Materialien zur Religionswissenschhaft: Buddhismus


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Buddhismus. -- Fassung vom 25. Januar 1996. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/rwbuddh/rwbuddh.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung: 25. Januar 1996

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

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1. Das Leben des Buddha


Weiterführende Ressourcen:

Alois Payer:
Buddha-ppavatti : Materialien zum historischen Buddha und zum Buddha des Glaubens
Teil I: URL: http://www.payer.de/buddhgrund/buddha01.htm
Teil II: URL: http://www.payer.de/buddhgrund/buddha02.htm
Teil III: URL: http://www.payer.de/buddhgrund/buddha03.htm
(Materialien zu den Grundbegriffen des Buddhismus)


Im Jahre 623 v. Chr. [das Datum ist umstritten] wurde in Lumbinî nahe der heutigen indisch-nepalesischen Grenze der historische Buddha als Fürstensohn namens Siddhârtha geboren. Bei seiner Empfängnis hatte seine Mutter einen Traum von einem weißen Elefanten, der von Norden her kam, ihr Lager dreimal umwandelte, an ihre rechte Taille klopfte und in ihren Leib eintrat. Die vom Vater herbeigezogenen Zeichendeuter deuteten dies so, daß der Sohn, sollte er ein weltliches Leben führen, ein weltbeherrschender Kaiser werden wird, daß er aber, falls er in die Heimatlosigkeit zieht, ein Buddha werden wird, der durch seine Lehre die Finsternis in der Welt vertreibt. Selbstverständlich gingen nach buddhistischer Anschauung dieser letzten Geburt als Siddhârtha unzählige Geburten - teils als Mensch, teils als Tier - voraus.

Die Geburt Siddhârthas war von wunderbaren Erscheinungen begleitet.

Siddhârtha wuchs in großem Wohlstand auf. Sein Vater versuchte von ihm alles Unangenehme fernzuhalten, damit sein Sohn ja nicht auf die Idee komme, ein Asket zu werden. Doch bei drei Spazierfahrten in einem Park begegnete Siddhârtha hintereinander einem Greis, einem Kranken und einem Toten. Diese Begegnungen mit dem Leid machten ihn sehr nachdenklich, Bei einer 4. Ausfahrt begegnete ihm dann ein Mönch in gelben Gewändern, der völlig zufrieden war. Dadurch bekam Siddhârtha Freude am Gedanken, selbst in die Heimatlosigkeit zu gehen. Zu dieser Zeit gebar ihm seine Gattin einen Sohn. Doch statt sich - wie es den fürstlichen Wertvorstellungen entsprochen hätte - zu freuen, sagte er nur:

"Rahula ist entstanden, eine Fessel ist entstanden."

Am selben Abend versuchten seine vielen Frauen ihn mit Musik und Tanz zu erfreuen, er aber fand keinen Gefallen daran und schlief ein. Als dies die Frauen sahen, legten auch sie sich nieder und schliefen. In der Nacht erwachte Siddhârtha und sah die schlafenden Frauen: einigen floß der Speichel aus dem Munde und beschmutzte ihren Leib, einige knirschten mit den Zähnen, einige schnarchten, einige redeten wirres Zeug, einigen stand der Mund weit offen, bei einigen hatte sich die Kleidung verschoben. Durch diesen Anblick wurde er noch mehr frei von Leidenschaft, und sein Palast erschien ihm wie eine Leichenstätte voll von umher gestreuten Leichen. So beschloß er, sofort in die Heimatlosigkeit zu ziehen. Noch in derselben Nacht ritt er auf seinem Pferde weg.

Daraufhin ging er zu verschiedenen Weisheitslehrern, doch keiner konnte ihm den Weg zur Erlösung vom Leid zeigen. Als nächstes versuchte er, durch schmerzreiche asketische Übungen zur erlösenden Erkenntnis zu kommen: er nahm nur ganz wenig Speise zu sich, bis er völlig abgemagert war. Doch da kam ihm die Einsicht, daß es für jemanden, dessen Leib so überaus abgemagert ist, nicht leicht ist, zum Glück zu kommen.

Da nahm er wieder Speise zu sich und als er wieder zu Kräften gekommen war, kam er im heutigen Bodh Gayâ in Nordindien zu den erlösenden Einsichten:

Indem Siddhârtha zu dieser Einsicht erwachte, wurde er ein Buddha, ein Erwachter, er war sich sicher, daß er nun vom Leid erlöst ist, daß es für ihn keine Wiedergeburt mehr gibt; so saß Buddha sieben Tage lang am Fuße eines Baumes und genoß das Glück der Erlösung, und er erkannte das Gesetz, wie das Leid letztendlich durch das Nichtwissen dieser Einsicht entsteht. Er beantwortete aber nie die Frage, wie dieses Nicht-Wissen irgendwann anfänglich entstanden ist. Dieses Nicht-Wissen ist vorhanden. Immer wieder erwachen Menschen zum Wissen, werden so Buddhas und lehren auch andere, die so mit Hilfe der Lehre der Buddhas zur Erlösung gelangen.

Nachdem Buddha einige Zeit im heutigen Bodh Gayâ geblieben war, überlegte er, ob er die gefundene Wahrheit für sich behalten sollte, oder ob er sie den noch irrenden Menschen verkünden solle, die für die Lehre im Lauf der Wiedergeburten reif geworden sind. Da trat der höchste Gott Brahmâ persönlich auf und bat Buddha, die Lehre im Interesse vieler Wesen zu verkündigen. Also begab sich Buddha auf den Weg nach Benares.

Im heutigen Sarnath bei Benares hielt Buddha vor den fünf Lehrern, zu denen er als Asket gegangen war, seine erste Lehrrede: "Die Lehrrede, mit der er das Rad der Lehre in Bewegung setzte". Die Rede beginnt mit den Worten:

"Zwei Extreme gibt es, ihr Mönche, von denen sich der, der der Welt entsagt hat, fernhalten muß. Welche beiden?

Diese beiden Extreme vermeidet der Vollendete und hat den Weg in der Mitte gefunden, der zur Ruhe, zum Wissen, zur Einsicht, zum Erlöschen (Nirvâ.na) führt. Es ist der edle achtgliedrige Pfad."

Deshalb heißt der Buddhismus auch heute noch mittlerer Pfad . Dann verkündete Buddha die vier edlen Wahrheiten, und die fünf Asketen wurden Mönche Buddhas, gelangten zur erlösenden Einsicht und waren damit die ersten Arhants.

Innert kurzer Zeit nach der ersten Lehrrede des Buddha wuchs der Mönchsorden auf 60 Mitglieder an. Diese sandte Buddha aus, damit sie einzeln die Buddhalehre verkündigen. Da der neue Mönchsorden große Anziehungskraft ausübte, gab Buddha auch den Mönchen die Erlaubnis, neue Mitglieder in den Orden aufzunehmen.

Die Aufnahme geschah nach folgendem einfachen Ritual: Die Aufzunehmenden sollen sich Haar und Bart scheren, fahle Gewänder anlegen, das Obergewand auf die eine Schulter legen, die Füße der Mönche verehren, sich niederknien und die Hände zusammenlegen. Dann sollen sie dreimal sprechen:

Während der übrigen fast 45 Jahre seines Lebens durchzog der Buddha lehrend und diskutierend das nordöstliche Indien, um seine Lehre zu verbreiten. Sein Tag begann mit frühem Aufstehen und Meditation in der Einsamkeit, dann folgte der Almosengang und die Mahlzeit, am Nachmittag eine Ruhepause; die ganze übrige Zeit verbrachte er teils mit Lehrtätigkeit, teils mit Meditation und ging erst spät in der Nacht schlafen.

Da nach Buddhas Lehre der Weg zur Erlösung stufenweise verwirklicht wird und die Erlösung viele Vorbedingungen hat - wer es in diesem Leben nicht schafft, kann wenigstens die Bedingungen für künftige Existenzen so verbessern, daß er es dann schafft ist die Predigt Buddhas immer dem Entwicklungsstand seiner Zuhörer angepaßt.

Als z.B. ein Mann sehr verliebt war, lehrte ihn Buddha nicht die Vergänglichkeit weiblicher Schönheit, sondern er versetzte ihn in ein himmlisches Paradies mit wunderschönen Frauen, und als der verliebte Mann wieder zurückkam, gefiel ihm seine frühere Angebetete überhaupt nicht mehr. Dadurch war die Voraussetzung geschaffen, sich von ihr zu lösen.

