Einführung in den Theravâdabuddhismus der Gegenwart

Teil 2: Der Laienweg

Kapitel 2.2: Die Laienethik

Kapitel 2.3: Verdienst tun


von Alois Payer

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Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in den Theravâdabuddhismus der Gegenwart. -- Teil 2: Der Laienweg, Kapitel 2.2: Die Laienethik; Kapitel 2.3: Verdienst tun . -- Fassung vom 8. März 1996. -- URL: http://www.payer.de/theravgegenw/therav03.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung: 8. März 1996

Anlass: Lehrveranstaltungen Einführung in den Theravâdabuddhismus der Gegenwart, Univ. Tübingen, SS 1982, SS 1991

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Übersicht


2.2. Die Laienethik


Text:

Payer, Alois: Materialien zur buddhistischen Ethik, Kapitel 2: Zur Laienethik : Das Vyagghapajjâsutta und das Sigâlovâda-Sutta. --  URL: http://www.payer.de/buddhethik/ethbud02.htm


2.3. Verdienst tun


Text:

Payer, Alois: Materialien zur buddhistischen Ethik, Kapitel 3: Freigebigkeit (dâna) URL: http://www.payer.de/buddhethik/ethbud03.htm

Nachdem wir im genannten Text einiges über die Formen des Verdiensttuns gehört haben, nun noch einige Bemerkungen zu den Vorstellungen über Tat und Tatreifung (kamma), die dem Verdiensttun, dem zentralen Akt im Leben der meisten Buddhisten, zugrundeliegen:

  1. Die Grundanschauung ist, dass jede gute Tat irgendwann eine gute Folge haben wird, jede böse Tat eine böse (d.h. im Gegensatz z.B. zum Christentum gibt es keine Vergebung der Sünden: man kann den Folgen einer Taten nicht entkommen).
  2. Neben dieser Vorstellung, dass jede Tat ihre Frucht hat, steht die zweite, dass sich verschiedene Taten gegenseitig neutralisieren können, dass also die Tatreifung ein Ergebnis der Gesamtverteilung von gutem und bösem kamma ist. (Auch nach dieser Vorstellung gibt es keine Sündenvergebung, aber man selbst kann vergangene böse Taten neutralisieren).

Diese beiden Vorstellungen finden sich je nach der Situation oft bei ein und demselben Individuum (wie ja religiöse und andere Anschauungen außer bei blutleeren Philosophen selten widerspruchsfrei sind).

Spiro [Spiro, Melford E.: Buddhism and society : a great tradition and its Burmese vicissitudes. - London : Allen & Unwin, 1971. - S. 122 f.]stellte allerdings fest, dass ca. ein Drittel der von ihm befragten oberbirmanischen Mönche nur die erste Anschauung (man kann kamma nicht neutralisieren) vertrat (auch Laien mit nur dieser rigoroseren Auffassung fand Spiro): jede Tat, insbes. jede böse Tat, hat ihre individuelle unentrinnbare Folge. Auch nur eine einzige Verletzung von einem der fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit führt in eine Hölle: man kann nichts tun, um diese Folge zu vermeiden. Und da jedes Wesen zumindest einmal einen dieser Trainingspunkte verletzte, folgt dass jeder eine Zeitlang in einer Hölle zubringen muss.

Von den Mönchen, die auch die zweite Auffassung vertraten, waren allerdings einige - im Gegensatz zu den Laien - der Ansicht, dass böses kamma nicht durch Geben oder Sittlichkeit neutralisiert werden kann, sondern nur durch Meditation. Die meisten waren auch der Meinung, dass nur gelegentliche Fehltritte neutralisiert werden können, nicht aber ein ständiges Bösestun (so waren sie der Ansicht, dass z.B. ein einmaliger Mord neutralisiert werden kann).

Beide Seiten versuchen ihre Ansicht mit Beispielen aus den Jâtakas zu stützen.

Zur ersten Vorstellung (jede Tat hat ihre eigene Frucht) nun einige Beispiele aus Oberburma, die aber auch auf andere Theravadaländer zutreffen:

Die Frucht der Schenkungen ist Wiedergeburt als ein reicher Mensch oder als ein Gott, die Frucht der Sittlichkeit ist langes Leben; für Übeltaten hat man sehr konkrete Vorstellungen: oft gilt das ius talionis: Gleiches wird mit Gleichem vergolten: Räuber, die andere überfallen, werden in einem zukünftigen Leben selbst von Räubern überfallen werden; wer mit seinen Schulden durchbrennt, wird als Diener seines Gläubigers wiedergeboren werden; wer geizig ist, wird in einer zukünftigen Existenz arm sein. In dem oberbirmanischen Ort, den Spiro untersuchte, sagten die 14 ärmsten Bewohner ohne Ausnahme, dass sie arm sind, weil sie in einem vergangenen Leben nicht genügend Schenkungen gemacht haben. Fast täglich erklärt man außergewöhnliches Glück oder Unglück als Folge früherer Taten. Predigten und Ansprachen sind voll mit Schilderungen der Folgen best. Taten.

