[Bildquelle: McKay Savage/Flickr. --
CC-BY 2.0]
Gastvortrag an den Universitäten Tübingen und Würzburg am 2020-06-16
Zitierweise:
Payer, Alois <1944 - >: "Buddhismus ist keine Vereinigung von Menschen, die im Stechschritt zum Nirvana marschieren" (D. Kantowsky) : eine Einführung in Buddhismus. -- URL: http://www.payer.de/einzel/stechschritt.htm
Erstveröffentlichung: 2020-06-17
Überarbeitungen:
Copyright: Creative Commons Lizenz - Verfasserangabe - Weitergabe unter gleichen Bedingungen (CC-BY-SA 3.0)
Beim Vortrag über https://zoom.us/ habe ich PowerPoint Folien benutzt. Im Folgenden Text sind diese durch rot umrandete Kästchen wiedergegeben.
Zuerst liebe Grüße Urbi et Orbi, den Zuschauern in der schönen Stadt Tübingen und im ganzen Erdkreis wie Würzburg usw.
Lassen Sie mich bitte auf gut buddhistische Weise in der Palisprache mit dem Dank an den beginnen, dem wir das Thema dieser Veranstaltung verdanken:
Namo tassa bhagavato arahato sammāsambuddhassa ("Verehrung dem Ehrwürdigen, Heiligen, Vollkommen Erwachten") (3 mal)
Erwarten sie bitte nicht, dass ich ihnen jetzt das erzähle, was Sie anderswo leicht und besser nachlesen können.
Als Einführung empfehle ich Ihnen die Bücher von Hans Wolfgang Schumann <1928 - 2019>:
z.B.:
Schumann, Hans Wolfgang <1928 - 2019>: Buddhismus : Stifter, Schulen und Systeme. -- ca. 255 S. -- verschiedene Ausgaben und Auflagen seit 1976
Abb.: Einbandtitel einer der vielen Ausgaben
[Fair use]
Auch bei Tüpfli können sie einiges finden, das sie sonst nicht oder nur schwer finden:
Tüpflis Global Village Library
Abteilung Buddhismus
http://www.payer.de/budlink.htm
Erwarten Sie bitte auch nicht, dass ich sie vom Buddhismus überzeugen, oder Sie sogar zu Buddhisten bekehren will.Ich will Ihnen nur die nötige Empathie, das nötige Einfühlungsvermögen vermitteln, dass Sie das, was sie über Buddhismus lesen, hören oder sehen, besser verstehen können.
Verstehen ist nämlich etwas anderes als Wissen. Beweis ist der Buddhologe mit dem wohl enzyklopädischsten Wissen über Buddhismus, das je ein Europäer hatte:
Abb.: Étienne Lamotte
[Fair use]
Der katholische Priester Étienne Lamotte (1903 - 1983): Er hatte ein beneidenswertes Wissen und überragende Sprachkenntnisse, leistete als Übersetzer Einmaliges für die Buddhologie. Verstanden hat er aber - wie ich aus sicherer Quelle weiß - Buddhas Lehre nie. Deswegen ist er auch nie über das Wiederkäuen alter formulierter Texte hinausgekommen.
"Schriftgelehrte" wie ich vergessen leicht, dass hinter unseren Texten lebendige Menschen stehen. Um Menschen zu verstehen, müssen wir Empathie haben, Einfühlungsvermögen. Dies ist etwas anderes als Sympathie. Auch menschenwürdige Ablehnung setzt Empathie voraus.
Im Zentrum von Buddhas Lehre steht der Mensch, vor allem der leidende Mensch.
Buddha ging es um das Heil, nicht um das Heilige. Es ging ihm um den Menschen, nicht um ein Mysterium tremendum et fascinosum - um ein Geheimnis, das Furcht, Zittern und Entzücken auslöst |
Ausgangspunkt des Buddhismus ist die
Erfahrung von Leiden, konkret
|
Das ist der Ausgangspunkt. Diese Erfahrungen sind uns in diesen Zeiten der Coronapanik sehr erlebbar und sichtbar.
Dazu behauptete Buddha, dass er eine Lösung dafür haben, nämlich Einsicht in die Bedingungen von Leiden und dieAufhebung dieser Bedingungen. Wenn etwas schon existiert, kann man nichts dagegen tun. Man kann nur etwas, was in der Zukunft sein könnte, vermeiden, indem man die Bedingungen dafür nicht setzt.
