Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII:

Kladderadatsch (1848 - 1944)

6. Jahrgang 63 - 66 : 1910 - 1913


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XIII: Kladderadatsch (1848 - 1944)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- 6. Jahrgang 63 - 66 : 1910 - 1913. --  Fassung vom 2010-01-27. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen136.htm        

Erstmals publiziert: 2004-04-30

Überarbeitungen: 2010-01-27 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2010-01-11/26 Ergänzungen]; 2010-01-10 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2009-12-22 bis 2010-01-09 [Ergänzungen]; 2009-12-21 [Teilung des Kapitels];  2008-08-18 bis 2008-09-06 [Ergänzungen]; 2008-01-10 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-31 [Teilung des Kapitels, Ergänzungen]; 2007-12-21ff. [Ergänzungen]; 2007-11-22 [Ergänzungen]; 2005-02-06 [Ergänzungen]; 2004-12-24 [Ergänzungen]; 2004-11-20 [grundlegend erweitert und überarbeitet]; 2004-06-07 [Ergänzungen]; 2004-05-11 [Ergänzungen]

©opyright: abhängig vom Sterbedatum der Künstler

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelleiste von Nr 1, 1848

Kladderadatsch : humoristisch-satirisches. Wochenblatt. -- Berlin : Hofmann. -- 1848 - 1944

"Kladderadatsch, in Norddeutschland gebräuchlicher Ausruf, um einen mit klirrendem oder krachendem Zerbrechen verbundenen Fall zu bezeichnen; auch substantivisch gebraucht in der Berliner Redensart: »einen K. machen« (z. B. mit Fenster- und Laterneneinwerfen). Allgemeiner bekannt wurde das Wort als Titel des 1848 von David Kalisch (s. d.) gegründeten, in Berlin wöchentlich einmal im Verlage von A. Hofmann u. Komp. erscheinenden Witzblattes, das vorzugsweise die politische Satire kultiviert und besonders durch E. Dohm, R. Löwenstein und den Zeichner W. Scholz, dessen Karikaturen auf Napoleon III. und Bismarck große Popularität gewannen, zu literarischer und künstlerischer Bedeutung erhoben wurde. Auch die von den »Gelehrten« des K. erfundenen ständigen Figuren Müller und Schulze, Zwickauer, Karlchen Mießnik u. a. sind volkstümlich geworden. Gegenwärtig (1905) ist Joh. Trojan (s. d.) Redakteur des K. Die hervorragendsten künstlerischen Mitarbeiter sind G. Brandt und L. Stutz. Als Sonderausgaben erschienen unter anderm: »Bismarck- Album des K.« (300 Zeichnungen von W. Scholz, 1890; 27. Aufl. 1900), »Ein Kriegsgedenkbuch aus dem K. in Ernst und Humor aus den Jahren 1870 und 1871«, von J. Trojan und J. Lohmeyer (1891), »Die Kriegsnummern des K. 1870-1871« (1895), »Im tollen Jahr. 1. Jahrgang des K. 1848«, mit Anmerkungen und Erläuterungen (1898)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Alle Jahrgänge von 1848 - 1944 online: http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/kladderadatsch.html. -- Zugriff am 2007-12-21

Eine wichtige Quelle für 1870 bis 1910 ist auch der Sammelband:

Zentrums-Album des Kladderadatsch 1870 - 1910. -- Berlin: A. Hofmann, 1912. -- 286 S. : 300 Ill.

Audiatur et altera pars = es soll auch die Gegenseite gehört werden: Eine ausführliche Darstellung der Zentrumspolitik aus der Hand eines gemäßigt-katholischen - trotzdem furchterregenden - Mitspielers ist:

Bachem, Karl <1858 - 1945>: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei : Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung, sowie zur allgemeinen Geschichte des neueren und neuesten Deutschland 1815-1914. -- Köln : J. P. Bachem, 1927 - 1931. -- 9 Bände : 26 cm.


1910



Abb.: Arthur Krüger: Silvesterbräuche im Vatikan: Pantoffelwerfen.
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 1. -- S. 2. -- 1910-01-02

Pius X.: "So ist 's recht! Michel fängt ihn doch immer noch am besten auf!"


Das Abenteuer des Kaplans Krämer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 1. -- S. 2. -- 1910-01-02

Als Krämer jüngst durch Metz tat gehn,
Da sah er bei Frau Büttner stehn
Ein kleines "Männeken Pis"1!

Obgleich das Ding von Gummi nur,
Verdross ihn diese Kreatur.
Das glauben wir gewiss!

Denn wenn man heftig auf ihn drückt,
Dann spritzt der Bengel wie verrückt
Und gibt ein Ärgernis.

Zwei Schöffen und ein Richtersmann
Sahn sich den Delinquenten an,
Der solche Witze riss!

"Da erstensmal der Schlingel nackt
Und zweitens auch als Artefakt
Durchaus nicht rühmlich is -

Ergo muss nun zum Sünderturm
Frau Büttner und ihr Unglückswurm
Ums kleine 'Männeken Pis'!"

1 Manneken Pis, Brüssel, Belgien


Abb.: Bildpostkarte "Manneken Pis"


Anrüchige Makulatur. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 3. -- 1. Beiblatt. -- 1910-01-16

O Publikum, hör zu genau,
Von einer schlimmen Krämersfrau
Will ich dir was vertellen.
Die packte in ein frommes Blatt
Den Käse, der oft Maden hat,
Die Wurst und die Sardellen!

Kaum war die grause Tat getan,
So hat auch schon ein Herr Kaplan
Sie fürchterlich "gerochen"!
"Ha!" rief er mit gesträubter Näs.
"Ha! Gottes Wort im Stänkerkäs!
Wer ist's, der dies verbrochen?"

Drauf nahm die Krämersfrau man fest.
Acht Tage kriegte sie Arrest
Trotz ihres großen jammer!
"Herabgewürdigt" hatte sie
Den Kultus durch die Infamie;
Ja sehste wohl, da ham mer 's!

Drum Mensch, kommt solch ein Blatt Papier
Per Zufall in die Hände dir,
Bedenke, wo es endet!
Und ist noch so geheim der Ort -
Die Geistlichkeit, die riecht 's sofort,
Wozu du es verwendet!



Abb.: Arthur Krüger: Die abgeschwächte Drohung. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 4. -- S. 14. -- 1910-01-23

Die Reichsregierung an Zorn v. Bulach1:

Hau dem Kater den Schwanz ab,²
Hau ihn aber nicht ganz ab,
Ritz ihn nur ein bisschen ab,
Besser lässt du's gänzlich sein!

Hau dem Kater den Kopp ab,
Hau ihn aber nicht zu grob ab,
Zwick ihn auch ins Öhrchen nicht,
Dass ihm ja kein Leid geschicht!

(Dieses Lied kann nach Belieben im Jahre 1910 fortgesetzt werden)

1 Hugo Anton Marie Ernst Anna Freiherr Zorn von Bulach (1851 - 1921): seit 1908 des Staatssekretär im Ministerium für Elsaß-Lothringen

² Nach:

Hau dem Kater den Schwanz ab,
hau ihn aber nicht ganz ab,
laß ihm noch nen Stummel stehn,
dass er kann zum Tanze gehn!

Mit vielen weiteren Varianten 



Abb.: Arthur Krüger: Ausschnitt aus: Ein Tag in der Kaserne Deutschland (Frei nach Lessing). 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 4. -- 2. Beiblatt. -- 1910-01-23

Der Ausspruch Lessings1: Deutschland gleiche einer großen Kaserne, ließe sich auch auf die Gegenwart anwenden.

Antreten der Postboten zur "Gesinnungsrevision"

Übungen der Geheimräte des Kultusministeriums im "Langsamen Schritt"

Sacklaufen der Lehrer unter Anleitung eines geistlichen Schulinspektors

Richtungsexerzitien der Universitäts-Professoren

Löhnungsausgabe an altgediente Leute

Signal zum Schlafengehen, vom Kultustrompeter Trott z. S.2 morgens, mittags und abends geblasen.

1 ???

² August von Trott zu Solz (1855 - 1938):  1909-1917 preußischer Kultusminister


Gerettet!  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 8. -- 1. Beiblatt. -- 1910-02-20

Zu Bielitz1 herrscht in Österreich
Der Bürgermeister Schmidt,
Das ist ein Mann, dem keiner gleich;
Der hält auf Ehr und Sitt!

Und als er durch die Straßen ging,
War sein Entsetzen groß.
Denn ach vor manchem Laden hing
Ganz frech so Hemd wie Hos!

Rot ward sein Angesicht vor Scham.
"O Himmel!" rief er, "weh!
Ich duld es nicht, dass eine Dam
So schauderhaftes seh!

Was ist denn das Potzdonnerschock!
Ei, dies ist wirklich nett!
Die Unterhos, der Unterrock -
O Gott! - und das Korsett!

Verruchte! Fort mit diesem Kram
Aus meinem Angesicht;
Fort! fort! Eh eine bessre Dam
Vor Scham zusammenbricht.

Was muss doch fühlen, ach, ein Weib,
Wenn es nicht seelenlos,
Erblickt es so ganz ohne Leib
Die leere Männerhos.

Das Gleichgewicht wird ganz gestört
Der bessern deutschen Frau,
Sie weiß ja, was hineingehört,
Ach, leider, ganz genau!"

Gottlob! Aus ist die Schweinerei,
Gerettet Ehr und Sitt!
Drum ruft - ihr Frumben, strömt herbei -
Hoch Bürgermeister Schmidt!

1 heute: Bielsko-Biała, Polen



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Ein verlorenes Schäflein. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 11. -- 1. Beiblatt. -- 1910-03-13

Dem Kronprinzen1 wird - nach Zeitungsberichten - von gewissen Seiten sein wiederholter Besuch der Operettentheater verübelt.

Die "Reichsboten"²- und "Kreuzzeitungs"³-Gemeinde: "Brüder betet für seine Seele! Des Reiches Thronerbe geht zu diesen Weibern, und dazu in Uniform!"

1 Kronprinz Friedrich Wilhelm Victor August Ernst von Preußen (1882 - 1951)

² Der Reichsbote : deutsche Wochenzeitung für Christentum und Volkstum. -- Berlin : Der Reichsbote. -- 1873 - 1936

³ Kreuzzeitung: "Neue Preußische  Zeitung": seit 1848 zweimal täglich in Berlin erscheinende politische Zeitung, Organ der evangelischen Hochkonservativen.

Die lustige Witwe: Operette in 3 Akten von Franz Lehár (1870 - 1948) (Musik), 1905

Die Dollarprinzessin: Operette in drei Akten von Leo Fall (1873 - 1925) (Musik), 1907

Die geschieden Frau: Operette von Leo Fall (1873 - 1925) (Musik), 1908



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Schauerliche Folgen des Katholizismus. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 12. -- 2. Beiblatt. -- 1910-03-20

Der Vorsitzende einer Bullen-kür-kommision musste sein Amt niederlegen, weil er einen Zentrumsmann gewählt hatte. Graf Praschma1 im Abg.-Hause.

Der Bulle: Raus mit dem Orthod-Ochsen!

1 Hans, Graf Praschma (1867 - 1935): 1900-18 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1903-18 auch des Deutschen Reichstags



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Roerens1 Bitte an den Halleyschen Kometen². 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 14. -- 8. Beiblatt. -- 1910-04-03

Heil dir, Komet! - O welche Wende!
Nun endlich nahst du, "Sodoms³ Ende!"
Das andre mag ja noch bestehn,
Lass nur Berlin zum Teufel gehn!
Lass - hundertmal will ich dich segnen -
Gift, Schwefel, Dreck und Feuer regnen!
Schon' keinen Marmor, keinen Stein,
Schlag alles, bitte, kurz und klein,
Dass - wenn nach diesem Strafgerichte
Nun weiter eilt die Weltgeschichte
Und dort, wo einst dies Sodom stand,
Sich dehnt ein weites Heideland -
Nicht gar ein frommer Hirtenknabe
Mit seinem grünen Weidenstabe
Noch rühre irgendwelche Trümmer
Von einem nackten Frauenzimmer
Und bang der Ruf tönt durch die Lande:
"Gab 's wirklich solche Schweinebande?"
Die Biene summt im Heidegrün,
Ein Sagenklang umzittert ihn -
"Stand hier nicht irgendwo - Berlin?"

M. Br.

1 Hermann Roeren (1844 - 1920): Zentrumspolitiker, 1893 - 1912 Abgeordneter im Reichstag

² Halleyscher Komet: "Noch bei seiner Wiederkehr im Jahre 1910 versetzte der Komet viele Menschen in Angst: Kurz bevor die Erde den Schweif des Kometen am 19. Mai durchquerte, hatten Astronomen darin das giftige Gas Dicyan entdeckt: „Während die wissenschaftlichen Beobachtungen, soweit heute bekannt wurde, meist nur negative Ergebnisse lieferten, hat das Volk besonders in den großen Städten den Durchgang in seiner Weise gefeiert, wobei Trinken und Skandal die Hauptsache waren“, berichtete „Sirius, Zeitschrift für populäre Astronomie“ (Heft Juni 1910, S. 129) rückblickend." (http://de.wikipedia.org/wiki/Halleyscher_Komet. -- Zugriff am 2010-01-15)

Man sang damals u.a.:

Kommt ein Stern mit einem Schwanz,
Will die Welt zertrümmern.
Leiert euern Rosenkranz,
Uns sols 's wenig kümmern! 

³ Sodom: siehe Genesis 19: "24Da ließ der HERR Schwefel und Feuer regnen von Himmel herab auf Sodom und Gomorr 25und kehrte die Städte um und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war."

"Sodoms Ende" ist auch der Titel eines Theaterstücks von Hermann Sudermann, dessen Uraufführung 1890 vom Berliner Polizeipräsidium verboten worden war.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Landrat und Kaplan (Preußischer Bilderbogen). 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 15. -- 2. Beiblatt. -- 1910-04-10

Im Osten der Landrat, im West1 der Kaplan
Belehren den preußischen Untertan.

Sie begleiten ihn von der Wiege zur Bahre,
Der Landrat im Frack, der Kaplan im Talare.

Im Westen führt ihn der Kirche Arm
Zur Beichte, im Osten der Herr Gendarm.

Der Kaplan verheißt für "Oben" den Lohn,
Der Landrat bewilligt ihn unten schon.

So schaffen sie wacker für ewige Zeiten
Die von Bethmann² gewollten "Abhängigkeiten".

1 West: die Rheinprovinz, die mehrheitlich katholisch war

² Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Der Vatikan-Struwelpeter. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 16. -- 1. Beiblatt. -- 1910-04-17

Seht, da brüllt und schreit er!
Pfui, der "raue Reiter"!1
Sieht wie 'n Methodiste aus
In dem groben Jägerflaus,
Flucht und säuft und beißt und schießt,
Was die Christenheit verdriest.
Lasst ihn vor der Türe stehn! -
Pius mag ihn gar nicht sehn!

Doch hingegen Theobald²
Darum um so mehr gefallt!
Wie ein Schäfchen auf der Weide
Tut er uns kein Herzeleide,
Ehrt und pflegt von früh bis spät
Römische Autorität.
Diesen wird man gern empfahn
In dem frommen Vatikan.

1 Theodore Roosevelt (1858–1919), 26. Präsident der USA 1901 bis 1909. War im Spanisch-Amerikanischen Krieg Kommandeur der Rough Riders. Verzichtet bei seinem Rombesuch am 4. April 1910 auf die von ihm erbetene Audienz bei Pius X., da die Kurie als Bedingung verlangt hatte, dass bei der Audienz nichts "Anstößiges" geschehe. 


Abb.: Roosevelt inmitten seiner Rough Riders, 1898

² Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917.  Wurde am 23. März 1910 von Papst Pius X. in Audienz empfangen



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Böse Folgen übereilter Taten. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 17. -- S. 66. -- 1910-04-24

Merry de Val1 (traurig): Es laufen gar keine Peterspfennige ein!?"
Pius X.: "Ist das ein Wunder, Rindsvieh, wenn Ihr alles rausschmeißt!"

1 Rafael Kardinal Merry del Val y Zulueta (1865 - 1930): Kurienkardinal, seit 1904 Präsident der Päpstlichen Kommission für die Koordination von Wohlfahrtsfragen der Kirche.


Ahnungslosigkeit.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 18. -- 2. Beiblatt. -- 1910-05-01

Viel Juden dienen in dem Heere,
Wie selbst der Kriegsminister1 weiß;
Doch ihnen winkt die hohe Ehre,
Leutnant zu sein, um keinen Preis.
Man hört die Welt darüber lachen,
Nur einer hat von diesen Sachen
Keine Ahnung.

Der Kriegsminister fragt verwundert:
"Weiß man dies sicher und gewiss?
Ist denn im zwanzigsten Jahrhundert
Die Religion ein Hindernis?"
So fragt der Herr, der ahnungslose;
Er hat von dieser ganzen Schose
Keine Ahnung.

Er hat die Akten durchgesehen,
Die Konduiten2 u. s. f.
Drin müsste es doch sicher stehen,
Allein er fand davon kein Wort.
Ja wohl, von allen diesen Fakten
Fand er in den erwähnten Akten
Keine Ahnung.

Und fragst mit ernstem Amtsgesichte
Du einst nach den Verdiensten sein,
So antwortet die Weltgeschichte:
"Dies Kind, kein Engel war so rein.
Doch sonst hab ich von seinen Taten
Für die vereinten deutschen Staaten
Keine Ahnung!"

M. Fr.

1 Josias von Heeringen (1850 - 1926):  preußischer Kriegsminister von 1909 bis 1913

² Konduīte (französisch): Bezeichnung für die über Offiziere und Beamte im deutschen Heere von ihren Vorgesetzten eingereichten Berichte



Abb.: Arthur Krüger: Versuchter Einbruch. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 18. -- 3. Beiblatt. -- 1910-05-01

Denn Schädel rennt sich stürmend ein
Herr Dittrich1. - Was bezweckt er?
Den Pfaffen brächt' er gern hinein
Als schwarzen Schulinspekter!

O bliebe doch dem Wüterich
Versagt hier das Gelingen:
Er ist ja doch kein Dieterich,
Dem alle Türen springen!

1 Franz Dittrich (1839 - 1915): kath. Priester. Seit 1893 gehörte er als Zentrumsmitglied dem Preußischen Landtag an, wo er insbesondere für das Schulwesen und für Kirchenfragen zuständig war.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Schwarzblaues1 Mai-Idyll in Preußen. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 21. -- 2. Beiblatt. -- 1910-05-22

"Dem liberalen Sperling auf dem Dache nachzujagen, wird (in der Wahlrechtsfrage) niemand Lust verspüren, wenn er die Zentrumstaube in der Hans hat." (Kreuzzeitung).

Ach mein schwarzes Turteltäubchen
Hat ein allerliebstes Häubchen,

Ist mir lieber als die Spatzen,
Die so demokratisch schwatzen.

Frisst mir aus der Hand, gedeiht
Wundervoll zu meiner Freud!

Hat mich ganz genommen ein -
Ruh wird bald in Preußen sein!

1 schwarz = Zentrum, blau = Konservative


Trier.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 22. -- S. 87. -- 1910-05-29

Hört die Weise von dem Weibel1
Hehrer deutscher Sittlichkeit,
Dir, du keuscher Lehrer Seibel²
Sei dies hehre Lied geweiht.
In der Stadt des Heiligen Rockes³
Sprachst du jetzund frumber Weis,
Wie so sündhaft sei des Bockes
Liebe zu der sanften Geiß.

"Seht" - so sprachst du - "Menschenkinder,
Seht umher im heilgen Trier!
Welche fürchterlichen Sünder,
Edle Herren, dulden wir!
Ja, umher, im weiten Runde
Sieht man, was doch sehr geniert,
Wie der Chorus geiler Hunde
Mit der Hündin scharmuziert.

Nimmer können wir es dulden,
Weil das keusche Seelen kränkt,
Und es trifft uns das Verschulden,
Wenn das Schulkind sich was denkt.
Alle Hunde auszurotten,
Scheint  fürwahr das beste mir,
;ag man dann auch uns verspotten
Als die die Männer vom Kas-Trier."

Also sprach der große Seibel,
Wo man ehr den heilgen Rock.
"Er hat recht, das weiß der Deibel!"
Sprach der Stadtvertreter Stock4.
Eine Ordnung für die Köter
Kriegt ihr und für Geiß und Bock."
O du Stadt der Rockanbeter,
Hast du keinen anderen - Stock?

P. W.

1 Weibel = Amtsdiener

² Seibel: ???

³ Der Heilige Rock: angebliche Tunika Christi, die im Dom zu Trier aufbewahrt wird und von Zeit zu Zeit ausgestellt wird, was zu großen Wallfahrtsströmen führt


Abb.: Briefmarke der Bundespost zur Ausstellung des Heiligen Rocks 1959

4 Stock: ???



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Roma locuta est1
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 25. -- S. 100. -- 1910-06-19

Ein "peccavi"² trifft mein Ohr
Kannst auch du so zwiebeln?
Theo³, wie kommst du mir vor
In den Bismarckstiebeln!
Hilft es dir, verehrter Mann -
Na, dann zieh sie öfters an!

1 Roma locūta (est), causa finīta (est) (lat.): Rom (d.h. der Papst) hat gesprochen, die Sache ist entschieden; sprichwörtliche Redensart, auf Augustinus zurückgehend. Bezieht sich auf die sog Borromäus-Enzyklika von Pius X. vom 26. Mai 1910 "Editae saepe". Darin beschimpfte der Papst die Reformatoren, z.B. so:

"Allora, spadroneggiando le passioni, travisata quasi del tutto e oscurata la cognizione della verità, eravi lotta continua con gli errori, e l'umana società, precipitando al peggio, sembrava correre all'abisso. Fra questi mali insorgevano uomini orgogliosi e ribelli, "nemici della Croce di Cristo...", uomini di "sentimenti terreni, il Dio dei quali é il ventre " (Phil. III, 18, 19). Costoro, applicandosi non a correggere i costumi, ma a negare i dogmi, moltiplicavano i disordini, allargavano a sé ed agli altri il freno della licenza, o certo sprezzando la guida autorevole della Chiesa, a seconda delle passioni dei prìncipi o dei popoli più corrotti, con una quasi tirannide ne rovesciavano la dottrina, la costituzione, la disciplina. Indi, imitando quegli iniqui, a cui è rivolta la minaccia: "Guai a voi che chiamate male il bene e bene il male!" (Is. V, 20), quel tumulto di ribellione, quella perversione di fede e di costumi chiamarono riforma e se stessi riformatori. Ma, in verità, essi furono corrompitori, sicché, snervando con dissensioni e guerre le forze dell'Europa, prepararono le ribellioni e l'apostasia dei tempi moderni, nei quali si rinnovarono insieme in un impeto solo quei tre generi di lotta, prima disgiunti, da cui la Chiesa era sempre uscita vincitrice: le lotte cruente della prima età, indi la peste domestica delle eresie; infine sotto il nome di libertà evangelica, quella corruzione di vizi e perversione della disciplina, a cui forse non era giunta l'età medioevale."

 

"Damals tobten die Leidenschaften; die Kenntnis der Wahrheit war verwirrt und verdunkelt; es herrschte ein beständiger Kampf mit den Irrlehren; die menschliche Gesellschaft stürzte sich allem Unheil entgegen und schien dem Verderben preisgegeben. Inmitten solcher Verhältnisse traten hochmütige und aufrührerische [widerspenstige] Männer auf, ‘Feinde des Kreuzes Christi’, Menschen von ‘irdischer Gesinnung, deren Gott der Bauch ist‘ (Phil. III., 18, 19). Diese richteten ihr Augenmerk nicht auf die Verbesserung der Sitten, sondern auf die Leugnung der Dogmen; sie vermehrten die Unordnung und ließen zu ihrem eigenen und zu anderer Nutzen der Zügellosigkeit freien Lauf; oder doch untergruben sie, indem sie die autoritative Leitung der Kirche ablehnten, nach dem Belieben gerade der verkommensten Fürsten oder Völker wie unter einem Joch die Lehre, Verfassung und Disziplin er Kirche. Sodann ahmten sie jenen Gottlosen nach, denen die Drohung gilt ‘Wehe euch, die ihr das Böse gut und das Gute böse nennt’ (Js. V, 20), und nannten diese aufrührerische Erhebung und die Verderbnis des Glaubens wie der Sitten Reform und sich selbst Reformatoren. Allein in Wahrheit waren sie Verführer, und dadurch, dass sie durch Streit und Kriege die Kräfte Europas erschöpften, haben sie die Revolutionen und den Abfall der Neuzeit vorbereitet, in denen sich die drei Arten des Kampfes, welche früher getrennt waren und aus denen die Kirche immer siegreich hervorgegangen war, zu einem einzigen Angriffe vereinigten: nämlich die blutigen Verfolgungen der ersten Jahrhunderte, sodann die innere Pest der Häresien und schließlich unter dem Vorwand der evangelischen Freiheit eine Verderbtheit der Sitten und eine Verkehrtheit der Disziplin, welche das Mittelalter in diesem Grade vielleicht nicht einmal erreicht hat."

[Übersetzung nach: Bachem, Karl <1858 - 1945>: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei : Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung, sowie zur allgemeinen Geschichte des neueren und neuesten Deutschland 1815-1914. -- Köln : J. P. Bachem, 1927 - 1931. -- 9 Bände : 26 cm. -- Bd. VII, S. 332]

Nach scharfen diplomatischen Protesten der preußischen Regierung, der Reichsregierung und der Regierungen anderer deutscher Staaten weist die Kurie am 14. Juni 1910 die deutschen Bischöfe an, die Enzyklika nicht bekanntzumachen.

² peccavi (latein.) = ich habe gesündigt

³ Theo = Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917.


Eine newe Enzyklika1 an meine treue geliebte Gemeinde -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 26. -- S. 102f. -- 1910-06-26

So höret denn, meine geliebten Kinder,
Was ich euch kund und zu wissen tu:
Ihr seid und bleibet allzumal Sünder,
Die ihr Luthero gewendet zu.
Vernehmet dagegen, wie lieblich und friedlich
Dem Frumben zumute, der sündenbloß,
Sitzet getreulich, artig und niedlich
Sanft in der Römischen Kirche Schoß.
Was kann er missen, was kann ihm fehlen!
Es betet ja für das Heil seiner Seelen
Der hohen Heiligen hehre Schar
Und beut ihm den Frieden der Seele dar.

Inmitten der schröcklichen Übel nämlich
Erstanden demütige Männer dereinst,
Die waren nicht eitel, die waren nicht dämlich,
Du irrst dich, Ketzer, wofern du es meinst.

Vernimb anitzo, wie sie erwarben
Kaum etliche Jährlein, nachdem sie starben,
Den vielumworbenen Heiligenschein,
Und zwar durch Fasten und durch Kastein.

Sie waren nicht irdischen Sinnes, ihr Bäuchlein
War nicht ihr Gott, im Gegenteil!
Sie machten es leer im verschwiegenen Sträuchlein
Und fanden in der Geleertheit Heil.
Sie fraßen nur Wurzeln, Mistkäfer und Wanzen
Und tranken Jauche in Wüstenein;
Sie fühlten sich dabei wohl im ganzen
Und stippten selig Kamelhaar ein.

Herr Bischof Zeno1a, der Veronese,
Der dekretierte als höchste These,
Man müsse sich nicht nur kastein und beten,
Nein, auch die Natur mit Füßen treten.

So sah man etliche lustig hinken
Tagaus tagein auf einem Bein,
St. Simeon², weiß man, wusste zu stinken
Erheblich mehr noch als wie ein Schwein.
Stand dreißig Jahre auf einer Säulen
Mit ewigem Bücken, Beten und Heulen,
Makarius³ saß nach uraltem Kodex
Im Ameisenhaufen mit blankem Podex,
Und Franz von Assisi4, der Heiligen Bester,
Nannte die Laus seine liebe Schwester,
Er nahm sie, küsste sie sanft und zart,
Und setzte sie strahlend in seinen Bart.

Die Flöhe aber, die ehren die Damen,
Man weiß, dass keiner, es ist gewiss,
Die heilige Rosa von Lima5 biss -
So steht es in päpstlicher Bulle - Amen.

Und also kommen wir - wehe, entsetzlich,
Auf etwas, was manchem leider ergötzlich,
Ein Hochgenuss und ein Zeitvertreib,
Nämlich auf das verruchte Weib.

Vernehmt ihr, die ihr das Weib tut lieben,
Wie er die heiligen Männer getrieben,
Die leider trotz ihrer gar strengen Sitten -
Weh - durch den Wollustteufel gelitten.
Der Teufel nahte ihnen, der Schlaue,
Oftmals als eine rundliche Fraue,
Und erst, wenn dann das Unheil geschehen.
Ließ er sie ihren Schaden besehen,
Zum Exempel Antonium6!
Der brachte sich fast vor Reue um.
Origenes7 aber, der Kirchenvater,
Riss aus die Wurzel des Übels. Das tat er
Und lebte in dieser Welt der Mängel
Geschlechtslos wie ein himmlischer Engel.
Und seht Alexius8 nun, den Heiligen,
In seiner Brautnacht zu Wüste eiligen
Aus lauter Angst, o weh, o weh,
Dass seiner Keuschheit Abbruch gescheh!

