein kommen grundsätzlich als Messwein in Frage, wenngleich sie nur selten aus Haltbarkeitsgründen verwendet werden. Tafelwein ist als Messwein nicht zugelassen. Noch heute ist es üblich, dass Lieferanten von Messwein auf die Qualität ihrer Produkte („reiner, klarer Wein“) vereidigt werden. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, als diese Vereidigungen große offizielle Veranstaltungen waren, erfolgt der Eid heute nur noch schriftlich. Über die Zulassung eines Weines als Messwein entscheidet der Bischof, welcher die Messweine auch alle fünf Jahre überprüft und bestätigt. Bezieher von Messwein sind von der Kirche verpflichtet, ihren Wein bei vereidigten Händlern zu beziehen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Messwein. -- Zugriff am 2008-02-06]

3 Vinum de vite purum (lateinisch) = reiner Traubenwein

4 episcopus (lateinisch) = Bischof

5 Mit Eiweiß kann man Flüssigkeiten klären.

6 Hausenblase

"Die Hausenblase (engl. Isinglass) ist die getrocknete Schwimmblase des Hausen (auch bekannt unter dem Namen Beluga, eine Störart), der in den Flüssen um das Kaspische und das Schwarze Meer heimisch ist und der hauptsächlich der Gewinnung von Kaviar dient. Heute steht der Hausen (wie die anderen Störarten) unter Artenschutz. In die USA und andere Länder besteht Importverbot. Hausenblase ist deshalb kaum noch erhältlich. So werden Schwimmblasen von anderen Fischen, zum Teil aus Südamerika auch unter diesem Namen angeboten, Die Schwimmblase wird nach dem Fang des Fisches ausgenommen, in heißes Wasser eingelegt, von Blutadern und den sie umliegenden Muskeln befreit und daraufhin getrocknet. Hausenblase besteht bis zu 70% aus Kollagen.

Verwendung

Hausenblase löst sich nur im Sauren (z.B. in Weinsäure) und dient hauptsächlich zur Schönung (Klärung) von Wein und Bier. Durch Beigabe von wenig Hausenblase (ca. 1 Gramm pro Hektoliter) flocken Trubstoffe aus der Flüssigkeit aus (Kollagen reagiert mit Gerbstoffen zu unlöslichen Verbindungen, die auch die anderen Schwebstoffe mitreißen) und setzen sich so schneller am Boden ab bzw. lassen sich dann leichter abfiltrieren. Der Geschmack des Weines wird dabei nicht beeinflusst. Das Verfahren wird heute ersetzt durch verfeinerte Filtrationsverfahren.

Die Hausenblase wird heute noch bei der Herstellung von Wein nach jüdischen Speisegesetzen verwendet."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hausenblase. -- Zugriff am 2008-02-06]

7 Hl. Urban von Langres († (vermutlich) 23. Januar 375): Bischof, Schutzpatron der Winzer, oft mit Papst Urban I. verwechselt.

8 vinum maturum (lateinisch) = reifer Wein

9 Bibamus (lateinisch) = lasst uns trinken!

10 Gaudeamus (lateinisch) = lasst uns fröhlich sein!


Benevolo Lectori1. Oder: Was ich für meine wohlgeneigten Leser schon lange auf dem Herzen habe. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 52. -- S. 207. --1881-11-13

Stöcker2 führt das Regiment nach der allerneusten Mode;
Stöcker, Vizepräsident in der Provinzialsynode,
Stöcker, Herr und Schutzpatron, Präses aller Seelenpfleger
So für innre Mission als für die der fernsten Nager!
Stöcker, predgend heut im Dom zu Berlin bigotte Theses,
Morgen an dem Elbestrom perorierend -- ei Herrcheses!
Stöcker, Reichtags-Candidus. hier in Dresden, auch in Minden,
Zionsburg-Apostolus, predgend Wellen rings und Winden!
Stöcker, Licht und Oberhaupt, gieriger Semitenfresser,
Stöcker, glänzend ruhmumlaubt, an der Panke Schlammgewässer!
Stöckers Geist, universal, Stadt- und Staat- und Weltbekehrer;
Stöcker, christlich-fromm-sozial, des Janhangels weiser lehrer!
Stöcker, zehnmal klüger noch als Professor am Seziertisch,
Großes leistend jede Woch auf der Kanzel und am Biertisch.
Neuer Luther, Zwingli, Hus, Vorbild urfamoser Kerle,
Wundertätger Spiritus, Edelstein, Brillant und Perle!
Und in jedem Zeitungsblatt für die Bös- und Gutgesinnten,
Nur von Stöcker liest die Stadt, Stöcker vorn und Stöcker hinten!
Wenn ich bis zur Ungebühr diesen Namen schreib alltäglich --
Ich kann wahrlich nichts dafür, denn es ist mir selber eklig.
Doch des chronischen Übels Schuld -- also spricht des Reichs Verweser --
Heilt die Zeit ja und Geduld. Hab Geduld drum, lieber Leser!

Erklärungen:

1 benevolo lectori (lateinisch) = dem geneigten Leser

2 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, christlicher Sozialpolitiker, Antisemit

"Stöcker, Adolf, Theolog und Sozialpolitiker, geb. 11. Dez. 1835 in Halberstadt, studierte in Halle und Berlin Theologie, wurde 1863 Pfarrer in Seggerde (Kreis Gardelegen), 1866 in Hamersleben, 1871 Divisionspfarrer in Metz und 1874 Hof- und Domprediger in Berlin. Seit 1877 trat er in öffentlichen Versammlungen gegen die Führer der Sozialdemokratie auf und suchte durch Gründung einer christlich- sozialen Partei (s. ð Christlich-soziale Reformbestrebungen) die Arbeiter für christliche und patriotische Anschauungen wiederzugewinnen, zugleich aber ihre Forderungen des Schutzes gegen die Ausbeutung des Kapitals und einer Verbesserung ihrer Lage zu unterstützen. Die neue Partei gewann aber nur an wenigen Orten zahlreichere Anhänger, da S. durch seinen fanatischen Eifer gegen alles, was liberal hieß, besonders in kirchlicher Beziehung die Opposition der öffentlichen Meinung wach rief. Auch ging er in seinen Agitationen gegen das Judentum oft weiter, als es sich mit seiner Stellung vertrug. 1879 in das Abgeordnetenhaus, 1880 (bis 1893) und 1898 auch in den Reichstag gewählt, wo er sich der streng konservativen Partei anschloß, erhielt er 1890 seine Entlassung als Hofprediger; 1896 trat er aus der deutsch- konservativen Partei und dem Evangelisch-sozialen Kongreß aus und gründete mit andern die Christlich- soziale Konferenz. S. ist Vorsitzender der Berliner Stadtmission, Mitglied des Generalsynodalvorstandes und seit 1892 Herausgeber der »Deutschen evangelischen Kirchenzeitung«. Er veröffentlichte mehrere Jahrgänge »Volkspredigten« (gesammelt in 7 Bänden), »Das Leben Jesu in täglichen Andachten« (Berl. 1903, Volksausg. 1906), sowie zwei Sammlungen seiner Reden und Aufsätze: »Christlich-sozial« (das. 1885, 2. Aufl. 1895), »Wach' auf, evangelisches Volk« (das. 1893) und »Gesammelte Schriften« (das. 1896 f.). Vgl. seine Schrift »Dreizehn Jahre Hofprediger und Politiker« (Berl. 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Zur Erklärung der Erdbeben am Rhein. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 55. -- 1. Beiblatt. --1881-11-27

Jüngst sprach der Vater Rhein:
"Mir fährt durch Mark und Bein
Der Schmerz, der schneidig bittre.
Weh! klerikalen Sinns
Die ganze Rheinprovinz!
Was wird daraus? Ich zittre!

Frau Nahe sah sich um:
"Wie drollig, kraus und dumm
Stehn rings um uns die Sachen!" --
Und Mosel, Main und Aar,
Sie rufen: "Lächerbar!" --
Und schütteln sich vor Lachen.

Doch Mutter Erde sprach:
"Weh, dass ich solche Schmach
Und solch Gespött erlebe!
Das Volk, einst groß und frei,
Im Joch der Klerisei!
Ich steh voll Schmerz und bebe!

Ach, schwarze Herren nur,
Wohin auf Rheinlands Flur
Ich meinen Blick auch sende!
'ne alte Wand muss da
Am Ende wackeln ja!" --
Da wackelten die Wände!


An Freund und Feind. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 57. -- S. 225. --1881-12-11

Es ist bestimmt auf dieser Welt1,
Dass man von dem, was fest man hält,
Soll lassen.
Und hältst du doch so fest und hoch,
Du musst am End es lassen doch --
Ja lassen!

Ist die Zivileh dir beschert,
Und scheint sie dir des Bleibens wert,
So glaube:
Sie ist kaum wenge Jahr in Kraft,
Dann wird sie wieder abgeschafft --
Das glaube!

Und tut so recht von Herzen schier
Die simultane Schule dir
Gefallen,
So frage nicht, warum und wie,
Und denk: in Bälde ist auch sie
Gefallen.

[...]

Und willst den Papst in finsterm Groll
Zu ewgem Kampf du trutzesvoll
Bescheiden,
Hab Acht: du wirst doch sicherlich
Einst vor dem Papste beugen dich
Bescheiden.

Denn Alles wandelt: Wind und Meer,
Die Sonne und der Sterne Heer
Beständig.
Von Stillstand nirgend eine Spur;
Die Welt ist ja im Wechsel nur
Beständig!

Erklärung:

1 Parodie auf: "Es ist bestimmt in Gottes Rat", Text: Ernst von Feuchtersleben (1806-1849), 1825; Melodie: Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), 1839

Es ist bestimmt in Gottes Rath,
Daß man vom Liebsten, was man hat,
Muß scheiden, ja scheiden;
Wiewohl doch nichts im Lauf der Welt,
Dem Herzen, ach! so sauer fällt,
Als Scheiden, als Scheiden, ja Scheiden!

Anklicken, um die Melodie zu hören

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/esistbes.html. -- Zugriff am 2008-02-06]



Abb.: Illustrierte Rückblicke 1. Oktober bis Ende Dezember <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 59/60. -- S. 236. --1881-12-25

Da noch einige Tage im Jahr keine Feiertage sind, stellt der Papst vier neuen Heiligen auf einmal die Scheine aus.



Abb.: Illustrierte Rückblicke 1. Oktober bis Ende Dezember <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 34, Nr. 59/60. -- S. 237. --1881-12-25

An diesem Weihnachtsfest unerfüllt gebliebener Wunschzettel des Herrn Windthorst1.

Erklärung:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker (siehe oben!)


1882


Faschingsahnung. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 1. -- S. 2. --1882-01-01

Lieblich ist das Fest der Weihnacht,
Es erfreut sich der Verehrung
Aller Kinder; denn den artgen
Bringt es reichliche Bescherung.

Bei den Gaben, die des Deutschen
Michels7 Weihnachtstisch bedeckten,
Wieder lag ein stattlich Häuflein
Von verschiedenen Projekten.

Viel des Trefflichen war drunter,
Aber keines doch von allen
Hat mir wie das allerneuste
Kanzler1-Papst2-Projekt gefallen.

Schändlich ist, was in Italien
Jetzt den Päpsten wird geboten:
Der lebendge wird geärgert,
Und man spottet frech des toten3.

Nicht einmal zur Peterskirche
Kann Herr Leo2 mehr gelangen;
Wie im Käfig hält den Leuen
Man im Vatikan gefangen.

Dass Italiens Katholiken
So verfahren mit dem Armen --
Jeder Deutsche Lutheraner
Möchte sich darob erbarmen!

Auf, zu sprengen seinen Kerker!
Auf, zu lösen seine Ketten!
Nur des Deutschen Reiches Kanzler1
Kann den armen Papst erretten.

Er, der Alle will versorgen,
Die enterbt das Erdenleben,
Das geraubte Patrimonium4
Wird dem Papst Er wiedergeben.

Die frivolen Italiener
Wird aus Rom er flugs vertreiben;
Gänzlich soll dem Papst die heilge
Stadt als Eigentum verbleiben.

Weder Parlament noch König
Haben etwas dort zu suchen;
Ruhig mag er Heilge machen,
Ruhig segnen oder fluchen.

Und dagegen wird der gute
Leo2 dankerfüllt sich zeigen;
Durch ein unfehlbares Machtwort
Bringt das Zentrum5 er zum Schweigen.

Höchste Leistung aller Staatskunst!
O Triumph, nicht zu bechreiben,
Also durch den heilgen Vater
Unsern Windthorst6 auszutreiben! --

Diese neue Botschaft hörte
Michel7, beinah froh erschrocken,
Als er stand und sinnend lauschte
Auf den Schall der Neujahrsglocken.

Und fast wollt es ihn bedünken,
Dass in ihre ernsten Klänge
Höchst frivol und ganz vergnüglich
Sich ein helles Klingeln menge.

War das nicht der Klang der Schellen.
Die in lustgen Faschingstagen
Bals Prinz Karneval und seine
Leute an den Kappen tragen?

Erklärungen:

1 Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815 - 1898): Reichskanzler 1870 - 1890

2 Leo XIII. (1810 - 1903): Papst 1878 - 1903

3 Pius IX. (1792 - 1878): Papst 1846 - 1878. Sein Leichnam wurde in der Nacht des 13. Juli 1881 in die Kirche San Lorenzo fuori le Mura überführt. Eine Volksmenge bewarf den Leichenzug mit Schmutz und Steinen und versuchte den Leichnam in den Tiber zu werfen.

4 Patrimonium Petri = Erbgut des Apostels Petrus = Kirchenstaat

5 Zentrum = Zentrumspartei: klerikal-katholische Partei

6 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Zentrums-Politiker

7 der Deutsche Michel: Spottname für die deutsche Nation, die deren schwerfällig-gutmütige Einfalt andeuten soll.


Zum neuen Jahr. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 1. -- 1. Beiblatt. --1882-01-01

Wenn Preußen seiner Heiligkeit
Dem Papste liegt zu Füßen,
Ihm weltlich Regiment verleiht
Und Schutz und mächtgen Arm ihm weiht,
Dann -- bitten wir zu grüßen!

Ergebenst

Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin, Hutten, Franz v. Sickingen und Konsorten.



Abb.: Eine Probefahrt der "Post"1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 2. -- S. 8. --1882-01-08

Geht es nicht, nun, dann geht es nicht!

Erklärung:

1 Deutsche Reichspost : Zentralorgan der Konservativen Süddeutschlands. -- Stuttgart. -- 1876 - 1907



Abb.: Allgemeine Sehnsucht nach endlichem Frieden <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 3. -- S. 12. --1882-01-15

Friede auf Erden!1

Erklärung:

1 S. Lukasevangelium 2,14: "Ehre sei Gott in der Höhe / Und Friede auf Erden / Und den Menschen ein Wohlgefallen." (Lutherbibel)



Abb.: Unersättlich. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 7. -- S. 28. --1882-02-12

Konservativer. Was wollt ihr denn noch? Das Gitter ist schon so durchbrochen, dass ihr überall ein Loch findet um durchzukommen.
Zentrumsmann. Hilft nichts; das ganze Ding muss fort!


Ein neuer Heiliger. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 8/9. -- S. 29. --1882-02-19

Bontoux1, du, einst der Stern der Klerikalen,
Der Höfe Freund, des Adels Trost und Stolz --
Heut sitzest du in einer trüben, kahlen,
Armselgen Klause da auf hartem Holz.

