Internationale Kommunikationskulturen

12. Kulturelle Faktoren: Zeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 12. Kulturelle Faktoren: Zeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit. -- Fassung vom 2008-04-21. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur12.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-06-26

Überarbeitungen: 2008-04-21; 2003-04-14 [Hinzzufügung einer Literaturangabe]

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht


1. Vom Umgang mit der Zeit. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur121.htm

2. Günstige und ungünstige Zeiten, Astrologie, Biorhytmik. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur122.htm

3. Ostasiatische und südasiatische Kalender und Zeiten. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur123.htm

4. Jüdische, muslimische und christliche Kalender und Zeiten. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur124.htm


1. Einleitung



Abb.: "Schlag die Uhr" (©ArtToday)

Die Zeit

Es gibt ein sehr probates Mittel,
die Zeit zu halten am Schlawittel:
Man nimmt die Taschenuhr zur Hand
und folgt dem Zeiger unverwandt,

Sie geht so langsam dann, so brav
als wie ein wohlgezogen Schaf,
setzt Fuß vor Fuß so voll Manier
als wie ein Fräulein von Saint-Cyr.

Jedoch verträumst du dich ein Weilchen,
so rückt das züchtigliche Veilchen
mit Beinen wie der Vogel Strauß
und heimlich wie ein Puma aus.

Und wieder siehst du auf sie nieder;
ha, Elende! -- Doch was ist das?
Unschuldig lächelnd macht sie wieder
die zierlichsten Sekunden-Pas.

[Morgenstern, Christian <1871 - 1914>: Palmström. -- Berlin : Cassirer, 1910. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 130715. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]

Zeit ist u.a. wichtig für die Synchronisation von Kommunikation. Unterschiedliches Verständnis von Zeit, Pünktlichkeit usw. kann zu ernsthaften Kommunikationsproblemen führen. Ja viele in anderen Kulturen Tätige sehen in Differenzen bezüglich Pünktlichkeit, Arbeitszeit, zeitlicher Effizienz usw. den Hauptgrund für Schwierigkeiten und Konflikte und das Gebiet, in dem Akkulturation am schwierigsten ist.

Unser Zeitverständnis, das vom häufigen Blick auf die (sekundengenaue) Armbanduhr geprägt ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Auch bei uns koexistieren mit diesem Zeitverständnis andere "antiquierte" Zeitverständnisse, so z.B. wenn man an von Gestirnen bestimmte Glücks- und Unglückstage glaubt und danach handelt oder wenn man kirchliche Fasten- und Festzeiten einhält. Um Zeitverständnisse in anderen Kulturen zu verstehen, ist es hilfreich, unser eigenes Zeitverständnis durch einen Blick auf seine Geschichte zu relativieren.

In der Zeitung des Deutschen Uhrenmuseums Furtwangen [Webpräsenz: http://www.deutsches-uhrenmuseum.de/. -- Zugriff am 2001-03-05] wird diese Geschichte seit dem frühen Mittelalter gut zusammengefasst:

"Auch die Bauern und Handwerker des frühen Mittelalters lebten nach sich wiederholenden und aufgabenorientierten Zeitmaßen. Klimatische Bedingungen der Jahreszeiten, Wachstumsperioden der Natur, Gezeiten bestimmten Aussaat und Ernte, Jagd und Fischfang. Die zeitliche Orientierung am Tag richtete sich nach der Arbeitszeit: man verrichtete sein »Tagwerk« und bestellte den »Morgen« Land.

Für das tägliche Leben im mittelalterlichen Dorf hatten Uhren keine Bedeutung. Einzig in den Klöstern und an den Adelshöfen wurden im Frühmittelalter Sonnen- und Wasseruhren verwendet. Sie regelten vor allem die Gebetszeiten.
Im späten Mittelalter gewannen die Städte zunehmend an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Hier lebten die sozialen Träger einer neuen »Zeitkultur«: die Kaufleute. Ein waches Bewusstsein von der Bedeutung der Zeit, präzise zeitliche Gliederung und »Tempo« kennzeichneten ihre Vorstellung von Zeit. Die Zeit der Kaufleute kam in Konflikt mit dem kirchlichen Zeitbegriff.

