Religionskritisches von Josef Victor Widmann

Das große Pamphlet wider die französischen Israeliten von Eduard Drümont (1887)

von

Josef Victor Widmann


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Das große Pamphlet wider die französischen Israeliten von Eduard Drümont.  -- 1887. -- Fassung vom 2005-02-22. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/widmann04.htm    

Erstmals publiziert: 2005-02-22

Überarbeitungen:

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals veröffentlicht in:

Der Bund : unabhängige liberale Tageszeitung Verlag. -- Bern : Der Bund. -- 1887. --  Nr. 49.

Wieder abgedruckt in:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Josef Viktor Widmann : "ein Journalist aus Temperament" : ausgewählte Feuilletons / hrsg. von Elsbeth Pulver und Rudolf Käser. -- Gümligen : Zytglogge-Verlag Bern, ©1992.  -- 304 S. : Ill. ; 21 cm. -- ISBN 3-7296-0426-0. -- S. 82 - 86  [Hier nach dieser Ausgabe wiedergegeben]


Zu Josef Victor Widmann siehe:

Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: "Die Sünden Gottes".  -- 1882. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/widmann01.htm

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zum Neobuddhismus.  --   Kapitel 14: Buddhismus in anderen Ländern. -- 1. Buddhismus in der Schweiz. -- URL: http://www.payer.de/neobuddhismus/neobud141.htm. -- Zugriff am 2005-02-03



Abb.: Endlich hat dieses furchtbare, immer riesiger anwachsende Gewürm, welches hochmütig, das Elend peitschend, seine brutale Autorität geltend macht, einen Gegner gefunden. Wollt ihr, ihr Prediger der Gemeinnützigkeit und Humanität, ihm nicht zu Hilfe eilen? Das Volk hofft's und wünscht's! -- Karikatur auf J. V. Widmann als Feuilletonredaktor an der freisinnigen Tageszeitung "Der Bund". -- In: Nebelspalter. -- 1888

[Bildquelle: Widmann, Josef Victor <1842 - 1911>: Josef Viktor Widmann : "ein Journalist aus Temperament" : ausgewählte Feuilletons / hrsg. von Elsbeth Pulver und Rudolf Käser. -- Gümligen : Zytglogge-Verlag Bern, ©1992.  -- 304 S. : Ill. ; 21 cm. -- ISBN 3-7296-0426-0. -- S. 24]


Das große Pamphlet wider die französischen Israeliten von Eduard Drümont1.

Gewisse französische Bücher braucht man nur ins Deutsche zu übersetzen, um die Hohlheit ihres Inhaltes gründlich an den Tag zu bringen.

Die Eleganz der französischen Sprache hilft manchem Leser über den Mangel richtiger Gedanken hinweg. Auch ist man teilweise aus großen französischen Zeitungen wir denken besonders an „Figaro" — gewohnt, allerlei Blödsinn in oft vortrefflicher feuilletonistischer Mache aufgetischt zu erhalten. Liegt dann aber dergleichen in deutscher Sprache vor uns und gar noch aufgetürmt zu zwei dicken Bänden, so findet die höhere Erwartung, die denn doch der deutsche Leser an ein umfangreiches Buch in der Regel heranzubringen sich für berechtigt hält, zuweilen eine grausame Enttäuschung.

In so fern mag es ganz gut sein, dass nun (bei A. Deubner in Berlin) das große Pamphlet Eduard Drümonts gegen die französischen Israeliten deutsch erschienen ist (unter dem Titel: „Das verjudete Frankreich")2.


Abb.: E. Drumont [Bildquelle: http://www.graphicwitness.org/group/rire1.jpg. -- Zugriff am 2005-02-22]

Immerhin wollen wir mit dieser Bemerkung der betreffenden deutschen Verlagshandlung keine Dankadresse votiert haben. Denn wir können nicht annehmen, Deubners Verlag habe diese Übersetzung geliefert, um Drümonts Buch an den Pranger zu stellen. Deubners Verlag hat wahrscheinlich einfach darauf spekuliert, dass Skandalliteratur, die den gemeinen Instinkten des hohen und niedern Pöbels schmeichelt, leider allezeit auf guten Absatz rechnen darf. (Wirklich steht auch auf unserm Exemplar eine dritte Auflage angezeigt.) In diesem Falle hat sich der betreffende Verlag mitschuldig gemacht an einem Unternehmen, das an Immoralität kaum seines gleichen findet.

Denn was ist das angebliche "Brunnen vergiften" der mittelalterlichen Juden (an das Drümont glaubt!) gegenüber einem solchen systematischen Vergiften des Lebensquells menschlicher Gesinnung und brüderlicher Liebe, der rein und gesund durch die modernen Nationen rinnen sollte?

Sich hinsetzen mit der traurigen Absicht, Hass und Verachtung zu erzeugen gegen ein mit uns auf dieselben Lebensbedingungen angewiesenes Volk, das ist eine Missetat, für die keine Strafe zu groß sein könnte.

Schwer ist es ja nicht, wenn man von innerm Gift aufschwillt, die nächste beste Nation dadurch zu verleumden, dass man alle ihre Schattenseiten in gehässige Beleuchtung rückt. Heute die Russen, morgen die Engländer, übermorgen die Deutschen — warum nicht? Jedes Volk zeigt gewisse Züge in seiner nationalen Physiognomie, die den Nachbarvölkern unangenehm sind. Schwer ist die Verdächtigung nicht, aber schwer ist die Verantwortung, die derjenige auf sich ladet, der solche Verhetzung der Menschengeschlechter systematisch betreibt. Die Abfassung eines solchen Buches ist übrigens auch eine Versündigung am guten Geschmack. Wie muss ein Mensch beschaffen sein, der solchen Wust von Unsinn, Unflätigkeit und Bosheit zusammenzutragen vermag! Beim Lesen fühlt man sich erniedrigt und niemals würden wir freiwillig, ohne unsere Kritikerpflicht, ein solches Werk zur Hand genommen haben, das wesentlich auch eine Spekulation auf die Dummheit und Urteilslosigkeit der Leser ist. Das einzige, was uns beim Lesen einigermaßen entschädigt, sind die häufigen (aber meistens doch auch sehr plumpen und ungenügend motivierten) Ausfälle auf das Großkapital in der Hand Weniger, die Angriffe auf den "Giftbaum der Börse" und ein Abschnitt, in welchem die relative Unfähigkeit der Franzosen, aus Kolonien Gewinn zu ziehen, bewiesen wird. Aber war es dazu notwendig, diesen großen papierenen Scheiterhaufen für Israel zu errichten? Was übrigens die Haupttendenz des Buches betrifft, so liegt sie darin, das papsttreue katholische Frankreich gegen die französische Republik auszuspielen. Das Buch soll eine Antwort und Züchtigung dafür sein, dass die Republik gegen den Klerus unsanft vorgegangen. Da nun jemand, der auf die weitesten französischen Leserkreise spekulierte, nicht ohne weiters die in Kraft bestehende französische Republik angreifen konnte, musste der Jude als Prügeljunge vorgeschoben werden. Man demonstrierte dem erstaunten Frankreich: "Was gegen die Klöster geschehen ist, das haben nur die Juden getan". Dass die Kammern als Ausdruck der erdrückenden Mehrheit der französischen Nation jene Gesetze annahmen, die von der Regierung ausgeführt wurden, das wird damit bemäntelt, als habe überall nur der jüdische Hass gegen das Christentum sich sein Opfer gesucht u.s.w.