Der typische stufenweise Fortgang der Lehrreden Buddhas war folgender:

  1. Zunächst lehrte Buddha, daß es gute Früchte bringt, wenn man freigebig ist
  2. dann lehrte er, daß man als Lohn für gute Taten in den Himmel kommt
  3. in einem weiteren Schritt schilderte er die Nachteile der Sinneslüste und den Vorteil der Entsagung
  4. wenn Buddha aber erkannte, daß der Hörer geistig genug fortgeschritten war, lehrte er ihn die 4 edlen Wahrheiten.

Den größten Anklang scheint Buddha bei den Angehörigen des Fürstenstandes, dem er selbst entstammte, und bei den reichen Kaufleuten der Städte gefunden zu haben. Doch schlossen sich ihm auch eine Anzahl von Mitgliedern des geistlichen Standes (Brahmanen) sowie Leute der unteren Schichten an. Die Gesamtheit der Anhänger Buddhas war in Mönche, Nonnen und Laienanhänger gegliedert.

Das Leben der Mönche und Nonnen wird durch Regeln geordnet, die Buddha anläßlich verschiedener Vorkommnisse erlassen haben soll. Für Verstöße gegen diese Regeln sind verschiedene Strafen vorgesehen.

Für immer wird man aus dem Orden ausgeschlossen, wenn man als Mönch oder Nonne

  1. Sexualverkehr hat
  2. schweren Diebstahl begeht
  3. einen Menschen tötet, zum Mord an einem Menschen Beihilfe leistet, oder jemandem das Leben so mies macht, daß dieser Selbstmord begeht
  4. fälschlich erzählt, daß man irgendwelche übermenschliche Zustände erreicht hat.

Weitere Regeln verbieten den Besitz von Geld oder Edelmetallen, regeln die Äußerst bescheidene Kleidung und Wohnung, ordnen den sehr zurückhaltenden Umgang mit dem anderen Geschlecht, geben Anstandsanweisungen usw.

Kraft der erlösenden Erkenntnis konnte sich nach der Überlieferung Buddha nicht nur an seine eigenen früheren Existenzen erinnern, sondern konnte auch die früheren Existenzen anderer Wesen erkennen. Er konnte auch Bereiche der Wirklichkeit - z.B. Götterwelten - wahrnehmen, die gewöhnlichen Menschen verschlossen sind, konnte die Gedanken anderer Menschen lesen usw. Auch andere außergewöhnliche Fähigkeiten berichtet die Überlieferung von ihm: er hatte riesige Kräfte, konnte sich vervielfachen, sich von einem Ort an einen anderen versetzen, ungehindert durch Mauern und Berge gehen, auf dem Wasser wandeln, konnte mit einem einzigen Reiskuchen 500 Mönche und viele andere Leute speisen usw. Die zahlreichen Erzählungen über solche Ereignisse fanden später ihren Niederschlag in den Darstellungen der Kunst.

Im Alter von 80 Jahren bekam Buddha eine eine tödliche Ruhr (blutigen Durchfall). Er sagte seinen Jüngern, daß es in Zukunft für sie keine andere Leuchte und keine andere Zuflucht gibt als sich selbst und die Lehre des Buddha, daß ihnen also Buddha fortan nicht helfen kann, dann ging er in das völlige Erlöschen ein.

Da Buddha keine schriftlich fixierte Lehre hinterlassen hatte, trafen sich bald nach seinem Erlöschen die Jünger, um die Lehre und die Mönchsdisziplin festzulegen. Doch geschah die Überlieferung der Texte noch lange Zeit ausschließlich mündlich. Buddha hatte es abgelehnt, in einer heiligen Sprache (wie dem altindischen Sanskrit) zu lehren: jeder sollte das Buddhawort in seiner eigenen Sprache hören. So gab es ursprünglich vermutlich viele verschiedensprachige Fassungen von Buddhas Lehre. Die meisten dieser Fassungen sind heute nicht mehr erhalten. Während die meisten Anhänger des Theravâdabuddhismus glauben, daß die Fassung in Pâli - einer altindischen Sprache -, die die Überlieferung des Theravâdabuddhismus darstellt, die Originalsprache Buddhas sei, ist die Mehrzahl der westlichen Forscher der Überzeugung, daß die Fassung in Buddhas eigener Sprache verloren gegangen ist.

Bald schon bildeten sich verschiedene Richtungen innerhalb des Buddhismus heraus, die zeitweise in Indien von großer Bedeutung waren. Von diesen alten Schulen überlebte bis heute nur der Theravâdabuddhismus als vorherrschende Religionsform in Sri Lanka (Ceylon), Burma (Myanmar), Thailand, Laos und Kambodscha. Von den Schriften der anderen Schulen sind in der ursprünglichen Fassung nur noch einzelne Werke und Bruchstücke erhalten. Sie sind meist in einer Mischung aus Sanskrit und Volkssprachen geschrieben. Erhalten sind aber von vielen dieser Schriften Übersetzungen, insbesondere ins Chinesische und Tibetische.


2. Richtungen des Buddhismus


Bei den Traditionsströmen und Richtungen des Buddhismus muß man unterscheiden:

Man kann die Traditionen des Buddhismus auch nach äußeren Kriterien einteilen nach:

Innerhalb dieser Traditionen sind die wichtigsten:

Traditionen der Ordensdisziplin (Vinayatraditionen):
Alle Traditionen der Ordensdisziplin mit Ausnahme der ZenTradition gehören den alten Schulen an, d.h. auch Mahâyâna und Vajrayânamönche und -nonnen anerkennen einen Text der Ordensdisziplin, der zu den alten Schulen gehört. Es gibt keinen eigenen Text der Mahâyânaordensdisziplin.
Lehrtraditionen

Es folgen Kurzcharakterisierungen der wichtigsten Lehrtraditionen.

3. Der Theravâdabuddhismus

Ich stelle den Theravâdabuddhismus exemplarisch an einer heute gelebten Form dar: dem Theravâdabuddhismus in Thailand.

Dabei werde ich die verschiedenen Dimensionen anschneiden wie

Lehrmäßig gehört der Theravadabuddhismus Sri Lankas, Birmas, Laos, Kambodschas und Thailands zum `Srâvakayâna (Fahrzeug der ursprünglichen Hörer bzw. kleinen Fahrzeug). Der Theravâdabuddhismus ist die einzige noch heute existierende Form dieser alten Schulen des Buddhismus. Alle anderen heute existierenden Formen des Buddhismus gehören dem Mahâyâna bzw. Vajrayâna an.

Der Theravadabuddhismus hat seine lehrmäßige Grundlage in einem in Pâli - einer altindischen Sprache - abgefaßten Kanon heiliger Schriften, dem sog. Tipi.taka. Die Interpretation von Lehre und Mönchsdisziplin fand im wesentlichen ihren Abschluß mit der Abfassung der großen Kommentare in Ceylon im 5. Jhdt. n. Chr.

Wenn ich im folgenden der Einfachheit halber von Buddhismus spreche, meine ich immer Theravâdabuddhismus, insbesondere in seiner thailändischen Ausprägung.

Der Theravadabuddhismus ist seit dem Ende des 13.Jhdts. die vorherrschende Religionsform in Thailand, der sich über 90% der Bevölkerung zurechnen.

3.1. Was ist Theravâdabuddhismus

Buddhismus ist eine Erlösungslehre, die sich auf Gautama Buddha zurückführt. Gautama Buddha gelangte nach thailändischer Anschauung um 543 v. Chr. zur endgültigen Auflösung.

Gautama ist nur der vorläufig letzte einer langen Reihe von Menschen, die jeweils in einem Weltzeitalter aus eigenen Kräften zu derselben Einsicht gelangten. Seit seinem völligen Erlöschen existiert er nicht mehr in irgend einer individuellen Form und ist folglich auch kein Gott, Schutzgeist, Nothelfer oder dergleichen, an den man sich um Hilfe wenden könnte.

Als Erlösungslehre geht der Buddhismus von der Einsicht aus, daß alles leidvoll ist. Dies bedeutet nicht, daß der Großteil der Gefühle leidvoll ist; es bedeutet aber, daß gerade alles, was einem lieb und teuer ist, unbeständig ist und damit irgendwann einmal verloren geht und so demjenigen, der daran hängt, Leid bereitet. Ursache für Leid ist also, daß man an etwas hängt, daß man Wünsche, Erwartungen, Absichten hat, die enttäuscht werden können, bzw. deren Erfüllung nur von begrenzter Dauer ist. Befreiung von Leid heißt folglich, daß man sich loslöst von jedem Haften an irgendetwas, daß man frei von Wünschen und von Abscheu wird.