Für solche wackeren Heldentaten
Waren die Frumben gar wohlberaten
Wie man zum Beispiel, nicht sei 's verhehlt,
Vom heilgen Hilarion9 sich erzählt.
Einst kam zu ihm ganz hoffnungslos
Ein Weib mit unfruchtbarem Schoß.
Er betete nur eine Nacht
Mit ihr - das Wunder war vollbracht
Und nach neun Monden - welch ein Schluss! -
Erschien bei ihr ein Filius.

O meine Kinder, wisst ihr 's nicht:
St. Cyprianus10 heilt die Gicht,
St. Nepomuk11 hilft bei Wassersnot,
St. Florian12 schlägt 's Feuer tot.
Für Ratten ist St. Ulrich13 da,
Zahnweh heilt Apollonia14.
Ihr seht, mit allen bösen Sachen
Ist leicht ein schnelles End zu machen,
Nur eilt, ach ja, ich bitt euch bloß,
Heim in der Kirche Mutterschoß!

Ihr wisst doch, das für alle Sünden
Ihr könnt durch sie Vergebung finden,
Die Pfäfflein halten des Himmels Klinke -
O kommt und bringet Pinke Pinke.

Sie waren nie Feinde des Kreuzers, sie hätten
Lieber den Gulden genommen, allein
Gebete brachten und festliche Metten
Leider niemals genug nicht ein.
So kam es, dass man, dem Herrn zu Ehren,
Anders den Mammon suchte zu mehren.

"Die Goldene Pforte"15, "das Jubeljahr"16 -
Sind solche Dinge euch offenbar?
Einst zog der Völker Riesenstrom
Im Jubeljahr zum heilgen Rom.
Der heilige Vater auf seinem Thron
Gab Ablass hin für manche Million.
Für jede Sünde, wie groß sie sei,
Schaffte das Pfäfflein Vergebung herbei.
Insonderheit weiß man von Tetzel17 dies,
In dessen Ablassbriefe es hieß:
"Es werden leider zu ihrem Schaden
Arme nicht teilhaft solcher Gnaden,
Sie müssen verkommen in dieser Welt;
Denn, ach, die Armen haben kein Geld.

O meine Kinder, welch Vergnügen,
Für Geld die Seligkeit zu kriegen.
Das ewge Heil für schmutzig Geld,
Den Himmel für die Erdenwelt.

Und wie viele Gelder, du mein Himmel,
Bracht der Reliquien Gewimmel,
Die Flügelfeder Gabriels18
Und Schild und Lanze Michaels19!
Wie selig machte, unverdorrt,
Etwas vom fleischgewordnen Wort20!
Und jeden, der das Segen heisch',
Der Pfahl in Sankti Pauli21 Fleisch!
Und wahrlich, selig machte auch
Das kleine Stück von Christi Hauch,
Der Stock, von dem der Hahn gekräht,
Als Petrus seinen Herrn geschmäht22!

Ach, Kinder, eilt, ich bitt euch bloß,
Heim in der Kirche Mutterschoß!

Denn solche edlen und großen Dinge
Achtete Luther bass geringe.
Pfui, welch ein Ketzer,
Welch öder Schwätzer,
Der den Tetzel17 frech bekämpft
Und so die Glaubensglut gedämpft!
"Sauhund von Wittenberg" nannte man ihn,
Und als "Dreck-Märten" war er verscrien.
Da waren die Päpste doch zehnfach anders.
Denkt Leo X.23 und Alexander24,
Der seines Enkels Vater gar.
Denkt Julii25, der wie ein Sultan war,
Und Johanns26, der heiligen Kerle
Allerherrlichste Wunderperle.
Sie alle und manche noch außer ihnen
Sind stets als Muster der Ordnung erschienen.
Wer diese störte, ward über Nacht,
Durch Gift und Dolch zum Frieden gebracht.
Sie achteten, da sie den Leidenschaften
Der schlimmen Fürsten, den höllenhaften,
Nicht folgten, sondern sie führten stät,
Der Kirche Führung und Autorität.
Kehr um denn, die ihr so ganz verloren!
Die Reformatoren, sie waren nur Toren!
O meine Kinder, ich bitt euch bloß,
Kehrt heim zum römischen Mutterschoß!
Kehrt heim zur gute, alten Zeit,
Zur Heiligkeit, zur Heiligkeit!
Was ist es denn, was man zumeist
So evangelische Freiheit heißt?
Perversion der Disziplin -
Und die besonders in Berlin;
Dass Gottesknechte Weiber nehmen
Und Kinder zu zeugen sich nicht schämen,
Indes das frumbe Pfäfflein hat
Auch heute noch das Zölibat!
Ihr Bauch ihr Gott - ja, wie ihr 's nehmt!
Die Kathi lächelt stillverschämt,
Das Pfäfflein aber blinzelt froh:
Gott sei gedankt, es geht auch so.

O meine Kinder, ich bitt euch bloß,
Stürzt eilends in der Kirche Schoß -
Reicht ihr zum ewgen Bund die Patsch -
Nun Pax vobiscum!27

P. W.

1 Parodie auf die sog Borromäus-Enzyklika von Pius X. vom 26. Mai 1910 "Editae saepe". Darin beschimpfte der Papst die Reformatoren (siehe oben!)

1a Zeno, Bischof von Verona (362-371/72), aus Afrika stammend, wurde früh in Verona verehrt.

² Symeon Stylites der Ältere (Συμεών ὁ Στυλίτης): erster christlicher Säulenheiliger

³ Makarios, genannt der Große oder der Ägypter (um 300 - um 390): Wüstenheiliger

4 Franz von Assisi (1181/82 - 1226)

5 Rosa von Lima (1586 - 1617): Heilige, Jungfrau, Mystikerin und Dominikaner-Terziarin

6 Antonius der Große ( um 251 - 356): Wüstenvater

7 Origenes (Ὠριγένης) (185 - 254): Kirchenschriftsteller, soll sich selbst entmannt haben

8 Alexius von Edessa  († um 430?): Einsiedler und Heiliger

9 Hilarion von Gaza (291 - 371): Einsiedler und Heiliger

10 Cyprian (200/210 - 258): Bischof von Karthago und Heiliger

11 Johannes von Nepomuk (1350 - 1393):  Heiliger, Schutzpatron von Brücken

12 Florian ( † 304): Märtyrer, Schutzpatron der Feuerwehr

13 Ulrich (890 - 973): Bischof von Augsburg und Heiliger

14 Apollonia ( † um 249): Märtyrin

15, 16 Jubeljahr: in der kath. Kirche ein Jahr, in dem für Besuch der Paulus- und Peterskirchen in Rom vollkommener Ablass, der Jubelablass (daher Ablassjahr) erteilt wurde, zuerst im Jahr 1300, zuletzt im Jahr 2000 (!). Das Jubeljahr (Heilige Jahr wird) eröffnet mit der Öffnung der zugemauerten Goldenen Pforte am Petersdom

17 Johann Tetzel (1465–1519): Ablasshändler

18 Gabriel (גַּבְרִיאֵל ): Erzengel

19 Michael (מיכאל): Erzengel

20 nämlich die Vorhaut Christi, die an verschiedenen Orten vorhanden ist und verehrt wurde

21 Apostel Paulus von Tarsus (παΰλος) († nach 60)

22 Markusevangelium 14:

66Und Petrus war unten im Hof. Da kam eine von des Hohenpriesters Mägden; 67und da sie sah Petrus sich wärmen, schaute sie ihn an und sprach: Und du warst auch mit Jesus von Nazareth. 68Er leugnete aber und sprach: Ich kenne ihn nicht, weiß auch nicht, was du sagst. Und er ging hinaus in den Vorhof; und der Hahn krähte. 69Und die Magd sah ihn und hob abermals an, zu sagen denen, die dabeistanden: Dieser ist deren einer. 70Und er leugnete abermals. Und nach einer kleinen Weile sprachen abermals zu Petrus, die dabeistanden: Wahrlich, du bist deren einer; denn du bist ein Galiläer, und deine Sprache lautet gleich also. 71Er aber fing an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr sagt. 72Und der Hahn krähte zum andernmal. Da gedachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm sagte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er hob an, zu weinen.

23 Papst Leo X. (1475 - 1521), Papst seit 1513

24 Papst Alexander VI.  (1431 - 1503): Papst seit 1492

25 Papst Julius II. (1443 - 1513): Papst seit 1503

26 Papst Johannes XXIII. (um 1370 - 1419): Gegenpapst von 1410 bis 1415

27 Pax vobiscum! (lateinisch) = Friede sei mit euch!


Sieg! Sieg!  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 26. -- 2. Beiblatt. -- 1910-06-26

Seht, es ruhen die Geschicke
Unseres Volkes fest genug
Bei dem Mann mit weitem Blicke -
Theobald1 ist stark und klug.

Wie nur konntet ihr entbrennen
So in fürchterlicher Wut!
Reuig müsst ihr nun bekennen:
Pius der ist seelengut.

Oder wollt ihr noch Beweise?
Tat nicht aus der sandgen Mark
Jener jüngst nach Rom die Reise?
Theobald ist klug und stark.

Damals hat man 's abgekertet,
Wohlbedacht, mit kaltem Blut,
Alles kam, wie man 's erwartet -
Pius der ist seelengut.

"Heilger Vater", sprach der eine,
Dem das Herz im Beinkleid schlug,
"Hilf mir doch mal auf die Beine,
Dass ich bleibe stark und klug."

Drauf der andre: "Lieber Theo,
Sei getrost und habe Mut!
Harre nur auf Borromeo" -
Pius der ist sellengut.

"Ich blamier mich mit dem Wahlrecht²!"
Sprach der eine: "'s ist kein Quark.
O erfasse mit meine Qual recht."
Theobald ist klug und stark.

"Theo", sprach darauf der zweite,
"Fluchen werd ich voller Glut,
Und der Sieg folgt deiner Pleite" -
Pius der ist seelengut.

"Nämlich, 'Rache', schreit man, 'Rache'!
Wenn ich auf den Luther fluch" -
Sprach der erste: "Feine Sache!"
Theobald ist stark und klug.

"Deine Bulle, hei, mich freut se -
Denn ich heisch von dir dann Blut" -
"Und ich krieche dann zu Kreuze" -
Pius der ist seelengut.

"Zwar, ich tu nur so, als wiesest
Du mir Armen, was ne Hark -
Doch du freust dich, wenn du liesest:
'Theobald ist klug und stark'!

Und so stoß' ich denn den Wahn um,
Dass dir nichts gelingen tut;
Aber - manus lavat manum³!"
Pius der ist seelengt!

P. W.

1 Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917. Wurde am 23. März 1910 von Papst Pius X. in Audienz empfangen. Protestierte beim Vatikan scharf gegen die Borromäus-Enzyklika, woraufhin  die Kurie am 14. Juni 1910 die deutschen Bischöfe anwies, die Enzyklika nicht bekanntzumachen.

² Am 27. Mai 1910 zug Bethmann Hollweg die Vorlage einer Reform für das Wahlrecht im Königreich Preußen zurück.

³ manus lavat manum (latein.) = eine Hand wäscht die andere



Abb.: Arthur Krüger: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 27. -- 1. Beiblatt. -- 1910-07-03

Der harmlos Einherwandelnde sieht sich plötzlich von gewisser Seite aufs heftigste angegriffen.

Zur Rede gestellt, versichert der Angreifer, dass ihm jede Beleidigung ferngelegen, und dass er nur seiner persönlichen Überzeugung Ausdruck verliehen habe.

Erläuterung: bezieht sich auf die Borromäus-Enzyklika (siehe oben!)



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Kulturkampf in Spanien1
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 28. -- 1. Beiblatt. -- 1910-07-10

Wird bei den gegenwärtigen Stierkämpfen in Spanien die Kraft des edlen Stieres über die List des gefürchtesten Toreadors den Sieg davon tragen? Es wäre ein "Ziel aufs innigste zu wünschen!"

1 am 9. Mai 1910 siegten bei den Parlamentswahlen in Spanien die Liberalen unter José Canalejas y Méndez (1854 - 1912), Ministerpräsiden von da an bis zu seiner Ermordung. Seine Regierung will die Macht der Klerikalen brechen, Religionsfreiheit einführen, die katholischen Verbände nach dem normalen Vereinsrecht behandeln, die geistliche Schulaufsicht abschaffen.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Der päpstliche Pantoffel und die holländischen Holzschuhe. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 32. -- 3. Beiblatt. -- 1910-08-07

Merry del Val1: "Komisch, in Holland scheint man die Enzyklika² auch - missverstanden zu haben!"

1 Rafael Kardinal Merry del Val y Zulueta (1865 - 1930): Kurienkardinal, seit 1904 Präsident der Päpstlichen Kommission für die Koordination von Wohlfahrtsfragen der Kirche.

² Borromäus-Enzyklika (siehe oben!). Am 13. Juli 1910 versuchte Pius X., durch ein Schreiben an die Niederlande die dortigen Proteste zu beruhigen.


Der Magdalenen1-Käse.  -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 33. -- 1. Beiblatt. -- 1910-08-14

Ein französisches klerikales "Heim für gefallene Mädchen" hat eine Käsefabrik etabliert und preist ihr Produkt als unvergleichlich an. Bei Abnahme von 20 Kilo gibt es einen Gebetbon für Seelenmessen gratis!

Nun freu dich meine Näse,
Denn reuige Askese
Erzeugt den schönsten Käse!
Ja, christlich fromme Rage
Schafft gegen kleine Gage
Den lieblichsten Fromage.
O blast es in die Lüfte:
Aus einem Tugendstifte
Entsteigen Molkendüfte!

Wo sonst in dunklen Mauern
Gefallne Mädchen trauern
Und tatenlos versauern,
Sind hundert Magdalenen1
In heißem Tugendsehnen
Mit Händen und mit Beenen
Beschäftigt, statt zu beten,
Zu rühren und zu kneten
Die Käsequalitäten,

Die milden und die weichen,
Die scharfpikant desgleichen,
Mit Maden, welche schleichen,
Für guter Gaben Schätzer,
Für Fromme und für Ketzer
Die wahren Gaumenletzer!
So kommt aus wahrer Reue
Ein Käse, der aufs neue
Die Christenheit erfreue!

M. Br.

1 Magdalena

"Papst Gregor I. identifizierte 591 (darin Hippolytus († 235) folgend) in einer Predigt Maria von Magdala mit der Sünderin, die Jesus die Füße wäscht und deren Name nicht überliefert ist (Lk 7,36-50). Diese Identifikation wurde ein Teil der katholischen Tradition um Maria Magdalena, in der diese auch mit Maria von Bethanien, der Schwester Marthas und Lazarus’ gleichgesetzt wird.

Später wurde die genannte Sünderin als Prostituierte verstanden, weshalb Maria Magdalena oftmals und auch noch heute als Prostituierte betrachtet wird. So gab es z.B. noch bis 1996 in Irland sogenannte "Magdalenenheime", eine von katholischen Ordensschwestern geleitete Organisation zur Aufnahme „gefallener Mädchen und Frauen“."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Magdalena. -- Zugriff am 2010-01-18]


Abb.: Pompeo Girolamo Batoni <1708 - 1787>: Die büßende Magdalena, Bildpostkarte



Abb.: Arthur Krüger: Der  Sieger. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 34. -- S. 134. -- 1910-08-21

Ich versprach die einmal, spanisch1 zu kommen! ([Goethe:] Egmont, III, 2)

1 am 9. Mai 1910 siegten bei den Parlamentswahlen in Spanien die Liberalen unter José Canalejas y Méndez (1854 - 1912), Ministerpräsiden von da an bis zu seiner Ermordung. Seine Regierung will die Macht der Klerikalen brechen, Religionsfreiheit einführen, die katholischen Verbände nach dem normalen Vereinsrecht behandeln, die geistliche Schulaufsicht abschaffen.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Fleischteuerung und Ideale. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 35. -- S. 140. -- 1910-08-28

"Und, meine Lieben, es gibt doch etwas Schöneres und Edleres als die billige Befriedigung niederer Fleischeslüste! Verlieren Sie in dieser harten Prüfungszeit nicht Ihre Ideale und drücken Sie nicht den von der ewigen Vorsehung bestimmten Preis für das nationale deutsche Schwein!"



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Der klerikale Olymp. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 35. -- 1. Beiblatt. -- 1910-08-28

(Richard v. Kralik1 hat die Entdeckung gemacht, dass das ganze klassische Altertum klerikal war.)

Was da ragt aus grauem Altertume
Hehr empor im Götterheldensaal,
Alles war, behaupt ich, Rom zum Ruhme,
Alles war (nach Kralik) klerikal!

Juno² war der Typ, der unerreichte,
Eines klerikalen Weibs von Rang,
Denn sie nahm ihn öfters in die Beichte,
Wenn der Zeus ihr durch die Lappen sprang.

Wenn auch Zeus³ nicht Enzykliken schweißte,
Wie es wohl dem Donnergotte ziemt,
Infallibel4 war bei ihm das Meiste,
Seine Bullen5 waren hochberühmt!

Wenn ich meine Blicke weiterlenke,
Scheint der Tatbestand bei Eros6 klar,
Dessen feine Jesuitenränke
Zeigen, welcher Konfession er war.

Was Hephäst7 in seinen alten Tagen
Erst dem Göttervater Zeus empfahl:
Den Verstand ihm aus dem Kopf zu schlagen.
Dieses war doch gänzlich klerikal!

Und dann Leda8 - was ihr auch entgegnet -
Lebt' durchaus der Klerisei gemäß.
Denn ihr Schoß, er wurde doch gesegnet,
Und der Fall, er war mirakulös!

Ob sich diesen Kralik-Hypothesen
Noch so viele Ketzer zweifelnd nahn,
Hellas' Götterwelt ist  stets gewesen
Klerikal und Streng ultramontan!

M. Br.

1 Richard Ritter Kralik von Meyrswalden (1852 - 1934): österreichischer Schriftsteller, Kulturphilosoph

"Richard Kralik entwickelte einen kühnen Plan, er wollte Gegenwart und Zukunft zu einer aus der Religion und dem Volkstum aufsprossenden Kulturblüte erheben, die der Antike gleichwertig wäre. Der Verwirklichung dieses romantisch katholischen Kulturprogramms widmete er ein Leben und Werk. In Wien, wo er sich dann dauernd niederließ, fand er in Maria Pauline Sophie von Flattich (* 25. Oktober 1858 in Stuttgart, † 25. Mai 1943 in Wien) eine kunstfreudige Lebensgefährtin, die er am 15. Oktober 1882 in Wien heiratete. Seine Frau war Tochter des damals bekannten Architekten Wilhelm von Flattich.

Zuerst in den Achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts stand Kralik mit der Berliner literarischen Revolution in Verbindung. Bald aber löste er sich von ihr, da er sich in sein Kulturprogramm vertiefte. Er trat in Verbindung mit der Leogesellschaft und regte die großen Festspiele an, die seit 1893 in den größten Hallen und auf den weitesten Plätzen Wiens mit großem Erfolge aufgeführt wurden. Er trug tatkräftig bei zur Gründung des „Verbandes katholischer Schriftsteller Österreichs", von dem sich dann der „Gralbund" abzweigte. Letzterer entfaltete seit 1905 eine segensreiche Tätigkeit und wurde zum Verkünder des religiös-nationalen Kulturprogramms von Kralik. Das geschah durch die Zeitschrift „Der Gral", der unter der Leitung Eicherts und dann Friedrich Muckermann S. J. immer weitere Kreise gewann.

Richard Kralik betätigte sich aktiv in der katholischen Bewegung Österreichs und gründete die katholische Schriftstellervereinigung "Gralbund" mit der Zeitschrift "Der Gral", die zwischen 1906 und 1937 erschien. Als Lyriker, Dramatiker und Erzähler war er ein Vertreter der neuromantischen Dichtung, der unter dem Pseudonym Roman veröffentlichte.

Unter dem Einfluss von Richard Wagner und Pedro Calderón de la Barca war er um die Erneuerung mittelalterlicher Spiele bemüht. Von ihm stammt "Das Mysterium vom Leben und Leiden des Heilands. Osterfestspiel", (3 Teile, 1895). Richard Kralik stand seit 1898 in Briefwechsel mit dem Schöpfer von Winnetou und Old Shatterhand. Karl May fand sich zu der idealistisch-romantischen Kunstdefinition von Richard Kralik hingezogen. Das Mystische in Mays Spätwerken ähnelt auch den Ideen der Gralbünder. Richard Kralik wiederum hatte eine Vorliebe für die Reiseerzählungen des aus Radebeul stammenden Karl May."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Kralik. -- Zugriff am 2010-01-18]

² Juno: Gattin Jupiters/Zeus' und somit Königin der Göttinnen.

³ Zeus (Ζεύς): oberster griechischer Gott

4 infallibel = unfehlbar

5 Bullen: Wortspiel: Bulle = Stier (Zeus als Stier) und Bulle = päpstlicher Erlass

6 Eros (Ἔρως): griechischer Liebesgott

7 Hephäst = Hephaistos ( Ἥφαιστος) griechischer Gott des Feuers und der Schmiede. Wirkte als Geburtshelfer, als Athene dem Kopf des Zeus entsprang („Hephaistosschlag")

8 Leda (Λήδα): Gemahlin des spartanischen Königs Tyndareos. Zeus verliebte sich in sie. Er näherte sich ihr in der Gestalt eines Schwanes und schwängerte sie.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Invasionsgefahr im fernen Osten. 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 36. -- S. 144. -- 1910-09-04

Die Andeutungen Karl Bachems1 in Augsburg2, dass Japan durch seine Vermittlung eventuell in absehbarer Zeit eine bessere Zukunftsreligion erhalten könnte, haben bei der "aufgehenden Sonne" eine "partielle Finsternis" hervorgebracht!

1 Karl Bachem (1858 - 1945): Zentrumspolitiker

² am 57. deutschen Katholikentag vom 21. bis 25. August 1910



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917). 
-- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 37. -- 3. Beiblatt. -- 1910-09-11

Petrus und die Tuntenhausener1 Zentrumsbauern

Auf dem Tuntenhausener Bauerntag sprach der Abg. Steiniger2 sein Bedauern über die Bierverhältnisse in Bayern aus, empfahl aber dann das "Vertrauen auf den Himmel"

Petrus (bedauernd): Der liebe Herrgott lässt euch sagen, er sei zwar allmächtig, auf die Bierpreise in Bayern aber könne er keinerlei Einfluss ausüben. Soweit reiche seine Allmacht nicht.

Finanz-Finale in Augsburg³

Das letzte Kommando der Zentrumsparade hieß, wie immer: "Augen rechts, Taschen auf!"

1 Tuntenhausen, Oberbayern

² Joseph  Steininger (1858 - 1939): Mitglied der bayerischen Abgeordnetenkammer

³ am 57. deutschen Katholikentag vom 21. bis 25. August 1910



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Der echte Ring vermutlich1 - - oder moderner Wettbewerb. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 38. -- S. 152. -- 1910-09-18

1 Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise (1779), 3. Akt, 7. Auftritt:

NATHAN.

Der Richter sprach: wenn ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich euch
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? –
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei
Von euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? – O so seid ihr alle drei
Betrogene Betrieger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren
. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen.


Ermahnung an den Heiligen Vater. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 40. -- S. 159. -- 1910-10-02

O Pius1, hör auf einen Freund,
Der wirklich gut mit dir es meint!
Glaub mir, mit allem deinem Kram,
Der nur zu oft zum Vorschein kam,
Mit den Enzykliken, die längst
Nicht mehr so wirken, wie du denkst,
Und mit den Motuprprios²
Ist - offen sag ich 's - nichts mehr los.
Du suchst, unfehlbar, wie du bist,
Den Satan da, wo er nicht ist.
Doch ist er ganz in deiner Näh,
Merry del Val³ heißt der Monsieur.
Dem gib nen Schupps, dass weg erfliegt
Und nicht mehr auf der Lauer liegt
Im Vatikan dir nur zur Qual.
Ja, Pius, sei vernünftig mal!

i. tr.

1 Pius X. (1835 - 1914), Papst seit 1903

² Motu proprĭo (latein): aus eigenem Antrieb; das Motuproprio: ein päpstlicher, ohne vorhergegangenes Gesuch aus eigener Initiative geflossener Erlass.

³ Rafael Kardinal Merry del Val y Zulueta (1865 - 1930): Kurienkardinal, seit 1904 Präsident der Päpstlichen Kommission für die Koordination von Wohlfahrtsfragen der Kirche.


Neue Schüttelreime. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 40. -- 1. Beiblatt. -- 1910-10-02

Ach, jedes Wort das Nathan1 sagt,
Am Pio² wie ein Satan nagt,
Er fühlt, dass auch die schönste Wallfahrt
Ihn nicht mehr vor dem tiefen Fall wahrt,
Und dass nur in der Kathi Wahn
Unfehlbar noch der Vatikan!

1 Nathan der Weise (siehe oben!)

² Pius X. (1835 - 1914), Papst seit 1903



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Wirkung der deutschen Fleischnot im Vatikan oder Die mageren Peterskisten. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 41. -- 3. Beiblatt. -- 1910-10-09

"Wie kommt das wohl?" fragte erstaunt der Heilige Vater. "Nie sind die Würste und Schinken, die ich von meinen lieben deutschen Schäflein geschickt erhalte, so klein gewesen wie in diesem Jahr! Ist das Volk schwächer im Glauben geworden?"
"Nein, aber die Fleischpreise sind dort sündhaft hoch und gottlos!"



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Revision im Vatikan. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 42. -- S. 166. -- 1910-10-16

Da der verfluchte Modernismus - siehe Kardinal Fischer1! - die höchsten geistlichen Würdenträger infiziert, so sind sämtliche Bischofshüte im Vatikan abzuliefern, damit sie dort auf ihre "Kopfweite" hin untersucht werden.

1 Antonius Fischer (1840 - 1912): Erzbischof von Köln seit 1902. Trat für die interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften (statt katholischer Gewerkschaften) ein, weswegen er des Modernismus bezichtigt wurde.


Einst und jetzt. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 42. -- 2. Beiblatt. -- 1910-10-16

Froh mochten wir grüßen
Den feurigen, süßen,
Den Wein wohl, der puro
Herkam von dem Douro1
In Flaschen,
In Tönnchen.
Schön war 's da, zu naschen,
Zu kosten, zu schlecken
Vom köstlichen Brönnchen.

Jetzt aber - o Schrecken! -
Jetzt kommen
Die Frommen.
Es ziehn mit den Mönchen
Die quietschenden Nönnchen
In schwärzlichen Scharen -
Gott soll uns bewahren! -
In endlosen Suiten
Die Jesuiten;
Sie kommen mit raschen
Schritten, sie rasen
Mit Flüchen und Schwüren. -
Zuhaltet die Taschen,
Zuhaltet die Nasen,
Zuhaltet die Türen
Vor diesem Gewimmel!
Behüt uns der Himmel
Vor dieser Sort, o
Pfui!, aus Oporto²!

Erläuterung: Am 4. Oktober 1910 wurde in Portugal der König durch einen republikanischen Aufstand gestürzt. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Joaquim Teófilo Fer4nandes Braga ist antiklerikal und verbietet am 7. Oktober die katholischen Orden und verweist deren Mitglieder des Landes. Diese Ordensleute suchen nun in anderen europäischen Ländern Unterschlupf.

1 Douro: Fluss in Nordportugal, aus dem Douro-Tal stammt der echte Portwein

² Oporto = Porto: portugiesische Stadt am Douro


Abb.: Portwein
[Bildquelle: Jon Sullivan / Wikipedia. -- Public domain]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Nicht eingeladen. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 43. -- S. 172. -- 1910-10-23

Prof. Häckel-Jena1 hat keine Einladung zum Universitätsjubiläum2 erhalten.

"Aber, mein lieber Herr Kollege, es sind allerhöchste Herrschaften da, Sie können mit der Verwandtschaft unmöglich eintreten!"

1 Ernst Haeckel (1834 - 1919): Zoologe, machte die Evolutionstheorie populär

² am 11. Oktober 1910 feierte die Berliner Universität ihr 100jähriges Bestehen.



Abb.: Arthur Krüger: Das Erdbeben von Lissabon1 1910. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 43. -- 1. Beiblatt. -- 1910-10-23

...

Doch der Eindruck der furchtbaren Katastrophe war so gewaltig, dass selbst die Ratten, allerdings unter Protestgeheul, das Staatsschloss verließen.