Es ist dabei komisch, dass es Herrn Drümont, wenn er den Stuhl Petri so feierlich anruft, niemals in den Sinn kommt, dass auch Petrus ein Jude gewesen, und was für einer! Ein Wiederholungskurs in der Apostelgeschichte3 dürfte Herrn Drümont nicht schaden.

Nachdem wir hiemit den Gesamteindruck wiedergegeben haben, den wir von Drümonts Buche erhalten, möge eine kleine Auswahl von Stellen beweisen, was für Blümchen auf einem solchen Mistbeete wachsen.

Charakteristischer Weise beginnt das Buch schon in der Einleitung damit, die große Summe Geldes zu denunzieren, welche die Familie Rothschild4 aus Frankreich gezogen habe, ohne dafür etwas einzusetzen. Dieser Gedanke wird durch beide Bände öfters aufgenommen und zwar zuweilen mit der unverhüllten Andeutung, man täte gut, einmal die betreffenden Paläste dieser Familie zu plündern. Die Familie Rothschild konnte so viel zusammenscharren, weil die Freimaurer5, die neben den Juden von Drümont am meisten gehasst werden, mit ihr unter einer Decke steckten. Freimaurer und Juden haben das „ehedem so glückliche französische Volk in ein gehässiges, geldgieriges verwandelt, das bald dem Hungertode (!) nahe ist". Zur Beleuchtung dieser Angaben teilen wir mit, dass der zuverlässige Atlas von Justus Perthes die Bevölkerung Frankreichs (ohne die Kolonien) im Jahre 1885 auf nahezu 38 Millionen angibt, die Israeliten Frankreichs auf nur 50.000. Drümont selbst wagt nicht, von mehr als 80.000 Juden zu sprechen. Lassen wir ihm diese seine Zahl gelten — wie verschwindend klein erscheint sie auf 38 Millionen Menschen verteilt! Gleichwohl ist „dies Land der Lilien und des azurblauen Himmels mit gelben jüdischen Fetzen verdeckt". (...)

In einer auf die Einleitung folgenden Allgemeinschilderung der Juden wird nun jede gute Eigenschaft, wie Gerechtigkeit, Sinn für das Schöne u. s. w. als ausschließliches Erbteil der arischen Rasse in Anspruch genommen. Von der Kultur der Araber in Spanien und Sizilien scheint der Verfasser nie etwas gehört zu haben, da er die Semiten so tief stellt. Auch Idealität besitzt der Jude nicht. Es ist offenbar keine Idealität, wenn das ganze Mittelalter hindurch der Jude sich für sein Bisschen von den Vätern ererbte Religion schinden und martern und verbrennen ließ. „Der Jude hat nichts für die Zivilisation getan." Den monotheistischen Gedanken, den nur die semitischen Völker aufgestellt und mit eiserner Treue festgehalten haben, rechnet also der Verfasser nicht zu den zivilisatorischen Ideen der Menschheit. „Der Arier ist keusch." „Der Semite kennt nur üppige, glühende Wollust." „Selbst der edelste Jude oder Mohammedaner würde es nicht für sträflich halten, ein scheußliches Verbrechen zu begehen, wenn er dadurch seine Zwecke erreichen kann." „Der Jude leistet auch nichts für die Wissenschaft. Er verkauft Brillengläser wie Spinoza6, aber er entdeckt keine Welten wie Leverrier7." (Es mussten recht gute Brillengläser sein, dass Spinoza durch den Verkauf derselben einen gewissen Namen erlangte.) Sehr hübsch ist auch folgende Stelle: „Der Jesuit8 steht dem Juden diametral gegenüber. Ignaz von Loyola9 ist ein Arier reinster Rasse." Ob wohl wir anderen Arier diesen Einen nicht mit Vergnügen an den Semitismus abtreten würden? Die Juden verjagen und mit ihren Schätzen den Orden der Jesuiten ausstatten, das ist das Ideal Herrn Drümonts. Auch folgendes ist artig: „Juden bekommen niemals die Cholera. Der Jude ist vor ansteckenden Krankheiten gefeit. Vielleicht schützt ihn die ihm innewohnende chronische Pest vor jeder akuten Ansteckung. Er besitzt in sich selbst das Impfmaterial, ist sich selber ein Gegengift. Jede Landplage weicht vor dieser zurück."

Der Jude hat auch einige sehr böse Worte für böse Dinge erfunden, nämlich das bacchantische — Evoe10 (!) und den fatalistischen Begriff—Ananke11 (!). Diese griechischen Wörter, die jeder Quartaner als solche kennt, hält nämlich der gründliche Franzose für hebräische. Am Schluss des ersten Bandes erfahren wir Gambettas12 Todesursache. „Weshalb ist Gambetta gestorben?" „Weil er den kleinen Kindern verwehren wollte, zu beten." Warum nicht lieber gleich: Weil er so viele Christenkinder gegessen hatte, dass er an der Verdauung zu Grunde ging? Bringt doch der zweite Band ein nicht enden wollendes Register von Christenkindern, die von Juden geschlachtet wurden. Auch in Bern wurde just vor 600 Jahren ein kleiner Knabe Namens Rudolf — man denke! — zum Osterfeste gemetzgert. Nun mag die Juden etwas trösten, dass nämlich die Protestanten nach Herrn Drümonts Auffassung wenig oder kaum besser sind als die Semiten. Im zweiten Band ist den Protestanten ein besonderer Abschnitt gewidmet, wo wir unter anderm (S. 259) lesen: „Im politischen Leben ist der Protestant vorzugsweise als Betrüger und Lügner berüchtigt." „Der Protestant ist stets bereit, seine politische Partei seiner religiösen Sekte zum Opfer zu bringen."

„Die Protestanten sind allerdings weniger habgierig als die Juden, aber voller Unruhe, unbeständig und beutelustig." Doch genug, übergenug an Zitaten aus einem Buche, das seinen Erfolg nur den gemeinsten Instinkten der Menschen und — großer Beschränktheit vieler Leser verdankt. Wir müssen ordentlich um Entschuldigung bitten, dass wir nur so viel aus den ungefähr 900 bis 1000 Seiten dieses Werkes aufgetischt haben. Sollen wir bei dieser Gelegenheit unsere eigene Überzeugung über das Judentum aussprechen, so erklären wir, dass wir an den Juden wie an den andern Nationen Tugenden und Fehler gemischt finden und dass natürlich auch hier die Bildungsstufe, die das einzelne Individuum einnimmt, für den Umgang wohl am meisten entscheidend ist. Wir mögen dem Juden gegenüber unser Benehmen vielleicht ähnlich einrichten, wie wir es in anderer Beziehung dem Engländer gegenüber tun, dem wir auf Reisen an der table d'hôte13 nicht mit derselben Gefälligkeit und Dienstfertigkeit entgegenkommen, wie dem Franzosen oder dem Italiener, weil der Engländer bekanntlich solche Gefälligkeiten für Beweise einer ihm gegenüber niedern Selbsttaxierung ansieht und sie oft mit kaltem Hochmut erwidert. So mag auch im jüdischen Wesen manches liegen, was uns persönlich nicht gefällt. Gut, wir lehnen dergleichen ab, ohne anderseits für die wunderbaren Eigenschaften dieser Rasse blind zu sein. Auf keinen Fall aber gestatten wir uns und andern lieblose Behandlung dieser unserer Mitbürger. Wir können ihnen auf einzelnen Gebieten, z. B. in der Frage des Schächtens14, prinzipiell sehr entschieden entgegentreten, indem wir hier wie der römischen Kirche oder der Heilsarmee gegenüber bestreiten, dass ein religiöser Vorwand den allgemeinen Kulturideen einer fortgeschrittenen Zeit gegenüber einen Missbrauch begründen dürfe. Aber das alles wird uns doch niemals zur Verfolgung unserer Brüder führen dürfen, noch zur Preisgebung der eigenen Menschenwürde, die derjenige mit Füßen tritt, der andere Menschen um der Religion, Rasse, Farbe willen von der Gemeinschaft der Lebens- und Kulturbedingungen ausschließen will. Hoffen wir, Europa werde von diesem antisemitischen Schwindel, der nur ein Symptom allgemeiner sozialer Nervosität ist, allmählich wieder genesen. Namentlich aber sollte Deutschland, wo diese Krankheit zuerst ausgebrochen, zuerst auch dieselbe wieder überwinden in Erinnerung an den humanen Geist seiner großen klassischen Dichter, deren Werke frei von solchen unedlen Anwandlungen sind. Freilich, die — nebenbei bemerkt, sprachlich sehr verwilderte und schlechte — Übersetzung eines solchen französischen Schandbuches ins Deutsche ist zu solcher Genesung kein guter Anfang.