Was war geschehen? Kaufleute reisten zu Wasser und zu Land und bauten ein Handelsnetz auf, sie berechneten die Dauer von Handwerksarbeit und verliehen Geld gegen Zinsen. Das vergrößerte den Geldumlauf und erforderte eine genauere Zeitmessung als die bisher übliche: der Händler entdeckte den Preis der Zeit." [...]

"Um 1300 findet diese Entwicklung eine technische Entsprechung: die Räderuhr wird erfunden. Die neue Zeit beginnt mit ihrer Messung, mit der Einführung mechanischer Uhren und der Uhr-Zeit.


Abb.: Räderuhr, Winterthur, 1584, Höhe: 36 cm. (Deutsches Uhrenmuseum, Furtwangen [Webpräsenz: http://www.deutsches-uhrenmuseum.de/. -- Zugriff am 2001-06-07])

Das Neue ist ein Mechanismus, mit dem der Ablauf einer von Gewichten und Seilen angetriebenen Welle in eine gleichmäßige und regulierbare Umdrehung überführt wird. Diese Umdrehung eignet sich als Zeitnormal. Die die Drehung der Welle abbremsende Reguliervorrichtung ist die Hemmung. Mit dieser Erfindung kann die Zeit in einzelne, genau bemessene Teilstücke zerlegt werden.

Mittelalterliche Räderuhren verkünden die Zeit akustisch. Eine Vielzahl von Glocken, eine noch größere Zahl von Schlagtechniken hatte schon zuvor das Leben der Städter sowie bestimmter Berufsgruppen, der Wirte, Fischer, Lohnarbeiter, Hirten und Richter geregelt. Zünfte und Universitäten besaßen ihre eigenen Glocken. Die Uhrglocke ist das letzte Element des städtischen Signalsystems. Unauffällig und sehr langfristig macht sie alle anderen Signale überflüssig.

Gleichzeitig werden Räderuhren auf Glockentürmen zu Prestigeobjekten der Städte. Die Größe der Uhrglocke sowie eine möglichst prächtige, lärmende Anzeige der Stunden sind anfangs wichtiger als die genaue Zeitangabe.

Alle technischen Vorteile hätten wenig bewirkt, wäre die Umstellung nicht zugleich dem Alltag der Stadtbürger entgegengekommen. Ihre Tagesarbeit, immer öfter durch Geldzahlung entlohnt, sollte innerhalb der Stadtmauern kalkulierbar und kontrollierbar, also gleichförmig sein; gleichförmig musste daher auch die gemeinsame Uhr von Meister, Gesellen und Arbeitern sein. Die gleich langen Stunden ersetzten allmählich die Gebetszeiten der Mönche als Zeitangabe.

Dass die Uhr sichtbar am Turm hing und hörbar die Stunde schlug, vereinheitlichte die Zeit aber nur im Stadt- oder Kirchturmshorizont: noch zählte man die Tagesstunden von Ort zu Ort anders.

(Die neue Zeit der Städte, die man messen, zählen, bezahlen konnte, setzte sich durch. Sie ist schon unsere Zeit.)"

[[Brink, Cornelia]: Wucherzins und Höllenqualen : Zeit der Kirche, Zeit der Händler, Zeit der Städte im Mittelalter. -- In: Furtwanger Uhrenbote. -- 2 [circa 1992]]

Im Laufe der Jahrhunderte spielte die genaue Messung der Zeit eine immer größere Rolle, insbesondere musste die Uhrzeit vereinheitlicht werden: national im 19. Jahrhundert, weil die Bahn sich nicht an der jeweiligen Ortszeit, die von der Sonne bestimmt wurde, orientieren konnte, und danach durch die internationale Festlegung der Zeitzonen. Heute wird die Weltzeit von etwa 250 Atomuhren, die in 50 über die Welt verteilten Maß-Instituten stehen, festgelegt. Über Antennen werden Signale, die jeweils den Anfang einer Sekunde anzeigen, an Funkuhren und Funkwecker geleitet. Seit 1967 arbeitet man mit atomaren Sekunden. Eine solche Sekunde ist "das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids Cs-133 entsprechenden Strahlung". Man geht davon aus, dass in Zukunft Ionen, die von Licht ausgesendet werden, noch genauere Zeitmessung ergeben als die Strahlung des Cäsiumatoms.