1 Anspielung auf das furchtbare Erdbeben von Lissabon 1755. Am 4. Oktober 1910 wurde in Portugal der König durch einen republikanischen Aufstand gestürzt. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Joaquim Teófilo Fernandes Braga ist antiklerikal und verbietet am 7. Oktober die katholischen Orden und verweist deren Mitglieder des Landes.



Abb.: Arthur Krüger: Fischer1 und Kopp². --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 44. -- 2. Beiblatt. -- 1910-10-30

Der Kopp und der Fischer, zwei Eminenzen,
Sich in erfreulicher Weise ergänzen!

Der eine ist höflich, der andere grob,
der erste ist Fischer, der zweite Kopp!

Der eine wohnt westlich, der andere östlich,
Und beide amüsieren sich köstlich.

Der eine ist friedlich, der andere boxig
Und auch etwas kräftiger orthodoxig.

Drum fürchte ich immer: der gute Fischer
Holt sich in Rom einen starken Wischer!

Und ist man in Breslau auch noch so grob,
Der Heilige Vater schwört auf den - Kopp!

1  Antonius Hubert Kardinal Fischer (1840 - 1912): von 1902 bis 1912 Erzbischof von Köln. Trat für die interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften (statt katholischer Gewerkschaften) ein (Kölner Richtung), weswegen er des Modernismus bezichtigt wurde.


Abb.: Antonius Hubert Kardinal Fischer, 1911
[Bildquelle: Wikipedia. -- Public domain]

² Georg Kardinal von Kopp (1837 - 1914), Fürstbischof von Breslau, Integralist, sieht in den christlichen Gewerkschaften die Gefahr des sozialistischen Einflusses auf katholische Arbeiter und schreibt für diese streng katholische Arbeitervereine vor.


Abb.: Georg Kardinal von Kopp, 1912
[Bildquelle: Wikipedia. -- Public domain]


Man schlägt sich und verträgt sich wieder. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 46. -- S. 182. -- 1910-11-13

Er war etwas grob,
Der Kopp gegen Fischer1!
Dieser gab darob
Dem Kopp einen Wischer.
Jetzt waltet, gottlob,
Kein Unfried mehr ob
Zwischen Fischer und Kopp
Und Kopp und Fischer.

1 Kopp, Fischer: siehe oben!



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Gewissensfragen oder "Versuche am untauglichen Objekt". --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 48. -- S. 192. -- 1910-11-27

(nach der Abschreckungs-Demonstration1 des Pfarrers von Geblingen² in Lothringen)

Bist du früher liberal gewesen?
Hast du Tante Voss³ wohl gar gelesen?

Hast den Fortschrittsmann vielleicht gewählt,
Der die heilge, römsche Kirche schmäht?

Hast du je gewagt, zu opponieren,
Antiklerikal dich zu gerieren?

Bist du gar zum Sozi hingekrochen?
Fort mit dir, du alter Höllenknochen!

1 Abschreckungs-Demonstration: ???

² Geblingen: heute Guébling

³ Vossische Zeitung: täglich zweimal in Berlin erscheinende freisinnige Zeitung mit Sonntagsbeilage, seit 1725



Abb.: Beuron (frei nach Arnold Böcklin1). --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 49. -- 1. Beiblatt. -- 1910-12-04

Erklärung: Kaiser Wilhelm II. hatte am 13. November 1910 das Benediktinerkloster Beuron besucht. Dort sagte er, dass Thron und Altar zusammengehören und dass die Bekämpfung gewisser Bestrebungen nur mit Hilfe von Religion und Unterstützung des Himmels durchzuführen sei.

1 Vorlage ist:


Abb.: Arnold Böcklin (1827 -1901): Der Einsiedler



Abb.: Arthur Krüger: Portugiesische1 Einflüsse bei der deutschen Volkszählung. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 51. -- S. 202. -- 1910-12-18

Der Zähler: Wieviel Kinder haben Sie, Madame?
Germania (zögernd): Genau 6 200 513!
Der Zähler: Nana! Sind nicht noch einige dazugekommen?

1 Am 4. Oktober 1910 wurde in Portugal der König durch einen republikanischen Aufstand gestürzt. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Joaquim Teófilo Fernandes Braga ist antiklerikal und verbietet am 7. Oktober die katholischen Orden und verweist deren Mitglieder des Landes. Manche davon kommen in deutschen Staaten unter.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Die Entkonfessionalisierung des Zentrums. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 52. -- 2. Beiblatt. -- 1910-12-25

(Nach dem Verdacht des Grafen Oppersdorff1 als Weihnachtsmärchen bearbeitet)

Ein kleiner, modernistisch angehauchter Spahn² sah einen Kater, der ihm sehr gefiel - bis auf seine rabenschwarze Farbe.

Darum nahm er einen Topf mit weißer Farbe und einen Pinsel und versuchte ihn hell anzustreichen. Es gelang ihm aber vorbei.

Auch Puderzucker, den er sorgfältig mit einer Quaste auftrug, versagte völlig.

Schließlich steckte er den Kater in einen Sack mit Mehl.

Was aber herauskam, blieb immer ein schwarzer Kater!

Da sprach der Kater zum Knäblein: "Du dauerst mich, lieber Kleiner. Warte, ich werde dich schwarz anstreichen, dann wird dir meine Farbe angenehmer erscheinen!" - Und so geschah es.

1 Hans Georg, Graf von Oppersdorff (1866 - 1948)

"Hans Georg Graf von Oppersdorff (* 8. Oktober 1866 in Oberglogau; † 21. März 1948 in Lourdes) war ein deutscher Fideikommissherr, Verbandsvertreter und katholischer Politiker. Als einer der Hauptvertreter der integralistischen, antimodernen „Berliner Richtung“ innerhalb des katholischen Milieus gehörte er zu den umstrittensten katholischen Persönlichkeiten vor dem Ersten Weltkrieg. Daneben trat er für den Ausgleich mit der polnischen Bevölkerung in den preußischen Ostprovinzen ein.

Familie und Ausbildung

Nach dem frühen Tod seiner Eltern, seines Vaters Hans Eduard Graf von Oppersdorff und seiner Mutter Elisabeth (geb. de Talleyrand-Périgord) wurde er von seinem Großvater erzogen. Er besuchte das Jesuitengymnasium in Feldkirch. Danach studierte Oppersdorff Rechtswissenschaften in Bonn, Berlin und Leipzig. Im Jahr 1889 übernahm er von dem Großvater Eduard Graf von Oppersdorff den Familienbesitz zu dem auch das Schloss Oberglogau gehörte. Insgesamt war der Besitz 6500 ha groß. Im Jahr 1895 heiratete er Dorothea (Leotine Maria) Radziwiłł. Der älteste Sohn Wilhelm Hans wurde noch im selben Jahre geboren. Es folgten: Eduard (1896), Dorothea (1897), Maria und Mathias (1899), und Elisabeth und Franz (1900), Anton (1902), Josef Ludwig (1903), Hedwig (1904), Candida (1907) und Ignatius (1910).

Verbandsvertreter

Oppersdorff engagierte sich im Organisationswesen des katholischen Milieus. Im Jahr 1899 war er erster Vizepräsident des deutschen Katholikentages in Neisse. Im Jahr 1904 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Seine Kandidatur für den Vorsitz des deutschen Katholikentages 1908 in Düsseldorf scheiterte jedoch. Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken trat er mit Maximalforderungen, wie der Wiederherstellung des Kirchenstaates hervor.

Seit dem Jahr 1900 war er Vorsitzender des Schlesischen Bauernvereins. Neben der landwirtschaftlichen Interessenvertretung war er unter Führung von Oppersdorff monarchistisch und christlich ausgerichtet. In Schlesien bemühte er sich um den Ausbau des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens und war 1906 Mitbegründer der Zentralstelle christlicher Bauernvereine in Deutschland.

Parlamentarische Mandate

Dem preußischen Herrenhaus gehörte Oppersdorff seit 1897 an. Er gehörte dort der konservativen Fraktion an. Im Herrenhaus sprach er 1908 unter anderem gegen das antipolnische Enteignungsgesetz, aber 1910 auch gegen eine preußische Wahlrechtsreform und 1911 gegen die Möglichkeit der Feuerbestattung.

Dem Reichstag gehörte er für die Zentrumspartei ab 1907 an. Er vertrat den Wahlkreis Glatz-Habelschwerdt. Weil er nach Angaben von Friedrich von Praschma für sein Abgeordnetenbüro und seine Bibliothek einen Aufwand betrieb, der sein Vermögen überstieg, ließ sich Oppersdorff auf Finanzspekulationen ein.

Hinwendung zum Integralismus

In einen politischen Gegensatz zu Felix Porsch und Teilen der Zentrumspartei in Schlesien geriet Oppersdorff als er dafür eintrat, dass die Zentrumspartei den Polen entgegenkommen sollte. Folgt man den Angaben von Karl Bachem war er in dieser Zeit noch auf Seiten der eher progressiven „Kölner Richtung“ innerhalb der Zentrumspartei. Danach hätte er sogar einen Sitz im Vorstand des Volksvereins für das katholische Deutschland angestrebt.

Dies änderte sich aber bald. Im Jahr 1910 löste er in der Zentrumspartei mit seinem Widerstand gegen eine Reichstagskandidatur von Martin Spahn, der als Modernist galt, erhebliche Unruhe in der Zentrumspartei aus. Nachdem dieser in einer Nachwahl Reichstagsmitglied geworden war, versuchte Oppersdorff aus der Zentrumsfraktion herauszuhalten und betrieb dazu regelrechte Kampagne. Spahn wurde vor allem dessen Bekenntnis zur Gleichberechtigung von Protestantismus und Katholizismus vorgeworfen. Eine Streitschrift sandte Oppersdorff sogar an den Papst. Die Reichstagsfraktion des Zentrums, die vor einem Konflikt mit Rom zurückscheute, beschäftigte sich daraufhin in zehn Sitzungen mit Frage, ob man Spahn aufnehmen solle oder nicht. Oppersdorff ging schließlich einen Schritt weiter und veröffentlichte die Broschüre: „Eine Gewissensfrage: Ist Martin Spahn ein Zentrumsmann?“ Dies nutzte nichts, denn die Fraktion nahm Spahn schließlich auf.

Oppersdorff gehörte spätestens seit dieser Zeit zu den strikten Antimodernisten in der Zentrumspartei. Zeitweise im Bündnis mit Matthias Erzberger gehörte er zu den Unterstützern des konservativen Bischofs von Breslau Georg von Kopp. Oppersdorff war unter dem Decknamen „Thomsk“ Mitglied einer Laiengruppe der von dem Prälaten Umberto Benigni geleiteten vatikanischen Geheimorganisation „Sodalitium Pianum.“

Konflikte mit der Zentrumspartei

In Konflikt mit weiten Teilen seiner Partei geriet Oppersdorff 1911 als er sich als einer von wenigen Zentrumsabgeordneten gegen eine Verfassung für Elsaß-Lothringen aussprach, weil er mit den vorgesehenen Bestimmungen zur Konfessionsschule und zur Sprachenfrage nicht einverstanden war. Gegen kritische Berichte in der katholischen Presse ging Oppersdorff mit Klagen gegen führende Publizisten vor. Weitere öffentliche Auseinandersetzungen gab es um Äußerungen des Paters Albert Maria Weiß an. Diese Auseinandersetzung eskalierte soweit, dass Zentrumsblätter wie die „Kölnische Volkszeitung“ den Parteiausschluss von Oppersdorff forderten. Der Augustinus-Verein als Verband der katholischen Presse schloss ihn wegen Beleidigungen gegen den Vorsitzenden Eduard Hüsgen 1911 aus. Dagegen ging Oppersdorff letztlich erfolgreich mit einer Klage vor dem Reichsgericht vor.

In seinem bisherigen Wahlkreis hatte er nach den Konflikten kaum noch Chancen auf eine erneute Wahl. Der Wahlkreis Fraustadt-Lissa in der Provinz Posen stellte ihn schließlich auf. Außerdem wurde er als Zählkandidat für die Reichstagswahl gleich in verschiedenen Wahlkreisen in und um Berlin aufgestellt. Im Wahlkreis Fraustadt-Lissa konnte sich Oppersdorff in der Stichwahl durchsetzen. Unterstützt wurde er von den polnischen Wählern und dem Bund der Landwirte. Allerdings gab es Berichte über Wahlbestechungen.

Sprachrohr der Integralisten

Für die Zentrumspresse war klar, dass Oppersdorff nicht mehr Teil der Zentrumsfraktion sein würde. Zur konstituierenden Sitzung wurde er auch nicht eingeladen.

In der Folge brauchte er keine Rücksicht auf die Fraktionsdisziplin mehr zu nehmen und machte sich seit Anfang 1912 als Herausgeber der Zeitschrift „Klarheit und Wahrheit“ zum Sprecher der integralistisch ausgerichteten Berliner Richtung innerhalb des katholischen Milieus. Allen Annäherungen der Konfessionen und allen modernen Einflüssen im Katholizismus erteilte Oppersdorff in seiner Zeitschrift eine Absage. Hauptgegner waren die „Kölner Richtung“ und die interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften. Angegriffen wurden insbesondere Julius Bachem und Felix Porsch aber auch zahlreiche andere. Mittlerweile unterstützte auch Matthias Erzberger nicht mehr die Positionen von Oppersdorff. Stattdessen wandte er sich öffentlich gegen diesen. Unter anderem warf er Oppersdorff Inkonsequenz vor. Wenn dieser die Interkonfessionalität der christlichen Gewerkschaften kritisierte, vergaß er, dass er selbst Mitglied der überwiegend protestantischen konservativen Fraktion im Herrenhaus und Vorsitzender des konfessionsübergreifenden schlesischen Bauernverbandes sei.

Nicht nur seine Zeitschrift sondern auch ausgesprochen zentrumsfeindliche Blätter nutze Oppersdorff zu Angriffen vor allem gegen Porsch. All dies führte 1912 dazu, dass Opperdorff aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken abgewählt wurde und die schlesische Zentrumspartei ihn aus der Partei ausschloss.

Im Jahr 1914 erreichte Oppersdorff Kampf gegen die christlichen Gewerkschaften seinen Höhepunkt, als er einem Briefwechsel mit Kardinal Kopp veröffentlichte. Damit erreichte er indes das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Es kam stattdessen zu großen Versammlungen von Zentrumsanhängern die gegen den Integralismus und für die christlichen Gewerkschaften demonstrierten.

Letzte Jahre

Mit dem Amtsantritt von Papst Benedikt XV. verlor er auch in Rom völlig an Unterstützung. Oppersdorff der gegen die Interkonfessionalität gekämpft hatte, bemühte sich 1916 erfolgreich um die Aufnahme in die protestantisch dominierte konservative Fraktion im Reichstag. Im ersten Weltkrieg diente er im Kriegsministerium.

Nach dem Krieg machte er noch einmal auf sich aufmerksam, als er 1921 für die Abtretung von Oberschlesien an Polen eintrat, weil er meinte in einem katholischen Polen sei das Gebiet besser aufgehoben als im protestantisch dominierten Deutschland.

Er übergab 1930 seinen Besitz an seinen Sohn Wilhelm Hans von Oppersdorff und zog sich auf ein Schloss in Frankreich zurück."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Georg_von_Oppersdorff. -- Zugriff am 2010-01-19]

² Martin Spahn (1875 - 1945)

"Martin Spahn (* 7. März 1875 in Marienburg; † 12. Mai 1945 in Seewalchen am Attersee) war ein deutscher Historiker, Politiker (Zentrum, DNVP, NSDAP) und Publizist. In der Weimarer Republik wandelte er sich vom Reformkatholiken zum nationalkonservativen Rechtskatholiken. Berühmt wurde er 1901 durch den so genannten „Fall Spahn“.

Leben

Martin Spahn, ältester Sohn des späteren Vorsitzenden der Reichstagsfraktion des Zentrums Peter Spahn, studierte Geschichte an den Universitäten Bonn, wo er dem K.St.V. Arminia beitrat, Berlin beim Protestanten Max Lenz und Innsbruck bei dem katholischen Papsthistoriker Ludwig von Pastor. Er wurde im Alter von 21 Jahren promoviert und habilitierte sich zwei Jahre darauf mit einer Arbeit über Johannes Cochläus. 1901 wurde er außerordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Bonn und erhielt im Herbst desselben Jahres einen Ruf an die Universität Straßburg. Die Berufung eines 26-Jährigen, dazu noch Katholiken, war auch in dieser Zeit ein ungewöhnlicher Vorgang. Seine Übernahme des Ordinariats für Neuere Geschichte führte im so genannten „Fall Spahn“ zu einer monatelangen öffentlichen Diskussion. 1920 erhielt er eine Professur für Neuere Geschichte an der neu gegründeten Universität zu Köln. Nach seiner Wahl in den Reichstag 1924 kam er seinen Verpflichtungen an der Hochschule aber nicht mehr nach.

Politische Tätigkeit

Spahn saß von 1908 bis 1918 im Straßburger Gemeinderat, seit 1912 für das Zentrum. Von 1910 bis 1912 war er Reichstagsabgeordneter für diese christlich geprägte Partei. Spahn wird zu den Reformkatholiken gerechnet, die nach dem Kulturkampf im Gegensatz zu den Ultramontanen den Anschluss der Katholiken an das protestantisch geprägte Reich auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet anstrebten. Zu diesem Zweck publizierte Spahn eine Reihe von Aufsätzen in der katholischen Kulturzeitschrift Hochland. 1921 wechselte Spahn zur DNVP, für die er von 1924 bis 1933 dem Reichstag angehörte. Nach der Machtübernahme trat er am 9. Juni 1933 der NSDAP bei, für die er bis Kriegsende im Reichstag saß. Spahns Gesinnungswechsel während der Weimarer Republik wird als Übergang zum Rechtskatholizismus gewertet."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Spahn. -- Zugriff am 2010-01-19]


Ein Fluch. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 63, Nr. 52. -- 2. Beiblatt. -- 1910-12-25

Der Heilige Vater wurde grob
Und nannt' ihn einen frechen Dachsen.
Er wusch ihm ordentlich den Kopp
Und trat ihm zornig auf die Haxen.
"Da hast du meinen Fluch, o weh,
Für deine niederträchtigen Faxen.
Ich rate dir: zum Teufel geh
Mit deinen Grundsätzen, den laxen!
Du hast es, Elender, gewagt,
Zu schmähen meine hohen Taxen!
Du hast dich ja - Gott sei 's geklagt -
Zum Modernisten ausgewachsen!"
Do wird vom Papste angehaucht
Der sonst so fromme Prinz von Sachsen1.
Ich frage: Hat er das gebraucht?
Es tut mir innig leid um Maxen!

1 Prinz Max von Sachsen (1870 - 1951): damals Professor für kanonisches Recht und Liturgie in Fribourg.

Am 26. Dezember 2010 - einen Tag nach Erscheinen dieses Kladderadatsch-Heftes -  unterschreibt er im Vatikan eine Erklärung, in der er sich von einem kritischen Artikel über den Antimodernisteneid in der Zeitschrift "Roma e l'Oriente" distanziert. Daraufhin wird er von Pius X. in Audienz "liebevollst" empfangen.

"Max von Sachsen (auch: Maximilian Wilhelm August Albert Prinz von Sachsen) (* 17. November 1870 in Dresden; † 12. Januar 1951 in Freiburg im Üechtland) war ein sächsischer Prinz, katholischer Geistlicher und Gelehrter (Ostkirchenforscher).

Leben [Bearbeiten]

Am 17. November 1870 wurde Max von Sachsen in Dresden als Kind des Prinzen Georg, Herzog zu Sachsen (seit 1902 König von Sachsen), und Maria Anna, geborene Infantin von Portugal (1843–1884), der ältesten Tochter der regierenden Königin von Portugal, Maria da Gloria, geboren. Nach dem Abitur (1888) absolvierte er den Militärdienst und studierte Rechtswissenschaften, Geschichte und Nationalökonomie in Freiburg im Breisgau. 1892 wurde er an der Universität Leipzig summa cum laude zum Doktor beider Rechte promoviert. Anschließend trat er in das 1. Sächsische Ulanenregiment ein, verließ es aber bald wieder, um von 1893 bis 1896 Philosophie und Theologie am damaligen Bischöflichen Lyzeum in Eichstätt/Bayern zu studieren. Während dieses Studiums wohnte er im Bischöflichen Priesterseminar. Am 26. Juli 1896 wurde er hier in der Schutzengelkirche zum Priester geweiht und verzichtete am Tag der Primiz auf seinen Anspruch auf den sächsischen Königsthron.

Nach kurzen seelsorgerlichen Tätigkeiten in Whitechapel/England und in Eichstätt (Kaplan an St. Walburg) wurde er 1898 nach mehrmonatigem Aufenthalt an der Universität Würzburg zum Doktor der Theologie promoviert. 1898 bis 1900 war er Kaplan an der Frauenkirche in Nürnberg, und zwar an der Filiale St. Joseph und am Institut der Englischen Fräulein. Bereits hier zeigte sich ein herausragender Wesenszug: Er lebte bescheiden mitten im Arbeitermilieu; Zuwendungen des sächsischen Königshauses ließ er Armen zukommen. Trotz seines Einsatzes für das einfache Volk wurde er von der Linken wiederholt angegriffen.

1900 wurde er an die theologische Fakultät der katholischen Staatsuniversität Fribourg/Schweiz als außerordentlicher, ab 1908 als ordentlicher Professor des neuen Lehrstuhls für Kirchenrecht und Liturgik berufen, den er bis 1910 innehatte. Er beschäftigte sich intensiv mit den Riten der Ostkirche und den entsprechenden Kirchensprachen, unternahm diesbezüglich ausgedehnte Forschungsreisen und trat schließlich – nicht unangefochten – für die Einheit von Ost- und Westkirche ein. Aufgrund der Anfeindungen, die Ende 1910 im Zuge des „Modernismusstreites“ in einer päpstlichen Rückweisung seiner „Irrtümer“ gipfelten, verließ er 1912 Fribourg, nachdem ihm die Lehrbefugnis für Kirchenrecht entzogen und diejenige für Liturgik als „ruhend“ erklärt worden war.

1912 bis 1914 wirkte er als Professor für Liturgik am Priesterseminar von Köln. Im Ersten Weltkrieg war er Feld- und Lazarettgeistlicher. Im Juni 1916 schied er aus dem Militärdienst aus und blieb zur Seelsorge und zu Studien in Sachsen. In der Folgezeit setzte er sich unter anderem mit dem Tierschutz und mit der Friedensthematik geistig auseinander; er selbst war Vegetarier, Abstinent und Tabakgegner.

Nach Kriegsende und dem Untergang des Königtums hielt er sich in Sibyllenort (Schlesien) auf und ging dann als Seelsorger nach Bayern (St. Bonifaz in München, Schleedorf und Wasserburg am Inn). Ab 1921 lehrte er wieder in Fribourg, und zwar an der philosophischen Fakultät, wo er einen Lehrauftrag für „Orientalische Kulturen und Literaturen“ innehatte. 1923/24 war er Dekan. Durch die – von ihm abgelehnte – Ehrung mit dem Titel eines Päpstlichen Hausprälaten erfolgte in der Modernismus-Zurechtweisung die kirchliche Rehabilitation. 1941 emeritiert, weiterhin aber Honorarprofessor, starb er, der zeitlebens insbesondere wegen seiner Lebensweise als „Original“ galt, am 12. Januar 1951 in Fribourg und wurde auf dem Friedhof der Kanisiusschwestern in Bürglen, deren Hausgeistlicher er war, bestattet.

Prinz Max von Sachsen gehörte dem studentischen Unitas-Verband (UV) und als Ehrenmitglied den Katholischen Studentenverbindungen K.St.V. Walhalla Würzburg und KStV Carolingia-Fribourg im KV an. 1906 rief er in Fribourg den studentischen Verein Markomannia ins Leben, der 1912 Aufnahme in den UV fand, aber nach dem Weggang seines Stifters bald suspendieren musste.

2006 widmete ihm die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt eine Ausstellung."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Maximilian_von_Sachsen_%281870%E2%80%931951%29. -- Zugriff am 2010-01-19]


1911



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 1. -- 1. Beiblatt. -- 1911-01-01

Eine kräftige Melodie spielt Prinz Max1 dem unangenehm überraschten Vatikan auf, - entschuldigt sich aber - zur Rede gestellt - damit, dass er sich nur in den Tönen vergriffen habe und verspricht, es nicht wieder zu tun.

1 Prinz Max von Sachsen (1870 - 1951): damals Professor für kanonisches Recht und Liturgie in Fribourg (siehe oben!)


Aus dem "Faust" (Ausgabe der "Kölnischen Volkszeitung"1). -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 1. -- 2. Beiblatt. -- 1911-01-01

Das Zentrums-Gretchen:

Wie hältst du 's, Martin², mit der Konfession?
Du bist ein grundgelehrter Mann,
Doch "Martin" klingt verdächtig schon.

Faust-Spahn:

Lass das mein Kind! Was ficht dich an?
Will niemand seinen Borromäus³ rauben!

Gretchen:

Du musst auch an die Jesuiten glauben!

Faust:

Ach, Kind, wer hat an die nicht glauben müssen?
Wo wirken sie nicht rastlos aller Orten,
Wo hat man sie nicht schon hinausgeschmissen?

Gretchen:

Ja, das sagt der Herr Pfarrer auch.
Hältst du die Fasten wie es Brauch?

Faust:

Mein Herz muss fasten, fasten muss mein Geist.

Gretchen:

Und ist dein Gott gewisslich nicht der Bauch?

Faust:

Mein Gott ist alles, was erhaben heißt.

Gretchen:

Wenn man 's so hört, möcht 's leidlich scheinen,
Stammt aber doch vom Antichrist,
Denn du bist ja ein Modernist.

Faust (erschrocken):

Liebs Kind, was redest du für Mist!

Gretchen:

Der Mensch, den du bei dir gehabt,
Der Hoensbroech4, ist ein Sohn der Schlange,
So sagt von Beuron5 der Herr Abt;
Mir wird 's bei seinem Anblick bange,
Sieht immer gar so spöttisch drein
Und hat mir manchen Stich gegeben.
Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
Eh'r schlöss' ich alle Kirchen zu.

Faust:

Du salbungsvoller Engel du!
Habe ihm längst den Laufpass 'geben,
Soll mir nicht mehr am Rockschoß kleben.
Nun sage, Liebchen, darf ich nicht
An deinem großen Busen hängen?

Gretchen:

Ach, Martin, musst mich nicht so drängen!
Bist gar ein toller, lieber Knabe.
Dein Vater auch, der alte Spahn6,
Hat schon so viel für mich getan,
Dass ich für dich doch auch was übrig habe!

(Versöhnungskuss).

1 Kölnische Volkszeitung : KV. - Köln : Bachem. -- 1869 - 1933

² Martin Spahn (1875 - 1945): siehe oben!

³ Borromäus-Enzyklika: siehe oben!

4 Paul, Graf von Hoensbroech (1852 - 1923)

"Paul Graf von Hoensbroech (* 29. Juni 1852 auf Schloss Haag bei Geldern; † 29. August 1923 in Berlin) war ein deutscher Jurist, Philosoph und zeitweilig Jesuit, nach seiner Konversion wurde er Bekämpfer des ultramontanen Katholizismus.

Früheres Leben

Hoensbroech kam mit neun Jahren in die von Jesuiten geleitete Erziehungsanstalt Stella Matutina zu Feldkirch in Vorarlberg, besuchte 1869−1872 die Unter- und Oberprima des Gymnasiums in Mainz unter besonderer Leitung des Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, der ein Vetter seiner Mutter war. Hoensbroech studierte ein Jahr Philosophie in dem englischen Jesuitenkolleg von Stonyhurst, dann in Deutschland drei Jahre in Bonn und Göttingen Rechtswissenschaft. In Bonn wurde er aktives Mitglied des K.St.V. Arminia, in Göttingen des KStV Winfridia, beide im KV. 1875 hatte er sein Studium unterbrochen, er wollte als Novize bei den Jesuiten eintreten. Diese hielten ihn jedoch nicht für geeignet. Nach dem Referendarexamen arbeitete Hoensbroech ein Jahr im preußischen Justizdienst und unternahm Reisen nach England, Frankreich, Portugal, Spanien, Italien und Nordafrika.