Tempi passati!2 Ach, des Glückes Welle,
Die einst dich hob, von günstgem Wind geschwellt,
Ließ jetzt dich fallen; in einsamer Zelle
Klagst seufzend du: "Das ist der Lohn der Welt!"

Und doch, Bontoux, war segensreich dein Walten
Und Wirken, mehr als Mancher wohl ermisst:
Du lehrst den Klerus das Gelübde halten
Der Armut, dessen er so leicht vergisst.

Hübsch ist der schnöde Mammon wohl, indessen
Weicht oft der Fromme von der rechten Bahn
Durch Schätze, so da Rost und Motten fressen --
Das wusstest du und hast danach getan.

"Bringt euer Geld, es nutzreich anzulegen,
Ihr Gläubgen all!" -- So klang dein Ruf mit Macht;
Der heilge Vater gab dir seinen Segen,
Und sie, der Mammon wurde dir gebracht.

Und schmunzelnd nahmest du das Gold er Frommen,
In deine Hände floss manch reicher Hort;
Und fragt man heut: "Wohin ist es gekommen?" --
So heißt die Antwort: "Alles, Alles fort!"

Der schnöden Habgier Strafe zu erreichen,
Wie trefflich dir dein edles Werk geriet!
Gehandelt hast du so an Deinesgleichen,
Den Jesuiten, selbst ein Jesuit.

Was steht ihr Frommen nun und ringt die Hände?
Für eurer Seelen Heil welch ein Gewinn!
Bedenkt: der schnöde Mammon hat ein Ende,
Das Höllengaukelwerk, das Gold ist hin!

Auf! Rüstet eine Wallfahrt, ihm zu danken,
Der euch von eitlen Sorgen hat befreit
Und leider vor des Strafgerichtes Schranken
Heut steht, ein Märtyrer seiner Frömmigkeit!

Lern, undankbare Welt, den Edlen kennen
Und bring ihm Trost in seines Kerkers Pein!
Ach, hätt ich neue Heilge zu ernennen,
Der Erste sollte mir -- Sankt Bontoux sein.

Erklärungen:

1 Eugène Bontoux (1820-1904)

"Bontoux (spr. bongtū), Eugène, franz. Finanzmann, geb. 1824, besuchte die polytechnische Schule zu Paris, war bei mehreren Eisenbahnen beschäftigt, ward dann nach Österreich in die Leitung der Staatsbahn berufen und bald zum Generaldirektor der Südbahn ernannt. Nebenbei betrieb er mit Rothschildschein Geld gewagte Spekulationen, errichtete in Österreich und Frankreich mehrere Fabriken und baute Eisenbahnen. Nachdem er 1873 den größten Teil seines Vermögens verloren und sich mit Rothschild verfeindet hatte, schied er aus seiner Stellung aus und gründete 1878 mit den Geldern der Legitimisten und Klerikalen die Union générale in Paris, die anfangs glänzende Geschäfte machte, sich mit der Österreichischen Länderbank verband und den Bau mehrerer ungarischer und der serbischen Bahnen übernahm. Im Wettkampf mit Rothschild brachte B. diesem Gegner 1881 große Verluste bei, eine zweite Kontermine Anfang 1882 misslang aber, und die Union générale fallierte. B. wurde 1883 zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt, deren Verbüßung er sich durch die Flucht entzog. Er schrieb: »L'Union générale, sa vie, sa mort, son programme« (Par. 1888)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Tempi passāti! (italienisch) = vergangene Zeiten!


Aus Bayern.*) -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 8/9. -- S. 31. --1882-02-19

Der Prior von Schäftlarn1
Schreibt: Liebe Leut, ich warn,
Ich muss euch warnen leider
Vor einem Pater, weitbekannt
In unserm durstgen bayernland,
Vor Bonifacio Schneider.

Der Pater Bonifaz
Im Schmuck des Klosterstaats
Mit Stola und Kapuze,
Wo er auch hingereist,
Das war dem Kloster er zumeist
Zum Schreck, doch nie zu Ruhe.

Der Pater zecht mit Gier
So Wein als braunes Bier,
Aus Krügen und Pokalen;
Er pumpt die Städter und die Bauern an,
Als wär er schier ein Rittersmann,
Und denkt nicht ans Bezahlen.

Der Pater, meiner See,
Lebt frisch und kreuzfidel
Vom Borgen und vom Zechen;
Er spricht am Schlusse jedes Mahls
Nichts weiter als sein: "Gott bezahl 's!
Mein Prior wird schon blechen."

Drum gebt ihm Zehrung nit,
Auch Wein nit auf Kredit,
Nit Stiefel, Hut, noch Kleider!
Mein Klösterlein -- das nehmt zur Lehr --
Zahlt niemals, niemals Schulden mehr
Für Bonifacium Schneider.

*) München, 4. Februar (Seltene Ausschreibung.) In öffentlichen Blättern erklärt, durch die Verhältnisse gezwungen, der Prior des Klosters Schäftlarn, dass das genannte Kloster für den Ordenspater P. Bonifaz Schneider keine Schulden bezahlt. (N. N.)

Erklärung:

1 Kloster Schäftlarn (Oberbayern): 1866 neu durch König Ludwig I. an Stelle des durch die Säkularisation aufgehobenen Prämonstratenserklosters gestiftetes Benediktinerkloster mit Schule.



Abb.: Aus der Bayerischen Kammer. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 12. -- S. 48. --1882-03-12

Da der Minister von Lutz1 dem schwarzen Wellendrang fast erliegt, erschallt von oben2 das rettende "Quos ego!"3

Erklärungen:

1 Johann Freiherr von Lutz (1826 - 1890): bayrischer Kultusminister 1867 - 1890

2 Ludwig II. (1845 - 1886)´: König von Bayern. Unterstützte von Lutz gegen die Ultramontanen

3 Quos ego = Euch werd ich!

"Quŏs ego! (lat.), »euch werd' ich-!«, berühmte Aposiopese, und zwar Drohruf des Neptun bei Vergil (»Aeneis«. I, 135), mit dem jener den Winden, die ohne seinen Willen gestürmt hatten, Ruhe gebietet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Monacomica. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 13. -- S. 49. --1882-03-19

In der heilgen Zeit der Fasten,
Welche Reu und Buße predigt,
Hat auch Monacos Prälat1 sich
Eines Hirtenbriefs entledigt.

Großen Schmerz macht ihm die Spielbank;
Nicht nach Art des "stummen Hundes"
Will er schweigen, nein, er redet
Deutlich, laut und offnen Mundes:

"Wollt, o Schafe, eure Herzen
Nicht vor meinem Wort verstocken!
Lasset -- ich beschwör euch, -- nimmer
In des Spielsaals Höll euch locken!

Teure Schafe, glaubt 's, ihr werdet
Unbarmherzig dort geschoren;
Eh ihr recht das Spiel begriffen,
Ist das ganze Geld verloren!

Ach! die größten Weisen bleiben
Hier nur stümperhafte Rater,
Hilflos an dem grünen Tische
Stünde selbst der heilge Vater.

Doch es geht nicht nur verloren,
Was du bei dir trägst vom Baren,
Auch die Seele ist umlauert
Rings von drohenden Gefahren.

Siehst du all die holden Weiber,
Hier im Kerzenglanz am Tische,
Da in dichten Laubengängen,
Dort in still verschwiegner Nische?

Siehst du, wie sie sinnberückend
Immer enger dich umkreisen?
Dunkle Augen blitzen, lockend
Klingen die Sirenenweisen.

Fliehe, Sohn! Das ist die Löwin!
Um die Warnung zu erfüllen,
Sucht sie hier, wen sie verschlinge,
Wenn auch nicht mit lautem Brüllen --

Nein, sie naht, mit leisem Flüstern,
Gold und Sekt von dir zu heischen.
Flieh! Sie wird mit scharfen Tatzen
Dir das Portemonnaie zerfleischen!

Im Orchester, das frivole
Weisen spielt an jener Stelle,
Sitzen leider Musikanten
Auch aus meiner Domkapelle.

Ach! ich fürchte, in den Pausen
Werden sie sich heimlich wagen
In den Saal, um das Ergeigte
Auf den Teufelstisch zu tragen!

Ihnen und den andern Allen,
Die sich nahen jener Schwelle,
Ruf ich zu: Kehrt um; denn dorten
Webt und wogt der Spuk der Hölle!" --

So der Bischof. Doch die Pächter
Sprechen: "Wie ist das gekommen?
Hat er nicht von uns Millionen
Für den Kirchenbau2 genommen?

Hat er wirklich sich geändert?
Will von uns er los sich sagen?
Oder -- hat in diesen Zeiten
Seine Seite schlecht geschlagen?"

Erklärungen:

1 Charles-Bonaventure-François Theuret (1822 - 1901): Bischof von Monaco 1878–1901

2 Die Kathedrale von Monaco wurde 1875 bis 1903 erbaut und 1911 geweiht.


"Germania"1 und "Osservatore Romano"2 an die Presskollegien und Kolleginnen des Auslandes. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 13. -- S. 50. --1882-03-19

Dass Herr von Schlözer3 bei dem Papste war,
Mögt ihr getrost der Leserwelt bekunden.
Bewilligt war die Audienz ihm zwar,
Gehör jedoch hat er noch nicht gefunden.

Erklärungen:

1 Germania: seit 1871 täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung

2 Osservatōre Romāno (ital., »Römischer Beobachter«): seit 1861 erscheinendes offiziöse Organ der römischen Kurie

3 Kurd von Schlözer (1822 - 1894): preußischer Gesandter beim Papst.

"Schlözer, Kurd von, Geschichtschreiber und Diplomat, geb. 5. Jan. 1822 in Lübeck, gest. 13. Mai 1894 in Berlin, Sohn des jüngsten Sohnes des vorigen, des russischen Generalkonsuls Karl von S., studierte in Göttingen, Bonn und Berlin Orientalia und Geschichte, trat 1850 in den preußischen Staatsdienst, wurde 1857 Legationssekretär in St. Petersburg, 1863 Legationsrat in Rom, 1867 Ministerresident des Norddeutschen Bundes in Mexiko, 1871 Gesandter des Deutschen Reiches in Washington und beendete, 1882 bis 1892 preußischer Gesandter beim päpstlichen Stuhl in Rom, den Kulturkampf. Er schrieb: »Les premiers habitants de la Russie« (Par. 1846); »Choiseul und seine Zeit« (Berl. 1848, 2. Aufl. 1857); »Livland und die Anfänge deutschen Lebens im baltischen Norden« (das. 1850); »Die Hansa und der Deutsche Ritterorden in den Ostseeländern« (das. 1851); »Verfall und Untergang der Hansa und des deutschen Ordens in den Ostseeländern« (das. 1853); »Die Familie von Meyern« (das. 1855); »General von Chasot. Zur Geschichte Friedrichs d. Gr. und seiner Zeit« (das. 1856, 2. Aufl. 1878); »Friedrich d. Gr. und Katharina II.« (das. 1859)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Prognosticon: In dem Kampf mit Kirche und Zentrum kann der Reichskanzler im besten Fall nur den Kürzeren ziehen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 13. -- 1. Beiblatt. --1882-03-19



Abb.: Todes-Anzeige. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 16. -- S. 63. --1882-04-02

Zum letzten Male
Erschienen ist
Der stöckerfrohe1
Christlich-soziale
"Staatssocialist"2.
Weil ihn zu lesen,
Bei keinem Wesen
War ein Verlangen,
Ist still und selig
Er eingegangen.

Erklärungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, christlicher Sozialist, Antisemit

2  Der Staats-Socialist : Wochenschrift für Socialreform ; Organ für christlich-sociale Bestrebungen / Central-Verein für Christlich-Sociale Reform. -- Berlin. -- 1877/78 -- 1882



Abb.: Osterspaziergang. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 17. -- S. 67. --1882-04-09

46. Sitzung des Abgeordnetenhauses, vom 24. März.

Windthorst1-Wagner zu Stöcker2-Faust.

Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren
Ist ehrenvoll und ist Gewinn.3

Erklärungen:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Zentrums-Politiker

2 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, christlicher Sozialist, Antisemit

3 Goethe, Faust I, Vor dem Tor

WAGNER:
Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren,
Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
Doch würd' ich nicht allein mich her verlieren,
Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben
Ist mir ein gar verhasster Klang;
Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
Und nennen's Freude, nennen's Gesang.



Abb.: Belgischer Sport. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 27. -- S. 108. --1882-06-11

Preis: Die Schule



Abb.: Hubertusjagd. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 33. -- 1. Beiblatt. --1882-07-16

Durch ein Gesetz ist in Paris die Schmutzliteratur von den Straßen und Plätzen verjagt worden. Ob die "Strecke" groß werden wird, oder ob es überhaupt zum "Hallali" kommt, entzieht sich der Vermutung.



Abb.: Exorzismus. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 43. -- S. 172. --1882-09-17

Man kann den ganzen Spuk dadurch verscheuchen, dass man recht fest an der Zivilehe hält.

Erläuterung:

Der neuernannte Fürstbischof von Breslau, Robert Herzog (1823 - 1886), veröffentlichte einen Erlass, in dem nur vor dem Standesamt geschlossene bzw. von einem nichtkatholischen Pfarrer eingesegnete Ehen konfessionsverschiedener Paare (Mischehen) als ungültig erklärt werden, und Kinder aus solchen Ehen als unehelich bezeichnet werden.


Schlichte Wahrheit. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 46. -- 1. Beiblatt. --1882-10-01

Wenn Sokrates zurück heut kehrte
Und spräche von der Leber frei,
Und wenn wie einst er Wahrheit lehrte,
Verdammend streng -- Abgötterei,
Er würde wieder als ein frecher
Verräter am Gebot der Schrift
Verurteilt heut zum Schierlingsbecher
Und müsste trinken bittres Gift.

Käm Hus zurück -- man würde wieder
Furchtbarem Flammentod ihn weihn.
Käm Galilei - seine Glieder
Verdammte man zur Folterpein,
Und käm nun gar der echte Luther
Zurück -- die Schwarzen schrien gewiss:
Ins Feuer werft ihn und zum Futter
Gebt ihn dem Fürst der Finsternis!

Ja, wenn zum heutigen Geschlechte
Rückkehren könnt ein starker Held,
Für Weisheit, Licht und Menschenrechte
Beseelt zum Heil der armen Welt --
Man würde, ihn zu fangen, eifern,
Ihn wieder vor die Richter ziehn,
Ihn geißeln, höhnen und begeifern
Und wild ausrufen: "Kreuzigt ihn!"



Abb.: Die Mischehe nach der versöhnlichen Klarstellung des Fürstbischofs Herzog1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 47. -- 1. Beiblatt. --1882-10-08

Erklärung:

1 Der neuernannte Fürstbischof von Breslau, Robert Herzog (1823 - 1886), veröffentlichte einen Erlass, in dem nur vor dem Standesamt geschlossene bzw. von einem nichtkatholischen Pfarrer eingesegnete Ehen konfessionsverschiedener Paare (Mischehen) als ungültig erklärt werden, und Kinder aus solchen Ehen als unehelich bezeichnet werden.


Windthorst an den Kulturkampf. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 50. -- S. 199. --1882-10-29

Frei nach der Norddeutschen Allgemeinen.