[zitiert in: Lublinski, Jan und Marc Steinmetz: Über alle Maßen genau. - In: Geo. - 03(2008). - S. 80]

Im Artikel "Das Zeitempfinden des Menschen" in "Raum und Zeit" wird darauf hingewiesen, dass das Zeitempfinden der Menschen ganz wesentlich davon abhängt, zu welchem Kulturkreis sie gehören. Insbesondere die Auffassung davon, wie das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesehen wird, ist kulturabhängig. In den modernen westlichen Gesellschaftssystemen empfindet man die Zeit als ein horizontales Ereignis: ein Ereignis folgt dem anderen auf einer Linie von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Diese Zeitauffassung hängt eng mit  dem Begriff des Fortschritts zusammen: das Heute ist besser als das Gestern. Auch diejenigen in westlichen Kulturen, die die heutigen Zustände beklagen und davon ausgehen, dass früher alles besser war, haben eine horizontale Auffassung von der Zeit: der Fortschritt ist dann ein Fortschritt ins Negative. Vertreter dieser Anschauung befinden sich z.B. unter den christlichen Fundamentalisten.

In östlichen Kulturen geht man eher davon aus, dass es eine vertikale Vorstellung der Zeit gibt, d.h. die Ereignisse der Gegenwart sind mit denen der Vergangenheit und Zukunft untrennbar verknüpft.  

"Die Irokesen im Nordosten Amerikas sind ein Paradebeispiel für eine Kultur mit einer vertikalen Zeitperspektive. Wenn sich Mitglieder des Irokesenstammes versammeln, um eine Entscheidung zu treffen, überlegen sie, wie ihre Ahnen gehandelt hätten, und wägen ihre Bedürfnisse gegen die ihrer Nachfahren ab. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind für sie eins. Aus diesem Grund gelten die Irokesen als äußerst vorausschauend, mehr noch als die Menschen westlicher Kulturen, die dazu neigen, nur für die unmittelbare Zukunft zu planen. «jede von uns getroffene Entscheidung wirkt sich auf das Wohlergehen der siebten nachfolgenden Generation aus», erklärt ein Häuptling der Irokesen, «und das ist die Grundlage, auf der wir im Rat unsere Entscheidung treffen. Wir fragen: Ist unser Beschluss vorteilhaft für die siebte Folgegeneration? Und danach richten wir uns.»" [Beispiel aus: "Zeitempfinden des Menschen", S. 97]

Der Anthropologe Edward T. Hall unterscheidet zwischen monochronen und polychronen Kulturen. Monochrone Gesellschaften zeichnen sich durch horizontale Zeitauffassung aus, polychrone Gesellschaften hingegen durch vertikale. Die jeweilige Perspektive ist u.a. wichtig für die Zeiteinteilung im praktischen Leben.

[vgl. : Hall, Edward Twitchell <1914 - >: The hidden dimension. -- New Nork [u.a.] : Anchor, 1990 (©1966). -- 217 S. : Ill. -- ISBN 0385084765. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]

Arbeitet man als ein Mitglied einer monochronen Gesellschaft in Südamerika, macht man sehr schnell die Erfahrung der unterschiedlichen Zeiteinstellung: so muss man bei Planungen für eine Tagung unbedingt die übliche Verspätung einrechnen. Ein Beispiel zu einer Einladung für eine Tagung  aus Bolivien:  Eröffnungswort zur Tagung um 8.30 Uhr, Beginn des ersten Vortrages um 9.30 Uhr (dann darf das Eröffnungswort nur 5 Minuten dauern und beginnt etwa um 9.30 Uhr). Der Erfahrungswert sagte, dass alle Teilnehmer üblicherweise mindestens eine Stunde zu spät kommen, es können durchaus aber auch zwei Stunden sein, man muss also relativ variabel für die Schlusszeit sein.

Der amerikanische Psychologieprofessor Robert Levine lernte diesen Unterschied in der Zeitauffassung Anfang der 80er Jahre bei einem Lehrauftrag an der Universität der brasilianischen Stadt Niterói an der Ostseite der Guanabara-Bucht  kennen und beschäftigte sich in seinen späteren Forschungen damit.