Jesuitenorden

1878 wurde Hoensbroech - wahrscheinlich durch Intervention von Papst Leo XIII. - als Novize in den Jesuitenorden aufgenommen und empfing 1886 vom Bischof von Liverpool in Ditton Hall die Priesterweihe. Sein Arbeitsgebiet war die Kirchengeschichte, besonders die Papstgeschichte. Er sollte die Notwendigkeit des Kirchenstaates für die Freiheit des Papstes beweisen. Gleichzeitig erhielt Hoensbroech den Auftrag, sich in Berlin niederzulassen, um dort den Boden für eine Jesuitenniederlassung vorzubereiten. Er sollte sich an der Universität immatrikulieren lassen und einige Vorlesungen belegen, um den Schein zu erwecken, er halte sich nur zu Studienzwecken in Berlin auf. Im Auftrag seines Ordens studierte Hoensbroech eifrig evangelische Theologie, um sie zu widerlegen. Das führte zu furchtbaren inneren Kämpfen. Im Herbst 1888 trat Hoensbroech in Portico bei Liverpool das Tertiat an, die dritte Probezeit nach Abschluss der Studienjahre. Exerzitien sollten ihm Klarheit über sich selbst geben. Wenn es ihm nicht gelingen sollte, die Glaubenszweifel als Versuchungen zu erkennen und zu überwinden, wollte er Kirche und Orden verlassen. Nach Beendigung des Tertiats kehrte Hoensbroech im Sommer 1890 nach Exaeten in Holland zurück in dem Bewusstsein, den Bruch mit dem Orden und der Kirche vollziehen zu müssen.

Späteres Leben

1892 verließ Hoensbroech den Jesuitenorden, trat 1895 zum Protestantismus über und heiratete im selben Jahr Gertrud Lettgau, deren Vater Geheimer Oberjustizrat und Senatspräsident am Königlichen Kammergericht in Berlin war. Seine Hoffnungen auf ein Landratsamt ging nicht in Erfüllung. 1897 wurde Hoensbroech in den Zentralvorstand des „Evangelischen Bundes“ gewählt, dem er eine Zeitlang angehörte. 1898 leitete Hoensbroech acht Monate lang die „Tägliche Rundschau“ und gab von Oktober 1902 bis März 1907 in Verbindung mit namhaften Männern der Wissenschaft und des Schrifttums die Zeitschrift „Deutschland, Monatsschrift für die gesamte Kultur“ heraus.

In späterer Zeit entfernte sich Hoensbroech wieder vom Protestantismus, ohne jedoch auszutreten.

Neben seinem Kampf gegen die Katholische Kirche und den Jesuitenorden zeigte sich Hoensbroech als glühender Nationalist und propagierte während des Krieges von 1914-1918 extreme Kriegsziele. Nach dem Krieg griff er den abgedankten Kaiser Wilhelm II. als Feigling an und rief zum Sturz der Republik auf."

5 Erzabt Ildefons Schober OSB (1849–1918): Erzabt des Bendiktinerklosters Beuron von 1908 bis 1917

6 Peter Joseph Spahn (1846 - 1925): Zentrumspolitiker


Silvestergedanken. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 1. -- 3. Beiblatt. -- 1911-01-01

Ich sitze hier, ein frommer Christ,
Im Haus zum guten Hirten.
Mein heiligstes Vergnügen ist,
Die Jungens zu bewirten.
Ich lege sie aufs Knie mir quer,
Zieh ihnen stramm die Büxe,
Dann nehme ich die Peitsche her
Und wichse, wichse, wichse.

Der Kerl muss zählen eins, zwei, drei
Bei meinem heiligen Zorne,
Und stimmt es nicht genau, ei weih,
So fang ich an von vorne.
Und schwillt die Haut und spritzt das Blut
Und rötet sich die Wäsche,
Dann fasse ich von neuem Mut
Und dresche, dresche, dresche.

Ich bin ein frommer Knecht des Herrn,
Ein Beispiel für die Menge.
Und meinen Jungen geb' ich gern
Die allerschönste Senge.
Zu Männern, ach, erzieh ich stramm
Die krassen, grünen Füchse.
Ich binde sie an einen Stamm
Und wichse, wichse, wichse.

Acht Monate, die sind bald rum;
So lange muss ich passen.
Doch dann bin auf das Publikum
Ich wieder losgelassen.
Dann such ich einen Kreis aufs neu
Für meine Hand, die fesche.
Ich bin ja fromm und königstreu
Und dresche, dresche, dresche.

fr.

Erläuterung: bezieht sich auf Pastor Breithaupt, der in der Fürsorgeerziehungsanstalt Mieltschin (Provinz Posen), der 1910 "der gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen, davon in einem Falle in Idealkonkurrenz mit Freiheitsberaubung, ferner der Anstiftung zu gefährlicher Körperverletzung in 27 Fällen und Freiheitsberaubung in einem Falle schuldig und deshalb zu acht Monaten Gefängnis und 990 Mark Geldstrafe, im Nichtbeitreibungsfalle für je 15 Mark noch einen Tag Gefängnis" verurteilt wurde. 

"Der Angeklagte Breithaupt, ein mittelgroßer, schlanker, finster dreinschauender Mann mit schwarzem Vollbart, gab auf Befragen des Vorsitzenden an: Er sei 1877 als Sohn eines Pastors geboren. Er habe zunächst das Gymnasium bis zur Obersekunda besucht und sei alsdann Fahnenjunker geworden. Da er aber einen Herzfehler habe, sei er sehr bald vom Militär wieder abgegangen. Er habe alsdann nochmals das Gymnasium besucht, das Abiturientenexamen gemacht und Theologie studiert. Nachdem er das erste geistliche Examen bestanden hatte, sei er in der Bodelschwinghschen Anstalt Bethel bei Bielefeld, alsdann im Evangelischen Johannisstift in Plötzensee bei Berlin und darauf in der Bodelschwinghschen Arbeiterkolonie in Hoffnungsthal bei Berlin tätig gewesen. Einige Tage sei er in der Kolonie [S. 166] Wietingsmoor gewesen, um die Behandlung von Fürsorgezöglingen kennenzulernen. Er sei, nachdem er das erste geistliche Examen bestanden, in Vertretung seines Vaters und auch in Hoffnungsthal als Seelsorger tätig gewesen. Während seines Aufenthaltes in Hoffnungsthal bereitete er sich auf sein zweites Examen vor, wozu er zweimal in der Woche nach Berlin fuhr, um an einem Repetitorium teilzunehmen. Eines Abends ging er in Berlin ein Glas Wein trinken. Als er das Restaurant verließ, bekam er plötzlich einen Hieb über den Schädel, fiel bewußtlos um, wurde nach einer Unfallstation gebracht und von da zur Polizeiwache sistiert. Als Bodelschwingh davon erfuhr, habe er ihn entlassen. Der Vorsitzende bemerkte hierzu, die Polizei habe damals den Vorfall anders dargestellt, doch wolle er nicht weiter darauf eingehen. Im Frühjahr 1909, so fuhr Breithaupt fort, habe er das zweite geistliche Examen gemacht. Alsdann habe ihn Pastor Matthies zum Vorsteher der neuen Anstalt Mieltschin gewählt. Er wußte, welche Aufgabe seiner harrte. Allerdings habe er darauf gerechnet, daß ihm nicht ein schwer, sondern ein leicht erziehbares Material überwiesen werden würde. Die nötige Fähigkeit zu seinem Amt habe er sich zugetraut, obgleich er bis dahin noch in keiner Fürsorgeanstalt tätig gewesen war. Matthies habe vorher mit ihm über die Erziehungsgrundsätze gesprochen. Dabei habe er (Breithaupt) dessen Auffassung über den Erfolg milder Behandlung nicht teilen können, vielmehr habe er den Standpunkt eingenommen, daß man, wo mit Milde nichts zu machen sei, von Strenge mehr Erfolg zu erwarten habe. Bezüglich der Strafarten sei ihm nur gesagt worden, daß die Disziplinarvorschriften der Berliner Anstalt Lichtenberg anzuwenden seien. Gekannt habe er sie allerdings nicht; vergeblich habe er Pastor Matthies und auch den Inspektor Buth von der Anstalt Lichtenberg um Beschaffung eines Exemplares gebeten. »Wie stellten Sie sich denn,« fragte der Vorsitzende, »das nun vor, wie Sie da zu verfahren hätten?« »Wie ich es für recht hielt,« versetzte der Angeklagte. Er behauptete, auf alle Fälle sei es seine Pflicht gewesen, auf strenge Disziplin zu sehen, um die auf Flucht sinnenden Zöglinge festzuhalten. [S. 167] Der Vorsitzende hielt dem Angeklagten vor, daß er nicht nur wegen Fluchtverdachts strenge Strafen verhängt habe."

[Quelle: Friedlaender, Hugo: Interessante Kriminalprozesse von kulturhistorischer Bedeutung : Darstellung merkwürdiger Strafrechtsfälle aus Gegenwart und Jüngstvergangenheit; nach eigenen Erlebnissen. -- Berlin : Berliner Buchversand. -- Teil 4. -- 1922. -- S. 165 ff.]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Silvesterspuk. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 1. -- 4. Beiblatt. -- 1911-01-01

Nachdem Prinz Max von Sachsen1 sich ein modernes Büßergewand bei Wolf Wertheim² erstanden hatte,

trat er seine Reise nach Canossa³ vom Anhalter Bahnhof an. Sämtliche deutschen Bundesländer begleiteten ihn zum fahrplanmäßigen Zuge.

Auf allen Stationen wurde er von Deputationen der Zentrumspartei jubelnd begrüßt,

In München sogar vom Nuntius Pius des Zehnten durch eine Maß und ein paar Weißwürste für seinen schweren Gang gestärkt,

in Canossa aber auf den Ehrenplatz geleitet, den schon vor ihm Heinrich IV. eingenommen hatte.

1 siehe oben!

² Wolf Wertheim (1857-1928) mietete im Frühjahr 1909 das in Konkurs gegangene Passage-Kaufhaus in Berlin und eröffnete dort ein Warenhaus.

³ Canossa: Schloss in der italienischen Provinz Reggio nell' Emilia, hier demütigte sich 1077 Kaiser Heinrich IV. vor Papst Gregor VII.


Abb.: Kaiser Heinrich IV. demütigt sich vor Papst Gregor VII. in Canossa, Liebig's Sammelbilder, 1913



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Im pommerschen Dorfkirchlein. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 2. -- S. 8. -- 1911-01-08

"Und nun meine liebe Gemeinde, schließen wir in unser Sonntagsgebet noch eine heiße, heiße Fürbitte für die Rettung der armen, verdorbenen und verlorenen Seele des liberalen Rittergutsbesitzers Becker1 ein."

1 Becker: Landrat, ???



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Vergünstigung im "Klassenstaat" Preußen. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 2. -- 3. Beiblatt. -- 1911-01-08

Pastor Breithaupt1 wird im Gefängnis, damit er seiner gewohnten Tätigkeit nicht allzusehr entfremdet wird, nur mit Teppichklopfen beschäftigt werden.

1 Prügel-Pastor Breithaupt von der Fürsorgeerziehungsanstalt Mieltschin (Provinz Posen) (siehe oben!)



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Zurüstungen im "Hotel Canossa"1. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 3. -- S. 12. -- 1911-01-15

Der Wirt zum "Ober": "Und richten Sie noch einige Zimmer recht komfortabel ein, es kommen vielleicht in nächster Zeit mehr bessere Herrschaften aus Deutschland!"

1 siehe oben!


[Vorschlag zu einer neuen deutschen Nationalhymne]. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 6. -- S. 22. -- 1911-02-05

Pius, Pius über alles,
Über alles in der Welt,
Der du niemals bist im Dalles1,
Weil du lebst von unserm Geld,
Dem da Fürsten, Kön'ge, Kaiser,
Überall sind unterstellt -
Pius, Pius über alles,
Über alles in der Welt

Die Enzykliken, die saftgen,
Und die Motuproprios
Lass sie, Pius, auf die deutschen
Fürsten nur und Völker los;
Ihnen fällt, wenn du nur hustest,
Schon das Herze in die Hos _
Die Enzykliken, sie preis ich
Und die Motuproprios!

Setz auf Wahrheit, Recht und Freiheit
Den Pantoffel hochgemut,
Unterm heiligen Pantoffel
Lebt sich 's für die Deutschen gut.
Bring die ganze, große Menschheit
Untern Jesuitenhut,
Blüh im Glanze deines Glückes,
Pius, o du frommes Blut!

Melodie des Deutschlandliedes

[Quelle der MP3-Datei: http://ingeb.org/Lieder/deutschl.html. -- Zugriff am 2010-01-20]

1 Dalles = Geldmangel, Mittellosigkeit; Not; Unglück; (jiddisch dallus = Armut)



Abb.: Arthur Krüger: Das große Russland und Rom. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 6. -- S. 22. -- 1911-02-05

"Modernisteneid1 für Russland gefällig?"
"Danke ergebenst, Eminenz! Wir haben hier schon unser neunschwänziges Modernisteninstrument!"

1 Antimodernisteneid vom 1910-09-01. Am 11. Januar 1911 teilte die russische Regierung den katholischen Bischöfen mit, dass die Bulle über den Antimodernisteneid in Russland keine Geltung habe, da sie nicht vorschriftsgemäß durch die Vermittlung der Regierung bekannt gemacht wurde.

Siehe:

Pius <Papa, X.> <1835 - 1914>: Iusiurandum contra errores modernismi = Antimodernisteneid (1910-09-01). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/antimodernisteneid.htm


Neues Wiegenlied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 6. --2. Beiblatt. -- 1911-02-05

Schlaf, Michel, schlaf!
Der Papst1 behüt't sein Schaf,
Und merk dir, dass zu jeder Frist
Sein allerliebstes Schaf du bist,
Schlaf, Michel, schlaf!

Schlaf, Michel, schlaf!
Sei immer dumm und brav.
Sonst kommt der Pius zorngemut
Und klopft dich, dass es wehe tut -
Schlaf, Michel, schlaf!

Schlaf, Michel, schlaf!
Dein Kanzler², der ist brav.
Der ist gar ein frommes Blut,
Das niemand was zu leide tut,
Schlaf, Michel, schlaf!

1 Pius X.

² Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917.

Melodie

[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/SchlafKi.html. -- Zugriff am 2010-01-20]



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Kaisergeburtstag1 in Rom. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 7. --S. 28. -- 1911-02-12

(Ein schöner Traum - indessen er entwich)

Die Feier verlief in sehr würdiger und angenehmer Weise. Herr v. Mühlberg² steckte den Herren des Vatikans ein schönes Licht an und beleuchtete die Verdienste des Heiligen Vaters als Friedensfürst recht ausführlich.

1 am 27. Januar

² Otto von Mühlberg (1847-1934): preußischer Gesandter beim Heiligen Stuhl



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Verkehrsregelung auf dem Wasser. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 8. --2. Beiblatt. -- 1911-02-19

Die Polizei1 verbot der sich im Zirkus Busch produzierenden Taucherin Miss Serena Nord, in dem von ihr gewählten leichten Kostüm aufzutreten. Zeitungsnachricht.

Breckekekex²!

1 Traugott Achatz von Jagow (1865 - 1941): von 1906 bis 1916 Polizeipräsident von Berlin

² Breckekekex (βρεκεκεκέξ): Nachahmung des Froschgequaks bei Aristophanes.



Abb.: Arthur Krüger: Aschermittwoch. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 9. --2. Beiblatt. -- 1911-02-26

Auf der Lauer

Frei nach Wierusz-Kowalski1

1 Alfred von Wierusz-Kowalski (1849 - 1915): polnischer Maler der Münchner Schule.


Abb.: Alfred von Wierusz-Kowalski (1849 - 1915): Wolf, um 1895
[Bildquelle: Wikimedia. -- Public domain]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Die Kaiserreise. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 10. --S. 40. -- 1911-03-05

Um Italien auf Wunsch des Papstes auf der Reise nach Korfu1 nicht zu berühren, müsste der Kaiser - zur Besänftigung des Vatikans - diesen nicht mehr ungewöhnlichen Weg einschlagen.

1 Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) erwarb im Jahre 1907 vom österreichischen Kaiserhaus Schloss und Park Achilleion auf der griechischen Insel Korfu. Wegen der Auflösung des Kirchenstaates betrieb der Papst immer noch eine Obstruktionspolitik gegen Italien, besonders 1911, dem 50jährigen Jubiläum des Königreichs Italien, für den Papst "50 Jahre Gefangener im Vatikan".



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Courtoisie gegenüber dem Vatikan. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 12. --S. 48. -- 1911-03-19

Selbstverständlich ist der Kronprinz nur deswegen zum Kommandeur der Schwarzen Husaren ernannt worden, damit er bei seinem bevorstehenden Besuch in Rom auch dem Heiligen Vater in einer Uniform, deren Farbe im Trauerjahr1 nicht als taktlos erscheinen könnte, seine Aufwartung macht.

1 Vor 50 Jahren, am 17. März 1861 wurde Viktor Emanuel II. zum König von Italien proklamiert, dies war das Ende des Kirchenstaates. 1911 bedeutet für den Papst "50 Jahre Gefangener im Vatikan".



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Der Kampf der Parteien um die Jugendfürsorge oder Variationen zu dem Thema: "Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?"1. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 13. -- S. 51. -- 1911-03-26

1 Johann Wolfgang von Goethe: Erlkönig, 1782

»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.«



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Zum 40jährigen Jubiläum auf dem Zentrumsturm (am 21. März)1. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 13. -- 1. Beiblatt. -- 1911-03-26

"Nur kein zu heftiges und starkes Freudengeläute! Das Gemäuer hat schon manchen Stoß erlitten und könnte - - -"

1 am 21. März 1911 feierte der deutsche Reichstag sein 40jähriges Bestehen (die ersten Reichtagswahlen waren am 3. März 1871)


Aus der Kommission für das Kurpfuschereigesetz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 13. -- 2. Beiblatt. -- 1911-03-26

Die Rechte glaubt an Sympathie,
An Fernbehandlung und "Besprechen",
Mit Lehmpastoren wird sie nie,
Auch nicht mit Wunderschäfern brechen.
Das Zentrum schwärmt für Suggestion,
Für Mystik und heilkräftiges Beten,
Wird nie der Krankenprozession
Zum Heiligenbild zu nahe treten.
O Äskulap, in grauer Zeit
Vorbildlich schon den Medizinern,
Dem man so manchen Hahn geweiht -
Was sagst du nur zu solchen Hühnern?


Der Kaplan an die katholischen Abiturienten. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 14. -- S. 55. -- 1911-04-02

Dass sich, ihr Jungen, jeder danach richte!
Studieret Deutsch und dann studieret Geschichte!
Dies lutherische Getu ist eine Qual.
Im Geist umkrempeln müsst ihr das Pennal1,
Und Kerls wie Lessing mit dem weisen Nathan
Und diesen Schürzenjäger Goethe hol der Satan
Und was da sonst in schöner Sünde kreucht!
Ihr Gläubgen ran! Die Schule ist verseucht.
Und die Historie! Hört die frechen Dachse!
Nichtsnutze sind die heiligen Pontifaxe,
Anmaßende Cäsaren nach der Naht,
Die Kirch bringt Unfried, Frieden bringt der Staat;
Das lehren sie schon Quartanerbansen².
Ihr Jungen, steckt die Nase nur in Janssen³!
Doziert ihr selber erst auf dem Pennal,
Die Kirche leuchtet wie der heilige Gral!
O dass doch bald das Kampfgeschlecht erwüchse!
Ausschick ich euch wie Simson seine Füchse4,
Dass von dem Feuer, das euch selbst verzehrt,
Die Ketzersaat verbrenn auf deutscher Erd.
Ich seh den Tag schon! Ja, das deutsche Wesen
An unsern Oberlehrern soll 's genesen!

1 Pennal = Gymnasium

² entspricht der 7. Klasse (heute Sekundarstufe I, 3)

³ Johannes Janssen (1829 - 1891)


Abb.: Johannes Janssen
[Bildquelle: Wikipedia. -- Public domain]

"Janssen, Johannes, Geschichtsforscher, geb. 10. April 1829 in Xanten, gest. 24. Dez. 1891 in Frankfurt a. M., studierte seit 1849 in Münster, Löwen, Bonn und Berlin zuerst katholische Theologie, dann besonders Geschichte und Philologie, habilitierte sich im Sommer 1854 in Münster, ging aber schon im Oktober d. J. als Professor der Geschichte für die katholischen Schulen an das Stadtgymnasium in Frankfurt a. M. Er trat hier mit dem eifrig großdeutsch gesinnten, preußenfeindlichen und, obwohl lutherischen, doch ultramontan angehauchten Geschichtsforscher J. Fr. ð Böhmer (s. d. 4) in freundschaftliche Beziehungen und gab nach dessen Tod sein »Leben, Briefe und kleinere Schriften« (Freiburg 1868, 3 Bde.) heraus. 1860 erhielt er die Priesterweihe; 1875–76 war er Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1880 wurde er zum päpstlichen Hausprälaten und apostolischen Protonotar ernannt. J., einer der tätigsten und bedeutendsten unter den wenigen klerikal gesinnten deutschen Gelehrten, bemühte sich mit großem Fleiß, schriftstellerisch die ultramontane Sache zu fördern. Er schrieb: »Wibald von Stablo und Corvey« (1854); »Frankreichs Rheingelüste und deutschfeindliche Politik in frühern Jahrhunderten« (Frankf. 1861; 2. Aufl., das. 1883); »Schiller als Historiker« (Freiburg 1863, 2. Aufl. 1879); »Zur Genesis der ersten Teilung Polens« (das. 1865); »Frankfurts Reichskorrespondenz von 1376–1519« (das. 1863–73, 2 Bde.); »Zeit- und Lebensbilder« (das. 1875, 4. Aufl. 1889, 2 Bde.); »Friedrich Leopold, Graf zu Stolberg« (das. 1876–1877, 2 Bde.; Neubearbeitung in 1 Bd., 1.–3. Aufl. 1882) u. a. Sein Hauptwerk ist die bereits in zahlreichen Auflagen erschienene »Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters« (Freib. 1877–94, Bd. 1–8; fortgesetzt und neu bearbeitet von L. Pastor, der auch seit 1898 monographische »Erläuterungen und Ergänzungen« dazu herausgibt). J. will beweisen, die Zustände Deutschlands im Beginn des 16. Jahrh. in Staat und Kirche, Kunst und Wissenschaft seien gesund und blühend gewesen, und diese Blüte habe nur die Reformation vernichtet. Die Gehässigkeit, mit der im 2. und 3. Bande die Reformatoren behandelt wurden, ließ das Buch als einen wohlüberlegten, fanatischen Angriff auf den Protestantismus und den kirchlichen Frieden erscheinen und rief lebhafte Entgegnungen hervor (vgl. besonders Köstlin, Luther und J., Halle 1883, und Lenz, Janssens Geschichte des deutschen Volks, Münch. 1883), gegen die sich J. in den Schriften: »An meine Kritiker« (Freib. 1882 u. ö.) und »Ein zweites Wort an meine Kritiker« (das. 1883, neue Ausg. von Pastor 1894) verteidigte, wobei er seinen ultramontanen Standpunkt noch deutlicher enthüllte. Vgl. Pastor, Johannes J. (5. Aufl., Freib. 1893); Meister, Erinnerung an Johannes J. (3. Aufl., Frankf. 1896); Schwann, Johannes J. und die Geschichte der deutschen Reformation (Münch. 1892)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Richter 15:

1Es begab sich aber nach etlichen Tagen, um die Weizenernte, dass Simson sein Weib besuchte mit einem Ziegenböcklein. Und als er gedachte: Ich will zu meinem Weibe gehen in die Kammer, wollte ihn der Vater nicht hinein lassen 2und sprach: Ich meinte, du wärest ihr gram geworden, und habe sie deinem Freunde gegeben. Sie hat aber eine jüngere Schwester, die ist schöner denn sie; die lass dein sein für diese.  3Da sprach Simson zu ihnen: Ich habe einmal eine gerechte Sache wider die Philister; ich will euch Schaden tun. 4Und Simson ging hin und fing dreihundert Füchse und nahm Brände und kehrte je einen Schwanz zum andern und tat einen Brand je zwischen zwei Schwänze 5und zündete die Brände an mit Feuer und ließ sie unter das Korn der Philister und zündete also an die Garben samt dem stehenden Korn und Weinberge und Ölbäume.


Papst und Konsistorium. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 14. -- 3. Beiblatt. -- 1911-04-02

Dieses ist in Rom der Heilige Vater,
Ruft entrüstet jeder Protestant.
Hat viel unverständige Berater,
Denen Deutschland gänzlich unbekannt.
Die Verfolgung aller Modernisten
Ist - man kann schon beinah sagen - roh.
Alle nicht ultramontanen Christen
Sagen: Gott sei Dank, wir sind nicht so!

Schwöre alles ab, was hier vom Übel,
Dekretiert ex cathedra der Papst.
Siehe zu, (denn ich bin infallibel,)
Dass du dich an diesem Eide labst.
Wenn du aber bist ein Staatsprofesser,
Brauchst du nicht zu schwören mit der Hand;
Wenn du aber doch schwörst, ist es besser. -
Welche Sklaven? schreit der Protestant.

Dieses ist in Köln der Pfarrer Jatho1,
Ruft ergrimmt das Konsistorium.
Zwei bis dritthalb Monate a dato
Wird er abgesetzt, weil er nicht frumm.
Er ist ein gar böser Kritikaster,
Nörgelt über alles, ach und wie.
Darum rede nie für ihn ein Paster! -
Heißt der Spruch des Konsistorii.

Alles, was ich bin und was ich habe,
Klagt Herr Jatho, ist doch nicht von Stroh.
Ach der Papst ist doch ein Waisenknabe
Vor dem hohen Konsistorio.
Dies verbietet strengstens die Beschweren,
Sagt ex cathedra: Ich bin der Herr!
Das ist wirklich zum Katholischwerden,
Denn der Papst ist protestantischer.

M. Fr.

1 Carl Jatho (1851 - 1913): evangelischer Pfarrer, ab 1891 in Köln.

"Seit 1905 erhielt Jatho wegen seiner Lehrverkündigung Mahnungen von Seiten des Generalsuperintendenten. Ihm wurde vorgeworfen, Pantheismus zu lehren und die kirchlichen Dogmen abzulehnen. Der Vorwurf stützte sich vor allem auf Jathos 1906 erschienenen Predigtband. 1910 wurde ein Kirchengesetz »betreffend das Verfahren bei Beanstandungen der Lehre von Geistlichen« erlassen, auf Grund dessen Jatho 1911 seines Amtes enthoben wird. Das Urteil war mit 11:2 Stimmen eindeutig. Nach seiner Amtsenthebung setzte Jatho seine Predigttätigkeit außerhalb der Kirche fort und hielt in ganz Deutschland Vorträge. Zwei Jahre nach seiner Amtsenthebung starb Jatho im Alter von 62 Jahren."

[Quelle: Bernd Wildermuth. -- http://www.kirchenlexikon.de/j/Jatho.shtml. -- Zugriff am 2010-01-20]


Gebet der Agrarier. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 14. -- 8. Beiblatt. -- 1911-04-02

Großer Gott, wir loben dich,
Herr wir preisen deine Stärke;
Doch wir bitten inniglich:
Stärke du auch unsere Preise!

Melodie

[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/spiritua/grosserg.html. -- Zugriff am 2010-01-20]



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Die Telegraphen-Agentur "Zum heiligen Augustin". --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 15. -- S. 59. -- 1911-04-09

Die von ultramontaner Seite ins Leben gerufene Telegraphen-Agentur "Zum heiligen Augustin" wird natürlich, um sich auch von dem ketzerischen Material vollständig freizumachen, ihre eigene Verbindung bauen. Geweihte Isolatoren werden jede modernistische Einwirkung fernhalten.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Der heilige Peter Arbues1 als Modernist. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 15. -- S. 60. -- 1911-04-09

Eine Deputation der Zentrumsfraktion des Preuß. Abgeordnetenhauses wandte sich an Peter Arbues, um seine Meinung über die Feuerbestattungsfrage zu erforschen. "Ich bin nie Gegner der Verbrennung gewesen," sprach das berühmte Kirchenlicht, "und ich bitte Sie, den modernen Bestrebungen, soweit es Ihnen in Preußen möglich ist, entgegenzukommen."

1 Peter Arbuēs: spanischer Inquisitor in Saragossa, geb. 1442 zu Epila in Aragonien, verfolgte mit grausamer Härte die Ketzer (Ketzerverbrennungen), 1485 ermordet, 1867 von Pius IX. heilig gesprochen.


Abb.: Hl. Peter Arbues, Patron der Krematorien
[Bildquelle: Wikipedia. -- Public domain]



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Das Spruchkollegium und der Fall Jatho1 (vor dem Lutherdenkmal). --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 16. -- S. 64. -- 1911-04-16

"Herr Doktor Martinus Luther, Sie sind angeklagt, die Seele des lutherischen Pfarrers Jatho dem entschiedenen Protestantismus zugeführt zu haben!"

1 siehe oben!


Der anonyme Denunziant. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 20. -- S. 79. -- 1911-05-14

Als einst der Pfarrer Jatho1 hat geredt,
Da schleicht ein Frommer in die Kirch und späht
Und horcht voll Gottesfurcht und heilgem Ärger
Und schreibt es nieder kurz nach Gabelsberger².
Was in des freien Herzens Ungestüm
Der Pfarrer sprach, das sendet anonym
Der Gläubige in seinem Stenogramme
Dem Oberkirchenrat, dass er verdamme;
Denn, dass die Kirche nicht verseucht werde,
Muss solch ein räudger Hirt von Haus und Herde.