O Kulturkampf, lass dich loben!
Blühe fort in alter Pracht!
Denn allein dein starkes Toben
Hat mich so berühmt gemacht.

Lange noch dich hinzuschleppen
Sei bedacht mir zum Gewinn!
Dir allein verdankt es Meppen2,
Dass ich seine Perle bin.

O wie schrecklich, wenn du plötzlich
Endetest! Wie fürchterlich!
Über alles Maß entsetzlich
Wäre dieser Fall für mich.

Wenig dann würd es mir helfen,
Ständ ich auf auch noch so früh,
Und mein Nimbus bei den Welfen3
Wäre gleichfalls dann perdu4.

Ach, in meiner ganzen Blöße
Ständ ich da in einem Nu,
Einzge Wiege meiner Größe,
O Kulturkampf, bist ja du!

Nur durch dich ward ich der Streiter
Von Berühmtheit, der ich bin.
O Kulturkampf, tobe weiter!
Zieh dich, bitte, zieh dich hin!

Erklärungen:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Zentrums-Politiker, vertritt seit 1867 den Wahlkreis Meppen im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus.

2 Meppen, Landkreises Emsland, Niedersachsen: Wahlkreis von Ludwig Windthorst, "Perle von Meppen" genannt.

3 Welfen: Papstpartei

4 perdu [pärdy] (französisch) = verloren



Abb.: Im schönen Verein. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 56. -- S. 224. --1882-12-10

Der Lahme hängt mit seinen Krücken sich auf des Blinden breiten Rücken.
Vereint wirkt also dieses Paar, was einzeln Keinem möglich war.

Der Blinde und der Lahme. Gellert1.

Erklärung:

1 Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769): Fabeln und Erzählungen, Erstes Buch, 1746: Der Blinde und der Lahme:

Von ungefähr muss einen Blinden
Ein Lahmer auf der Straße finden,
Und jener hofft schon freudenvoll
Dass ihn der andre leiten soll.

Dir, spricht der Lahme, beizustehen?
Ich armer Mann kann selbst nicht gehen;
Doch scheint's, dass du zu einer Last
Noch sehr gesunde Schultern hast.

Entschließe dich, mich fortzutragen,
So will ich dir die Stege sagen:
So wird dein starker Fuß mein Bein,
Mein helles Auge deines sein.

Der Lahme hängt, mit seinen Krücken,
Sich auf des Blinden breiten Rücken.
Vereint wirkt also dieses Paar,
Was einzeln keinem möglich war.

Du hast das nicht, was andre haben,
Und andern mangeln deine Gaben;
Aus dieser Unvollkommenheit
Entspringet die Geselligkeit.

Wenn jenem nicht die Gabe fehlte,
Die die Natur für mich erwählte,
So würd' er nur für sich allein
Und nicht für mich bekümmert sein.

Beschwer die Götter nicht mit Klagen!
Der Vorteil, den sie dir versagen
Und jenem schenken, wird gemein:
Wir dürfen nur gesellig sein.



Abb.: Aufgefundene Weihnachts-Wunschzettel <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 35, Nr. 58. -- S. 232. --1882-12-24

Um die Kultur ist mir nicht bange,
Währt nur der Kampf darum recht lange.

Erklärung:

Dargestellt ist  der ultramontane Zentrums-Politiker Ludwig Windthorst (1812 - 1891)


1883


Frohe Botschaft. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 9/10. -- S. 38. --1883-02-25

laut Meldung österreichischer und deutscher Blätter verkündigt durch den Fastenhirtenbrief des Erzbischofs1 von Olmütz2.

Fischotterfleisch geht -- 's ist was Alts, --
Für Fastenspeise3 allenfalls;
Doch tierisch Fett entweiht den Hals,
Und solches mit und ohne Salz
Zu brauchen, stets als Sünde galt 's
Bis jetzt in jeder Bischofspfalz.
Doch plötzlich her von Olmütz hallt 's,
Und jedes Kind beseligt lallt 's:
"Das Fastenbrebve, treulich halt 's,
Vermeide Fleisch, so warm als kalts,
Doch Fastenspeisen allenfalls
Darf man, ob mit, ob ohne Salz,
Bereiten jetzt mit Schweineschmalz."
Nichts Größres kennt die Welt jetzt, als
Dies Wort aus einer Bischofspfalz!

Erklärungen:

1 Kardinal Friedrich Egon von Fürstenberg (1812 - 1892): Erzbischof von Olmütz 1853 - 1892

2 Olmütz: heute: Olomouc, Tschechien

3 In der katholischen Kirche war an Fasttagen der Genuss von Fleisch verboten, allerdings galten Fische und Fischotter als Nichtfleisch. Päpste und Bischöfe hatten das Recht zur Dispens.



Abb.: Kostümbild. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 9/10. -- S. 40. --1883-02-25

Die päpstliche Schweizergarde, welche den Vatikan hermetisch vor der Außenwelt abschließt.

Erklärung:

Abgebildet sind deutsche Ultramontane (Windthorst, Majunke u.a.)



Abb.: Prämiiert. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 11. -- 1. Beiblatt. --1883-03-04

Herr Stöcker1 denunziert dem Kultusminister eine Rede Dubois-Reymonds2. Herr von Goßler3 schenkt, vor versammeltem Landtag, Herrn Stöcker ein Exemplar dieser Rede, damit er sie nun auch lesen möge. Herr Stöcker quittiert in nächster Sitzung den Empfang in einer längeren Homilie gegen die Naturwissenschaften.

Erklärungen:

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, christlicher Sozialist, Antisemit

2 Emil Heinrich Du Bois-Reymond (1818 - 1896): Professor der Physiologie an der Universität Berlin.

3 Gustav von Goßler (1838 - 1902): seit 1801 preußischer Kultusminister



Abb.: Reichs-Tanz-Gesetz. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 27. -- S. 108. --1883-06-10

Jeder Deutsche kann tanzen, wo, wie lange und nach wessen Pfeife er will. Am besten unter Aufsicht eines Geistlichen. Windthorst1.

Erklärung:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Zentrumspolitiker



Abb.: Die Wirkung der Zentripetalkraft. Sieges-Relief in drei Friesen. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 31. -- S. 124. --1883-07-01

Zunächst werden die Mittelparteien hinausgedrängt.

Dann wird die Linke an die Wand gedrückt.

Bis zuletzt die Rechte dem Zentrum naturgemäß in den Schoß fällt.



Abb.: Schachaufgabe. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 33. -- S. 132. --1883-07-15

Schwarz zieht an und setzt in drei Zügen matt.



Abb.: In guter Gesellschaft. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 34. -- S. 136. --1883-07-22

Monde und Möpse.

Erklärung:

Als Monde dargestellt sind Luther, Friedrich der Große und Goethe, als Möpse ultramontane Blätter (Germania, Mainzer Journal, Odilienblatt)



Abb.: Politische Ferien. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 38. -- S. 152. --1883-08-19

Man muss sich doch mal eine Ruhe gönnen.


Aus der Peterskirche. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 48. -- S. 189. --1883-10-21

Einsam in der Haft sitzt Leo1,
-- Spötter sagen: in freiwillger ..
Gern drum hat er 's, wenn zu Zeiten
Ihn besuchen fromme Pilger.

Wieder jüngst in Rom erschienen
Pilger aus Italiens Gauen:
In der hohen Peterskirche
Sollten sie den Papst erschauen.

Da die Frommen eingetroffen
Dünner, als es zu erwarten,
Gab man auch an Eingeborne
Gern und reichlich Eintrittskarten.

Zweifelsohne waren drunter
Viele Gläubge, doch nicht minder
Manche, welche Neugier plagte,
Und viel unschuldsvolle Kinder.

Also wogten durch die Hallen.
Wie ein Meer, bewegt und brausend,
Große, Kleine, Männlein, Weiblein,
Mindestens an avierzehntausend.

Nach dem Papst begann voll frommer
Ungeduld das Volk zu schreien,
Um es zu beschwichtgen, sang man
Einge längre Litaneien.

Aber als die Sänfte endlich
Kam, garniert mit Kardinälen,
Ließ der Menge heilger Eifer

Sich nicht länger mehr befehlen.

Um den Vater zu erschauen,
Stürmte man des Altars Stufen,
Brausend durch die hohen Hallen
Dröhnte das Evviva-Rufen.

In den Jubelruf der Männer
Scholl gerührter Weiber Weinen,
Leise klang hindurch das Wimmern
Der gequetschten armen Kleinen.

Es erfolgte jetzt ein längrer
Speech des Kommitee-Vorstandes;
Was die würdgen Männer sagten,
Keiner rings umher verstand es.

Als darauf der heilge Vater
Zur Entgegnung sich erhoben,
Stieg noch höher die Begeistrung
Und das Lärmen ward zum Toben.

Dass unfehlbar er, dem heilgen
Vater half es hier mit nichten,
Nicht vermocht er seiner Frommen
Lauten Jubel zu beschwichten.

Ob er auch um etwas Ruhe
Bat mit deutlicher Gebärde,
Ungehört verscholl des Hirten
Stimme im Geschrei der Herde.

Eine gute halbe Stunde
Sprach er so zu tauben Ohren;
Doch ein Trost ist: an der Rede
Ging den Hörern Nichts verloren.

Was das Oberhaupt der Kirche
Sprach in salbungsvollen Worten,
Hundert Mal ward 's schon vernommen
Und gelesen aller Orten.

Erklärung:

1 Leo XIII (1810-1903): Papst 1878-1903


Der Sturm auf das "Rote Haus"1 oder: Die drei Wahltage. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 49. -- S. 193. --1883-10-28

Zur Erinnerung an die Zeit vom 18. bis 20. Oktober2.

I.

Frisch auf zum Sturm aufs rote Schloss!
Ihr Ritter, schart der Knappen Tross
Um euch zum ernsten Gange!
Sankt Stöcker3 führt beherzt uns an.
Ihm nach, ihr Gläubgen, Mann für Mann
Mit Beten und Gesange!

Ja seht, dass unser Werk geling!
Zu sprengen gilt 's den Fortschrittsring,
Der frech sich eingenistet,
Und der, uns Frommen schier zum Hohn,
Im roten Schloss seit Jahren schon
Sein schandbar Leben fristet.

Mit bösen Geistern frech vereint
Herrscht Satanas, der böse Feind,
Von Schwefeldunst umwoben:
Semit, Fortschrittler, Atheist
Und Heide sitzt mit Trug und List
Im Rathaussaale droben.

Frisch auf! und rüstet euch zum Sturm,
Und schleudert Feuer in den Turm
Und steckt das Haus in Flammen!
Dem Feinde steigen wir aufs Dach.
Drei Tage nur, -- mit Ach und Krach
Dann stürzt das Schloss zusammen.

II.

Und als der erste Tag vorbei,
Da rühmte sich die Sturmpartei
Mit trutziglichen Sinnen:
Zwar hält sich noch das rote Nest;
Doch morgen fällt 's: es sitzen fest
Fünf Mann von uns schon drinnen.

Und als die Stürmer abends sahn,
Was sie am zweiten Tag getan,
Da sprechen sie voll Sorgen:
Zwar drangen keinen Schritt wir vor;
Doch morgen gehts zur Burg empor.
Geduld, Geduld bis morgen!

Und als der dritte Tag vorbei,
Da schrillte durch die Sturmpartei
Ein Schrei, ein schmerzenstöniger:
Verfluchte Wahl, verwünschte Burg!
Wir brachten, ach, fünf Mann nur durch
Nicht mehr und auch nicht -- Wöniger.

Das rote Haus hier an der Spree
Es steht viel fester heut denn je,
Dem Feind zu Wehr und Ehre.
Nicht brach des "Fortschrittsrings" Gewalt
Und laut vom Dom zum Rathaus schallt
Sankt Stöckers Miserere4.

Erklärungen:

1 = Berliner Rathaus (Rotes Rathaus), so genannt wegen der Fassade aus roten Klinkern

2 Berliner Stadtverordnetenwahl.

3 Adolf Stöcker (1835 - 1909): Hofprediger, Antisemit, Begründer der Christlich-sozialen Arbeiterpartei

4 Miserere

"Miserēre (lat., »erbarme dich«), kath. Kirchengesang, dem als Text der 57. Psalm (in der Vulgata mit den Worten: »Misrere mei, Domine« beginnend) zugrunde liegt, und der an den Mittwochen und Freitagen der Fastenzeit, insbes. in der Karwoche, regelmäßig aber beim Begräbnisgang und als Bußgesang (besonders in Klöstern), gesungen wird. Berühmte M. sind die von Allegri, Palestrina, Baini, Orlando di Lasso."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Zur letzten Landtagswahl in Baden. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 49. -- 1. Beiblatt. --1883-10-28

Am Freitag alle Mann zur Wahl,
Zur Wahl von Birkenmeyer!
Denn er ist brav und klerikal,
Den Gegner hol der Geier!
Des Mittags dann im Wahllokal
Vereinge uns ein leckres Mahl
Zur frohen Siegesfeier!

Ich, Amann, Wahlmann und Dekan
Und Pfarr in Waldshuts Kreise,
Hab dies hiermit euch kundgetan
In feierlicher Weise.
Ihr Lämmlein all frisch auf den Plan,
Zu Fuß, zu Pferd und mit der Bahn,
Dass unsre Wahl man preise!

Zum Mahl dann sei gedeckt der Tisch,
Zum Lohn für tapfre Taten,
Mit Knödeln, Eiern, Butterfisch,
Erdäpfeln und Salaten. --
Und dass in fröhlichem Gemisch
Sich wacker euer Herz erfrisch --
Mit leckrem Schweinebraten!

Und weil es just am Freitag ist,
Fa ihr kein Fleisch dürft essen,
So wird für eines  Tages Frist
Dispens euch zugemessen.
Das Pfarramt kündet, dass ihr 's wisst:
Wer sich bekennt als frommer Christ,
Der kommt zum Siegesf ... este.


Zur Luther-Feier1. Ein Trostwort für Rom. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 50. -- S. 197. --1883-11-04

Zur Luther-Feier rüstet Ort um Ort
Geschäftig sich, dem großen Mann zu Ehren.
Verdrossnen Blicks sehn es hier und dort
Die Priester Roms und können 's nicht verwehren.

O Rom, wie töricht, dass du Zornes voll
Hinblickst zu uns und schmähende Worte sendest!
Empfinden solltest Freude du statt Groll,
Wenn du den Blick auf deine Gegner wendest --

Wenn du es siehst,, was aus dem Werke ward,
Das, drohend dir, einst jener Mönch geschaffen.
Wie wenig ist in uns von seiner Art,
Wie wenig blieb von seines Gesistes Waffen!

Wie mächtig uns genüber stehst du da,
Die wir zerfallen sind, zerstückt, zerspalten,
In deren Heerbann Viele fern und nah
Heimlich mit dir es, mit dem Feinde halten.

Wie viele nicht zur Freude kommen lässt
Das Jubeljahr, das deutschem Volk erschienen.
Nicht lieb ist ihnen dieses Jubelfest
Und nicht bequem kommt diese Feier ihnen.

Sie sollen reden laut hinein ins Land
Und möchten, statt zu reden, lieber schweigen.
Sie sollen preisen ihn, den Rom gebannt,
Und möchten lieber doch vor Rom sich neigen.

Wie wenig gleichen sie dem großen Mann,
Die heut zu seiner Lehre sich bekennen!
Wie wenig reichen sie an ihn hinan,
Die sich Verehrer seiner Größe nennen!