Bedingung für Leiden ist das Sich-Selbst-Durchsetzen, die Selbstverwirklichung, die Gier, eben all das, was unsere Welt im Gange hält. |
Diese Selbstverwirklichung, dieses Sich-Selbst-Durchsetzen wird durch
Selbst-Losigkeit
überwunden. Selbstlosigkeit als solche ist nichts Außergewöhnliches. Wie viele sind doch selbstlos für Gott, Kaiser und Vaterland gefallen! Wie viele haben selbstlos für irgend etwas sich gegenseitig die Köpfe eingehauen und ihren eigenen Kopf hingehalten!
Abb.: "Gefallen für Gott, Kaiser und Vaterland",
Wien, Praterstraße, Kirche, 2018
[Bildquelle: GuentherZ/Wikimedia. --
CC-BY-SA 3.0]
Das Entscheidende an der buddhistischen Sicht von Selbstlosigkeit ist, dass
die Selbstlosigkeit nicht in ein höheres Selbst, eine höhere Einheit integriert wird |
auch nicht in den Buddhismus, in Buddhas Willen oder dergleichen. Das ist schwierig. Natürlich kann ich auch im Namen des Buddhismus etwas machen, z.B. Andersdenkende verfolgen; dabei bin ich ganz selbstlos. Aber das wäre genau das Verkehrte. Gemeint ist eine Selbstlosigkeit ohne Integration in eine höhere Einheit, in der man dann zwar selbst selbstlos ist, die aber als solche alles andere als selbstlos ist.
Buddhismus ist nach meinem Verständnis eine Anleitung, den Weg zu dieser Art von nichtintegrativer Selbst-Losigkeit zu gehen.
Dazu muss man Gesetzmäßigkeiten, Regelmäßigkeiten kennen. So wie man, um einen elektrischen Apparat zu bauen, eine Ahnung von den Gesetzmäßigkeiten der Elektrizität haben muss, so muss man, um den Weg zur Befreiung vom Leiden durch Selbstlosigkeit, Gierlosigkeit gehen zu können, die Gesetzmäßigkeiten des Entstehens von Leid, von Gier und von Selbstdurchsetzung kennen.
Anders ausgedrückt:
"Martin Luther (1483 - 1546) hat seinem Großen Katechismus (1529) in der Auslegung des Ersten Gebotes Aussagen darüber gemacht hat, wie wir unser Herz an Abergötter hängen, wozu jeder Buddhist sagen muss, dass er es auch nicht besser ausdrücken kann. Der Unterschied zwischen Luther und Buddha ist, dass es für Luther neben den vielen Abergöttern, als da sind Geld, Kunst, Macht usw., auch den einen Gott gibt, an den man sein Herz zu recht hängen kann. Für Buddha dagegen gibt es nur Abergötter, auch jeder Gott ist ein Abergott. Das Überwinden der Abgötterei ist das Zentrum des Buddhismus. Hohlheit, ein zentraler Begriff im Großen Fahrzeug des Buddhismus, bedeutet nichts anders als Überwinden der Abgötterei, Abwendung von den vielen Göttern, die wir uns machen, an die wir unser Herz hängen, dann zutiefst enttäuscht werden, und uns so Leid schaffen.
Zurück zu den Gesetzmäßigkeiten des Entstehens von Leid, von Gier, Selbstdurchsetzung, Abgötterei:
Die erste Stufe dieser Gesetzmäßigkeiten ist das, was man als
Karma |
bezeichnet. Karma bedeutet ja nicht, dass meine Frau einmal Kleopatra war, ich der Löwe der Kleopatra (und dass wir dann beide in "Asterix und Kleopatra" verfilmt wurden). Karma heißt, dass wir zu sehen lernen, wie oft wir uns selbst Leiden schaffen. Wir drücken das ja auch in unserer Sprache aus: "Ich rege mich über etwas auf." Mich regt nichts auf, aber ich rege mich darüber auf. Das verdirbt mir meine ganze Laune, macht mich grantig und bereitet mir eine Menge Leid. "Ich bin frustriert." Warum? Weil ich mir selbst irgendwelche Flöhe in den Kopf gesetzt habe. Diese Einsicht nenne ich Karma-Sicht. Das ist etwas ganz anderes als Karma-Ideologie. Wir machen die Karmasicht, die Anleitung, Leiden zu vermindern, kaputt, wenn wir daraus eine Ideologie machen und sagen, auch wenn wir gar keinen Zusammenhang sehen: "Das wird schon irgendwie Karma sein." Das ist Blödsinn. Das ist schädlich. Das ist Quatsch. Karma ist aber kein Quatsch: es ist eine Sichtweise, die uns eine wichtige Ursache von Leiden erfahrbar erkennen lässt.