 


Abb.: Lage von Niterói, Brasilien (©MS Encarta)

Levines Seminar war auf 10.00 Uhr angesetzt und sollte zwei Stunden dauern. Er begann, pünktlich aber erst um 11 Uhr waren alle seine Studenten erschienen. Einige entschuldigten sich, was darauf hinweist, dass diese Studierende wohl schon mal Kontakt zu Nordamerikanern oder Nordeuropäern hatten, aber die meisten nahmen ihr Zuspätkommen als nicht problematisch an, was Levine erstaunte.

Levine wunderte sich dann am Ende seiner Veranstaltung, dass niemand den Raum verließ und auch kein Zeichen gab, dass die Vorlesungszeit vorbei ist. (Amerikanische und auch deutsche Studierende machen sich pünktlich bemerkbar, wenn die Zeit abgelaufen ist.) Erst als Levine den Raum verlassen hatte, gingen auch seine Studierenden.

Diese Erfahrungen waren der Anlass für eine Befragung unter amerikanischen und brasilianischen Studenten, was diese jeweils unter Zuspätkommen verstehen. Die Brasilianer nannten 33½ Minuten, die Amerikaner 19 Minuten. Bei der Frage nach dem Zufrühkommen, nannten die Amerikaner 24 Minuten, die Brasilianer aber 54 Minuten. Als Begründung für zu frühes oder zu spätes Kommen nannten die Brasilianer "unvorhergesehene Umstände". (Bei meiner momentanen Vorlesung, die um 8.15 Uhr beginnt, entschuldigen sich die zu spät Kommenden mit "habe verschlafen", als Mitglieder einer monochronen Gesellschaft sind sich die Studierenden aber bewusst, dass das nicht in Ordnung ist.)

Bei entsprechenden Forschungen in Indonesien konnte Levine feststellen, dass auch öffentliche Geschäftszeiten sehr locker genommen wurden, so schloss die Hauptpost in Solo, weil ein interessantes Volleyballspiel im Gange war. 

[vgl.: Levine, Robert <1945 - >: Eine Landkarte der Zeit : wie Kulturen mit der Zeit umgehen. -- 4. Aufl. -- München [u.a.] : Piper, 2000 (©1997). -- 319 S. -- (Serie Piper ; 2978). -- ISBN 3492229786. -- Originaltitel: A geography of time (1997). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]

 


Abb.: Lage von Jakarta und Surakarta = Solo, Java, Indonesien (©MS Encarta)

Dass Menschen mit vertikaler Zeitanschauung kein Problem damit haben, angefangene Tätigkeiten, Projekte u.ä. einfach auf die Seite zu legen und warten zu lassen, zeigt Edward Hall in seinem 1983 erschienen Buch "The dance of life" am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen den Pueblo-Indianern und der Regierung des Bundesstaates New Mexico.

[Hall, Edward Twitchell <1914 - >: The dance of life : the other dimension of time. -- New Nork [u.a.] : Anchor, 1989 (©1983). -- 250 S. -- ISBN 0385192487. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]

Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts baute der Staat New Mexico eine Straße auf dem Land der Pueblo-Indianer, ohne eine Gegenleistung anzubieten. Die Stammesführer kündigten daraufhin eine Sperrung der Straße an, wenn sie keine angemessene Entschädigung bekämen. Die Verhandlungen zogen sich hin und scheiterten. Erst nach etlichen Jahren blockierten die Indianer die Straße. Sie brachten ein Schild mit der Begründung, dass sie nun ihr Recht in Anspruch nehmen.

Die Beamten hatten die Sache als erledigt angesehen und verstanden nicht, warum erst nach Jahren die Sperrung durchgeführt wurde. Die Indianer wunderten sich wiederum über die Beamten, denn warum soll man nicht einige Jahre warten, bis man eine Sache endgültig erledigt. " »Keine Ahnung, warum die Leute überrascht waren«, meinte ein Stammesführer, »die Sperrschilder sind immerhin ein Jahr lang neben meinem Haus gelegen, und jeder hat sie gesehen. Wofür hätten wir die Dinger sonst hernehmen sollen?«" [zitiert in: "Zeitempfinden des Menschen". S. 100]

Ein weiterer Unterschied in den Kulturen besteht darin, wie man den Zeitraum, in dem etwas passiert, nennt. Modern und weltweit ist die genormte Angabe nach Sekunden, Minuten und Stunden, nach Tagen, Wochen und Monaten. In der vorindustriellen Landwirtschaft aber gab es bei uns andere Zeit- und Raummessungen wie z.B. ein Morgen Land oder die Zeit, die man für einen Rosenkranzdurchgang brauchte.

