Zur Konzeption von Individualität im Theravāda-Buddhismus im Vergleich mit ausgewählten naturwissenschaftlichen Ansätzen

3. Teil III: Beziehungsideen II: Neurobiologische Ansätze

2. Kapitel 2: Thomas Blakeslee: Selbstmodul und Selbstkonzept


von Sabine Gudrun Klein-Schwind

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Zitierweise / cite as:

Klein-Schwind, Sabine Gudrun: Zur Konzeption von Individualität im Theravāda-Buddhismus im Vergleich mit ausgewählten naturwissenschaftlichen Ansätzen. -- 3. Teil III: Beziehungsideen II: Neurobiologische Ansätze. -- 2. Kapitel 2: Thomas Blakeslee: Selbstmodul und Selbstkonzept. -- Fassung vom 2006-10-11. -- URL: http://www.payer.de/schwind/schwind32.htm.

Erstmals publiziert: 2006-10-11

Überarbeitungen:

Anlass: Magisterarbeit im Fach Indologie an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Mai 2000

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0. Übersicht



Gazzaniga prägte den Begriff des "interpreter modules", den Thomas Blakeslee als Ausgangspunkt für die Entwicklung seines "Selbstkonzepts" aufgreift.


Abb.: Thomas Blakeslee
[Bildquelle: http://www.attitudefactor.com/blakesle.htm. -- Zugriff am 2006-10-08

Das "interpreter module" ist darauf spezialisiert, die Aktivität der anderen Module zu interpretieren, d.h. so zu deuten, dass ein schlüssiger Zusammenhang entsteht, das Selbstbild -- oder um mit Blakeslee zu sprechen -- das Selbstkonzept, "self-concept". Selbstkonzept und Selbstmodul, "self module" als erweiterte Entsprechung zum "interpreter module" sind die zentralen Begriffe in Blakeslees Modell. Er ersetzt Gazzanigas Begriff durch "Selbstmodul", weil das "interpreter module" die physische Grundlage für das darstelle, was man als "Selbst" erfährt. Die beiden Hauptleistungen des Selbstmoduls sind Selbstkontrolle und Introspektion: Wenn wir kontrolliert handeln oder unser Handeln reflektieren, ist das Selbstmodul aktiv. Mit dem Begriff "Selbstkonzept" sind die erlernten bzw. erworbenen, kulturell verschiedenen Überzeugungen und Annahmen zusammengefasst, auf Grundlage derer das Selbstmodul die Wirklichkeit und die Aktivität der übrigen Module interpretiert. Als elementare Bestandteile des Selbstkonzepts bezeichnet Blakeslee die irrige Überzeugung, das Selbstmodul sei das Bewusstsein, bzw. die Aktivität des Bewusstseins erschöpfe sich der des Selbstmoduls.  Er geht davon aus, dass tatsächlich der weitaus größte Teil des Verhaltens nicht vom Selbstmodul gesteuert oder kontrolliert wird.

Entsprechend sei die Illusion von Macht und Kontrolle, die mit diesem Irrtum einhergeht "Ursache endloser Konflikte, Missverständnisse und vergeudetem Potential".1

1 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. -   S.VI (Übersetzung von mir, Sabine Schwind).

Blakeslee versucht zu zeigen, dass das Selbstkonzept lediglich ein Konstrukt ist und auf welche Weise dieses Konstrukt aufrechterhalten wird. Er widerlegt in seiner Abhandlung exemplarisch eine Reihe solcher erworbener irriger Überzeugungen über das Bewusstsein, die wesentlich für das Selbstkonzept westlicher Prägung sind, wobei er davon ausgeht, dass der Wirkungsbereich des Selbstmoduls hier in besonders hohem Maße überschätzt wird.  Außerdem legt er die Mechanismen offen, die das Selbstkonzept als kreative Leistung hervorbringen.


2.1. Das Selbstkonzept als elementarer Trugschluss


"Our self-concept is a collection of basic beliefs about consciousness and the nature of reality.   These beliefs define our conscious experience at such a basic level   that our experience will always convincingly confirm   them [...]"2

2 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S. 87.