Bevor ich mit diesem Gedankengang fortfahre: etwas zur
Methode buddhistischer Anleitung |
Buddhistische Unterweisung besteht nicht darin, dass man den Leuten die vier edlen Wahrheiten um die Ohren knallt. Nach einer Überlieferung, die von allen Richtungen des Buddhismus gut bezeugt wird, ereignete sich wenige Monate vor dem Lebensende des historischen Buddha Gautama folgende Begebenheit:
König Ajātasattu von Magadha, schon seit vielen Jahren ein begeisterter Anhänger des Buddha, will einen Angriffs- und Eroberungskrieg gegen eine benachbarte Föderation von zwei Republiken führen. Er schickt darum seinen Minister zum Buddha, damit dieser Buddhas Rat hole. Stellen Sie sich das einmal vor! Und wie reagiert nun der Buddha? Buddha ist nicht entsetzt und sagt nicht: "Ja mei, jetzt hat dieser Depp noch immer nichts vom Buddhismus verstanden!" Buddha hebt auch nicht den Zeigefinger und sagt nicht: "Du! Du! Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, und vor allem sollst du nicht gierig sein!" Nichts von alledem. Nein, der Buddha weist darauf hin, dass bei dieser Republiken-Föderation bestimmte politische und andere Sitten herrschen, die es unmöglich machen, dass Angriffs- und Eroberungskriege gegen sie Erfolg haben. Buddha schließt sinngemäß so: "So lange diese Konföderation ein einig Volk von Schweizern ist, so lange ist ein Krieg gegen sie aussichtslos."
Was können wir aus dieser Story lernen?
Erstens: buddhistisches Lehren ist geduldig.
Zweitens: buddhistische Beratung geht auf den individuellen Horizont des
Ratsuchenden ein. Man sieht und akzeptiert, dass die Menschen
unterschiedlich sind. Nach einem schönen buddhistischen Gleichnis gleicht
die Menschenwelt einem Lotusteich am Morgen:
einige Lotusse haben ihre Köpfe weit unter der Wasseroberfläche im Schlamm,
einige Lotusse haben ihre Köpfe direkt unter der Wasseroberfläche
und einige heben ihre Köpfe aus dem Wasser heraus und haben wunderschöne, geöffnete Blüten.
Die Unterschiede in den -- wenn man so will -- geistlichen Entwicklungsstadien dürfen nie Anlass zu Hochmut sein. Ich denke, solcher Hochmut wäre lächerlich. Wenn jetzt der Buddha daher käme oder ein Buddhist, der gerade sein Ziel erreicht hat, und sich hochmütig über uns auslassen würde, dann würden wir zu Recht antworten: Was hast denn du die letzten zwei Millionen Jahre gemacht? Warum hast denn du so viele Äonen von Geburten gebraucht bis du so weit gekommen bist, wie du jetzt bist? Auch der Buddha hat Tausende von Geburten gebraucht bis er ein Buddha war.
Nun dazu, worauf Sie hoffentlich schon warten: Was tun?
Dazu gibt es zwei Komplexe:
einerseits Lockerungsübungen, andrerseits Anleitung zur richtigen Sicht der Wirklichkeit. |
Die Lockerungsübungen dienen der Auflockerung der Fesseln durch unsere ganze Selbstsucht, Selbstdurchsetzung,
sei es unseres individuellen Selbst,
sei es einer höheren Einheit, als deren Teil und Funktionsglied wir uns sehen.
Selbstlosigkeit im Sinne des Buddhismus bedeutet ja -- wie wir schon gehört haben -- nicht Integration in eine höhere Einheit, wie das All, Gott, Gottes Wille, die Menschheit, die Evolution usw.
Die erste Lockerungsübung ist
Freigebigkeit |
und zwar ganz normale materielle Freigebigkeit. Wir können schon bei kleinen Kindern beobachten, wie wichtig Freigebigkeit zur Überwindung der Egozentrik ist.