So findet man in traditionsgebundenen Kulturen bildhafte Beschreibungen, wenn man die Zeit und die Entfernung ausdrücken will. Z.B. rechnet ein Oaxaca-Indianer aus Mexiko die Entfernung zwischen Dörfern in der Anzahl der Hüte, die er auf dem Weg flechten kann.

Auch die Woche hat nicht in allen Kulturen 7 Tage. Bei den Tiv in Nigeria gibt es die Fünftagewoche. Die Woche als Zeiteinheit ist in fast allen Gesellschaftssystemen zu finden, da man u.a. die Markttage regelmäßig abhalten musste. Die Zeiteinheit Woche mit 7 Tagen ist eine sehr alte Tradition, da sie für Juden, Christen und Muslime festgelegt ist, ist sie weltweit verbreitet.

"Alles in allem ist Zeit für den Menschen eine komplexe Mischung aus Angeborenem und Erlerntem. In jeder modernen Gesellschaft müssen drei zeitliche Welten koordiniert werden - die biologische Zeit, die psychologische Zeit oder das Zeiterleben und die kulturelle oder gesellschaftliche Zeit. Regiert wird der Mensch jedoch von der ersten auch wenn er es nicht immer merkt. Denn wie schon Claude Bernard, ein französischer Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, erkannte, wird der Körper nie die Beziehung zur Natur verlieren, die ihn »umgibt und weise« ist."

[Raum und Zeit / von der Redaktion der Time-Life Bücher. -- Amsterdam : Time-Life, ©1990. -- (Geheimnisse des Unbekannten). -- ISBN 9061822009. -- S. 97 - 100. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]

Bei der Unterscheidung zwischen horizontaler und vertikaler bzw. monochroner und polychroner Zeitauffassung muss man sich aber immer im Klaren darüber sein, dass solche Unterscheidungen eine gute Arbeitshilfe darstellen, aber im Einzelnen nicht immer angewendet werden können. Die Realität ist oft schwieriger. So hat bei einer Tagung in Bolivien ein wichtiger Politiker, der pünktlich zu seinem Vortrag erschien, das erwartete Ergebnis der ganzen Tagung zunichte gemacht, da er vor fast leeren Reihen sprach. Die Zuhörer kamen in gewohnter Unpünktlichkeit.

Außerdem geschieht es heute im Zeitalter des Internet immer häufiger, dass sich Menschen aus Regionen mit unterschiedlichen Zeitauffassungen auf die andere Kultur vorbereiten, um sich korrekt nach den Bedingungen des Gastlandes zu benehmen. Der den Gast Empfangende hat sich ebenfalls vorbereitet und versucht sich nach den Bedingungen des Herkunftslandes zu benehmen, wodurch es dann auch wieder zu Konflikten kommen kann. Eine gute Lösung haben bolivianische Bekannte gefunden: zu einer Geburtstagsfeier ihres Kindes wurden die bolivianischen Kinder auf 15 Uhr eingeladen, das deutsche Kind auf 17 Uhr. Die bolivianischen Kinder trafen fast alle zwischen  16.45 und 17.00 Uhr ein, das deutsche Kind pünktlich um 17 Uhr.


2. Zeitliche Verkürzung der Entfernungen und Zeitverschiebung



Abb.: Deutsche Reichs-Colonial-Uhr, Badische Uhrenfabrik, Furtwangen, um 1905, Höhe 79 cm  (Deutsches Uhrenmuseum, Furtwangen [Webpräsenz: http://www.deutsches-uhrenmuseum.de/. -- Zugriff am 2001-06-07])

Im Zifferblatt dreht sich mit dem kleinen Zeiger eine Scheibe, die die Ortszeiten aller deutschen Kolonialgebiete um 1900 in Afrika, China und der Südsee anzeigt. Auf dem Schild sind ein Handels- und ein Kriegsschiff abgebildet. Aufschrift: "Kein Sonnenuntergang in unserem Reich. Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser."

Entfernungen sind vor allem zeitliche Entfernungen: viel wichtiger als die Angabe "A ist von B soundso viele Kilometer entfernt", ist die Angabe "von A nach B und zurück braucht eine Nachricht soundso lange" und  "man benötigt, um von A nach B zu gelangen, soundso viele Stunden". Die Zeit für die Überbringung einer Nachricht und der Antwort darauf, bestimmt, was "gleichzeitig" ist. 