Erläuterungen:

1 Eduard Drumont

"Drumont (spr. drümóng), Edouard Adolphe, franz. Publizist, geb. 3. Mai 1844 in Paris, zuerst Schreiber auf der Seinepräfektur, ging zum Journalismus über und war beim »Gaulois«, auch beim »Journal officiel« und andern Blättern, zuletzt bei der »Liberté« (Eigentum der jüdischen Bankiers Pereire), ein gern gelesener Chroniqueur und Theaterkritiker. Nach der Weltausstellung von 1878 veröffentlichte D. »I, es fêtes nationales à Paris« in einer Prachtausgabe; 1879 folgte »Mon vieux Paris«, das einen Preis der französischen Akademie erhielt, und der Roman: »Le dernier des Trémolin«; ferner gab er heraus: »La mort de Louis XIV, journal des Anthoine«, und »Papiers inédits du duc de Saint-Simon. Lettres et dépêches sur l'ambassade d'Espagne« (beide 1880). Erst durch den antisemitischen Feldzug, zu dem er 1886 mit »La France juive« (2 Bde.) den Anstoß gab, ward D. aber eine weltbekannte Persönlichkeit. Das in erster Instanz zur Beschlagnahme verurteilte Werk wurde von dem Appellhof wieder freigegeben und fand riesenhafte Verbreitung. Seine Angriffe setzte er dann fort in den Schriften: »La fin d'un monde« (1888), »La dernière bataille« (1890), »Le testament d'un antisémite« und »Le secret de Fourmies« (1892), die D. mehrere Duelle zuzogen, so mit dem Redakteur des »Gaulois« und dem frühern Unterpräfekten Isaac. D. gründete 1892 das antisemitische Hetzblatt »La Libre Parole«, das in der Dreyfusaffaire eine führende Rolle spielte. Von 1898 bis 1902 vertrat er die Stadt Algier in der Kammer. Er schrieb ferner: »De l'or, de la boue, du sang« (1896), »Les Juifs et l'affaire Dreyfus« (1899) und »Statues de bronze et bonshommes de neige« (1901)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Drumont, Édouard Adolphe <1844 - 1917>: Das verjudete Frankreich : Versuch einer Tagesgeschichte / von Eduard Drumont. Autoris. dt. Ausg. von A. Gardon. -- Berlin : A. Deubner, 1886-1887. -- Originaltitel: La France juive : essai d'histoire contemporaine (1886). -- 2 Bde. : 460 S. ; 424 S.


Abb.: Umschlagtitel einer illustrierten französischen Volksausgabe [Bildquelle: http://www.chass.utoronto.ca/french/sable/recherche/catalogues/Dreyfus/Dreyfus.htm. -- Zugriff am 2005-02-22]

3 Apostelgeschichte

"Apostelgeschichte (Acta oder Actus apostolorum), das fünfte historische Buch des Neuen Testaments, gibt sich selbst als Fortsetzung des dritten, dem Lukas zugeschriebenen Evangeliums. In dem ersten Teil des Buches wird die Entstehung der Gemeinden in Palästina und Syrien erzählt, wobei besonders die Person des Apostels Petrus hervortritt.

Der zweite Teil (Kap. 13-28) schildert ausschließlich die Wirksamkeit des Apostels Paulus, dessen Bekehrung bereits im ersten Teil erzählt war, und bricht ab mit Angabe seiner zweijährigen Gefangenschaft in Rom. Sehr deutlich zeigen sich ältere Quellen, die der Verfasser benutzt und in sein Werk verflochten hat, z. B. 16, 10-17; 20, 5-15; 21, 1-18; 27, 11-28, 16, wo mit »wir« erzählt wird (daher »Wirquelle« genannt). In der ersten Hälfte hat die Darstellung mehr den Charakter des Wunderbaren und Sagenhaften festgehalten als in der zweiten, wo sie namentlich gegen den Schluss als auf Augenzeugenschaft beruhende Berichterstattung erscheint. Dagegen ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, zwischen den Angaben über die Wirksamkeit des Paulus, die sich in den Briefen desselben finden, und denen der Apostelgeschichte, namentlich in Bezug auf den sogen. Apostelkonvent und auf des Paulus Verhältnis zu Petrus, eine volle Übereinstimmung herzustellen. Hieran knüpft sich die verschiedene Beurteilung des Wertes, den die Schrift für die Kenntnis des apostolischen Zeitalters hat. Im Gegensatze zu der ältern Auffassung als einer streng geschichtlichen Darstellung wies die sogen. Tendenzkritik (Schneckenburger, Baur, Schwegler, Zeller, Overbeck) auf den sichtlich hervortretenden Parallelismus zwischen Petrus und Paulus, der sich ebenso auf die erduldeten Leiden wie auf die wunderbaren Kraftwirkungen und göttlichen Führungen beziehe, und auf die konsequente Unterdrückung aller Spuren der Kämpfe hin, die der geschichtliche Paulus mit den pharisäischen Judenchristen zu bestehen hatte. Jedenfalls will der Verfasser den Bau der christlichen Kirche und die Tätigkeit des Apostels Paulus schildern nach der Auffassung des spätern, katholisch werdenden Heidenchristentums (um den Anfang des 2. Jahrh.), das für eine unmittelbare Stiftung des Apostels gelten wollte und kein Bewusstsein von einer dazwischenliegenden Entwickelung hatte. "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Rothschild

"Rothschild, internationales Bankhaus, begründet von Mayer Anselm Rothschild, geb. 1743 in Frankfurt a. M. als Sohn einfacher jüdischer Handelsleute, gest. daselbst 19. Sept. 1812. Zum Rabbiner bestimmt, besuchte er einige Jahre die Religionsschule in Fürth, trat jedoch bald als Gehilfe in ein Bankgeschäft zu Hannover. Mit einem kleinen Vermögen nach Frankfurt zurückgekehrt, gründete er hier ein eignes Wechselgeschäft. Tüchtigkeit, Fleiß und Gediegenheit des Charakters erwarben ihm schnell bedeutende Aufträge und wachsenden Kredit. Durch seine Kenntnisse im Münzwesen kam er in mannigfache Berührung mit dem Landgrafen, nachherigen Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen, der ihn 1801 zu seinem Hofagenten ernannte. Im nächsten Jahre schloss Rothschild das erste große Anlehen seines Hauses mit dem dänischen Kabinett im Betrage von 10 Mill. Tlr. ab. Als 1806 der hessische Kurfürst vor den einrückenden Franzosen floh, übertrug er Rothschild die Sorge für sein Privatvermögen, und es gelang diesem, nicht ohne persönliche Gefahr dasselbe zu retten. Rothschild hinterließ außer fünf Töchtern fünf Söhne, von denen der älteste das Stammgeschäft in Frankfurt übernahm, die andern in Wien, Paris, London und Neapel neue Häuser gründeten, die zwar selbständig operierten, aber beständig Fühlung mit dem Frankfurter Haus »M. A. v. Rothschild u. Söhne« behielten. Nachdem sie, mit Ausnahme Nathans, schon 1815 vom Kaiser von Österreich in den Adelstand erhoben worden, wurden sie 1822 sämtlich in den österreichischen Freiherrenstand aufgenommen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Freimaurer