Abb.: Drawing by Santiago Ramón y Cajal of neurons in the pigeon cerebellum. (A) Denotes Purkinje cells, an example of a bipolar neuron. (B) Denotes granule cells which are multipolar.
[Bildquelle: en.wikipedia]

Bewusstsein geht spontan hervor aus dem Prozess der Selbstorganisation von Billionen von Neuronen3, aus denen das menschliche Gehirn besteht. Blakeslee geht davon aus, dass unser Bild von uns selbst, das Selbstkonzept, diesen neurophysiologischen Tatsachen in keiner Weise entspricht, sie sogar völlig ignoriert. Das Selbstkonzept orentiere sich vielmehr an einem grundlegenden Raster von Annahmen über das Bewusstsein und die Wirklichkeit, die erworben und vom kulturellen Kontext abhängig sind. Entsprechend weiche unter verschiedenen gesellschaftlichen Umständen das Selbstkonzept bzw.  die Vorstellung von der Funktion und den Einflussmöglichkeiten des Selbstmoduls unter Umständen stark voneinander ab. Diese Überzeugungen, auf Grundlage derer wir unsere über die Sinnesorgane gewonnenen Erfahrungen deuteten, hätten wir so sehr verinnerlicht, dass wir sie als objektive Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten und nicht als erlernte Maßstäbe -- oder vielmehr erlernte Trugschlüsse -- ansähen. Obwohl die Bewusstseinstätigkeit und das Verhalten von einer Vielzahl von Modulen geleistet werde, lernten wir, dass das Selbstmodul -- lediglich eines von vielen Bewusstseinsmodulen -- alles Verhalten kontrollierte.  Bewusstsein, so Blakeslee, sei "eine kreative Konstruktion des Geistes"4, die die Pluralität der Module kognitiv zu einem einheitlichen Bewusstsein zusammenschmelze.  Sogar in einer Zeit, wo Forschungen auf dem Gebiet der Neurophysiologie diese Sichtweise eindeutig widerlegten -- die durch die Alltagserfahrung eigentlich schon hinreichend widerlegt werde -- beharre das Selbstkonzept auf seiner Illusion eines Kontrolle besitzenden Selbst als Träger des Bewusstseins.

3 Der Begriff Neuron wurde um 1890 von Wilhelm Waldeyer eingeführt, einem deutschen Anatomen, auf den auch die Bezeichnung Chromosom zurückgeht.

4 Blakeslee:   Conscious Mind, 1996. - S. 6 (Übersetzung von mir, S. Schwind).

Weil es nun aber das Selbstkonzept sei, das unsere bewusste Erfahrung strukturiere, fände es sich folglich durch Erfahrung bestätigt. Erfahrung würde nie in einer Weise definiert oder kognitiv ausgewertet, dass sie nicht mit unseren grundlegenden Überzeugungen über Bewusstsein und Wirklichkeit vereinbar wäre oder damit in Konflikt geriete. Das Selbstkonzept sei das grundlegende Konzept von Wirklichkeit überhaupt - es stelle Erfahrungen in Frage, aber würde selbst nicht durch Erfahrungsinhalte in Frage gestellt5.

5 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S. 7.


2.2. Die Selbstorganisation des Gehirns


Das Gehirn ist ein sich spontan selbst organisierendes System, das aus einer Vielzahl von Komponenten, Billionen von Neuronen, entsteht.

Schon Monate vor der Geburt sind die Billionen von Neuronen bereits angelegt, aus denen das Erwachsenengehirn besteht. Das heißt, die cerebrale Entwicklung besteht nicht in der quantitativen Erweiterung des Gehirns -- es gibt keine Vervielfältigung der Neuronen durch Teilung, wie das bei Zellen der Fall ist -- sondern in der zunehmenden Komplexität der Verschaltung der Neuronen untereinander, der Modulation. Ein Neuron kann mit bis zu einer Viertelmillion anderer Neuronen verschaltet sein, wobei der Durchschnitt bei 10.000 Verschaltungen liegt. Auch wenn dieses Netz von Verbindungen anmutet wie ein Wirrwarr, lassen sich doch einige regelmäßige sensorische und motorische Schaltkreise nachvollziehen.  Welche Konstellationen sich verfestigen und welche nicht, hängt wie gesagt davon ab, inwieweit sie sich im Wettbewerb um Kontrolle und Steuerung des Verhaltens erfolgreich durchzusetzen vermögen nach dem "survival of the fittest"-Prinzip, das die Selbstorganisation reguliert.