Freu dich, o Rom! Nicht sorge, dass aufs Neu
Ein Mönchlein sich so großer Tat erdreiste!
Nichts hast zu fürchten du von Ketzerei
Und Nichts von jenes großen Ketzers Geiste.

Freu dich, o Rom! Es dräut dir keine Not,
Erloschen ist des einstgen Brandes Feuer.
Der Luther, der dein Schrecken war, ist tot,
Und nicht so bald entstehen wird ein neuer.

Erklärung:

1 400. Geburtstag von Martin Luther, geboren 10. November 1483.


Zu gütig! -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 51. -- S. 201. --1883-11-11

Am Tag, der einst den großen Mann1 gebar,
Der kühn "der Glaubensspaltung Kluft gerissen",
Dürft ihr nicht müßig bleiben, das ist klar,
Zu Liebeswerken treibt euch das Gewissen.

Nicht wollt ihr, wie es sonst im Vatikan
Zu Zeiten Sitte ist, den Ketzern fluchen,
Voll Bruderliebe auf die rechte Bahn
Wollt ihr sie sanft zurückzuführen suchen.

Gebete sendet brünstig ihr hinauf:
"Erbarm dich, Himmel, der verirrten Scharen!
Erleuchte sie und leite ihren Lauf
Zu unsrer Kirche, zu der einzig wahren!"

Vor Allen ladet ihr die Kinder ein,
Mit ihren Bitten für uns einzutreten;
Voll Unschuld ist ihr Sinn, ihr  Herz ist rein,
Drum ganz besonders wirkt ihr Beten.

Es geht durchs deutsche Land ein heilig Wehn
Vom Strand der Warthe bis zum grünen Rheine;
Wie Blüten in des Lenzes Hauch entstehn
Allüberall die Kinder-Betvereine.

Sobald ein Kind gelernt, nur leidlich klar
Im Arm der Mutter ein Gebet zu stammeln,
Soll 's sprechen: "Lass der armen Ketzer Schar
Zur wahren Kirche wieder sich versammeln!"

Ich glaube gern, dass ihr es redlich meint,
Aufrichtig wollt ihr Heil und Glück uns spenden,
Allein ihr seid zu gütig, und mir scheint,
Ihr könntet besser eure Zeit verwenden.

Wer sich einmal bekannt zu Luthers Lehr,
Der liegt gebunden in der Sünde Ketten;
Nicht tausend fromme Kindlein mögen mehr
Ihn aus der Hölle dunklem Bann erretten.

Macht drum den Kleinen nicht, mir wär es leid,
Mit solchem beten allzu viel Beschwerden,
Zum Lernen lasst verwenden sie die Zeit,
Damit sie einst verständge Menschenw erden!

Ihr  wollt es nicht? So betet immer zu!
Mag euer Hoffen nur zu sehr nicht trügen!
Wir schauen euer Treiben an in Ruh
Und lassen euch das "kindliche Vergnügen."

Erklärung:

1 Martin Luther, geboren 10. November 1483.


An den Herrn Kultusminister in Bayern. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 52/53. -- S. 210. --1883-11-18

Einst auf deie Taten sah
Hoffnungsvoll Bavaria,
Denn du schenktest der Freiheit Schutz:
Sei gesegnet, Herr von Lutz1!

Allzeit sonder Menschenscheu,
Mutig und dir selbst getreu.
Botest du den feinden Trutz.
Ruhm und Preis dir, Herr von Lutz!

"Trotz des Herrn im Vatikan
Macht die Schul er simultan2!"
Schrien die Träger der Kapuz:
Dreimal Fluch drum Herrn von Lutz!

Patrioten grollten scharf
Dir im Landtag, frech bewarf
Doktor Sigl3 dich mit Schmutz.
Du bliebst standhaft, Herr von Lutz.

Plötzlich wanktest, Lutz, auch du
Im Kulturkampf. -- Denn wozu
Ist die Simultanschul nutz?
Sprachst du reuig, Herr von Lutz!

Heut kam all dein Tun zu Fall,
Und die Pfäfflein freun sich all
Des famosen Bankerutts
Deiner Werke, Herr von Lutz!

Erklärungen:

1 Johann, Freiherr von Lutz (1826 - 1890)

"Lutz, Johann, Freiherr von, bayr. Staatsminister, geb. 4. Dez. 1826 zu Münnerstadt in Unterfranken, gest. 3. Sept. 1890 in Pöcking am Starnberger See, Sohn eines Lehrers, studierte 1843–48 in Würzburg die Rechte, wurde 1852 Rechtskonzipient und 1854 Richter beim Kreis- und Stadtgericht in Nürnberg. 1857 war er Protokollführer der in Nürnberg tagenden Konferenz für Bearbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuchs, begleitete sie auch nach Hamburg zur Bearbeitung des Seerechts und gab 1861 die Konferenzprotokolle der Handels- und Seerechtskonferenz und einen Kommentar zu dem bayrischen Einführungsgesetz für das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch (Würzb. 1863–66) heraus. Nach seiner Rückkehr nach Bayern als Hilfsarbeiter in das Justizministerium berufen, ward er 1863 Sekretär im Privatkabinett des Königs Max und unter Ludwig II. im Dezember 1866 Chef des Kabinetts. Aber schon 1. Okt. 1867 übernahm L. das Portefeuille der Justiz im Ministerium Hohenlohe, führte unter großen Schwierigkeiten einen neuen Zivilprozess in Bayern ein und übernahm 20. Dez. 1867 auch das Ministerium des Kultus. Hervorragend an den Verhandlungen über die Begründung des Deutschen Reichs, erst in München, dann in Versailles, beteiligt, verteidigte er den Vertrag vom 23. Nov. 1870 im Dezember 1870 und Januar 1871 vor den bayrischen Kammern. Bei der Neubildung des Ministeriums im August 1871 gab L. die Justiz ab, behielt aber im neuen Kabinett Hegnenberg-Dux das bei dem beginnenden kirchlichen Kampf besonders wichtige Ministerium des Kultus. Zur Abwehr der ultramontanen Herrschaftsgelüste veranlasste er im November 1871 den Beschluss des sogen. ð Kanzelparagraphen (s. d.) durch Bundesrat u. Reichstag, der die politischen Ausschreitungen des Klerus im Zaume halten soll. Auch in Bayern selbst trat er der anmaßenden Forderung der Bischöfe, dass die Regierung den Altkatholizismus unterdrücken solle, entgegen, wenngleich die Altkatholiken selbst von seinem durch Rücksichten beschränkten Verhalten nicht zufriedengestellt wurden. Durch die Besetzung der erledigten Bistümer mit gemäßigten, friedliebenden Männern suchte L. den klerikalen Hetzereien ein Ende zu machen, zog sich aber dadurch den Hass der extremen Ultramontanen zu, die ihn im Landtag heftig angriffen und wiederholt vom König seine Entlassung forderten. Der König lehnte dies nicht nur ab, sondern ernannte ihn auch 1880 nach Pfretzschners Rücktritt zum Präsidenten des Ministeriums und versetzte ihn 1884 in den erblichen Freiherrenstand. Auch nach der Entsetzung Ludwigs II. unter dem Regenten Prinz Luitpold blieb L. im Amt und wurde 1886 Mitglied der Reichsratskammer. Erst 21. Mai 1890 nahm er wegen Kränklichkeit seine Entlassung und starb bald darauf."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Simultanschule = christliche Gemeinschaftsschule (im Unterschied zur Konfessionsschule)

3 Johann Baptist Sigl (1839-1902): bayerischer ultramontaner Zentrumsabgeordneter und Herausgeber der Zeitung "Das bayerische Vaterland"



Abb.: Ventriloquistik1. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 52/53. -- S. 212. --1883-11-18

 Es wird so täuschend gemacht, dass man wirklich glaubt, jede einzelne Marionette spricht, und doch kommt alles aus dem Zentralorgan.

Erläuterung:

Die Zentrumspolitiker (Majunke, Windthorst) und die ultramontane Zeitung "Germania" sind Puppen des Bauchredners Papst Leo XIII.

1 Bauchrednerei


Kurzgefasste Regeln für konservative Sammler <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 54. -- S. 214. --1883-11-25

Wie die Geistlichkeit zu behandeln ist.

Schreibst du nun an die Geistlichkeit,
So heb hervor, dass in die Zeit
Des Lutherfests die Sammlung fällt,
Das kostet nichts und bringt mehr Geld.
Auch Luther ist doch, wie wir lesen,
Konservativ im Grund gewesen.
Dann setz als ein verständger Mann
Nicht gar zu hoch den Beitrag an;
Du weißt es ja, ein pastorales
Budget ist of nur ein recht schmales,
Die Stärke liegt gar manches Mal
Im Pfarrhaus in der Kinderzahl.
So nimm drei Mark als Minimum,
Du stehst nicht schlechter dich darum,
Denn Mancher wird aus freien Stücken
Dir fünf, selbst zehn, ja fünfzehn schicken.



Abb.: Blumenlese aus Landtagsberichten <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 57. -- S. 228. --1883-12-16

[Windthorst:] Aber das scheint mir in den Köpfen noch nicht klar zu sein, dass der Staat nur bestehen kann bei echter Religiosität.



Am Telegraphendraht. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 57. -- S. 228. --1883-12-16

Die Zentrumsleute fürchten, dass der Ausgleich mit Rom über ihre Köpfe hinweg stattfinden könnte.



Abb.: Illustrierte Rückblicke vom 1. Oktober bis Ende Dezember <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 36, Nr. 59/60. -- S. 236. --1883-12-30

Wenn Herr Windthorst1 in Bezug auf Verbrecher und Vagabunden sagt, wir brauchen nicht mehr Gendarmen, aber mehr Geistliche, meint er sas so. Schultze! -- Frag ihn selber, Müller!.


1884


Die freie Wissenschaft. Frei nach Windthorst. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 6. -- 1. Beiblatt. --1884-02-10

Frei sei die Wissenschaft von allen Lehren,
Die nicht von Rom für richtig sind erkannt.
Wer eine andre Freiheit zu begehren
Heraus sich nimmt, der sei verdammt!

Erklärung:

1 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Zentrums-Politiker



Abb.: Zoologisch-Politisch <Ausschnitt>. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 11. -- S. 44. --1884-03-09

Schafe.
In der Breslauer Gegend werden sie von dem Hirten1 gegen ihren Wächter gehetzt.

Erklärung:

1 Robert Herzog (1823 - 1886): Fürstbischof von Breslau seit 1882


Auch ein Unfehlbarer. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 13. -- 1. Beiblatt. --1884-03-23

O kehrt sogleich, so ruft der gute Hirt,
Zurück zur Herde, ihr verirrten Schafe!
Benutzt die Frist, die euch gegeben wird,
Dass nicht der Herr mit schwerer Hand euch strafe.

Barmherzig ist er, mild und voll Geduld,
Er lässt dem Sünder Zeit sich zu bekehren,
Doch übervoll ist jetzt das Maß der Schuld,
Und länger nicht will dem Gericht er wehren.

Es ist Ein Gott, Ein wahrer Glaube nur,
Verloren sind, die unsrer Lehre spotten;
Es winkt der Herr, und plötzlich ohne Spur
Verweht, vernichtet sind der Feinde Rotten.

Drum lasst im Wind verhallen nicht mein Wort,
Wenn euch der eignen Seele Heil noch teuer,
Wer mich ni9cht hört und sich bekehrt sofort,
Durchs Schwert wird er vertilgt und surch das Feuer.

Das ist die Botschaft, die durch Osman's Mund
Der Mahdi1 Albion's Söhnen2 ließ verkünden;
Die große Antwort ward erteilt zur Stund
Aus Flintenrohren und Kanonenschlünden.

Bespöttelt wird die Botschaft und belacht,
Doch darf auch ich ein Urteil mir erlauben,
So scheint der Spott mir übel angebracht:
Der Mahdi spricht gewiss aus bestem Glauben.

Der arme Mahdi! Gut hat er 's gemeint,
Und ungehört muss jetzt sein Wort verklingen;
O könnt es doch, was kaum mir möglich scheint,
In Leos3 stille Kerkerzelle dringen!

Ach, nimmer kommt des Mahdis Brief hinein
Zum Abgeschiednen, von der Welt Getrennten.
Könnt er ihn lesen still im Kämmerlein,
Was sagt er wohl zu diesem Konkurrenten?

Erklärungen:

1 Mahdi (مهدي‎)

"Mahdi (»der Rechtgeleitete«), der von den Muslimen erwartete Glaubenserneuerer (Paraklet), der, von Allah in der Endzeit gesandt, das Werk Mohammeds vollenden, die Ungläubigen bekehren oder vernichten und mit den Gläubigen ins Paradies eingehen wird (vgl. J. Darmesteter, Le M. depuis les origines de l'Islam, etc., Par. 1885; Snouck Hurgronje, Der M., in der »Revue coloniale internationale«, 1886). Der Glaube an den M., schon früh durch christliche Einflüsse im Islam lebendig geworden, knüpft sich bei den verschiedenen Religionsparteien an verschiedene Persönlichkeiten, bei den Schiiten an die Nachkommen Alis, und politische Prätendenten haben sich häufig für den M. ausgegeben, mit dem größten Erfolg Obeid Allah, der erste der ð Fatimiden (s. d.). Für einen solchen Sendling Allahs gab sich 1881 ein Ägypter im Sudân aus. Der Derwisch Mohammed Ahmed, geb. um 1840 aus dem Stamm der Danagla, ließ sich, als Wundermann verehrt und von Sklavenhändlern unterstützt, auf der Insel Aba im Weißen Fluss nieder. Er behauptete sich gegen alle Versuche der Ägypter, ihn gefangen zu nehmen, und sammelte allmählich, zum Teil aus Überläufern von dem ägyptischen Heer, viele Anhänger um sich. Der Chedive Ismail Pascha suchte ihn als falschen Propheten zu brandmarken, was seine Anhänger veranlasste, ihn für den wirklichen M. zu erklären; dies gelang um so leichter, als die von ihm gepredigte Lehre des Mohammed ibn-Abd el-wahhāb (des Stifters der Wahhabitensekte) bei fanatischen Semiten stets Anklang findet. Die Wirren in Ägypten 1882 begünstigten die Ausbreitung seiner Macht in Kordofan. Nach dem Siege der Engländer strömten ihm viele Unzufriedene zu, und so verstärkt, konnte er sich im Januar 1883 der Hauptstadt Kordofans, El Obeïd, bemächtigen und sogar das ägyptische Heer unter Hicks Pascha 3. Nov. bei Kaschgil vernichten. Der neue Generalgouverneur des Sudâns, ð Gordon (s. d. 3), suchte 1884 vergeblich, der Ausbreitung seiner Macht entgegenzuwirken. Doch nach der Einnahme von Chartum (26. Jan. 1885) verfiel er der Wollust und starb 22. Juni 1885 in Omdurman an Herzverfettung. Sein Nachfolger wurde Abdullahi el-Teischi (s. d.), im Gegensatz zu seinem geschulten Vorgänger ein unwissender Despot ohne große Ziele, unter dem der Mahdismus zu sinken begann; er fiel 24. Nov. 1899 gegen Wingate bei Om Debrikrat. Vgl. über die neuere Geschichte: Wingate, Mahdism and the Egyptian Sudan (Lond. 1891); Ohrwalder, Aufstand und Reich des M. im Sudân und meine zehnjährige Gefangenschaft daselbst (Innsbr. 1892); Slatin Pascha, Feuer und Schwert im Sudân (9. Aufl., Leipz. 1899); Schurtz im 3. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (das. 1901); Dujarric, L'Etat mahdiste du Soudan (Par. 1904)."