Wie? So was tun sonst nur die Jesuiten!
Das lässt sich doch ein Protestant nicht bieten!
Der Oberkirchenrat wirft kurzerhand
Das Ding ins Feuer! Ein Denunziant
Und Preußens Blüte evangelscher Christen?
Die Schande! Wenn wir das nicht besser wüssten!
Wo man um Wahrheit ringt u8nd Glauben heiß,
Zertritt der Fuß das elende Geschmeiß ...

Schwatz doch kein Blech! Raus mit dem Gottessucher!
Vivant der Denunziant und die Verflucher!

ei.

1 siehe oben!

² Franz Gabelsberger (1789 - 1849): Erfinder der Stenographie



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Der Jagdbesuch des Königs von Sachsen bei dem Kardinal Kopp1. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 20. -- 1. Beiblatt. -- 1911-05-14

Kardinal Kopp hat den König von Sachsen² zum Jagdbesuch nach Ziegenhals³ und Mariahilf4 eingelade, (Zeitungsbericht.)

"Sehen Sie, Majestät, das ist doch bei uns in Deutschland ein ideales Verhältnis zwischen Staat und Kirche, dass jeder Teil dem andern in seinem Revier die volle Jagdberechtigung konzediert!"

1 Georg Kardinal von Kopp (1837 - 1914), Fürstbischof von Breslau

² Friedrich August III. (1865 - 1932): König von Sachsen von 1904 bis 1918

³ Ziegenhals: heute Głuchołazy, Polen

4 Mariahilf: heute Nová Ves, Tschechien


Die Pastoralmedizin. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 21. -- S. 81. -- 1911-05-21

Die Wissenschaft, die hat ein Loch,
Das kann ein Esel selbst erkunden;
Und Leute wie der Doktor Koch1
Sind, Gott sei Dank, jetzt überwunden.
Aufjuble, Welt, dir ward verliehn
Die Fülle neuer Hoffnungsstrahlen,
Und dieses von der Medizin,
Indessen von der pastoralen².

Ja, mein Gesang ertöne laut,
Der tiefsten Weisheit Glanz enthüll er,
Wie ihn zu Freiburg vorgeschaut
Der große Doktor Kannamüller³.
Zum Segen ist er uns gediehn,
Er schrieb, zu heilen alle Qualen,
Das "Handbuch von der Medizin",
Indessen von der "pastoralen".

Hör an, was Kannamüller spricht,
Und wage nicht, es zu bezweufeln:
"Den Rheumatismus und die Gicht,
Die kriegen wir von bösen Teufeln;
Und sollte mit der Klaue bloß
Der Böse dir die Nas betupfen,
So scheint es mir ganz zweifellos,
Du kriegst sogleich den schönsten Schnupfen.

Bazillus hin, Bazillus her -
Da kann der Arzt oft gar nichts machen.
Ruft nur den frommen Pater her,
Der sich versteht auf solche Sachen.
Beim Bauchweh und beim Chiragra4
Versagt des Arztes blöd Gekrittel;
Für solche Leiden sind ja da
Der Kirche heilge Gnadenmittel.

Und scheint es dir auch ganz absurd:
Selbst Ehrlichs5 Kunst ist eine halbe,
Viel besser hilft das brave Lourdes,
Als Salvarsan6 und graue Salbe.
Du, den einst böse Lust entflammt,
Vom Schmieren lass und Injizieren:
Die Krankheit, die vom Himmel stammt
Als Strafe, darfst du nicht kurieren!"

Der Heilge Vater hat die Gicht -
Ei, ei! Was soll man davon halten?
Lässt Doktor Kannamüller nicht
Den Teufel deplaziert hier walten? -
Dir sei des Ruhmes Kranz verliehn,
O Kannamüller, ohne Weilen!
Die pastorale Medizin,
Sag, kann sie auch die Dummheit heilen?

P. W.

1 Robert Koch (1843 - 1910): Begründer der modernen Bakteriologie. Erhielt 1905 den Nobelpreis für Medizin.

² Pastoralmedizin:

"Pastoralmedizin, im Sprachgebrauch der katholischen Kirche die theologische Hilfswissenschaft, die den Standpunkt der Naturwissenschaft in Beziehung zur Moral- und Pastoraltheologie setzt, im engern Sinne der Unterricht über Diätetik, Hygiene etc. mit Bezug auf die seelsorgliche Praxis, besonders aber über Anatomie und Physiologie des Menschen in Verbindung mit dem Sittengesetz namentlich für die Seelsorge im Beichtstuhl."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

³ Ludwig Kannamüller

Stöhr, August: Handbuch der Pastoralmedizin : mit besonderer Berücksichtigung d. Hygiene / August Stöhr. Bearb. u. hrsg. von Ludwig Kannamüller. -- 5., verb. Aufl. -- Freiburg im Breisgau : Herder, 1909. -- XI, 572 S.

4 Chirăgra (griechisch) = Gicht in den Händen

5 Paul Ehrlich (1854 - 1915): Begründer der Chemotherapie

6 Salvarsan: eine organische Arsenverbindung zur Behandlung der Syphilis



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Der moderne Vatikan auf Reisen. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 22. -- 1. Beiblatt. -- 1911-05-28

(Der Papst hat den hohen kirchlichen Würdenträgern das Autofahren gestattet.)

Erst saust mit Benz
Die Eminenz!

Tütü! Tata!
Dann folgt Papa! -


Zwei Reisende. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 22. -- 6. Beiblatt. -- 1911-05-28

Horcht, ihr Leute, was in diesen Tagen
Fürchterliches sich hat zugetragen
- Alle Frommen rufen laut: O weh -
Fern in Frankreich in der Stadt Evreux.

Dorten lebt' im Wohlstand und im Glücke
Angesehen sehr ein Katholike,
D'Abbadie d'Arrast, so hieß der Herr;
Beinah war er Abgeordneter.

Ach, ein Frommer war er unter Sündern
Und ein Vater auch von sieben Kindern;
An der Seite lebte ihm sein Weib.
Frömmigkeit, das war sein einziger Zeitvertreib.

In Paris war eine Seinebrücke.
Auf derselben fand mit scharfem Blicke
Einer eines Tages früh um vier
Seinen Hut, die Handschuh und den Überzieh'r.

Und er selber, ach, er war verschwunden.
Ungezählte, fürchterliche Stunden
Suchte man ihn ängstlich, wo und wie.
Doch verschwunden blieb Herr d'Abbadie.

Ist durch einen Unfall er ins Paradies befördert?
Oder hat er sich gar selbst gemördert?
Seine Gattin war verzweifelt sehr,
Und die sieben Kinder, ach, nicht weniger.

Alles Suchen aber war vergebens,
Denn man fand nicht eine Spur des Lebens
Und des Todes nicht von d'Abbadie.
Wieder war ein Ehrenmann perdü.

Bei ihm lebte eine junge "Tante",
Die Helene Benoit sich nannte;
Sie erzog die Kinder gar nicht dumm.
Werkst du was, verehrtes Publikum?

Dieses Sündenweib hat ihn geködert,
Also dass die Ehe ihn anödert.
Und er fuhr mit Fräulein Benoit
Heimlich in der Nacht nach Kanada.

Seine Frömmigkeit war plötzlich pleite,
Denn der Schurke schlief an ihrer Seite.
Eine Schande war 's und eine Schmach,
Wie er seine Ehe mit ihr brach.

Er, der sonst fromm war, hing an ihrer Schürze.
Ach, der Teufel hole diese Circe,
Die aus einem Frommen über Nacht
Einen eklen Sündenlümmel hat gemacht.

Die Moral, ihr Freunde und Verwandten:
Haltet fern euch von Gouvernanten.
Sonst gerät womöglich in den Streit
Eure Frömmig- mit der Sündenhaftigkeit.

M. Fr.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Bass-Solo des Heiligen Vaters zur Enthüllung des italienischen Nationaldenkmals. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 25. -- S. 100. -- 1911-06-18

"Wenn ich einmal der Herrgott wär -

mein erstes wäre das!"²

1 Monumento Nazionale a Vittorio Emanuele II: eingeweiht am 4. Juni 1911

² Wenn ich einmal der Herrgott wär, 1841

Wenn ich einmal der Herrgott wär,
mein erstes wäre das:
ich nähme meine Allmacht her
und schuf ein großes Fass,
ein Fass so groß als wie die Welt,
ein Meer goss ich hinein,
|: von einem bis zum andern Belt
   voll Rüdesheimer Wein. : |



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Vom politischen grünen Rasen oder Die Gegenrevolution in Portugal. --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 26. -- 2. Beiblatt. -- 1911-06-25

Exkönig Manuel1 ist  Rennstallbesitzer geworden. Zeitungsnachricht.

Die besorgte Mama; "Manuelchen, wenn du nur mit deinem Renner ans Ziel kommst!"

1 Dom Manuel II (1889 - 1931): letzter König von Portugal von 1908 - 1910



Abb.: Im zwanzigsten Jahrhundert (Zur Jatho-Affäre1). --
In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 28. -- 1. Beiblatt. -- 1911-07-09

Der alte Kronos²: "Verflucht nochmal, bin ich denn 400 Jahre umsonst gelaufen?"

1 am 24. Juni 1911 wurde Pfarrer Karl Jatho (1851 - 1913) (siehe oben!) vom Spruchkollegium des evangelischen Oberkirchenrates wegen Irrlehre seines Amtes enthoben.

² Kronos = Chronos (χρόνος): in der griechischen Mythologie der Gott der Zeit.



Abb.: Arthur Krüger: Das Prokrustesbett1. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 28. -- 3. Beiblatt. -- 1911-07-09

"Das Barett wenigstens musste fallen!"²

1 Prokrústes (Προκρούστης) (griechisch) = der Ausreckende, Beiname des Räubers Damastes oder Polypemon in Attika, der Reisende in ein Folterbett einpresste; den zu großen wurden die überstehenden Glieder abgehackt, die zu kleinen zu Tode gestreckt.

² d.h. das Pfarramt  von Karl Jatho (siehe oben!)


Gottes- und Kriegsdienst. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 32. -- S. 125. -- 1911-08-06

Im Ruhme hat sich stets gesonnt
Der Kriegersmann, der kühnste.
„Antreten! Stillgestanden! Front!
Rechtsum zum Gottesdienste!"
So schallt laut das Kommandowort,
Im Tritte geht's zur Kirche fort,
Nicht gilt's, mit trutzigen Sinnen
Den Lorbeer zu gewinnen.

Ach nein! Es gilt den frommen Blick
Zu richten dort nach oben,
Es gilt den Herrn und das Geschick
Dort auf Befehl zu loben.
Halt stramm den Leib und stramm die Seel'!
Andächtig sein, heißt der Befehl,
Und wer nicht tut parieren,
Der muss nachexerzieren.

Zur Kirche zogen sehr adrett
Jüngst sechzig Grenadiere vom Regiment Elisabeth
Und ihre Offiziere,
Gar fromm wie jeder gute Christ.
Denn wer nicht ganz andächtig ist,
Den soll der Teufel holen —
Der Hauptmann hat's befohlen.

Der Pastor steigt bewegt hinauf
Und predigt fromm zur Stunde.
Die Grenadiere blicken auf
Zu ihm mit offenem Munde.
Er predigt von dem künftigen Sein,
Die Krieger schauen mutig drein,
Die Deutschen und die Polen —
Der Hauptmann hat's befohlen.

Der Pastor predigt gar beredt,
Wie ein moderner Plato,
Dem Regiment Elisabeth
Vom neuen Falle Jatho1.
O Pastor Kraatz², bedenke traun,
Die Predigt soll das Volk erbaun,
Soll es aus diesem Leben
Zum Himmel hoch erheben.

Du bist ein gar streitbarer Held
In kirchlichen Turnieren;
Wohlan! Was dir nicht recht gefällt,
Das magst du kritisieren,
Allein nicht auf der Kanzel!
Dort ist hierfür nicht der rechte Ort.
Denn sie ist Gottes Machtfeld
Und nicht der Menschen Schlachtfeld.

Der Leutnant schaut, die Truppe steht
Grad' in der Kirche Mitte.
Der Leutnant winkt, die Truppe geht
Mit dröhnend hartem Schritte.
Die frommen stehen starr und stumm;
Die Kompagnie macht scharf linksum,
Marschiert mit strammer Hacke,
Als ging es zur Attacke.

So geht's, wenn man die Truppen führt
Im Dienst zur Himmelsgnade
Und ihre Andacht kommandiert,
Wie eine Wachtparade.
Im Gottesdienst heißt 's nicht Hurra,
Da heißt es nur Halleluja!
Der Kirche Schiff und Türraum
Ist doch kein Exerzierraum!

M. Fr.

1 siehe oben!

² Wilhelm Kraatz: Pfarrer an der Luisenkirche in Charlottenburg



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Entwurf zu einer "maschinengewehrabteilunsgsicheren" Kanzel für die Luisenkirche1 in Charlottenburg. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 32. -- S. 126. -- 1911-08-06

1 In der Luisenkirche hatte der im vorigen genannte Regimentsgottesdienst stattgefunden



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Münchner Hochtouristik 1911. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 33. -- S. 132. -- 1911-08-13

Bei den Rektoratswahlen an der Universität München siegte der "Modernist" Knöpfler1 gegen Atzberger², der den Modernisteneid geleistet hat.

Knöpfler zu Atzberger: "Siehst du, Kollege, ohne den schweren Rucksack kommt man leichter hinauf!"

1 Alois Knöpfler (1847 - 1921): katholischer Priester, seit 1886 Professor der Kirchengeschichte an der Universität München

² Leonhard Atzberger (1854 - 1918): katholischer Priester, seit 1894 Professor für Dogmatik an der Universität München. 1912 Päpstlicher Hausprälat. 1912 Michaelsorden III. Klasse. 1916 Geheimer Hofrat.


Der Tag von Mainz1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 33. -- 1. Beiblatt. -- 1911-08-13

Da wart ihr wieder, schwärzliche Gestalten,
Die ihr uns jährlich auf die Bude steigt.
Ihr wart bemüht, die Liebe festzuhalten,
Ihr wart auch euren Feinden wohlgeneigt.
Ihr habt durch euer christlich frommes Walten
Den Liberalen Christensinn gezeigt.
Ja die sogar, die sich verbrennen lassen,
Versuchtet ihr ganz wenig nur zu hassen.

Ihr suchtet euch in Mainz zu überbieten
In milder Liebe und in Toleranz.
Die Anti- liebtet ihr und die Semiten,
Ihr liebtet die Monisten2 voll und ganz.
Noch mehr! Ihr liebtet gar die Jesuiten!
Dafür gebührte euch ein Lorbeerkranz.
Die muss man Meister in der Liebe nennen,
Die selbst die Jesuiten lieben können!

Zwar schaltet ihr den Reichstagspräsidenten
Und auch den Kanzler und den Bundesrat,
Die bösen Freimaurer und die Studenten,
Der Glaubenslosigkeit vererbte Saat,
Des Kirchenstaates freche Prätendenten
Und ihr fluchenswertes siebziger³ Attentat.
Doch alle die von euch erteilten Hiebe
Sind nur Beweise eurer Nächstenliebe.

Die Andersgläubigen lasst ihr ruhig laufen,
Ihr tötet nicht ihr widerlich Gezücht.
Ihr schleppt sie nicht auf einen Scheiterhaufen
Und nicht vor ein Inquisitionsgericht.
Ihr lasst sie nicht in flüssigem Blei ersaufen
Und zwickt sie mit weißglühnden Zangen nicht.
Ich frage: Kann 's in diesem Erdenleben
Wohl eine größre Toleranz noch geben?

Ihr rühmtet  mit verzückten Jubelliedern
Der Priester fromme Ehelosigkeit.
Und wer es wagt, euch etwas zu erwidern,
Der ist ein Dummkopf und der tut euch leid.
So seid ihr treu, wie Brüder unter Brüdern,
Ihr seid die besten Söhne eurer Zeit.
O dass uns solche Treue ewig bliebe!
Auf Wiedersehn, ihr Meister frommer Liebe!

M. Fr.

1 58. Deutscher Katholikentag vom 6. bis 10. August 1911 in Mainz

² Monisten: der Deutsche Monistenbund wurde 1906 von Ernst Haeckel gegründet  für die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse, besonders der Evolutionstheorie

³ im Sommer 1870 marschierte italienisches Militär im Kirchenstaat ein, entmachtete den Papst politisch und proklamierte bald Rom zur Hauptstadt Italiens.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Harnack1 - Jatho². -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 33. -- 3. Beiblatt. -- 1911-08-13

Bassermann³: "In der Balancierkunst ist mir Harnack doch über!"

1 Adolf von Harnack (1851 - 1930): evangelischer Theologe, Professor für Kirchengeschichte in Leipzig, Gießen, Marburg und Berlin. Maßgeblicher Repräsentanten des sog. Kulturprotestantismus der Kaiserzeit: nach seiner Meinung war das dogmenfreie Zeitalter des Christentums angebrochen. In kirchlichen Kreisen erlebte er zeitweise massive Anfeindungen (Berufungsstreit 1888, Apostolikumsstreit 1892/93, Streit um Das Wesen des Christentums 1900ff.)

"In der Kollegstunde am 27.7. 1911 äußerte sich Harnack über das Urteil des Spruchkollegiums gegen Jatho: er hielt auch weiterhin an dem Gesetz ["Kirchengesetz, betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen" ] fest, das allerdings der Verbesserung sehr bedürfe, und stellte dann fest, dass die Lehre Jathos zwar die Grenze überschritten habe, die die Landeskirche ziehen müsse, man ihn aber um seiner Wirksamkeit in der Gemeinde willen nicht hätte verurteilen dürfen, sondern zu dem Ergebnis hätte kommen müssen: "Deine Theologie ist unerträglich - aber dein Same ist aufgegangen, also müssen wir dich ertragen - wir werden dich ertragen." An den von den Freunden Jathos eingeleiteten Protestaktionen beteiligte sich Harnack nicht."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.kirchenlexikon.de/h/harnack_a.shtml. -- Zugriff am 2010-01-21] 

² Carl Jatho (1851 - 1913): evangelischer Pfarrer, ab 1891 in Köln. Zu seiner Verurteilung siehe oben!

³ Ernst Bassermann (1854 - 1917): seit 1893 nationalliberaler Abgeordneter im Reichstag, seit 1898 Fraktionsvorsitzender


Er hat 's erfasst! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 34. -- S. 135. -- 1911-08-20

J. Lanz-Liebenfels1 sagt in der Zeitschrift "Ostara", je blonder eine Partei sei, desto konservativer, staatserhaltender, religiöser, energischer, folgerichtiger und ehrlicher sei ihre Politik.

Das war aus Liebenfels Herr Lanz.
Der suchte emsig und er fand 's,
das Richtige, das Wahre.
Das Zeichen, dran man gleich erkennt
Prolete, Rowdy oder Gent - -
Die Haare sind 's, die Haare!

Die blonden sind der Edeltrieb,
Voll Reinheit, Weisheit und Prinzip,
Hochprima - erste Klasse!
Die Braunen sind noch leidlich fair,
Ist aber tiefbrünett schon wer - -
Pfui Deibel - mindre Rasse!

Von diesem Standpunkt sah sich an
Der wackre Liebenfelser Mann
Nun unsres Reiches Boten.
Blond ist die Rechte allemal,
Die Braunen, die sind liberal,
Und schwarz, pechschwarz die Roten!

So schrieb es in der "Ostara"
Herr Lanz, und was er schrieb allda,
Im Herzen tief bewahr ich.
Wie lichtvoll reiht sich Satz an Satz!
Und nur ein Ausdruck scheint am Platz:
Die Sache, die ist haarig!

h. st.

1 Jörg Lanz von Liebenfels (1874 - 1954): Rassenideologe und Religionsgründer. Seine Zeitschrift "Ostara" wurde auch von Adolf Hitler in seiner Wiener Zeit gelesen.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Die Hitzewelle im Vatikan. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 34. -- 3. Beiblatt. -- 1911-08-20

Im Kardinalskollegium: "Der Heilige Vater hat erlaubt, dass alles abgelegt werden darf, und nur soviel anbehalten wird, dass man nicht gerade protestantisch erscheint."



Abb.: Arthur Krüger: Das ungezogene Münchner Kindl und der Erzbischof. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 36. -- 2. Beiblatt. -- 1911-09-03

(Zeitungsbericht: Der von der Münchener Kommune präsentierte Pfarrer Grandinger1 wurde vom Münchener Erzbischof² wieder abgelehnt.)

"Schlingel, bringst du mir immer wieder das böse Ketzerbier? Grandinger-Bräu wird in München nit gsuffa!"

1 Johann Grandinger (1869–1941): Pfarrer und - trotz Verbots des Bischofs von Bamberg - liberaler Politiker

² Franziskus Kardinal von Bettinger (1850 - 1917): Erzbischof von München und Freising seit 1909


In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 38. -- 1. Beiblatt. -- 1911-09-17

Zu Aachen hat man bei einem Fest katholischer Jünglingsvereine ein herrliches Lied gesungen, das mit der Strophe begann:

"Segne, Gott, unsern Papst,
Den du der Kirche gabst
Zur reichen Zier,
Lasse noch lange Zeit
Singen die Christenheit
Froh wie aus einem Mund
Heil, Pius, dir!"

Dann folgte die dem Kaiser geltende Strophe, die aber nicht ganz dem Empfinden der Hörer entsprach. Sie ist infolgedessen, wie wir hören, von einem Frommen folgendermaßen umgedichtet und fortgesetzt worden:

Schirm, Gott, den Kaiser auch,
Dass er den alten Brauch
Pflege so recht.
Lass pilgern ihn nach Rom,
Dass dort der Gnade Strom
Pius im fließen lass
Als seinem Knecht.

Erst kommt der Pontifex,
Weit hinterher der Rex,
Nach altem Brauch.
Dann hält mit frommem Mut,
Brennt erst die Ketzerbrut,
Sich deiner Diener Schar
Lachend den Bauch!

Siehe uns gnädig an,
Pius, du großer Mann,
Die wir hier stehn.
Sieh, wie vor Menschen hier
Kriechen im Staube wir,
Schielend vor Wonne die
Augen verdrehn.

Melodie: Heil dir im Siegerkranz

Melodie

[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/heildiri.html. -- Zugriff am 2010-01-21]



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Segen mit Vorbehalt. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 39. -- 3. Beiblatt. -- 1911-09-24

Petrus: "Kollege Severin1, aber das erzbischöfliche Generalvikariat in Köln wünscht, dass nur die Zentrumswahlkreise Wasser kriegen."

1 Heiliger Severin (4. Jhdt): Bischof von Köln. Er wird bei Trockenheit für Regen angerufen.


Der Heilige Severin1! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 39. -- 4. Beiblatt. -- 1911-09-24

Kommt zu Hauf! Zu Köln am Rheine
Winkt Erholung und Genuss.
Dort erfolgt, so wie ich meine,
Bald ein tüchtiger Regenguss.

Regen, Regen, dieser Segen
Scheint nachgerade uns ein Wahn.
Ach, den Himmel kann bewegen
Nicht einmal ein Rodrian².

Rodrian lebt an der Panke,
In der großen Stadt Berlin,
Doch zu Köln, o Glücksgedanke,
Lebt der Heilige Severin.

Ja, er lebt. Zwar nicht mehr leiblich,
Denn er ist schon lange tot.
Doch er lindert unbeschreiblich
Gern der Dürre große Not.

Kommt, ihr Gläubigen, zu beten
An des Heiligen Monument,
Betet, ja, und bringt Moneten
Für das feuchte Element.

Opfert nur recht viele Gaben
Für den Heiligen Severin,
Will er selbst auch gar nichts haben,
Nimmt 's die Geistlichkeit für ihn.

Und sie spricht: "Kommt her, ihr Braven,
Früher schon vor manchem Jahr
Ließ der Heilge seinen Schafen
Regnen nass und wunderbar.

Und so kommen sie in Scharen,
Und der Heilge, starr und stumm,
Lächelt wie vor tausend Jahren
Über dieses Publikum.

Himmel, sende du in Gnaden
Wasserfluten wunderbar.
Eine Dusche kann nicht schaden
Dieser frommen Beterschar.

Lass es nach des Sommers Gluten
Klatschen frisch auf Wang und Stirn.
Ach, den meisten dieser Guten
Ist vertrocknet selbst das Hirn!

W.

1 Heiliger Severin (4. Jhdt): Bischof von Köln. Er wird bei Trockenheit für Regen angerufen.

² Rodrian: ???


Ultramontanes Klagelied. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 40. -- S. 159. -- 1911-10-01

Wie die Zeitungen berichten, antwortete Kardinal Kopp1 einer Zentrumsabordnung auf die Bemerkung, dass das Zentrum zugrunde gehen müsste, wenn der Fürstbischof seine Haltung nicht ändere: "Meine Herren, wäre denn das so schlimm?"

Nun kommt und streut auf euren Schädel Asche!
Hüllt eure Glieder ein in einen Sack.
Ergreift die oft bewährte Kümmelflasche -
O Himmel! Unser Zentrum ist ein Wrack.

Was ist noch hehr in diesem Jammertale,
Was ist noch eines Opfers wert -
Herbei! Hat man von einem Kardinale
Zu irgendeiner Zeit so was gehört?

Erzberger², Roeren³, Gröber4, o ihr Zierden
Der wunderbaren, herrlichen Partei,
Lasst lodern eure heiligsten Begierden,
Die Schleusen öffnet, redet frank und frei!

Denkt an den großen, edlen, heilgen Fischer5,
Ihr Mannen, die ihr noch  ultramontan,
Und gebt den wohlverdienten, strammen Wischer
Dem Apostaten6, der uns das getan!

Mir wird so dumm im Kopf! Wie eine Kiepe
Voll Stroh erscheint er mir zum erstenmal.
Ein Kirchenfürst erklärt: "Mir ist ganz piepe
Das Zentrum." Himmel, das ist ein Skandal!

Mir schwindelt. Auf denn alle, die da schwanken!
Man wird, so scheint es, ganz verrückt darob!
Auf, sammelt, wenn 's noch möglich, die Gedanken
Und rennt an eine Wand mal mit dem Kopp!

W.

1 Georg Kardinal von Kopp (1837 - 1914), Fürstbischof von Breslau, Integralist (siehe oben!)

² Matthias Erzberger (1875 - 1921): seit 1903 Zentrumsabgeordneter im Reichstag

³ Hermann Roeren (1844 - 1920): Zentrumspolitiker, 1893 - 1912 Abgeordneter im Reichstag

4 Adolf Gröber (1854 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 1887 Abgeordneter im Reichstag

5 Antonius Hubert Kardinal Fischer (1840 - 1912): von 1902 bis 1912 Erzbischof von Köln (siehe oben!)

6 Apostat = Abtrünniger



Abb.: Arthur Krüger: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 40. -- 1. Beiblatt. -- 1911-10-01

Ein aufregender Vorfall wird aus Charlottenburg gemeldet: Als von der Kanzel herab das Wort "Jatho"1 fiel, ergriffen alle in der Kirche befindlichen Soldaten die Flucht. - Die Franzosen wollen nunmehr "Jatho" als Feldgeschrei wählen.

1 siehe oben!



Abb.: "Pan"1 und der Staatsanwalt (Frei nach Stuck²). -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 41. -- 1. Beiblatt. -- 1911-10-08

Was sich liebt, das neckt sich!

1 Pan: Halbmonatsschrift seit 1910 bis 1915 wieder erscheinend. 1911 wurden mehrere Hefte "wegen Unsittlichkeit" verboten, wobei es zu einem richtigen "Katz-und-Maus-Spiel" zwischen Alfred Kerr (1867–1948) und dem Berliner Polizeipräsidenten Traugott Achatz von Jagow (1865 - 1941) kam.