Die selben evolutionären Prinzipien, die phylogenetisch wirksam waren, manifestieren sich auch ontogenetisch bei der Entwicklung des kindlichen Gehirns, sie steuern die Vernetzung der Neuronen zu hochkomplexen Systemen: bereits vorhandenen primitiveren Strukturen werden komplexere hinzugefügt. Beim neugeborenen Kind sind die primitiveren Strukturen, die zum Überleben notwendig sind, bereits angelegt, während die komplexeren Neuronen-Verschaltungen durch Lernen erworben werden müssen.  Somit ist ein neugeborenes Kind nicht in der Lage zu sprechen, weil diese Strukturen noch nicht ausgebildet sind. Auch Erinnerungen, die verbal abgespeichert werden, sind noch nicht möglich. Sprechen und verbales Denken sind erst dann möglich, wenn die entsprechenden Schaltkreise durch Lernen entstanden sind: Lernen bedeutet hier die spontan organisierte Verfeinerung der neuronalen Struktur in Reaktion auf die Erfordernisse einer Situation, wo die vorhandenen Strukturen eine erfolgreiche Steuerung des Verhaltens nicht zu leisten vermögen. Die Module für den überlebensnotwendigen Saugreflex hingegen sind beim neugeborenen Kind -- als primitive Strukturen neuronaler Vernetzung -- bereits vorhanden.

Selbst-Organisation bedeutet, dass sich dieser Prozess spontan vollzieht und von keiner Instanz zentral kontrolliert oder geregelt wird, vergleichbar einem Bienenstock oder Ameisenhaufen.  Blakeslee bezeichnet Bewusstsein und die damit einhergehenden verbalen Fähigkeiten als "emergent property", als qualitativen Sprung innerhalb der Entwicklung des komplexen cerebralen Systems.

Jede einzelne Zelle des Körpers ist so als ein Bienenstock oder Ameisenhaufen sich selbständig spontan organisierender Mitochondrien etc. vorzustellen. Die Körperzellen haben diese Fähigkeit zur Selbstorganisation deshalb entwickelt, weil so die Überlebensfähigkeit des gesamten Organismus gewährleistet ist. Die spontane Selbstorganisation der Neuronen im Gehirn kann sich deshalb in so großen Schritten vollziehen, weil sie auf Grundlage von Lernen stattfindet. Die Lernfähigkeit des Gehirns funktioniert aufgrund von Verstärkung6: Wenn sich die Aktivität bestimmter miteinander verschalteter Neuronen durchsetzt, wird diese Neuronenkonstellation verstärkt, d.h. chemische Prozesse an den Anschlussstellen der Synapsen7 steigern ihre Effektivität und führen zur Kristallisation dieser speziellen bewährten Struktur.