Der buddhistische Heilsweg besteht in Methoden - meditativer Art - die zu einer Verwirklichung der Einsichten in das Leid und die Aufhebung des Leides führen, und die somit die Erreichung eines Erlösungszustandes bewirken. Erlösung bedeutet dabei in diesem Leben vor allem auch die absolute Gewißheit, daß die Reihe der Wiedergeburten beendet ist oder in einer absehbaren Anzahl von Wiedergeburten beendet sein wird. Erlösung bedeutet für die Zeit nach dem Tod, daß es keine Wiedergeburt - auch nicht in einem Himmel mehr - gibt, und daß somit kein Leid mehr entstehen kann.

Über die Natur des Nirvâ.na, des Erlösungszustandes, findet man erstaunlich wenig Aussagen. Dies hängt einerseits damit zusammen, daß theoretische Überlegungen über das Nirvana nutzlose Spekulationen sind: es gilt, die Erlösung zu verwirklichen, nicht über sie zu spekulieren. Außerdem ist der Erlösungszustand etwas, was gänzlich anders ist als alles, was unserer gewöhnlichen Erfahrung zugänglich ist. Über die Natur des Nirvâ.na zu jemandem zu sprechen, der es noch nicht verwirklicht hat, ist so, wie wenn man einem Farbenblinden die Natur von Farbempfindungen beibringen wollte. Würde ich zu Ihnen über das Nirvâ.na sprechen, wäre es, als ob ein Farbenblinder anderen Farbenblinden die Natur von Farbempfindungen erklären wollte.

Die Einsicht in die Unbeständigkeit - und damit in das Leidvolle - von allem ist so ausgeprägt, daß nach buddhistischer Auffassung zwischen zwei Augenblicken nichts Identisches bleibt: der Zustand A - jetzt - und der Zustand B - im nächsten Augenblick - haben nichts Gemeinsames, was vom Zustand A in den Zustand B übergehen würde; dennoch sind Zustand A und Zustand B nicht voneinander unabhängig, sondern Zustand B wird vom Zustand A bedingt: es gibt also einen Bedingungszusammenhang zwischen früher und später, aber keinen Zusammenhang einer bleibenden Substanz.

Der Bedingungszusammenhang ist solcher Art, daß im allgemeinen eine gute Tat irgendwann - noch in diesem Leben oder später - gute Früchte bringt, eine böse Tat böse Früchte. Diese Abfolge von Tat und Reifung der Frucht findet ihr Ende nicht mit dem natürlichen Tod, sondern erst mit der völligen Erlösung. Dabei ist zu beachten, daß die damit ausgedrückte Wiedergeburt (sei's als Mensch, Tier, Gespenst, Gottheit usw.) nach strenger buddhistischer Lehre keine Seelenwanderung ist, da es ja so etwas wie eine bleibende Seele, die von einer Existenz zur anderen wandert oder die erlöst wird, nicht gibt.

Nur wenige ergreifen jeweils, wenn sie das Glück haben, als Menschen geboren zu werden und die Lehre Buddhas zu erfahren, diese günstige Gelegenheit und versuchen, ob diese Lehre hält, was sie verspricht. Tun sie das, so gibt es für sie außer der Unterweisung keine Hilfe von außerhalb, sei es von einem Gott, einem Erlöser oder dergleichen. Diejenigen, die den buddhistischen Weg noch nicht ausprobieren wollen, haben die Möglichkeit, sich durch das Tun von Gutem, Verdienstvollem in dieser und in zukünftigen Existenzen gute Bedingungen zu schaffen.

Eine wichtige verdienstvolle Tat ist es, denen, die den buddhistischen Heilsweg zu gehen versuchen, dies zu ermöglichen, indem man ihnen alle Sorgen um das Lebensnotwendige aus dem Weg räumt. Dies bedeutet Unterstützung des buddhistischen Ordens durch die Laien, da der buddhistische Heilsweg im Normalfall als Mönch oder Nonne versucht wird.

Deshalb wird es im Folgenden sinnvoll sein, den Buddhismus der Laien und den Buddhismus der Mönche je gesondert zu behandeln.

Der hier gegebene Aufriß der buddhistischen Lehre folgte den für die Buddhalehre als verbindlich angesehenen Pâlischriften. Die einzelnen Anhänger des Buddhismus haben je nach ihrem Fortschritt auf dem Weg zur Erlösung ganz unterschiedliche Ansichten. So findet man in Thailand häufig Ansichten, die dem Glauben an eine bleibende Seele sehr nahe kommen, und es gibt auch Leute, die glauben, sie könnten von einem Buddha, der in einer Art Paradies lebt, Hilfe erlangen. Auch bei der Verehrung von Buddhastatuen finden sich die unterschiedlichsten Ansichten nebeneinander: die Verwendung der Statuen als äußeres Hilfsmittel, um auszudrücken, daß man Buddha und seine Lehre ernst nimmt, neben dem Glauben an besonders wirksame Statuen. Buddhistisches Lehren wird Leute mit unkorrekten Ansichten nicht unter allen Umständen zur rechten Lehre zu bekehren versuchen, sondern wird sich dem jeweiligen Fassungsvermögen und der jeweiligen Auffassungsbereitschaft anpassen.

3.2. Der buddhistische Laie

Obwohl auch Laien bis zu den ersten Stadien der Erlösung vom Leid gelangen können, bewegt sich in der Regel ein Laie im Bereich von Gutes- und Böses-Tun und der Reifung von guten und bösen Folgen dieser Taten. Die Lebensanweisungen für Laien, die noch nicht so weit sind, daß sie im gegenwärtigen Leben die Erlösung und damit die Beendigung der Wiedergeburten verwirklichen können oder wollen, bewegen sich also im Schema: die und die Tat hat in diesem Leben und in zukünftigen Wiedergeburten gute Folgen, die und die Tat hat schlechte, unerwünschte Folgen, die und die Tat ist inbezug auf ihre Wirkungen neutral. So ist dem Einzelnen überlassen, welche Taten er in Kenntnis ihrer Konsequenzen wählen will. Diese Konsequenzen sind nicht die Folgen der Gesetzgebung eines Gottes, sondern es sind ewige Gesetze, die die gleiche universale Gültigkeit haben wie Naturgesetze; umgekehrt sind auch alle Götter und überirdischen Wesen dem Gesetz von Tat und Reifung der Tat zu ihren Konsequenzen unterworfen. Böses Tun ist folglich auch nicht Beleidigung eines übermenschlichen Wesens, sondern schlichtweg Torheit.

Die im folgenden gegebenen Regeln der Laienethik haben unmittelbar nichts mit der Erlösung zu tun (nur mittelbar insofern ein grundschlechter Mensch nicht die Voraussetzungen für die Erlösung erfüllt); sie dienen vielmehr nur der Orientierung in dieser Welt und den innerweltlichen Folgen, auch für Wiedergeburten.

Will ein Laie böse Folgen nicht neu bedingen, so wird er unter anderem die fünf Dinge vermeiden, die durch die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit ausgedrückt werden. In der Praxis sieht das so aus, daß Laien an bestimmten Tagen zu einem Mönch gehen, um sich die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit geben zu lassen, nämlich

  1. das Unterlassen von Töten irgendeines Lebewesens
  2. das Unterlassen von Diebstahl
  3. das Unterlassen von Fehlverhalten in sexueller Hinsicht
  4. das Unterlassen von Lügen (samt Hintertreiberei, Geschwätz und bösartige Rede)
  5. das Unterlassen von Einnahme von berauschenden Mitteln, die Anlaß zu Nachläßigkeit sind.

An positiven Eigenschaften sollte jemand, der an guten Konsequenzen seiner Taten interessiert ist, unter anderem folgendes kultivieren:

Im folgenden sollen einige Beispiele die Art der Unterweisungen illustrieren, ein glückliches und nutzbringendes Leben als Mitglied eines Haushalts zu führen:

Vier Dinge bringen einem Mann Wohl und Glück im gegenwärtigen Leben:

  1. daß er fleißig ist
  2. daß er das, was er erworben hat, bewacht und behütet
  3. daß er Umgang mit guten Freunden hat
  4. daß er in finanzieller Hinsicht nicht über, aber auch nicht unter seinen Verhältnissen lebt.

Für die Zukunft heilsam ist für einen solchen Mann,

  1. daß er zunächst einmal (d.h. so lange er sich noch kein eigenes Urteil erlauben kann) dem Buddha vertraut
  2. die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit hält
  3. freigebig ist
  4. letztlich auf dem Weg der erlösenden Einsicht möglichst fortschreitet.