Natürlich hat die Betonung der Freigebigkeit im Buddhismus auch einen Hintergedanken: der buddhistische Orden ist von der Freigebigkeit der Laien abhängig. Da der buddhistische Orden immer schon aus Menschen wie du und ich bestand, hat dieses aufs eigene Überleben bezogene Motiv immer auch eine Rolle bei der Empfehlung von Freigebigkeit gespielt.
Aber das ist nicht alles: Freigebigkeit, bei der die richtige Einstellung entscheidend ist, ist Ausdruck von
Nichtgier und Nichthass |
Freigebigkeit ist so eine Lockerungsübung, um sein Festhalten, sein Anhaften, seine Gier, seine Aggression zu vermindern. Der Geber erfährt unmittelbar die Vorzüge der Freigebigkeit: er wird seiner Mitwelt lieb und angenehm, Menschen und Tiere mögen ihn, er kann selbstsicher, ohne Befangenheit auftreten, er ist eine angesehene Person. Das ist Karma. Freigebigkeit ist eine sehr wichtige Lockerungsübung, wir dürfen sie nicht unterschätzen und sie beiseite legen, um angeblich zu den zentraleren Punkten des Buddhismus vorzudringen. Doch Freigebigkeit ist nicht genug!
Die zweite Lockerungsübung sind die
Trainingspunkte der Sittlichkeit
Man kann die ganze buddhistische Laienethik als Form der Freigebigkeit zusammenfassen: als die
freigebige Gabe der Angstlosigkeit und Furchtlosigkeit |
Kurz zusammengefasst lautet die gesamte buddhistische Ethik so:
Ich trainiere ein solches Verhalten, dass meine Mitwelt vor mir möglichst keine von mir verursachte Angst und Furcht haben muss
Abb.: Geste des Gebens der Furchtlosigkeit: "Hab keine Angst!" -- Abhaya-Mudrā, Thailand, 2006
[Bildquelle: Steve Evans/Wikimedia. -- CC-BY 2.0]
Das ist die ganze buddhistische Ethik. Und Sie sehen: es ist eine reine Sozialethik.
Allerdings klingt diese Formulierung sehr abstrakt. Jemand, der im harten Erwerbsleben steht, hat nicht die Zeit, sich die Anwendungen dieses Prinzips im Einzelnen zu überlegen. Deshalb ist die buddhistische Laienethik in fünf Übungspunkten spezifiziert. Im einzelnen bedeutet dieses ethische Prinzip also:
|
Man könnte die ganze buddhistische Laienethik auch positiv ausdrücken. Dies ist im Bekenntnis der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) sehr schön zusammengefasst:
"Zu allen Wesen will ich unbegrenztes
Wohlwollen,
Mitgefühl,
Mitfreude
und Gleichmut
entfalten, im Wissen um das Streben aller Lebewesen nach Glück."
Bei der Entfaltung einer solchen Einstellung beginnt man am besten mit sich selber: Wohlwollen usw. gegenüber sich selber; dann dehnt man sie allmählich aus auf Wesen, bei denen es einem relativ leicht fällt; dann auf Wesen, bei denen es einem schwer fällt, von der Heiligen Dreifaltigkeit bis zu armen Teufeln in irgendeiner Hölle.
Ein wichtiger Begriff ist dabei das Einüben, das Entfalten. Es ist kein Alles-oder-Nichts-Standpunkt. Ein solcher Standpunkt würde immer wieder zu neuem Leid führen. Wenn ich z.B. ein Geschäftsmann wäre und beschlösse, ab sofort nicht mehr zu betrügen, dann wäre dies wahrscheinlich einer der guten Vorsätze, mit denen bekanntlich der Weg zur Hölle gepflastert ist. Wenn ich aber 2020 meine Betrügereien um 20 Prozent heruntersetze, dann ist das schon ein toller Erfolg.
Trainingspunkte der Sittlichkeit sind etwas zum geduldigen Einüben, es sind keine Gebote. Würde ich mir jetzt in den Kopf setzen: die buddhistischen Grundsätze der Sittlichkeit sind toll, ab heute halte ich sie ein, dann wäre dies der Anfang von Frust, und damit neuem Leid, also das Gegenteil einer Lockerungsübung. So etwas wäre auch eine Allmachtsträumerei. Und wie wir später noch sehen werden, ist eine ganz wichtige buddhistische Einsicht, dass es niemand Allmächtigen gibt, der Herr über die Situation ist.