"Freimaurerei (Maurerei, franz. Franc-maçonnerie, engl. Free masonry), Lebenskunst: nach innen edle Gesinnung, selbstbewusste, auf die Erfüllung der menschlichen Bestimmung hingerichtete Arbeit; nach außen kunstgerechtes gesellschaftliches Bauen an der Vollendung der Menschheit. Der Pflege und Fortpflanzung der Freimaurerei dient der Freimaurerbund (die Freimaurerbruderschaft, nicht »Orden«), der alle Einzelbünde als gemeinsames Band umschließt und eine von allen trennenden Unterschieden des Ranges, Standes, der Volksart und des religiösen Bekenntnisses freie Verbrüderung ist, gebunden nur an das Sittengesetz, an das allen höher strebenden Menschen Gemeinsame. Obgleich der Bund keine einheitliche Organisation und Oberleitung hat, sondern sich in einzelne freie, weltbürgerliche Gemeinden (Logen) und Gemeinschaften (Großlogen) gliedert, so ist er doch seinem innersten Wesen nach ein einiger und allgemeiner. Die Mittel, die er zur Erreichung seines Zweckes anwendet, sind neben Ausführung symbolisch-dramatischer Handlungen (Ritus, Gebrauchtum) vor allem Lehre und Beispiel, sodann die Pflege schöner Geselligkeit und die Übung humaner Werktätigkeit. Der Freimaurerbund ist kein Geheimbund, sondern eine »geschlossene« Gesellschaft; denn geheim ist weder sein Bestehen, noch sind es seine Grundsätze, Mitglieder, Gesetze und seine Geschichte. Geheimhaltung gelobt der Freimaurer (nicht durch einen Eid, sondern lediglich durch das Wort eines ehrlichen Mannes) nur bezüglich der sogen. Erkennungszeichen (Ausweise) und des Kultus. Die Gebräuche und Symbole enthalten nichts, was der guten Sitte und den Staatsgesetzen entgegenläuft, sie sind rein ethischer (moralischer) Natur. Die Wirksamkeit des Bundes ist eine geistige, nach innen gerichtete, und eine äußere, sichtbare. Die erstere besteht in der geistig-sittlichen Einwirkung auf die Mitglieder, um sie zur Selbstveredelung und zur Befreiung von Vorurteil, Aberglauben und Leidenschaften zu erziehen. Die äußere Wirksamkeit richtet sich auf Werke der Barmherzigkeit und Menschenliebe, auf Pflege und Gründung wohltätiger Institute.