Um den Verlust und die Verminderung des Besitzes zu vermeiden, muß man sich folgenden Dingen fernhalten:

  1. Trinken von Alkohol
  2. Herumstreunen auf Straßen zur Unzeit
  3. Besuch von Festveranstaltungen
  4. Würfelspiel und anderem Spiel
  5. Umgang mit schlechten Freunden
  6. Müßiggang

Für jeden einzelnen Punkt werden wieder die negativen Konsequenzen dargestellt

z.B. für das Trinken von Alkohol:

  1. Schwund des Besitzes
  2. Enstehen von Streitigkeiten
  3. Krankheiten
  4. Schande
  5. Verlust des sexuellen Schamgefühls
  6. Schwächung des Verstandes.

Für die Regeln für das Verhalten bestimmter Personengruppen zueinander die folgenden Beispiele:

Eltern zu den Söhnen:
  1. sie halten die Kinder von dem Bösen ab
  2. sie halten sie zum Guten an
  3. sie lassen sie einen ordentlichen Beruf lernen
  4. sieverheiraten sie mit einer passenden Frau
  5. sie übergeben ihnen rechtzeitig das Erbe.
Gatte zu Gattin:
  1. Er achtet sie hoch
  2. verachtet sie nicht
  3. hintergeht und übergeht sie nicht
  4. überläßt ihr die Herrschaft über den Haushalt
  5. gibt ihr Schmuck und Schminke.
Die Frau revanchiert sich für solches Verhalten ihres Ehemannes dadurch, daß sie
  1. ihre Aufgaben gut verrichtet
  2. geschickt und fleißig ist
  3. das Personal im Zaum hält
  4. den Gatten nicht hintergeht oder übergeht
  5. den Besitz hütet.

Auch oberhalb des Bereiches von Böses-Tun bzw Gutes-Tun gibt es nach der entfalteten Lehre des Theravâdabuddhismus noch einen weiteren Bereich, der sich unter der Gesetzmäßigkeit von Tat und Tatreifung und somit Wiedergeburt befindet, nämlich die eine Art der Meditation, die Ruhigwerde-Meditation, auf die ich später zurückkommen werde im Zusammenhang von Mönchsleben und Meditation.

Sehr viele Thais lieben es, Verdienstvolles zu tun, wobei die Unterstützung der Mönche, das Errichten von Klöstern, Pagoden und ähnliches einen ganz zentralen Platz hat: die Thais geben im Durchschnitt ca 7% ihres Einkommens freiwillig für solche Zwecke aus. Ich kenne Thais, die 30% und mehr dafür ausgeben. Die Motive mögen verschieden sein: seis weil man wirtschaftlichen Erfolg will, daß man in der Lotterie gewinnen will, daß man bei einem Examen Erfolg haben will, daß man gesund bleiben oder werden will, daß man in einer künftigen Existenz mit besseren Ausgangsbedingungen (z.B. in einer wohlhabenden Familie) geboren werden will. All dies klingt für westliche Menschen zunächst sehr selbstsüchtig; wer aber, wie ich, selbst erlebt hat mit welchem Wohlwollen Thais zB. beim täglichen Almosengang der Mönche geben, der weiß, daß dieser Egoismus echte menschliche Wärme, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht ausschließt. Vielleicht ist diese Haltung ehrlicher als manche sogenannte Selbstlosigkeit.

Tun Thai Gutes, so tun sie es nicht im "stillen Kämmerlein", sondern die guten Taten werden öffentlich bekannt gemacht: so erhalten andere die Möglichkeit, sich neidlos mitzufreuen, daß ihr Mitmensch Gutes tat: eine Möglichkeit, sich Verdienst zu erwerben, auch wenn man keine großen finanziellen Möglichkeiten hat. Sich neidlos mitzufreuen, kann heilsamer sein, als ein Kloster zu erbauen.

Als Gelegenheit zum Tun von Verdienstvollem gibt es u.a. den täglichen Almosengang der Mönche und die zahlreichen Tempelfeste. Dabei kommt es den Thais darauf an, daß diese Feste - wie auch Leichenverbrennungen - Spaß machen. Dies ist eine Haltung, die im Buddhismus eine Begründung findet: heilsam sind nur freudvolle oder neutrale Zustäände, wenn auch nicht alle freudvollen oder neutralen Zustände heilsam sind. Etwas, bei dem man traurig ist, Reue empfindet, es ungern tut, das ist auf alle Fälle unheilsam. So werden auch bei den Tempelfesten und Verbrennungen oft die verschiedensten Amüsements geboten: Filmaufführungen, Showtrupps, Tänze und anderes; all dies im Klosterbereich.

Nun noch ein paar Worte zur religiösen Praxis im engeren Sinn, dh. den religiösen Ritualen:

Zunächst die täglichen Riten: Fromme Buddhisten beginnen ihren Tag und beenden ihn vor einem kleinen Schrein, der aber nicht unbedingt ein Buddhabildnis enthalten muß. Im Gegenteil mancherorts fürchtet man, daß man, wenn man ein Buddhabildnis im Hause hat, man ungewollt unehrerbietig gegenüber diesem Bildnis sein könnte. Da man geweihten Buddhastatuen oft magische Kräfte zuschreibt, erwartet man dann verheerende Folgen auch für Unehrerbietigkeit aus Unachtsamkeit.

Der wöchentliche und monatliche rituelle Zyklus ist vor allem durch die sog. Uposatha-Tage gekennzeichnet, die dem Mondzyklus folgen: Neumond und Vollmondtag sowie jeweils der achte Tag danach. Diese Uposathatage dienen besonders dem Verdiensttun: an ihnen geben zB. besonders viele Leute den Mönchen beim

Almosengang Essen. Fromme Laien bleiben gern den ganzen oder wenigstens einen Teil des Uposathatages im Bereich des Tempels, nehmen die acht oder zehn Trainingspunkte der Sittlichkeit auf sich, hören auf Predigten usw. Wichtig ist, daß die Beobachtung der Uposathatage zwar großes Verdienst bringt, ihre Nichteinhaltung aber keine bösen Folgen hat. Beobachter der Uposathatage sind vor allem Frauen.

Es gibt auch einen jährlichen Zyklus von Festen: die wichtigsten Feste des Jahrefestkreises sind:

  • das Neujahrsfest (13-15.April)
  • Visâkhâpûjâ am Maivollmond, wenn zugleich Geburt, Erlösende Einsicht und vollständiges Erlöschen Gautama Buddhas gefeiert wird
  • der Eintritt in die Regenzeit am Julivollmond, ab welchem Datum die Mönche das Kloster nicht mehr wechseln dürfen
  • der Austritt aus der Regenzeit am Oktobervollmondtag
  • die Übergabe neuer Gewandtücher an die Mönche im Oktober/November.
  • Mit dem Lebenszyklus verbunden sind nur sehr wenige buddhistische Feste: Geburt, Heirat usw. werden nicht als buddhistische Feste gefeiert. Als Lebenszyklusfest könnte man evtl den Eintritt in den Mönchsorden vor dem 25. Lebensjahr bezeichnen. Das wichtigste Fest im Leben eines Buddhisten ist die Verbrennung seiner Leiche. Diese Feier wird dazu genutzt, um auf den Verstorbenen nochmals Verdienst zu übertragen.

    3.3. Mönche und Klöster

    Nach diesem summarischen Aufriß des Lebens eines buddhistischen Laien, nun zu den Mönchen.

    Während der Regenzeit 1969 gab es in Thailand ca. 25 000 Tempel, 190 000 Mönche und 115 000 Novizen, dh. auf ca. 115 Thais kam ein Mönch oder Novize. Auf die Anzahl der erwachsenen männlichen Buddhisten bezogen kam auf ca 35 erwachsene männliche Buddhisten ein Mönch. Obwohl heute die Zahlen etwas verschieden sein werden, geben diese Zahlen doch einen guten Eindruck der Verhältnisse.

    Der Mönchs- und Nonnenorden waren ursprünglich dafür gedacht, daß die Gemeinschaft der Laien solchen, die die Erlösung zu verwirklichen wünschen oder die die Erlösung schon verwirklicht haben, es ermöglicht, frei von den Alltagssorgen ein bescheidenes Leben zu führen. Wenn jemand nämlich sich für den Unterhalt von sich und einer Familie kümmern muß, ist es sehr schwer, sich freizumachen von den Bindungen. Deswegen ist der Weg als Mönch oder Nonne der leichtere Weg zur Erlösung.