Innerhalb von knapp 50 Jahren schrumpfte diese Nachrichtenentfernung um einen Faktor von über 2 Millionen, d.h. auf Landkartenformat!

Das Schlagwort "Globalisierung" beruht vor allem auf dem Tatbestand, dass durch Entwicklungen der Technik der Kommunikation und des Transports die zeitlichen Entfernungen innerhalb von wenigen Jahrzehnten in fast unvorstellbarem Masse geschrumpft sind.

Besonders gut kann man die drastische Verkürzung der zeitlichen Entfernungen am Beispiel der Verbindung Australiens mit seinem britischen Mutterland sehen:


Abb.: Seeverbindungen London - Sydney im 19. Jahrhundert

[Quelle der Abb.: Bereson, Itiel ; Rosenblat, Simon: Inquiry Australia. -- 2. ed. -- Melbourne : Heinemann, ©1985. -- ISBN 0-85859-182-0. -- S. 118]

1869 wurde der Suezkanal eröffnet. Der bisher schnellste Clipper schafft die Strecke London Melbourne in 64 Tagen. Der Suezkanal steht nur Dampfschiffen offen, die die Strecke London - Sydney in 45 Tagen bewältigen. Die Post wird bis zum Suezkanal teilweise überland befördert, sodass Post von London nach Australien nur noch 30 Tage benötigt.


Abb.: Clipper im Sturm

[Quelle der Abb.: Blainey, Geoffrey: The tyranny of distance : how distance shaped Australia's history. -- Melbourne : Macmillan, 1975. -- ISBN 0-333-13999-2. -- S. 116]

1871 Australien ist mit Europa durch Unterseekabel verbunden. Damit ist Telegraphie zwischen London und Australien über Relaisstationen möglich. Im besten Fall brauchte ein Kurztelegramm zwischen London und Australien 24 Stunden:


Abb.: Legung eines Unterwasserkabels bei Sydney, 1876

[Quelle der Abb.: Carroll, Brian: Australian communications through 2000 years. -- Kenthurst : Kangarroo, ©1992. -- ISBN 0-86417-466-7. -- S. 22]

1918 wird die erste drahtlose Telegraphenverbindung zwischen England und Australien eröffnet. Damit schrumpft die Übermittlungszeit auf Sekunden.

1920 folgt der erste Flug von England nach Australien mit sehr vielen Zwischenstationen und Übernachtungen. 1935 fliegt Qantas einmal wöchentlich nach Singapur. Dort Anschluss an Imperial Airways Flug nach London. Für die Strecke Brisbane -- Singapur benötigt man 3½ Tage, bis London 13 Tage (mit 12 Übernachtungen in Hotels): im folgenden die Tagesstrecken: Brisbane -- Cloncurry -- Darwin -- Rambang -- Singapore -- Bangkok -- Calcutta -- Jodhpur -- Sharjah -- Baghdad -- Cairo / im Zug bis Alexandria -- Brindisi -- im Zug bis Paris -- London. 1965 folgt der erste Transpazifik-Nonstop-Flug: Qantasflug San Francisco -- Sydney in 14 Std 32 Minuten.


Abb.: Empire Flying Boat verbindet 1938 dreimal wöchentlich London mit Australien

[Quelle der Abb.: Blainey, Geoffrey: The Blainey view.-- Sydney : Australian Broadcasting Commission, ©1982. -- ISBN 0-642-97295-8. -- S.33]

In der Telekommunikation sind einige der Stationen:

Die Nachrichtenverbindung zwischen Großbritannien und Australien verkürzte sich zwischen 1868 und 1918 von über 60 Tagen auf wenige Sekunden. Die Personenbeförderung von 1868 über 60 Tagen auf 1920 13 Tage  und in den 1960er Jahren ca. 20 Stunden. Die zeitlichen Entfernungen schrumpften innerhalb von hundert Jahren von einem Gleichzeitigkeitsunterschied von 60 Tagen (in beide Richtungen: Nachricht - Antwort 120 Tage = 4 Monate) auf Sekunden

[Ausführlich:: Payer, Margarete <1942 - >: HBI weltweit. -- 3. Australien. -- 3.04. Moderne Telekommunikation in Australien. -- URL: http://www.payer.de/hbiweltweit/weltw304.html]

Die wirkliche Globalisierung begann mit der Errichtung von Weitstreckentelegraphenverbindungen und hat ihren bisherigen Höhepunkt in der Vernetzung durch das Internet.