Was die Organisation des Bundes anlangt, sv ist derselbe in selbständige Genossenschaften (Großlogen) föderativ gegliedert; als Ganzes besteht er nur in der Gemeinschaft des Zweckes und der Grundsätze sowie in dem brüderlichen Verhältnis aller Logen untereinander, vorzugsweise verkörpert in der besuchsweisen Zulassung zu den Versammlungen, in dem Rechte der Freizügigkeit (Affiliation) und der Pflicht gegenseitigen sittlichen Beistandes. Innerhalb der Loge herrscht Gleichberechtigung; alle maurerischen Ämter entspringen der freien Wahl. Die Logen eines Bezirks oder Landes bilden eine Großloge oder einen freien Logenbund, innerhalb dessen wiederum das möglichste Maß von Selbständigkeit herrscht. Die Großloge ist eine Verwaltungsbehörde zur Unterhaltung der Verbindung unter den zu ihr gehörigen Logen, zur Ausgleichung von Streitigkeiten wie zur Aussicht über die Beobachtung der Statuten. Zugleich vertritt sie die Logen ihres Bundes dem Staate gegenüber. Die Großlogen haben das Recht, alles zu verfügen, was die Aufrechthaltung der Verfassung und die Vollziehung der Gesetze fordert. Bei den Versammlungen der Großloge ist jede Tochter- oder Bundesloge entweder durch ihren Stuhlmeister oder durch einen frei gewählten Repräsentanten vertreten. An der Spitze der Großloge stehen ein Großmeister und ein Beamtenrat. Gegenwärtig können sich Logen nicht aus eigner Machtvollkommenheit bilden, sondern sie haben zu gesetzmäßigem Bestand die urkundliche Ermächtigung (Konstitution, Freibrief) von Seiten einer Großloge nötig. Eine Loge wird begründet durch eine hinreichende (gesetzmäßige) Anzahl von Brüdern, die sich unter dem Nachweis von dem Vorhandensein der nötigen geistigen Kräfte und materiellen Mittel mit der Bitte um eine Konstitution an eine der gesetzmäßig anerkannten Großlogen wenden. Die Großloge erteilt dieselbe, wenn keine Bedenken vorliegen, und weiht die neue Loge ein, wonach diese sich dann nach den ihr erteilten Gesetzen und Gebräuchen (Ritualen) fortan zu richten hat, gleichzeitig aber auch von allen Freimaurerwerkstätten der Welt als gerechte und vollkommene Loge anerkannt wird. Nicht gehörig konstituierte Logen heißen Winkellogen, deren Mitglieder in andern Logen nicht als Besuchende zugelassen werden. Die Logen heißen Johannislogen, weil sie Johannes den Täufer als Patron verehren, und sie arbeiten in den drei Graden des Lehrlings, Gesellen und Meisters. Mit Rücksicht auf die in ihnen übliche Farbe heißen sie auch blaue Logen. Logen, die während eines Krieges im Feld arbeiten, heißen Feldlogen. Jede Loge führt einen symbolischen Namen, dem der Name des Ortes, wo sie ihren Sitz hat, beigesetzt wird, z. B. Minerva zu den drei Palmen im Orient zu Leipzig. Außer den eigentlichen Mitgliedern gibt es noch Ehrenmitglieder, Brüder auswärtiger Logen, die sich um die Loge oder den Bund verdient gemacht haben, musikalische Brüder, die meist keine Beiträge zahlen, dagegen die Feierlichkeiten der Logen durch Musik erhöhen, und dienende Brüder, die nicht stimmfähig sind und die Aufwartung in der Loge und bei Tafel etc. besorgen. Der Meister vom Stuhl (Logenmeister) leitet die Logenangelegenheiten. Ihm zur Seite steht in größern Logen der »deputierte oder zugeordnete Meister«. Die übrigen Beamten werden entweder aus den Meistern gewählt oder vom Meister vom Stuhl ernannt; es sind: zwei Aufseher, Zeremonienmeister, Sekretär, Archivar, Bibliothekar, Schatzmeister, Armenpfleger, Redner und die Schaffner (Stewards). Sämtliche Beamten bilden das Beamtenkollegium (Beamtenloge), das wichtige Logensachen vor der eigentlichen Versammlung berät. In mehreren Ländern hat der Regent oder ein Prinz das Protektorat der Logen seines Landes. Zu den Beamten gehört auch der Wachthabende (Türhüter oder Ziegeldecker), der darauf achtet, dass während der Versammlung kein Unbefugter eintrete. Als Bedingungen der Aufnahme in den Freimaurerbund stellt die Verfassung fest: staatsbürgerliche Freiheit und Volljährigkeit, guten Ruf, idealen Sinn, angemessene Bildung und Berufsbeschäftigung, Unterwerfung unter die Gesetze des Bundes. In den Logen schwedischen Systems (Schweden, Norwegen, Dänemark, Große Landesloge von Deutschland in Berlin) und in denen der Großloge zu den drei Weltkugeln in Berlin tritt noch das Erfordernis des christlichen Bekenntnisses hinzu. Hat der Petent (Suchende), der durch ein Mitglied dritten Grades angemeldet sein muss, die ihm behändigten Fragen beantwortet, so wird über ihn abgestimmt, und er erhält nach erfolgter Aufnahme ein Zertifikat als Ausweis beim Besuch fremder Logen. Der Übertritt eines Freimaurers in eine andre Loge erfolgt durch Affiliation (Einverbrüderung). In den zweiten und dritten Grad sowie in die höhern Grade geht man durch besondere »Beförderungslogen«. Der Sohn eines Maurers (Lufton, altengl. lewis, Stärke) genießt bei der Aufnahme einige Vorteile. Die sogen. höhern Grade, die seit 1740 entstanden sind und je nach dem System 7-95 Grade umfassen, werden da und dort noch neben den alten Graden gespendet, gehören aber eigentlich nicht zur Freimaurerei Sie beruhen auf Fälschung. Die unter einer Großloge stehenden Logen (Töchterlogen) bilden einen Logenbund (System) und die meisten Großlogen stehen unter sich im Verhältnis gegenseitiger Repräsentation (einer Art von Gesandtschaften) und tauschen ihre Verhandlungen (Protokolle) gegeneinander aus. Die zu einem Logenbund (Großloge) vereinigten Logen haben eine gemeinsame Verfassung, die fast überall auf demokratischer Grundlage ruht. Nur bei den Großlogen schwedischen Systems ist eine hierarchische Verfassung üblich. Gewisse Grundgesetze gelten für die ganze Bruderschaft im allgemeinen, außerdem hat aber jeder Logenbund und jede einzelne Loge besondere Gesetze (Lokalgesetze). Isolierte (unabhängige) Logen stehen unter keiner Großloge; Provinziallogen heißen die Logen einer Provinz, die unter einer Großloge stehen. Will ein Freimaurer wieder aus der Loge treten, so »deckt« er die Loge, d. h. erklärt seinen Abgang. Mitglieder, die ihre Pflichten nicht erfüllen, werden »gestrichen« oder wegen sittlicher oder maurerischer Vergehen »ausgeschlossen«. Die meisten Symbole der Freimaurerei sind der Baukunst entlehnt und haben eine sittliche Bedeutung. Die Freimaurer erkennen sich untereinander an Zeichen, Griff und Wort, gewisse Erkennungs- (Pass-) Worte sind für jeden Grad bestimmt. Ein Notzeichen darf nur in Lebensgefahr und in höchster Not angewendet werden und verpflichtet jeden Bruder zur Hilfeleistung. Bedeutungsvoll sind auch gewisse Zahlen, vor allen als »heilige Zahl« dreimal 3 oder 9, ferner die 5 und 7. Außer den Arbeits- (Aufnahme- und Beförderungs-) Logen gibt es Instruktions- und Festlogen (Johannis- und Stiftungsfest). Trauerlogen werden zum Gedächtnis verstorbener Brüder abgehalten. Die Logentage pflegen im Logenkalender verzeichnet zu sein, welcher der Logenliste, dem Verzeichnis sämtlicher Brüder, angehängt ist. Nach Festlogen und Aufnahmen werden oft Tafellogen gehalten. Die Brüder bleiben dabei in ihrer Bekleidung und beobachten ein vorgeschriebenes Ritual; Reden (Toaste), Musik und Gesang besonderer Freimaurerlieder würzen das Mahl. Geschieht das Zusammenspeisen ohne maurerische Bekleidung, so heißt es ein Brudermahl. Wie sich die Tafelloge zum Brudermahl verhält, so zur eigentlichen Loge der Logenklub, d. h. eine meist wöchentliche Versammlung, woran nur Maurer teilnehmen, jedoch ohne maurerische Bekleidung und Ritual, und wobei maurerische Gegenstände besprochen werden. Unter Schwestern versteht die Freimaurerei neben den leiblichen Schwestern der Brüder auch deren Gattinnen und Bräute; manche Logen vereinen sie bei feierlichen, außerordentlichen maurerischen Begebenheiten zu Schwesterlogen. Die französische Maurerei hat auch Adoptionslogen, an denen Frauen und Männer zugleich teilnehmen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