    Die Verwirklichung der Erlösung kann sehr schnell, ja plötzlich geschehen, sie kann aber auch das Ergebnis von lange währender Meditation sein. Um schwere Mißverständnisse zu vermeiden, muß man zwischen zwei Arten von Meditation unterscheiden:

  • Ruhigwerdemeditation
  • Einsichtsmeditation
  • Obwohl die Ruhigwerdemeditation sich oberhalb des Bereiches von Böses-Tun bzw Gutes-Tun befindet, den ich oben im Zusammenhang mit dem Laien behandelt habe, steht die Ruhigwerdemeditation unter der Gesetzmäßigkeit von Tat und Tatreifung und somit Wiedergeburt.

    Die Ruhigwerdemeditation ist kein Spezifikum des Buddhismus, sondern sie wird z.B. auch von nichtbuddhistischen indischen Yogis und auch vielen Christen gepflegt. Ihr wesentlicher Unterschied zur zur Erlösung führenden Meditation, der sog. Einsichtsmeditation, besteht darin, daß sie zwar zu außergewöhnlichen Glücks- oder Gleichmutszuständen führt, daß sie aber nicht zur Einsicht führt, daß gar alles vergänglich, leidvoll und Nicht-Ich ist. Die Entfaltung dieser Ruhigwerdemeditation führt zur Wiedergeburt als begierdeloses Wesen mit unvorstellbar langer, aber begrenzter Lebenszeit.

    Demgegenüber soll die Einsichtsmeditation zur Verwirklichung der Einsicht führen, daß alles unbeständig, ohne bleibendes Ich und deshalb leidvoll ist. Die wichtigsten Methoden bestehen in der bewußten Zurkenntnisnahme des Atmens - nicht in Atemkontrolle -, in der bewußten Zurkenntnisnahme aller automatisierten Akte wie zB. des Gehens, Stehens, Liegens, Sitzens; und in der bewußten Zurkenntnisnahme objektbezogener Vorgänge als Akte, dh. zB. wenn ich etwas sehe, ist meine ganze Aufmerksamkeit nicht wie im Alltag auf das gesehene Objekt gerichtet, sondern darauf, daß Sehen stattfindet. Diese Meditationsmethoden führen über verschiedene Zustände evtl. zum Durchbruch zur Heilsgewißheit.

    Doch nun zurück zum Mönchsorden: Obwohl also der Mönchsorden ursprünglich nur für diejenigen gedacht war, die ausprobieren wollen, ob der buddhistische Weg zur Erlösung führt, machen solche Mönche innerhalb des thailändischen buddhistischen Mönchsordens gewiß die Minderheit aus.

    Mönch wird man aus den verschiedensten Gründen z.B.

    Es gibt einen Thaispruch, der einige mögliche Motive nennt, derentwillen man Mönch wird:

  • um ein Gelübde an die Götter zu erfüllen
  • um der Armut zu entrinnen
  • um einer Frau zu entfliehen
  • um Geld zu sparen
  • um besser als zu Hause zu essen
  • um mit einem Freund gemeinsam im Kloster zu sein.
  • Die Motive, derentwillen man in den Mönchsorden eintritt, brauchen nicht identisch zu sein mit denen, wegen derer man dann bleibt. So kann es sein, daß jemand wegen der alten Sitte, und um seiner Mutter eine Freude zu machen, für eine Regenzeit Mönch werden will, später aber sein Leben lang bleibt, weil ihn eine bestimmte Art von Meditation so sehr überzeugt.

    Man kann Mönch werden sobald man das zwanzigste Lebensjahr erreicht hat. Vorher kann man Novize werden. Der Eintritt in den Mönchsorden geschieht in einer recht einfachen Zeremonie. Mit dem Eintritt in den Mönchsorden nimmt man die Einhaltung der 227 Mönchsregeln auf sich. Das Gewicht, das man in Thailand auf die Einhaltung der einzelnen Regeln legt, ist unterschiedlich. Großer Wert wird auf korrektes Verhalten, besonders auch gegenüber Frauen gelegt: ein Mönch soll freundlich, milde, nie aufgeregt, zornig, grob oder streitlustig sein, er soll sich immer ordentlich benehmen und seine beiden Gewandtücher ordentlich tragen, darf mit keiner Frau direkt oder indirekt in Berührung kommen, hat darauf zu achten, daß er nur Dinge ißt, die er formell überreicht bekam, darf von 12 Uhr mittag bis zum anderen Morgen nach Sonnenaufgang nicht mehr essen, soll beim Essen nicht gierig sein und nicht zeigen, daß er hungrig ist, darf nicht betteln und vieles andere mehr.

    Aus dem Mönchsorden für immer ausgeschlossen wird man, wenn man als Mönch Sexualverkehr hat, schweren Diebstahl begeht, einen Menschen tötet, zum Mord an einem Menschen Beihilfe leistet oder jemandem das Leben so mies darstellt, daß dieser Selbstmord begeht. Aus dem Orden wird man ebenfalls ausgeschlossen, wenn man bewußt fälschlich erzählt, daß man irgendwelche übermenschliche Zustände erreicht hat.

    Den Lebensunterhalt hat man als Mänch vor allem durch freiwillige Gaben der Laien: beim morgendlichen Almosengang gibt der Mönch den Laien, die an dem betreffenden Tag etwas Heilsames tun wollen, die Gelegenheit dazu: die Laien warten an den Straßen auf die vorbeikommenden Mönche und laden diese ein, von ihnen Speisen (Reis, Fleisch, Fisch, Süßigkeiten, Obst, usw.) entgegen zu nehmen. Der Mönch spricht in Pâli den Wunsch aus, daß für den Geber alle Widerwärtigkeiten vergehen mögen und daß der Geber langes Leben, Schönheit, Kraft und Glück erlangen möge. Andere Laien bringen Essen und die kleinen Notwendigkeiten des Alltags (zB. Seife, Zahnpasta usw.) ins Kloster. Bei verschiedenen Festen zieht man mit Wunschbäumen, auf die man solche Kleinigkeiten und auch Geldscheine gehängt hat, mit Musik und Tanz zum Kloster.

    Eine weitere Einnahmequelle für die Mönche sind die Gaben (oft Geld), die Laien den Mönchen als Gegenleistung dafür geben, daß diese Pâlitexte anläßlich von Hauseinweihungen, Verbrennungen, Totengedächtnis usw. rezitieren.

    Wie eine solche Rezitation wirkt, darüber sind die Ansichten verschieden: die einen sprechen den rezitierten Texten als solchen Wirksamkeit zu (es sind ja von Buddha selbst formulierte Wahrheiten); andere denken, daß die Geister sich freuen, wenn sie Buddhas Wort hören können und so gut gesinnt werden; andere wieder bejahen solche Rezitationen, weil sie den Leuten heilsame Freude bereiten.

    Auch für astrologische und heilkundliche Dienstleistungen beschenkt man die Mönche.

    Eine weitere Einnahme sind für bestimmte Mönche staatliche Gehälter (zB. als Lehrer usw., wobei diese weit unter den Gehältern für Laien liegen) und Zuwendungen.

    Nach den Mönchsregeln dürften Mönche kein Geld entgegennehmen. Die eine der beiden verschiedenen Richtungen der Mönchstradition in Thailand, der sog. Thammayutnikây, hält dies auch streng ein: mit Geld darf nur ein Laie umgehen: wenn man verreist, muß ein Laie für einen die Fahrkarten lösen usw. Die überwiegende Richtung der Mönchsdisziplin, der sog. Mahânikây, ist in dieser Beziehung nicht so streng: die Mönche nehmen Geld entgegen und gehen damit auch um.

    Obwohl es einige Mönche gibt, die für sich persönlich Reichtum anhäufen, so sind doch die Einnahmen der großen Mehrheit der Mönche äußerst bescheiden. Viele Äbte, die höhere Einnahmen haben, verwenden den Großteil davon, um armen Novizen den Schulbesuch zu ermöglichen, und zum Unterhalt der Buben aus meist ärmeren Familien, die im Kloster leben und dort kleine Dienstleistungen verrichten, um eine bessere Erziehung zu bekommen. Andere sehr angesehene Mönche verwenden ihren Einfluß, um Gelder für soziale Aufgaben wie Bau von Schulen, Bewässerungsanlagen, Kauf von besserem Saatgut zusammenzubringen.

    Das Leben der Mönche sieht sehr unterschiedlich aus: eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen Mönchen, die ganzjährig in Klöstern leben und den sogenannten Thudong, die außerhalb der Regenzeit frei herumziehen, teils in Höhlen leben, teils ihren Schirm mit Moskitonetz am Fuß von Bäumen aufspannen und heute hier, morgen dort übernachten. Noch andere, solche - dem frühen buddhistischen Mönchtum entsprechende - Praktiken, werden heute in Thailand ausgeübt.