Nach der Vorstellung, dass jede Tat ihre spezifischen Folgen hat, folgt, dass es verschiedene Typen guten und bösen kammas gibt: z.B. gutes und böses kamma für Erziehung, Politik, Wirtschaft usw.: das Beispiel zweier Männer aus Spiros oberbirmanischen Dorf macht das klar: Weil A's wirtschaftliches kamma schlecht ist, ist er arm, während B reich ist, weil sein wirtschaftliches kamma gut ist. Andererseits hat aber A den B bei der Wahl des Dorfschulzen besiegt, weil sein politisches kamma gut ist, das des B aber schlecht. Ein anderes Beispiel von Spiro: C gewann aufgrund eines Einsatzes von 50 Kyat bei einer Wette 1.320.Kyat; sein Glück regte ihn so auf, dass er am folgenden Morgen starb. Erklärung: als Folge guten kammas - vermutlich aufgrund von Geben (dâna) - gewann er die Wette, aufgrund von bösem kamma - vermutlich einem Mord in einem früheren Leben - starb er.

Dem ganzen Verdiensttun liegt selbstverständlich die Überzeugung von vielen Wiedergeburten zugrunde. Diese Überzeugung ist eine Quelle von Hoffnung (auf bessere Existenzen) und von Furcht (man kennt ja sein vergangenes kamma nicht und fürchtet sich darum vor ungünstigen Wiedergeburten). Der Glaube an Wiedergeburten gibt einem einerseits die Vorstellung einer moralischen Weltordnung, andrerseits haben die meisten Buddhisten viele Beispiele, die ihnen evident die Richtigkeit dieses Glaubens zeigen (wobei es wie bei allen Gestaltphänomenen, Paradigmen ist: evident ist so etwas innerhalb dieses Paradigmas): einige Beispiele: ein Bericht aus The Nation (Rangoon), 1960 [bei Spiro S 130]: in einem burmesischen Dorf wurden zwei Albino geboren. Die Eltern und andere sind der festen Überzeugung, dass es wiedergeborene Europäer sind. Die Mutter sagt, dass sie einen Traum hatte von einem britischen Soldaten, der zu ihrem Haus kam und um Erlaubnis bat, dort zu wohnen.

Außerdem gibt es sehr viele Leute, die behaupten, sich an ein früheres Leben erinnern zu können.

Bei Wiedergeburt ist aber darauf zu achten, dass es ja nach der Ideologie keine Seelenwanderung ist: anattâ. Dies führt allerdings für den, der im Bereich von Tat und Tatreifung denkt, zu einigen Problemen: Warum sollte man eigentlich darum besorgt sein, gute Wiedergeburten zu erreichen und schlechte zu vermeiden: es gibt ja nicht ein Ich oder dergl., das den Vorteil von meinen jetzigen Taten haben könnte (eine Hauptfunktion der anattâ-Lehre ist ja auch gerade, dieses sich nicht um sich kümmern zu ermöglichen: es gibt kein Ich, um da man besorgt sein müsste): ein burmesisches Sprichwort: "Dieser Körper genießt, ein anderer Körper leidet deswegen". Dieses Problem ließe sich leicht lösen, wenn die Mehrzahl der Wesen sich an frühere Geburten erinnern könnte: dies ist aber gerade nicht der Fall !

Zu diesem Problem gibt es verschiedene Lösungen in den Auffassungen der Leute:

  1. Annahme einer bleibenden Seele, die beständig durch die Wiedergeburten geht und eventuell erst bei Erreichen des Nirvana aufhört (auch in Thailand: Viññnân)
  2. Unterscheidung zweier Wahrheiten: vom lokuttara-Standpunkt, dem Standpunkt des Erlösten aus, gibt es keine bleibende Seele, aber vom lokîya-Standpunkt, dem Standpunkt des Unerlösten, gibt es eine solche Seele, d.h. solange man nicht die drei Merkmale aller Wirklichkeit realisiert hat, handelt man so als ob es eine Seele gäbe (Ich halte diese Lösung für ziemlich richtig).

Neben diesen Auffassungen finden sich noch manch andere zur Lösung des Problems.


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