Abb.: Unterwasserglasfaserkabel, 2000 (©Alcatel)

[Bildquelle: http://www.cybergeography.org/atlas/alcatel_large.gif. -- Zugriff am 2001-06-04]

Als Folge der immensen Verkürzung der Entfernungen dank moderner Verkehrs- und Kommunikationsmittel sind heute die verschiedenen Zeitzonen der Erde und die Zeitverschiebung nicht mehr nur ein theoretisches Problem, sondern praktische alltägliche Wirklichkeit.

So ist buchstäblich jederzeit jede Stunde Gegenwart und jeder erreichbar. 

Die Zeitverschiebung bei Fernflügen ist ein ernsthaftes Problem für das Wohlfühlen, bei Vielfliegern vielleicht auch für die Gesundheit. Auf alle Fälle sollte man dies bei der Planung dienstlicher Reisen beachten und nicht zu knappe Ruhe- und Umstellungszeiten vorsehen.


Abb.: Zeitzonen der Erde [Quelle. CIA. -- URL: http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/reference/JPEG versions/802700.jpg. -- Zugriff am 2001-06-04]

"Etwa 400 Jahre lang bemerkte kein Mensch irgendwelche Auswirkungen einer Zeitverschiebung an sich, ehe im Jahre 1931 der Amerikaner Wiley Post in acht Tagen ostwärts um die Erde flog. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, verträgt unser Körper kaum mehr als zwei Stunden Zeitverschiebung am Tag, wenn er sich problemlos anpassen soll. Es ist, als könne unsere Haut mit beliebiger Geschwindigkeit reisen, während es für unser Inneres eine Grenze von etwa 160 Stundenkilometern gibt. Weil Post die Zeitzonen viel schneller überflog, entdeckte er, dass er eine innere Uhr besaß. Er erkannte die nachteiligen Auswirkungen der Zeitverschiebung auf seine Leistungen als Pilot und bemühte sich, ihnen zu entgehen. Er war der erste Mensch, der ein Jet-lag erlebte - jenes von Reisenden in der Zeit empfundene, unangenehme Gefühl, als seien ihre Organe über ein Dutzend Zeitzonen verstreut, während die leere Hülle weiter der Zukunft zustrebt, sei das nun «morgen» oder «gestern» auf dem örtlichen Kalender."

[Winfree, Arthur T.: Biologische Uhren : Zeitstrukturen des Lebendigen. -- Heidelberg : Spektrum der Wissenschaft, ©1988. -- (Spektrum-Bibliothek ; Bd. 17). -- ISBN 3-922508-87-1. -- S. 16. -- Originaltitel: The timing of biological clocks (1987)]


3. Weiterführende Ressourcen


3.1. Webportale


 


3.2. Ressourcen in Printform


Die Astrologie / von der Redaktion der Time-Life Bücher. -- Amsterdam : Time-Life, ©1989. -- 160 S. : Ill. -- (Geheimnisse des Unbekannten). -- ISBN 90-6182-999-2

Blackburn, Bonnie J. ; Holford-Strevens, Leofranc: The Oxford companion to the year. -- Oxford [u.a.] : Oxford University Press, 1999. -- 937 S. -- ISBN  0192142313. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Coulmas, Florian <1949 - >: Japanische Zeiten : eine Ethnographie der Vergänglichkeit. --. Reinbeck : Kindler,  ©2000. -- 382 S. : Ill. -- ISBN 3463403927. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Hall, Edward Twitchell <1914 - >: The hidden dimension. -- New Nork [u.a.] : Anchor, 1990 (©1966). -- 217 S. : Ill. -- ISBN 0385084765. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Hall, Edward Twitchell <1914 - >: The dance of life : the other dimension of time. -- New Nork [u.a.] : Anchor, 1989 (©1983). -- 250 S. -- ISBN 0385192487. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Hinz, Arnold <1961 - >: Psychologie der Zeit : Umgang mit Zeit, Zeiterleben und Wohlbefinden. -- Münster [u.a.] : Waxmann, ©2000. -- 235 S. : Ill. -- (Internationale Hochschulschriften ; 329). -- Zugleich: Berlin, Freie Universität, Dissertation, 1999. -- ISBN 3893258701. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}] 