² Franz, Ritter von Stuck (1863 - 1928)


Abb.: Franz, Ritter von Stuck (1863 - 1928): Susanna im Bade


[Geistliche Parole für Rekruten]. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 42. -- 1. Beiblatt. -- 1911-10-15

Nur immer frisch und froh heran,
Herbei ihr alle, Mann für Mann!
Versorget euer ewig Teil!
Hier gibt es billig Seelenheil.
Bedenkt: ein End hat die Geduld,
Und groß ist eure Sünd und Schuld.
Du musst sie zahlen, junges Blut,
Das merke dir, wirst du Rekrut!
Ein jedes Ding hat seine Zeit -
Benutze die Gelegenheit!
Herbei, herbei, wirst du Rekrut!
Ja, die Gelegenheit ist gut.
Wenn du nur gut und willig bist,
Verlängert man die Zahlungsfrist.
Und du erhältst, sobald du willig
Das Fahrbillet zudem ganz billig
Zur Reise in die Ewigkeit,
Ganz wie in dieser Zeitlichkeit.
Herbei, herbei, du junges Blut!
Ja, die Gelegenheit ist gut.
Benutze die Gelegenheit
Und spare tüchtig in der Zeit.
Sieh, Mensch, wenn etwa dein Verstand
Nur wenig von der Welt umspannt,
So kennst du - na, sonst wärs auch stark -
Doch den berühmten Lunapark1.
Wie man nun dort, weil du beliebt,
Billets dir freudig billiger gibt,
So, denk mal an, wird dir sogleich
Zum Eintritt in das Himmelreich
Herabgesetzt das Entree,
Wenn ich dich brav und willig seh.
Folg du dem Pfäfflein jederzeit -
Benutze die Gelegenheit!
O junges Blut, die Mahnung hör se:
Herbei, herbei zur Seelenbörse!
Denk an die heiligen Sakramente
Zur rechten Zeit! Dann gibts "Perzente"!

1 Lunapark in Berlin-Halensee von 1909 - 1933, damals Europas größter Vergnügungspark


Schönster Lohn. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 43. -- 1. Beiblatt. -- 1911-10-22

Die ultramontane "Augsburger Postzeitung" erklärt, dass ein etwa vorkommender Justizmord schon deshalb kein Argument gegen die Todesstrafe sei, weil der irrtümlich Verurteilte "nach dem Glauben der Christen eine entsprechende Entschädigung in der Ewigkeit zu erwarten" hätte.

O ihr Guten, o ihr Frommen,
O ihr von der Geistlichkeit!
Habt ihr dieses wohl vernommen?
Alles muss euch gut bekommen,
Wenn ihr wahre Christen seid.

Ihr gebenedeiten Seelen,
Fürchtet nichts in dieser Zeit.
Lasst euch links und rechts bestehlen,
Nimmermehr kann es euch fehlen,
Denn euch lohnt die Ewigkeit.

Packt euch wirklich mal ein Grauen,
Gleich ist euch ein Trost bereit.
Ja, und werdet ihr verhauen,
Immerhin - ihr dürft vertrauen,
Dass der Himmel hoch und weit.

Alles könnet ihr ertragen
Jeden Kummer, jedes Leid;
Wird der Kopf euch abgeschlagen,
Stört 's euch weder das Behagen,
Noch auch die Gemütlichkeit.

Nämlich nach dem Erdenwallen
Und nach dieser Zeitlichkeit
Ist den frommen Seelen allen
In des Himmels Gnadenhallen
Die Entschädigung bereit.

Seht die "Postzeitung", die milde,
Wandelt seit geraumer Zeit
Durch das Weltgewühl, das Wilde,
Kopflos geht sie durchs Gefilde,
Hoffend auf die Seligkeit.

Glaubt, dass dies gar edle Saat is!
Wer ihr folgt in dieser Zeit,
Dem wird - sapienti satis1 -
Sie geliefert völlig gratis
Einstmals in der Ewigkeit!

1 sapienti satis (lateinisch) = für den Weisen genügt das


Das Birkenreis. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 44. -- 2. Beiblatt. -- 1911-10-29

In der Donauwörther Zeitschrift für katholische Mütter "Monika" empfiehlt ein geistlicher Herr die Rute, das geweihte Birkenreis, als Züchtigungsmittel. Die Rute solle aber mit dem Vaterunser gebunden und mit "Gott segne es" aufgelegt werden.

Ihr Mütter, kommt und höret an
Den hochwohlweisen Gottesmann
Und auf die Himmelsworte hört
Der "Monika" zu Donauwörth!

Verehrt wie sie zu Gottes Preis
Das hochgeweihte Birkenreis,
Um das von frumber Priesterhand
Gebunden ward das rote Band.

Das Paternoster1 in dem Mund,
Verband er es zu festem Bund,
Den sanften Blick, von Fett umschwellt,
Gerichtet auf das Himmelszelt.

Der Mensch, wenn er geboren ist,
So steckt er schon vor Hinterlist.
Schafft anderen zu dieser Zeit
Von hinten Unbequemlichkeit.

Wenn nun ein Kind, wie 's wohl geschicht,
Gehorchet oder folget nicht,
So legt die Rute frisch und froh
Mit Segensspruch auf den Popo.

Und wenn das Kindlein ihr ergreift,
Nachdem die Hose abgestreift,
Und schreit es laut "o weh, o weh,"
Singt "Hosianna in der Höh!"

Die Rute schwingt, den Segen singt,
Auf dass das Werk euch wohlgelingt!
Herbei, ihr Mütter, fern und nah,
Und prügelt mit Halleluja!

1 Paternoster = Vaterunser


Motuproprio1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 49. -- 5. Beiblatt. -- 1911-12-03

Hört, teure Brüder, in dieser Zeit,
Wo  jeder nur zu gern bereit,
Vom Pfad der Tugend abzuweichen,
Gerüstet stets zu lockern Streichen,
Da fühlt mit Trauer mancher Mann.
Dass er so, wie er will, nicht kann,
Weil es, was vielfach unbeliebt.
Höchst peinliche Gesetze gibt
Und, wenn vom Tugendpfad man irrt,
Man leider oft gesehen wird.
Von fern als rächende Gestalt
Naht der gestrenge Staatsanwalt,
Und eh man 's sich versehen noch,
Steckt er den Sünder in das Loch.

Allein, es gibt so schöne Ziele,
Und auch der Wege sind so viele.
Die Sünde reizet allerwärts
Teils den Verstand und teils das Herz.
Was soll bei so bewandten Sachen,
Fragt mancher Mann, der Weise machen?

Nun wohl, als Weiser und Prophet,
Der offnen Augs durchs Leben geht,
Will ich nun nicht mehr länger schweigen
Und will den rechten Weg euch zeigen.
Zunächst vom irdischen Gewimmel
Lenkt fromm den Blick empor zum Himmel;
Dann, bändigend der Gefühle Strom,
Geliebte, richtet ihn nach Rom.

Dort wohnt bekanntlich jener Mann,
Der sehr viel mehr als andre kann,
Der, passt ihm was nicht, frisch und froh
Ausschickt ein Motuproprio²,
Dass ohne weitres aller Welt
Das Herz gleich in die Hose fällt.
Mit Recht nennt er den Doktor Luther
Bauchdiener oder Satansfutter³,
Und deshalb, seinen Ruhm zu mehren,
Muss ihn der Deutsche hoch verehren.

Doch da uns Luther Leid gebracht,
So sei es wieder gutgemacht!
Ja, Kinder, stimmet alle ein:
Lieb Vaterland, magst ruhig sein4,
Katholisch wolln wir alle sein.
Und nicht nur das! Nein, Freunde, nein!
Wir werden alle Pfäffelein!

Fürwahr, es kann kein schönre Leben
Auf diesem Erdensterne geben,
Weil der Beruf uns unbedingt
Den wahren Seelenfrieden bringt.
Zunächst fehlt - das ist klar wie Butter -
Dem Pfäffelein die Schwiegermutter,
Zum andern nimmt er keine Frau,
Er haust allein in seinem Bau;

Was Ehefreuden zu bedeuten,
Das schätzt er nur bei andern Leuten.
Die Kathi macht ihm wohl das Bett
Warm hält das Haus sie ihm und nett,
Und von Familiensimpelei
Und derlei Sorgen ist er frei.

 Ach, keine Sünde, keine Fehle
Stört ihm das Gleichgewicht der Seele.
Ja, falls er so in stiller Nacht
Mal einen Schritt vom Wege macht,
Was tut 's? Passt auf! Ihr werdet sehn:
Dem frumben Mann kann nichts geschehn,
Der Heiligen Vaters Schirm und Schutz
Beut jedem seiner Feinde Trutz.

Ein Pfaffenherz kann nichts verdrießen;
Dies Dasein darf er voll genießen.
Gefällt ihm just ein schönes Weib,
Und scheint 's ihm gut als Zeitvertreib,
Ob es auch eines andern ist,
Er geht drauf los als Mensch und Christ.
Und dünkt 's ihm gut, in dieser Welt
Zu nützen eines andern Geld,
Er darf es stehlen, unterschlagen,
Kein Mensch darf ihn darum verklagen.

Ja fällt es einem Pfäfflein ein,
Des eignen Bruders Töchterlein
Im heiligen Beichtstuhl zu verführen,
Das darf den Bruder nicht genieren.
Er hat zu schweigen als ein Christ,
Weil dies der Kirche nützlich ist.
Weh sonst dem gottvergessnen Mann:
Ihm droht der große Kirchenbann.

So hat verfügt jüngst frisch und froh
Des Papstes Motuproprio.
Darum, ihr Leut, herbei, herbei!
Und schlagt euch zu der Klerisei.
Dann könnt ihr ohne Angst und Beben
Auskosten dieses schöne Leben.
Nur, falls ihr einem Böses tut,
Bedenkt es wohl und merkt es gut:
Seht euch zuvor die Leute an:
Der Ketzer pfeift auf Acht und Bann,
Weshalb er freilich, wie ihr wisst,
Ganz und total verloren ist.

Jedoch die Brüder in dem Glauben
Könnt ihr bemopsen5 und berauben,
Drum stimmt, ihr Freunde, jubelnd ein:
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
Wir alle wollen Pfaffen sein!

Dem Heilgen Vater Beifall klatsch
Auch heut ich freudig
Kladderadatsch.

W.

1 Motuproprio "Quantavis diligentia" vom 9. Oktober 1911: danach ist es ein Sakrileg, einen Geistlichen vor einen weltliches Gericht als Angeklagten oder Zeugen zu ziehen. Angeblich hat dieses Motuproprio keine Gültigkeit für das Deutsche Reich.

² Motu proprĭo (latein): aus eigenem Antrieb; das Motuproprio: ein päpstlicher, ohne vorhergegangenes Gesuch aus eigener Initiative geflossener Erlass.

³ in der Boromäusenzyklika (siehe oben!)

4 "Lieb Vaterland, magst ruhig sein". aus dem Refrain der "Wacht am Rhein":

Lieb Vaterland magst ruhig sein,
lieb Vaterland magst ruhig sein:
Fest steht und treu die Wacht,
die Wacht am Rhein!
Fest steht und treu die Wacht,
die Wacht am Rhein!

5 bemopsen = bestehlen


Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 51. -- S. 203. -- 1911-12-17

Das Zentrum hat für Germersheim-Bergzabern einen protestantischen Kandidaten aufgestellt.

Voll Staunen hört 's das deutsche Land:
Dem Zentrum dient ein - Protestant!
Wie wird mir? ruft der Michel froh,
Erfolgt kein Motu proprio1?
Wankt keine Mauer? Stürzt kein Turm?
Fegt wild durchs Parlament kein Sturm?
Bekehrt man sich zur Toleranz?
Kurz, beißt der Hund sich in den Schwanz?

Sei ruhig, Michel, nichts geschieht,
Was Pius nicht voll Freude sieht.
Im schwarzen Kreis der Protestant -
Das heißt: man streut ins Auge Sand
Dem dummen deutschen Volk und Land!
Wer immer kroch ins schwarze Joch,
Ein Jesuiter wird er doch!!

g. l.

1 Motu proprio: siehe oben!



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Das Weihnachtsgeschenk des Papstes1. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 51. -- 3. Beiblatt. -- 1911-12-17

"So, Kinder, nun wollen wir, damit alle unter euch fröhliche Feiertage haben, dieses lästige weltliche Ungeheuer in die Hölle schleudern!"

1 nämlich das Motuproprio "Quantavis diligentia" vom 9. Oktober 1911: danach ist es ein Sakrileg, einen Geistlichen vor einen weltliches Gericht als Angeklagten oder Zeugen zu ziehen. Angeblich hat dieses Motuproprio keine Gültigkeit für das Deutsche Reich.


Wieder das Motuproprio1. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 52. -- S. 205. -- 1911-12-24

Der Grund des Grollens, Fürchtens und des Bebens
Ist gar nicht da. Wer hätte das geglaubt!
Vorbei! Die ganze Freude war vergebens,
Der beste Stoff ist meinem Blatt geraubt!
Zum Christfest grade war uns die Belehrung,
Zum Christfest haben wir, ach, die Bescherung!
Das Deutsche Reich, es wird - wir sind blamiert -
Vom Motuproprio gar nicht berührt!

In Rom die Kurie ist - dass Gott ihr helfe -
Halt wieder mal das tiefgekränkte Lamm,
Wir aber sind die blutigen, gierigen Wölfe,
Uns war geschwollen wieder mal der Kamm.
Die Kurie schwieg, die fälschlich angeklagte,
Bis Herr von Mühlberg² gradezu sie fragte;
Da sagte sie - sie hat beinah geweint -:
Was wollt ihr denn? Ihr seid ja nicht gemeint!

Wir haben ohne jeden Grund bemängelt
Das liebe, gute Motuproprio.
Wir haben uns hochmütig vorgedrängelt;
Der dumme Michel ist nun einmal so.
Ach, wo ein Backenstrich sich auch ereigne,
"Au Backe!" ruft er gleich und hält die eigne.
Er ist sofort entrüstet und ergrimmt,
Als wäre jeder Streich für ihn bestimmt.

Doch halt, doch halt! Hab' ich zu meinem Leide
Nicht schon erlebt dasselbe irgendwo?
War 's mit dem Antimodernisteneide³
Vor einigen Monaten nicht ebenso?
Und hieß es nicht auch damals: Nur nicht bange!
Die meisten unterliegen nicht dem Zwange?
Die Professoren, Lehrer und so fort
Sind nicht gebunden an das harte Wort?

Doch waren kaum vergangen einige Wochen,
Kaum hatte sich gelegt der erste Schreck,
Da kam aus allen Winkeln angekrochen
Die Wahrheit, schüchtern erst, dann dreist und keck.
Ihr braucht es nicht, hört man die Kurie sagen,
Doch soll das Donnerwetter euch erschlagen,
Wenn ihr den Modernisteneid - hört, hört -
Nicht ganz und gar aus freiem Willen schwört!

Ja, ja, ich kenne ihn, den freien Willen,
Den freien Willen, wie ihn Rom versteht.
Was Rom nicht gern laut sagt, das sagt 's im stillen;
Sein Ja ist Nein, sein Nein ist Ja, o seht!
Für heute schlug man den Prozess ja nieder,
Doch bei Philippi sehen wir uns wieder.
Auf, auf, ihr Deutschen, frisch, frei, fromm und froh
Zum Kampf beim nächsten Motuproprio!

M. Fr.

1 Motuproprio "Quantavis diligentia" vom 9. Oktober 1911: danach ist es ein Sakrileg, einen Geistlichen vor einen weltliches Gericht als Angeklagten oder Zeugen zu ziehen. Angeblich hat dieses Motuproprio keine Gültigkeit für das Deutsche Reich.

² Otto von Mühlberg (1847-1934): preußischer Gesandter beim Heiligen Stuhl

³ Antimodernisteneid: siehe oben!



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>:  Bewunderung. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 64, Nr. 52. -- 1. Beiblatt. -- 1911-12-24

Im sächsischen Landtage erklärte die Regierung, sie würde nicht dulden, dass durch das päpstliche Motuproprio1 die Staatsgesetze verletzt werden. Zeitungsnachricht.

v. Bethmann²: "Wo der Kleine nur die Courage hernimmt!"

1 Motuproprio "Quantavis diligentia" vom 9. Oktober 1911: danach ist es ein Sakrileg, einen Geistlichen vor einen weltliches Gericht als Angeklagten oder Zeugen zu ziehen. Angeblich hat dieses Motuproprio keine Gültigkeit für das Deutsche Reich.

² Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917.


 1912



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Das "Zentrumsalbum des Kladderadatsch"1. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 1. -- S. 2. -- 1912-01-07

Der Heilige Vater: "Da das deutsche Zentrum bekanntlich keine konfessionelle Partei ist, darf ich ja wohl diese hübsche Dedikation mit Vergnügen entgegennehmen."

1 Zentrums-Album des Kladderadatsch 1870 - 1910. -- Berlin: A. Hofmann, 1912. -- 286 S. : 300 Ill.



Abb.: Arthur Krüger: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 1. -- 1. Beiblatt. -- 1912-01-07

Ungeniert leert der bekannte alte Herr wieder einmal seinen Kübel1 aus -

sieht sich aber durch energischen Einspruch eines Hausbewohners genötigt, den Hof wieder zu säubern.

 1 nämlich das Motuproprio "Quantavis diligentia" vom 9. Oktober 1911: danach ist es ein Sakrileg, einen Geistlichen vor einen weltliches Gericht als Angeklagten oder Zeugen zu ziehen.



Abb.: Arthur Krüger: Das Kölner Wahldemonstrations-Diner. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 3. -- 2. Beiblatt. -- 1912-01-21

Der Erzbischof von Köln, Fischer1, nahm teil an einem vom Verleger der "Kölnischen Volkszeitung"², Bachem³, gegebenen Diner. (Zeitungsnachricht)

Zu Herrn Bachem - ei herjeh -
Kommt Herr Fischer zum Diner

Und man einigt sich beim Lachs
Über manche Fragen stracks.

Nach dem goldnen Muskateller
Segnet Fischer Bachems Keller.

Fröhlich schwinget man das Glas,
Denn: "in vino veritas!"

Wahrheit ist 's und keine Dichtung:
Ja, es gibt ne Kölner Richtung!4

Doch das Kölner-Gläserheben
Wird in Breslau "Kopp-Schmerz"5 geben!

1 Antonius Fischer (1840 - 1912): Erzbischof von Köln seit 1902. Trat für die interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften (statt katholischer Gewerkschaften) ein, weswegen er des Modernismus bezichtigt wurde.

² Kölnische Volkszeitung : KV. - Köln : Bachem. -- 1869 - 1933

³ Julius Bachem (1845 - 1918): Leiter des Ressorts Innenpolitik der Kölnischen Volkszeitung, Zentrumspolitiker. Forderte 1906 von der Zentrumspartei "aus dem Turm heraus!", d.h. eine Entkonfessionalisierung des Zentrums hin zu einer christlichen Volkspartei

4 Kölner-Richtung: will ein entkonfessionalisiertes christliches Zentrum und unterstützt die interkonfessionellen christlichen  Gewerkschaften.

5 Georg Kardinal von Kopp (1837 - 1914), Fürstbischof von Breslau, Integralist, sieht in den christlichen Gewerkschaften die Gefahr des sozialistischen Einflusses auf katholische Arbeiter und schreibt für diese streng katholische Arbeitervereine vor. Für ein katholisch-konfessionelles Zentrum.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Köln!1 -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 4. -- S. 17. -- 1912-02-04

1 Bei den Reichstagswahlen im Januar 1912 eroberten die Sozialdemokraten den Abgeordnetensitz von Köln.


Der weise Kirchenrat. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 7. -- 1. Beiblatt. -- 1912-02-18

Dem Pfarrer Jatho1 wurde vom Gemeine-Kirchenrat die Erlaubnis, am Grabe seiner einstigen Konfirmandin, der Frau des Musikdirektors Inderan zu Barmen, als Freund zu sprechen, verweigert.

Lass mich mit Zymbeln und Schalmeien preisen
Die hohe Obrigkeit von früh bis spat,
Hell überglänzt die Weisesten der Weisen
Zu Barmen der Gemeine Kirchenrat.
Ich fühl mein Herz erwarmen.
Denk ich an Bi - Ba - Barmen,
Da glänzt vor mir die eine
Holdselige Gemeine,
Und der Gemeine Kirchenrat.

O Barmen, schönes Städtchen an der Wupper,
Von wahrhaft frumbem Geist bist du erfüllt,
Ging nicht von die aus einst auch das Geschnupper,
Das Pfarrer Jathos Schändlichkeit enthüllt?
Wie füllt mit Neid uns deine
Ga - Go - Ge - Gi - Gemeine,
Denn süßen Seelenfrieden
Aufs neue hat beschieden
Ihr der Gemeine Kirchenrat. 

Der freche Pfarrer Jatho wollte reden
An einer Freundin Grab. Ha! Was! Wo? Wie?
O nein, die Kirche wollt er nur befehden
Mit der bei ihm beliebten Blasphemie.
Da trat - o welch ein Segen! -
Dem Kecken kühn entgegen,
Beglänzt vom Ruhmesscheine,
Der glücklichen Gemeine,
Ja, der Gemeine Kirchenrat.

Hab Dank, o Weisheit, die aufs neu gerettet
Vor Not und Tod die sündenvolle Welt!
O sorge, dass man diesen Jatho kettet,
Bei Wasser ihn und Brot gefangen hält!
Heil jedem braven Petzer!
Fluch aber diesem Ketzer!
Ein Hoch in edlem Weine
Zu Barmen der Gemeine,
Und der Gemeine Kirchenrat!

W.

1 siehe oben!


Trauerode auf den Hintritt eines Helden. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 14. -- 3. Beiblatt. -- 1912-04-07

Freunde, reichet mir das Tuch der Tasche,
Dass ich hemme meiner Tränen Strom,
Reicht mir, Freunde, fromm die Gilkaflasche1 -
Diesen Schluck dem tiefgebeugten Rom!

Nicht katholisch ist das Zentrum, wehe!
Dies steht nunmehr unumstößlich fest.
Roeren² sprach 's: "Es ist genug! Ich gehe!"
Und fast protestantisch ist der Rest.

Schädler³, Spahn4 - mich fasst das kalte Grausen -
Ja, auch Gröber5 sind deutschnational;
Ihnen wie dem Mann aus Buttenhausen7
Ist die ewige Roma ganz egal.

Roeren stieß die Plempe8 in die Scheide,
O wie furchtbar war dem Keuschen dies;
Ach, er wurde blass wie weiße Kreide,
Als er seiner Treuen Schar verließ.

Ja, es regte Groll sich ihm im Busen -
Ihm, der niemals einen Busen sah;
Helft mir, meinen Schmerz zu singen, Musen!
O, ihr holden Grazien, seid mir nah!

Doch zuvor - ich bitt euch sehr, ich bitte:
Legt ein Kleid an, ganz bis oben zu;
Etwas lax - man weiß - ist eure Sitte,
Dies aber liebt man nicht chez nous.

Wer wird künftig für das Heil der Seelen
Sein noch väterlich und treu bemüht,
O wie sehr wird Hermann Roeren fehlen
Jedem wahrhaft reinlichen Gemüt!

Wer wird sorgen, dass in Punkto Busen
All ihr Weiber keusch und züchtig seid,
Dass durchbrochen weder eure Blusen
Noch auch überhaupt die Sittlichkeit.

Wer wird, wie das liebe Schwein die Trüffeln
Fern in Frankreich an die Sonne bringt,
Künftig nun nach Nuditäten schnüffeln,
Wenn der finstre Orkus9 ihn verschlingt?

O, ich seh die finstern Zeiten kommen,
Wo nicht Scham die reine Seele füllt,
Wenn zum Schrecken aller wahrhaft Frommen
Öffentlich ein Denkmal man "enthüllt".

Wo man, ohne irgend rot zu werden,
An die Jo10 und die Leda11 denkt,
Und sich ohne größere Beschwerden
In den Anblick einer Venus senkt.

Wo sogar die allerkleinsten Gören
Sprechen ohne Scheu vom Klapperstorch -
"Kehre wieder uns, gewaltger Roeren",
Singt man dann von Rom bis Trelleborg12.

Fahre wohl verstummt ist meine Leier,
Du entschwindest mir wie ein Idol,
Du, ein neuer Hermann und Befreier,
Heißgeliebter Roeren, fahre wohl!

W.

1 Gilka oder Gilka Kaiser-Kümmel ist ein leicht gesüßter Kümmelbranntwein aus Kümmelöl, Zucker und Spiritus, der 38% Alkohol enthält.

² Hermann Roeren (1844 - 1920): Zentrumspolitiker, seit 1893 Abgeordneter im Reichstag. Legte 1912 im Zwist mit dem Zentrum alle seine Ämter nieder

³ Franz Schädler (1852-1913): Domdekan, Zentrumsabgeordneter

4 Peter Spahn (1846 - 1925): 1884-1917 Zentrums-Abgeordneter im Deutschen Reichstag

5 Adolf Gröber (1854 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 1887 Abgeordneter im Reichstag

7 Mann aus Buttenhausen: Matthias Erzberger (1875 - 1921): seit 1903 Zentrumsabgeordneter im Reichstag, geboren in Buttenhausen, heute Ortsteil von Münsingen, Württemberg

8 Plempe = Säbel, aber auch: Penis

9 Orkus = Totenreich, Unterwelt

10 Jo = Io (Ἰώ): Geliebte des Zeus, der sich ihr in einer Wolke nahte und sie in eine Kuh verwandelte, als Juno die beiden überraschte. Jo hatte als Kuh mannigfache Abenteuer zu bestehen, bis sie in Ägypten wieder ihre Gestalt bekam und dort Epaphos gebar.

11 Leda (Λήδα): Gemahlin des spartanischen Königs Tyndareos. Zeus verliebte sich in sie. Er näherte sich ihr in der Gestalt eines Schwanes und schwängerte sie.

12 Trelleborg, Südschweden



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Der bayrische Löwe und v. Hertlings1 Schlaftropfen. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 16. --  1912-04-21

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Der Reichskanzler in München. -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 17. -- 1912-04-28

Die hochwürdigen Frauentürme: "Schau, dass d' hoamkimmst, Theobalderl1!"

1 Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917



Abb.: Arthur Krüger: Die bayrische Aurora1, geb. von Hertling². -- I
n: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 17. -- 3. Beiblatt. -- 1912-04-28

Frei nach Guido Reni³

1 Aurora: römische Göttin der Morgenröte

² Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat

³ Guido Reni (1575-1642)


Abb.: Guido Reni (1575-1642): Aurora, 1612 - 1614


Heil Michel! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 18. -- 1912-05-05

Nun rührt die Harfen, schlagt die Leiern,
Nun preist die deutsche Einigkeit -
Durch Preußen wehr herauf von Bayern
Der frische Zug der neuen Zeit.

Der Hertling1 schlägt um seine Glieder
Der Kutte liebliches Gewand -
Die Jesuiten kehren Wieder
Und unser Bethmann² liest im Kant.

Das ist für eines Bismarck Erben
Höchst nützliche Beschäftigung;
Ach armer Michel, du musst sterben,
Und bist doch noch so jung, jung, jung!

Sie legen um den Hals dir eilig
Den hehren Rosenkranz als Strick -
Doch sei getrost: man spricht dich heilig,
Wenn dir gebrochen erst das Gnick!

Und starr er auch von Rost und Schimmel,
Man putzt den alten Heiligenschein;
Herr Hertling schlägt den Blick gen Himmel,
Und du denkst auch: so muss es sein!

Du lässt dich gern und willig scheren,
Das heilige Rom löst dich vom Bann.
Der Hertling glänzt in hohen Ehren:
Er ist ein ehrenwerter Mann.

Ich seh's, es ist nicht aufzuhalten,
Der fromme Windthorst³ lächelt schon:
Er sieht das Römische Reich gestalten
Sich neu der deutschen Nation!

Und knirschest du auch in den Zügel:
Mein guter Michel, halte Ruh -
Geh hin und halt dem Papst den Bügel,
Du ungeheurer Schafskopf du!

P. W.

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat


Abb.: Georg v. Hertling, 1911
[Bildquelle: Wikipedia. -- Public domain]

² Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917

³ Ludwig Windthorst (1812 bis 1891): katholischer Kulturkämpfer und Zentrumspolitiker



Abb.: Ernst Retemeyer: Gesellschaft Jesu1 im Tempel². -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 18. -- 1. Beiblatt. -- 1912-05-05

Durch seine Auslegungskünste versetzt der Knabe Hertling³ sogar die Ältesten und Schriftgelehrten in Erstaunen - die darin doch einiges zu leisten glaubten!

1 Gesellschaft Jesu = Societas Jesu (SJ) = Jesuiten

² Vgl. Lukaevangelium 2:

42Und da er [Jesus] zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem nach der Gewohnheit des Festes. 43Und da die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern wussten 's nicht. 44Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Gefreunden und Bekannten. 45Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem und suchten ihn. 46Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. 47Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten.

³ Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat. Hertling suchte das Jesuitenverbot im deutschen Reich so auszulegen, dass die Jesuiten größtmögliche Freiheit hatten


Ad notam! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 18. -- 2. Beiblatt. -- 1912-05-05

Si cum Jesuitis,
non cum Jesu itis!

Übersetzung:

Zur Beachtung!

Wenn ihr mit den Jesuiten geht, geht ihr nicht mit Jesus!



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Schwieriger Sommerverkehr. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 22. -- 7. Beiblatt. -- 1912-06-02

Für den von Hertling1 projektierten Extrazug München - Berlin weigert sich die Berliner Zentrale vorläufig, Vergünstigungen zu gewähren.