6 Vielleicht ließe sich so die Funktionsweise der āsevanā-paccaya vorstellen. --

7 Den Begriff Synapse prägte der englische Physiologe Charles Scott Sherrington.

Blakeslee geht von einer dezentralen Organisation des Gehirns auf Grundlage von zahllosen solcher bewährter Neuronenkonstellationen, die miteinander kooperieren, aus, die er "thinking modules" nennt. Es sind diese funktionalen Neuronenbündel (functional clusters of neurons) mit Synapsen, die durch Lernen verstärkt werden, die er als Module bezeichnet.8  Er gebraucht den Begriff Modul, weil jedes dieser Neuronenbündel unabhängig das Verhalten zu steuern in der Lage ist. Unter diesen Modulen wiederum findet ein regelrechter Wettbewerb statt, welches in einer bestimmten Situation das Verhalten kontrolliert. Blakeslees Darstellung entspricht den neurobiologischen Erkenntnissen über das Lernen: In Situationen, in denen sich ein bestimmtes Modul wiederholt erfolgreich durchgesetzt und das Verhalten dominiert hat, ist dieses entsprechende Modul außer Konkurrenz und wird so wieder und wieder verstärkt und immer "mächtiger". In neuen Situationen wiederum, die insofern Herausforderungen darstellen, dass sich bereits bestehende Neuronenkonstellationen nicht erfolgreich durchsetzen können, kommt es zur Verschaltung von Neuronen, die durch chemische Austauschprozesse an den Synapsen zur Herausbildung eines neuen Moduls führen, sofern es dieser Konstellation gelingt, in der gegebenen Situation das Verhalten zu steuern.9  So organisieren sich Neuronen spontan den Erfordernissen der Situation entsprechend, indem Hunderte von Schaltkreisen eingerichtet werden, von denen sich einige wenige als erfolgreich erweisen und als Module neurophysiologisch etablieren.

8 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S.  12.

9 Blakeslee: Conscious   Mind, 1996. - S. 13.


2.3. Mechanismen des Selbstkonzeptes


Verschiedene Gehirnfunktionen und -mechanismen machen eine solche kreative Konstuktion der Realität, für die das Selbstkonzept steht, möglich. Besondere Bedeutung kommt hier dem Mechanismus zu, den Blakeslee als "gap-filling", Lückenfüllen, bezeichnet.


2.3.1. Gap-filling


Anhand einiger Beispiele aus dem Bereich der Neurobiologie des Sehens erläutert Blakeslee die Leistung des Gehirns, aus Wahrnehmungsfragmenten konsistente, vollständige Bilder zu fabrizieren. Der blinde Fleck in unserem Sichtfeld ist etwa 10mal größer als das Bild des Vollmondes am Himmel. Dennoch nehmen wir ihn in der Regel nicht wahr. Das Ausfüllen dieses blinden Flecks ist symptomatisch für die Fähigkeit des Gehirns, Inkonsistenzen in der Wahrnehmung auszugleichen. Der blinde Fleck wird nicht nur ignoriert oder "ausgeblendet", vielmehr ist dieses Lücken-Schließen eine kreative Aktivität: das Gehirn vervollständigt das lückenhafte Bild aktiv durch die Inhalte, die gewohnheitsbedingt erwartet werden.

Doch das Gehirn leistet noch weit mehr, als den blinden Fleck zu kaschieren: Um ein statisches scharfes Bild zu erhalten, ist das Auge konstant in Bewegung und scannt das Sehobjekt kontinuierlich ab. Darüberhinaus ist Farbensehen nur in einem 30° Bereich im Zentrum des Sehfeldes möglich, um das Bild zu komplettieren, wird es vom Gehirn nachträglich koloriert.


2.3.2. Gap-filling als Gedächtnisfunktion


Als ein Beispiel für eine erworbene irrige Überzeugung führt Blakeslee die Vorstellung an, dass das Gedächtnis vergangene Erfahrungen authentisch wiedergibt oder abbildet. Das Gedächtnis spielt eine außerordentlich wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des Selbstkonzeptes.10 Ebenso wie der blinde Fleck in unserem Sehfeld würden Erinnerungslücken kreativ geschlossen, so dass ein konsistentes Bild entstehe, das unser Selbstkonzept und das darauf gründende Bild von der Wirklichkeit bestätige.

10 Hierauf werde ich im   Zusammenhang mit den neurobiologischen Erkenntnissen noch   ausführlich eingehen, vgl. unten Kap. 3.6.

Blakeslee führt als Beispiel Menschen an, die aufgrund von Hirnverletzungen Amnesie erleiden -- häufig werde der Gedächtnisverlust nicht als solcher realisiert, weil die Lücke "fiktiv" geschlossen wird. Das Selbstmodul habe unverzüglich Erklärungen und Geschichten, die die verlorenen Erinnerung ersetzen sollen, parat. Dieses "Fabulieren" sei dem Betroffenen nicht bewusst -- für ihn sei die erfundene Geschichte "erinnert".