Im Netz der Zeit : menschliches Zeiterleben interdisziplinär  / hrsg. von Rudolf Wendorff. -- Stuttgart : Hirzel, ©1989. -- (Edition Universitas). -- ISBN 3804710573. --160 S. : Ill. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Karrer, Peter: Die Götter, die Menschen und das Geld: Astrologie in Nordindien : eine Studie über astrologische Praktiker aus zwei miteinander konkurrierenden Kasten - Dakots und Brahmanen. -- Frankfurt (Main) : R. G. Fischer, ©1991. -- 187 S. --  ISBN 3894064684. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Knappich, Wilhelm <1880 - 1970>: Geschichte der Astrologie. -- 3., unveränderte Aufl. -- Frankfurt a. M. : Klostermann, 1998 (©1967). -- 400 S. : Ill. -- [ISBN 3465029844]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Levine, Robert <1945 - >: Eine Landkarte der Zeit : wie Kulturen mit der Zeit umgehen. -- 4. Aufl. -- München [u.a.] : Piper, 2000 (©1997). -- 319 S. -- (Serie Piper ; 2978). -- ISBN 3492229786. -- Originaltitel: A geography of time (1997). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Mühe, Richard ; Kahlert, Helmut: Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen : die Geschichte der Uhr. -- 4. Aufl. -- Furtwangen : Deutsches Uhrenmuseum, ©1994. -- 180 S. : Ill. -- ISBN 3-922673-05-7

Mühe, Richard ; Kahlert, Helmut ; Techen, Beatrice: Wecker. -- Furtwangen  : Deutsches Uhrenmuseum, ©1991. -- 194 S. : Ill. --  ISBN 3-7667-1000-1

Niehenke, Peter <1949 - >: Astrologie : eine Einführung. -- Leipzig : Reclam, 2000 (©1994). --275 S. : Ill. --  (Reclam-Bibliothek ; 1705). -- ISBN 3379017051. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Payer, Margarete <1942 - >: Wo die Uhren anders gehen : Zeitkulturen. -- In: Phänomen Zeit. -- Heidelberg : Spektrum der Wissenschaft, April 2003. -- (Spezial ; 2003, 1). -- ISSN 0943-7096 ; ISBN 3-936278-33-4. -- S. 78 - 83

Raum und Zeit / von der Redaktion der Time-Life Bücher. -- Amsterdam : Time-Life, ©1990. -- (Gehimnisse des Unbekannten). -- ISBN 9061822009. -- 144 S. : Ill. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Seiwert, Lothar J.: Mehr Zeit für das Wesentliche : besseres Zeitmanagement mit der SEIWERT-Methode. -- 7. Aufl. -- Landsberg a. L. : mgv, 2001. -- 333 S. : Ill. -- (Business Training ; 81252). -- ISBN 3478812526. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Veblen, Thorstein <1857 - 1929>: Theorie der feinen Leute : eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. -- Frankfurt a. M. : Fischer, 1986. -- 381 S. -- (Fischer Wissenschaft ; 7362). -- ISBN 3596273625. -- Originaltitel: The theory of the leisure class (1899). -- S. 51 - 53, 58. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Whitrow, Gerald James <1912 - >: Die Erfindung der Zeit. -- Wiesbaden : Fourier, 1999 (©1991). -- 319 S. -- ISBN 3932412052. -- Originaltitel: Time in history (1988). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen} 

Winfree, Arthur T.: Biologische Uhren : Zeitstrukturen des Lebendigen. -- Heidelberg : Spektrum der Wissenschaft, ©1988. -- (Spektrum-Bibliothek ; Bd. 17). -- ISBN 3-922508-87-1. -- 222 S. : Ill. -- Originaltitel: The timing of biological clocks (1987)

Zeitbilder : ein kleiner Museumsführer / Deutsches Uhrenmuseum. [Hrsg. von Jakob Messerli ... Photogr.: Georg Grieshaber]. -- Furtwangen : Dt. Uhrenmuseum, ©2000. -- 95 S. : Ill.  -- ISBN 3-922673-08-2

Zu: 12.1. Vom Umgang mit der Zeit