 

2 Albion = Großbritannien (England und Schottland)

3 Papst Leo XIII. (1810 - 1903): Papst seit 1878


Im Vatikan. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 18. -- S. 70. --1884-04-20

Gestatte, dass ich in frommer Scheu,
Mich werfe vor deine Füße,
Und dass ich als dein Knecht getreu
Dich, heilger Vater grüße!

"Wer bist du, Fremdling, und woher
Bist du zum gelben Tiber
Gewallt, und was ist dein Begehr?
Was bringst du mir? Sprich, mein Lieber!"

Ich bin der Fürst von Liechtenstein,
Benamst Johann der Zweite1,
Ich komme, dir mein Reich zu weihn,
Dass Zuflucht es dir bereite.

"Dein Reich? In welcher Region
Mag sich dies Land erstrecke?
Auf meinem Globus, lieber Sohn,
Kann ich 's halt nicht entdecken."

Begrenzt ist 's. Heiliger, von Tirol
Und von den Schweizer Bergen.
Dort wärst du endlich sicher wohl
Vor König Humberts2 Schergen.

"Dort also, wo der Rheinstrom rinnt
Auf schroffen Felsenbahnen,
Dort ist dein Reich? Doch rede: sind
Auch gläubig die Untertanen?"

Ja, Herr, mein Reich ist bewohnt allein
Von frommen Orthodoxen
Vom Stammschloss "Hohen-Liechtenstein"
Bis hin zum "Berge der Ochsen".

"Und sollt ich so, entflohn dem Druck,
Zu deinem Reich mich wenden,
Hat es für mich auch Raum genug,
Und was, was kann es mir spenden?"

Es hat drei Meilen im Geviert
Und auch achttausend Seelen.
Von allem, was das Leben ziert,
Soll es an nichts dir fehlen.

"Potztausend! Hast du genug an Macht,
Damit in Berg und Tale
Weithin auch künftig die hehre Pracht
Des heiligen Stuhls erstrahle?"

Mein ganzes Volk ist zu Schutz und Trutz
Geschart um deine Fahne!
Und meine Residenz Vaduz
Soll werden zum Vatikane!

"Hab Dank, du, frommer Fürsten Zier
Zeuch heim mit Unserem Segen!
Doch wegen Vaduz -- das wollen Wir
Ein Weilchen noch überlegen!"

Erklärungen:

1 Johann II. (1840-1929): 1858 Fürst von und zu Liechtenstein

2 Humbert (1844 - 1900): König von Italien seit 1878


Verlorene Liebesmühe. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 19. -- S. 73. --1884-04-27

Die langverheißne Enzyklika1,
Erschienen ist sie eben.
Wie viele Mühe hat wieder sich
Der heilige Vater gegeben.

In stattlichem Format gebraucht
Er mehr als dreißig Seiten,
Um über das Übel der Freimaurerei
Sich gründlich zu verbreiten.

Aufdeckt er den schwarzen Sündenpfuhl,
In dem die Maurer wohnen.
Er zeigt, wie sie mit frecher Hand
Schon rütteln an allen Thronen.

An Fürsten und Völker lässt er laut
Den Warnungsruf erschallen,
Doch unbeachtet muss ein Wort
Im Treiben des Tags verhallen.

Kein Mensch will von der Enzyklika
Nur eine Seite lesen.
Mit Ben Akiba2 ruft jeder gleich:
's ist alles schon dagewesen!

Ach, frommer Leo, du bist zu spät
Auf den heiligen Stuhl gekommen!
Der neunte Pius3 hat schon längst
Das Beste vorweggenommen.

Er fand ein empfängliches Publikum
Noch vor im Welttheater,
Und was in seinen Kräften stand,
Es zu erbaun, das tat er.

Wie lauschte jeder, wenn er sprach,
Still mit gespitztem Ohre!
Fast alles, was er brachte, schlug
Gleich durch und machte Furore.

Heut ist das Publikum blasiert,
Es hat zu viel genossen:
Ein Lächeln kaum gewinnen ihm ab
Die fröhlichsten Schwänke und Possen.

Der Autor mag mit Lust und Fleiß
Sein Allerbestes bringen --
Heut ist eine Heiterkeitserfolg
Nur schwer noch zu erringen.

Erklärungen:

1 Papst Leo XIII.: Enzyklika "Humanum genus", 20. April 1884: Aufruf zum Kampf gegen die Freimaurer

2 Akiba ben Josef (עקיבא בן יוסף) (um 50/55 - 135): Rabbi

3 Pius IX. (1792 - 1878): Papst 1846 bis 1878, Weltmeister im Verfluchen von Ketzern und Irrlehrern, erster offiziell unfehlbarer Papst



Abb.: Der Kulturkampf-Wetterfrosch. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 19. -- S. 75. --1884-04-27

Rana meppensis1 chamaeleontilis ist schwarz auf dem Rücken und an den Extremitäten gelb und weiß2. Sitzt er im Zentrum des Glases und macht ein harmloses Gesicht, so ist Windstille im Kulturkampf. Erklimmt er die oberste Sprosse der Redeleiter und lächelt nach der Rechten, so schwirren Freundschaftsbeteuerungen zwischen Berlin und Rom. Wird aber in Rom die Kriegsparole ausgegeben, so erregt der Wetterfrosch furchtbaren Sturm im Wasserglase.

Erläuterungen:

Dargestellt ist der ultramontane Zentrumsführer Ludwig Windthorst (1812 - 1891)

1 Meppen, Landkreises Emsland, Niedersachsen: Wahlkreis von Ludwig Windthorst.

2 gelb und weiß: Farben der Fahne des Vatikans


Zentrumspolitik. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 20. -- S. 78. --1884-05-04

Kein kühn Beginnen
Hilft zum Gewinnen,
Kein mutig Handeln,
Kein Gradauswandeln
Der Klerisei.

Durch List ersagen
Und Rechnung tragen,
Mit Widersachern
Feilschen und schachern
Führt den Sieg des
Zentrums herbei.



Abb.: Aus dem kleinen Kirchenstaat. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 35. -- 1. Beiblatt. --1884-08-03

Auch der Vatikan benutzt die günstige Gelegenheit, in seiner Art Kolonialpolitik zu treiben. Ein vorzügliches Territorium für einen neuen "Kirchenstaat"1 hat sich bereits gefunden.

Erläuterung:

1 nämlich Belgien:

"So brachten die Neuwahlen im Juni 1884 [in Belgien] wieder die klerikale Partei aus Ruder. Das streng ultramontane Ministerium ð Malou (s. d.), in das auch ð Jacobs (s. d.) und ð Woeste (s. d.) Aufnahme fanden, stellte sogleich den Frieden mit der Kurie wieder her, sah sich aber schon im Oktober 1884, nachdem es ein neues klerikales Schulgesetz durchgesetzt, zum Rücktritt genötigt. Das nun folgende gemäßigt klerikale Kabinett ð Beernaert (s. d.) löste geschickt die Aufgabe, die Bestimmungen des liberalen Unterrichtsgesetzes von 1879 zu beseitigen. Auf Grund des neuen klerikalen Schulgesetzes waren Ende 1885 bereits 877 von den 1933 Staatsvolksschulen verschwunden, dagegen 1465 geistliche Schulen als öffentliche Lehranstalten anerkannt. Auch mehrere andre Umstände trugen zur Befestigung der klerikalen Machtstellung bei, so die günstige Entwickelung des ð Kongostaates (s. d.), als dessen Souverän König Leopold II. 1885 auch von den belgischen Kammern anerkannt wurde, ferner der unaufhaltsame Rückgang der von ð Bara (s. d.) geleiteten Doktrinär-Liberalen und die Abneigung weiter Volkskreise gegen die von den Radikalen rücksichtslos vertretene Wahlrechtsreform, endlich das erfolgreiche Streben der Klerikalen, durch die Gesetze von 1887 und 1888 dem flämischen Volkstum die sprachliche Gleichberechtigung neben dem wallonischen zu verschaffen und in der Verwaltung die Alleinherrschaft der französischen Sprache zu brechen. Besonders aber kam der Regierung zu gute, dass sie durch Sparsamkeit und Rentenkonversion das unter Frère-Orban entstandene Defizit beseitigte. Für die wirtschaftliche Zukunft Belgiens war von Bedeutung, daß 2. Juli 1890 fast alle Mächte (die Niederlande Anfang 1891) der Erhebung von Einfuhrzöllen im Kongostaat zustimmten, worauf beide Kammern eine Vereinbarung zwischen diesem und B. genehmigten, wonach letzteres dem erstern ein unverzinsliches Darlehn von 25 Mill. Frank auf 10 Jahre gewährte und dafür das Recht erhielt, nach Ablauf der genannten Frist den Kongostaat mit allen Rechten und Verpflichtungen zu übernehmen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Belgien"]


An die Schwarzen in Belgien. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 37/38. -- S. 147. --1884-08-17

Nur wacker zu, du finstre Schar,
Nimm deiner guten Chancen wahr!
Regt rüstig euch, ihr schwarzen Brüder,
Und was sich wehrt, das tretet nieder.
Schafft Dunkelheit, blast aus das Licht,
Die Nacht ist gar so übel nicht.
Mit ihrem schwarzen Fittich deckt
Sie manchen sittlichen Defekt.
Fort mit den Schulen ungeniert,
In denen nicht der Pfaff regiert!
Fort mit der Bildung, die nichts taugt,
Die auch der Fromme gar nicht braucht!
Ihr habt die Macht, ihr jetzt seid groß --
Auf denn, ihr Schwarzen, frisch drauf los!
Um desto eher seid Ihr fertig --
Und dessen sind wir froh gewärtig.

Erläuterung: siehe oben!



Abb.: In: Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 42. -- 1. Beiblatt. --1884-09-14

In Amberg auch im Bayernland
Wohin als Heerbann ward entsandt
Der Kirche Herren, Ritter, Diener,
Hat jüngst gepredigt der Kapuziner1:

"Die Klöster sind ausgenommene Nester,
Die Bistümer sind verwandelt in Wüstümer
Die Abteien und die Stifter sind Raubteien und Diebesklüfter,
Und all die gesegneten deutschen Länder
Sind verkehrt worden in Elender!
Und retten kann uns aus Not und Schwindel
Nur Bayern und -- sein Münchner Kindel."

Erläuterung:

1 = der dargestellte Ludwig Windthorst (1812 bis 1891), katholischer Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker


Eröffnung des Salons in Brüssel. Auf Wunsch der jetzigen Regierungspartei entfernen sich alle "Nuditäten", um wieder Raum für die Scheinheiligen, wollt ich sagen "Heiligenscheine" zu schaffen.

In der Belgischen Kammer geht das neue Schulgesetz durch und wird vom Könige bestätigt, nach welchem künftig die Kinder nur mit Milch von schwarzen Kühen groß gezogen werden sollen.

Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitte>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 44/45. -- S. 177. --1884-09-28

Erläuterung: siehe oben!


Abschiedsgruß an Herrn August Reichensperger1, den Zentrumsvorkämpfer für Rom, Volksfreiheit und Gotik. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 44/45. -- S. 179. --1884-09-28


Abb.: August Reichensperger [Bildquelle: http://www.zdv.de/histo/pers-10.htm. -- Zugriff am 2004-11-14]

Warst als Römling zwar zelotisch2,
Doch in dem nur streng despotisch,
Was nicht gotisch3.

Freund der Freiheit, fast erotisch,
Feind der Hocker am Bürotisch,
Die nicht gotisch.

Allem feind, was feil und zotisch,
Was servil4 war und helotisch5
Und nicht gotisch.

Hasstest da, was idiotisch,
Würztest Reden oft narkotisch
Und auch gotisch. —

Nimm den Gruß, den ich erotisch
Heut dir weihe sazerdotisch6
Warm und gotisch:

"Zech als Greis noch makrobiotisch7
Kreuzfidel und patriotisch —
Aber gotisch!"

Kladderadatsch
als Freund und Verehrer seit 1848

Erläuterungen:

1 August Reichensperger, der 1884 aus dem Reichstag ausschied

"REICHENSPERGER, August. Reichensperger wurde am 22.3. 1808 zu Koblenz geboren und † 16.7. 1895 zu Köln. Reichensperger trat nach Abschluß seiner juristischen Studien an den Universitäten Bonn, Heidelberg und Berlin sowie der Promotion zum Dr. phil. in den preußischen Justizdienst ein. Seit 1844 wirkte er als Landgerichtsrat in Trier, von 1849 bis 78 als Appellationsgerichtsrat in Köln. 1848/49 gehörte Reichensperger als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung an, in der er als Großdeutscher das preußische Erbkaisertum bekämpfte. Als Mitglied des Erfurter Unionsparlaments, das vom 20.3. bis zum 29.5. 1850 in der Augustinerkirche zu Erfurt tagte, stimmte er gegen die Union. Von 1850 bis 63 und 1870 war Reichensperger Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, seit 1852 als einer der Führer der katholischen Fraktion. Von 1867 bis 1884 war er Mitglied des Reichstags, in dem er zu den führenden Repräsentanten der Zentrumsfraktion gehörte. Reichensperger war ein entschiedener Gegner der Reaktionspolitik Manteuffels und von Bismarcks kleindeutscher Reichsgründungspolitik. Neben L. Windthorst gehörte Reichensperger zu den profiliertesten katholischen Politikern seiner Zeit. Reichensperger war Ehrenbürger von Oppenheim (1889), Koblenz (1892) und Köln (1895)."

[Quelle: Konrad Fuchs. -- http://www.bautz.de/bbkl/r/reichensperger_a.shtml. -- Zugriff am 2004-11-14] 

2 zelotisch: eifernd, fanatisch

3 gotisch: Reichensperger einer der Hauptförderer des Fertigbaus des gotischen Kölner Doms. Zugleich setzte er sich aus religiöser und künstlerischer Überzeugung für den gotischen Stil ein, den er als schlechthin christlichen interpretierte. Seit Gründung des Dombau-Vereins war er Mitglied des Verwaltung Ausschusses, bis 1844 zugleich erster Sekretär. Mehrmals lehnte er eine Wahl zum Präsidenten des Zentral-Dombauvereins ab, blieb aber Redakteur des Kölner Domblattes, das die wichtigste Stimme des Vereins war.

4 servil: knechtisch

5 helotisch: von Heloten: Staatssklaven des alten Sparta: sklavisch

6 sazerdotisch: priesterlich

7 makrobiotisch: von Makrobiotik: Kunst, das menschliche Leben auf die höchste Dauer zu bringen. Der Begriff geht auf Christoph Wilhelm Hufeland (1762 - 1836) und sein 1796 veröffentlichtes Hauptwerk "Makrobiotik oder Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern" zurück, in dem eine besondere Ernährung und ein "harmonischer" Lebensstil empfohlen wird.


Die schwarze Hundert. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 37, Nr. 55. -- 3. Beiblatt. --1884-11-30

Im Reichstag sitzen ihrer hundert,
Die besten Männer von der Welt.
Es hat mich wirklich sehr verwundert,
Dass mancher  nicht dafür sie hält.
Dem Wohl des Staates gilt ihr Streben,
So stehn sie da als treue Wacht,
Dem Kaiser und dem Reich ergeben --
So lang' es Rom Vergnügen macht.