"An imagined image that seems logical can feel convincingly like a real   memory."11

11 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S. 68.

Die Erinnerung an vertraute Gegenstände sowie Körperteile ist tatsächlich lückenhaft: Die bewusste Vergegenwärtigung z.B. der eigenen Hand ist nur in groben Zügen zu leisten, Details werden nicht erinnert. Bewusstes Vergegenwärtigen bedeutet Rekonstruktion, und das wiederum heißt, so Blakeslee, dass die Wirklichkeit dem Selbstkonzept angeglichen werde.

"Memory is not a recorder of raw sensations, but rather a very concentrated and filtered record   of what we understood."12

12 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S.     69.

Auch Erinnerungen können erworben und gefälscht werden, so z.B. Ereignisse aus der eigenen Kindheit "interpoliert" werden. Blakeslee führt das Beispiel von Piaget an, dessen Kindermädchen ihm von einer erfundenen Entführung erzählt, an die er sich später lebhaft "erinnert".

In der Regel sind wir uns, so Blakeslee, dessen nicht bewusst, dass wir unsere Erinnerung fabrizieren und verinnerlichten Maßstäben, wie es hätte sein sollen, angleichen.  Er betont, dass Erinnerung ein dynamisches Phänomen sei, das sich im Laufe der Zeit verändere.  Auch drastische Änderungen in der Erinnerung muteten in der Regel außerordentlich real an -- schließlich orientierten sie sich am Selbstkonzept und würden so bestätigt und verifiziert.  Blakeslee spricht von den "revisionistischen Tendenzen" des Gedächtnisses13, die in Experimenten nachgewiesen worden seien. Blakeslee führt u.a. folgendes Experiment als Beispiel an:

13 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S.74.

In einer Studie wurden amerikanische Hochschulstudenten zu sozialen Themen befragt. Daraufhin wurde versucht, ihre Ansichten systematisch zu verändern: Diskussionen in Gruppen, wo gegen die jeweilige Überzeugung gezielt und nachdrücklich argumentiert wurde, waren eine der Methoden, um den gewünschten Gesinnungswandel zu bewirken: tatsächlich hatten diese Debatten den Effekt, dass sich die Ansichten der meisten Studenten ins Gegenteil verkehrten14. Schließlich wurden die Studenten aufgefordert, sich an die im Fragebogen formulierte Position zu erinnern - alle erinnerten sich unkorrekterweise an die Position, die sie sich nach dem absichtlich herbeigeführten Gesinnungswandel zu eigen gemacht hatten!

14 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S. 74.

Gedächtnis kann so manipuliert werden, dass es in Übereinstimmung mit den aktuellen Tatsachen "erinnert". Blakeslee führt diese revisionistischen Tendenzen darauf zurück, dass das Selbstmodul versuche, die Illusion von Kontrolle aufrechtzuerhalten.

Blakeslee geht davon aus, dass Denken und Gedächtnis untrennbar sind. In der selben Weise, wie durch Verstärkung der Synapsen die Entstehung von Denkmodulen, "thinking modules" verursacht werde, würden auch die Gedächtnismodule spontan erzeugt. Die einzigartige Gedächtnisorganisation eines Individuums definiere sich durch die Schemata, nach denen sich das Gedächtnis spontan organisiert15. So erklärt Blakeslee auch die unterschiedlichen Gedächtnisbegabungen von verschiedenen Menschen: der eine habe ein gutes Namens-, ein anderer ein gutes Zahlengedächtnis. Jede dieser Gedächtnisfunktionen werde von einem unabhängigen Modul geleistet.

15 Blakeslee: Conscious Mind, 1996. - S. 79.


Zu: 3. Teil III: Beziehungsideen II: Neurobiologische Ansätze: 3. Kapitel 3: Neurophysiologische Grundlagen des Bewusstseins