6 Spinoza

"Spinoza (eigentlich d'Espinosa), Baruch (Benedikt), berühmter Philosoph, geb. 24. Nov. 1632 in Amsterdam als Sohn jüdischer Eltern portugiesischen Ursprungs, gest. 21. Febr. 1677 im Haag, besuchte die Schulen der portugiesisch-jüdischen Gemeinde in Amsterdam, ohne jedoch einen theologischen Grad zu erwerben, wurde seiner freien Religionsanschauungen wegen in den Bann getan (1656), lebte 1660-63 in Rijnsburg bei Leiden, dann bis 1670 in Voorburg beim Haag, zuletzt im Haag, wo er sich seinen Unterhalt zum Teil durch Schleifen optischer Gläser erwarb, sonst von Freunden durch ausgesetzte Jahrgelder unterstützt ward. Eine ihm 1673 vom Kurfürsten von der Pfalz angebotene Professur in Heidelberg schlug er aus, um sich die volle Freiheit des Denkens wahren zu können, und starb arm und unvermählt an der Lungenschwindsucht. Ein Standbild (von Hexamer) ist ihm 1880 im Haag errichtet worden. Über die Entwickelung seines Gedankenkreises steht so viel fest, dass er talmudistische Studien gemacht hatte und mit den Cartesianischen Schriften und Giordano Bruno zeitig genauer bekannt wurde. Die religiöse Freigeisterei der Kollegianten in Amsterdam und Rijnsburg hatte gleichfalls Einfluss auf ihn. Zuerst verfasste er, noch vor 1660, den »Traktat über Gott und den Menschen und dessen Glückseligkeit« (»De deo et homine eiusque felicitate«). Es war dies der erste Entwurf seines Systems, erst in neuerer Zeit von van Vloten aufgefunden und zwar in holländischer Sprache, in der er vielleicht sogar niedergeschrieben war. Es folgten der »Traktat über die Verbesserung des Verstandes« (»De intellectus emendatione«, unvollständig), der »Theologisch-politische Traktat« (»Tractatus theologico-politicus«, 1670 anonym erschienen), ferner eine wenig selbständige Darstellung der Cartesianischen Prinzipien (»R. des Cartes Principiorum philosophiae pars I et II more geometrico demonstratae«, Amsterd. 1663). Das epochemachende Hauptwerk, die »Ethik« (»Ethica ordine geometrico demonstrata«), wurde erst nach seinem Tode von dem Amsterdamer Arzte Schuller herausgegeben zusammen mit dem »Traktat über die Verbesserung des Verstandes«, dem »Politischen Traktat« (»Tractatus politicus«, unvollendet), dem für die Erklärung seiner Schriften wichtigen Briefwechsel und einem Kompendium der hebräischen Grammatik, unter dem Titel »Opera posthuma«, Amsterdam 1677. Spinozas »Ethik« ist der Form nach, im Gegensatz zu der analytischen (regressiven, von den Folgen auf die Gründe zurückgehenden) Denkweise des Descartes, in synthetischer (progressiver, von dem ersten Grund zu den äußersten Folgerungen fortschreitender) Darstellung und nach der mathematischen Methode des Eukleides in Grundbegriffen, Axiomen, Propositionen, Demonstrationen und Korollarien abgefasst, wodurch sie, gleich ihrem Vorbilde, den Anschein unumstößlicher Gewissheit empfängt. Dem Inhalt nach stellt sie gleichfalls einen Gegensatz zum Cartesianismus dar, indem an die Stelle der dualistischen eine monistische Metaphysik tritt. Spinozas Philosophie knüpft daher zwar an die des Descartes (s. d.) an, aber nur, um dessen System der Form und dem Inhalt nach aufzuheben. Sie ist mit ihrer Vorgängerin zwar darüber einverstanden, dass Geist, dessen Wesen im Denken, und Materie, deren Wesen in der Ausdehnung besteht, einen Gegensatz bilden; jener ohne das Merkmal der Ausdehnung, diese ohne das des Denkens gedacht werden kann. Aber Spinoza leugnet, dass dieser Gegensatz ein Gegensatz zwischen Substanzen (Dualismus) sei, sondern setzt ihn zu einem solchen zwischen bloßen »Attributen« ein und derselben Substanz herunter. Da nämlich aus dem Begriff der Substanz, d. h. eines Wesens, das seine eigne Ursache (causa sui) ist, folgt, dass es nur eine einzige geben kann, so können Geist und Materie, die zwei angeblichen Substanzen des Cartesius, nicht selbst Substanzen, sondern sie müssen Attribute einer solchen, der wahren und einzigen Substanz, sein, die an sich weder das eine noch das andre ist. Diese einzige Substanz, die als solche mit Notwendigkeit existiert, und zu deren Natur die Unendlichkeit gehört, nennt Spinoza Gott (deus), dasjenige, was der Verstand (intellectus) von ihr als ihr Wesen (essentia) ausmachend erkennt, Attribut. Die Substanz selbst besteht aus unendlichen Attributen, deren jedes nach seinem Wesen deren ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt. Zwei dieser Attribute sind nun Denken und Ausdehnung, dieselben, die, nach Descartes, als Wesen des Geistes und der Materie diese zu zweierlei entgegengesetzten Substanzen machen sollten; unter dem erstern aufgefasst, erscheint die Substanz dem Intellekt als das unendlich Denkende (als unendliche Geisteswelt), unter dem zweiten aufgefasst, als das unendlich Ausgedehnte (als unendliche Stoffwelt); beide sind, da außer Gott keine andre Substanz existiert, der Substanz nach identisch, keine qualitativ entgegengesetzten Substanzen mehr, weshalb der Cartesianische Einwand gegen die Möglichkeit der Wechselwirkung zwischen Geist und Materie, Seele und Leib beseitigt erscheint. Hiermit ist im Gegensatz zu dem gewöhnlichen und cartesianischen Dualismus der entschiedene Monismus gelehrt. Das unendliche, als solches unbestimmte Denken zerfällt nun durch inhaltliche Bestimmungen in unzählig viele Gedanken (Ideen); die unendliche, als solche unbegrenzte, Ausdehnung zerfällt durch räumliche Begrenzung in unzählig viele Stoffmassen (Körper), die sich untereinander ebenso gegenseitig ausschließen, als sich in stetiger Reihenfolge gegenseitig berühren. Spinoza bezeichnet diese Bestimmungen als Modi, d. h. als Affektionen der Substanz, die Ideen als solche, insofern die Substanz unter dem Attribut des Denkens, die Körper als solche, insofern sie unter dem Attribut der Ausdehnung vorgestellt wird. Da beide Attribute der Substanz nach identisch sind, das unendliche Denken aber der Summe aller einzelnen Denkbestimmungen (Ideen), die unendliche Materie der Summe aller einzelnen begrenzten Stoffteile (Körper) gleich ist, so müssen auch diese beiden in ihrer stetigen Reihenfolge untereinander (der Substanz nach) identisch, und kann zwischen der (idealen) Gesetzmäßigkeit des Ideenreichs und der (mechanischen) Gesetzmäßigkeit der Körperwelt kein Gegensatz vorhanden sein. Spinoza stellt daher nicht nur den Satz auf, dass aus dem unendlichen Wesen Gottes (als natura naturans) Unendliches auf unendlich verschiedene Weise folge (als natura naturata), sondern auch den weitern, dass die Folge und Verknüpfung der Ideen, die ideale, und jene der ausgedehnten Dinge, die reale Weltordnung, ein und dieselbe (ordo et connexio idearum idem est ac ordo et connexio rerum) seien, womit die Identitätsphilosophie ausgesprochen ist. Folge des erstern Satzes ist, dass die Gesamtsumme der Wirkungen Gottes, die Welt der Erscheinungen, ihrer Beschaffenheit sowohl als ihrer Verknüpfung nach als eine unabänderliche, von Ewigkeit her feststehende, angesehen werden muss. Folge des zweiten ist, dass die im Reiche des Geistes waltende Gesetzlichkeit von der das Reich der Materie regelnden (mechanischen) nicht verschieden, das die Erscheinungen der Natur ausnahmslos beherrschende Kausalgesetz daher auch das die Erscheinungen des Geistes bestimmende sei. So wenig in der Körperwelt eine Wirkung ohne zwingende Ursache, so wenig ist in der Geisteswelt ein Willensentschluss ohne nötigendes Motiv möglich, womit der volle Determinismus gegeben ist. Die geistigen wie körperlichen Erscheinungen selbst als Entfaltung der Substanz (des all-einen Seins) sind weder das Werk einer Vorsehung, da die Substanz als solche weder Intelligenz noch Willen besitzt, von einem »Weltplan« nicht die Rede sein kann, noch eines blinden Verhängnisses, da die Substanz Ursache ihrer selbst und von nichts außer ihr abhängig ist. Die Beschaffenheit und Reihenfolge der Erscheinungen sind nicht durch Zwecke, sondern lediglich durch wirkende Ursachen bestimmt; sie und weder gut (nützlich) noch schlecht (schädlich), sondern einfach notwendig. Als solche ist die Welt weder die beste noch die schlechteste unter mehreren möglichen, sondern die einzig mögliche. Die Erkenntnis dieser unabänderlichen Weltordnung ist es, die den Weisen vom Toren scheidet. Während der letztere vom Weltlauf die Erfüllung seiner Wünsche hofft oder deren Gegenteil fürchtet, erkennt der erstere, dass jener unabhängig von diesen unabänderlich feststeht und daher weder Hoffnung noch Furcht einzuflößen vermag. Die philosophische Erkenntnis besteht darin, die Dinge zu schauen unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit, sub specie aeternitatis, d. h. jedes Einzelne (Idee, Körper, Ereignis) im Zusammenhang als Glied des unendlichen Ganzen, als aus Gott ewig und notwendig hervorgehend. Die philosophische Gemütsstimmung besteht einerseits in der Resignation, d. h. in der Ergebung, die aus der Erkenntnis der Notwendigkeit, anderseits in der intellektualen Liebe zu Gott, die aus der Erkenntnis der (ursprünglichen) Göttlichkeit des Weltlaufs entspringt und darin besteht, dass wir Freude haben in der Zurückführung der Dinge auf Gott in adäquater Erkenntnis. An das unadäquate Erkennen, Wahrnehmen, Vorstellen, wobei die Dinge als selbständig, frei angesehen werden, knüpfen sich die leidenden Zustände der Seele, die Affekte, die den Menschen in Knechtschaft bringen, im Gegensatz zur Freiheit, die in der intellektualen Liebe zu Gott besteht und zugleich Glückseligkeit ist. In der Erörterung dieser Affekte bietet Spinoza Treffliches. Wird so für die Resignation wie für die Liebe zu Gott Erkenntnis des Wesens der Welt als Enthüllung Gottes vorausgesetzt, so ist es erklärlich, wie die pantheistische Metaphysik die unentbehrliche Vorbedingung zu der Ethik Spinozas bildet, und wie das erste Buch der »Ethik« von Gott (de deo) handelt. Sowohl wegen des echt philosophischen Ergebnisses in praktischer Hinsicht wie wegen des auf den Zusammenhang des Ganzen als Weltorganismus gerichteten Blickes (den übrigens Leibniz zum mindesten im gleichen Grade besaß) in theoretischer Hinsicht hat die Philosophie Spinozas, die anfänglich nur in Holland einen kleinen Kreis von Anhängern fand (den Arzt Meyer, Schuller u. a.), ein Jahrhundert später bei Größen ersten Ranges, wie Lessing, Jacobi, Herder, Goethe u. a., Bewunderung, bei Fichte, Schelling, Hegel mehr oder weniger eingestandene Nachahmung gefunden."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