Wie kann sie nur so sehr verkennen
Der Kanzler, der doch sonst so klug?
Die besten Freunde sie zu nennen
Hätt er doch wahrlich Grund genug.
Sie folgen treulich den Geboten
Der Obrigkeit und überhaupt
Sind sie die besten Patrioten --
Soweit es ihnen Rom erlaubt.

Es ist, fürwahr, nicht leicht zu fassen,
Dass sie nicht längst in Gold gefasst.
Man kann sich auf ihr Wort verlassen,
So lange als es dem Papste passt.
Sie setzen mutig sich zur Wehre
Und kämpfen kühn zu jeder Frist
Für Deutschlands Macht und Deutschlands Ehre --
Falls Rom nicht andrer Ansicht ist.

O schwer verkannte Zentrumsleute!
O Windthorst Du, des Zentrums Hort!
Ob nicht bereits den Kanzler reute
Das scharfe, ungestüme Wort?
Er könnt sich doch so leicht vertragen
Mit Euch, und alles ginge glatt,
Wenn er nur wollt bei allem fragen,
Ob Rom etwas dagegen hat.


1885



Abb.: Wilhelm Scholz (1824 - 1893): Im Kampf mit Rom: Nächstens muss sich entscheiden, welcher von uns beiden den kürzeren zieht. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 2. -- S. 8. --1885-01-11

Erläuterung: Dargestellt sind Bismarck und Windthorst



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Aus dem Reich der Mode <Ausschnitt>: Bei den Jesuiten bleibt der so kleidsame breite krämpige Hut in der Mode. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 4. -- 1. Beiblatt. --1885-01-25.


Die Toleranten. -- In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 10. -- S. 38. --1885-03-01.

Spricht Herr Stöcker: "Wehe! tief
Steckt ihr in Verschuldung!
Von dem Papst bis zum Kaplan
Fehlt es euch an Duldung."

Spricht Herr Windthorst: "Wer da will
Fremdem Unrecht wehren,
Vor der eignen Türe mag
Er zuerst doch kehren!"

Seh' ich beide so im Streit,
Herzlich lachen muss ich:
Topf und Kessel schelten sich
Allen Ernstes rußig!

1 Adolf Stöcker (1835 - 1909): evangelischer Hofprediger

2 Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker



Abb.: Sehnsucht nach Schluss: Selbst Herr Windthorst ist schon müde, fortwährend die Mühle in Bewegung zu setzen. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 11. -- S. 44. --1885-03-08.


 
Abb.: Abwechslung: Der Kulturkampf bedarf dringend der Neubelebung. Exz. Windthorst findet in der Polen-Frage das beste Mittel. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 11. -- 2. Beiblatt. --1885-03-08.


Von einem Erzbischof und einer frommen Pfarrersköchin. (neueste Begebenheit). --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 26. -- S. 103. --1885-06-07.

Es war eine Pfarrersköchin im Land Bohemia,
Die lebte in Budweis1 als fromme Virgo canonica2.
und als Graf Schönborn3 ernannt ward zum Erzbischof von Prag,
Da kam auch für den Pfarrherrn ein Wechsel- und Umzugstag.

Der sollt aus der Diözese von Budweis scheiden jetzt
Und in eine neue Pfarre vom Bischof werden versetzt.
Da sprach der Pfarrer zur Virgo: "Auf, lass uns ziehn davon,
komm mit mir, Schatz, zur Ferne!" -- Der Bischof sprach: "Quod non!4

Die Virgo seiner Küche von dir sich trennen muss!
Es gäbe sonst eitel Gerede und Klatsch und Ärgernuss!"
Als dies die Köchin hörte, geriet sie in Wut und Not:
Sie griff zu einem Revolver und wollt sich schießen tot.

Sie hat sich nicht erschossen, nicht ausgehaucht die Seel,
Die nur für den Pfarrer kochte. -- Der Schuss -- Gott Lob -- ging fehl;
Doch nur von der treuen Virgo heut redet Dorf und Stadt.
das kommt davon, wenn ein Pfarrer -- eine junge Köchin hat.

Erläuterungen:

1 Budweis: heute České Budějovice, Tschechien

2 Virgo canonica: latein. "Jungfrau gemäß dem Kirchenrecht"

3 Franziskus von Paula Graf von Schönborn (tschechisch: František Schönborn; 1844 - 1899): 1883 - 1885 Bischof von Budweis, 1885 - 1899 Erzbischof von Prag, 1889 Kardinal

4 Quod non!: latein. "das darf nicht sein"



Abb.: Beruhigung: Im Vatikan hält man die Fesseln des "Gefangenen" für stark genug, um eine unverhofte Flucht nach dem Quirinal1 zu verhindern. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 32. -- 2. Beiblatt. --1885-07-12.

Erläuterung:

1 Quirinal: Palazzo del Quirinale (Quirinalspalast): Residenz des italienischen Königs. Bezieht sich auf Gerüchte, dass der Papst ("Gefangener des Vatikan") eine Aussöhnung mit dem italienischen Staat wolle.


Der Gefangene im Vatikan. Nach weit verbreiteter Auffassung. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 35. -- 1. Beiblatt. --1885-08-02.

Dem heiligen Vater im Vatikan,
Dem ist es übel ergangen:
Er sitzt wahrhaftig -- es ist kein Wahn --
Im Vatikan gefangen.
Er kann nicht regen sich schlechterdings,
Es wird durchaus nicht gelitten.
Jesuite rechts, Jesuite links
Und Leo1 in der Mitten!

Der heilige Vater im Vatikan
Neigt hin zum Deutschen Reiche.
Er streckte gern -- bald wär's getan --
Die  Hand hin zum Vergleiche.
Dann wär zu Ende alle Pein
Und alle Not vorüber;
Doch Windthorst sagt: Es darf nicht sein!
Und Windthorst ist ihm über.

Der heilige Vater im Vatikan
Tät sich für Otto2 erwärmen;
Er ist von Herzen ihm zugetan,
Doch muss er sich einsam härmen.
Ihm näher trät er gar zu gern
Und würde sein Freund mit Freuden;
Allein die Schwarzen sind die Herrn
Und wollen es halt nicht leiden.

O heiliger Vater im Vatikan,
Behütet von Jesuiten,
Fass dir ein Herz und brich dir Bahn
Durch alle, die dich behüten.
Kehr deine Unfehlbarkeit hervor,
(Du  hast sie ja doch entschieden)
Und wirf hinaus das schwarze Corps
Und mache mit Deutschland Frieden.

Erläuterungen:

1 Papst Leo XIII. (1810 - 1903), Papst 1878 - 1903

2 Otto von Bismarck-Schönhausen (1815 - 1898), Reichskanzler 1871 - 1890



Abb.: Im zoologischen Garten: Ein schwarzes Tête à Tête1. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 35. -- 2. Beiblatt. --1885-08-02.

Erläuterung:

1 Anspielung auf die damals beliebten "Völkerschauen". Dargestellt ist Ludwig Windthorst (1812 - 1891): ultramontaner Politiker


Wie Herr von Schlözer1 aus Rom schreibt. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 36. -- S. 143. --1885-08-09.

Urlaub hab ich  zwar bekommen,
Doch ich hab ihn nicht genommen,
da ich mich zu stürzen sehne
Zentrum, Welfen2, Hetzkapläne.

In Berlin scheint tot die Bande;
Aber hier am Tiberstrande
Schütteln grimmig ihre Mähne
Zentrum, Welfen, Hetzkapläne.

Die vom Jesuiten-Orden
Sind nur scheinbar zahm geworden;
Heimlich fletschen frech die Zähne
Zentrum, Welfen, Hetzkapläne.

Und von hier, von Rom nur eben,
Wird das Stichwort ausgegeben,
das zum Spiel ruft auf die Szene
Zentrum, Welfen, Hetzkapläne.

Hier nur kann den Feind ich fassen;
Darf drum Roma nicht verlassen.
Will durchkreuzen eure Pläne --
Zentrum, Welfen, Hetzkapläne!

Mag auch Windthorst drob sich grämen --
Ich will  niemals Urlaub nehmen!
Merkt's euch, ihr Kulturkampf-Hähne,
Zentrum, Welfen, Hetzkapläne!

Erläuterungen:

1 Kurd von Schlözer (1822 - 1894): preußischer Gesandter beim Papst.

2 Welfen: Papstpartei



Abb.: Aus Münster: Ecclesia militans1, alias Windthorst. Gebt uns die Jesuiten und wir geben euch den Frieden. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 42. -- 2. Beiblatt. --1885-09-13.

Erläuterung:

1 ecclesia miltitans: latein. "kämpfende Kirche". Kniend dargestellt: Otto von Bismarck-Schönhausen (1815 - 1898), Reichskanzler 1871 - 1890



Abb.: Weltherrschaft. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 43. -- 2. Beiblatt. --1885-09-20.

Da streiten sich die Leut herum, ob der Protestant oder der Papst die Welt regiert?
Als wenn nicht schon jedes Kind wüsste, dass ich das Regiment führe!



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>: Auf der Katholiken-Versammlung in Münster sagt Windthorst: Der Papst regiert die Welt! Und wer regiert den Papst? Verschämt schweigt Windthorst. --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 44/45. -- S. 177. --1885-09-27.



Abb.: Der Papst und die Karolinen1: Salomonis Urteilsspruch2.  --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 47. -- S. 188. --1885-10-11.

Erläuterungen:

1 Karolinen

"Die Karoliner gehören zu den Mikronesiern. Merkwürdig sind die großartigen, aus früherer Zeit stammenden Steinbauten, Hafendämme u. a. auf manchen Inseln. Den wichtigen Koprahandel hat vornehmlich die deutsche Jaluitgesellschaft (s. d.) in Händen. Die Inselgruppe wurde 1527 durch den Portugiesen Diego da Rocha entdeckt und Sequeirainseln getauft, erhielt aber 1686 von dem Spanier Lazeano nach König Karl II. ihren jetzigen Namen. Von Manila aus suchten die Jesuiten die Bewohner der Karolinen zum Christentum zu bekehren, ihre Expeditionen mißlangen aber, und als 1731 der Pater Cantova ermordet wurde, bekümmerte sich Spanien nicht mehr um die Gruppe. Untersucht wurde sie 1817 durch Kotzebue mit Chamisso, 1824 durch Duperrey, besonders aber 1827 und 1828 durch Lütke. Als Spanien 1875 sein in Vergessenheit geratenes Besitzrecht geltend machen wollte, wurden seine Ansprüche sowohl von Deutschland als von England zurückgewiesen. Als dann Spanien 1885 gegen die deutsche Besitzergreifung protestierte, erklärte sich Deutschland bereit, die Streitfrage dem Schiedsgericht des Papstes zu unterwerfen. Dieser entschied 22. Okt., dass die K. und Palauinseln Spanien gehören, dieses aber Deutschland volle Freiheit und Schutz des Handels und der Schiffahrt sowie das Recht, auf den K. eine Schiffs- und Kohlenstation anzulegen, gewähren sollte. Auf die Schiffs- und Kohlenstation verzichtete Deutschland 1886, kam aber durch ein Abkommen vom 30. Juni 1899 in den Besitz der Inselgruppe, für die Spanien eine Geldentschädigung von 25 Mill. Pesetas erhielt. Die Befriedung der teilweise fehdelustigen Bevölkerung war bis 1904 im wesentlichen vollendet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Karolinen"]

2 Salomonisches Urteil: 1. Buch der Könige 3,16 - 28: "Damals kamen zwei Dirnen und traten vor den König. Die eine sagte: Bitte, Herr, ich und diese Frau wohnen im gleichen Haus, und ich habe dort in ihrem Beisein geboren. Am dritten Tag nach meiner Niederkunft gebar auch diese Frau. Wir waren beisammen; kein Fremder war bei uns im Haus, nur wir beide waren dort. Nun starb der Sohn dieser Frau während der Nacht; denn sie hatte ihn im Schlaf erdrückt. Sie stand mitten in der Nacht auf, nahm mir mein Kind weg, während deine Magd schlief, und legte es an ihre Seite. Ihr totes Kind aber legte sie an meine Seite. Als ich am Morgen aufstand, um mein Kind zu stillen, war es tot. Als ich es aber am Morgen genau ansah, war es nicht mein Kind, das ich geboren hatte. Da rief die andere Frau: Nein, mein Kind lebt und dein Kind ist tot. Doch die erste entgegnete: Nein, dein Kind ist tot und mein Kind lebt. So stritten sie vor dem König. Da begann der König: Diese sagt: Mein Kind lebt und dein Kind ist tot! und jene sagt: Nein, dein Kind ist tot und mein Kind lebt. Und der König fuhr fort: Holt mir ein Schwert! Man brachte es vor den König. Nun entschied er: Schneidet das lebende Kind entzwei und gebt eine Hälfte der einen und eine Hälfte der anderen! Doch nun bat die Mutter des lebenden Kindes den König - es regte sich nämlich in ihr die mütterliche Liebe zu ihrem Kind: Bitte, Herr, gebt ihr das lebende Kind und tötet es nicht! Doch die andere rief: Es soll weder mir noch dir gehören. Zerteilt es! Da befahl der König: Gebt jener das lebende Kind und tötet es nicht; denn sie ist seine Mutter. Ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie schauten mit Ehrfurcht zu ihm auf; denn sie erkannten, dass die Weisheit Gottes in ihm war, wenn er Recht sprach."



Abb.: Reichstagssitzung vom 28. November: Der Römische Reichsbote Windthorst. Der Turm des Zentrums steht fest und wird stehen..  --  In Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 56. -- 2. Beiblatt. --1885-12-06.

Erläuterung: In Kamerun wurden zwei Pariser Missionare nicht zugelassen. Das gibt dem Zentrum Anlass zu einer Interpellation im Reichstag. Dabei wurde der Begriff "Turm des Zentrums" geprägt.



Abb.: Wilhelm Scholz (1824 - 1893): Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>: Papst Leo XIII. als Schiedsrichter in der Karolinenfrage1 zwischen Deutschland und Spanien fällt ein wahrhaft Salomonisches Urteil2 über die Teilung des Schmerzenskindes, so dass beide Parteien befriedigt ausrufen: Schneiden Sie zu! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 38, Nr. 59/60. -- S. 236. -- 1885-12-27

Erläuterung: siehe oben!


1886


Die beste Wahl. Nach Dr. Windthorst. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 5. -- S. 19. -- 1886-01-31

Stolz an die Urne tritt heran,
Wenn es ans Wählen geht, der Mann --
Und wählt mit hoch erhobnem Haupt
So, wie er recht zu stimmen glaubt.
Doch wenn du zusiehst ganz genau,
Bemerkst du hinter ihm die Frau.
Sie sagt gar ernst und liebevoll
Dem Gatten, wie er wählen soll.
Und das geschieht mit Fug und Recht,
Denn in dem zarteren Geschlecht
Loht noch ein tiefes Rechtsgefühl,
Wogegen Männer oft ganz kühl
Nur ihren eigenen Interessen
Nachgeben und des Rechts vergessen.
Auch hinter ihr, kannst scharf du sehn,
Wirst etwas Dunkles du erspähn.
Du meinst, es gleiche einem Mann?
Ganz recht, tritt näher nur heran:
's ist der hochwürdige Kaplan!
Er zeigt der Frau die rechte Bahn,
wenn sie in ihrem schlichten Sinn
Nicht klar und sicher weiß, wohin.
Woher der Herr Kaplan es weiß,
Das mache dir den Kopf nicht heiß.
Genug, er weiß es ganz genau
Und sagt es gern der guten Frau.
So muss die Wahl zu Stande kommen,
Soll wahrhaft sie dem Lande frommen.
ob etwas indirekt sie ist,
Die beste bleibt's zu aller Frist.