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat. Hertling suchte das Jesuitenverbot im deutschen Reich aufheben zu lassen



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Auf dem ultramontanen Exerzierplatz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 24. -- 2. Beiblatt. -- 1912-06-16

Die "Kölner Richtung"1 ist einfach scheußlich,

da lob ich mir die "Berliner"2, die viel mehr preußischen Gardedrill in den Knochen hat.

1 Kölner Richtung: Richtung um Julius Bachem, die für in Politik (Zentrumspartei) und Arbeiterbewegung (Christliche Gewerkschaften) für Interkonfessionalität auf positiv-christlicher Grundlage ist

² Berliner Richtung: integralistische Richtung um den Breslauer Fürstbischof Kopp, die sowohl in Politik als auch Arbeiterbewegung auf strengem katholischen Konfessionalismus bestehen.

Am 30. Mai 1912 hatte die Zeitung "Germania" eine Botschaft von Pius X. veröffentlicht, in der dieser sich gegen Gewerkschaften wendet und den Verband katholischer Arbeitervereine befürwortet. Der Papst unterstützt also die Berliner Richtung.


Das Ganze halt! -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 26. -- 1912-06-30

Wie tobte keck der Streit und kühn
Wohl in des Zentrums Mitte.
"Hie Köln!" so hieß es. "Hie Berlin!"1
Errötend schwieg die Sitte.
"Verräter du! Verleumder! Schuft!"
Flog hin und her es durch die Luft
Und alle Zungen gellten
Im Schimpfen und im Schelten.

Da streckt der Papst vom Petersdom
Beschwichtigend die Hände.
Nun höre, Welt! Es spricht jetzt Rom,
Die Sache ist zu Ende!
Der Papst befiehlt: Saul, werde Paul!
Vor allem aber halt das Maul!
Ich will, dass jeder neige
Demütig sich und schweige!

Ihr wisst, an einem Kaiserwort
Soll man nicht drehn und deuteln!
Und erst der Papst! Wagt ihr es dort,
Soll man euch tüchtig beuteln.
Hoch steht der Imperator Rex,
Doch höher steht der Pontifex.
Stramm stehn, steigt er zu Pferde,
Der Kaiser all der Erde.

Ruh ist die erste Christenpflicht,
Gebietet eurem Blute!
Schweigt alle still und redet nicht,
Sonst gibt 's was mit der Rute.
Mut zeiget auch der Mameluck,
Gehorsam ist des Christen Schmuck!
Ihr Jungen drum und Alten,
Nochmals: Das Maul gehalten!

Da schweigt auf einmal jeder Streit,
Und still ist 's in den Reihen.
Man hört den Ton nur weit und breit
Der friedlichen Schalmeien.
Der Frühwirth² rief, die Herde kam,
Sie frisst ihm aus der Hand gar zahm.
Die Eltern und die Kinder,
Sie halten fromm die Münder.

So, wie der Heilige Vater will,
Geht 's in den deutschen Gauen.
Es sind nicht nur die Schwarzen still,
Es schweigen auch die Blauen³.
Die Kurie ruft: J'y suis, j'y reste4,
Da schweigt ein jeglicher Protest.
Die den Protest verbannten,
Die heißen Protestanten.

M. Fr.

1 siehe oben!

² Andreas Frühwirt OP (1845 - 1933): seit 1908 päpstlicher Nuntius in münchen

³ Blaue = Konservative

4 J'y suis, j'y reste (französisch) = hier bin ich, hier bleibe ich



Abb.: Arthur Krüger: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 26. -- 1. Beiblatt. -- 1912-06-30

Mit Entrüstung sieht man in Belgien die Schwarzen der Wahlurne entsteigen und befürchtet für die Zukunft das Schlimmste.1

1 Bei den Parlamentswahlen in Belgien am 2. Juni 1912 erhalten die Klerikalen die absolute Mehrheit.



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Knopforakel. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 28. -- 3. Beiblatt. -- 1912-07-14

Jetzt woaß i net: Bin i für oder bin i gegen die Jesuiten, oder bin i am End selbst oaner?


Jesuiten und Bordelle. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 29. -- 1912-07-21

Im "Bayr. Kurier" schreibt ein ultramontaner Verwaltungsbeamter: "Es bestehen in einer Reihe von Städten, auch in solchen mit liberaler Stadtverwaltung, öffentliche Häuser, wo geduldet von Polizei und Staatsanwaltschaft, der Unzucht gefrönt wird, obgleich das Strafgesetz strenge Strafen gegen jede Art von Gelegenheitsmacherei androht. Warum entrüsten sich hier die Herren nicht gegen die offenkundige Nichtanwendung eines bestehenden Gesetzes?"

Nein, wie kann man nur so wüten,
Dass den braven Jesuiten
Unterschlupf der Hertling1 gibt,
Wo man doch in andern Fällen.
Beispielsweise bei Bordellen,
Die bekannte Duldung übt?

Sind bis in die höchsten Kreise
Nicht beliebt sie gleicherweise
Und begönnert alle zwei?
Und erfreun sie sich nicht minder
Regen Zuspruchs vieler Sünder,
Trotz Verbots der Polizei?

Müssen sie nicht beide wohnen
Heimlich unter Konzessionen,
Stets vom Schutzmann überwacht,
Und ihr wahrhaft nächstenliebend
Treffliches Gewerbe übend
Sozusagen nur bei Nacht?

Müssen sie nicht beide leben
Von der Menschheit Schwächen eben?
Und sie tun es recht und schlecht!
Warum wird also so bitter
Nur verfolgt der Jesuwiter?
Nein, wir fordern gleiches Recht!

N.

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat. Hertling suchte das Jesuitenverbot im deutschen Reich so auszulegen, dass die Jesuiten größtmögliche Freiheit hatten


Die gute Herde. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 31. -- 2. Beiblatt. -- 1912-08-04

(Von Pater Frick1 S. J. den Katholiken Deutschlands kundgetan)

Mein Sohn, wenn du katholisch bist,
Sei alles andre für dich Mist
Und muffge Ketzerei!
Du hast kein Volk und keinen Stand.
Thron, Bürgertum und Vaterland
Das sei dir einerlei!

Von Bildung, Kunst und Dichtergeist,
Und wie das Zeug noch alles heißt,
Hältst du dir rein das Haus!
Du holst den Besen frisch vom Fleck
Und fegst mit Spinngeweb und Dreck
Das Teufelswerk hinaus.

Für all dein Wirken und Gedeihn
Sorgt ein katholischer Verein,
Der in den Arm dich nimmt;
Dort lernst du, wie man denkt und fühlt,
Arbeitet, feiert, sportet, spielt -
Besonders, wie man stimmt!

Er hält die Bücher dir bereit,
Wählt aus die Zeitung jederzeit,
Die man dich lesen lässt;
Er gibt zumeist dir an die Hand,
Was du für Herz brauchst und Verstand -
Dein Pfaff gibt dir den Rest.

An seines Beichtstuhl Holzverschlag
Drück deine Nase Tag für Tag
Und knöpfe auf dein Ohr!
Von diesem Stuhle geht die Bahn
Zum heilgen Stuhl im Vatikan
Ja graden Wegs empor.

Halt dir vom Leib das Ketzerpack,
Das, schwer bedrückt vom Sündensack,
Sich will zu dir geselln;
Vor allem aber hüte gut
Dich vor der Modernistenbrut,
Dem Wolfsgezücht von Köln²!

1 Karl Frick (1856 - 1931): Jesuit, lebte lange an der Stella Matutina in Feldkirch (Vorarlberg)

² Kölner Richtung (siehe oben!)



Abb.: Eine neue ultramontan-militärische Charge: Der Bischof-Unteroffizier auf dem Aachener1 Exerzierplatz. -- In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 34. -- 1. Beiblatt. -- 1912-08-25

(Nach  Justizrat Schmitt²)

So, Kerle, ich werde jetzt "Marsch!" kommandieren, welche "Richtung" ihr einschlagt -

soll mir wurscht sein,

aber - den soll der Teufel holen, der nicht nach - Rom kommt!

1 59. Deutscher Katholikentag vom 11. - 15. August 1912 in Aachen

² Adam Joseph Schmitt (1855 - 1928): Justizrat, Führer der hessischen Zentrumspartei; Präsident des Aachener Katholikentags



Abb.: Der böse Bethmann1. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 34. -- 3. Beiblatt. -- 1912-08-25

Ein Besuch des Ministers von Hertling² beim Reichskanzler in Berlin zeigte das herzlichste Einvernehmen zwischen den beiden Staatsmännern, Zeitungsnachricht.

"Ich bin dem Hertling sehr ernstlich böse,
Er macht das Jesuitengetöse!

Umgeht, was ich durchaus nicht schätze,
Die jetzt bestehenden Reichsgesetze!

Und treibt aus Liebe zum schwarzen Schätzchen
Gar schlimme partikularistische Mätzchen!

Was tu ich in Anbetracht dieses Streiches
Als Hüter des mir vertrauenden Reiches?

Dort kommt der Sünder! - sind wir allein? -

Georg, mein Junge - das machst du fein!"

1 Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917

² Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat. Hertling suchte das Jesuitenverbot im deutschen Reich so auszulegen, dass die Jesuiten größtmögliche Freiheit hatten



Abb.: Arthur Krüger: Aus Hertlings1 Schäferstündchen. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 35. -- 1912-09-01

"Liebes süßes Schätzchen, reichsgesetzlich brauchen wir uns vorerst nicht trauen lassen, unsere Sache gilt als ein vom Bundesrat toleriertes bayerisches Privatverhältnis."

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat. Hertling suchte das Jesuitenverbot im deutschen Reich so auszulegen, dass die Jesuiten größtmögliche Freiheit hatten


Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Das Doppelglück in Bayern. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 36. -- 1. Beiblatt. -- 1912-09-08

(Die Lotterievorlage hat Chancen, in Bayern Gesetz zu werden.)

So ganz allein naht, wie man sieht,
Ein Glück nur selten oder nie -
Und kommt zu uns der Jesuit,
Dann kommt mit ihm - die Lotterie!



Abb.: Arthur Krüger: Ein Opfer der modernen Inquisitoren (Zum Fall Traub1). --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 37. -- 3. Beiblatt. -- 1912-09-15

Der Geist des Peter Arbues²: "Wie grausam sind doch meine Nachfolger! Verbrennen war doch viel humaner, als dieser langsame Hungertod!"

1 Gottfried Traub (1869 - 1956): evangelischer Pfarrer

"Wegen Traubs freier Handhabung der preußischen Agende, seiner Weigerung, die Konfirmanden auf das Apostolicum zu verpflichten sowie wegen des Eintretens für Carl Jatho (s.d.) wird am 10. Oktober 1911 vor dem westfälischen Konsistorium in Münster das Verfahren gegen Traub aufgrund des § 19 des »Kirchengesetz[es], betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen« vom 11.11. 1909/16.3. 1910 (Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt 34 [1910], 7-21) eröffnet, das jedoch drei Tage später nach der von Traub beantragten Befangenheitserklärung an das schlesische Konsistorium in Breslau überwiesen wird, das am 15.3. 1912 auf Zwangsversetzung Traubs erkennt (Urteilsabdruck in: Evangelische Freiheit NF 12 [34], 1912, Nr. 16), ohne aber die Lauterkeit der Motive Traubs - ihm ging es um die prinzipielle Kritik am seiner Meinung nach nicht mit dem Wesen des Protestantismus zu vereinbarenden »Irrlehregesetz« (Lehrbeanstandungsgesetz) - oder seine pastorale Kompetenz zu bezweifeln. Den Kirchenbehörden war Traub zuvor schon aufgefallen, weil er sich bei Kasualien über die Parochialgrenzen hinweggesetzt hatte und Ostern 1908 eine Osterpredigt gehalten hatte, deren dogmatischer Gehalt getadelt worden war. Sowohl Traub als auch der Anklagevertreter legen Rechtsmittel ein; Traub wird nun seines Dortmunder Pfarramts an der Reinoldi-Kirche für entsetzt erklärt und als Folge des eingeleiteten Disziplinarverfahrens und in Aufhebung und Verschärfung des erstinstanzlichen Urteils durch den Evangelischen Oberkirchenrat am 5.7. 1912 unter Berufung auf den § 13 des Disziplinargesetzes aus dem Pfarrdienst unter Verlust der Pensionsansprüche entlassen, 1920 allerdings dann nominell rehabilitiert; 1926 erhält Traub vom Oberkirchenrat die Pensionsberechtigung zugesprochen."

[Quelle: Klaus-Gunther Wesseling. -- http://www.kirchenlexikon.de/t/traub_g.shtml. -- Zugriff am 2010-01-25]

² Peter de Arbues (1411 - 1485): spanischer Inquisitor (siehe oben!)


Dank dem Berliner Oberkirchenrat. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 38. -- 2. Beiblatt. -- 1912-09-22

An die jungen preußischen Theologen.

Was er für euch doch selbstvergessen tat!
Ihr Jungens, dankt dem Oberkirchenrat!
Ihr wisst ja alle, dass nach Christi Bilde
Er jederzeit versöhnlich ist und milde.
Er würde nie, und wärn sie noch so schwer,
Anwürfe rächen auf die eigne Ehr.
Der evangelschen Kirche höchsten Blüte
Ziemt nur die Nachsicht, nur die Lieb und Güte,
Und nun bedenkt und fühlt es schmerzlich nach,
Wie er in arg persönlich eigner Sach,
Um euch zu warnen vor verbotnen Pfaden,
Heidnischen Zornes Schein auf sich geladen.
Ihr Jungens, seid vor diesem Ruf nicht taub!
Seht, wie er - nur für euch - den Pfarrer Traub1,
Den Ehebrechern gleich und Kassendieben,
Hals über Kopf aus Amt und Brot getrieben!

Ja, so ein Kerl, der ohne Scheu und Scham
Frei rausgesagt, was ihm vom Herzen kam,
Der 's wagte, trotz den braven Glaubensbütteln,
Am morschen Kirchenzaune frech zu rütteln -
Ihr seid gewarnt! Hand an die Hosennaht,
Und, Jungens, dankt dem Oberkirchenrat!

ey.

1 Gottfried Traub (1869 - 1956): siehe oben!




Abb.: Arthur Krüger: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 39. -- 1. Beiblatt. -- 1912-09-29

Und eine tiefe Finsternis breitete sich über die Lande.1

1 Bezieht sich auf den 59. Deutscher Katholikentag vom 11. - 15. August 1912 in Aachen .

Hesekiel 32,8: "Alle Lichter am Himmel will ich über dir lassen dunkel werden, und will eine Finsternis in deinem Lande machen, spricht der HERR."



Abb.: Arthur Krüger: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 39. -- 1. Beiblatt. -- 1912-09-29

Echt christlich entscheidet der Oberkirchenrat, indem er einen verdienten Amtsbruder1 - entblößt von allem - der Not preisgibt.

1 Gottfried Traub (1869 - 1956): siehe oben!


Dennoch! --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 39. -- 2. Beiblatt. -- 1912-09-29

Und ob wir uns mit Hertling1 prügeln,
Und ob der Jesuite siegt,
Und ob mit seinen schwarzen Flügeln
Um Wien das Mittelalter fliegt,
Um Wien, wo fünfzigtausend Pfaffen,
Das Heer der Dumpfheit und des Wahns,
Triumph und Sieg sich jüngst geschaffen²
Zu größerem Ruhm des Vatikans,
Und ob die kleinen Äuglein blitzen
Andächtiglich zum Himmelszelt,
Indes die armen Seelen schwitzen
Im Kampfe mit der Lust der Welt,
Ob eine Schar von frumben Geistern
Zu hemmen strebt der Zeiten Strom,
Ob sie bei uns zusammenkleistern
Ein neues, evangelisches Rom:
Wir wollen dennoch nicht verzagen,
Wie groß der Jammer und die Schmach;
Es muss das Licht die Nacht verjagen,
Das fern schon durch das Dunkel brach!

Den Mut soll uns kein Pfaffe rauben,
Wie salbungsvoll er immer spricht;
Wir wollen, was wir wissen, glauben:
Es siegt die Wahrheit und das Licht!

W.

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat.

² beim 23. Internationalen Eucharistischen Kongress vom 12. bis 15 September 1912 in Wien. Es gibt ca. 20 000 Teilnehmer.



Abb.: Arthur Krüger: Aus dem neuesten Kommersbuch. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 40. -- 1912-10-06

Nur in Deutschland, nur in Deutschland,
Da will ich e - - wig leben!1

1 Refrain von "Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald":

1. Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald,
Da wachsen unsere Reben.
Grüß mir mein Lieb am grünen Rhein,
Grüß mir meinen kühlen Wein.
|: Nur in Deutschland,
   Ja nur in Deutschland,
   Da will ich ewig leben! :| 

Melodie

[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/zwischen.html. -- Zugriff am 2010-01-25]



Abb.:  Gustav Brandt <1861-1919>: Kostprobe im "Hertling1-Bräu". --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 40. -- 2. Beiblatt. -- 1912-10-06

Bavaria: "Gelt, des schmeckt, Madam Borussia! Sie sollten sich überhaupt das helle lutherische Gsöff ganz abgwöhna!"

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat.


Fromme Wäsche. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 40. -- 4. Beiblatt. -- 1912-10-06

In der "Märkischen Volkszeitung" stand kürzlich ein Inserat, in dem es hieß: "Katholiken! Lasst nur bei euren Glaubensgenossen waschen. Waschanstalt Robert Kuhn ... Mitglied des Zentrums."

Manches, ach, muss Schmerz bereiten
Frumben Seelen dieser Frist;
Fürchterlich in diesen Zeiten
Rast der grause Antichrist.

Darumb, ihr, die ihr der Mutter
Kerche treu geblieben seid,
Flieht des Höllenpriesters Luther
Anhang heut und jederzeit!

Zum Exempel: was als Nahrung
Ihr Getreuen zu euch nehmt,
Wurst und Schinken, Kas und Harung --
Ketzerware sei verfemt!

Ja, auch eures Leibes fesche
Kleidung lass euch nimmer ruhn;
So zum Beispiel, eure Wäsche
Waschet nur bei Robert Kuhn!

Beim Gesange frumber Lieder
Dreht man dort die Waschmaschin;
Fleucht das Waschholz auf und nieder,
Klingen heilige Melodien.

Hemden und dergleichen Schosen
Leuchten dann wie Himmelsglanz.
Und in einem Kranz von Hosen
Betet man den Rosenkranz.

Rikchen, Fikchen, Huldchen, Röschen,
Alle beten waschend da;
Bei Jupons und Unterhöschen
Singen sie Halleluja!

Nimmer stört ein Wort des Spottes
Dort der schönen Seele Glück;
Und ein heilger Diener Gottes
Segnet jedes Wäschestück.

Ja, für eine kleine Spende,
Du holdselig Mägdelein,
Werden seine keuschen Hände
Es, wenn du es anhast weihn!

Deine Wäsche bring entgegen
Kuhn, dem frumben Zentrumsmann,
Und des Heiligen Vaters Segen
Ziehst du mit dem Hemde an!

W.


Der große Staatsmann. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 42. -- 1. Beiblatt. -- 1912-10-20

"Muss also bei dem katholischen Politiker die Glaubens- und Wissenslehre der Kirche sein Verhalten bestimmen? Die so formulierte Frage ist mit einem unbedingten "Ja" zu beantworten." Frh. v. Hertling1 am 1. März 1909.

Mensch, bist du ein Katholike
Und du machst in Politike,
Tue so, wie Hertling spricht.
Als den Weisesten der Weisen
Muss ich diesen Hertling preisen,
Mag ich wollen oder nicht.

Sieh, das Wissen ohne Zweifel,
Die Vernunft, sie sind vom Teufel,
Schauderhaft ist der Verstand.
Denn er tät uns nur betäuben,
Und er rüttelt an dem Gläuben
Und des Gläubens Unterpfand.

Nur die Kirche kann dich lenken
Über aller Menschen Denken,
Wohin sie dich haben will.
Dünkt dein Tun dich auch meschugge,
Folge freudig ihrem Drucke,
So wie Hertling, und sei still.

Nicht des irdischen Gezeters
Achte, bringe deinen Peters-
Pfennig dankbar hin nach Rom.
Küss dem Papste sanft die Füße,
Dass sich über dich ergieße
Seiner Gnade Himmelsstrom.

Überhaupt in Politike
Trifft allein der Katholike
Das, was gut und recht und groß.
Theobald², lass dich bewegen,
Reuevoll dein Haupt zu legen
In der Kirche Mutterschoß.

Willst du aber nicht, so weiche!
Sorge, dass im Deutschen Reiche
Wiederum erschein ein Lenz!
Alles Leid wird dann zuschanden,
Wenn, wo Bismarck einst gestanden,
Hertling steht, die Exzellenz!

W.

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat.

² Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Der Mauerbrecher des neuen Kreuzritters oder Der Einbruch in die Hohe Pforte1. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 44. -- 1912-11-03

"Wenn auch die Türe schwer aufgeht, Ferdinand² - in hoc signo vinces³!"

1 Hohe Pforte (bâb-ı-âlî ):  Sitz der osmanischen Regierung

² Ferdinand I. (Фердинанд I) (1861 - 1948): Zar von Bulgarien

³ in hoc signo vinces (abgekürzt I. H. S.; griech.: ἐν τούτω νίκα) (lateinisch) = in diesem Zeichen wirft du siegen: Inschrift, die nach Eusebios dem Kaiser Konstantin d. Gr., als er wider Maxentius zog, neben dem Bilde des Kreuzes am Himmel erschienen sein soll



Abb.: Arthur Krüger: Die böse Tante "Germania"1. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 44. -- 1912-11-03

Mahr freute sich Klein-Wilhelm² nie
Als über seinen Coligny³ -

Als dies nun aber hier ersah
Die böse Frau "Germania",

Da sprach sie: "Weißt du, wer das ist?
Ein Ketzer und ein - Calvinist!"

1 Germania:  am 1. Jan. 1871 begründete, täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung, vertritt die Interessen der deutschen Zentrumspartei und des römischen Stuhles unter jesuitischem Einfluss

² Kaiser Wilhelm II.

³ Gaspard de Coligny (1519 - 1571): französischer Admiral und Hugenottenführer. Er war eines der ersten Opfer der Bartholomäusnacht. Wilhelm II. hatte Entwürfe für Denkmäler für Coligny, einem seiner Vorfahren, für Berlin und den Wilhelmshavener Adalbertplatz gezeichnet


Oben. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 45. -- 2. Beiblatt. -- 1912-11-10

Da unten war ein Raufen, ein Gestöhn.
Sie aber saßen auf den heitren Höhn -
Nenn es Olymp, nenn 's Himmel, nenn 's Walhalla! -
Jehova und der Christengott und Allah.
Sie lauschten abwärts, hörten, wie das schrie,
Und immer war 's die alte Melodie:
"Du Gott der Schlachten, der gerechten Sache,
Verleih den Sieg, denn dein ist ja die Rache!"
Aus Blut und Feuer quoll herauf der Schrei:
"O Allah hilf! O Herrgott, steh uns bei!
Wir streiten ja für dich, für deine Ehre!"
Und Doggen gleich verbissen sich die Heere.

Die beiden sahen sich verlegen an,
Das Evangelium und der Alkoran,
Sie sprachen doch dem Menschen auch von Liebe?
Da trat der alte Zebaoth1 herfür:
"Ich kenn das Kroppzeug länger schon als ihr.
Lasst sie sich hauen! Sie verdienen Hiebe!"

ey.

1 Zebaoth (צבאות) (hebräisch): Heere, hier im Sinne von: Herr der Heerscharen

² Kroppzeug = Gegenstände oder Personen, auf die man eigentlich verzichten möchte


Der Kampf der Freunde : eine Vision. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 47. -- 1. Beiblatt. -- 1912-11-24

St. Demetrius1:

Ich bin der St. Demetrius,
Der Schutzherr aller Griechen.
Ich segne sie, auf dass ihr Schuss
Die Türken treff, die siechen.

St. Kyrillus²:

Och bin der Heilige Kyrill,
Der Schutzherr der Bulgaren.
Ich führe sie, so Gott es will,
Zum Sieg, dem wunderbaren.

St. Sawa³:

Ich bin der Serben Schutzpatron
Und heiße Sanctus Sawa.
Ich trag die Glorie der Nation
Vom Saufluss4 bis nach Java.

St. Demetrius:

Du sogenannter St. Kyrill,
Du bist mir schon der rechte.
Auch du, St. Sawa, sei ganz still!
Ich bin allein der echte.

St. Kyrillus:

Demetrius, nun halt dein Maul,
Verdammter Lausebengel!
Die andern Heiligen all sind faul,
Ich bin allein ein Engel.

St. Sawa:

Was, du allein? Na langsam, stopp!
Da lach ich mich ja scheckig.
Ich spuck die einfach auf den Kopp,
Ach Gott, wie ist der dreckig!

***

Nun haun sie sich mit Vehemenz,
Dass alle Knochen krachen.
Das ist die scharfe Konkurrenz,
Die sich die Freunde machen.

Ein jeder fleht: Gott, schütze mich
Vor meinem Freund auf Erden,
Denn mit den Türken werde ich
Allein schon fertig werden.

m. fr.

1 Dimitrios (Demetrius) von Thessaloniki (Δημήτριος της Θεσσαλονίκης; Деметрий) († um 306)

² Kyrill (Κύριλλος, Кирилъ) (ca. 826 - 869)

³ Erzbischof Sava / Sawa (Свети Сава) (1175 - 1235): Begründer der serbisch-orthodoxen Kirche

4 Sau = Save (Сава)



Abb.: Arthur Krüger: Stille Hoffnung1.--  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 47. -- 2. Beiblatt. -- 1912-11-24

Die beiden Dunkelmänner: "Warten wir ein wenig; vielleicht ruft man uns wieder."

1 Am 12. November 1912 wurde der Ministerpräsident Spaniens, José Canalejas y Méndez (1854 - 1912), vom Anarchisten Manuel Pardiñas ermordet. Die Regierung Canalejas' wollte die Macht der Klerikalen brechen, Religionsfreiheit einführen, die katholischen Verbände nach dem normalen Vereinsrecht behandeln, die geistliche Schulaufsicht abschaffen.


Drohung aus Rom. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 47. -- 2. Beiblatt. -- 1912-11-24

Gar fromm ist der Berliner,
Der Kirche treuer Diener,
Du, Kölner bist ein Sünder,
Ein Ketzerwortsverkünder,
Dir ziemt kein milder Fischer1,
Kein Gegensatzvermischer,
Und darum auch - nu wart man! -
Schick ich dir jetzt den Hartmann².

1 Antonius Hubert Kardinal Fischer (1840 - 1912): seit 1902 Erzbischof von Köln, war am 30. Juli 1912 gestorben

² Felix Kardinal von Hartmann (1851 - 1919): von 1911 bis 1912 Bischof von Münster, wurde am 29. Oktober 1912 zum Erzbischof von Köln gewählt


Feierliches aus Bayern. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 48. -- 2. Beiblatt. -- 1912-12-01

In Hohenkammer (Amt Pfaffenhofen) haben der Tierarzt und der Gastwirt bekanntgemacht, dass am 26. November, dem Tag des Heiligen Corbinianus1, nach vorhergegangenem Gottesdienst die Kastration der Hengste vorgenommen werden würde.

O wie jauchzet da ein frumbes Herze,
Wenn es hin nach Oberbayern blickt,
Wo des wahren Glaubens Himmelskerze
Noch des Staubgeborenen Sinn erquickt.

Wo für aufgeregter Herzen Klopfung
Weiß der Kirche frumber Diener Rat,
Wo für Durchfall, wie auch für Verstopfung
Man als Helfer einen Heilgen hat,

Wo Sankt Ulrich² Rattenplagen endigt,
Apollonia³ des Zahnwehs Pein,
Wo Sankt Nepomuk4 die Wasser bändigt
Und Sankt Cyprian5 das Zipperlein.

Wahrlich ja, zu gottgefälligem Werke
Findet man in brünstigem Gebet
Dort die wahre Kraft erst und die Stärke,
Dass die Arbeit auch gelingen tät!

Und, wasmaßen, wenn man Hengste schneidet,
Es wohl manchmal sie ereignen kann,
Dass das teure Haustier jäh verscheidet,
Ruft den Heilgen Corbinianus an.

Weihrauch duftet, frumbe Weisen klingen.
O wie wohl tut das doch dem Gemüt,
Will nach altem Brauch zum Opfer bringen
Man, was gar zu üppig blüht und glüht.

Halleluja! Auf, den Blick zum Himmel!
Und gewetzt das Messer, Herr Doktor!
Hosianna! Und man führt den Schimmel-
Hengst, den böser Lüste vollen, vor!

Ja, die Erde ist ein Tal voll Jammer;
Aber hier winkt jedem Sünder Heil:
Auf, Ihr Pfäfflein, auf nach Hohenkammer!
Gebt dem Teufel wieder, was sein Teil!