    Die Klöster sind unterschiedlich orientiert:

  • es gibt Klöster, die spezialisiert sind auf buddhistische Studien
  • andere widmen sich mehr dem Unterricht in weltlichen Dingen - oft auch für Laien
  • andere sind Meditationsklöster für Mönche und Laien
  • wieder andere sind das Zentrum eines Dorfesauch Klöster, die sich auf die Behandlung von drogenabhängigen Laien spezialisiert haben
  • oder solche, die Mönche und Novizen als praktische Entwicklungshelfer für die Dörfer ausbilden gibt es.
  • Es ist die Regel, daß ein Mönch, wenn er längere Zeit im Orden bleibt, an verschiedenen Orten in verschiedene Klöster zieht: die Mönche bilden mit ihrer starken geographischen Mobilität ein Band des Zusammenhaltes zwischen den verschiedenen Regionen Thailands und auch einen wesentlichen Faktor bei der Verbreitung von Neuerungen (zB. sanitären Einrichtungen) ins Land hinaus.

    Während in einigen Klöstern die äußere Regelung des Tagesablaufs recht locker ist (abgesehen von den festen Essenszeiten), gibt es andere Klöster, in denen dieser Ablauf ziemlich stark geregelt ist. Es gibt Meditationsklöster, in denen von morgens 4.30 bis abends 11 Uhr meditiert wird, es gibt Klöster zur Erlernung der Pâlisprache, in denen die ganze Zeit mit Pauken ausgefüllt ist, es gibt Klöster, in denen die Mönche die meiste Zeit die Süßheit des Nichtstuns genießen.

    Im Unterschied zum frühen Buddhismus hat der Mönchsorden in Thailand eine hierarchische Organisation: an der Spitze steht ein Sangharâja - ein König der Mönchsgemeinde - zuunterst stehen die Äbte der einzelnen Klöster. Dazwischen gibt es eine Gliederung, die der politischen Gliederung Thailands ungefähr entspricht. Diese Organisation ermöglicht disziplinarisches Eingreifen durch die obere Stelle, wenn die Selbstkontrolle der Mönchsdisziplin auf einer untergeordneten Ebene nicht funktioniert. Diese hierarchische Organisation gewährleistet aber auch durch Mitspracherechte des Staates bei der Besetzung der Ämter eine gewisse politische Kontrolle über den Mönchsorden, dh. vor allem auch Kontrolle der geforderten Enthaltsamkeit der Mönche von jeder direkten politischen Betätigung.

    In neuerer Zeit bemühen sich buddhistische Mönche, Mitglieder der Bergvölker für den Orden zu gewinnen und somit zur Integration der Bergvölker in die Thaigesellschaft beizutragen.

    Missionarische Tätigkeiten im Ausland sind sehr beschränkt. Von größerer Bedeutung ist die wachsende Zahl von Ausländern, die für längere oder kürzere Zeit als Mönche, Maechee oder Laien in Thaiklöstern verweilen.

    Die Mönche stehen in der thailändischen Sozialordnung, soweit sie durch Höflichkeitsformen bestimmt wird, an oberster Stelle. Manche Thais betonen allerdings, daß sie das Mönchsamt verehren, nicht den Träger desselben. Mönche, die einen guten Lebenswandel führen oder die im Ruf außergewöhnlicher Fähigkeiten stehen, haben auch ein außerordentlich hohes persönliches Ansehen. Medaillen, die von ihnen geweiht wurden und die ihr Bildnis tragen, werden auch von Thais, die sonst ein eher distanziertes Verhältnis zum Buddhismus haben, gerne getragen und erzielen auf dem Markt hohe Preise.

    Der Austritt aus dem Mönchsorden ist jederzeit möglich: man erklärt vor den Mönchen dreimal in Pâli und in Thai, daß man von nun an das Leben eines Laien führen will. Wiedereintritt ist möglich, mehr als zweimaliger Eintritt kommt aber in Thailand kaum vor.

    Im alten Buddhismus hatten Frauen die Möglichkeit, Nonnen zu werden; dazu muß man sowohl von einer Nonnen- wie einer Mönchsgemeinde aufgenommen werden. Die Tradition der Nonnengemeinden erlosch aber in den Ländern des Theravâdabuddhismus und so gibt es in Thailand meines Wissens nur eine einzige Nonne: sie erhielt 1971 die Aufnahme in den Nonnenorden durch Mahâyânamönche und -nonnen in Taiwan, die ihre eigene Tradition auf Theravâdanonnen Sri Lankas zurückführen. Obwohl diese Ordination also in Theravâdatradition steht, hat diese Nonne in Thailand Probleme, als Thervâdanonne anerkannt zu werden. Diese Nonne ist stark sozial engagiert tätig.

    Normalerweise können Frauen in Thailand sog. Maechee's werden. Maechee's sind Frauen, die wie die Novizen die 10 buddhistischen Trainingspunkte der Sittlichkeit auf sich nehmen. Bisher waren das sehr oft Witwen oder Frauen, die ihr Mann verlassen hatte, in letzter Zeit aber nahm die Zahl derjenigen Mädchen und jungen Frauen zu, die für eine kurze Zeit das Leben einer Maechee führen, zB. Studentinnen in Examensnöten.

    3.4. Nichtbuddhistische Religion der Buddhisten

    Für alle Dinge, die nicht zum Weg der Befreiung vom Leid gehören, erhebt der Theravâdabuddhismus nicht den Anspruch, die besten Mittel anzubieten. So bleibt auch für einen überzeugten Buddhisten für solch irdische Dinge wie den Umgang mit Gespenstern, die Sicherung von genügend Regen und dergl. der Weg zu Spezialisten auf diesen Gebieten offen. So kann man auch fast überall in Thailand die Geisterhäuschen sehen. Geisterhäuschen stehen zwar nicht in einem direkten Zusammenhang zum Buddhismus, sie werden durch diesen aber auch nicht ausgeschlossen.

    Die Einstellung zu anderen Religionen, wie sie in Thailand in den Schulen und Klöstern vermittelt wird, ist die, daß alle Religionen dasselbe wollen, da sie den Menschen lehren, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Eine polemischere Haltung entsteht manchmal als Reaktion auf das Wirken christlicher Missionare, falls diese versuchen den Buddhismus herabzusetzen.

    3.5. Zusammenfassung

    Wir können beim thailändischen Buddhismus verschiedene Aspekte beobachten, auf die ich zum Teil eingegangen bin:

  • den nibbânischen Aspekt: Buddhismus als Weg zur endgültigen Erlösung,
  • den kammischen Aspekt: Buddhismus als Weg zur Verbesserung der Lebensumstände, insbes. im Lauf der Wiedergeburten;
  • den apotropäischen Aspekt: Buddhismus, insbes. das Rezitieren buddhistischer Texte als Mittel der Abwehr von Unheil;
  • den eschatologischen Aspekt: Buddhismus als Religion der Erwartung des nächsten Buddha oder der Erwartung einer Umbruchszeit, ein Aspekt, auf den ich nicht eingegangen bin, der aber durchaus von Bedeutung ist.
  • Man darf aber keineswegs den Fehler begehen, diese verschiedenen Aspekte des einen Theravâdabuddhismus als verschiedene Buddhismen anzusehen und sie gegeneinander auszuspielen. Da Buddhisten nicht nur mit einem Leben rechnen, sondern mit unzählig vielen, haben sie große Geduld mit sich selbst und mit den Mitmenschen: was man in diesem Leben nicht schafft, schafft man vielleicht in einem künftigen. Darum wäre es auch töricht, zu erwarten, daß alle Menschen oder auch nur der Großteil der Menschen Erlösung als ein erstrebenswertes Ziel wirklich ansehen. Selbstverständlich ist es für die meisten viel erstrebenswerter, unter besseren Umständen leben zu können. Deswegen kann man auch nicht den nibbânischen gegen den kammischen Aspekt des Buddhismus ausspielen: die Menschheit braucht beide.

    Der Zusammenhang zwischen gegenwärtigem Leben und "Wiedergeburt"

    nach dem Theravâdabuddhismus (vereinfacht)

    Gegenwärtiges Leben

    "Wiedergeburt"

    Bereich, in dem Wiedergeburt geschieht

    Einsichtsmeditation (Vipassanâ)

    (evtl. über Zwischenstufen:) keine Wiedergeburt: Nirvâ.na

    Ruhigwerdemeditation (Samatha-kamma.t.thâna)

    Je nach Zustand, den man in Meditation erreicht:

    in einer der vier Regionen von körperlosen, ständig in Meditation versunkenen Wesen mit immens langer Lebenszeit

    Welt der Nichtformen

    in einer der 16 Regionen von begierdelosen Wesen, die nur noch feinstoffliche Körper haben, mit immens langer Lebenszeit, aber kürzer als obige.