Zentrum und Freisinn. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 6. -- S. 22. -- 1886-02-07

Auffordert zum Tanz
Der Fuchs eine Gans.
Der Gans ist es recht,
Es gefällt ihr nicht schlecht.
Und es schmeichelt ihr sehr —
Mit dem Fuchse zu tanzen, was für eine Ehr!

Aufführet den Tanz
Der Fuchs mit der Gans.
Wie schwenkt er sie schnell,
Der scharmante Gesell!
Wie rasch er sie dreht,
Dass Hören und Sehn ihr und Schnattern vergeht!

Austanzte den Tanz
Der Fuchs mit der Gans.
Die Federn noch stieben —
Wo ist sie geblieben?
Sag an, wo sie steckt!
Ei, frage den Fuchs, der die Schnauze sich leckt.

Erläuterung: Die preußische Regierung wies Untertanen polnischer Sprache aus den östlichen Reichsgebieten aus. Um das zu verhindern, verbanden sich Freisinn und Zentrum zu gemeinsamem Vorgehen.



Abb.: Illustrierte Rückblicke >Ausschnitt>: Wie sich unsere Kulturkämpfer den Papst wünschen: "Ich muss doch einmal nachsehen, was ich morgen tun werde." -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 14/15. -- S. 56. -- 1886-03-28

Erläuterung: Germania

"Germania, am 1. Jan. 1871 begründete, täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung, vertritt die Interessen der deutschen Zentrumspartei und des römischen Stuhles unter jesuitischem Einfluß. Eine hervorragende Rolle spielte sie während des Kulturkampfes unter der Leitung Paul Majunkes, der 1878 aus der Redaktion ausschied. Gegenwärtig (1904) ist Chefredakteur H.ten Brink."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Wilhelm Scholz (1824 - 1893): Der Unersättliche: Für wen ist denn das große Stück? — Für dich, mein Lieber. — Ach, man so wenig? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 18. -- S. 72. -- 1886-04-18

Erklärung: Bezieht sich auf die Abmilderung der sog. Maigesetze (siehe oben!) als Zugeständnis an die Katholiken.

" Mit dem Regierungsantritt des Papstes Leo XIII. (1878) trat der Wendepunkt ein. Schon im Sommer fanden zwischen dem Fürsten Bismarck und dem päpstlichen Nuntius Masella Verhandlungen statt, die 1879 mit dem Kardinal Jacobini fortgesetzt wurden. An die Stelle des bisherigen preußischen Kultusministers Falk, der bei der kirchenpolitischen Gesetzgebung und ihrer Durchführung wesentlich beteiligt gewesen war, trat Puttkamer. Nachdem die Verhandlungen mit der Kurie gescheitert waren, ging die preußische Regierung aus eigner Initiative an die Reform der Maigesetzgebung. Sie vollzog sich nicht in einer einheitlichen Gesetzgebung, sondern sukzessive in fünf Novellen, deren Bestimmungen selbst wieder vielfach ineinandergreifen und sich gegenseitig modifizieren. Infolgedessen ist der gegenwärtige Rechtszustand schwer zu übersehen (Gesetze vom 14. Juli 1880, 31. Mai 1882, 11. Juli 1883, 21. Mai 1886 und 29. April 1887). An die Stelle der staatlichen Amtsentsetzung von Kirchendienern trat die gerichtliche Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung eines Amtes mit der Folge des Verlustes des Amtseinkommens. Im Zusammenhang damit wurde später (Reichsgesetz vom 6. Mai 1890) das Expatriierungsgesetz aufgehoben. Ein vom König begnadigter Bischof, der durch gerichtliches Urteil aus seinem Amt entsetzt war, galt ohne weiteres damit auch als staatlich anerkannter Bischof seiner Diözese. Die meisten Strafbestimmungen wurden beseitigt, insbes. die Abhaltung von Messen und Spendung der Sakramente völlig freigegeben. Aufgehoben wurden ferner die besondern Vorschriften wegen der Staatsaufsicht über die zur Vorbildung von Geistlichen bestimmten und die Demeritenanstalten und mit einziger Ausnahme des § 1 das ganze Gesetz über die Grenzen des Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel. Das Erfordernis der wissenschaftlichen Staatsprüfung wurde aufgegeben, der kirchliche Gerichtshof und die Berufung an den Staat wegen kirchlicher Disziplinarentscheidungen aufgehoben. Anzeigepflicht und Einspruchsrecht gelten fortan nicht mehr für die Bestellung von Verwesern, sondern nur für die dauernde Übertragung eines Pfarramts. Für den ganzen Umfang der Monarchie sind wiederum zugelassen diejenigen Orden und ordensähnlichen Kongregationen, die sich der Aushilfe in der Seelsorge, der Übung der christlichen Nächstenliebe, dem Unterricht und der Erziehung der weiblichen Jugend in höhern Mädchenschulen und gleichartigen Erziehungsanstalten widmen, oder deren Mitglieder ein beschauliches Leben führen. Endlich wurden seit Mai 1886 in allen Diözesen die Staatsleistungen wieder aufgenommen, und nach längern Verhandlungen kam das Gesetz vom 24. Juni 1891 (sogen. Sperrgelderverwendungsgesetz) zustande, durch das die Rückbezahlung des infolge des Sperrgeldgesetzes angesammelten Betrags von 16,009,333 Mk. an die Geschädigten geregelt wird. Die Bewilligung aus den für jede einzelne Diözese gesetzlich ausgeworfenen Beträgen erfolgt auf Antrag der Geschädigten, bez. ihrer Erben durch eine Kommission, deren Mitglieder durch den Kultusminister im Einvernehmen mit dem betreffenden Diözesanobern ernannt werden. Überschüsse werden an die Diözese hinausbezahlt und zu einem Diözesanfonds angelegt. Einen weitern Schritt auf der 1879 betretenen Bahn bedeutete die 1904 erfolgte Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes (s. d.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Kirchenpolitik"]



Abb.: Friede, teurer Friede! Zwischen Berlin und Rom wird der Tomahawk begraben und die Flinte ins Korn geworfen. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 19. -- S. 76. -- 1886-04-25

Erläuterung: bezieht sich auf den neuen kirchenpolitischen Gesetzentwurf, in dem eine Reihe von Gesetzen gegen die katholische Kirche aufgehoben wurden.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Der Blick. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 27. -- 1. Beiblatt. -- 1886-06-13



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 29/30. -- S. 116. -- 1886-06-27

Da die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes nur noch eine Frage der Zeit schein, beschäftigt man sich im Vatikan bereits mit der Frage, wie die künftige Armee auszurüsten sei.



Abb.: Probe. In München versucht man, ob das Ministerium Lutz1 fest steht. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 31. -- S. 124. -- 1886-07-04

Erläuterung:

1 Johann Freiherr von Lutz (1826 - 1890): bayrischer Kultusminister 1867 - 1890: siehe oben!



Abb.: Im Vatikan: Jetzt weiß ich selber nicht, bin ich eigentlich mit der Lage der Kirche in Bayern zufrieden -- -- oder nicht? -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 34. -- 2. Beiblatt. -- 1886-07-25


Des Papstes Angebinde. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 36. -- S. 142. -- 1886-08-08

Gütig ist der Papst und freundlich,
Stets geneigt zu kleinen Scherzen
Und voll neckischen Humors.

Und so dacht er nach mit Liebe,
Was er wohl bescheren könnte
Dir zum fünften Säkularfest,
O Ruperto-Carola1.
Etwas, das dich wahrhaft freute,
Hätt' er gern als Angebinde
Dir gespendet. Lange sann er,
Endlich fiel ihm etwas ein.

Ach, in schlimmen Kriegesläuften,
Als ein unglückselger Kampf
Unser Vaterland zerriss
Und es fast zur Wüste machte,
Fiel auch Heidelberg. Von Tilly2
Eingenommen und geplündert
Ward die blüh'nde Neckarstadt.
Schweres Unglück traf die Hochschul,
Denn ihr allergrößter Schatz,
Die berühmte Sammlung alter
Codices und andrer Werke
Von unschätzbar hohem Wert,
Ward ihr einfach fortgenommen,
Wegstibitzt und dann verschenkt.

Sehr bequem mit fremdem Gute
Ist es nobel sein; verschenken,
Was man andern weggenommen,
kostet nichts und macht Vergnügen.
Also dachte wohl der biedre
Deutsche Fürst, der solches tat.

Dem geschenkt die Sammlung wurde,
War der edle Papst Gregor3,
Der fünfzehnte seiner Zahl nach.
Lächelnd nahm er sie entgegen,
Mit Behagen und bedachtsam
Stellt er sie im Vatikan auf,
Wo sie noch als Palatina4
Prangt, ein Kleinod seltner Art.

Dieses fiel dem guten Leo
Ein, als er darüber nachsann,
Dir zum fünften Säkularfest
Eine Freude zu bereiten,
O Ruperto-Carola.

Drauf durch einen eignen Boten
Sandt er dir als Angebinde
Ein Verzeichnis jener Schätze,
Welche einstmals du besessen,
Welche jetzt er selbst besitzt.

Ein Verzeichnis! Laben kannst du
Dich daran, wie sich der Schwelger
Labt an einer langen Liste
Auserlesener Gerichte,
Welche nicht für ihn bestimmt.
Wenn jedoch beim Anblick all der
Titel Wehmut dich ergreift:
Wenn dabei -- wer kann es wissen? --
Ein Gefühl dich überkommt,
Das im Halse seinen Sitz hat;
Wenn zuletzt selbst ein paar Tränen
Auf die Liste niederrollen,
Große, dicke, schwere Tränen,
Wie die ersten Regentropfen
Beim Gewitter: zürnen musst du
Nicht darum dem guten Papst,
Denn er meint es wirklich gut,
Wirklich wollt er dich erfreuen,
Weil er gut jetzt steht mit Deutschland.
Und vor allem -- kommen könnte
Ja ein Schalk auf den Verdacht wohl,
Dass er dich verspotten wollte --
Nein, vor allem fern liegt Spott ihm.

Gütig ist der Papst und freundlich,
Stets geneigt zu kleinen Scherzen
Und voll neckischen Humors.

Erläuterungen:

1 Ruperto-Carola = Universität Heidelberg

"Die Universität zu Heidelberg wurde 1386 vom Kurfürsten Ruprecht I. eröffnet, nachdem Papst Urban VI. durch die Bulle vom 23. Okt. 1385 dazu seine Zustimmung gegeben hatte. Ihr erster Rektor war Marsilius von Inghen. Sie war nach dem Vorbild der Pariser Akademie errichtet und besaß schon damals vier Fakultäten. Große Verdienste erwarb sich um die Anstalt Philipp der Aufrichtige, indem er ausgezeichnete Gelehrte, wie Reuchlin, Joh. Wessel, Wimpfeling u. a., berief. Otto Heinrich gründete die Bibliothek. Unter Kurfürst Friedrich III. lehrten hier Friedrich Sylburg, Xylander, Melissus und die beiden Theologen Ursinus und Olevianus, die den ð Heidelberger Katechismus (s. d.) entwarfen. Nachdem die Universität unter Friedrich V. während des Dreißigjährigen Krieges schon harte Schläge zu erleiden gehabt, kam sie seit 1685 unter den Einfluß der Jesuiten und verlor durch den Lüneviller Frieden noch ihre wichtigsten (nämlich die überrheinischen) Besitzungen, so dass sie 1802 ihrer Auflösung nahe war. Nachdem Heidelberg 1803 an Baden gekommen, hob sie sich indes bald zu neuem Glanz unter dem Großherzog Karl Friedrich, der ihr die jetzige Einrichtung und den Namen Ruperto-Carola gab. Im August 1886 hat sie ihr 500jähriges Bestehen festlich begangen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. Heidelberg]

2 Johann Tserklaes, Graf von Tilly (1559 - 1632): berühmter Feldherr des Dreißigjährigen Krieges

3 Gregor XV. (1554 - 1623), Papst 1621 bis 1623

4 Palatina

"Die alte berühmte Bibliothek [der Universität Heidelberg], die im Chor der Heilige Geist-Kirche aufbewahrt wurde und über 3500 Handschriften enthielt, wurde von Tilly nach Eroberung der Stadt 1623 nach Rom gesandt und daselbst im Vatikan als Bibliotheca Palatina aufgestellt. Von den Handschriften kamen 1815 infolge des Pariser Friedens 38 der besten, welche die Franzosen nach Paris geschleppt hatten, 1888 auch die Manessische Handschrift nach Heidelberg zurück; außerdem gab der Papst sämtliche altdeutsche Manuskripte (852 an der Zahl) heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. Heidelberg]


†Franz Liszt†1 -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 36. -- S. 142. -- 1886-08-08

Der Kirche und der Kunst geweiht,
Hat er als Priester sich ergeben
Dem Dienste beider. Wahrlich, sehr gescheit!
Denn so erwarb er zu dem ewigen leben
Sich auch noch die Unsterblichkeit.