Zwecklos ist, was man nicht darf gebrauchen;
Auf, und folgt den Hengsten frank und frei!
Mag die Kathi wie ein Kater fauchen -
Gottgefällig ist die Schneiderei!

O wie jauchzet da ein frumbes Herze,
Wenn es hin nach Oberbayern blickt,
Wo des wahren Glaubens Himmelskerze
Noch des Staubgeborenen Sinn erquickt.

W.

1 Heiliger Korbinian (670/80 - 724/730):  erster Bischof von Freising

2 Ulrich (890 - 973): Bischof von Augsburg und Heiliger

3 Apollonia ( † um 249): Märtyrin

4 Johannes von Nepomuk (1350 - 1393):  Heiliger, Schutzpatron von Brücken

5 Cyprian (200/210 - 258): Bischof von Karthago und Heiliger



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Eine nette Bescherung1. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 49. -- 1912-12-08

1 Bezieht sich auf die fortschreitende Aufteilung des zum osmanischen Reich (Halbmond) gehörenden Balkans unter christliche Herrscher



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Aus "Des Hertlings1 Fluch". --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 50. -- 1912-12-15

"Er schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross,
Er bind't ihn aufrecht feste, verlässt mit ihm das Schloss." (Uhland2)

1 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat. Kämpft für die Abschaffung der Jesuitengesetze

2 Ludwig Uhland (1787 - 1862)): Des Sängers Fluch, Balalde, 1814

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm,
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross,
Er bind't ihn aufrecht feste, verlässt mit ihm das Schloss.


Schreckliche Kunde. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 50. -- 1. Beiblatt. -- 1912-12-15

Höre nun mit frommem Grausen,
Was geschehen in Mühlhausen1,
Und wie dort ein Strafgericht
Frei die groben Sünder spricht.

Sausheim² heißt ein Dorf, dies merke,
Wo, erfüllt von Glaubensstärke,
Waltet seines Amtes frei
Einer von der Klerisei.

Dieser fromme knecht der Kerche,
Dessen Blick gleichwie die Lerche
Selig auf zum Himmel fliegt,
Hat den Satanas bekriegt.

Zu empfahn der Gnaden Gabe
Kam ein dreizehnjähriger Knabe
Einstmals zu der Kommunion
Morgens ziemlich frühe schon.

Da er nichts gegessen hatte,
Ward sein Magen wild, der matte,
Und dem Knäblein flog - o weh! -
Aus dem Mund die Hostie.

Nüchtern³ nämlich muss man nahen,
Um die Hostie zu empfahen,
Weil es so die Kirche will -
Menschheit, schweig vor Andacht still.

Und nun ward dem frechen Bübel,
Ja, woher denn? plötzlich übel -
Und er übergab sich so
Vor dem Priester frech und roh.

Doch, gottlob! Der Kirche Diener
Außer sich mit Recht erschien er .
Welch ein Sünder, frech und jung!
Das ist Gotteslästerung!

Und man zog ihn vors Gerichte,
Dass er seine Strafe kriegte -
Das Gericht, das sprach ihn frei!
Himmel, höre mein Geschrei!

Ja, so ist 's in unsern Tagen!
Widerspenstig ist der Magen,
Wenn  der Mensch zu nüchtern ist;
Dies bedenke Mensch und Christ!

Woher mag wohl solches kommen,
Dass ihm manchmal wird benommen,
Dass er solche Touren kriegt,
Wenn ihm nichts im Magen liegt?

Töne fort, mein Schmerzgewimmer:
Schlechter wird die Welt noch immer!
Diesen Sünder - weih! ei weih!
Sprach das Landgerichte frei!

1 heute Mulhouse, Elsass

² Sausheim, Elsass

³ vor dem Empfang der Hl. Kommunion war absolute Nüchternheit von Speis und Trank ab Mitternacht gefordert


Lied des Deutschen. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 51. -- 1. Beiblatt. -- 1912-12-22

(Frei nach Spahn1, Gröber² usw.)

Wie heißt das Reis aus Adams Stamm,
Wie heißt das sanftmutvolle Lamm,
Wie heißt das wandelnde Gemüt,
Die Blume, die im Himmel blüht?
Den jedermann auf Erden liebt,
Der nie ein Wässerchen getrübt -
Wie heißt der Engel? - Sag mein Lied!
Der Jesuit!

O seht, o seht das arme Kind.
Da steht es, huh, im kalten Wind,
Hat nichts, o wie mich das erschreckt,
Womit es seine Blöße deckt!
O seht sein Auge himmelblau,
Vergissmeinnicht auf grüner Au.
O weh! Dass dir solch Leid geschieht,
Mein Jesuit!

Als Aschenbrödel stehst du da -
Ob je solch Unrecht schon geschah?
Du Inbegriff von Edelmut,
Du bist so sanft, so mild, so gut.
O komm ins Stübchen traut und warm,
Und leg dich sanft in meinen Arm.
Du fleischgewordenes Gemüt,
Mein Jesuit!

1 Peter Spahn (1846 - 1925): 1884-1917 Zentrums-Abgeordneter im Deutschen Reichstag

² Adolf Gröber (1854 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 1887 Abgeordneter im Reichstag



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Der schwarze Föhn. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 65, Nr. 52. -- 1912-12-29

Nach den Wetterprophezeiungen Spahns1, Gröbers² und Erzbergers³.

Bethmann4: "Gerechter Himmel, wenn das Unwetter wirklich heraufkommt - ob ich mich werde halten können?"

1 Peter Spahn (1846 - 1925): 1884-1917 Zentrums-Abgeordneter im Deutschen Reichstag

² Adolf Gröber (1854 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 1887 Abgeordneter im Reichstag

³ Matthias Erzberger (1875 - 1921): seit 1903 Zentrumsabgeordneter im Reichstag

4 Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917.


1913



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Das untaugliche prophylaktische Insektenpulver. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 1. -- 2. Beiblatt. -- 1913-01-05

Der deutsche Schäferhund: "Ich glaub, ich hab sie doch schon!"



Abb.: Ludwig Stutz (1865-1917): Die konfessionelle Universität. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 3. -- 3. Beiblatt. -- 1913-01-19

Erstes Beispiel einer Gebäudeverschiebung in Deutschland, ausgeführt an der Straßburger Hochschule.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Der Dämon der "kochenden Volksseele". --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 4. -- 3. Beiblatt. -- 1913-01-26

(Frei nach "Dämon des Dampfes" von Professor Reusch1)

Ob dem Bethmann2 diese Spahnsche³ Phantasiegruppe Schrecken einflößen wird?

1 Johann Friedrich Reusch (1843 - 1906): Bildhauer



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Unsere Zeitgenossen: Dr. Georg Freiherr von Hertling, bayerischer Ministerpräsident. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 5. -- Beilage. -- 1913-02-02

St. Schorschl
der Abkanzler


In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 7. -- 1. Beiblatt. -- 1913-02-16

In dem "Liederbuch für katholische Zentrumsjugendvereine" findet sich folgendes Lied:

"Ich bin ein guter Arbeitsmann,
Kirre wirre witt bom bom!
Das sieht man mir sofort schon an,
Kirre wirre witt bom bom!
Ich nutze jede Stunde aus,
Kirre wirre witt juchheirassa!
Und geh des Abends froh nach Haus -
Kirre wirre witt bom bom!

So mach ich 's jeden Wochentag,
Kirre wirre witt bom bom!
Gür Frau und Kinder ich mich plag,
Kirre wirre witt bom bom!
Doch Sonn- und Festtags geh ich aus,
Kirre wirre witt juchheirassa!
Zum Beten in dem Gotteshaus -
Kirre wirre witt bom bom!

Auch bin ich Mitglied des Vereins -
Kirre wirre witt bom bom!
Der Arbeitsleut in diesem Kreis,
Kirre wirre witt bom bom!
Und wenn es geht zum Tisch des Herrn,
Kirre wirre witt juchheirassa!
Dann bin ich auch dabei so gern -
Kirre wirre witt bom bom!"

Das herrliche Lied, das offenbar nach der Melodie "Ich bin der Doktor Eisenbart"1 gesungen wird, ist nicht zu übertreffen! Wir möchten aber der Redaktion des "Liederbuches" doch noch einige Verse zur Verfügung stellen:

In Lourdes, da steht ein Heiligenbild,
Kirre wirre witt bom bom!
Zu dem geh ich, wenn 's einmal gilt,
Kirre wirre witt bom bom!
Es macht die Lahmen wieder sehn
Kirre wirre witt juchheirassa!
Und dass die Blinden wieder gehn
Kirre wirre witt bom bom!

Ich bin total ultramontan,
Kirre wirre witt bom bom!
Glaub an den Papst und an den Spahn²;
Kirre wirre witt bom bom!
Und geht kaputt mal was an mir,
Kirre wirre witt juchheirassa!
Geh ich zum heilgen Rock³ nach Trier -
Kirre wirre witt bom bom!

Ich tu in dieser Erdenwelt,
Kirre wirre witt bom bom!
Was immer grade mir gefällt.
Kirre wirre witt bom bom!
Die Pinke-Pinke - ist 's so weit -
Kirre wirre witt juchheirassa!
Schafft mir die ewige Seligkeit -
Kirre wirre witt bom bom!

1

Ich bin der Doktor Eisenbarth,
Zwilliwilliwick, bumbum!
Kurier' die Leut' nach meiner Art,
Zwilliwilliwick, bumbum!
Kann machen daß die Blinden geh'n
Zwilliwilliwick, juch-hei-ras-sa!
Und daß die Lahmen wieder seh'n
Zwilliwilliwick, bumbum!

Melodie

[Quelle der .mid-Datei: http://ingeb.org/Lieder/IchBinDr.html. -- Zugriff am 2010-01-26]

2 Peter Spahn (1846 - 1925): 1884-1917 Zentrums-Abgeordneter im Deutschen Reichstag

³ Der Heilige Rock: angebliche Tunika Christi, die im Dom zu Trier aufbewahrt wird und von Zeit zu Zeit ausgestellt wird, was zu großen Wallfahrtsströmen führt



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Geschichtsunterricht im preußischen Kadettenhause. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 8. -- 2. Beiblatt. -- 1913-02-23

Nach der Kaiserrede in der Berliner Universität1

"Und sehen Sie, sobald Xerxes aufhörte an eine höhere göttliche Fügung zu glauben, verlor er glatt die Schlacht bei Marathon²!"

1 Am 9. Februar 1913, bei einer Feier anlässlich des 100. Jahrestag der Erhebung Preußens gegen die napoleonische Herrschaft schwadroniert Kaiser Wilhelm II.:

"Kommilitonen! ... Es ist schon ein wunderbares Ding um die Wiedergeburt eines ganzen Menschen, aber die Wiedergeburt einer ganzen Nation, das ist so gewaltig, dass es wert ist, im Herzen behalten und nicht vergessen zu werden. Das war auch nicht der Menschen Tat, sondern das war Gottes Tat! So erhob sich, im Glauben an Gott, ein unterdrücktes, zerstückeltes Volk - ein Wunder, wie es noch nicht dagewesen - und warf alles vor sich her. Das war auch nicht Tat der Menschen, das war Gottes Tat! Nun, Kommilitonen, ich denke, ihr versteht mich schon Wenn wir nur das Greifbare denken ... um glauben zu können, so haben wir in den Tatsachen der Vergangenheit, in den Geschichtstatsachen, die sichtbaren Beweise für das Walten Gottes. Wir haben die sichtbaren Beweise, dass er mit uns war und mit uns ist. Und aus diesen greifbaren, sichtbaren Tatsachen der Vergangenheit, kann sich auch die gesamte deutsche Jugend den im Feuer bewährten Schild des Glaubens schmieden, der nie in der Waffenrüstung eines Deutschen und Preußen fehlen darf."

² Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.)


Ein sittlich Lied. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 14. -- 5. Beiblatt. -- 1913-04-06

In Ohio1 ist ein Gesetzentwurf eingebracht worden, nach dem eine Kommission darüber zu wachen hat, dass bei den Damen Blusen und Strümpfe nicht durchsichtig sind und dass der Halsausschnitt nicht tiefer ist als 6 cm unter dem Kinn. (Zeitungsnachricht.)

Eine gar gestrenge Polizei - o -
Gibt es in dem großen Staat Ohio,
Welche unterscheidet streng und scharf,
Was der Bürger nicht und was er darf.

Ganz besonders was die Bürgerinnen
Dürfen mit den Spitzen und dem Linnen
Und den Blusen und - ach, welcher Sumpf! -
Insbesondere in puncto Strumpf.

Nämlich, dass besagte Kleidungsstücke
Zeigen auch nicht eine einzige Lücke
Und dass man - o großer Gott - nicht schaut
Etwa durch die Lücke eine Haut!

Tag und Nacht wacht dorten die Behörde,
Dass die Sittlichkeit bewahret werde
In der Gegend vom entblößten Hals
Und des andern Körpers ebenfalls.

Alsogleich erhebt sich ein Gezeter,
Wenn ein halbes Dutzend Zentimeter
Von dem Kinne oder mehr vielleicht
Das Dekolleté nach unten reicht.

Dieses wird genau beaugenscheinigt.
Je nach dem Befunde wird gesteinigt
Allsobald das quästionierte Weib,
Wenn es nicht sofort bedeckt den Leib.

Auch die Blusen müssen vor den kecken
Blicken alles sorgfältig bedecken,
Und sie dürfen nicht durchlöchert sein,
Denn ein züchtig Weib ist doch kein Schwein.

Doch genug von den Damenblusen!
Aber jetzt errötet tief, ihr Musen,
Denn verschämt und flüsternd nur und dumpf
Sprech ich jetzt gezwungen von dem Strumpf.

Dieser muss von unten bis ganz oben
Ohne alle Löcher sein gewoben.
Zweitens darf sein Stoff zwar fein,
Aber nimmermehr durchsichtig sein.

Dieses wird genau beaugenscheinigt.
je nach dem Befunde wird gesteinigt
Dieses Weib mit manchem harten Stein,
Wenn es nicht genug bedeckt das Bein.

Sehen lassen dürfen diese Dinger
Nur den Kopf und allenfalls die Finger,
Aber was dazwischen und drumrum,
Ist nicht für das p. t.² Publikum.

Denn man schreit ergrimmt sifort "ei weih o"
In dem tugendhaften Staat Ohio,
Wo entrüstet bebt gleich jeder Nerv,
Wenn der Bürger tut, was er nicht derf.

Möchte sich doch jeder also schämen
Und hieran sich doch ein Beispiel nehmen,
Sintemal er und alldieweil
So nur sich erhält sein Seelenheil.

Darum lasst es auch im Staate Preußen,
Patrioten, nimmer euch verdreußen,
Das es also auch bei uns geschieht!
Hiermit schließt dies sittlichreine Lied.

m. tr.

1 Ohio, USA

² p.t. = Praemisso titŭlo (latein.) = mit Vorausschickung des Titels; auch = Pleno titulo (latein.) = mit vollem Titel



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Bekehrungs-Maschinen-Großbetrieb in Albanien. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 15. -- 3. Beiblatt. -- 1913-04-13

(Von der serbisch-montenegrinischen1 "Heilsarmee")

In den Schoß der alleinseligmachenden orthodoxen Kirche wurden in 30 Minuten 100 Albanesen befördert.

1 Am 6. April 1913 lehnte die serbische Regierung in einer Note an die europäischen Regierungen die geforderte Räumung der von ihr besetzten Gebiete Albaniens ab, da Kriegszustand herrsche.



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Beim Zentrumsbudiker oder Mehr kann er nicht verlangen. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 17. -- 1. Beiblatt. -- 1913-04-27

"Ich verschaffe Ihnen die Milliarde1, lieber Bethmann²; gebe Ihnen sogar noch etwas drauf, das ich allerdings nach meinen vorhandenen Lagerbeständen auswählen müsste."

1 für die Deckung der erhöhten Militärausgaben

² Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (1856 - 1921): Reichskanzler von 1909 bis 1917



Abb.: Arthur Krüger: Oertel1, praeceptor Germaniae². --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 19. -- 2. Beiblatt. -- 1913-05-11

(Ein Beitrag zur Statistik der Geburten aus der "Deutschen Tageszeitung"³)

In Münster,
Da ist es finster;
Und an solchen Orten

Mehren sich die Geborten!

In Berlin, wo es licht -

Gibt 's diese Erfolge nicht!

Und die Lehre fürs Gemüt,
Die der Mensch draus zieht?? -

Macht finster
Wie in Münster,
Was licht einst war,
Dann kommt auch wieder
Und lässt sich nieder
Der Adebar! -

1 Georg Ernst Julius Oertel (1856 - 1916): Lehrer, konservativer Reichstagsabgeordneter und Chefredakteur der "Deutschen Tageszeitung"

² praeceptor Germaniae (latein.) = Lehrer Deutschlands (Ehrentitel für Philipp Melanchthon)

³ Deutsche Tageszeitung : unparteiisches Volksblatt. - Berlin : Dt. Tageszeitung AG. -- 1894 - 1934


Der "Ober". --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 20. -- 6. Beiblatt. -- 1913-05-18

Der Missionar Hettke in Swakopmund1 hat sich zum Besuch entferntliegender Missionsgebiete einen Flugapparat bestellt.

Schwierig ist 's in Deutsch-Südweste,
Dass man reite oder fahre;
Hettke drum, dem Missionare,
Schien ein Flugzeug noch das Beste.

Auf den Mann im Aëroplane
Voller Staunen sieht der Nigger,
Himmelwärts hebt fromm den Blick er,
Gleich als ob ihm "Höhres" ahne.

Und aus leichten Lüften droben
Senkt sich nieder mittels Schraube
Hettke auf der Rumplertaube³ -
Denn der Segen kommt von oben!

h. st.

1 Swakopmund im heutigen Namibia

² Deutsch-Südwestafrika: von 1884 bis 1915 deutsche Kolonie auf dem Gebiet des heutigen Staates Namibia

³ Etrich-Rumpler Taube: ein Schul-, Aufklärungs- und Bombenflugzeug


Abb.: Etrich/Rumpler Taube 1910
[Bildquelle: Wikipedia. -- Public domain]



Abb.: Arthur Krüger: Hundstage auf dem "Landgut" des Papstes (Ein Zukunftsbild). --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 31. -- 1. Beiblatt. -- 1913-08-03

Der Papst beabsichtigt, ein Landgut außerhalb Roms zu kaufen. (Zeitungsnachricht.)



Abb.: Englische "Friedens"predigt. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 31. -- 4. Beiblatt. -- 1913-08-03

Michel: Churchill1 kann sagen was er will, vor seiner "Church" da wird mir "ill".

1 Winston Leonard Spencer Churchill (1874 - 1965): seit 1911 zum Ersten Lord der Admiralität (Marineminister)


Nummer eins. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 34. -- 2. Beiblatt. -- 1913-08-24

In einem katholischen Blättchen, dem "Pfarrboten von Ars a. M.1", war kürzlich zu lesen: "Was nützen dir alle Wohltaten Gottes ohne den Priester? Ohne den Priester wäre Christi Tod und Leiden vergeblich."

Vernimb, o Mensch, die Worte
Des hochehrwürdigsten Pfarrs!
An der Mosel wohnt er, im Orte,
So sich benamset "Ars".

Er spricht: "Das sind so Sachen;
Ja, Gott bemüht sich sehr,
Allein was wollt er machen,
Wenn unsereins nicht wär!

Selbst Jesu Christi Sterben
Wär ganz und gar umsunst;
Drumb sucht er zu erwerben
Allzeit des Priesters Gunst.

Und wollte Gott euch segnen
Den Acker und das Feld,
Er kann nur lassen regnen,
Wenn es dem Pfarr gefällt.

Bringt Eier drumb und Schinken,
Das hat der Pfarrherr gern,
Bringt auch was Guts zu trinken
Dem hochehrwürdigen Herrn!

Ihr Mägdelein und Frauen,
Kommt, beichtet eure Schuld!
Und lasset euch erbauen
Durch Eures Pfarrherrn Huld!"

Seht Menschen, euch zum Segen,
Die ihr in Faulheit schlieft,
Wie dieses Frumben Brägen²
Von Himmelsweisheit trieft!

Nach Ars hin müsst ihr gehen,
Das ist was Wunderbars!
Dann lwent ihr erst verstehen
Das Wort "lex mihi Ars"³.

1 Ars an der Mosel: heute: Ars-sur-Moselle, Lothringen

² Brägen / Bregen =Stirn, Gehirn, Hirnschale, Kopf, Verstand

³ lex mihi ars (latein.) = die Kunst sei mir Gesetz, aber auch Gymnasiastenwitz wegen des Anklangs an "leck mir den Arsch!"; hier: Ars sei mir Gesetz



Abb.: Arthur Krüger: Ratten im Bundesrat. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 34. -- 2. Beiblatt. -- 1913-08-24

Ein gewisses Aktenstück soll, wie man munkelt, im Bundesrat so wenig sicher aufbewahrt sein, dass die Befürchtung vorliegt, es könnte von  kleinen Nagetieren allmählich beseitigt werden.


Internationale Sittlichkeit. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 37. -- 1913-09-14

Der Lordgroßkanzler Viscount Haldane war es,
Der lichtete die Anker mit Hurra
Und nahm im feuchten Sommer dieses Jahres
Vom Britenland den Kurs nach Kanada.
Dort sprach er vor kanadischen Kohorten
Als frommer Paladin der Christenheit
Und lobte mit begeistrungstrunknen Worten
Die internationale Sittlichkeit.

Im Mittelalter waren roh die Horden,
Die Sittlichkeit war höchstens national.
Wie anders sind wir, Gott sei Dank, geworden,
Der ganzen Welt gehört jetzt die Moral!
Wie egoistisch waren sonst die Taten!
Wir leben heut in einer andern Zeit,
Denn unumschränkt herrscht im Verkehr der Staaten
Die internationale Sittlichkeit.

Mit zarter Sorge sucht man zu erkunden,
Wo es dem lieben, guten Nachbar fehlt.
Und hat man seinen schwachen Punkt gefunden,
So müht man sich, dass man es ihm verhehlt.
Man späht ihm nach, wie einem lieben Sohne,
Man gibt ihm stets ein heimliches Geleit.
Man schickt ihm still und unbemerkt Spione!
O internationale Sittlichkeit!

Und kommt 's trotz aller Liebe mal zum Kriege,
(Mein Gott, man kann nicht immer, wie man will,)
So schlachtet man die Kinder in der Wiege,
Die Fraun und Greise macht man kalt und still.
Den Männern amputiert man beide Ohren
Und andre Glieder noch im blutigen Streit.
Die Welt hat sich zur Herrscherin erkoren
Die internationale Sittlichkeit.

Im Balkan haben allerdings die Türken
Die Greise, Fraun und Kinder stets geschont.
Das macht, sie sind in ihrem Tun und Wirken
Die heidnischen Gebote nur gewohnt.
Des Christentums Gesetz und seine Mahnung
Liegt ihnen weltenfern und sternenweit.
Die Türken haben eben keine Ahnung
Von internationaler Sittlichkeit!

1 Richard Burdon Haldane, 1. Viscount Haldane (1856 - 1928): 1905 - 1912 britischer Kriegsminister



Abb.: Illustrierte Rückblicke <Ausschnitt>. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 39. -- 1. Beiblatt. -- 1913-09-28

[Paraden] in Metz1 so

1 beim 60. Deutschen Katholikentag in Metz vom 17. - 21. August 1913. Bezieht sich auf die Kölner und Berliner Richtung im Streit um die interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften (siehe oben!)



Abb.: Gustav Brandt <1861-1919>: Heil Dir, König1 von Bayern! --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 43. -- 1913-10-26

Zentrumsmann: "Majestät nehmen doch die Schutzhülle für die neue Krone gleich mit?"

1 Aufgrund eines neuen Verfassungszusatzes erklärt am 5. November 1913 des bisherige bayerische Prinzregent Ludwig (1845 - 1921) die Regentschaft für beendet und übernimmt anstelle des geisteskranken Königs Otto als Ludwig III. die Königswürde 


Von Gottes Gnaden. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 46. -- 3. Beiblatt. -- 1913-11-16

Wenn ein König seinen Thron besteigt1,
Ist es angezeigt, dass die Krapüle²,
Wie es Untertanen ziemt, sich neigt
In des Nichts durchbohrendem Gefühle.
Ob, warum und wann und wie und wo,
Niemand fragt den Untertan, den faden.
Nein, man stellt ihn vor den Statusquo,
Denn der König ist von Gottes Gnaden.

Ob ein König³ abzusetzen ist,
Weil er, ach, im Siechtum liegt, im harten,
Hat der Untertan als frommer Christ
In submissiver Ehrfurcht abzuwarten.
Höchstens wird post festum4 er in Huld
Ad audiendum verbum5 eingeladen.
Seine Pflicht ist Ruhe und Geduld,
Denn der König ist von Gottes Gnaden.

Einst zwar nannten sich die Könige so
Auf den Thronen und vor den Altären,
Um dadurch zu zeigen fromm und froh,
Dass sie Knechte und nicht Herren wären.
Dies war finstre Mittelalterszeit,
Die mit Aberglauben war geladen.
Einen andern Sinn doch hat es heut,
Jenes Herrscherwort von Gottes Gnaden.

Jeder König, ob gesund, ob krank,
Trägt von Gottes Gnaden seine Krone.
So auch trägt der neue seinen Rang,
Wie der alte angesetzt vom Throne.
Gottes Gnade, ach, und Gottes Huld
Wird je nach Bedarf gar schnell verwandelt,
Und der Himmel sieht es mit Geduld,
Wie die Welt mit seiner Gnade handelt.

Jeder Bürger, wie ihn Hertling6 will,
Stehe stramm und treu und untertänig,
Und er horche andachtsvoll und still,
Was ihn der heißt oder jener König.
Hertling wünscht, die Bürger stünden da
Als Spalier auf allen seinen Pfaden,
Und sein Alpha ist und Omega:
Jeder Bürger sei von Hertlings Gnaden!

m. fr.

1 Ludwig III. von Bayern (siehe oben!). Am 12. November 1913 war die Krönungsfeier mit der allgemeinen Landeshuldigung.

² Krapüle (französisch) = Gesindel, Lumpenpack

³ Otto Wilhelm Luitpold Adalbert Waldemar von Wittelsbach (1848 - 1916): von 1886 bis 5. November 1913 König von Bayern. Da er wegen seiner Geisteskrankheit regierungsunfähig war, nahmen 1886-1912 sein Onkel Luitpold und 1912-1913 sein Cousin Ludwig als Prinzregenten die Staatsgeschäfte für ihn wahr. Titel und protokollarische Ehren eines Königs wurden ihm bis zu seinem Tode belassen.

4 post festum (latein.) = nach dem Fest, d.h. nachträglich, zu spät

5 ad audiendum verbum = um den Bericht zu hören

6 Georg, Graf von Hertling (1841 - 1919): Zentrumspolitiker, seit 9. Februar 1912 kgl. bayerischer Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zugleich Vorsitzender im Ministerrat


Christliches Bauernvereins-Lied. --  In: Kladderadatsch. -- Jg. 66, Nr. 51. -- 4. Beiblatt. -- 1913-12-21

Das bayrische Bauernblatt, Organ des christlichen Bauernvereins von Oberbayern, agitiert für die Wiedereinführung der "Halbschule". Die Kinder sollten statt den ganzen Tag in der Schule zu sitzen, bei der Feldarbeit helfen. Die Einführung wäre eine große "Wohltat" für die Bauern. Unterstützt wird diese Forderung von geistlichen Schulinspektoren, von denen u. a. jüngst folgende Resolution gefasst wurde: "Alle Unterzeichneten Mitglieder und Gemeite Bürger würden es mit freiden Begrüsen und als eine Moltat Betrachten wen auf dem Kande Halbschule wider eingefirt wirte."

Was brauchma denn lesen?
Was brauchma denn schreim!1
Was brauchma denn rechna
Mit Tafi und Kreim?²
Mir samma³ scho recht wia ma san!
Mir samma schön ultramontan!

Was braucht ma denn des alls
Ins Hirn einizreim?4
Und ganze Täg z'sitzn
Auf unserer Scheim?5
Mir samma scho recht wia ma san!
Mir samma schön ultramontan!

Mir brauchma bloß's Vieh
Auf de Alma naufz'treim!6
Mir brauchma bloß z'schaugn
Auf de Küah und de Kaim!7
Mir samma³ scho recht wia ma san!
Mir samma schön ultramontan!

Mir tenma bloß wachsn
Und tean uns schön lei'm!8
Mir teanma schön christliche
Rindviecher bleim9 - -
Mir samma³ scho recht wia ma san!
Mir samma schön ultramontan!

[Erklärungen im Original:]

1 schreiben
2
Kreide
3
sind
4
reiben
5
Scheibe (Hosenboden)
6
treiben
7
Kälber (Kalbl'n)
8
leiben (sich leiben = dick werden)
9
bleiben


Zu: Kladderadatsch 1914 - 1944

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