    Welt der Formen

    Almosengeben und Entfaltung der Sittlichkeit (nicht morden, stehlen, huren, lügen, saufen; Freundlichkeit, Mitgefühl, Mitfreude, Gelassenheit)

    Je nach Verdienst: in einem der 6 Himmel mit Göttern mit Körpern und Begierden (Lebenszeit mindestens 9.000.000 Jahre)

    Welt der Begierden:

    gute Wieder- geburten

    als Mensch

    Tun von Bösem (morden, stehlen, huren, lügen, saufen u.ä.)

    Je nach Vergehen:

    als Dämon

    als Gespenst

    als Tier

    in einer Hölle, die aber auch nur von begrenzter Dauer ist

    Welt der Begierden:

    schlechte Wieder- geburten

    3.5. Das Tipi.taka der Theravâdaschule

    Die Theravâdaschule faßt die Gesamtheit der Schriften, die die Überlieferung des Buddhawortes darstellen sollen in einer sog. Sammlung von drei Körben - Tipi.taka - zusammen. Dieses Tipi.taka ist in Pâli abgefaßt, einer Sprache, die nach Meinung der Theravâdabuddhisten die Sprache Buddhas selbst war, vermutlich aber eine alte westindische Sprache ist, die aber zur heiligen Sprache der Theravâdabuddhisten wurde.

    Das Tipi.taka besteht aus drei Einzelkörben:

    Vinayapi.taka
    Korb des rechten Verhaltens für Mönche und Nonnen, das u.a. die 227 Regeln für Mönche samt Erklärung enthält sowie Anweisungen für Zeremonien sowie Kleidung, Wohnung und andere Bedarfsartikel der Mönche und Nonnen.
    Suttapi.taka
    Korb der Lehrreden des Buddha, das im wesentlichen in verschiedenen Sammlungen Lehrreden des Buddha enthält.
    Abhidhammapi.taka,
    enthält ebenfalls die Lehre des Buddha, aber in systematischen Aufzählungen und vor allem in einer Sprache, die ihrem Inhalt entspricht. Zur Erklärung folgendes Beispiel: Wenn Buddha nach Benares gehen will, sagt er selbstverständlich: "Ich gehe nach Benares", und dies, obwohl es nach seiner Lehre kein Ich gibt. Im Abhidhammapi.taka wird nun u.a. das Werkzeug geboten, um dieses Ich in seine kurzlebigen Bestandteile zu zerlegen: in eine gestaltete Ansammlung von Sehakten, Hörakten,

    Neben diesem Tipi.taka gibt es eine reichhaltige Pâliliteratur, vor allem Kommentare und Unterkommentare. Besondere Erwähnung verdienen:

    Milindapañha
    die Fragen des Griechenkönigs Menander, ein Werk, in dem ein buddhistischer Mönch die angeblichen Fragen und Einwürfe des Königs Menander mit einleuchtenden Gleichnissen beantwortet.
    Visuddhimagga
    die umfassendste und beste systematische Darstellung der Lehre des Theravâdabuddhismus. Verfaßt vom bedeutendsten Kommentator, Buddhaghosa, im 5. Jhdt. n. Chr. Damit kam die Lehrentwicklung des Theravâdabuddhismus mit kleinen Ausnahmen zum Abschluß.

    Das Mahâyâna

    Die alten Schulen des Buddhismus, zu denen auch der Theravâdabuddhismus gehört, werden oft mit dem Namen Hînayâna bezeichnet. Doch ist dies eine verächtliche Bezeichnung, die von den Vertretern des sog. Mahâyâna gegeben wurde. Sie bedeutet "minderwertiger Weg" oder "minderwertiges Fahrzeug". So sollte ausgedrückt werden, daß dieser Form des Buddhismus die Fülle des Mahâyâna, des "großen Weges" oder "großen Fahrzeugs" fehlt.

    Dieses Mahâyâna entstand ungefähr zu Beginn unserer Zeitrechnung. In neuen Lehrtexten, die angeblich bis dahin verborgen gehaltene Unterweisungen des Buddha enthalten sollten, vertrat es eine neue Lehre:

    Das Mahâyâna in seinen verschiedenen Schulen ist heute noch in Nepal, Tibet, Mongolei, China, Vietnam, Korea und Japan verbreitet, soweit die politischen Umstände seine Ausübung zulassen.

    Zenbuddhismus

    Innerhalb des Mahâyâna entstand auch der Zenbuddhismus, der sich auf den indischen Mönch Bodhidharma zurückführt, der im 6. Jh. n. Chr. in China gelebt hat. Der Zenbuddhismus übernimmt von einer philosophischen Schule des Mahâyâna die Bezeichnung des All-Einen als Leere, womit ausgedrückt wird, daß das eigentliche "Wesen" von allem jenseits des positiv oder negativ Ausdrückbaren liegt. Dem Zen kommt es darauf an, diese Leere durch eine plötzlich hereinbrechende Intuition zu erfassen.

    Die wichtigsten Techniken des Zen zur Erreichung dieser Intuition sind:

    Die Atemzüge zählen:
    eine Meditationsform für Anfänger. Das Ein- oder das Ausatmen wird von eins bis zehn abgezählt. Wenn irgend ein anderer Gedanke in den Kopf kommt, muß man wieder mit eins anfangen.
    Die Atemzüge verfolgen:
    Ohne zu zählen, ist man sich ständig seines Atmens bewußt, ohne daß man den Atem forciert ändert.
    Shikan-Taza (Zazen im engeren Sinn):
    Man sitzt absolut unbeweglich da, wobei man alle Außenbeziehungen abbricht, nicht urteilt oder beurteilt, von Denken, Erinnern, Vorstellen absieht und nicht darauf sinnt, ein Buddha zu werden.
    Koan:
    Das Koan ist eine Form, die verstandesmäßig nicht erfaßt werden kann. Ein Beispiel für ein Koan: "Frage: Welche Bedeutung kommt dem Auftreten Bodhidharmas im Osten zu? <= Was ist das Grundprinzip des Buddhismus?> Antwort: Der Zypressenbaum im Hof." Das Koan ist kein Scherzrätsel, auch keine paradoxe Aussage, sondern, wenn das Koan gelöst ist, erweist es sich als eine einfache und klare Aussage, von dem Zustand veränderten Wachbewußtseins aus gemacht, zu dessen Erweckung es geholfen hat. Ein Koan wird dem Schüler zur geistigen Lösung aufgegeben, damit er sich darauf konzentriert und sich so lange mit ihm beschäftigt, bis er das rationale Denken aufgibt und in den überrationalen Bereich der Erleuchtung vorstößt. Zunächst bewirkt die angestrengte Koan-Übung höchste Konzentration, aus dieser Konzentration erwächst zunächst das Suchen nach der Lösung des Koan: der Übende versucht es auf alle verstandesmäßigen Weisen, aber vergebens. Nun gerät der Übende in einen Zustand der Ratlosigkeit. Wie ein in einen engen Raum Eingesperrter rennt er immer gegen die selbe Wand an, doch der Ausweg steht offen, aber nicht dort, wo der Verstand bohrt, sondern in einer ganz neuen Dimension.

    Die verschiedenen Zenschulen legen auf jede dieser Techniken unterschiedlichen Wert.

    Der Zenweg erfordert eine enge Beziehung Meister-Schüler, er ist nicht aufgrund von Büchern u. dergl. gehbar. Die plötzlich hereinbrechende Intuition in die Leere ist, wie alle buddhistischen Erlösungserlebnisse, nicht mit dem Denken nachvollziehbar.

    Im Gegensatz zu den übrigen Mahâyânaschulen, die die Regeln der Ordensdisziplin von Schulen des älteren Buddhismus übernommen haben, hat im 8. Jhdt. ein chinesischer Zenmönch neue Regeln für Zenklöster entworfen. Diese Regeln beginnen mit dem Satz:

    "Ein Tag ohne Arbeit ist ein Tag ohne Essen."

    Im Unterschied zum übrigen Buddhismus sind darum Zenmönche und -nonnen mit körperlicher Arbeit beschäftigt.

    Heute ist der Zenbuddhismus, soweit es die politischen Umstände zulassen, in China, Vietnam, Korea und Japan verbreitet.

    Der tantrische Buddhismus (Tantrayâna, Vajrayâna)

    Seit dem 2. Jh. n. Chr. entwickelten sich auf der Grundlage des Mahâyâna die verschiedenen Schulen des tantrischen Buddhismus, der - soweit es die politischen Umstände zulassen - heute noch in Tibet, Mongolei, China, Korea und Japan verbreitet ist.