Erläuterung:

1 Franz Liszt

"Liszt, Franz, Klavierspieler und Komponist, geb. 22. Okt. 1811 in Raiding bei Ödenburg in Ungarn, gest. 31. Juli 1886 während der Festspiele in Bayreuth, wo er auch begraben liegt. Er zeigte bereits als Knabe so ungewöhnliche Begabung, dass der Vater seine Stellung als fürstlich Esterházyscher Güterverwalter aufgab und es wagte, mit einer magern Unterstützung von 600 Gulden seitens einiger Magnaten, auf die Ausbildung des Sohnes die Zukunft der Familie zu gründen und nach Wien übersiedelte, wo Czerny und Salieri den Unterricht übernahmen. Nach erfolgreichem Auftreten 1822 und 1823 in Wien reiste der Vater mit dem Sohne nach Paris, um dessen Aufnahme im Konservatorium zu erlangen, die aber als statutenwidrig dem Ausländer abgeschlagen wurde. Dennoch blieben sie in Paris, wo der Knabe schnell in den Salons eine glänzende Aufnahme fand und unter Paer und Reicha weitere Kompositionsstudien machte. Ein 1825 in der Großen Oper ausgeführtes Singspiel »Don Sancho« blieb Liszts einziger Opernversuch. Nur wenige Kompositionen Liszts aus dieser frühen Zeit sind erhalten (Klaviersachen, darunter zwölf Etüden in einem an Hummel gemahnenden Stil). Wiederholte Konzertreisen nach London und in französische Provinzialstädte dienten der Aufbringung der Existenzmittel. 1827 starb Liszts Vater, und die in Wien gebliebene Mutter zog nach Paris zu ihrem Sohne, der nun anfing, Unterricht zu erteilen. Ein Hang zu religiösem Mystizismus brachte in dieser Zeit Liszt in Beziehung zu den Saint-Simonisten und drohte, ihn ganz der Kunst zu entfremden. Erst das Auftreten Paganinis und Chopins in Paris (1831) gab ihm Anstoß, seiner Virtuosität ganz neue Seiten abzugewinnen, und bezüglich der Komposition führte ihn das Beispiel des 1832 aus Italien heimkehrenden Berlioz, mit dem er sich innig befreundete, in neue Bahnen. So trat er denn seit 1834 als ein gänzlich andrer wieder in die Öffentlichkeit, und wenn noch etwas fehlte, seine Individualität zur Reise zu bringen, so brachten das seine Beziehungen zu der Gräfin d'ð Agoult (s. d.), die ihren Gatten verließ und 1835–39 mit Liszt in der Schweiz und Italien lebte. Doch hatte schon in dieser Zeit (1836) Liszt Wettkämpfe mit Thalberg, die seine Superiorität über alle Rivalen feststellten. Die ausgedehnten Konzertreisen der Jahre 1839–47 konnten diese nur mehr bestätigen. Die Reisen fanden ihren Abschluss durch Liszts Anstellung als Hofkapellmeister in außerordentlichem Dienst in Weimar und seine Beziehungen zu der Fürstin Karoline von Sayn-Wittgenstein, die von ihrem Schlosse Waronince in Südrussland mit Liszt entfloh und ihren Wohnsitz in Weimar aufschlug. Den Einflüssen dieser Frau ist es zuzuschreiben, dass Liszt um 1847 dem Konzertspiel gänzlich entsagte und sich fortan der Komposition widmete. Weimar wurde nun zur Hochburg fortschrittlicher Bestrebungen auf musikalischem Gebiete, da Liszt entschlossen für Richard Wagner eintrat und auch die Ideale Berlioz' zu den seinen machte. Umgeben von einer Schar hochbegabter Kunstjünger, wirkte er hier bis 1861 bahnbrechend und reformierend als Dirigent, Lehrer, Schriftsteller und Komponist. Der Glanz Weimars verblich, als eine allmählich erstarkende Opposition Liszt veranlasste, 1859 von seiner Kapellmeisterstellung zurückzutreten. 1861 verlegte er seinen Wohnsitz nach Rom, empfing hier 1865 die niedern Weihen (Abbé) und teilte in der Folge seinen Aufenthalt zwischen Rom, Weimar (seit 1869) und Pest, wo er 1873 zum Präsidenten der auf seine Anregung entstandenen Landes-Musikakademie erwählt worden war. Liszts und der Gräfin d'Agoult Tochter Cosima wurde 1857 die Gattin H. v. Bülows und 1869 diejenige Wagners. Denkmäler wurden ihm errichtet in Ödenburg (Bronzebüste von Tilgner, 1893), in Weimar (von Hahn, 1902) und in Stuttgart (von Fremd, 1903)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Vorzeichen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 39. -- S. 156. -- 1886-08-22

Die stille Jahreszeit scheint zu Ende zu  gehen: schwer werfen wichtige Ereignisse ihren Schatten vor sich her.



Abb.: Empfehlung und Lob. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 40. -- S. 160. -- 1886-08-29

Leo XIII. von jenseits der Berge: Nehmt sie doch wieder, sie sind ja so nett!

Erläuterung: Leo XIII. gab 1886 dem Jesuitenorden in einem Breve alle Vorrechte zurück, die dieser vor der Aufhebung 1773 hatte.


Von der Herbst-Wanderfahrt <Auszug>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 47. -- S. 186. -- 1886-10-10

3. Der Kaplan.

In eine Schenke trat ich ein
Beim letzten Sonnenschimmer.
Da saß ein runder Kaplan allein
Im traulichen Hinterzimmer.

Er grüßte den durstigen Wandersmann
Mit höchst verbindlichen Worten
Und suchte für mich die Weine aus,
Er kannte ja alle Sorten.

So saßen wir in die Nacht hinein
Und plauderten voll Behagen,
Nie hab ich mit der Geistlichkeit
So trefflich mich vertragen.

Ich kam -- recht unbedacht ist oft
Der Mensch bei längerem Zechen --
Zuletzt auch auf die leidige
Unfehlbarkeit zu sprechen.

Da hat der würdige Herr Kaplan
Die Gläser voll gegossen:
"Verehrter Freund, ich bitte, schweigt
Von diesen Narrenpossen!

Was sollen wir uns den guten Wein
Verderben mit solchen Dingen?
Viel besser ist es doch, wenn wir
Noch ein Kommerslied singen." --

Als ich am Morgen weiter zog,
Hab ich noch einmal gesehen
Den Herrn Kaplan, er wollte just
In seinen Beichtstuhl gehen.

Ich grüßt ihn lachend, aber er
Sah fremd und ohne Worte
Mich an, in würdiger Haltung schritt
Er zu des Kirchleins Pforte."

Ich führe leider kein Tagebuch,
Sonst schrieb ich hinein noch heute:
Der Pfarrer beim Wein und der Pfarrer im Dienst
Sind zwei verschiedene Leute.



Abb.: Wohnungswechsel: In Italien möchte man gern die Jesuiten loswerden, und in Deutschland hätte man sie gern zurück. Wenn alles so leicht zu machen wäre wie das! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 47. -- S. 188. -- 1886-10-10

Erläuterung: In Italien wurden viele Ordensgeistliche ausgewiesen, während man sich in Deutschland um die Beendigung des Kulturkampfes bemühte.



Abb.: In das Album des katholischen Stadtpfarrers Pfundt in Zabern. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 39, Nr. 52/53. -- 1. Beiblatt. -- 1886-11-14

Die französische Republik entfernt alles aus der Schule, was nicht hinein gehört.


1887


Das verbesserte Dogma. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 16. -- S. 61. -- 1887-04-03

"Der Papst regiert die Welt!" so sprach am Rhein
Freund Windthorst einst, und manches Fass verzechte
Man auf sein Wohl vom allerbesten Wein,
Weil er gewahrt des heilgen Stuhles Rechte.

Ganz arglos sprach er's, nichts zu jener Frist
Noch ahnt er von des Kanzlers schlimmen Tücken,
Der ihm, gerieben, wie er einmal ist,
Den Papst verführte hinter seinem Rücken.

Doch als er Papst und Kanzler sah geeint,
-- Wie kam es nur, dass sich die beiden fanden! --
Sprach er erzürnt: "So war es nicht gemeint!
Man hat am Rhein mich schändlich missverstanden.

Die gläubge Menge trägt allein die Schuld.
Warum nicht ließ man mich zu Ende sprechen?
Was musste mich in froher Ungeduld
Das Volk mit seinem Jubel unterbrechen?

Dass ich den Ausspruch tat, gern räum ich's ein,
Stets dacht ich so und werde stets so denken,
Nur ließ mir keine Zeit des Volkes Schrein,
Ihn, wie ich wollte, etwas einzuschränken.

Nun rächt sich, schmerzlich wird's von mir beklagt,
nun rächt sich bitter diese Unterlassung.
Was ich dereinst am grünen Rhein gesagt,
Bedarf, o Freunde, einer schärfern Fassung.

Drum hab ich in der ernsten Fastenzeit
Mich in mein Kämmerlein zurückgezogen,
Fern  von des Tages Lärm und wildem Streit
Hab ich die Sache noch einmal erwogen.

Das Dogma, wie ich's endlich festgestellt,
Und wie ein jeder hat daran zu glauben,
Es lautet jetzt: "Der Papst regiert die Welt,
Soweit des Zentrums Führer es erlauben."


Zum Ordenswesen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 16. -- S. 62. -- 1887-04-03

Wer mag gern eine Kutte sehn?
Doch mit dem Sehen mag's noch gehn,
Viel schlimmer ist die Nase dran,
Naht ihr ein frommer Kuttenmann.
Drum sei von Staat und Kirche jetzt
Für ewge Zeiten festgesetzt:

"Wer ein härne Kutte trägt
Im deutschen Land, soll unentwegt
Sie waschen mindestens einmal
In einem jeglichen Quartal
Und fröhlich wandeln allezeit
In Frömmig- und in Reinlichkeit."

Die Vorschrift stehe felsenfest
Als aller Kampfgesetze Rest!"



Abb.: Aus dem Herrenhause1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 16. -- S. 64. -- 1887-04-03

Die Falk'sche Hecke ist so zurechtgestutzt, dass sie an vielen Stellen leicht übersprungen und an manchen sogar umgangen werden kann.

Erläuterungen:

1 Herrenhaus: erste Kammer in Preußen

2 Falk

"Falk, Adalbert, preuß. Staatsmann, geb. 10. Aug. 1827 zu Metschkau in Schlesien, gest. 7. Juli 1900 in Hamm, studierte die Rechte, trat in den Justizdienst, bearbeitete als Staatsanwalt das für Juristen wichtige Ergänzungswerk zum allgemeinen Landrecht in der 4. Auflage, das sogen. »Fünfmännerbuch« (ursprünglich hrsg. von Gräff, Koch, Wentzel, Rönne und Heinrich Simon), und wurde deshalb in das Justizministerium berufen. Unter dem neuen Justizminister Lippe 1862 zum Appellationsgerichtsrat in Glogau ernannt, ward Falk von Leonhardt in das Ministerium zurückberufen und zum vortragenden Rat befördert. 1871 Bevollmächtigter der Regierung im Bundesrat und Mitglied der Kommission für die deutsche Zivilprozessordnung, erhielt Falk nach dem Rücktritt des Ministers v. Mühler das Kultusministerium (22. Jan. 1872) und damit die Aufgabe, der katholischen Kirche gegenüber die unveräußerlichen, seit Eichhorn geschmälerten Hoheitsrechte des Staates wieder geltend zu machen. Falk löste die Aufgabe durch die sogen. Maigesetze unter heftigem Widerspruch der Klerikalen, allerdings ohne den passiven Widerstand des katholischen Klerus zu brechen. Durch das Schulaufsichtsgesetz befreite er die Volksschule von dem Einfluss der Kirche, vermehrte durch Erhöhung der Gehalte, Vermehrung der Seminare und zweckmäßige Organisation die Zahl der Lehrer und der Schulklassen sehr beträchtlich und setzte der Polonisierung der katholischen Schulkinder in Posen und Westpreußen ein Ziel. Die Universitäten versah er mit reichlichern Mitteln, erhöhte die Ausgaben für die Pflege der Kunst, aber ein Unterrichtsgesetz, welches das Schulwesen fortan gegen Verwaltungswillkür sicherstellen sollte, scheiterte 1876 an den dadurch erwachsenden Mehrkosten. Der evangelischen Kirche Preußens gab Falk durch die 1875 von einer außerordentlichen Generalsynode gebilligte und 1876 vom Landtage genehmigte Synodalverfassung für die acht alten Provinzen eine selbständige Stellung, erregte aber damit den Unwillen der orthodoxen Hofpredigerpartei, die erst den von Falk berufenen Präsidenten des Oberkirchenrats, Herrmann, stürzte, dann Falk selbst 1878 zum Abschiedsgesuch nötigen wollte. Blieb Falk 1878 noch im Amte, so nahm er im Juli 1879 den Abschied, als Bismarck aus Anlass der Zolltarifsverhandlungen im Reichstag sich der Zentrumspartei näherte, und betätigte sich nur noch parlamentarisch. Seit 1858 dem Abgeordnetenhaus angehörend, ward er 1867 in den konstituierenden Reichstag und seit 1873 wiederum gewählt, zog sich aber nach seiner Ernennung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts in Hamm 1882 vom politischen Leben ganz zurück. Eine Sammlung seiner »Reden 1872-1879« (Berl. 1880) blieb unvollendet."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Die Entrüsteten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 19. -- S. 73. -- 1887-04-24

"Weh, welch ein Ende des Kulturkampfs ist genaht!
Ist das für treuen, jahrelangen Dienst der Lohn,
Für alles Elend, das wir trugen unverzagt,
Für all die Federn, welche stumpf geschrieben wir,
Für all die Tinte, die wir auf den Feind verspritzt,
Dass wir nach herzbedrückenden, bösen Friedens Schluss
Uns trollen dürfen als fortan nicht nötig mehr?
Ein Denkmal möge man dem zentrum setzen jetzt,
Darauf zu lesen dieses ist in Stein gehaun:
Hier liegt das Zentrum, das verlassen ward von Rom.
Weh, welch ein schmählich Ende nahm der große Streit,
in dem uns sicher herrlichen Sieges Palme schien!
Und der entgegen uns dem Siege lang geführt,
Den "Meppens Perle" wir mit frohem Stolz genannt,
Wird er sich beugen jetzt dem Machtgebote Roms?
Ach, auch die schönsten Perlen büßen mit der Zeit
Von ihres Glanzes Fülle ein und werden matt." --

"Ja, schrecklich ist es, was geschehn, und schaudervoll!
So ward zu Schaden endlich doch das alte  Wort,
Dass seinen Meister findet jedermann in Rom.
Rom hat gefunden einen, der ihm über ist
An diplomatischer Schlauheit und an seiner List.
Zuerst vergebens hat er's mit Gewalt versucht,
Dann aber plötzlich, ganz verändernd seinen Plan,
Mit Schmeicheleien hat er in sein Netz gelockt
Den -- -- aber still doch! schweigend dulden müssen wir's.
Jetzt haben wir Canossa, aber, ach, für uns
Ist's ein Canossa, die wir auf des Schlosses Hof
im Hemde stehn bei niedrigem Thermometerstand,
Und vom Balkone lächelnd blickt herab auf uns
Der heilge Vater an der Seite jenes Manns,
Des deutschen Kanzlers, der uns wie der Tod verhasst.
Allein was hilft es, dass sich uns das Herz empört!
Wohl trotzten wir des Reiches Acht und Aberacht,
Doch Rom zu trotzen brächt uns sichern Untergang --
Und knirschend beißen in den sauern Apfel wir."

Einander klagten so ihr bittres Herzeleid
Zwei Hetzkapläne, sitzend bei dem sauern Wind;
Und manchen Schoppen stürzten fluchend sie hinab.



Abb.: Schnitzeljagd. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 19. -- S. 76. -- 1887-04-24

Das Halali.



Abb.: Nur nicht drängeln! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 42. -- S. 168. -- 1887-09-11

Bitte, meine verehrten Herrschaften, nicht alle auf einmal, immer hübsch gesittet einer nach dem andern!



Abb.: Bescheidene Wünsche: Trotz langer Trennung macht die Kirche keine neuen Ansprüche; sie beschränkt sich nur darauf, frühere Beziehungen wieder anzuknüpfen. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 43. -- S. 172. -- 1887-09-18

Erläuterung: Auf dem Katholikentag in Trier im August 1887 forderte der Zentrumsführer Ludwig Windthorst die Aufhebung des Schulaufsichtsgesetzes und völlige Unterwerfung der Schule unter die Kirche.



Abb.: Windthorst in Trier. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 43. -- 2. Beiblatt. -- 1887-09-18

Deutschland hat wohl in diesem Jahrhundert kaum einen Mann gehabt, der so volkstümlich und gefeiert war, wie der verdienstvolle Führer des Zentrums. Germania.



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 44/45. -- S. 177. -- 1887-09-25

Unter Vortritt des heiligen Windthorst halten die Sieger im Kulturkampf ihren Einzug in Deutschland und besetzen alle Positionen wieder, aus denen eine rauere Zeit sie vertrieben hatte.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919> : Aus der Farbenlehre. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 40, Nr. 44/45. -- 1. Beiblatt. -- 1887-09-25


Zu: Kladderadatsch 1888 - 1899

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