7 Leverrier

"Leverrier (spr. löwerrje), Urbain Jean Joseph, Astronom, geb. 11. März 1811 in St.-Lô (Depart. La Manche), gest. 23. Sept. 1877 in Paris, besuchte die Polytechnische Schule in Paris, wurde dann Chemiker und 1833 Ingenieur bei der Tabaksverwaltung, später Lehrer am College Stanislas und Repetent an der Polytechnischen Schule, wandte sich dann astronomischen Studien zu und veröffentlichte bereits 1839 seine Untersuchungen über die säkularen Störungen der Planetenbahnen. Sodann begann er die Untersuchung der Merkurbewegung und der Uranusbewegung, die ihn 1846 zu dem Resultat führte, dass jenseits vom Uranus noch ein Planet vorhanden sein müsse, der auf den Uranus störend einwirke, und bestimmte auch den Ort dieses Planeten, den dann Galle 23. Sept. 1846 nahe der bezeichneten Stelle auffand (vgl. Neptun). Leverrier ward 1846 Professor der Mécanique céleste bei der Faculté des sciences und Mitglied der Akademie und des Bureau des longitudes, 1849 Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung, 1852 Senator und 1854 Direktor der Sternwarte, welche Stellung er bis zu seinem Tode innehatte, mit Ausnahme von 1870-72, wo er infolge Streitigkeiten mit dem Personal der Sternwarte seiner Stellung enthoben war. Die Leistungen Leverriers in der Theorie der planetarischen Bewegungen stehen einzig da; für alle großen Planeten veröffentlichte er genaue Tafeln ihrer Bewegungen in den Banden 4-14 der »Annalen der Pariser Sternwarte«, die lange Jahre die Grundlage aller Vorausberechnungen liefern."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8 Zu den Jesuiten siehe:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXI: Jesuiten  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen21.htm. -- Zugriff am 2005-02-22 

9 Ignaz von Loyola: Gründer des Jesuitenordens

"Loyola (spr. lojola), Ignaz von, eigentlich Inigo Lopez de Recalde, der Stifter des Ordens der Jesuiten, geb. 1491 auf dem Schloß Loyola in der baskischen Provinz Guipuzcoa, gest. 31. Juli 1556, verlebte seine Jugend als Page am Hofe Ferdinands des Katholischen und wurde bei der Verteidigung von Pamplona gegen die Franzosen (1521) am rechten Bein schwer verwundet. Während der Heilung durch Lesen von Heiligenlegenden zum religiösen Schwärmer geworden, verteilte er nach seiner Herstellung seine Güter unter die Armen, pilgerte nach dem Kloster Montserrat, weihte hier dem wundertätigen Marienbild seine Waffen, erklärte sich zum Ritter der heiligen Jungfrau, lebte in einer Grotte in der Nähe von Manresa ganz der Selbstpeinigung und Kontemplation und schaute in zahlreichen Visionen die Geheimnisse der Dreieinigkeit, Weltschöpfung, Menschwerdung und des Teufels. 1523 pilgerte er nach Palästina, um sich der Bekehrung der Mohammedaner zu weihen, kehrte jedoch 1524 über Venedig nach Barcelona zurück und begann hier das Studium der lateinischen Grammatik. Zwei Jahre später bezog er die Universitäten Complutum (Alcala) und Salamanca, an beiden Orten durch die übernommene Seelenleitung von Männern und Frauen die Blicke der Inquisition auf sich ziehend, die in ihm ein Glied der mystischen Sekte der Alumbrados (s. d.) witterte und ihn mehrfach einsperrte; 1528 begab er sich nach Paris und gründete hier mit Laynez, Salmeron, Bobadilla, Rodriguez, Pierre Lefèvre und Franz Xaver 1534 eine fromme Verbindung; sie gelobten, in Jerusalem Krankenpflege und Mission zu üben. Da indes einige ihre Studien noch nicht beendet hatten, kehrte Loyola bis zu diesem Zeitpunkt nach Spanien zurück. 1537 trafen sie aufs neue in Venedig zusammen, wo Loyola den neuen Orden der Theatiner (s. d.) kennen lernte, der ihn in der Überzeugung stärkte, daß die innere Mission in der Kirche zunächst wichtiger sei als die äußere. So bildete er seine Gesellschaft zu einer Priestergesellschaft um mit dem Zweck, sich nicht nur dem eignen Seelenheil, sondern auch dem der Mitmenschen zu widmen, und beschloß gleichzeitig, dies »Fähnlein Jesu« (»Compañia Jesu«) unter den Oberbefehl des Papstes zu stellen (s. das Nährere im Art. »Jesuiten«). In Rom, wohin sich Loyola 1538 begab, wurde die Reinheit seiner Lehre und Pläne anfangs stark in Zweifel gezogen. Endlich erteilte Papst Paul III. dem neuen Orden 27. Sept. 1540 die vorläufige und 1543 die unbedingte Bestätigung. Loyola wurde zum ersten Ordensgeneral erwählt (1541), verrichtete aber auch als solcher in der Kirche seines Ordenshauses in Rom die niedrigsten Dienste, widmete sich dem Unterricht von Kindern, sammelte Almosen zur Bekehrung der Juden und Freudenmädchen. 1550 gründete er das Collegium Romanum, 1552 das Collegium Germanicum (s. Collegia nationalia oder pontificia). War er früher Ekstatiker und Schwärmer im Exzeß gewesen, so entfaltete er in seiner Stellung als Ordensgeneral jene seine Weltkenntnis und gefährliche Politik, die seither Erbteil seines Ordens geblieben sind. 1622 wurde er von Gregor XV. heilig gesprochen. Sein Tag ist der 31. Juli. Man besitzt von Loyola zwei Werke in spanischer Sprache: die »Ordenskonstitutionen« (lateinisch, gedruckt zuerst Rom 1583) und »Geistliche Übungen« (beste Ausgabe von Martin, Bilbao 1887; deutsch von Handmann, Regensb. 1904). "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