Der Nutzen der Einstellungen des Wohlwollens, des Mitgefühls, der Mitfreude und des Gleichmuts und der daraus fließenden Gedanken, Worte und Werke kommt zunächst und in erster Linie dem zu, der diese Haltung in Gedanken, Worten und Werken entwickelt. Aversionen, Grausamkeiten, Neid und fehlender Gleichmut plagen vor allem den, der solche negativen Einstellungen hat. Wie sehr kann uns Neid umtreiben!
Wie aus solchen Einstellungen kommende Worte, Taten und Verhalten beim Adressaten ankommen, das haben wir ziemlich wenig in der Hand. Missverständnisse, böswillige Fehlinterpretationen unserer Handlungen gehören zu unserer täglichen Erfahrung.
Der Inhalt der vier genannten Haltungen wird in ihren Formeln sehr klar ausgedrückt:
|
So viel zur zweiten Lockerungsübung, den Trainingspunkten der Sittlichkeit.
Nun eine dritte Lockerungsübung:
die Relativierung der Freuden und des Glücks |
Diese Funktion erfüllten im alten Buddhismus unter anderem die Himmel. Warum? Dazu gibt es eine wunderschöne Story, egal ob sie historisch stimmt oder nicht. Ein Mönch zu Buddhas Zeiten geht morgens auf den Almosengang, sieht eine junge Frau, entbrennt in heißer Leidenschaft für sie, geht zu Buddha und sagt diesem: "Ich habe heute ein Weib gesehen, da halte ich es im Orden nicht mehr aus, ich muss aus dem Orden austreten." Buddha fragt: "War diese Frau schön?" "Ja, wunderschön. Mindestens so schön wie Aishwarya Rai (Bollywoodschauspielerin, Miss World 1994)." Wie reagiert Buddha? Nicht so, wie wir es vermutlich täten. Buddha erinnert den Mönch nicht daran, dass auch diese Frau einmal alt und weniger schön wird. Er sagt auch nicht, dass hinter der schönen Figur vielleicht eine richtige Bissgurn (= Reibeisen)steckt. Nein, Buddha weiß, dass all dies bei einem verliebten Gockel nichts nützt. Statt dessen hat Buddha diesen Mönch in einen Himmel versetzt: dort waren Göttinnen, eine fescher als die andere. Dann kam der Mönch aus dem Himmel wieder zurück. Da sagt ihm der Buddha. "Du wolltest doch aus dem Orden austreten, das können wir jetzt machen." Doch der Mönch wollte nicht mehr. "Du hast doch dieses tolle Weib bei deinem Almosengang gesehen!" "Ach was, so toll ist die ja nun auch wieder nicht." Wir sehen: das Bessere ist des Guten Feind. Heute brauchen wir für diese Relativierung keine Himmel mehr. Wir erfahren das in unserer schnelllebigen Zeit täglich: unsere ganze Wirtschaft und Gesellschaft beruht ja darauf, dass wir immer Besserem und Neuerem nachrennen. Jetzt haben wir es erwischt und in fünf Jahren halten wir es für schlecht, minderwertig usw. Man sieht daran: Das Bessere ist des Guten Feind.
Dies ist eine Lockerungsübung, die vielleicht zur nächsten Lockerungsübung führt, die einem hilft einzusehen, dass
alles Gute doch ein bisschen hohl und leer ist |
Dann könnte man sich in einer weiteren Lockerungsübung
Gedanken machen über den Vorteil von Entsagung D.h. man könnte sich z.B. fragen, ob man Mönch oder Nonne werden will |
Ich stelle diese Lockerungsübungen hintereinander dar, weil ich sie in einem Vortrag nicht anders als in einer Zeitreihe darstellen kann. Das bedeutet aber nicht, dass sie in der Realität des Lockerungstrainings auch so hintereinander stehen sollten. Nein, sie sind miteinander verzahnt.
Neben all dem Gesagten gibt es noch einen weiteren Komplex von Lockerungsübungen.
Sie werden sich bestimmt schon wundern, dass ich bis jetzt noch gar nichts über
Meditation |
gesagt habe. Dabei ist doch Meditation nach geläufigem Verständnis das A und O des Buddhismus.