    Der tantrische Buddhismus ist eine Geheimlehre, in die ein Schüler von einem persönlichen Lehrer eingeführt werden muß, nachdem er eine entsprechende Weihe empfangen hat. Allerdings geschieht diese Weihe und Einführung manchmal in Massenzeremonien.

    Ein wesentliches Charakteristikum des tantrischen Buddhismus ist, daß geheimnisbvolle Silben und Sprüche einen gegenüber vielen Mahâyânarichtungen viel kürzeren Weg der Erlösung bieten. So ist nach Auffassung seiner Anhänger dieser Weg den anderen Wegen deshalb überlegen, weil er wirkungsvoller, leichter und schneller zur Erlösung führt.

    Im Mittelpunkt des tantrischen Buddhismus stehen die drei Geheimnisse von Denken, Rede und Leib:

    Das Geheimnis des Denkens
    besteht darin, daß man durch Meditationspraktiken die Einheit von sich selbst und dem All- Buddha realisiert.
    Das Geheimnis der Rede
    Dazu gehören die magischen Silben (bîja): Jedes Wesen und jede Art von Existenz manifestiert sich in einer Silbe. ZB. manifestiert sich die höchste Wirklichkeit (All-Einheit) in der Silbe "a", weil diese Silbe der Anfang des Sanskrit- Alphabets ist, aber auch in jedem Konsonantenbuchstaben des Sanskrit-Alphabets enthalten ist. Genau so ist auch die Alleinheit sowohl Ursprung von allem als auch in jedem Individuum enthalten. Bei den meisten übrigen magischen Silben ist die Zuordnung nicht so einsichtig.
    Aus solchen Silben und anderen Wörtern bildet man magische Formeln (mantra), welche einem bestimmten Buddha oder einem anderen Wesen zugeordnet sind. Die berühmteste solche Formel ist das dem Bodhisattva Avalokite`svara zugeordnete Mantra "Om ma.ni padme hum". Aus diesem Mantra kann man durch entsprechende Auslegungsverfahren den gesamten Heilsweg ableiten.
    Die magischen Silben und Formeln stehen in enger Beziehung zur Meditation: sie fixieren den Inhalt der Meditation in knapper sprachlicher Form und können deshalb an die Stelle anderer Formen der Meditation treten, indem man einfach diese Laute murmelt. Sie dienen aber auch der Meditation dadurch, daß ihnen bestimmte Farben, Formen usw. zugeordnet sind, sodaß man sich zB. aus einer magischen Silbe die Gestalt einer Gottheit sichtbar machen kann, sein eigenes Ichbewußtsein ausschließt und seine Identität mit der Gottheit erfährt.
    Die Formeln und Silben wirken aber nicht nur, wenn man sie ausspricht oder denkt, sie wirken auch durch ihre bloße materielle Existenz. Deshalb findet man überall im tibetischen Gebiet riesige Mauern, die nur aus Steinen bestehen, auf die Om ma.ni padme hum eingemeißelt ist. Auch die tibetischen Gebetsmühlen beruhen auf dieser Vorstellung: in ihrem Inneren ist auf Papierstreifen das Mantra Om ma.ni padme hum hundertmal, tausendmal, ja hunderttausendmal geschrieben: indem man diese Gebetsmühlen dreht, erreicht man die gleiche Wirkung, wie, wenn man ebensooft diese Formel murmeln würde.
    Das Geheimnis des Leibes
    Es sind die Gebärden und Gesten (mudra), die die Ausführung der beiden ersten Geheimnisse (Meditation und Aussprechen magischer Formeln) begleitet. Die Zahl undd Symbolik dieser Gebärden ist unerschöpflich: allein den fünf Fingern kann man zahlreiche Fünfheiten - zB. die fünf Hauptbuddhas - zuordnen.
    Zu den Gebärden tritt noch eine Fülle materieller Symbole wie Glocke, Spiegel, Dolch usw.
    Den Höhepunkt der tantrischen Symbolik bilden die Mandala's, Schaubilder, die den Kosmos oder bestimmte geistige Zusammenhänge darstellen und dem Eingeweihten die Meditation erleichtern sollen. Das wohl gewaltigste Mandala ist der Tempel Borobodur in Zentraljava.
    Der Kult des tantrischen Buddhismus ist ebenfalls symbolischer Natur: er stellt die Beziehung zwischen einzelnen Teilerscheinungen des All-Einen oder der Teilerscheinungen zum All-Einen dar. Bald steht der Priester den überirdischen Wesenheiten als ihr demütiger Diener gegenüber, bald identifiziert er sich mit einer von ihnen und bedient sich ihrer magischen Kräfte, bald wird er zum All-Einen und erschafft alle Teilerscheinungen dieses All-Einen. Tanz und Musik spielen beim Kult eine große Rolle.

    Die Mönchsdisziplin im tantrischen Buddhismus ist - verglichen mit den Vorschriften im Vinaya - sehr lax: es gibt Orden, in denen Mönche (besser: die Geistlichen) verheiratet sind, und solche, bei denen sich das Mönchtum (besser: der geistliche Stand) vom Vater auf den Sohn vererbt,

    In Tibet werden die Mönche der verschiedenen Orden Lama genannt. Deswegen wird die Gesamtheit des tibetischen Buddhismus auch als Lamaismus bezeichnet. Das (faktische) geistliche und früher auch weltliche Oberhaupt der tibetischen Buddhisten ist der Dalai Lama, der der körpergewordene Bodhisattva Avalokite`svara, der Mitleidsvolle ist.

    Ein in Tibet wichtiger Ritus ist das Verlesen des Totenbuches bei Verstorbenen. Dieses Buch schildert die Erlebnisse des Bewußtseins eines Verstorbenen auf dem Weg zu einer neuen Existenz und gibt Ratschläge, wie es ungünstigen Wiedergeburten entgehen kann. Somit dient die Verlesung dieses Buches als Führer zu einer guten Wiedergeburt.

    Wie im gesamten tantrischen Buddhismus wurden auch in Tibet Vorstellungen vorbuddhistischer Religionen übernommen.

    Die heiligen Schriften des tibetischen und chinesischen Buddhismus

    Da seit 1200 der Buddhismus in Indien aus verschiedenen Gründen verschwunden ist, sind sehr viele Texte in den ursprünglichen Sprachen verloren gegangen. Man muß neben Fragmenten, die man in verschiedenen Sprachen an der Seidenstraße gefunden hat, vor allem auf die Übersetzungen ins Chinesische und Tibetische zurückgreifen.

    Die Sammlung der Übersetzungen aus dem Sanskrit ins Tibetische sowie einiger ursprünglich tibetischer Werke umfaßt drei Teile:

    1. Der Kanon: Kanjur: Je nach Ausgabe 100 bis 108 Bände. Enthält sowohl Schriften der alten Schulen als auch des Mahâyâna und des tantrischen Buddhismus.
    2. Die Kommentare zum Kanjur: Tanjur. 224 Bände mit 3626 Texten. Enthält neben Kommentaren auch selbständige tantrische Literatur sowie Texte zur Logik, Grammatik, Poetik, Tierheilkunde, Medizin, Wörterbücher u.ä.
    3. Mdoma?n: ein Band mit Texten zum Zweck des Zaubers: Schutzzauber usw.

    Die heiligen Schriften des Buddhismus in Chinesisch sind ähnlich.

    Ausbreitung des Buddhismus

    Siehe beigefügte Karte.

    Verständnisfragen zum Buddhismus

    1. Nennen Sie einige wichtige Ereignisse im Leben Buddhas.
    2. Was sind die vier edlen Wahrheiten?
    3. Warum heißt der Buddhismus auch Mittlerer Pfad?
    4. Wie predigte Buddha?
    5. Was ist das Tipi.taka der Theravâdaschule? In welcher Sprache ist es abgefaßt? Was sind seine Hauptteile? Wie kann man deren Inhalt kurz beschreiben?
    6. Was sind die Hauptunterschiede zwischen Mahâyâna und den älteren Schulen?
    7. Was sind die wichtigsten Techniken zum Erreichen der Intuition der Leere im Zenbuddhismus?
    8. Welches sind die drei Geheimnisse des tantrischen Buddhismus?
    9. Was ist Lamaismus? Wer ist der Dalai Lama?
    10. Wie ist die Sammlung der heiligen Schriften im tibetischen Buddhismus gegliedert? Wie kann man den Inhalt der einzelnen Teile charakterisieren? Schriften welcher Schulen enthält die Sammlung?
    11. Wo leben heute schwerpunktmäßig Buddhisten und welchen Richtungen gehören sie an?