10 evoe = euhoe, Interjektion (griechisch: ευοι), Jubelruf der Bacchantinnen, d.h. der Teilnehmerinnen an Bacchanalien,  dem Bacchusfest der Römer, welches unter solchen Ausschweifungen begangen wurde, dass es durch einen inschriftlich noch erhaltenen Beschluss des römischen Senats 186 v. Chr. verboten wurde

11  Ananke (griechisch: α̉νάγκη): Notwendigkeit

12 Gambetta

"Gambetta (spr. gangb-), Léon Michel, franz. Staatsmann, geb. 3. April 1838 in Cahors, gest. 31. Dez. 1882, aus Genua stammend, trat 1859 als Advokat in das Barreau von Paris. Als Sekretär Lachauds, dann Crémieux' machte er sich als Verteidiger in einigen politischen und Pressprozessen durch seine scharfe und beredte Opposition gegen das Kaiserreich sehr bemerklich. Infolgedessen wurde er bei den allgemeinen Wahlen als Kandidat der unversöhnlichen Opposition in den Gesetzgebenden Körper gewählt. Als Hauptwortführer der äußersten Linken hielt er mehrere glänzende Reden. Seine Beredsamkeit war zwar nicht gedankenreich, aber schwungvoll, treffend und wirksam; sein mächtiges, klangvolles Organ kam ihm dabei sehr zu statten. Er tadelte 15. Juli 1870 die leichtfertige Art der Kriegserklärung, stimmte aber für Bewilligung der verlangten Kredite. Am 4. Sept. proklamierte er die Thronentsetzung Napoleons III. und seiner Familie auf ewige Zeiten und übernahm in der Regierung der Nationalverteidigung das Ministerium des Innern. Am 6. Okt. verließ er das belagerte Paris in einem Luftballon und begab sich nach Tours, wo sich eine Delegation der Regierung befand. Er übernahm dort neben dem Ministerium des Innern auch das Departement des Krieges und das der Finanzen, riss eine unumschränkte Diktatur an sich und verstand es, die Leidenschaften des Volkes zu entzünden, dem Krieg einen unversöhnlichen Charakter zu geben (guerre à outrance) und durch Aufbietung aller waffenfähigen Mannschaft neue Armeen gleichsam aus dem Boden zu stampfen. Beherrscht von der republikanischen Legende der siegreichen Volkserhebung von 1792 und 1793, hatte er den Glauben und wusste ihn auch eine Zeitlang der Nation einzuflößen, dass es möglich sei, durch das Entgegenwerfen großer Massen gegen die Front und durch den kleinen Krieg im Rücken der feindlichen Heere diese aufzureiben. Alle Misserfolge konnten diesen Glauben nicht erschüttern, sondern reizten ihn nur, in die Leitung der militärischen Aktionen selbst einzugreifen, Generale ab- und einzusetzen und die gewagtesten Unternehmungen direkt zu befehlen. Auch nach dem Falle von Paris wollte er von Frieden nichts wissen und suchte durch ein ungesetzliches Dekret vom 31. Jan. 1871 friedlich Gesinnte von der Nationalversammlung auszuschließen; als dies Dekret von der Regierung in Paris annulliert wurde, nahm er 6. Febr. seine Entlassung. Wenn Gambettas Tätigkeit, trotz der ungeheuern Opfer, die das französische Volk gebracht, auch Frankreich keinen greifbaren Vorteil verschafft hatte, so hatte sie doch durch den langen und zähen Widerstand die nationale Ehre gerettet. Das vergaß ihm das Volk nicht. Von neun Departements in die Nationalversammlung gewählt, stimmte er gegen den Frieden und übernahm die Führung der republikanischen Linken; zugleich gründete er ein neues Blatt: »La République Française«. Seit 1876 Mitglied der Deputiertenkammer, erlangte er als Vorsitzender der Budgetkommission auch auf die Verwaltung maßgebenden Einfluss. Während des Reaktionsversuchs 1877 leitete er den Widerstand des Landes mit großem Geschick und glänzendem Erfolg und steigerte sein Ansehen. Dennoch trat er weder an die Spitze des Ministeriums, noch bewarb er sich 1879 nach Mac Mahons Rücktritt um das Amt des Präsidenten der Republik. Er begnügte sich, Präsident der Deputiertenkammer zu werden, um sich nicht abzunutzen und von den Kulissen aus um so wirksamer die gesamte Politik beeinflussen zu können. Bei den Neuwahlen für die Deputiertenkammer, die Gambetta leitete, erlangten seine Anhänger eine so große Majorität, dass er nun nicht umhin konnte, ein Kabinett zu bilden. Dieses »grand ministère« kam 14. Nov. 1881 zustande. In der innern Politik machte Gambetta die Verfassungsrevision nebst Listenwahl zu seinem Programm; in der auswärtigen Politik wollte er die Beziehungen zu Russland enger knüpfen und ein festes Bündnis mit England schließen, um, hierauf gestützt, gegen Deutschland aufzutreten. Aber England lehnte die gemeinschaftliche englisch-französische Aktion in Ägypten, die Gambetta vorschlug, ab, und die Kammer verwarf 26. Jan. 1882 die von Gambetta beantragte Listenwahl. Sofort nahm Gambetta seine Entlassung und beschränkte sich auf seine frühere Tätigkeit, den Ministern durch die Stimmen seiner Anhänger in der Kammer seinen Willen aufzuzwingen. Ende 1882 erkrankte er in seinem Landhaus zu Ville d'Avray bei Paris tödlich. Sein glänzendes Begräbnis erfolgte 6. Jan. 1883 auf Staatskosten; seine Leiche ward in Nizza beigesetzt. In Cahors wurde ihm 1884 ein Standbild errichtet, ein andres, großartiges in Paris. Gambetta war ein glühender Patriot, ein begeisterter Redner und ein kühner, energischer Politiker, doch schrankenlos ehrgeizig und herrschsüchtig. Seine »Discours et plaidoyers politiques« (Par. 1880-84, 10 Bde.) und »Dépêches, circulaires, décrets, proclamations, etc.« (1886-92, 2 Bde.) gab Reinach heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

13 Table d'hôte (franz., spr. tabl' dot'), »Wirtstafel« in einem Gasthaus (Hotel) mit festem Preise für das Gedeck, an der die Gäste gemeinschaftlich teilnehmen, ohne sich bestimmte Speisen bestellen zu können.

14 Schächten

"Schächten (hebr. Schechita, von schachat, »schlachten«), die rituelle Schlachtmethode der Israeliten, eine Satzung des Judentums, die im biblischen und nachbiblischen Schrifttum begründet ist. Das vom mosaischen Gesetz zum Essen erlaubte Tier, das vor dem Schächten nicht betäubt werden darf, wird unter Vermeidung jeder Tierquälerei niedergelegt oder bei Geflügel gehalten und dann mit einem vorschriftsmäßigen, gänzlich schartenfreien, scharfen Messer durch den Halsschnitt getötet. Dann wird das Tier äußerlich und innerlich auf seinen Gesundheitszustand untersucht und, wenn es gesund ist, für koscher (zum Genuß gestattet), andernfalls für terefa (zum Genuß verboten) erklärt. Der Schächter (Schochet) erhält für seine Funktion, nachdem er in einer Prüfung die Kenntnis in den Vorschriften der Schlachtmethode und der Untersuchung des Viehes auf seinen Gesundheitszustand nachgewiesen hat, von dem prüfenden Rabbiner die Autorisation (Kabbala, s. d.) zum Schächten Im Königreich Sachsen und in der Schweiz ist das Schächten verboten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


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