Der Komplex von Lockerungsübungen, den ich nun erwähnen werde, ist der Komplex
Ruhigwerdemeditation |
Diese Lockerungsübung ist auf alle Fälle eine förderliche Bedingung für die Erlösung. Ob es eine notwendige Bedingung für die Erlösung ist, ist bei Buddhisten umstritten. Vielleicht kann man die Kontroverse so lösen: Ruhig-Werden ist notwendige Bedingung, auf welche Weise das geschieht, hängt von den Anlagen jeweiligen Person ab. Diese Lösung folgt m.E. implizit aus den traditionellen buddhistischen Darstellungen der Ruhigwerdemeditation (z.B. im Visuddhimagga).
Ruhigwerde-Meditation kann helfen, Gelassenheit, Gleichmut zu erreichen; einen Abstand zur Wirklichkeit, der hilfreich ist, das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, einmal unbefangen anzuschauen. Eine solche unbefangene Sicht der Wirklichkeit ist ja sehr schwierig: wir stehen mitten in der Wirklichkeit und können uns nicht einfach aus ihr hinauskatapultieren. Die Lockerungsübungen der Ruhigwerdemeditation sind nichts spezifisch Buddhistisches. Solche Lockerungsübungen können sie in mancher christlichen Gruppe ebenso wenn nicht besser lernen. Auch autogenes Training gehört z.B. hierher. Es sind nur Lockerungsübungen, nicht der eigentliche Weg zur Beendigung des Leidens, zur Erlösung.
Der eigentliche Weg zur Beendigung des Leidens ist die
gelebte Einsicht in die Wirklichkeit, wie sie wirklich ist |
Es ist eine Anleitung, selbst genau zu schauen. Damit sind wir wieder bei unserem Ausgangspunkt: dass es nämlich nicht darum geht, irgendwelche Formeln nachzusprechen, sich in irgendwelche exotische Vorstellungen hineinzudenken, sondern selbst hinzuschauen. Der Buddha hat einmal das sehr schöne Wort gesagt:
Seid euch selbst eine Leuchte, seid euch selbst eine rettende Insel |
Ich würde sagen, eine ganz wichtige Einsicht des Buddhismus ist, dass man sich selbst eine Funzel sein soll. Normalerweise ist man ja zunächst eine ziemliche Funzel, nicht gerade ein Halogenscheinwerfer.
Trotzdem: sich selber eine Funzel sein ist besser als in der ganzen Welt nach einem Halogenscheinwerfer herumzusuchen. Das kennen wir alle: wir haben den Drang, endlich einmal den großen Meister zu finden, der uns alles beleuchtet. Da könnte eine ganze Fluglinie davon leben von diesem Guru-Such-Buddhismus, davon, dass man von einem Guru zum anderen fliegt bis man wieder einmal sieht, auch dieser ist nicht die Halogenleuchte, die man gesucht hat. Aber vielleicht ist ja gerade diese Suche nach einer Halogenleuchte das Verkehrte.
Vielleicht sollten wir selbst versuchen, genau hinzuschauen. Das heißt nicht, dass wir uns hinsetzen und auf die Wirklichkeit starren. Da kommt nichts Gescheites dabei heraus. Dafür brauchen wir auch keinen Buddhismus. Wir brauchen die buddhistische Anleitung, weil es ein
angeleitetes Hinschauen |
ist. Die Anleitung ist relativ einfach: es gilt, die Wirklichkeit unter drei Aspekten zu sehen:
in ihrer Unbeständigkeit, in ihrer Herrenlosigkeit und Hohlheit, und deswegen in ihrem Leidvollsein |
Unbeständig, deswegen leidvoll und deswegen herrenlos, Nicht-Ich.
Wäre nämlich etwas mein, wäre es unter meiner Herrschaft, dann könnte ich bestimmen: das hat mir imponiert, so soll es sein, so soll es bleiben.
Dann wäre es nicht leidvoll, denn ich würde das Leid vermeiden.
Deshalb wäre es auch nicht unbeständig: Unbeständigkeit verursacht ja Trennungsschmerz.
Diese Einsicht in diese drei Eigenschaften von Wirklichkeit ist das Zentrum der Einübung der Einsicht. Dafür kann es gut sein, wenn man sich ab und zu zurückzieht, um diese Einsicht einzuüben, aber erst im täglichen Leben zeigt sich, wie weit man mit dieser Einsicht gekommen ist. Einübung der Einsicht ist nicht etwas außerhalb des alltäglichen Lebens, sondern etwas, was im alltäglichen Leben wirksam werden muss.
Jetzt fragen Sie vielleicht, was man denn dann erreicht. Da erreicht man vielleicht den
Erlösungszustand (Nirvana) |
Was ist aber dieser Erlösungszustand? Entweder wissen Sie es, weil Sie Erlösung verwirklicht haben, oder Sie wissen es nicht, weil sie Erlösung (noch) nicht verwirklicht haben. Wenn Sie es nicht wissen, kann ich Ihnen auch nicht sagen, was Erlösung ist. Wollte ich es versuchen, dann wäre es, wie wenn ein Farbenblinder (Ich) anderen Farbenblinden (Ihnen) einen Vortrag über das Wesen von Farbempfindungen halten wollte.
Ich kann Ihnen nur sagen, wann man Erlösung im buddhistischen Sinn nicht begriffen hat, nämlich dann, wenn man den alten Buddha nicht begriffen hat:
Da humpelt ein altes, runzliges Männlein durch Nordindien, hat alle üblichen Altersbeschwerden und -- wie es einer meiner Studenten metaphorisch so schön ausgedrückt hat -- singt "Schön ist es auf der Welt zu sein!". Nicht: "Halleluja, bald ist alles vorbei!", nein: "Schön ist es auf der Welt zu sein!". Das ist der Zustand des Erlösten, der wirklich sagen kann: "Tod wo ist dein Sieg, Tod, wo ist dein Stachel?!" (1. Korinther 15,55). Im alten Buddhismus sagt man, dass man über den Erlösungszustand nicht sprechen kann, sondern dass man ihn verwirklichen muss. Die alten Buddhisten haben sich erstaunlicherweise an diese Maxime gehalten - "Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen" Ludwig Wittgenstein <1889 - 1951>, Tractatus Logico-Philosophicus.
Ich habe heute hier alles nur von meinem eigenen, engbegrenzten Standpunkt aus dargestellt, anders ginge es gar nicht. Ich kann Ihnen aber versichern, dass das, was ich versucht habe, Ihnen zum Nachdenken zu geben, nicht das Ganze ist.
Soviel zu dem, was ich als Kern der Lehre Buddhas ansehe.
Seit Buddha bis heute hat sich der Buddhismus unübersichtlich verästelt und verzweigt, oft wurde auch die Lehre Buddhas überwuchert:
Abb.: Buddhakopf, Ayuthaya, Thailand, 2006
[Bildquelle: McKay Savage/Flickr. --
CC-BY 2.0]
Um die Entwicklung der lebendigen Buddhismen zu verstehen, sollte man sich folgendes vor Augen halten:
|
Lama Anagarika Govinda (1898 - 1985) schreibt seinem Buch "Lebendiger Buddhismus im Abendland" über den von ihm gegründeten Orden Arya Maitreya Mandala:
"Wir wollen daher unsere Mitglieder nicht zu kleinen
Indern, Tibetern, Japanern oder Chinesen machen, sondern uns vielmehr darum
bemühen, zunächst einmal das Wesen unserer eigenen, abendländischen
Tradition und Kultur in ihrer ganzen Entwicklung zu begreifen, um davon
ausgehend die Traditionen anderer Kulturen zu studieren und sie verstehend
achten zu lernen."
[Govinda <Lama Anagarika> <1898 - 1985>: Lebendiger Buddhismus im Abendland. -- Bern : Barth, 1986. -- ISBN 3-502-61233-1. -- S. 26] |
Was er hier für das Abendland als Programm beschreibt, war historische Wirklichkeit der
Inkulturation
der Lehre Buddhas in die verschiedensten sozialen Umgebungen.
Buddha und seine Anhänger sind jeweils auch Kinder ihrer Zeit.
Zeitbedingtheit |
Darum ist Entmythologisierung ein Dauerauftrag.
Entmythologisierung |
Diese Dauer-Aufgabe der Entmythologisierung wurde und wird leider meistens vernachlässigt.
Aber da Buddhisten fehlbare Menschen sind, spielten bei der Entfaltung des Buddhismus auch folgende Faktoren eine große Rolle. Ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit:
|
Ich habe versucht, Ihnen ein wenig zu helfen, Empathie - Einfühlungsvermögen - bei Ihrer Beschäftigung mit verschiedensten Aspekten des Buddhismus zu haben. Mehr beabsichtigte ich nicht. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Mögen Sie sein wie ein solcher Lotos:
Abb.: Nelumbo nucifera
Gaertn.
[Bildquelle: Peripitus/Wikimedia. –
CC-BY-SA 4.0]